Die okkulte Bedeutung des Traumes (1900-001/1931.2)

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Freud, Sigmund: Die okkulte Bedeutung des Traumes (1900-001/1931.2). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1900-001__1931.2.xml
§ 1

für den Inhalt der Träume 373

§ 2

Dem ethisdien Narzißnius des Menschen sollte es genügen, daß er in der Tatsadie der Traumentstellung, in den Angstund Strafträumen ebenso deutlidie Beweise seines sittlid1en Wesens erhält wie durch die Traumdeutung Belege für Existenz und Stärke seines bösen Wesens. Wer, damit nicht zufrieden, „besser“ sein Will, als er gesdiafl'en ist, möge versuchen, ob er es‘ im Leben Weiter bringt als zur Heuchelei oder zur Hemmung.

§ 3

Der Arzt wird es dem Juristen überlassen, für soziale Zwecke eine künstlich auf das metapsydlologisd1e Ich eingeschränkte Verantwortlichkeit aufzustellen. Es ist allgemein bekannt, auf welche Schwierigkeiten es stößt, aus dieser Konstruktion praktische Folgen abzuleiten, die den Gefühlen der Menschen nidit Widerstreiten.

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DIE OKKULTE BEDEUTUNG DES TRAUMES (ms)

§ 5

Wenn der Probleme des Traumlebens kein Ende abzuseben ist, so kann sich nur der darüber verwundern, der eben vergißt, daß alle Probleme des Seelenlebens audi am Traume wiederkehren, vermehrt um einige neue, die die besondere Natur der Träume betrefien. Viele der Dinge, die wir am Traum studieren, weil sie Sidi uns dort zeigen, haben aber mit dieser psyd1isdien Besonderheit des Traumes nichts oder wenig zu tun. So ist zum Beispiel die Symbolik kein Traum— problem, sondern ein Thema unseres arcbaisdien Denkens, unserer „Grundsprad'ie“ nach des Paranoi.kers Schreber trefflicbem Ausdruck, sie beherrscht den Mythus und das reli— giöse Ritual nidit minder als den Traum; kaum daß der Traumsymbolik die Eigenheit verbleibt, vorwiegend sexuell Bedeutsames zu verhiillen! Audi der Angsttraum braucht seine Aufklärung nicht von der Traumlehre zu erwarten, die Angst

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374 Die okkulte Bedeutung

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ist vielmehr ein Neurosenproblem, es bleibt nur zu erörtern, wie,Angst unter den Bedingungen des Träumens entstehen kann.

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Ich meine, es ist mit dem Verhältnis des Traumes zu den angeblid1en Tatsachen der nkkulten Welt audi nicht anders. Aber da. der Traum selbst immer etwas Gebeimnisvolles war, hat man ihn mit jenen anderen unerkannten Geheimnissen in intime Beziehung gesetzt. Er hatte wohl auch ein historisd1es Anrecht darauf, denn in den Urzeiten, als unsere Mythologie sid1 bildete, mögen die Traumbilder an der Entstehung der Seelenvorstellungen beteiligt gewesen sein.

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Es soll zwei Kategorien von Träumen geben, die den okkulten Phänomenen zuzurechnen sind, die prophetisdien und die telepatbisdien. Für beide spricht eine unübersehbare Masse von Zeugnissen; gegen beide die bartnäckige Abneigung, wenn man will das Vorurteil, der Wissensdiafl.

§ 11

Daß es prophetisdie Träume in dem Sinne gibt, daß ihr Inhalt irgendeine Gestaltung der Zukunfi darstellt, leidet allerdings keinen Zweifel, fraglid1 bleibt nur, ob diese Vorhersagen in irgend bemerkenswerter Weise mit dem übereinstimmen, was später Wirklich geschieht. Ich gestehe, daß mich für diesen Fall der Vorsatz der Unparteiliehkeit im Sti&le läßt. Daß es irgendeiner psyddscben Leistung außer einer sdiarfsinnigen Berechnung möglich sein sollte, das zukünftige Gesd1ehen im Einzelnen vorauszuseben, widerspricht einerseits zu sehr allen Erwartungen und Einstellungen der Wissensd1a& und entspricht andrerseits allzu getreu uralten, wohlbekannten Menscliheitswünsd'ien, welche die Kritik als unberechtigte Anmaßung verwerfen muß. Idi meine also, wenn man die Unzuverlässigkeit, Lcid1tgläubigkeit und Unglanwiirdigkeit der meisten Berichte zusammenhält mit der Möglid1keit effektiv erleiditerter Erinnerungstäusclmngen und der Notwendigkeit einzelner Zufallstreifer, darf man er— warten, daß sich der Spuk der prophetisdien Wabrträume in

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de: Traume: 375

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ein Nidits auflösen wird. Persönlid: habe ich nie etwas erlebt oder erfahren, was ein günstigeres Vorurteil erwedsen könnte.

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Anders steht es mit den telepathisdien Träumen. Hier sei aber vor allem bemerkt, daß nodi niemand behauptet hat, das telepatbisdxe Phänomen — die Aufnahme eines seelisdnen Vorganges in einer Person durch eine andere auf anderem Wege als dem der Sinneswahrnehmung — sei ausschließlich an den Traum gebunden. Die Telepathie ist also wiederum kein Traumproblem, man braucht sein Urteil über ihre Existenz nicht aus dem Studium der telepathisdieu Träume zu schöpfen.

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Unterwirfi: man die Berichte über telepathisdme Vorkommnisse (ungenau: Gedankeniibertragung) derselben Kritik, mil: der man andere okkultc Behauptungen abgewehrt hat, so behält man dod1 ein ansebnlidles Material übrig, das man nicht so leid1t vernadilässigen kann. Auch gelingt es auf diesem Gebiete weit eher, eigene Beobachtungen und Erfahrungen zu sammeln, die eine freundliche Einstellung zum Problem der Telepathie bered1tigen, wenngleich sie fiir die Herstellung einer gesicherten Überzeugung noch nith ausreidrien mögen. Man bildet sich vorläufig die Meinung, es könnte wohl sein, daß die Telepatbie wirklich existiert und daß sie den Wahrheitskern von vielen anderen, sonst unglaublichen Aufstellungen bildet. >

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Man tut gewiß red1t daran, wenn man auch in Sachen der Telepathie jede Position der Skepsis hartnädrig verteidigt und nur ungern vor der Macht der Beweise zurückweicbt. Ich glaube ein Material gefunden zu haben, welches den meisten sonst zulässigen Bedenken entzogen ist: nicht erfüllte Prophezeiungen berufsmäßiger Wahrsagen Leider stehen mit nur wenige solche Beobachtungen zu Gebote, aber zwei unter diesen haben mir einen sanken Eindruck hinterlassen. Es ist mir versagt, diese so ausführlich mitzuteilen, daß sie audi auf

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376. Die ok]eulte Bedeutung

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andere wirken könnten. Ich muß midi auf die Hervorhebung einiger wesentlicher Punkte beschränken.

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Den betreffenden Personen war also — am fremden Ort und von seiten eines fremden Wahrsagen, der dabei irgend— Eine, Wahrscheinlid1 gleidigiltige, Praktik betrieb -— etwas für eine bestimmte Zeit vorhergesagt werden, was nicht ein— getroflen war. Die Verfallszeit der Prophezeiung war längst vorüber. Es war auffällig, daß die Gewährspersonen anstatt mit Spott und Enttäuschung mit ofl'enbarern Wohlgefallen von ihrem Erlebnis erzählten. Im Inhalte der ihnen gewordenen Verkündigung fanden sid:- ganz bestimmte Einzelheiten, die willkürlich und unverständlidl schienen, die eben nur durch ihr Eintreffen gerechtfertigt worden wären. So sagte zum Beispiel der Chiromant der siebenundzwanzigj'a'hrigen, aber viel jünger aussehenden Frau, die den Ehering abgezogen hatte, sie werde noch heiraten und mit zweiunddreißig Jahren zwei Kinder haben. Die Frau war dreiundvierzig Jahre alt, als sie, schwer krank geworden, mir diese Begebenheit in ihrer Analyse erzählte, sie war kinderlos geblieben. Wenn man ihre Geheimgesd1idite kannte, die dem „Professeur“ in der Halle des Pariser Hotels sicherlid'l unbekannt geblieben war, konnte man die beiden Zahlen der Prophezeiung verstehen. Das Mädchen hatte nach einer ungewöhnlidn intensiven Vater— bindung geheiratet und sich dann sehnlichst Kinder gewünscht, um ihren Mann an die Stelle des Vaters rücken zu können. Nach jahrelanger Enttäuschung, an der Schwelle einer Neurose, holte sie sid) die Prophezeiung, die — ihr das Schicksal ihrer Mutter versprada. Auf diese traf es zu, daß sie mit zweiund— dreißig Jahren zwei Kinder gehabt hatte. So war es also nur mit Hilfe der Psychoanalyse möglich, die Eigentümlid'lkeiten der angeblich von außen her erfolgenden Botschafl: sinnvoll zu deuten. Dann aber konnte man den ganzen, so eindeutig bestimmten, Sachverhalt nid-n: besser aufklären als durch die

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der Trauma: 377

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Annahme, ein starker Wunsd1 der Befragenden —— in Wirklichkeit der stärkste, unbewußte Wunsdi ihres Afiektlebens und der Motor ihrer keimenden Neurose — habe sich\durdi unmittelbare Übertragung dem mit einer ablenkenden Hantierung beschäftigten Wahrsager kundgegeben.

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Ich habe auch bei Versuchen im intimen Kreise wiederholt den Eindruck gewonnen, daß die Übertragung von stark affektiv betonten Erinnerungen unschwer gelingt. Garant man sich, die Einfälle der Person, auf welche übertragen werden soll, einer analytischen Bearbeitung zu unterziehen, so kommen ofl Übereinstimmungen zum Vorschein, die sonst unkenntlitth geblieben wären. Aus man&ien Erfahrungen bin ich geneigt, den Sd11uß zu ziehen, daß solche Übertragungen besonders gut in dem Moment zustande kommen, da eine Vorstellung aus dem Unbewußten auftaud1t, theoretisch ausgedrückt, sobald sie aus dem „Primärvorgang“ in den „Sekundärvorgang“ übergeht.

§ 26

Bei aller durch die Tragweite, Neuheit und Dunkelheit des Gegenstandes gebotenen Vorsicht hielt ich es doch nicht mehr für berechtigt, mit diesen Äußerungen zum Problem der Telepathie zurüd—rzuhalten. Mit dem Traum hat dies alles nur soviel zu tun: Wenn es telepathische Botschaften gibt, so ist nicht abzuweisen, daß sie auch den Sdilafenden erreichen und von ihm im Traum erfaßt werden können. Ja, nad1 der Analogie mit anderem Wahrnehmungs- und Gedankenmaterial darf man es auch nidnt abweisen, daß telepathische Botschaften, die während des Tages aufgenommen wurden, erst im Traum der nächsten Nacht zur Verarbeitung kommen. Es Wäre dann nicht einmal ein Einwand, wenn das telepathiscb vermittelte Material im Traum wie ein anderes verändert und umgestaltet würde. Man möchteigerne mit Hilfe der Psychoanalyse mehr und besser Gesichertes über die Telepathie erfahren.

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