Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901-002/1919)

Über das Werk

  • Herausgegeben von
  • Diercks, Christine
  • Rohrwasser, Michael
  • Konzept für die Edition und die Datenbank, Richtlinien, Quellenforschung, Signaturen, Referenzsystem
  • Diercks, Christine
  • Quellenforschung, Digitalisierung der Datenquellen, Bildbearbeitung, Faksimile-Ausgabe, Bibliografie
  • Blatow, Arkadi
  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
  • Kaufmann, Kira
  • Liepold, Sophie
  • Technische Umsetzung der Datenbank und der digitalen Instrumente
  • Roedelius, Julian
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  • Andorfer, Peter
  • Stoxreiter, Daniel

Freud, Sigmund: Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901-002/1919). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1901-002__1919.xml
§ 1

Prof. Dr. Sigm. Freud

§ 2

§ 3

Zur

§ 4

§ 5

Psychopathologie des Alltagslebens

§ 6

§ 7

Sechste vermehrte Auflage

§ 8

§ 9

Internationaler Psychoanalytischer Verlag

§ 10

§ 11

Ges. m. b. H.

§ 12

§ 13

§ 14

Internationale Psychoanalytische Bibliothek

§ 15

§ 16

No 3

§ 17

§ 18

Zur

§ 19

§ 20

Psychopathologie des Alltagslebens

§ 21

§ 22

Über Vergessen, Versprechen,

§ 23

§ 24

Vergreifen, Aberglaube und Irrtum)

§ 25

§ 26

Prof. Dr. Sigm. Freud

§ 27

§ 28

Sechste vermehrte Auflage

§ 29

§ 30

ut st die Luft you some Spink so rall

§ 31

This pienas well, wise tha selles ol

§ 32

§ 33

Lepzig und Wien 1919

§ 34

§ 35

Internation der Psyonaralytischer Verlag Ges m. b. H.

§ 36

Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m, b. H. Leipele und Wien L. Grünangergasse 3-5

§ 37

§ 38

INTERNATIONALE ZEITSCHRIFT. ARZTLICHE PSYCHOANALYSE

§ 39

§ 40

Offizielles Organ den

§ 41

§ 42

Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung

§ 43

§ 44

Herausgegeben von PROF. DR SIGM FREUD

§ 45

§ 46

Redigiert vee Dr. Karl Abralin Berlin Dr. S. Ferenczi (Budapest, Dr. Eduard Hirschmung (Wien, Dr. Braest Jones Loodon), Dr. Otto Rank (Wien) Filellő 9 Hate 24-32 Blogen stark, K 10 = = M 25

§ 47

§ 48

IMAGO

§ 49

§ 50

für Anwendung der Faymoanalyse auf die Geisteswissenschaften Herausgegeben von PROF. DR. SIGM, FREUD Schirifileitung: DR. OTTO RANK, DR. HANNS SACHS Jährlidi Hele, staremum 24-30 Bogos, surs Prtise von R41 = M 25

§ 51

§ 52

Die beides sydicinalytisches Heirsdiifture lie in V. Taliegange eridicinin, bieten in Ihrer rehm Indials in erarbepfendes Bild der judounals risites Beweging soule die Herrschmite de paduatsdien entdial pal de instiihen und Men anger andten Geltun. Danebes Bleiben die stall wie vor heimilir, dem An fänger durch dadikuliche Aufebige eines Lanführule my low Wesco und die Ung der at Myse geleit, den Vorgescheinenen Gelegenlicit Auitsoseb Tires Kifaliringen tu bieten wide rand fulielidie Kritiker und Referate fortlaufend von din Clewicklung dieser immer weiter amoureifende Wirandaft no toterrichten. Bye Beitsdisht brings Oefeinainebelien, von denen eloe Bex thrung der analytisin Erkenntnisse zu erweten ist und Mitteilungen, dunds, welche die bescanuten Lehren eine and fientlig werden sollen, temier Spredikal Beridus yne Kongressen und Versammlungen, sowie das Shadi Kareesphedenslilatt der Intern Paydaanalyshen Vereinigunge die digitippen in Berlin, Budapest, England, Holland, Sdiweiz cod Wien Dies 1 Jningov pochilt behen työheren Originalarficicn namhafter Fadiritte des los vid Atlantes i allen Wingebetten von Dr. H. Hus-Hellmuth rallgirme Babnik Vem haren Weren dre Kinderaneler, weldie Dekomento

§ 53

§ 54

von besonderen Wert and Interesse für die gesamte Kluderpychologie enthält

§ 55

Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m. b. H.

§ 56

Leipzig und Wien I, Grünangergasse 3-5

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§ 58

Internationale Psychoanalytische Bibliothek

§ 59

§ 60

NR. 1

§ 61

§ 62

ZUR PSYCHOANALYSE

§ 63

DER KRIEGSNEUROSEN

§ 64

§ 65

I. EINLEITUNG

§ 66

§ 67

PROF. DR. SIGM. FREUD

§ 68

§ 69

IL DISKUSSION

§ 70

§ 71

gehalten auf dem V. Internationalen Psychoanalytischen

§ 72

§ 73

Kongrell in Budapest, 28 und 29. September 1918

§ 74

§ 75

Mit Beiträgen von:

§ 76

§ 77

DR. S. FERENCZI (Budapest).

§ 78

§ 79

+ 2-Honvéd-Regiments Chefart der Neavens

§ 80

§ 81

aliteilung des hlusta-Valeriteller atapitais, Bodipeat

§ 82

§ 83

DR. KARL ABRAHAM (Berlin) DR. ERNST SIMMEL (Berlin)

§ 84

.. lettender Art der prediluteder Sication d det. Oberam d. L. und Gittefart eltic Kritgi

§ 85

§ 86

XX. Armeckorys in Alcancis

§ 87

§ 88

III. DR. ERNEST JONES (London)

§ 89

5 Bogen Groß-Olitav. Preis K 6-= M 4

§ 90

§ 91

DIE KRIEGSNEUROSEN (WAR-SHOK) UND DIE

§ 92

§ 93

FREUDSCHE THEORIE

§ 94

§ 95

NR. 2

§ 96

§ 97

DR. S. FERENCZI

§ 98

§ 99

HYSTERIE U. PATHONEUROSEN

§ 100

§ 101

INHALY:

§ 102

§ 103

Von Krankheits- oder Pathioneurosen.

§ 104

§ 105

Hysterisce Materialisationsphänomene

§ 106

§ 107

Technische Schwierigkeiten einer Hysterieanalyse

§ 108

Erklärungsversuch einiger bysterischer Stigmati

§ 109

§ 110

Zwei Typen der Kriegshysterie

§ 111

Psychoanalyse eines Falles von hysterischer Flypeifondrie.

§ 112

§ 113

5 Bogen Groß-Oktav: Preis K 6-= MM

§ 114

§ 115

Internationale Psychoanalytische Bibliothek Nr. 3

§ 116

Zur

§ 117

Psychopathologie des Alltagslebens

§ 118

(Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum)

§ 119

Von

§ 120

Prof. Dr. Sigmund Freud

§ 121

in Wien

§ 122

Sechste, vermehrte Auflage

§ 123

Nun in die Luft von 1010th Spuk lo voll, ma nlelnnnd was, wie er um melden soll.

§ 124

Faust, II. Teil, v. Ah.

§ 125

Leipzig und Wien, 1919. Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m. b. H.

§ 126

§ 127

Von diesem Buch sind folgende autorisierte Übersetzungen

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§ 129

erschienen:

§ 130

§ 131

Eine russische von Dr. Medem 1909

§ 132

§ 133

polnische von Dr. L. Jekels und H. Ivanka

§ 134

englische von Dr. A. Brill 1914

§ 135

§ 136

holländische von Dr. J. Stärcke 1916.

§ 137

§ 138

1912

§ 139

§ 140

Alle Rechte vorbehalten.

§ 141

§ 142

Copyright by Internationaler Psychoanalytischer Verlag",

§ 143

§ 144

Leipzig und Wien.

§ 145

§ 146

Druck- und Verlagshaus Karl Prochaska, Teschen.

§ 147

§ 148

§ 149

§ 150

§ 151

§ 152

Inhaltsangabe.

§ 153

§ 154

I. Vergessen von Eigennamen . II. Vergessen von fremdsprachigen Worten.

§ 155

§ 156

III. Vergessen von Namen und Wortfolgen

§ 157

§ 158

IV. Über Kindheits- und Deckerinnerungen

§ 159

§ 160

V. Das Versprechen VI. Verlesen und Verschreiben

§ 161

§ 162

VII. Vergessen von Eindrücken und Vorsitzen VIII. Das Vergreifen. IX. Symptom- und Zufallshandlungen.

§ 163

§ 164

X, Irrtümer.... XI. Kombinierte Fehlleistungen .

§ 165

§ 166

XII, Determinismus.- Zufalls- und Aberglauben. - Gesichtspunkte

§ 167

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Seite

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I.

§ 193

VERGESSEN VON EIGENNAMEN.

§ 194

lm Jahrgang 1898 der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie habe ich unter dem Titel „Zum psychischen Mechanismus der Vergeßlichkeit“ einen kleinen Aufsatz veröffentlicht, dessen Inhalt ich hier wiederholen und zum Ausgang für weitere Erörterungen nehmen werde. Ich habe dort den häufigen Fall des zeitweiligen Vergessens von Eigennamen an einem prägnanten Beispiel aus meiner Selbstbeobachtung der psychologischen Analyse unterzogen und bin zu dem Ergebnis gelangt, daß dieser gewöhnliche und praktisch nicht sehr bedeutsame Einzelvorfall von Versagen einer psychischen Funktion — des Erinnerns — eine Aufklärung zuläßt, welche weit über die gebräuchliche Verwertung des Phänomens hinausführt.

§ 195

Wenn ich nicht sehr irre, würde ein Psycholog, von dem man die Erklärung forderte, wie es zugehe, daß einem so oft ein Name nicht einfällt, den man doch zu kennen glaubt, sich begnügen zu antworten, daß Eigennamen dem Vergessen leichter unterliegen als andersartiger Gedächtnisinhalt. Er würde die plausiblen Gründe für solche Bevorzugung der Eigennamen anführen, eine anderweitige Bedingtheit des Vorgangs aber nicht vermuten.

§ 196

Für mich wurde zum Anlaß einer eingehenden Beschäftigung mit dem Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens die Beobachtung gewisser Einzelheiten, die sich zwar nicht in allen

§ 197

2 1. VEBGESSEN vo'n mamma.

§ 198

Fällen, aber in einzelnen deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird nämlich nicht nur vergessen, sondern auch falsch erinnert. Dem sich um den entfallenden Namen Be— mühenden kommen andere — Ersatznamen — zum Bewußtsein, die zwar sofort als unrichtig erkannt werden, sich aber doch mit großer Zähigkeit immer wieder aufdrängen. Der Vorgang, der zur Reproduktion des gesuchten Namens führen soll, hat sich gleichsam v er s c h e b e n und so zu einem unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, deß_diesc Verschiebung nicht psychischer Willkür überlassen ist, sondern gesetzmäßige und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, ich vermute, daß der oder die Ersatznnmen in einem nufspürbaren Zusammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es mir gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über den Hergeng des Nemenvergessens zu verbreiten.

§ 199

In dem 1898 von mir zur Analyse gewählten Beispiel war es der Name des Meisters, welcher im Dom von Orvieto dic großartigen Fresken von den „letzten Dingen“ geschaffen, den zu erinnern ich mich vergebens bemühte. Anstatt des gesuchten Namens —— Si gnorelli — drängten sich mir zwei andere Namen von Malern auf — Botticelli und Boltreffio —, die mein Urteil sofort und entschieden als unrichtig abwies. Als mir der richtige Name von fremder Seite mitgeteilt wurde, erkannte ich ihn sogleich und ohne Schwenken. Die Untersuchung, durch welche Einflüsse und auf welchen Assoziationswegen sich die Reproduktion in solcher Weise —— von Signorelli auf Batticelli und Boltraffic —— verschoben hatte, führte zu folgenden Ergebnissen:

§ 200

a} Der Grund für das Entfallen des Namens Signorelli ist weder in einer Besonderheit dieses Namens selbst noch in einem psychologischen Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in

§ 201

§ 202

I. VERGESSEN VON EIGENNAMEN. 3

§ 203

welchen demelbe eingefügt war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut wie der eine der Ersatzna.men — Botticelli — und ungleich vertrautcr als der andere der Ersatznemen —— 1301— trafin —, von dessen Träger ich kaum etwas anderes anzugeben wüßte als seine Zugehörigkeit zur mailändischen Schule. Der Zusammenhang aber, in dem sich des Namenvergessen ereignete, erscheint mir harmlos und führt zu keiner weiteren Aufklärung: Ich machte mit einem Fremden eine Wagenfahrt von Reg-usa. in Dalmatien nach einer Station der Herzegowina; wir kamen auf das Reisen in Italien zu sprechen, und ich fragte meinen Reisegefährten, ob er schon in Orvieto gewesen und dort die berühmten Fresken des *** besichtigt habe.

§ 204

b) Das Namenvergessen erklärt sich erst, wenn ich mich an das in jener Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Theme er— innere, und gibt sich als eine Störung des neu auftauchend.611 Themas durch das vorhergehende zu erkennen. Kurz ehe ich an meinen Reisegean die Frage stellte, ob er schon in Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten (ler in Bosnien und in der Herzegowina lebenden Türken unter— halten. lch hatte erzählt, was ich von einem unter diesen Leuten praktizierenden Kollegen gehört hatte, daß sie sich voll Ver» trauen in den Arzt und voll Ergebung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen ankündigen muß, daß es für den Kranken keine Hilfe gibt, so antworten sie: „Herr, was ist da. zu sagen? Ich weiß, wenn er zu retten wäre, hättest du ihn gerettet!“ — Erst in diesen Sätzen finden sich die Worte und Na— men: Bosnien, Herzegowina, Herr vor, welche sich in eine Assoziationm‘eihe zwisehen Signorelli — Bottieelli und. B o l t r a f fio einschalten lassen.

§ 205

0} Ich nehme an, daß der Gedankenmihe von den Sitten der Türken in Bosnien usw. die Fähigkeit, einen nächsten Gedanken

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1*

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4 I. VEEGESSEN VON EIGENNAMEN,

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zu stören, darum zuk.am, weil ich ihr meine Aufmerksamkeit entzogen hatte ehe ,sie noch zu Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, daß ich eine zweite Anekdote erzählen wollte, die nahe bei der ersten in meinem Gedächtnis ruhte. Diese Türken schätzen den Sexualgenuß über alles' und verfallen bei sexuellen Störungen in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre Re— signation bei Todesgefahr absticht. Einer der Patienten meines Kollegen hatte ihm einmal gesagt: „Du weißt ja, Herr, wenn das nicht mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert.“ Ich unterdrückte die Mitteilung dieses charakteristischen Zuges, weil ich das heikle Thema nicht im Gespräch mit einem Fremden bcrühren wollte. Ich tat aber noch mehr; ich lenkte meine Auf— merksamkeit auch von der Fortsetzung der Gedanken ab, die sich bei mir an das Thema „Tod und Sexualität“ hätten knüpfen können. Ich stand damals unter der Nachwirkung einer Nachricht, die ich wenige Wochen vorher während eines kurzen Anfenthaltes in Trafoi erhalten hatte. Ein Patient, mit dem ich mir viele Mühe gegeben, hatte wegen einer unheilbaren sexuellen Störung seinem Leben ein Ende gemacht. Ich weiß bestimmt, daß mir auf jener Reise in die Herzegowina dieses traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt. nicht zur bewußten Erinnerung kam. Aber die Übereinstimmung Trafoi —— Boltraf f io nötigt mich anzunehmen, daß damals diese Reminiszenz trotz der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur Wirksamkeit gebracht werden ist.

§ 210

&) Ich kann das Vergessen des Namens Signorelli nicht mehr als ein zufälliges Ereignis auffassen- Ich muß den Einfluß eines Motivs bei dimem Vorgang anerkennen- Es waren Motive, die mich veranlaßtcn, mich in der Mitteilung meiner Gedanken (über die Sitten der Türken usw.) zu unterbrechen7 und die mich ferner beeinflußtcn, die daran sich knüpfenden Gedanken, die bis zur

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I. VERGESSEN VON EIGENNAMEN. &

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Nachricht in Trafoi geführt hätten, in mir vom Bewußtwerden auszuschließen. Ich wollte also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt. Ich wollte allerdings etwas anderes vergessen als den Namen des Meisters von Orvieto; aber dieses andere brachte es zu stande, sich mit dessen Namen in essoziative‘ Verbindung zu setzen, so daß mein \Villensakt das Ziel verfehlte, und ich des eine wider Willen vergaß, während ich das andere mit Absicht vergessen wollte. Die Abneigung, zu erinnern, richtete sich gegen den einen Inhalt; die Unfähigkeit, zu erinnern, trat an einem anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer Fall, wenn Abneigung und Unfähigkeit, zu erinnern, denselben Inhalt beträfen. — Die Ersetznamen erscheinen mir auch nicht mehr so völlig unberechtigt wie vor der Aufklämng; sie mahnen mich (nach Art eines Kompromisses) ebenso sehr an das, was icli vergessen, wie an des, was ich erinnern wollte, und zeigen mit, daß meine Absicht, etwas zu vergessen, weder ganz gelungen noch ganz mißglückt ist.

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9) Sehr auffällig ist die Art der Verknüpfung, die sich -zwi' schen dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von Tod und Sexualität usw., in dem die Namen Bosnien, Herzegowina, Trafoi vorkommen) hergestth hat. Das hier eingeschal— tete, aus der Abhandlung des Jahres 1898 wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich darzustellen

§ 215

Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worden. Das eine Silhenpaar ist in einem der Emtznamen unverändert wiedergekehrt (elli), das andere hat durch die Überset— zung Signor —— Herr mehrfache und verschiedena.rtige Beziehungen zu den im verdrängton Thema enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die Reproduktion verloren gegangen. Sein Ersatz hat. so stattgefunden, als ob eine Verschie bung längs der Namemverbindung „Herzegowina und Bosnien“

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6 [. VERGESSEN VON EIGENNAM'EN.

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vorgenommen wäre, ohne Rücksicht auf den Sinn und auf die akustische Abgumzung der Silben zu nehmen. Die Namen sind also bei diesem Vorgang ähnlich behandelt werden wie die Schriftbilder einen Satzes, der in ein Bilderrätsel (Rehm) umgewandelt werden soll. Von dem ganzen Her-gang, der anstatt des Namens Signonelli auf solchen Wegen die Ersatznemen ge

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Wa @@ ®“Efio

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Hera was ist da zu sagen etc. d—. I . l—+ Tod und Sexualität \ ( Verdrängte Gedanken)

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schaffen hat, ist dem Bewußtsein keine Kunde gegeben werden. Eine Beziehung zwischen dem Thema, in dem der Name ‘Signo« relli vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden verdrängten Thema, welche über diese Wiederkehr gleicher Silben (oder vielmehr Buehstabenfolgen) hinausginge, scheint- z u n 5, c h s t nicht auffindbar zu sein.

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& ist vielleicht nicht überflüssig zu bemerken, daß die von den Psychologen angenommenen Bedingungen der Reproduktion und des Vergessene, die in gewissen Relationen und Dispositionen gesucht werden, durch die vorstehende Aufklärung einen Wider»

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' I. VERGESSEN VON EIGEN'NAMEN. _ 7

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spruch nicht erfahren. Wir haben nur für gewisse Fälle zu all den längst anerkannten Momenten, die das Vergessen eines Nemens bewirken können, noch ein M o tiv hinzugefügt und über— dies den Mechanismus des Fehlerinnerns klugelegt Jene Dis— positioncn sind auch für unseren Fall unentbehrlich, um die Möglichkeit zu schaffen, daß das verdrängte Element sich assozintiv des gesuchten Namens bemächtige und es mit sich in die Verdrängung nehme. Bei einem anderen Namen mit günstigeren Re— produktionsliedingungen wäre dies vielleicht nicht geschehen. Es ist. ja. wahrscheinlich, daß ein unterdrücktes Element allemal he« strebt ist, sich irgendwo anders zur Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur dort erreicht, wo ihm geeignete Bedingungen entgegenkornmen. Andere Male gelingt die Unterdrückung ohne Funktionsstörungy oder, wie wir mit Recht sagen können, ohne S y m p t 0 me.

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Die, Zusemmexifassung der Bedingungen für das Vergessen eines Namens mit Fehlcrinnem ergibt also: 1. eine gewisse Disposition zum Vergessen desselben, 2. einen kurz vorher abgelaufenen Unterdrückungsvorgeng, 3. die Möglichkeit,. eine äußerliche Assoziation zwischen dem betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten Element herzustellen- Letztere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr hoch veranschla,gen müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die Assoziation eine solche in den allermeisten Fällen durchzusetzen sein dürfte. Eine andere und tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche äußerliche‘Assoziation wirklich die genügende Bedingung dafür sein kann, daß. das verdrängte Element die Reproduktion des gesuchten Namens störe, ob nicht doch notwendig ein intimerer Zusammenhang der beiden Themete erforderlich wird. Bei oberflächlicher Betrachtung wurde man letztere Forderung abweisen wollen und das. zeitliche Anei.na,ndemtoßen bei völlig dispa.ratem 111119th für ge

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8 l. VERGISSEN VON EIGENNAMEN.

§ 229

nügend halten Bei eingehender Untersuchung findet man aber immer häufiger, daß die beiden durch eine äußerliclie Assozia— tion verknüpften Elemente (das verdrängte und das neue) außerdem einen inhaltlichen Zusammenhang besitzen, und auch in dem Beispiel S i gno re 1 li läßt sich ein solcher erweisen.

§ 230

Der Wert der Einsicht, die wir bei der Analyse des Beispiels Si gnorelli gewonnen haben; hängt natürlich davon ab, ob wir diesen Fall für ein typisches oder für ein vereinzeltßs Vorkommnis erklären wollen. Ich muß nun behaupten, daß das Namenvergessen mit Fehlerinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: Signorelli aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst beobachten konnte, war ich auch im stande, es mir in der vorerwä,hnten Weise als durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muß auch noch einen anderen Gesichtsth zu Gunsten der typischen Natur unserer Analyse geltend. maehen. Ich glaube, daß man nicht berechtigt ist, die Fälle von Namenvergessen mit Fehlerinnern prinzipiell von sol» chen zu trennen, in denen sich unrichtig'e Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese Ersetznnmen kommen in einer Anzahl von Fällen spontan; in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind, kann man sie durch Anstrengung der Aufmerk samkeit zum Aufteucheu zwingen, und sie zeigen dann die nämlichen Beziehungen zum verdrängten Element und zum gesuchten Namen, wie wenn sie spontan gekommen Wären. Für das Be— wußtwerdeu der Ersatznamen scheinen zwei Momente maßgebend zu sein, erstens die Bemühung der Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen Material haftet. Ich könnte letztere in der größeren oder geringeren Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte äußerliche Assoziation zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von Namenvergessen ohne Fehlerinnern schließt sich so

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I. VERGESSEN VON EIGENNAMEN.

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den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der Mecha

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nismus des Beispiels Signorelli gilt. Ich werde aber mich

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gewiß nicht der Behauptung erkühnen, daß alle Fälle von Namen

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vergessen in die nämliche Gruppe einzureihen seien. Es gibt ohne

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Zweifel Fälle von Namenvergessen, die weit einfacher zugehen.

§ 242

Wir werden den Sachverhalt wohl vorsichtig genug dargestellt

§ 243

haben, wenn wir aussprechen: Neben dem einfachen Ver

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gessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen

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vor, welches durch Verdrängung motiviert ist.

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§ 249

II.

§ 250

VERGESSEN VON FREMDSPRACHIGEN WORTEN.

§ 251

Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen Sprache scheint innerhalb der Breite normaler Funktion gegen das Vergessen geschützt. Anders steht es bekanntlich mit den Vokabeln einer fremden Sprache. Die Disposition zum Vergessen derselben ist für alle Redeteile vorhanden, und ein erster Grad von Funktionsstörung zeigt sich in der Ungleichmäßigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz, je nach unserem Allgemeinbefinden und dem Grade unserer Ermüdung. Dieses Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach demselben Mechanismus vor sich, den uns das Beispiel Signorelli enthüllt hat. Ich werde zum Beweise hiefür eine einzige, aber durch wertvolle Eigentümlichkeiten ausgezeichnete Analyse mitteilen, die den Fall des Vergessens eines nicht substantivischen Wortes aus einem lateinischen Zitat betrifft. Man gestatte mir, den kleinen Vorfall breit und anschaulich vorzutragen.

§ 252

Im letzten Sommer erneuerte ich — wiederum auf der Ferienreise — die Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer Bildung, der, wie ich bald merkte, mit einigen meiner psychologischen Publikationen vertraut war. Wir waren im Gespräch — ich weiß nicht mehr wie — auf die soziale Lage des Volksstammes gekommen, dem wir beide angehören, und er, der Ehrgeizige, erging sich in Bedauern darüber, daß seine Generation,

§ 253

wie er sich äußerte, zur Verkümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht entwickeln und ihre Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Er schloß seine leidenschaftlich bewegte Rede mit dem bekannten Vergilschen Vers, in dem die unglückliche Dido ihre Rache an Aeneas der Nachwelt überträgt: Exoriare...., vielmehr er wollte so schließen, denn er brachte das Zitat nicht zu stande und suchte eine offenkundige Lücke der Erinnerung durch Umstellung von Worten zu verdecken: Exoriar(e) ex nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte, machen Sie nicht ein so spöttisches Gesicht, als ob Sie sich an meiner Verlegenheit weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas. Wie heißt er eigentlich vollständig?“

§ 254

Gerne, erwiderte ich und zitierte, wie es richtig lautet:

§ 255

"Exoriar(e) aliquis nostris ex ossibus ultor!"

§ 256

„Zu dumm, ein solches Wort zu vergessen. Übrigens von Ihnen hört man ja, daß man nichts ohne Grund vergißt. Ich wäre doch zu neugierig, zu erfahren, wie ich zum Vergessen dieses unbestimmten Pronomen aliquis komme.“

§ 257

Ich nahm diese Herausforderung bereitwilligst an, da ich einen Beitrag zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte also: Das können wir gleich haben. Ich muß sie nur bitten, mir aufrichtig und kritiklos alles mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne bestimmte Absicht Ihre Aufmerksamkeit auf das vergessene Wort richten**.

§ 258

„Gut, da komme ich also auf den lächerlichen Einfall, mir das Wort in folgender Art zu zerteilen: a und liquis.“

§ 259

Was soll das? — „Weiß ich nicht.“ — Was fällt Ihnen weiter dazu ein? — „Das setzt sich so fort: ReliquienLiquidationFlüssigkeitFluid. Wissen Sie jetzt schon etwas?“

* Dies ist der allgemeine Weg, um Vorstellungselemente, die sich verbergen, dem Bewußtsein zuzuführen. Vgl. meine „Traumdeutung“, p. 69. (5. Aufl., p. 71.) § 260

Nein, noch lange nicht. Aber fahren Sie fort.

§ 261

„Ich denke“, fuhr er höhnisch lachend fort, „an Simon von Trient, dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in Trient gesehen habe. Ich denke an die Blutbeschuldigung, die gerade jetzt wieder gegen die Juden erhoben wird, und an die Schrift von Kleinpaul, der in all diesen angeblichen Opfern Inkarnationen, sozusagen Neuauflagen, des Heilands sieht.“

§ 262

Der Einfall ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem Thema, über das wir uns unterhielten, ehe Ihnen das lateinische Wort entfiel.

§ 263

„Richtig. Ich denke ferner an einen Zeitungsartikel in einem italienischen Journal, den ich kürzlich gelesen. Ich glaube, er war überschrieben: Was der hl. Augustinus über die Frauen sagt. Was machen Sie damit?“

§ 264

Ich warte.

§ 265

„Also jetzt kommt etwas, was ganz gewiß außer Zusammenhang mit unserem Thema steht.“

§ 266

Enthalten Sie sich gefälligst jeder Kritik und —

§ 267

„Ich weiß schon. Ich erinnere mich eines prächtigen alten Herrn, den ich vorige Woche auf der Reise getroffen. Ein wahres Original. Er sieht aus wie ein großer Raubvogel. Er heißt, wenn Sie es wissen wollen, Benedikt.“

§ 268

Doch wenigstens eine Aneinanderreihung von Heiligen und Kirchenvätern: Der heilige Simon, St. Augustinus, St. Benediktus. Ein Kirchenvater hieß, glaube ich, Origines. Drei dieser Namen sind übrigens auch Vornamen wie Paul im Namen Kleinpaul.

§ 269

„Jetzt fällt mit der heilige Januarius ein und sein Blutwunder — ich finde, das geht mechanisch so weiter.“

§ 270

Lassen Sie das; der heilige Januarius und der heilige Augustinus haben beide mit dem Kalender zu tun. Wollen Sie mich nicht an das Blutwunder erinnern?

§ 271

„Das werden Sie doch kennen! In einer Kirche zu Neapel wird in einer Phiole das Blut des heiligen Januarius aufbewahrt, welches durch ein Wunder an einem bestimmten Festtage wieder flüssig wird. Das Volk hält viel auf dieses Wunder und wird sehr aufgeregt, wenn es sich verzögert, wie es einmal zur Zeit einer französischen Okkupation geschah. Da nahm der kommandierende General — oder irre ich mich? war es Garibaldi? — den geistlichen Herrn beiseite und bedeutete ihm mit einer sehr verständlichen Gebärde auf die draußen aufgestellten Soldaten, er hoffe, das Wunder werde sich sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich wirklich. . . .“

§ 272

Nun und weiter? Warum stocken Sie?

§ 273

„Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen. . . . das ist aber zu intim für die Mitteilung. . . . Ich sehe übrigens keinen Zusammenhang und keine Nötigung, es zu erzählen.“

§ 274

Für den Zusammenhang würde ich sorgen. Ich kann Sie ja nicht zwingen zu erzählen, was Ihnen unangenehm ist; dann verlangen Sie aber auch nicht von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie jenes Wort „aliquis“ vergessen haben.

§ 275

„Wirklich? Glauben Sie? Also ich habe plötzlich an eine Dame gedacht, von der ich leicht eine Nachricht bekommen könnte, die uns beiden recht unangenehm wäre.“

§ 276

Daß ihr die Periode ausgeblieben ist?

§ 277

„Wie können Sie das erraten?“

§ 278

Das ist nicht mehr schwierig. Sie haben mich genügend darauf vorbereitet. Denken Sie an die Kalenderheiligen,an das Flüssigwerden des Blutes zu einem bestimmten Tage, den Aufruhr, wenn das Ereignis nicht eintritt, die deutliche Drohung, daß das Wunder vor sich gehen muß, sonst. . . . Sie haben ja das Wunder des heiligen Januarius zu einer prächtigen Anspielung auf die Periode der Frau verarbeitet.

§ 279

„Ohne daß ich es gewußt hätte. Und Sie meinen wirklich, wegen dieser ängstlichen Erwartung hätte ich das Wörtchen ,aliquis‘ nicht reproduzieren können?“

§ 280

Das scheint mir unzweifelhaft. Erinnern Sie sich doch an Ihre Zerlegung in a—liquis und an die Assoziationen: Reliquien, Liquidation, Flüssigkeit. Soll ich noch den als Kind hingeopferten heiligen Simon, auf den Sie von den Reliquien her kamen, in den Zusammenhang einflechten?

§ 281

„Tun Sie das lieber nicht. Ich hoffe, Sie nehmen diese Gedanken, wenn ich sie wirklich gehabt habe, nicht für Ernst. Ich will Ihnen dafür gestehen, daß die Dame Italienerin ist, in deren Gesellschaft ich auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles Zufall sein?"

§ 282

Ich muß es Ihrer eigenen Beurteilung überlassen, ob Sie sich alle diese Zusammenhänge durch die Annahme eines Zufalls aufklären können. Ich sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren wollen, wird Sie auf ebenso merkwürdige „Zufälle“ führen.

§ 283

Ich habe mehrere Gründe, diese kleine Analyse, für deren Überlassung ich meinem damaligen Reisegenossen Dank schulde, zu schätzen. Erstens, weil mir in diesem Falle gestattet war, aus einer Quelle zu schöpfen, die mir sonst versagt ist. Ich bin zumeist genötigt, die Beispiele von psychischer Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich hier zusammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das weit reichere Material, das mirmeine neurotischen Patienten liefern, suche ich zu vermeiden, weil ich den Einwand fürchten muß, die betreffenden Phänomene seien eben Erfolge und Äußerungen der Neurose. Es hat also besonderen Wert für meine Zwecke, wenn sich eine nervengesunde fremde Person zum Objekt einer solchen Untersuchung erbietet. In anderer Hinsicht wird mir diese Analyse bedeutungsvoll, indem sie einen Fall von Wortvergessen ohne Ersatzerinnern beleuchtet und meinen vorhin aufgestellten Satz bestätigt, daß das Auftauchen oder Ausbleiben von unrichtigen Ersatzerinnerungen eine wesentliche Unterscheidung nicht begründen kann**.

* Feinere Beobachtung schränkt den Gegensatz zwischen der Analyse: Signorelli und der: aliquis betreffs der Ersatzerinnerungen um einiges ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer Ersatzbildung begleitet zu sein. Als ich an meinen Partner nachträglich die Frage stellte, ob ihm bei seinen Bemühungen, das fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas zum Ersatz eingefallen sei, berichtete er, daß er zunächst die Versuchung verspürt habe, ein ab in den Vers zu bringen: nostris ab ossibus (vielleicht das unverknüpfte Stück von a-liquis) und dann, daß sich ihm das Exoriare besonders deutlich und hartnäckig aufgedrängt habe. Als Skeptiker setzte er hinzu, offenbar weil es das erste Wort des Verses war. Als ich ihn hat, doch auf die Assoziationen von Exoriare aus zu achten, gab er mir Exorzismus an. Ich kann mir also sehr wohl denken, daß die Verstärkung von Exoriare in der Reproduktion eigentlich den Wert einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe wäre über die Assoziation: Exorzismus von den Namen der Heiligen her erfolgt. Indes sind dies Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht. — Es erscheint nun aber wohl möglich, daß das Auftreten irgend einer Art von Ersatzerinnerung ein konstantes, vielleicht auch nur ein charakteristisches und verräterisches Zeichen des tendenziösen, durch Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese Ersatzbildung bestände auch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatznamen ausbleibt, in der Verstärkung eines Elementes, welches dem vergessenen benachbart ist. Im Falle: Signorelli war z. B., solange mir der Name des Malers unzugänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Zyklus von Fresken undan sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes Selbstporträt überdeutlich, jedenfalls weit intensiver, als visuelle Erinnerungsspuren sonst bei mir auftreten. In einem anderen Falle, der gleichfalls in der Abhandlung von 1898 mitgeteilt ist, hatte ich von der Adresse eines mir unbequemen Besuches in einer fremden Stadt den Straßennamen hoffnungslos vergessen, die Hausnummer aber wie zum Spott — überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von Zahlen mir die größte Schwierigkeit bereitet. § 284

Der Hauptwert des Beispiels: aliquis ist aber in einem anderen seiner Unterschiede von dem Falle: Signorelli gelegen. Im letzteren Beispiel wird die Reproduktion des Namens gestört durch die Nachwirkung eines Gedankenganges, der kurz vorher begonnen und abgebrochen wurde, dessen Inhalt aber in keinem deutlichen Zusammenhang mit dem neuen Thema stand, in dem der Name Signorelli enthalten war. Zwischen dem verdrängten und dem Thema des vergessenen Namens bestand bloß die Beziehung der zeitlichen Kontiguität; dieselbe reichte hin, damit sich die beiden durch eine äußerIiche Assoziation in Verbindung setzen konnten**. Im Beispiel: aliquis hingegen ist von einem solchen unabhängigen verdrängten Thema, welches unmittelbar vorher das bewußte Denken beschäftigt hätte und nun als Störung nachklänge, nichts zu merken. Die Störung der Reproduktion erfolgt hier aus dem Innern des angeschlagenen Themas heraus, indem sich unbewußt ein Widerspruch gegen die im Zitat dargestellte Wunschidee erhebt. Man muß sich den Hergang in folgender Art konstruieren: Der Redner hat bedauert, daß die gegenwärtige Generation seines Volkes in ihren Rechtenverkürzt wird; eine neue Generation, weissagt er wie Dido, wird die Rache an den Bedrängten übernehmen. Er hat also den Wunsch nach Nachkommenschaft ausgesprochen. In diesem Moment fährt ihm ein widersprechender Gedanke dazwischen. „Wünschest du dir Nachkommenschaft wirklich so lebhaft? Das ist nicht wahr. In welche Verlegenheit kämest du, wenn du jetzt die Nachricht erhieltest, daß du von der einen Seite, die du kennst, Nachkommen zu erwarten hast? Nein, keine Nachkommenschaft, — wiewohl wir sie für die Rache brauchen.“ Dieser Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem er genau wie im Beispiel: Signorelli eine äußerliche Assoziation zwischen einem seiner Vorstellungselemente und einem Element des beanstandeten Wunsches herstellt, und zwar diesmal auf eine höchst gewaltsame Weise durch einen gekünstelt erscheinenden Assoziationsumweg. Eine zweite wesentliche Übereinstimmung mit dem Beispiel Signorelli ergibt sich daraus, daß der Widerspruch aus verdrängten Quellen stammt und von Gedanken ausgeht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit hervorrufen würden. — Soviel über die Verschiedenheit und über die innere Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die Störung eines Gedankens durch einen aus dem Verdrängten kommenden inneren Widerspruch. Wir werden diesem Vorgang, der uns als der leichter verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch wiederholt begegnen.

* Ich möchte für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges zwischen den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht mit voller Überzeugung einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten Gedanken über das Thema von Tod und Sexualleben stößt man doch auf eine Idee, die sich mit dem Thema der Fresken von Orvieto nahe berührt. § 285

III.

§ 286

VERGESSEN VON NAMEN UND WORTFOLGEN.

§ 287

Erfahrungen, wie die eben erwähnte, über den Hergang des Vergessens eines Stückes aus einer fremdsprachigen Wortfolge können die Wißbegierde rege machen, ob denn das Vergessen von Wortfolgen in der Muttersprache eine wesentlich andere Aufklärung erfordere. Man pflegt zwar nicht verwundert zu sein, wenn man eine auswendig gelernte Formel oder ein Gedicht nach einiger Zeit nur ungetreu, mit Abänderungen und Lücken reproduzieren kann. Da aber dieses Vergessen das im Zusammenhang Erlernte nicht gleichmäßig betrifft, sondern wiederum einzelne Stücke daraus loszubröckeln scheint, könnte es sich der Mühe verlohnen, einzelne Beispiele von solcher fehlerhaft gewordenen Reproduktion analytisch zu untersuchen.

§ 288

Ein jüngerer Kollege, der im Gespräche mit mir die Vermutung äußerte, das Vergessen von Gedichten in der Muttersprache könnte wohl ähnlich motiviert sein wie das Vergessen einzelner Elemente in einer fremdsprachigen Wortfolge, erbot sich zugleich zum Untersuchungsobjekt. Ich fragte ihn, an welchem Gedichte er die Probe machen wolle, und er wählte „Die Braut von Korinth“, welches Gedicht er sehr liebe und wenigstens strophenweise auswendig zu kennen glaube. Zu Beginn der Reproduktion traf sich ihm eine eigentlich auffällige Unsicherheit. „Heißt es: ,Von Korinthus nach Athen gezogen‘,“ fragte er,„oder ,Nach Korinthus von Athen gezogen‘.“ Auch ich war einen Moment lange schwankend, bis ich lachend bemerkte, daß der Titel des Gedichtes „Die Braut von Korinth“ ja keinen Zweifel darüber lasse, welchen Weg der Jüngling ziehe. Die Reproduktion der ersten Strophe ging dann glatt oder wenigstens ohne auffällige Verfälschung vor sich. Nach der ersten Zeile der zweiten Strophe schien der Kollege eine Weile zu suchen; er setzte bald fort und rezitierte also:

§ 289

"Aber wird er auch willkommen scheinen, Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt? Denn er ist noch Heide mit den Seinen Und sie sind Christen und — getauft."

§ 290

Ich hatte schon vorher wie befremdet aufgehorcht; nach dem Schlusse der letzten Zeile waren wir beide einig, daß hier eine Entstellung stattgefunden habe. Da es uns aber nicht gelang, dieselbe zu korrigieren, eilten wir zur Bibliothek, um Goethes Gedichte zur Hand zu nehmen, und fanden zu unserer Überraschung, daß die zweite Zeile dieser Strophe einen völlig anderen Wortlaut habe, der vom Gedächtnis des Kollegen gleichsam herausgeworfen und durch etwas anscheinend fremdes ersetzt worden war. Es hieß richtig:

§ 291

"Aber wird er auch willkommen scheinen, Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft."

§ 292

Auf „erkauft“ reimte „getauft“, und es schien mir sonderbar, daß die Konstellation: Heide, Christen und getauft, ihn bei der Wiederherstellung des Textes so wenig gefördert hatte.

§ 293

Können Sie sich erklären, fragte ich den Kollegen, daß Sie in dem Ihnen angeblich so wohl vertrauten Gedichte die Zeile so vollständig gestrichen haben, und haben Sie eine Ahnung, aus welchem Zusammenhang Sie den Ersatz holen konnten?

§ 294

Er war im stande, Aufklärung zu geben, obwohl er es offenbar nicht sehr gerne tat. „Die Zeile: Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt, kommt mir bekannt vor; ich muß diese Worte vor kurzem mit Bezug auf meine Praxis gebraucht haben, mit deren Aufschwung ich, wie Sie wissen, gegenwärtig sehr zufrieden bin. Wie dieser Satz aber dahinein gehört? Ich wüßte einen Zusammenhang. Die Zeile ,wenn er teuer nicht die Gunst erkauft‘ war mir offenbar nicht angenehm. Es hängt das mit einer Bewerbung zusammen, die ein erstes Mal abgeschlagen worden ist, und die ich jetzt mit Rücksicht auf meine sehr gebesserte materielle Lege zu wiederholen gedenke. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, aber es kann mir doch gewiß nicht lieb sein, wenn ich jetzt angenommen werde, mich daran zu erinnern, daß eine Art von Berechnung damals wie nun den Ausschlag gegeben hat.“

§ 295

Das erschien mir einleuchtend, auch ohne daß ich die näheren Umstände zu wissen brauchte. Aber ich fragte weiter: Wie kommen Sie überhaupt dazu, sich und Ihre privaten Verhältnisse in den Text der „Braut von Korinth“ zu mengen? Bestehen vielleicht in Ihrem Falle solche Unterschiede des Religionsbekenntnisses, wie sie im Gedichte zur Bedeutung kommen?

§ 296

( "Keimt ein Glaube neu, wird oft Lieb’ und Treu wie ein böses Unkraut ausgerauft." )

§ 297

Ich hatte nicht richtig geraten, aber es war merkwürdig zu erfahren, wie die eine wohlgezielte Frage den Mann plötzlich hellsehend machte, so daß er mir als Antwort bringen konnte, was ihm sicherlich bis dahin selbst unbekannt geblieben war. Er sah mich mit einem gequälten und auch unwilligen Blick an, murmelte eine spätere Stelle des Gedichtes vor sich hin:

§ 298

"Sieh sie an genau" ** "!" "Morgen ist sie grau."

§ 299

und fügte kurz hinzu: Sie ist etwas älter als ich. Um ihm nicht noch mehr Pein zu bereiten, brach ich die Erkundigung ab. Die Aufklärung erschien mir zureichend. Aber es war gewiß überraschend, daß die Bemühung, eine harmlose Fehlleistung des Gedächtnisses auf ihren Grund zurückzuführen, an so ferne liegende, intime und mit peinlichem Affekt besetzte Angelegenheiten des Untersuchten rühren mußte.

§ 300

Ein anderes Beispiel vom Vergessen in der Wortfolge eines bekannten Gedichtes will ich nach C. G. Jung**** und mit den Worten des Autors anführen.

§ 301

"Ein Herr will das bekannte Gedicht rezitieren: ,Ein Fichtenbaum steht einsam usw.‘ In der Zeile: ,Ihn schläfert‘ bleibt er rettungslos stecken, er hat ,mit weißer Decke‘ total vergessen. Dieses Vergessen in einem so bekannten Vers schien mir auffallend, und ich ließ ihn nun reproduzieren, was ihm zu ,mit weißer Decke‘ einfiel. Es entstand folgende Reihe: ,Man denkt bei weißer Decke an ein Totentuch — ein Leintuch, mit dem man einen Toten zudeckt — (Pause) — jetzt fällt mir ein naher Freund ein — sein Bruder ist jüngst ganz plötzlich gestorben — er soll an einem Herzschlag gestorben sein — er war eben auch sehr korpulent — mein Freund ist auch korpulent und ich habe" "schon gedacht, es könnte ihm auch so gehen — er gibt sich wahrscheinlich zu wenig Bewegung — als ich von dem Todesfall hörte, ist mir plötzlich angst geworden, es könnte mir auch so gehen, da wir in unserer Familie sowieso Neigung zur Fettsucht haben, und auch mein Großvater an einem Herzschlag gestorben ist; ich finde mich auch zu korpulent und habe deshalb in diesen Tagen mit einer Entfettungskur begonnen.‘"

* Der Kollege hat übrigens die schöne Stelle des Gedichtes sowohl in ihrem Wortlaut wie nach ihrer Anwendung etwas abgeändert. Das gespenstische Mädchen sagt seinem Bräutigam: "Meine Kette hab’ ich dir gegeben; Deine Locke nehm’ ich mit mir fort. Sieh sie an genau! Morgen bist du grau, Und nur braun erscheinst du wieder dort." ** C. G. Jung, Über die Psychologie der Dementia praecox. 1907. Seite 64. § 302

"Der Herr hat sich also unbewußt sofort mit dem Fichtenbaum identifiziert," “ bemerkt Jung, „ "der vom weißen Leichentuch umhüllt ist."

§ 303

Das nachstehende Beispiel von Vergessen einer Wortfolge, das ich meinem Freunde S. Ferenczi in Budapest verdanke, bezieht sich, anders als die vorigen, auf eine selbstgeprägte Rede, nicht auf einen vom Dichter übernommenen Satz. Es mag uns auch den nicht ganz gewöhnlichen Fall vorführen, daß sich das Vergessen in den Dienst unserer Besonnenheit stellt, wenn ihr die Gefahr droht, einem augenblicklichen Gelüste zu erliegen. Die Fehlleistung gelangt so zu einer nützlichen Funktion. Wenn wir wieder ernüchtert sind, geben wir dann jener inneren Strömung Recht, welche sich vorhin nur durch ein Versagen — ein Vergessen, eine psychische Impotenz — äußern konnte.

§ 304

„In einer Gesellschaft fällt das Wort ,Tout comprendre c’est tout pardonner‘. Ich bemerke dazu, daß der erste Teil des Satzes genügt; das ,Pardonnieren‘ sei eine Überhebung, man überlasse das Gott und den Geistlichen. Ein Anwesender findet diese Bemerkung sehr gut; das macht mich verwegen und — wahrscheinlich um die gute Meinung des wohlwollenden Kritikers zu sichern — sage ich, daß mir unlängst etwas Besseres eingefallen sei. Wie ich es aber erzählen will — fällt es mir nicht ein. — Ich ziehe mich sofort zurück und schreibe die Deckeinfälle auf. — Zuerst kommt der Name des Freundes und der Straße in Budapest, die die Zeugen der Geburt jenes (gesuchten) Einfalles waren; dann der Name eines anderen Freundes, Max, den wir gewöhnlich Maxi nennen. Das führt mich zum Worte Maxime und zur Erinnerung, daß es sich damals (wie im eingangs erwähnten Falle) um die Abänderung einer bekannten Maxime handelte. Seltsamerweise fällt mir dazu nicht eine Maxime, sondern folgendes ein: ,Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde‘ und dessen veränderte Fassung ,der Mensch schuf Gott nach dem seinigen‘. Daraufhin taucht sofort die Erinnerung an das Gesuchte auf:

§ 305

„Mein Freund sagte damals zu mir in der Andrássystraße: ,Nichts Menschliches ist mir fremd‘, worauf ich — auf die psychoanalytischen Erfahrungen anspielend — sagte: ,Du solltest weitergehen und bekennen, daß dir nichts Tierisches fremd ist‘.“

§ 306

„Nachdem ich aber endlich die Erinnerung an das Gesuchte hatte, konnte ich es in der Gesellschaft, in der ich mich gerade befand, erst recht nicht erzählen. Die junge Gattin des Freundes, den ich an die Animalität des Unbewußten erinnert hatte, war auch unter den Anwesenden, und ich mußte wissen, daß sie zur Kenntnisnahme solcher unerfreulicher Einsichten gar nicht vorbereitet war. Durch das Vergessen ist mir eine Reihe unangenehmer Fragen ihrerseits und eine aussichtslose Diskussion erspart worden, und gerade das muß das Motiv der ,temporären Amnesie‘ gewesen sein.“

§ 307

„Es ist interessant, daß sich als Deckeinfall ein Satz einstellte, in dem die Gottheit zu einer menschlichen Erfindung degradiert wird, während im gesuchten Satze auf das Tierische im Menschen hingewiesen wurde. Also die Capitis diminutio ist das Gemeinsame. Das Ganze ist offenbar nur die Fortsetzung desdurch das Gespräch angeregten Gedankenganges über das Verstehen und Verzeihen.“

§ 308

„Daß sich in diesem Falle das Gesuchte so rasch einstellte, verdanke ich vielleicht auch dem Umstand, daß ich mich aus der Gesellschaft, in der es zensuriert war, sofort in ein menschenleeres Zimmer zurückzog.“

§ 309

Ich habe seither zahlreiche andere Analysen in Fällen von Vergessen oder fehlerhafter Reproduktion einer Wortfolge angestellt und bin durch das übereinstimmende Ergebnis dieser Untersuchungen der Annahme geneigt worden, daß der in den Beispielen „aliquis“ und „Braut von Korinth“ nachgewiesene Mechanismus des Vergessens fast allgemeine Gültigkeit hat. Es ist meist nicht sehr bequem, solche Analysen mitzuteilen, da sie wie die vorstehend erwähnten stets zu intimen und für den Analysierten peinlichen Dingen hinleiten; ich werde die Zahl solcher Beispiele darum auch nicht weiter vermehren. Gemeinsam bleibt all diesen Fällen ohne Unterschied des Materials, daß das Vergessene oder Entstellte auf irgend einem assoziativen Wege mit einem unbewußten Gedankeninhalt in Verbindung gebracht wird, von welchem die als Vergessen sichtbar gewordene Wirkung ausgeht.

§ 310

Ich wende mich nun wiederum zu dem Vergessen von Namen, wovon wir bisher weder die Kasuistik noch die Motive erschöpfend betrachtet haben. Da ich gerade diese Art von Fehlleistung bei mir zuzeiten reichlich beobachten kann, bin ich um Beispiele hiefür nicht verlegen. Die leisen Migränen, an denen ich noch immer leide, pflegen sich Stunden vorher durch Namenvergessen anzukündigen, und auf der Höhe des Zustandes, während dessen ich die Arbeit aufzugeben nicht genötigt bin, bleiben mir häufig alle Eigennamen aus. Nun könnten gerade Fälle wie der meinige zu einer prinzipiellen Einwendung gegen unsere analytischen Bemühungen Anlaß geben. Soll man aussolchen Beobachtungen nicht folgern müssen, daß die Verursachung der Vergeßlichkeit und speziell des Namenvergessens in Zirkulations- und allgemeinen Funktionsstörungen des Großhirns gelegen ist, und sich darum psychologische Erklärungsversuche für diese Phänomene ersparen? Ich meine keineswegs; das hieße den in allen Fällen gleichartigen Mechanismus eines Vorgangs mit dessen variabeln und nicht notwendig erforderlichen Begünstigungen verwechseln. An Stelle einer Auseinandersetzung will ich aber ein Gleichnis zur Erledigung des Einwandes bringen.

§ 311

Nehmen wir an, ich sei so unvorsichtig gewesen, zur Nachtzeit in einer menschenleeren Gegend der Großstadt spazieren zu gehen, werde überfallen und meiner Uhr und Börse beraubt. An der nächsten Polizeiwachstelle erstatte ich dann die Meldung mit den Worten: Ich bin in dieser und jener Straße gewesen, dort haben Einsamkeit und Dunkelheit mir Uhr und Börse weggenommen. Obwohl ich in diesen Worten nichts gesagt hätte, was nicht richtig wäre, liefe ich doch Gefahr, nach dem Wortlaut meiner Meldung für nicht ganz richtig im Kopfe gehalten zu werden. Der Sachverhalt kann in korrekter Weise nur so beschrieben werden, daß, von der Einsamkeit des Ortes begünstigt, unter dem Schutze der Dunkelheit unbekannte Täter mich meiner Kostbarkeiten beraubt haben. Nun denn, der Sachverhalt beim Namenvergessen braucht kein anderer zu sein; durch Ermüdung, Zirkulationsstörung und Intoxikation begünstigt, raubt mir eine unbekannte psychische Macht, die Verfügung über die meinem Gedächtnis zustehenden Eigennamen, dieselbe Macht, welche in anderen Fällen dasselbe Versagen des Gedächtnisses bei voller Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu stande bringen kann.

§ 312

Wenn ich die an mir selbst beobachteten Fälle von Namenvergessen analysiere, so finde ich fast regelmäßig, daß der vorenthaltene Name eine Beziehung zu einem Thema hat, welches meine Person nahe angeht, und starke, oft peinliche Affekte in mir hervorzurufen vermag. Nach der bequemen und empfehlenswerten Übung der Züricher Schule (Bleuler, Jung, Riklin) kann ich dasselbe auch in der Form ausdrücken: Der entzogene Name habe einen „persönlichen Komplex“ in mir gestreift. Die Beziehung des Namens zu meiner Person ist eine unerwartete, meist durch oberflächliche Assoziation (Wortzweideutigkeit, Gleichklang) vermittelte; sie kann allgemein als eine Seitenbeziehung gekennzeichnet werden. Einige einfache Beispiele werden die Natur derselben am besten erläutern:

§ 313

a) Ein Patient bittet mich, ihm einen Kurort an der Riviera zu empfehlen. Ich weiß einen solchen Ort ganz nahe bei Genua, erinnere auch den Namen des deutschen Kollegen, der dort praktiziert, aber den Ort selbst kann ich nicht nennen, so gut ich ihn auch zu kennen glaube. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Patienten warten zu heißen und mich rasch an die Frauen meiner Familie zu wenden. „Wie heißt doch der Ort neben Genua, wo Dr. N. seine kleine Anstalt hat, in der die und jene Frau solange in Behandlung war?“ „Natürlich, gerade du mußtest diesen Namen vergessen. Nervi heißt er.“ Mit Nerven habe ich allerdings genug zu tun.

§ 314

b) Ein anderer spricht von einer nahen Sommerfrische und behauptet, es gebe dort außer den zwei bekannten ein drittes Wirtshaus, an welches sich für ihn eine gewisse Erinnerung knüpft; den Namen werde er mir sogleich sagen. Ich bestreite die Existenz dieses dritten Wirtshauses und berufe mich darauf, daß ich sieben Sommer hindurch in jenem Orte gewohnt habe, ihn also besser kennen muß als er. Durch den Widerspruch gereizt, hat er sich aber schon des Namens bemächtigt. Das Gasthaus heißt: der Hochwartner. Da muß ich freilich nachgeben, ja ich muß bekennen, daß ich sieben Sommer lang in der nächsten Nähe dieses von mir verleugneten Wirtshauses gewohnt habe. Warum sollte ich hier Namen und Sache vergessen haben? Ich meine, weil der Name gar zu deutlich an den eines Wiener Fachkollegen anklingt, wiederum den „professionellen“ Komplex in mir anrührt.

§ 315

c) Ein andermal, im Begriffe auf dem Bahnhof von Reichenhall eine Fahrkarte zu lösen, will mir der sonst sehr vertraute Name der nächsten großen Bahnstation, die ich schon so oft passiert habe, nicht einfallen. Ich muß ihn allen Ernstes auf dem Fahrplan suchen. Er lautet: Rosenheim. Dann weiß ich aber sofort, durch welche Assoziation er mir abhanden gekommen ist. Eine Stunde vorher hatte ich meine Schwester in ihrem Wohnorte ganz nahe bei Reichenhall besucht; meine Schwester heißt Rosa, also auch ein Rosenheim. Diesen Namen hat mir der „Familienkomplex“ weggenommen.

§ 316

d) Das geradezu räuberische Wirken des „Familienkomplexes“ kann ich dann in einer ganzen Anzahl von Beispielen verfolgen.

§ 317

Eines Tages kam ein junger Mann in meine Ordination, jüngerer Bruder einer Patientin, den ich ungezählte Male gesehen hatte, und dessen Person ich mit dem Vornamen zu bezeichnen gewohnt war. Als ich dann von seinem Besuch erzählen wollte, hatte ich seinen, wie ich wußte, keineswegs ungewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Straße, um Firmenschilder zu lesen, und erkannte den Namen, sowie er mir das erstemal entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, daß ich zwischen dem Besucher und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen hatte, die in der verdrängten Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein Bruder im gleichen Falle ähnlich oder vielmehr entgegengesetztbenommen? Die äußerliche Verbindung zwischen den Gedanken über die fremde und über die eigene Familie war durch den Zufall ermöglicht worden, daß die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia tragen. Ich verstand dann auch nachträglich die Ersatznamen: Daniel und Franz, die sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind dies, wie auch Amalia, Namen aus den Räubern von Schiller, an welche sich ein Scherz des Wiener Spaziergängers Daniel Spitzer knüpft.

§ 318

e) Ein andermal kann ich den Namen eines Patienten nicht finden, der zu meinen Jugendbeziehungen gehört. Die Analyse führt über einen langen Umweg, ehe sie mir den gesuchten Namen liefert. Der Patient hatte die Angst geäußert, das Augenlicht zu verlieren; dies rief die Erinnerung an einen jungen Mann wach, der durch einen Schuß blind geworden war; daran knüpfte sich wieder das Bild eines anderen Jünglings, der sich angeschossen hatte, und dieser letztere trug denselben Namen wie der erste Patient, obwohl er nicht mit ihm verwandt war. Den Namen fand ich aber erst, nachdem mir die Übertragung einer ängstlichen Erwartung von diesen beiden juvenilen Fällen auf eine Person meiner eigenen Familie bewußt geworden war.

§ 319

Ein beständiger Strom von „Eigenbeziehung“ geht so durch mein Denken, von dem ich für gewöhnlich keine Kunde erhalte, der sich mir aber durch solches Namenvergessen verrät. Es ist, als wäre ich genötigt, alles, was ich über fremde Personen höre, mit der eigenen Person zu vergleichen, als ob meine persönlichen Komplexe bei jeder Kenntnisnahme von anderen rege würden. Dies kann unmöglich eine individuelle Eigenheit meiner Person sein; es muß vielmehr einen Hinweis auf die Art, wie wir überhaupt „Anderes“ verstehen, enthalten. Ich habe Gründe anzunehmen, daß es bei anderen Individuen ganz ähnlich zugeht wie bei mir.

§ 320

Das Schönste dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis ein Herr Lederer berichtet. Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig mit einem ihm oberflächlich bekannten Herrn zusammen, den er seiner jungen Frau vorstellen mußte. Da er aber den Namen des Fremden vergessen hatte, half er sich das erstemal mit einem unverständlichen Gemurmel. Als er dann dem Herrn, wie in Venedig unausweichlich, ein zweitesmal begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn, ihm doch aus der Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den er leider vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von überlegener Menschenkenntnis: Ich glaube es gern, daß Sie sich meinen Namen nicht gemerkt haben. Ich heiße wie Sie: Lederer! — Man kann sich einer leicht unangenehmen Empfindung nicht erwehren, wenn man seinen eigenen Namen bei einem Fremden wiederfindet. Ich verspürte sie unlängst recht deutlich, als sich mir in der ärztlichen Sprechstunde ein Herr S. Freud vorstellte. Übrigens nehme ich Notiz von der Versicherung eines meiner Kritiker, daß er sich in diesem Punkte entgegengesetzt wie ich verhalte.

§ 321

f) Die Wirksamkeit der Eigenbeziehung erkennt man auch in folgendem, von Jung** mitgeteilten Beispiel:

§ 322

"Ein Herr Y verliebte sich erfolglos in eine Dame, welche bald darauf einen Herrn X heiratete. Trotzdem nun Herr Y den Herrn X schon seit geraumer Zeit kennt und sogar in geschäftlichen Verbindungen mit ihm steht, vergißt er immer und immer wieder dessen Namen, so daß er sich mehreremal bei anderen Leuten danach erkundigen mußte, als er mit Herrn X korrespondieren wollte."

* Dementia praecox, S. 52. § 323

Indes ist die Motivierung des Vergessens in diesem Falle durchsichtiger als in den vorigen, welche unter der Konstellation der Eigenbeziehung stehen. Das Vergessen scheint hier direkte Folge der Abneigung des Herrn Y gegen seinen glücklicheren Rivalen; er will nichts von ihm wissen; „nicht gedacht soll seiner werden“.

§ 324

g) Auf etwas anderem Wege führte die Eigenbeziehung zum Vergessen eines Namens in dem folgenden von Ferenczi mitgeteilten Falle, dessen Analyse besonders durch die Aufklärung der Ersatzeinfälle (wie Botticelli — Boltraffio zu Signorelli) lehrreich wird.

§ 325

„Einer Dame, die etwas von Psychoanalyse gehört hat, will der Name des Psychiaters Jung nicht einfallen.“

§ 326

„Dafür stellen sich folgende Einfälle ein: Kl. (ein Name)WildeNietzscheHauptmann.“

§ 327

„Ich sage ihr den Namen nicht und fordere sie auf, an jeden einzelnen Einfall frei zu assoziieren.“

§ 328

„Bei Kl. denkt sie sofort an Frau Kl., und daß sie eine gezierte, affektierte Person sei, die aber für ihr Alter sehr gut aussehe. ,Sie wird nicht alt.‘ Als gemeinsamen Oberbegriff von Wilde und Nietzsche nennt sie ,Geisteskrankheit‘. Dann sagt sie spöttisch: ,Sie Freudianer werden so lange die Ursachen der Geisteskrankheiten suchen, bis sie selbst geisteskrank werden.‘ Dann: ,lch kann Wilde und Nietzsche nicht ausstehen. Ich verstehe sie nicht. Ich höre, sie waren beide homosexuell; Wilde hat sich mit jungen Leuten abgegeben.‘ (Trotzdem sie in diesem Satze den richtigen Namen — allerdings ungarisch — schon ausgesprochen hat, kann sie sich seiner immer noch nicht erinnern.)“

§ 329

„Zu Hauptmann fällt ihr Halbe, dann Jugend ein, und jetzt erst, nachdem ich ihre Aufmerksamkeit auf das WortJugend lenke, weiß sie, daß sie den Namen Jung gesucht hat.“

§ 330

„Allerdings hat diese Dame, die im Alter von 39 Jahren den Gatten verlor und keine Aussicht hat, sich wieder zu verheiraten, Grund genug, der Erinnerung an alles, was an Jugend oder Alter gemahnt, auszuweichen. Auffallend ist die rein inhaltliche Assoziierung der Deckeinfälle zu dem gesuchten Namen und das Fehlen von Klangassoziationen.“

§ 331

h) Noch anders und sehr fein motiviert ist ein Beispiel von Namenvergessen, welches sich der Betreffende selbst aufgeklärt hat:

§ 332

„Als ich Prüfung aus Philosophie als Nebengegenstand machte, wurde ich vom Examinator nach der Lehre Epikurs gefragt, und dann weiter, ob ich wisse, wer dessen Lehre in späteren Jahrhunderten wieder aufgenommen habe. Ich antwortete mit dem Namen Pierre Gassendi, den ich gerade zwei Tage vorher im Café als Schüler Epikurs hatte nennen hören. Auf die erstaunte Frege, woher ich das wisse, gab ich kühn die Antwort, daß ich mich seit langem für Gassendi interessiert habe. Daraus ergab sich ein magna cum laude fürs Zeugnis, aber leider auch für später eine hartnäckige Neigung, den Namen Gassendi zu vergessen. Ich glaube, mein schlechtes Gewissen ist schuld daran, wenn ich diesen Namen allen Bemühungen zum Trotz jetzt nicht behalten kann. Ich hätte ihn ja auch damals nicht wissen sollen.“

§ 333

Will man die Intensität der Abneigung gegen die Erinnerung an diese Prüfungsepisode bei unserem Gewährsmann richtig würdigen, so muß man erfahren haben, wie hoch er seinen Doktortitel anschlägt, und für wieviel anderes ihm dieser Ersatz bieten muß.

§ 334

i) Ich schalte hier noch ein Beispiel von Vergessen eines Städtenamens ein, welches vielleicht nicht so einfach ist wie die vorher angeführten, aber jedem mit solchen Untersuchungen Vertrauteren glaubwürdig und wertvoll erscheinen wird. Der Name einer italienischen Stadt entzieht sich der Erinnerung infolge seiner weitgehenden Klangähnlichkeit mit einem weiblichen Vornamen, an den sich vielerlei affektvolle, in der Mitteilung wohl nicht erschöpfend ausgeführte Erinnerungen knüpfen. S. Ferenczi (Budapest), der diesen Fall von Vergessen an sich selbst beobachtete, hat ihn behandelt, wie man einen Traum oder eine neurotische Idee analysiert, und dies gewiß mit Recht.

§ 335

„Diesen ,Löwen‘ sehe ich in Gestalt einer Marmorstatue wie gegenständlich vor mir stehen, merke aber sofort, daß er weniger dem Löwen auf dem Freiheitsdenkmal zu Brescia (das ich nur im Bilde gesehen habe), als jenem anderen marmornen Löwen ähnelt, den ich am Grabdenkmal der in den Tuilerien gefallenen Schweizer Garde in Luzern gesehen habe, und dessen Reproduktion en miniature auf meinem Bücherschrank steht. Endlich fällt mir der gesuchte Name doch ein: es ist Verona.‘

§ 336

„Ich weiß auch sofort, wer an dieser Amnesie schuld war. Niemand anderer als eine frühere Bedienstete der Familie, beider ich gerade zu Gaste war. Sie hieß Veronika, auf ungarisch Verona, und war mir wegen ihrer abstoßenden Physiognomie wie auch wegen ihrer heiseren, kreischenden Stimme und unleidlichen Konfidenz (wozu sie sich durch die lange Dienstzeit berechtigt glaubte) sehr antipathisch. Auch die tyrannische Art, wie sie seinerzeit die Kinder des Hauses behandelte, war mir unausstehlich. Nun wußte ich auch, was die Ersatzeinfälle bedeuteten.“

§ 337

„An Capua assoziere ich sofort caput mortuum. Ich verglich Veronikas Kopf sehr oft mit einem Totenschädel. — Das ungarische Wort kapzsi (geldgierig) gab sicher auch eine Determinierung für die Verschiebung her. Natürlich finde ich auch jene viel direkteren Assoziationswege, die Capua und Verona als geographische Begriffe und als italienische Worte mit gleichem Rhythmus miteinander verbinden.“

§ 338

„Das gleiche gilt von Brescia; aber auch hier finden sich verschlungenere Seitenwege der Ideenverknüpfung.“

§ 339

„Meine Antipathie war seinerzeit so heftig, daß ich Veronika förmlich ekelhaft fand und mehreremal mein Erstaunen darüber äußerte, daß sie doch ein Liebesleben haben und geliebt werden konnte; ,sie zu küssen‘ — sagte ich — ,muß ja einen Brechreiz hervorrufen‘. Und doch war sie sicher längst in Beziehung zu bringen zur Idee der gefallenen Schweizer Garde.“

§ 340

„Brescia wird, wenigstens hier in Ungarn, nicht mit dem Löwen, sondern einem anderen wilden Tier zusammen sehr oft genannt. Der bestgehaßte Name in diesem Lande wie auch in Oberitalien ist der des Generals Haynau, der kurzweg die Hyäne von Brescia genannt wird. Vom gehaßten Tyrannen Haynau führt also der eine Gedankenfaden über Brescia zur Stadt Verona, der andere über die Idee des Totengräbertieres mit der heiseren Stimme (der das Auftaucheneines Grabdenkmals mitbestimmt) zum Totenschädel und zum unangenehmen Organ der durch mein Unbewußtes so arg beschimpften Veronika, die seinerzeit in diesem Hause beinahe so tyrannisch gehaust hat wie der österreichische General nach den ungarischen und italienischen Freiheitskämpfen.“

§ 341

„An Luzern knüpft sich der Gedanke an den Sommer, den Veronika mit ihrer Dienstherrschaft am Vierwaldstätter See in der Nähe von Luzern verbrachte; an die „Schweizer Garde“ wiederum die Erinnerung, daß sie nicht nur die Kinder, sondern auch die erwachsenen Mitglieder der Familie zu tyrannisieren verstand und sich in der Rolle der Garde-Dame gefiel.“

§ 342

„Ich bemerke ausdrücklich, daß diese meine Antipathie gegen V. — bewußt — zu den längst überwundenen Dingen gehört. Sie hat sich inzwischen äußerlich wie in ihren Manieren sehr zu ihrem Vorteil verändert, und ich kann ihr (wozu ich allerdings selten Gelegenheit habe) mit aufrichtiger Freundlichkeit begegnen. Mein Unbewußtes hält, wie gewöhnlich, zäher an den Eindrücken fest, es ist ,nachträglich‘ und nachtragend.“

§ 343

„Die Tuilerien sind eine Anspielung auf eine zweite Persönlichkeit, eine ältere französische Dame, die die Frauen des Hauses bei vielen Anlässen tatsächlich ,gardiert‘ hat, und die von groß und klein geachtet — wohl ein wenig auch gefürchtet wird. Ich war eine Zeitlang ihr élève in französischer Konversation. Zum Worte ,élève‘ fällt mir noch ein, daß, als ich beim Schwager meines heutigen Gastgebers in Nordböhmen auf Besuch war, ich viel darüber lachen mußte, daß die dortige Landbevölkerung die Eleven der dortigen Forstakademie konsequent ,wen‘ nannte. Auch diese lustige Erinnerung mag an der Verschiebung von der Hyäne zum Löwen beteiligt gewesen sein.“

§ 344

j) Auch das nachstehende Beispiel** kann zeigen, wie ein zurzeit die Person beherrschender Eigenkomplex ein Namenvergessen an weit abliegender Stelle hervorruft:

§ 345

„Zwei Männer, ein älterer und ein jüngerer, die vor sechs Monaten gemeinsam in Sizilien gereist sind, tauschen Erinnerungen an jene schönen und inhaltreichen Tage aus. ,Wie hat nur der Ort geheißen,‘ fragt der Jüngere, ,an dem wir übernachtet haben, um die Partie nach Selinunt zu machen? Calatafimi, nicht wahr?“ — Der Ältere weist dies zurück: ,Gewiß nicht, aber ich habe den Namen ebenfalls vergessen, obwohl ich mich an alle Einzelheiten des Aufenthaltes dort sehr gut erinnere. Es reicht bei mir hin, daß ich merke, ein anderer habe einen Namen vergessen; sogleich wird auch bei mir das Vergessen induziert. Wollen wir den Namen nicht suchen? Mir fällt aber kein anderer ein als Caltanisetta, der doch gewiß nicht der richtige ist.‘ — ,Nein,‘ sagt der Jüngere, ,der Name fängt mit w an oder es kommt ein w darin vor.‘ — ,Ein w gibt es doch im Italienischen nicht,‘ mahnt der Ältere. — ,Ich meinte ja auch nur ein v und habe nur w gesagt, weil ich’s von meiner Muttersprache her so gewohnt bin.‘ — Der Ältere sträubt sich gegen das v. Er meint: ,Ich glaube, ich habe überhaupt schon viele sizilianische Namen vergessen; es wäre an der Zeit, Versuche zu machen. Wie heißt z. B. der hochgelegene Ort, der im Altertum Enna geheißen hat? — Ah, ich weiß schon: Castrogiovanni.‘ — Im nächsten Moment hat der Jüngere auch den verlorenen Namen wieder gefunden. Er ruft: Castelvetrano und freut sich, das behauptete v nachweisen zu können. Der Ältere vermißt noch eine Weile das Bekanntheitsgefühl; nachdem er aber den Namen akzeptiert hat, soll er Auskunft darüber geben, weshalb er ihm entfallen war. Er meint: ,Offenbar weil die zweite Hälfte vetrano an — Veteran — anklingt. Ich weiß schon, daß ich nicht gern ans Altern denke und in sonderbarer Weise reagiere, wenn ich daran gemahnt werde. So z. B. habe ich unlängst einem hochgeschätzten Freund in der merkwürdigsten Einkleidung vorgehalten, daß er ,längst über die Jahre der Jugend hinaus sei‘, weil dieser früher einmal mitten unter den schmeichelhaftesten Äußerungen über mich auch behauptete: ,Ich sei kein junger Mann mehr.‘ Daß sich der Widerstand bei mir gegen die zweite Hälfte des Namens Castelvetrano gerichtet hat, geht ja auch daraus hervor, daß der Anlaut desselben in dem Ersatznamen Caltanisetta wiedergekehrt war.‘ — ,Und der Name Caltanisetta selbst?‘ fragt der Jüngere. — ,Der ist mir immer wie ein Kosenamen für ein junges Weib erschienen,‘ gesteht der Ältere ein.“

* Zentralblatt für Psychoanalyse l, 9, 1911. § 346

„Einige Zeit später setzt er hinzu: ,Der Name für Enna war ja auch ein Ersatzname. Und nun fällt mir auf, daß dieser mit Hilfe einer Rationalisierung vordringende Namen Castrogiovanni genau so an giovane — jung anklingt, wie der verlorene Name Castelvetrano an Veteran — alt‘.“

§ 347

„Der Ältere glaubt so für sein Namenvergessen Rechenschaft gegeben zu haben. Aus welchem Motiv der Jüngere zum gleichen Ausfallsphänomen gekommen war, wurde nicht untersucht.“

§ 348

Neben den Motiven des Namenvergessens verdient auch der Mechanismus desselben unser Interesse. In einer großen Reihe von Fällen wird ein Name vergessen, nicht weil er selbst solche Motive wachruft, sondern weil er durch Gleichklang und Lautähnlichkeit an einen anderen streift, gegen den sich diese Motive richten. Man versteht, daß durch solche Lockerung der Bedingungen eine außerordentliche Erleichterung für das Zustandekommen des Phänomens geschaffen wird. So in den folgenden Beispielen:

§ 349

k) Ed. Hitschmann (Zwei Fälle von Namenvergessen. Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913).

§ 350

"II. „Herr N. will die Buchhandlungsfirma ,Gilhofer und Ranschburg‘ jemandem angeben. Es fällt ihm aber trotz allen Nachdenkens nur der Name Ranschburg ein, trotzdem ihm die Firma sonst sehr geläufig ist. Mit einer leichten Unbefriedigung darüber nach Hause kommend, ist ihm die Sache wichtig genug, um den anscheinend bereits schlafenden Bruder nach der ersten Hälfte des Firmanamens zu fragen. Derselbe nennt ihn anstandslos. Darauf fällt Herrn N. sofort zu ,Gilhofer‘ das Wort ,Gallhof‘ ein. Zum ,Gallhof‘ hatte er einige Monate vorher in Gesellschaft eines anziehenden Mädchens einen erinnerungsreichen Spaziergang gemacht. Das Mädchen hatte ihm als Andenken einen Gegenstand geschenkt, auf dem geschrieben steht: ,Zur Erinnerung an die schönen Gallhofer Stunden.‘ In den letzten Tagen vor dem Namenvergessen wurde dieser Gegenstand, scheinbar zufällig, beim raschen Zuschieben der Lade durch N. stark beschädigt, was er — mit dem Sinne von Symptomhandlungen vertraut — nicht ohne Schuldgefühl konstatierte. Er war in diesen Tagen in etwas ambivalenter Stimmung zu der Dame, die er zwar liebte, deren Ehewunsch er aber zaudernd gegenüberstand."

§ 351

l) Dr. Hanns Sachs:

§ 352

„In einem Gespräche über Genua und seine nächste Umgebung will ein junger Mann auch den Ort Pegli nennen, kann den Namen aber erst mit Mühe, durch angestrengtes Nachdenken, erinnern. Im Nachhausegehen denkt er an das peinliche Entgleiten dieses ihm sonst vertrauten Namens und wird dabei auf das ganz ähnlich klingende Wort Peli geführt. Er weiß, daß eine Südsee-Insel so heißt, deren Bewohner ein paar merkwürdige Gebräuche bewahrt haben. Er hat darüber vor kurzem in einemethnologischen Werke gelesen und sich damals vorgenommen, diese Mitteilungen für eine eigene Hypothese zu verwerten. Dann fällt ihm ein, daß Peli auch der Schauplatz eines Romans ist, den er mit Interesse und Vergnügen gelesen hat, nämlich von ,Van Zantens glücklichste Zeit‘ von Laurids Bruun. — Die Gedanken, die ihn an diesem Tage fast unaufhörlich beschäftigt hatten, knüpften sich an einen Brief, den er am selben Morgen von einer ihm sehr teuren Dame erhalten hatte; dieser Brief läßt ihn befürchten, daß er auf ein verabredetes Zusammentreffen werde verzichten müssen. Nachdem er den ganzen Tag in übelster Laune zugebracht hatte, war er am Abend mit dem Vorsatz ausgegangen, sich nicht länger mit dem ärgerlichen Gedanken abzuplagen, sondern die ihm in Aussicht stehende und von ihm äußerst hoch geschätzte Geselligkeit möglichst ungetrübt zu genießen. Es ist klar, daß durch das Wort Pegli sein Vorsatz arg gefährdet werden konnte, da dieses mit Peli lautlich so eng zusammenhängt; Peli aber, da es durch das ethnologische Interesse die Ich-Beziehung gewonnen hatte, verkörpert nicht nur Van Zantens, sondern auch seine eigene ,glücklichste Zeit‘ und deshalb auch die Befürchtungen und Sorgen, die er tagsüber genährt hatte. Es ist charakteristisch, daß diese einfache Deutung erst gelang, nachdem ein zweiter Brief die Zweifel in eine fröhliche Gewißheit baldigen Wiedersehens umgewandelt hatte.“

§ 353

Erinnert man sich bei diesem Beispiel an das ihm sozusagen benachbarte, in welchem der Ort Nervi nicht erinnert werden kann (S. 26), so sieht man, wie sich der Doppelsinn eines Wortes durch die Klangähnlichkeit zweier Worte ersetzen läßt.

§ 354

m) Als 1915 der Krieg mit Italien ausbrach, konnte ich an mir die Beobachtung machen, daß meinem Gedächtnis plötzlich eine ganze Anzahl von Namen italienischer Örtlichkeiten entzogen war, über die ich sonst leicht verfügt hatte. Wie soviele andere Deutsche hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, einen Teil der Ferien auf italienischem Boden zuzubringen, und konnte nicht daran zweifeln, daß dies massenhafte Namenvergessen der Ausdruck der begreiflichen Verfeindung mit Italien war, die nun an die Stelle der früheren Vorliebe trat. Neben diesem direkt motivierten Namenvergessen machte sich aber auch ein indirektes bemerkbar, welches auf denselben Einfluß zurückzuführen war. Ich neigte auch dazu, nicht italienische Ortsnamen zu vergessen, und fand bei der Untersuchung dieser Vorfälle, daß diese Namen irgendwie durch entfernten Anklang mit den verpönten feindlichen zusammenhingen. So quälte ich mich eines Tages mit dem Erinnern des mährischen Städtenamens Bisenz. Als er mir endlich einfiel, wußte ich sofort, daß dieses Vergessen auf Rechnung des Palazzo Bisenzi in Orvieto zu setzen sei. In diesem Palazzo befindet sich das Hotel Belle Arti, wo ich bei jedem meiner Aufenthalte in Orvieto gewohnt hatte. Die liebsten Erinnerungen waren natürlich durch die veränderte Gefühlseinstellung am stärksten geschädigt worden.

§ 355

Es ist auch zweckmäßig, daß wir uns durch einige Beispiele daran mahnen lassen, in den Dienst wie verschiedener Absichten sich die Fehlleistung des Namenvergessens stellen kann.

§ 356

n) A. J. Storfer (Zur Psychopathologie des Alltags. Internat. Zeitschrift f. ärztl. Psychoanalyse, II, 1914).

§ 357

"1. Namenvergessen zur Sicherung eines Vorsatzvergessens."

§ 358

"„Eine Basler Dame wird eines Morgens verständigt, daß ihre Jugendfreundin Selma X aus Berlin, die eben auf ihrer Hochzeitsreise begriffen ist, auf der Durchreise in Basel angekommen ist; die Berliner Freundin soll nur einen Tag in Basel" "bleiben, und die Baslerin eilt daher sofort ins Hotel. Als die Freundinnen auseinandergehen, verabreden sie, nachmittags wieder zusammenzukommen und bis zur Abreise der Berlinerin beisammen zu bleiben."

§ 359

"Nachmittags vergißt die Baslerin das Rendezvous. Die Determination dieses Vergessens ist mir nicht bekannt, doch sind ja gerade in dieser Situation (Zusammentreffen mit einer eben verheirateten Jugendfreundin) mehrerlei typische Konstellationen möglich, die eine Hemmung gegen die Wiederholung der Zusammenkunft bedingen können. Das Interessante an diesem Falle ist eine fernere Fehlleistung, die eine unbewußte Sicherung der ersten darstellt. Zur Zeit, da sie wieder mit der Freundin aus Berlin zusammenkommen sollte, befand sich die Baslerin an einem anderen Orte in Gesellschaft. Es kam auf die vor kurzem erfolgte Heirat der Wiener Opernsängerin Kurz die Rede. Die Basler Dame äußerte sich in kritischer Weise (!) über diese Ehe, als sie aber den Namen der Sängerin aussprechen wollte, fiel ihr zu ihrer größten Verlegenheit der Vorname nicht ein. (Bekanntlich neigt man gerade bei einsilbigen Familiennamen besonders dazu, den Vornamen mitzunennen.) Die Basler Dame ärgerte sich um so mehr über die Gedächtnisschwäche, als sie die Sängerin Kurz oft singen gehört hatte und der (ganze) Name ihr sonst geläufig war. Ohne daß vorher jemand anderer den entfallenen Vornamen genannt hätte, nahm das Gespräch eine andere Wendung."

§ 360

"Am Abend desselben Tages befindet sich unsere Basler Dame in einer mit der nachmittägigen zum Teil identischen Gesellschaft. Es kommt zufällig wieder auf die Ehe der Wiener Sängerin die Rede und die Dame nennt ohne jede Schwierigkeit den Namen ,Selma Kurz‘. Dem folgt auch gleich ihr Ausruf : ,Ach, jetzt fällt mir ein: ich habe ganz vergessen, daß ich heute nach-" "mittag eine Verabredung mit meiner Freundin Selma hatte.‘ Ein Blick auf die Uhr zeigte, daß die Freundin schon abgereist sein mußte."

§ 361

Wir sind vielleicht noch nicht vorbereitet, dieses schöne Beispiel nach all seinen Beziehungen zu würdigen. Einfacher ist das nachfolgende, in dem zwar nicht ein Name, aber ein fremdsprachliches Wort aus einem in der Situation liegenden Motiv vergessen wird. Wir bemerken schon, daß wir dieselben Vorgänge behandeln, ob sie sich nun auf Eigennamen, Vornamen, fremdsprachliche Worte oder Wortfolgen beziehen.

§ 362

Hier vergißt ein junger Mann das englische Wort für Gold, das mit dem deutschen identisch ist, um Anlaß zu einer ihm erwünschten Handlung zu finden.

§ 363

o) Hanns Sachs:

§ 364

„Ein junger Mann lernt in der gemeinsamen Pension eine Engländerin kennen, die ihm gefällt. Als er sich am ersten Abend ihrer Bekanntschaft in ihrer Muttersprache, die er so ziemlich beherrscht, mit ihr unterhält und dabei das englische Wort für ,Gold‘ verwenden will, fällt ihm trotz angestrengten Suchens das Vokabel nicht ein. Dagegen drängen sich ihm als Ersatzworte das französische ,or‘, das lateinische ,aurum‘ und das griechische ,chrysos‘ hartnäckig auf, so daß er nur mit Mühe im stande ist sie abzuweisen, obgleich er bestimmt weiß, daß sie mit dem gesuchten Worte keine Verwandtschaft haben. Er findet schließlich keinen anderen Weg, sich verständlich zu machen, als den, einen goldenen Ring, den die Dame an der Hand trägt, zu berühren; sehr beschämt erfährt er nun von ihr, daß das langgesuchte Wort für Gold genau so laute wie das deutsche, nämlich gold. Der hohe Wert einer solchen, durch das Vergessen herbeigeführten Berührung liegt nicht bloß in der unanstößigen Befriedigung des Ergreifungs- oder Berührungstriebes, die ja auch bei anderen,von Verliebten eifrig ausgenutzten Anlässen möglich ist, sondern noch viel mehr darin, daß sie eine Aufklärung über die Aussichten der Bewerbung ermöglicht. Das Unbewußte der Dame wird, besonders wenn es dem Gesprächspartner gegenüber sympathisch eingestellt ist, den hinter der harmlosen Maske verborgenen erotischen Zweck des Vergessens erraten; die Art und Weise, wie sie die Berührung aufnimmt und die Motivierung gelten läßt, kann so ein beiden Teilen unbewußtes, aber sehr bedeutungsvolles Mittel der Verständigung über die Chancen des eben begonnenen Flirts werden.“

§ 365

p) Ich teile noch nach J. Stärcke eine interessante Beobachtung von Vergessen und Wiederauffinden eines Eigennamens mit, die sich dadurch auszeichnet, daß mit dem Namenvergessen die Fälschung der Wortfolge eines Gedichtes wie im Beispiel der „Braut von Korinth“ verbunden ist. (Aus der holländischen Ausgabe dieses Buches unter dem Titel: De invloed van ons onbewuste in ons dagelijksche leven, Amsterdam 1916, deutsch abgedruckt in Intern. Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, IV, 1916.)

§ 366

"4. Ein Fall von Namenvergessen und falsch"

§ 367

"Erinnern."

§ 368

"„Ein alter Jurist und Sprachgelehrter, Z., erzählt in Gesellschaft, daß er in seiner Studentenzeit in Deutschland einen Studenten gekannt hat, der außerordentlich dumm war, und über dessen Dummheit er manche Anekdote zu erzählen weiß. Er kann sich aber an den Namen dieses Studenten nicht erinnern, glaubt, daß dieser Name mit W anfängt, nimmt dies aber später wieder zurück. Er erinnert sich, daß dieser dumme Student später Weinhändler geworden ist. Dann erzählt er wieder" "eine Anekdote von der Dummheit desselben Studenten, verwundert sich noch einmal darüber, daß sein Name ihm nicht einfällt, und sagt dann: ,Er war ein solcher Esel, daß ich noch nicht begreife, daß ich ihm mit Wiederholen Lateinisch habe eintrichtern können.‘ Einen Augenblick später erinnert er sich, daß der gesuchte Name ausgeht auf ...man. Jetzt fragen wir ihn, ob ihm ein anderer Name, der auf man ausgeht, einfällt, und er sagt: ,Erdmann‘. — ,Wer ist denn das?‘ — ,Das war auch ein Student aus dieser Zeit.‘ — Seine Tochter bemerkt aber, daß es auch einen Professor Erdmann gibt. Bei genauerer Erörterung zeigt sich, daß dieser Professor Erdmann vor kurzem eine von Z. eingesandte Arbeit nur in verkürzter Form in eine von ihm redigierte Zeitschrift hat aufnehmen lassen und zum Teil damit nicht einverstanden war, usw., und daß Z. das als ziemlich unangenehm empfunden hat. (Überdies vernahm ich später, daß Z. in früheren Jahren wohl einmal die Aussicht gehabt hat, Professor in demselben Fache zu werden, worin jetzt Professor E. doziert, und daß dieser Name also auch in dieser Hinsicht vielleicht eine empfindliche Seite berührt.)"

§ 369

"Jetzt fällt ihm plötzlich der Name des dummen Studenten ein: ,Lindeman!‘ Weil er sich schon früher erinnert hatte, daß der Name auf ...man ausgeht, war also ,Linde‘ noch länger verdrängt geblieben. Auf die Frage, was ihm bei ,Linde einfällt, sagt er zuerst: ,Dabei fällt mir gar nichts ein.‘ Auf mein Drängen, daß ihm bei diesem Worte doch wohl etwas einfallen wird, sagt er, indem er aufwärts blickt und mit der Hand eine Gebärde in der Luft macht: ,Nun ja, eine Linde, das ist ein schöner Baum.‘ Weiter will ihm dabei nichts einfallen. Alle schweigen und jedermann verfolgt seine Lektüre und andere Beschäftigung, bis Z. einige Augenblicke später in träumerischem Tone folgendes zitiert:"

§ 370

",Steht er mit festen Gefügigen Knochen Auf der Erde, So reicht er nicht auf, Nur mit der Linde Oder der Rebe Sich zu vergleichen.‘"

§ 371

"Ich stieß einen Triumphschrei aus: ,Da haben wir den Erdmann,‘ sagte ich. ,Jener Mann, der ,auf der Erde steht‘, das ist also der Erde-Mann oder Erdmann, kann nicht aufreichen, sich mit der Linde (Lindeman) oder der Rebe (Weinhändler) zu vergleichen. Mit anderen Worten: jener Lindeman, der dumme Student, der später Weinhändler geworden ist, war schon ein Esel, aber der Erdmann ist ein noch viel größerer Esel, kann sich mit diesem Lindeman noch nicht vergleichen.‘ — Eine solche im Unbewußten gehaltene Hohn- oder Schmährede ist etwas sehr Gewöhnliches, darum kam es mir vor, daß die Hauptursache des Namenvergessens jetzt wohl gefunden war."

§ 372

"Ich fragte jetzt, aus welchem Gedichte die zitierten Zeilen stammten. Z. sagte, daß es ein Gedicht von Goethe sei, er glaubte, daß es anfängt:"

§ 373

"Edel sei der Mensch Hilfreich und gut!"

§ 374

"und daß weiter auch darin vorkommt:"

§ 375

"Und hebt er sich aufwärts, So spielen mit ihm die Winde."

§ 376

"Am nächsten Tage suchte ich dieses Gedicht von Goethe auf, und es zeigte sich, daß der Fall noch hübscher (aber auch komplizierter) war, als er erst zu sein schien."

§ 377

"a) Die ersten zitierten Zeilen lauten (vgl. oben):"

§ 378

"Steht er mit festen Markigen Knochen"

§ 379

"Gefügige Knochen wäre eine ziemlich fremdartige Kombination. Darauf will ich aber nicht näher eingehen."

§ 380

"b) Die folgenden Zeilen dieser Strophe lauten (vgl. oben):"

§ 381

"Auf der wohlbegründeten Dauernden Erde, Reicht er nicht auf, Nur mit der Eiche Oder der Rebe Sich zu vergleichen."

§ 382

"Es kommt also im ganzen Gedicht keine Linde vor! Der Wechsel von Linde statt Eiche hat (in seinem Unbewußten) nur stattgefunden, um das Wortspiel ,Erde—Linde—Rebe‘ zu ermöglichen."

§ 383

"c) Dieses Gedicht heißt: ,Grenzen der Menschheit‘ und enthält eine Vergleichung zwischen der Allmacht der Götter und der geringen Macht des Menschen. Das Gedicht, dessen Anfang lautet:"

§ 384

"Edel sei der Mensch, Hilfreich und gut!"

§ 385

"ist aber ein anderes Gedicht, das einige Seiten weiter steht. Es heißt: ,Das Göttliche‘, und enthält ebenso Gedanken über Götter und Menschen. Weil hierauf nicht näher eingegangen worden ist, kann ich höchstens vermuten, daß auch Gedanken über Leben und Tod, über das Zeitliche und das Ewige und über das eigene schwache Leben und den künftigen Tod beim Entstehen dieses Falles eine Rolle gespielt haben."

§ 386

In manchen dieser Beispiele werden alle Feinheiten der psychoanalytischen Technik in Anspruch genommen, um ein Namenvergessen aufzuklären. Wer mehr von solcher Arbeit kennen lernen will, den verweise ich auf eine Mitteilung von E. Jones (London), die aus dem Englischen übersetzt ist**.

§ 387

Ich könnte die Beispiele von Namenvergessen vermehren und die Diskussion derselben sehr viel weiter führen, wenn ich nicht vermeiden wollte, fast alle Gesichtspunkte, die für spätere Themata in Betracht kommen, schon hier beim ersten zu erörtern. Doch darf ich mir gestatten, die Ergebnisse der hier mitgeteilten Analysen in einigen Sätzen zusammenzufassen:

§ 388

Der Mechanismus des Namenvergessens (richtiger: des Entfallens, zeitweiligen Vergessens) besteht in der Störung der intendierten Reproduktion des Namens durch eine fremde und derzeit nicht bewußte Gedankenfolge. Zwischen dem gestörten Namen und dem störenden Komplex besteht entweder ein Zusammenhang von vornherein, oder ein solcher hat sich, oft auf gekünstelt erscheinenden Wegen, durch oberflächliche (äußerliche) Assoziationen hergestellt.

§ 389

Unter den störenden Komplexen erweisen sich die der Eigenbeziehung (die persönlichen, familiären, beruflichen) als die wirksamsten.

§ 390

Ein Name, der infolge von Mehrdeutigkeit mehreren Gedankenkreisen (Komplexen) angehört, wird häufig im Zusammenhange der einen Gedankenfolge durch seine Zugehörigkeit zum anderen, stärkeren Komplex gestört.

§ 391

Unter den Motiven dieser Störungen leuchtet die Absicht hervor, die Erweckung von Unlust durch Erinnern zu vermeiden.

* Analyse eines Falles von Namenvergessen. Zentralblatt für Psychoanalyse, Jahrg. II, Heft 2, 1911. § 392

Man kann im allgemeinen zwei Hauptfälle des Namenvergessens unterscheiden, wenn der Name selbst an Unangenehmes rührt, oder wenn er mit anderem in Verbindung gebracht ist, dem solche Wirkung zukäme, so daß Namen um ihrer selbst willen oder wegen ihrer näheren oder entfernteren Assoziationsbeziehungen in der Reproduktion gestört werden können.

§ 393

Ein Überblick dieser allgemeinen Sätze läßt uns verstehen, daß das zeitweilige Namenvergessen als die häufigste unserer Fehlleistungen zur Beobachtung kommt.

§ 394

Wir sind indes weit davon entfernt, alle Eigentümlichkeiten dieses Phänomens verzeichnet zu haben. Ich will noch darauf hinweisen, daß das Namenvergessen in hohem Grade ansteckend ist. In einem Gespräche zweier Personen reicht es oft hin, daß die eine äußere, sie habe diesen oder jenen Namen vergessen, um ihn auch bei der zweiten Person entfallen zu lassen. Doch stellt sich dort, wo das Vergessen induziert ist, der vergessene Name leichter wieder ein.

§ 395

Es kommt auch ein fortgesetztes Namenvergessen vor, bei dem ganze Ketten von Namen dem Gedächtnis entzogen werden. Hascht man, um einen entfallenen Namen wiederzufinden, nach anderen, mit denen jener in fester Verbindung steht, so entfliehen nicht selten auch diese neuen als Anhalt aufgesuchten Namen. Das Vergessen springt so von einem Namen zum anderen über, wie um die Existenz eines nicht leicht zu beseitigenden Hindernisses zu beweisen.

§ 396

IV. ÜBER KINDH'EITS- UND DECKERINNERUNGEN.

§ 397

In einer zweiten Abhandlung (1899 in der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie veröffentlicht) habe ich die tenden— ziöse Natur unseres Erinnerns an unvermute‘oer Stelle nachweisen können. Ich bin von der auffälligen Tatsache ausgegangen, daß die frühesten Kindheitserinnerungen einer Person häufig bewahrt zu haben scheinen, was gleichgültig und nebensächlich ist, Während von wichtigen. eindrucksvollen und affektreiclien Eindrücken dieser Zeit (häufig-, gewiß nicht allgemein!) sich im Gedächtnis der Erwachsenen keine Spur vorfindet. Da es bekannt ist, daß das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, daß diese Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Prinzipien vor sich geht als zur Zeit der intellektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, daß— diese Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kindheitserinnerungen verdanken ihre Existenz einem Verschiebungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Re— produktion für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch psychische Analyse aus ihnen entwickeln läßt, deren direkte Reproduktion aber durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen Inhalt, sondern einer a,sziativen Beziehung ihres Inhalts zu einem anderen, verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen

§ 398

§ 399

} IV. ÜBER KINDHEITS- UND DECKERINNERUNGEN. 49

§ 400

„Deckerinnerungen“, mit welchem ich sie ausgezeichnet habe, begründeten Anspruch.

§ 401

Die Mannigfeltigkeiten in den Beziehungen und Bedeutungen der Deekerinnerungen habe ich in dem erwähnten Aufsatz nur g%treift, keineswegs erschöpft. An dem dort ausführlich analysierten Beispiel habe ich eine Besonderheit der zeitlichen Relation zwischen der Deckerinnerung und dem. durch sie gedeckten Inhalt besonders hervorgehoben. Der Inhalt der Deckeri.nnerung gehörte dert nämlich einem der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewußt geblieben waren, in späte Jahre ‘des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der Verschiebung eine rückgreifende oder rückläufige- Vielleicht noch häufiger begegnet man dem entgegengesetzten Verhältnis, daß ein indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im Gedächtnis festsetzt, der diese Auszeichnung nur der Ver— knüpfung mit einem früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen direkte Reproduktion sich Widerstände erheben. Dies wären v,prgreifende oder vorgesehobene Deck‘erinnerungen. Das \Vesefitliche, Was das Gedächtnis bekümmert, liegt hier der Zeit nach hinter der Deckerinnerung. Endlich wird der dritte noch mögliche Fall nicht vermißt, daß die Deckerinnerumg nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch Kontinguität in der Zeit mit dem von ihr gedeckten Eindruck verknüpft ist, also die gleichzeitige oder anstoßende Deckerinnerung.

§ 402

Ein wie großer Teil unseres Gedäehtnisschatzes in die Kategorie der Deckerinnerungen gehört, und welche Rolle bei verschiedenen neumtischen Denkvorgängen diesen zufällt, des sind Probleme, in deren Würdigung ich weder dort eingegangen bin, noch hier eintreten werde. Es kommt mir nur darauf en, die Gleicliartiglieit zwischen dem Vergessen von Eigennamen mit

§ 403

Freud. Psychopnklmioqie du Alllngllebnnl vr. Aufl. 4

§ 404

§ 405

50 IV, ÜBER KINDHEI’I‘S- UND DECKERINNERU'NGEN.

§ 406

Fehlerinnern und der Bildung der Deckérinnerungen hervorzuhaben. Auf den ersten Anblick sind die Verschiedenheiten der beiden Phänomene weit auffälliger als ihre etwaigen Analogien. Dort handelt % sich um Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder in der Realität oder in Gedanken Erleb_tes; dort um ein manifestes Versagen der Erinnerungsfunktion, hier um eine Erinnerungeleistung, die uns]befremdend erscheint; dort um eine momentane Störung — denn der eben vergessene Name kann vorher hundert-mal richtig reproduziert werden sein und es von morgen an Wieder werden —, hier um dauernden Besitz ohne Ausfall, denn die. indifferen‘ren Kindheit-serinnerungen scheinen uns durch ein langes Stück unseres Lebens begleiten zu können. Das. Rätsel scheint in diesen beiden Fällen ganz anders orientiert zu sein. Dort ist es das Vergessen, hier das Erhaltensein, was unsere wissenschaftliche Neugierde rege macht. Nach einiger Vertiefung merkt man, daß trotz der Verschiedenheit im psychischen Material und in der Zeitdauer der beiden Phänomene die _Übeminstimmungen weit überwiegen. Es handelt sich hier wie dort um das Fehlgelien des Erinnerne; es wird nicht das vom Gedächtnis reproduziert, was korrekterweise reproduziert werden sollte, sondern etwas anderes zum Ersatz. Dein Falle des Namenvergeseens fehlt nicht die Gedächtnisleishmg‘ in der Form der Ersatznamen. Der Fall der Deckerinnerungsbildung beruht auf dem Vergessen von anderen, wiehtigeren EindrückenIn beiden Fällen gibt uns eine intellektuelle Empfindung Kunde von der Einmengung einer Störung, nur jedesmal in anderer Form— Beim Namenvergessen wissen wir, daß die Ersatznamen falsch sind; bei den Deckorinnerungen verwundern wir uns, daß wir sie überhaupt besitzen. Wenn dann die :Psychologische Analyse nachweist. daß die Ersatzbildung in beiden

§ 407

§ 408

IV. ÜBER KINDHEITS- UND DECKEBXNNEBUNGEN. 51

§ 409

Fällen auf die nämliche Weise durch Verschiebung länge einer oberflächlichen Assoziation zu stande gekommen ist, so tragen gerade die Versclüedenheiten im Material, in der Zeitdauer und in der Zentrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern, daß wir etwas Wichtiges und Allgemeingültiges aufgefunden haben Dieses Allgemeine würde lauten, daß das Versagen und Irregehen der reproduzierenden Funktion weit häufiger, als wir vermuten, auf“ die Einmengung eines parteiischen Faktors, einer Tendenz hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer anderen entgegenzuarbeiten bemüht ist. _

§ 410

Das Thema. der Kindheitserinnerungen erscheint mir so be» rlcutsem und interessant, daß ich ihm noch“ einige Bemerkungen widmen möchte, die über die bisherigen Gesichtspunkte hinausgehen.

§ 411

Wie weit zurück im die Kindheit reichen die Erinnerungen? Es sind mir einige Untersuchungen über diese Frage bekannt, so von V.- et 0. Henri” und. Potwin**; dieselben ergeben, daß große individuelle Verschiedenheiten bei den Untersuchten bestehen, indem einzelne ihre erste Erinnerung in den sechsten Lebensmona,t verlegen, andere von ihrem Leben bis zum vollendeten sechsten, ja. achten Lebensjahr nichts wissen. Aber womit hängen diese Verschiedenheiten im Verhalten der Kindheitsorinnerungen zusamrnen, und welche Bedeutung kommt ihnen zu? Es ist offenbar nicht ausreichend, das Material»für diese Fragen durch Sammelerkundigimg herbeizuschaffen; es bedarf dann

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noch einer Bearbeitung desselben, an der die ausk'unf'tgebende Person beteiligt sein muß. ’

§ 413

* Enquéte sur les premiere Souvenirs de l’enfence. L'année psychologiun III, 1897.

§ 414

** Study of early momuriee. Psycholog. Review, 1901. 4*

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Ich meine, wir nehmen die Tatsache der infentilen Amnesie, des Ausfalls der Erinnerungen für die ersten Jahre unseres Lebens viel zu gleichmütig hin und versäumen es, ein seltsames Rätsel in ihr zu finden. Wir vergessen, welch hoher intellek« tueller Leistungen und wie komplizierter Gefühlserregungen ein Kind von etwa vier Jahren fähig ist, und sollten ‘uns geradezu verwundern, daß das Gedächtnis späterer Jahre von diesen seelischen Vorgängen in der Regel so wenig bewahrt hat, zumal da wir allen Grund zur Annahme haben, daß diese selben vergessenen Kindheiteleistnngen nicht etwa. spurlos an der Entwick— lung der Person abgeglitten sind, sondern einen für alle späteren Zeiten bestimmendcn Einfluß ausgeübt haben. Und trotz dieser unvergleiehliehen “’i1‘ksemkeit sind sie vergessen werden! Es weist dies auf ganz speziell genrtete Bedingungen des Erinnerns (im Sinne der bevmßten Reproduktion) hin, die sich unserer Erkenntnis bisher entzogen haben. Es ist sehr wohl möglich, daß das Kindheitsvergessen uns den Schlüssel zum Verständnis jener Amnesien liefern kann, die nach unseren neueren Erkenntnissen der Bildung aller neurotischen Symptome zu Grunde liegen.

§ 418

‘Von den erhaltenen Kindheitserinnernngen erscheinen uns einige gut begreiflieh, andere befremclend oder unverständlich. Es ist nicht schwer, einige Irrtümer in betreff beider Arten zu berichtigen. Unterzieht man die erhaltenen Erinnerungen eines Menschen einer analytischen Prüfung, so kann man leicht feststellen, daß eine Gewähr für die Richtigkeit derselben nicht besteht. Einige der Erinnerungsbilder sind sicherlich gefälscht, unvollständig oder zeitlich und räumlich verschoben. Die Angaben der untersuchten Personen wie, ihre erste Erinnerung rühre etwa aus dem zweiten Lebensjahr her, sind offenbar unverläßlich. Es gelingt bald auch Motive zu finden, welche die Entstehung und Verschiebung des Erlebten verständlich machen,

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aber auch beweisem daß nicht einfache Gedächtnisuntreue die Ursache dieser Erinnerungsi'ehler sein kann. Starke Mächte aus der späteren Lebenszeit haben die Erinnerungsfähigkeit der Kind heitserlebnisse gmnodelt, dieselben Mächte wahrscheinlich, an denen es liegt, daß wir uns allgemein dem Verständnis unserer Kindheitsjahre so weit entfremdet haben.

§ 422

Das Erinnern der Erwachsenen geht bekanntlich an vorschiedenem psychischen Material vor sich. Die einen erinnern in Gesichtsbildern, ihre Erinnerungen haben visuellen Charakter; andere Individuen können kaum die dürftigsten Umrisse des Erlebten in der Erinnerung rcproduzicrcn; man nennt. solche Persenen „Auditifs“ und „Moteurs“ im Gegensatz zu den „Visuels“ nach 0ha.rcots Vorschlag. Im Träumen verschwinden diese Unterschiede, wir träumen alle in vorwiegenden Gesichtsbildern. Aber ebenso bildet sich diese Entwicklung für die Kindheitserinnerungen zurück; diese sind plastisch visuell auch bei jenen Personen, deren späteres Erinnern des visuellen Elements entl>ehren muß. Das visuelle Erinnern bewahrt somit den Typus des infantilen Erinnerns. Bei mir sind die frühesten Kindheits» erinnerungen die einzigen von visuellem Charakter; es sind geradezu plastisch hcrausgearbeitcte Szenen, nur den Darstellungen auf der Bühne vergleichbar. In diesen Szenen aus der Kindheit, ob sie sich nun als wahr oder als verfälscht erweisen, sieht man regelmäßig auch die eigene kindliche Person in ihren Umrisseu und mit ihrer Kleidung. Dieser Umstand muß Be— —fremden erregen; erwachsene Visuelle sehen]nicht mehr ihre Person in ihren Erinnerungen an spätere Erlebnisse *. Es widerspricht auch allen unseren Erfahrungen anzunehmen, daß die Aufmerksamkeit des Kindes bei seinen Erlebnissen auf sich selbst anstatt ausschließlich auf die äußeren Eindrücke gerichtet Wäre.

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* Ich behauyfe dies nach einigen von mir eingeholtcn Erkundigungcu

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Man wird so von verschiedenen Seiten her zur Vermutung gedrängt, deß wir in den sogenannten frühesten Kindheitserinncrungen nicht die wirkliche Erinnerungsspur, sondern eine spätere Bearbeitung derselben besitzen, eine Bearbeitung, welche die Einflüsse mannigfach‘er späterer Rsychischer Mächte erfahren haben mag. Die „Kindheitseriunemngen“ der Individuen rücken so ganz allgemein zur Bedeutung von „Dcckerinnerungen“ vor und gewinnen dabei eine bemerkenswerte Analogie mit den in Sagen und Mythen niedergelean Kindheitserinnerungen der Völker. Wer eine Anzahl von Personen mit. der Methode der Psyche analyse seelisch untersucht hat, hat bei dieser Arbeit reichlich Beispiele von Deckerinnerungen jeder Art gesammelt. Die Mit teilung dieser Beispiele wird aber gerade durch die vorhin crörter'te Natur der Beziehungen der Kindheitserinnerungen zum späteren Leben außerordentlich erschwert; um eine Kindheitserinneng als Deckerinnerung würdigen zu lassen7 müßte man oft die ganze Lebensgeschichte der betreffenden Person zur Darstellung bringen. Es ist nur selten, wie im nachstehenden hübschen Beispiel, möglich, eine einzelne Kindheitserinnerung aus ihrem Zusammefihange für die Mitteilung hcranszuheben. Ein 24jähriger Mann hat folgendes Bild aus seinem fünften Lebensjahr bewahrt. Er sitzt im Garten eines Sommerhauses auf einem Stühlchen neben der Tante, die bemüht ist, ihm die Kenntnis der Buchstaben beizubr'mgen. Die Unterscheidung von m und — n bereitet ihm Schwierigkeiten, und er bittet die Tante, ihm doch zu sagen„ woran man erkennt, was das eine und was das andere ist. Die Tante macht ihn aufmerksam, daß das 111 doch um ein ganzes Stück, um den dritten Strich, mehr habe als das n- — Es fand sich kein Anlaß, die Zuverlässigkeit dieser Kindheit-s en'.nnerung zu bestreiten; ihre Bedeutung hatte sie aber erst später erworben, als sie sich geeignet zeigte, die symbolische Ver

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tretung für eine endereWißbegierde des Knaben zu übernehmen. Denn, so wie er damals den Unterschied zwischen m und n wissen wollte, so bemühte er sich später, den Unterschied zwischen Knaben und Mädchen zu erfahren, und wäre gewiß einverstanden gewesen, daß gerade diese Tante seine Lelumeisterin werde. Er fand dann auch heraus, daß der Unterschied ein ähnlicher sei, daß der Bub wiederum ein ganzes Stück mehr habe als das“ Mäd— chen, und zur Zeit dieser Erkenntnis weckte er die Erinnerung an die entsprechende kindliche Wißbegierde.

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An einem einzigen Beispiel möchte ich noch zeigen, welchen Sinn eine Kindheitserinnerung durch analytische Bearbeitung gewinnen kann, die vorher keinen Sinn zu cnthalten schien. Als . ich in meinem 43. J ehr begann, mein Interesse den Resten der Erinnerung an die eigene Kindheit zuzuwenden, fiel mir eine Szene auf, die mir seit langem —— wie ich meinte, seit jeher —-— von Zeit zu Zeit zum Bewußtsein gekommen war, und die nach guten Merkzeichen vor das vollendete dritte Lebensjahr verlegt werden durfte. Ich sah mich fordernd und heulend vor einem Kasten stehen, dessen Tür mein um 20 J ahre älterer Halbbrudcr geöffnet hielt, und denn trat plötzlich meine Mutter, schön und schlank, wie von der Straße zurückkehrend ins Zimmer. In diese Worte hatte ich die plastisch geSehene Szene gefaßt, mit der ich sonst nichts anzufangen wußte. Oh mein Bruder den Kasten —» in der ersten Übersetzung des Bildes hieß es „Schrarik“ — öffnen oder schließen wollte, warum ich dabei weinte, und was die Ankunft der Mutter damit zu tun habe, das alles war mir &duukel; ich war versucht mir die Erklärung zu geben, daß es sich um die Erinnerung an eine Hänselei des älteren Bruders handle, die durch die Mutter unterbrochen wurde. Solche Mißverständnisse einer im Gedächtnis bewahrten Kindheitsszene sind nichts Sei. tenes; man erinnert sieh einer Situation, aber dieselbe ist nicht

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zentriert, m‘a,n weiß nicht. auf welches Element derselben der psychische Akzent zu setzen ist. Analytische Bemühung führte mich zu einer ganz unerwarteten Auffassung des Bildes. Ich hatte die Mutter vermißt, war auf den Verdacht gekommen, daß sie in' diesem Schrank oder Kasten eingesperrt sei, und forderte darum den Bruder auf, den Kasten aufzusperren. Als er mir willfelu‘te und ich mich überzeugte, die Mutter sei nicht im Kasten, fing ich zu schreien an; dies' ist der von der Erinnerung feetgeh‘altene Moment, auf den alsbald das meine Sorge oder Sehnsucht beschwichtigende Erscheinen der Mutter folgte. Wie kam aber das Kind zu der Idee, die abwesende Mutter im Kasten zu suchen? Gleichzeitige Träume wiesen dunkel auf eine Kinderfreu hin, von welcher noch andere Reminiszenzen erhielten waren, wie z. B. daß sie mich gewissenhaft anzuhalten pflegte, ihr die kleinen Münzen abzuliefem, die ich als Geschenke erhalten hatte, ein Detail. des selbst wieder auf den Wert einer Deckerinnerung für Späteree Anspruch machen kann. So beschloß ich denn, mir diesmal die Deutungsaufgabe zu erleichtern, und meine jetzt alte Mutter nach jener Kinderfrau zu befragen. Ich erfuhr allerlei, darunter, daß. die kluge aber uuredliche Person während des Wochenbettes der Mutter große Heusdiebstähle verüht hatte und auf Betreiben meines Halbbruders dem Gerichte übergeben werden war. Diese Auskunft gab mir das Verständnis der Kinderszene wie durch eine Art von Erleuchtung Das plötzliche Verschwinden der Kinderfrau war mir nicht gleichgültig gewesen; ich hatte mich gerade an diesen Bruder mit der Frage gewendet, wo sie sei, wahrscheinlich, weil ich gemerkt hatte, daß ihm eine Rolle bei ihrem Verschwinden zukomme, und er hatte ausweichénd und wortspielerisch, wie seine Art immer war, geantwortet: sie ist „eingekastelt“. Diese Antwort verstand ich nun nach kindlicher Weise, ließ aber zu fragen ab, weil nichts mehr zu

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erfahren war. Als mir nun kurze Zeit darauf die Mutter abging,

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argwöhnte ich, der schlimme Bruder habe mit ihr dasselbe ange

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stellt wie mit der Kinderfrau, und nötigte ihn, mir den Kasten

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zu öffnen. Ich verstehe nun auch, warum in der Übersetzung

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der visuellen Kinderszene die Schlankheit der Mutter betont

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ist, die mir als neu wiederhergestellt aufgefallen sein muß. Ich

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bin zweieinhalb Jahre älter als die damals geborene Schwester,

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und als ich drei Jahre alt wurde, fand das Zusammenleben mit

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dem Halbbruder ein Ende.

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V.

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DAS VERSPRECHEN.

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Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der Muttersprache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als „Versprechen“ bekannt ist. Das beim normalen Menschen beobachtete Versprechen macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen auftretenden sogenannten „Paraphasien“.

§ 467

Ich befinde mich hier ausnahmsweise in der Lage, eine Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben Meringer und C. Mayer eine Studie über „Versprechen und Verlesen“ publiziert, deren Gesichtspunkte fernab von den meinigen liegen. Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von linguistischen Interessen zur Untersuchung veranlaßt worden, den Regeln nachzugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte, aus diesen Regeln auf das Vorhandensein „eines gewissen geistigen Mechanismus“ schließen zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes, und auch die Worte untereinander in ganz eigentümlicher Weise verbunden und verknüpft sind“ (S. 10).

§ 468

Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten Beispiele des „Versprechens“ zunächst nach rein deskriptiven Gesichtspunkten als Vertauschungen (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo), Vorklänge oder Antizipationen(z. B. es war mir auf der Schwest . . . auf der Brust so schwer), Nachklänge, Postpositionen (z. B. „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen“ für anzustoßen), Kontaminationen (z. B. „Er setzt sich auf den Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf die Hinterbeine“), Substitutionen (z. B. „Ich gebe die Präparate in den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkategorien noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung usw. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.

§ 469

Zur Erklärung der beobachteten Arten des Versprechens stellt Meringer eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprachlaute auf. Wenn wir den ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines Satzes innervieren, wendet sich der Erregungsvorgang bereits den späteren Lauten, den folgenden Worten, zu, und soweit diese Innervationen miteinander gleichzeitig sind, können sie einander abändernd beeinflussen. Die Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt vor oder hallt nach und stört so den minderwertigen Innervationsvorgang. Es handelt sich nun darum zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines Wortes sind. Meringer meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute eines Wortes die höchste Intensität zukommt, so beobachte man sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort, z. B. einem Namen. Was zuerst wieder ins Bewußtsein kommt, hatte jedenfalls die größte Intensität vor dem Vergessen (S. 160). Die hochwertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der Wortanlaut und der oder die betonten Vokale“ (S. 162).

§ 470

Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben. Ob der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen Elementendes Wortes gehöre oder nicht, es ist gewiß nicht richtig, daß er im Falle des Wortvergessens zuerst wieder ins Bewußtsein tritt; die obige Regel ist also unbrauchbar. Wenn man sich bei der Suche nach einem vergessenen Namen beobachtet, so wird man verhältnismäßig häufig die Überzeugung äußern müssen, er fange mit einem bestimmten Buchstaben an. Diese Überzeugung erweist sich nun ebenso oft als unbegründet wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proklamiert in der Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in unserem Beispiel: Signorelli ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und sind die wesentlichen Silben verloren gegangen; gerade das minderwertige Silbenpaar elli ist im Ersatznamen Botticelli dem Bewußtsein wiedergekehrt. Wie wenig die Ersatznamen den Anlaut des entfallenen Namens respektieren, mag z. B. folgender Fall lehren: Eines Tages ist es mir unmöglich, den Namen des kleinen Landes zu erinnern, dessen Hauptort Monte Carlo ist. Die Ersatznamen für ihn lauten:

§ 471

Piemont, Albanien, Montevideo, Colico.

§ 472

Für Albanien tritt bald Montenegro ein, und dann fällt mir auf, daß die Silbe Mont (Mon ausgesprochen) doch allen Ersatznamen bis auf den letzten zukommt. Es wird mir so erleichtert, vom Namen des Fürsten Albert aus das vergessene Monaco aufzufinden. Colico ahmt die Silbenfolge und Rhythmik des vergessenen Namens ungefähr nach.

§ 473

Wenn man der Vermutung Raum gibt, daß ein ähnlicher Mechanismus wie der fürs Namenvergessen nachgewiesene auch an den Erscheinungen des Versprechens Anteil haben könne, so wird man zu einer tiefer begründeten Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt. Die Störung in der Rede, welche sich als Versprechen kundgibt, kann erstens verursacht sein durch den Einfluß eines anderen Bestandteils derselben Rede, also durchdas Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite Fassung innerhalb des Satzes oder des Zusammenhanges, den auszusprechen man intendiert — hieher gehören alle oben Meringer und Mayer entlehnten Beispiele —: zweitens aber könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle Signorelli zu stande kommen durch Einflüsse außerhalb dieses Wortes, Satzes oder Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man nicht intendiert, und von deren Erregung man erst durch eben die Störung Kenntnis erhält. In der Gleichzeitigkeit der Erregung läge das Gemeinsame, in der Stellung innerhalb oder außerhalb desselben Satzes oder Zusammenhanges das Unterscheidende für die beiden Entstehungsarten des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst nicht so groß, als er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des Versprechens in Betracht kommt. Es ist aber klar, daß man nur im ersteren Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens Schlüsse auf einen Mechanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur gegenseitigen Beeinflussung ihrer Artikulation miteinander verknüpft, also Schlüsse, wie sie der Sprachforscher aus dem Studium des Versprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle der Störung durch Einflüsse außerhalb des nämlichen Satzes oder Redezusammenhanges würde es sich vor allem darum handeln, die störenden Elemente kennen zu lernen, und dann entstände die Frage, ob auch der Mechanismus dieser Störung die zu vermutenden Gesetze der Sprachbildung verraten kann.

§ 474

Man darf nicht behaupten, daß Meringer und Mayer die Möglichkeit der Sprechstörung durch „komplizierte psychische Einflüsse“, durch Elemente außerhalb desselben Wortes, Satzes oder derselben Redefolge übersehen haben. Sie mußten ja bemerken, daß die Theorie der psychischen Ungleichwertigkeit der Laute streng genommen nur für die Aufklärung der Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht. Wo sich die Wortstörungen nicht auf Lautstörungen reduzieren lassen, z. B. bei den Substitutionen und Kontaminationen von Worten, haben auch sie unbedenklich die Ursache des Versprechens außerhalb des intendierten Zusammenhanges gesucht und diesen Sachverhalt durch schöne Beispiele erwiesen. Ich zitiere folgende Stellen:

§ 475

(S. 62.) „ "Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem Innern für ,Schweinereien‘ erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form und beginnt: ,Dann aber sind Tatsachen zum Vorschwein gekommen. . .‘ Mayer und ich waren anwesend und Ru. bestätigte, daß er ,Schweinereien‘ gedacht hatte. Daß sich dieses gedachte Wort bei ,Vorschein‘ verriet und plötzlich wirksam wurde, findet in der Ähnlichkeit der Wörter seine genügende Erklärung." “ —

§ 476

(S. 73.) „ "Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den Kontaminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die ,schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder eine große Rolle. Sie sind, wenn auch unter der Schwelle des Bewußtseins, so doch noch in wirksamer Nähe, können leicht durch eine Ähnlichkeit des zu sprechenden Komplexes herangezogen werden und führen dann eine Entgleisung herbei oder kreuzen den Zug der Wörter. Die ,schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder sind, wie gesagt, oft die Nachzügler von kürzlich abgelaufenen Sprachprozessen (Nachklänge)."

§ 477

(S. 97.) „ "Eine Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit möglich, wenn ein anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewußtseinsschwelle liegt, ohne daß es gesprochen zu werden bestimmt wäre. Das ist der Fall bei den Substitutionen. — So hoffe ich, daß man beim Nachprüfen meine Regeln wird bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, daß man (wenn ein" "anderer spricht) sich Klarheit darüber verschafft, an was alles der Sprecher gedacht hat**. Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in unserer Gesellschaft: ,Die Frau würde mir Furcht einlagen.‘ Ich wurde stutzig, denn das l schien mir unerklärlich. Ich erlaube mir, den Sprecher auf seinen Fehler ,einlagen‘ für ,einjagen‘ aufmerksam zu machen, worauf er sofort antwortete: ,Ja, das kommt daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der Lage‘ usw."

§ 478

"Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinem kranken Pferd gehe. Er antwortete: ,Ja, das draut.. dauert vielleicht noch einen Monat.‘ Das ,draut‘ mit einem r war mir unverständlich, denn das r von dauert konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also R. v. S. aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht, ,das ist eine traurige Geschichte‘. Der Sprecher hatte also zwei Antworten im Sinne und diese vermengten sich."

§ 479

Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme auf die „vagierenden“ Sprachbilder, die unter der Schwelle des Bewußtseins stehen und nicht zum Gesprochenwerden bestimmt sind, und die Forderung, sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe, an die Verhältnisse bei unseren „Analysen“ herankommen. Auch wir suchen unbewußtes Material, und zwar auf dem nämlichen Wege, nur daß wir von den Einfällen des Befragten bis zur Auffindung des störenden Elements einen längeren Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe zurückzulegen haben.

§ 480

Ich weile noch bei einem anderen interessanten Verhalten, für das die Beispiele Meringers Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht des Autors selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit einesWortes im intendierten Satze mit einem anderen nicht intendierten, welche dem letzteren gestattet, sich durch die Verursachung einer Entstellung, Mischbildung, Kompromißbildung (Kontamination) im Bewußtsein zur Geltung zu bringen:

* Von mir hervorgehoben. § 481

lagen, dauert, Vorschein.

§ 482

jagen, traurig, ...schwein.

§ 483

Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung“** dargetan, welchen Anteil die Verdichtungsarbeit an der Entstehung des sogenannten manifesten Trauminhalts aus den latenten Traumgedanken hat. Irgend eine Ähnlichkeit der Dinge oder der Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen des unbewußten Materials wird da zum Anlaß genommen, um ein Drittes, eine Misch- oder Kompromißvorstellung zu schaffen, welche im Trauminhalt ihre beiden Komponenten vertritt, und die infolge dieses Ursprungs so häufig mit widersprechenden Einzelbestimmungen ausgestattet ist. Die Bildung von Substitutionen und Kontaminationen beim Versprechen ist somit ein Beginn jener Verdichtungsarbeit, die wir in eifrigster Tätigkeit am Aufbau des Traumes beteiligt finden.

§ 484

In einem kleinen, für weitere Kreise bestimmten Aufsatz (Neue Freie Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man sich versprechen kann“) hat Meringer eine besondere praktische Bedeutung für gewisse Fälle von Wortvertauschungen in Anspruch genommen, für solche nämlich, in denen man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „Man erinnert sich wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident des österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung eröffnete: ,Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von so und soviel Herren und erkläre somit die Sitzung für geschlossen!‘ Die allgemeine Heiterkeit machte ihn erst aufmerksam und er verbesserte den Fehler. Im vorliegenden Falle wird die Erklärung wohl diese sein, daß der Präsident sich wünschte, er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von der wenig Gutes zu erwarten stand, zu schließen, aber — eine häufige Erscheinung — der Nebengedanke setzte sich wenigstens teilweise durch, und das Resultat war ,geschlossen‘ für eröffnet‘, also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber vielfältige Beobachtung hat mich belehrt, daß man gegensätzliche Worte überhaupt sehr häufig miteinander vertauscht; sie sind eben schon in unserem Sprachbewußtsein assoziiert, liegen hart nebeneinander und werden leicht irrtümlich aufgerufen.“

* Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, 1900, 5. Aufl. 1919. § 485

Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird es so leicht, wie hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zu machen, daß das Versprechen infolge eines Widerspruchs geschieht, der sich im Innern des Redners gegen den geäußerten Satz erhebt. Wir haben den analogen Mechanismus in der Analyse des Beispiels: aliquis gefunden; dort äußerte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines Wortes anstatt in seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur Ausgleichung des Unterschiedes bemerken, daß das Wörtchen aliquis eines ähnlichen Gegensatzes, wie ihn „schließen“ und „eröffnen“ ergibt, eigentlich nicht fähig ist, und daß „eröffnen“ als gebräuchlicher Bestandteil des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein kann.

§ 486

Zeigen uns die letzten Beispiele von Meringer und Mayer, daß die Sprechstörung ebensowohl durch den Einfluß vor- und nachklingender Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von Worten außerhalb des intendierten Satzes, deren Erregung sich sonst nicht verraten hätte,so werden wir zunächst erfahren wollen, ob man die beiden Klassen von Versprechen scharf sondern, und wie man ein Beispiel der einen von einem Falle der anderen Klasse unterscheiden kann. An dieser Stelle der Erörterung muß man aber der Äußerungen Wundts gedenken, der in seiner eben erscheinenden umfassenden Bearbeitung der Entwicklungsgesetze der Sprache (Völkerpsychologie, 1. Band, 1. Teil, S. 371 u. ff., 1900) auch die Erscheinungen des Versprechens behandelt. Was bei diesen Erscheinungen und anderen, ihnen verwandten, niemals fehlt, das sind nach Wundt gewisse psychische Einflüsse. „ "Dahin gehört zunächst als positive Bedingung der ungehemmte Fluß der von den gesprochenen Lauten angeregten Laut- und Wortassoziationen. Ihm tritt der Wegfall oder der Nachlaß der diesen Lauf hemmenden Wirkungen des Willens und der auch hier als Willensfunktion sich betätigenden Aufmerksamkeit als negatives Moment zur Seite. Ob jenes Spiel der Assoziation darin sich äußert, daß ein kommender Laut antizipiert oder die vorausgegangenen reproduziert, oder ein gewohnheitsmäßig eingeübter zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, daß ganz andere Worte, die mit den gesprochenen Lauten in assoziativer Beziehung stehen, auf diese herüberwirken — alles dies bezeichnet nur Unterschiede in der Richtung und allenfalls in dem Spielraum der stattfindenden Assoziationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben. Auch kann es in manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man eine bestimmte Störung zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit größerem Rechte nach dem Prinzip der Komplikation der Ursachen** auf ein Zusammentreffen mehrerer Motive zurückzuführen habe." “ (S. 380 und 381.)

* Von mir hervorgehoben. § 487

v. ms vnrsramcnnn. 57

§ 488

Ich halte diese Bemerkungen Wundts für vollberechtigt und sehr instruktiv. Vielleicht könnte man mit größerer Ent— eehiedenheit als Wund t betonen, daß das positiv begünstigende Moment der Sprechfehler — der ungehemmte Fluß der Assoziationen —— und das negative —— der N achlaß der hemmenden Aufmerksamkeit. —— regelmäßig miteinander zu Wirkung gelangen, so daß beide Momente nur zu verschiedenen Bestimmungen des nämlichen Vorgangs werden. Mit dem Nachleß der hemmenden Aufmerkßa.mkeit tritt eben der ungehemmte Fluß der Assoziationen in Tätigkeit; noch unzweifelhafter ausgedrückt: durch diesen Nachleß.

§ 489

Unter den Beispielen von Versprechen, die ich selbst gesammelt, finde ich kaum eines, bei dem ich die Sp_rechstlirung einzig und allein auf des, was Wundt „Kontaktwirkung der Lan “ nennt, zurückführen müßte. Fast regelmäßig entdecke ich überdies einen störenden Einfluß von etwas außerhalb der intendierten Rede, und das Störende ist entweder ein ein. zelnen unbewußt gebliebener Gedanke, der sich durch das Ver— sprechen kundg'ibt und oft erst durch eingehende Analyse zum Bewußtsein gefördert werden; kann, oder es ist ein“ a.].lgemeineree psychisches Motiv, welches sich gegen die ganze Rede richtet.

§ 490

Beispiel 11): Ich will gegen meine Tochter, die Beim Einheißen in einen Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat, zitieren: '

§ 491

Der Affe gar possierlich ist,

§ 492

Zumal wenn er vom Apfel frißt. Ich beginne aber: Der Apfe... Dies scheint eine Kontamina— tion von „A f fe“ und „Apfel“ (Kompromißbildung) oder kann auch als Antizipation des vorbereiteten „Apfel“ aufgefeßt wer— den. Der genauere Sachverhalt ist aber der: Ich hatte dae'Zitet schon einmal begonnen und mich des eretemal dabei nicht ver.

§ 493

‘“

§ 494

§ 495

53 v. ms vnnsrnncnnu.

§ 496

sprechen. Ich versprach mich erst. bei der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil die Angespmchene, von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhürte. Diese Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld7 des Satzes ledig zu werden, miiß ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine Verdichtungsleistung darstellt, mit eim-echnen

§ 497

11) Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau Schresinger. .. Die Frau heißt S ch lesinger. Dieser Sprechfehler hängt wohl mit einer Tendenz zur Erleichterung der Artikula,tion zu» sammen, denn das 1 ist nach wiederholtem r schwer auszusprechen. Ich muß aber hinzufügen, daß sich dieses Versplechen bei meiner Tochter ereignete, nachdem ich ihr wenige Minuten zuvor „Apfe“ anstatt „Afi'e“ vorgesagt hatte. Nun ist das Versprechen in hohem Maße ansteckend, ähnlich wie das Namenvergessen, bei dem M eringe r und M a,y e r diese Eigentümliehkeit bemerkt haben. Einen Grund für diese psychische Kontegiosität weiß ich nicht anzugeben.

§ 498

0) „Ich klappe zusamm<an wie ein Tassenmescher — Taschenmesser“, sagt eine Patientin zu Beginn der Behandlungsstunde, die Laute verteuschend, wobei ihr wieder die Artikulationsschwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen waschen -weiße Wäsche“ — „Fisehflosse“ und ähnliche Prüfwor'te) zur Entschuldigung dienen kann. Auf den Sprechfehler aufmerk« sam gemacht, erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur, weil Sie heute ,Emscht‘ gesagt haben“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen: „Heute wird es also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem Urlaub werden sollte) und hatte des „Ernst“ scherzha.ft zu „Ermscht“ verbreibert. Im Laufe der Stunde verspricht sie sich immer wieder von neuem, und ich 'merke ehdlich, daß sie mich nicht bloß imitiert, sondern daß sie einen beson

§ 499

§ 500

V.» ms VERSPBECHEN. 59

§ 501

deren Grund hat, im Ün-bewußten bei dem Worte Ernst als Namen zu verweilen *. '

§ 502

41) „Ich bin so versehnupft, ich kann nicht durch die Ase natmen —— Nase a tmen“ — passiert derselben Patientin ein andermal. Sie weiß sofort, wie sie zu diesem Spreeht'éhler kommt. „Ich steige jeden Tag in der H asenauers tr & ße in die Tramway, und heute früh ist mir während des Wartens auf dem Wagen eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, Würde ich Asen‘aner eussprechen, denn die Franzosen lassen das H im Anlaut immer Weg.“ Sie bringt dann eine Reihe von Reminiszenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat, und langt nach weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, daß sie als 14j ähriges Mädrihen‘ in dem kleinen Stück „Kurmärker und Piearde“ die Piearde gespielt und damals gebrochen Deutsch gesprochen hat. Die Zufälligkeit, daß in ihrem Logierhaus ein. Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinnerungen wachgerufen. Die Lautvertauschun‘g ist also Folge der Störung

§ 503

durch einen unbewußten Gedanken aus einem ganz fremden Zusemmenhang‘.

§ 504

e) Ähnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer anderen Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst versehollenen Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis verlassen wird. An welche Körperstelle die vorwitzige und liisterne Hand

§ 505

* Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluß von unbeWußten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den Worten: „zusammengeklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bew'ußt als Klage verbrachte, wollte sie die Haltung des Kindes im,Mutterleibe beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner Anrede hatte sie an den Namen (5; Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kämtnerstra.ße gemahnt,

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welche sich als Verkanistätte von Schutzmitteln gegen die Konzeption zu ennoneieren pflegt. '

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70 v. ms vnnßrnncnnn.

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des anderen gegriffen hat, Will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar darauf einen Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr über Sommerwohnungen. Gefragt wo denn ihr Häuschen in M. gelegen ziei, antwortet sie: an der Berglende anstatt Berglehne.

§ 510

]”) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage, wie es ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiß nicht, ich sehe ihn jetzt nur in flagranti.“ Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Antwort. gegeben zu haben. Sie müssen mich natürlich für eine ganz ungebildete Person halten, die beständig Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: en passant.“ Wir wußten damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeben Fremdworte genommen hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie als Fort» setzung des vortägigen Themas eine Reminiszenz, in welcher das Erbapptwerden in £ la granti die Hauptrolle spielte. Der Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht bewußt gewordene Erinnerung antizipiert.

§ 511

g} Gegen eine andere muß ich an einer gewissen Stelle der Analyse die Vermutung aussprechen, daß sie sich zu der Zeit, von welcher wir eben handeln, ihrer Familie gesehä.mt und ihrem Vater einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran, erklärt es übrigens für unwahrschein— lich. Sie setzt aber das Gespräch mit Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muß ihnen das eine lassen: Es sind doch besondere Menschen, sie haben alle Geiz — ich wollte sagen Geist.“ Das war auch denn wirklich der Vorwurf, den sie aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Daß sich a dem Ver8pre' chen gerade jene Idee durchdrängt, die man zurückhaan will, ist ein häufiges Vorkommnis (vgl. den Fall von M erin ger: zum Vomehwein‘ gekommen) Der Unterschied liegt nur darin.

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7. DAS VERSPREGHEN. 71

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daß die Person bei M eriuger etwas zurückhalten' will, was ihr bewußt ist, während meine Patientin das Zurückgchaltene nicht weiß, oder wie man auch sagen kann, nicht weiß, daß sie etwas, und was sie zurückhält.

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h) Auf abeichtliche Zurückhaltung geht auch das nachstehende Beispiel von Versprechen zurück. Ich treffe einmal in den“ Dolomiten mit zwei Damen zusammen, die als 'I‘ouristinnen verkleidet sind. Ich begleite sie ein Stück weit, und wir besprechen die Genüsse, aber auch die Beschwerden der touristischen Lebensweise. Die eine der Damen gibt zu, daß diese Art, den Tag zu verbringen, manches Unhequeme hat. Es ist wahr, sagt sie, daß es gar nicht angenehm ist, wenn man so in der Sonne den ganzen Tag marscb.iert hat, und Bluse und Hemd ganz durchgeschwitzt sind. In diesem Satze hat sie einmal eine kleine Stockung- zu überwinden. Denn setzt sie fort: Wenn man aber dann nach H ose kommt und sich umkleideu kann . . , Ich meine, es bedurfte kei.u% Examens, um dieses Versprechen aufzuklämeu Die Dame hatte offenbar die Absicht gehabt, die Aufzählung vollständiger zu halten und zu sagen: Bluse, Hemd und Hose Dies dritte Wäschestück zu nennen, unterdrückte sie denn aus Gründen der Wohlanständigkeit. Aber im nächsten, inhaltlich unabhängigen Satz setzte sich des unterdrückte Wort als Verunstaltung des ähnlichen Wortes „nach Hause“ wider ihren Willen durch

§ 516

i) „“"enn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen Sie nur zu Kaufmann in der Matthäueg‘asse Ich glaube, ich kann Sie dort auch empfehlen,“ sagt mir eine Dame. Ich Wiederhole: „Also bei Matthäus...= bei Kaufmann will ich siegen." Es sieht aus wie Folge von Zemtreutheit, wenn ich den einen Namen an Stelle des anderen Wiederholea Die Rede der Dam'e hat mich auch wirklich zerstreut gemacht; denn sie hat meine Aufmérlflsiainkeit

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72 V. DAS VEBSPBECBZEN .

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auf anderes gelenkt, was mir weit wichtiger ist als Teppiche. In der Matthäusgasse steht nämlich das Haus, in: dem meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Eingang des Hauses war in einer anderen Gasse, und nun merke ich, daß ich deren Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem Umweg bewußt 1'nachen muß. Der Name Matthäus, bei dem ich verweile, ist mir„also ein Ersatzname für den vergessenen Namen der Straße. Er eignet sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn Matthäus ist aus» schließlich ein Personenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergmene Straße heißt auch nach einem Pcrsonennamen: Rad e t z k y.

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76) Folgenden Fall könnte ich ebensognt bei den später zu besprechenden „Irrtümern“ unterbringen, führe ihn aber hier an, weil die Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wortersetzung erfolgt, ganz boßonders deutlich sind. Eine Patientin erzählt mir ihren Traum: Ein Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiß zu töten. Es führt den Beschluß aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfcn Windel; usw. Sie soll nun die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie erinnert sofort, daß sie gestern abends eine populäre Vorlesung über erste Hilfe bei Sehlangenbissen mitangehört hat. Wenn ein Erwachsener und ein Kind gleichzeitig gebissen werden sind, so soll man zuerst die Wunde des Kindes behandeln. Sie erinnert auch, welche Vorschriften für die Behandlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr viel darauf an, hatte er auch geäußert, von welcher Art man gebissen werden ist. Hier unterbrechc ich sie und frage: Hat er denn nicht gesagt, daß wir nur sehr wenige giftige Arten in unserer Gegend haben, und welche die gefürchteten sind? „Ja, er hat die Klapperschlange hervorgehoben.“ Mein Lachen macht sie dann aufmerksam, daß sie etwas Unrichtiges gesagt hat. “Sie korrigiert jetzt aber nicht etwa. den Namen,

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sondern sie nimmt ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt ja bei uns nicht vor, er hat. von der Vipcr‘gespmchen. Wie gerate ich nur auf die Klappemchlan’ge?“ Ich vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die sich hinter ihrem Traum ver— borgen hatten. Der Selbstmord durch Schlangenbiß Bann kaum etwas anderes sein, als eine Anspielung auf die schöne KleopatraDie weitgehende Leutähnliehkeit der beiden Werte, die Übereinstimmung in den Buchstaben Kl..p..r in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten s. sind nicht zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapperschlange und Kleopatra, erzeugt bei ihr eine momentane Einschränkung des; Urteils, dermi'olge sie an der Behauptung, der 1Vortragende habe sein Publikum in W'ien in der Behandlung von Klapperschlangenbissen unterwiesen, keinen Anstoß nimmt. Sie weiß sonst so gut wie ich, daß diese Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen es ihr nicht vcrübeln, daß sie an die Versetzung der Klapperschlange nach Ägypten ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir. sind gewohnt, alles Außer» europäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst mußte mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behauptung aufstellte, daß die Klapperschlange nur der neuen Welt angehört. W'eitere Beetätig1mgen ergeben sich bei Fortsetzung der Analyse. Die Träum'e1in hat gestern zum erstenmal die in der Nähe ihrer Wohnung aufgestellte An tonius gruppe von Straßer besichtigt. Dies war also der zweite Traumanlaß (der erste der Vortrag über Schlangenbisse). In! der Fortsetzung ihres Trauma wiegte sie ein' Kind in ihren Armen, “zu welcher Szene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen Reminiszenzen an „Ania. und. M e s s a lin a“. Das Auftauchen so vieler Namell von Theaterstücken in den Traumgedanken läßt bereits vermuten, daß bei der Träumerin in früheren Jahren eine

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74 v. DAB vnuspnncnsn.

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geheim' gehaltene Schwämemi für den Beruf der Schauspielerin bestand. Der Anfang des Tra.umcsz „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben durch einen Sehlengenbiß zu enden“, bedeutet Wirklich nichts anderes als: Sie hat sich als Kind Vorgenommcn, einst eine berühmte Schauspielerin zu werden. Von dem Namen Messa— lin‘a. zweigt endlich der Gedankenweg ab, der zu dem wesent— lichen Inhalt dieses Traumes führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in ihr die Besorgnis erweckt, daß ihr einziger Bruder eine nicht standesgemäße Ehe mit einer Nicht—Arierin, eine Mésa.llian'ce eingehen könnte

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1) Ein völlig harmloses oder vielleicht uns nicht genügend in seinen Motiven aufgeklärtes Beispiel will ich hier wiedergeben. weil es einen durchsichtigen Mechanismus erkennen läßt:

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Ein in Italien reisender Deutscher bedarf eines“ Riements.Y um seinen scha,dha.ft gewordenen Koffer zu umschnümn. Das Wörterbuch liefert ihm für Riemen das italienische Wort co reggia. Dieses Wort werde ich mir leicht merken, meint er, indem ich an den Maler (Correggio) denke. Er geht dann' in einen Laden und verlangt: una r i ber a.

§ 529

Es war ihm anscheinend nicht gelungen, das deutsche Wort in seinem Gedächtnis durch das italienische zu ersetzen, aber seine Bemühung war doch nicht gänzlich ohne Erfolg geblieben. Er wußte, daß er sich an den Namen eines Malers halten müsse, und 80 geriet er nicht auf jenen Malernarncn, der an das italienische Wort mklingt, sondern an einen anderen, der sich dem deutschen Worte Riemen annähert. Ich hätte dieses Beispiel natürlich ebensowohl beim Namenvergessen wie hier beim Versprechen unterbringen können.

§ 530

Als ich Erfahrungen von Versprechen für die erste Auflage dieser Schrift sammelte, ging ich so vor, daß ich alle Fälle, die ich beobachten konnte, darunter also auch die minder eindrucks

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V. DAS VERSPRECHEN. 75

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vollen, der Analyse unterzog- Seither haben manche andere sich der amüean‘ten Mühe, Verdpreehen zu sammeln und zu anely— zieren, unterzogen und mich an in den Stand gesetzt, Auswahl aus einem reicheren Material zu schöpfen

§ 534

m) Ein junger Mann sagt zu seiner Schwester: Mit den I). bin ich jetat ganz zerfa.llen, ich grüße sie nicht mehr. Sie antwortet: Überhaupt eine saubere L ip p s e h a. f t— Sie wollte sagen: Sippseliaft, aber sie drängte noch zweierlei in dem Sprechirrtum zusammen, daß ihr Bruder einst selbst mit der Tochter dieser Familie einen Flirt begonnen hatte, und daß es von dieser hieß, sie habe sich in.| letzter Zeit in eine ernsthafte unerlaubte Lieb s c h e f t eingelassen.

§ 535

„) Ein junger Man spricht eine Dame auf der Straße mit den Worten an: „Wenn Sie gestatten, mein Fräulein, möchte ich Sie begleit—digenf‘ Er dachte offenbar, er möchte sie gern begleiten, i'ürchtete aber, sie mit dem Antrag zu ‘b e— le i digen. Daß diese beiden einander widemtreitenden Gefühle regung'en in einem Worte ——- eben dem Versprechen — Ausdruck fanden, weist darauf hin, daß die eigentlichen Absichten des jungen Mannw jedenfalls nicht die la.ntersten waren und ihm dieser Dame gegenüber selbst beleidigend erscheinen mußten Während er aber gerade dies vor ihr zu verbergen sucht, spielt ihm das Unbewußte den. Streich, seine eigentliche Absicht zu verraten. wodurch er aber anderseits der Dame gleichsam die konventionelle Antwort-: „Ja„ was glauben Sie denn von mir, wie können Sie mich denn so be le i d i ge n“ vorwegnimmt„ (Mit geteilt von O. Rank.)

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0) Eine Anzahl von Beispielen entnehme ich einem Aufsatz von W. Stekel aus dem „Berliner Tageblatt“ vom 4. Jänner 1904, betitelt „Unbewußte Geetändnisee“.

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76 _ V. DAB VEESPRECHEN.

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' „Ein uns.ngenehmes Stück meiner unbewußten Gedalnken enthüllt das folgende Beispiel. Ich schicke voraus, daß ich in meiner Eigenschaft als Arzt niemals auf meinen Erwerb bedacht bin und immer nur das Interesse des Kranken im Auge habe, was ja eine selbstvemtändliche Suche ist. Ich befinde mich bei einer Kranken, der ich nach schwerer Krankheit in einem Bekonvaleszentenstadium meinen ärztlichen Beistand leiste. W ir haben schwere Tage und Nächte mitgemacht. Ich bin glücklich, sie besser zu finden, male ihr die \Vonnen eines Aufenthaltes in Abbazzie aus und gebrauche dabei den Nachsatz: ,wenn Sie, was ich hoffe, das Bett bald nich t verlassen werden —‘. Offen— bar entsprang das einem egoistischen Motiv des Unbewußten, diese wohlhabende Kranke noch länger behandeln zu dürfen, einem Wünsche, der meinem wachen Bewußtsein vollkommen fremd ist und den ich mit Entrüstung zurückweisen würde“

§ 540

p) Ein anderes Beispiel (W. Stckel). „Meine Frau nimmt eine Französin für die Nachmittage auf und Will, nachdem man sich über die Bedingungen geeinigt hatte, ihre Zeugnisse zurückbehalten. Die Französin bittet, sie behalten zu dürfen, mit der Motivierung: Je cherche encore pour les aprés-midjs', par-don, pour les avant-midis. Offenbar hatte sie die Absicht, sich noch anderweitig um'zusehen und vielleicht bese‘ere Bedingungen zu er— halten —— eine Absicht, die sie auch ausgeführt ha .“

§ 541

_ g) „Ich soll einer Frau die Leviten. lesen, und ihr Mann, auf dessen Bitte das geschieht, steht lauschend hinter der Tür. ‘Am Ende meiner Predigt, die einen sichtlichen Eindruck gemacht hatte, sagte ich: ,Küss’ die Hand, gnädig‘er Herr !‘ Dem' Kundigen hatte ich damit verraten, daß die Worte an die Adresse des Herrn gerichtet waren, daß ich sie um seinetwillen gesprochen hatte“

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7) Dr. Stekel berichtet von sich selbst, daß er zu einer Zeit zwei Patienten aus Triest in Behandlung gehabt habe, die er

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V. DAB_VEBSPRECHEN. 77 immer verkehrt zu begrüßen pflegte. „Guten Morgen, Herr Pelom',“ sagte ich zu Aekoli, —— „Guten Morgen, Herr Askoli,“ zu Peloni. Er war anfangs geneigt, dieser Verwechslung keine tie— fere Motivierung zuzusehreiben, sondern sie durch die mehrfachen Gemeinsamkeiten der beiden Herren zu. erklären. Er ließ sich aber leicht überzeugen, daß die Namenvcrtauschung hier einer Art. Prahlerei entsprach, indem er durch sie jeden seiner italienischen Patienten wissen lassen konnte, er sei nicht. der einzige ',l‘iiesfiiner, der nach Wien gekommen sei, um seinen ärztlichen Rat zu suchen.

§ 545

8) Dr. S tekel selbst in einer stürmischen Generelversammlung: Wir streiten (schreiten) nun zu Punkt 4 der Tagesordnung.

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t) Ein meessor in seiner Antrittsverlesung: „Ich bin nicht geneigt (geeignet), die Venlienste meines sehr geschätzten Vorgängers zu schildern.“

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_ u) Dr. Stekel zu einer Dame, bei welcher er Basedowschc Krankheit vermutet: „Sie sind um einen Kropf (Kopf) größer als Hu‘e Schwester.“

§ 548

u) Dr. Stckel berichtet: Jemand will das Verhältnis zweier Freunde schildern, von denen einer als Jude charakterisiert werden soll. Er sagt: Sie lebten zusammen; wie Kastor und Pollak. Das war durchaus kein Witz, der Redner hatte das Versprechen selbst nicht bemerkt und wurde erst von mir darauf aufmerksam gemacht.

§ 549

zu) Gelegentlich ersetzt ein Versprechen eine ausführliche Charakteristik- Eine junge Dame, die das Regiment im Hause führt, erzählt mir von ihrem leidenden Menue, er sei beim Arzt gewesen. um ihn nachder ihm ‘zuträgliehen Diät zu befregen. Der

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Arzt habe aber gesagt, darauf käme es nicht an- '„Er kann essen und trinken, was ich will.“

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Die folgenden zwei Beispiele von Th‘- Beik (Intemetion. Zeitschr. für Psychoanalyse, H1, 1915) stammen aus Situationen, in denen sich Versprechen besonders leicht ereignen, weil in ihnen mehr zurückgehelten wird, als gesagt werden kann ‘

§ 554

ac ) Ein Herr spricht einer jungen Dame, deren Gatte kürzlich gestorben ist, sein Beileid aus und setzt hinzu: „Sie werden Trost finden, indem Sie sich völlig Ihren Kindern widwen.“ Der unterdrückte Gedanke wies auf andersartigen Trost hin: eine junge schöne Witwe wird bald neue Sexuelfreuden genießen

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9) Derselbe Herr unterhält sich mit derselben; Dame in einer Abendgesellseheft über die großen Vorbereitungen, welche in Berlin zum Osterfeste getroffen werden, und fragt: „Haben Sie heute die Auslege bei Wertheim gesehen? Sie ist ganz dekolletiert.“ Er hatte seiner Bewunderung über die Dekolletage der schönen Frau nicht laut Ausdruck gehen dürfen, und nun setzte sich der verpönte Gedanke durch, indem er die Dekoration einer Wai'enauslage in eine Dekolletage verwandelte, wobei das Wort Auslage ,nnbewußt doppelsinnig verwendet wurde.

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Dieselbe Bedingung trifft auch für eine Beobachtung zu, über welche Hanns Sachs ausführliche Rechenschaft zu ge— ben versucht:

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z) „Eine Dame erzählt mir von einem gemeinsamen Be kannten, er sei, als sie ihn das letztemal sah, so elegant angezogen gewesen wie immer, besonders habe er hervorragend schöne, braune Halbschuhe getragen. Auf meine Frage, wo sie ihn denn getroffen habe, berichtete sie: ,Er hat an meiner Haustür geläutet und. ich hab’ ihn durch die heruntergelasmnen Rouleaux gesehen Ich habe aber weder geöffnet noch sonst ein Lebenszeichen gegeben, denn ich wollte nicht, daß. er es erfährt, daß ich schon in der Stadt bin.‘ Ich denke mir beim Zuhören, daß sie mir dabei etwas verschweigt, am wahrscheinlichsten wohl.

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V. DAS VERSPRECHZEN . 79

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daß sie deswegen nicht geöffnet habe, weil sie nicht allein und nicht in der Toilette war, um Besuche zu empfangen, und frage ein wenig ironisch: ,Also durch die geschlossenen Jalousien hindurch ha.ben Sie seine Hausschuhe — seine Halbschuhe bewundern können?‘ In ,Hausschuhe‘ kommt der von der Äußerung abgehaltene Gedanke an ihr Hauskleid zum Ausdruck. Das Wort ,Halb‘ wurde anderseits wieder deswegen zu beseitigen versucht, weil gerade in diesem Worte der Kern der verpönten Antwort: ,Sie sagen mir nur die halbe Wahrheit und verschweigen, daß Sie halb angezogen waren‘ enthalten ist. Befördert wurde das Versprechen auch dadurch, daß wir unmittelbar vorher von dem Eheleben des betreffenden Herrn, von seinem ,häuslichen Glück‘ gesprochen hatten, was wohl die Verschiebung auf seine Person mitdeterminierte. Schließlich muß ich gestehen, daß vielleicht mein Neid mitgewirkt hat, wenn ich diesen eleganten Herrn in Hausschuhen auf der Straße stehen ließ; ich selbst habe mir erst vor kurzem braune Halbschuhe gekauft, die keineswegs mehr ,hervorragend schön‘ sind.“

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Kriegszeiten wie die gegenwärtigen bringen eine Reihe von Versprechen hervor, deren Verständnis wenig Schwierigkeiten macht.

§ 562

a) „Bei welcher Waffe befindet sich Ihr Herr Sohn?“ wird eine Dame gefragt. Sie antwortet: „Bei den 42er Mördern.“

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ß) Leutnant Henrik Heimen schreibt aus dem Felde*: Ich werde aus der Lektüre eines feeselnden Buches herausgerissen, um für einen Moment den Aufklärungstelephom'sten zu vertreten Auf die Leitungsprobe der Geschützstation reagiere ich mit: Kontrolle richtig, Ruhe. Reglementmäßig sollte es lauten: Kontrolle richtig, Schluß.— Meine Abweichung erklärt sich durch den Ärger über die Störung im Lesen.

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m:; Zeitschr. für anhmslyn, IV, 1916/17.

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80 V. DAS VERSPRECHEN.

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1) Das nachstehende, hervorragend schöne und durch seinen tieftraurigen Hintergrund bedeutsame Beispiel verdanke ich der Mitteilung von Dr. L. Czeszer, der während seines Aufenthaltes in der neutralen Schweiz zu Kriegszeiten diese Beobachtung gemacht und sie erschöpfend analysiert hat. Ich gebe seine Zuschrift mit unwesentlichen Auslassungen im folgenden wieder:

§ 568

„Ich gestatte mir, einen Fall von ,Versprechen‘ mitzuteilen, der Herrn Professor M. N. in 0. bei einer seiner im eben ver— flossemen Sommersemester abgehaltenen Vorträge über die Psychologie der Empfindungen unterlief. Ich muß voraussenden, daß diese Vorlesungen in der Aula. der Universität unter großem Zudra.ug der zum großen Teile aus französischen interniertcn Kriegsgefangenen und im übrigen meist aus entschieden entente— freundlich gesinnten Frenzösisch-Schweizern bestehenden Studentenschaft besteht In 0. wird, wie in Frankreich selbst, das Wort Bo c h e jetzt allgemein und ausschließlich zur Bezeichnung der Deutschen gebraucht. Bei öffentlichen Kundgebungen aber, sowie bei Vorlesungen u. dgl. bestreben sich höhere Beamte, Professoren und sonst verantwortliche Personen aus Neutralitätsgründen, das ominöse Wort zu vermeiden

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Professor N. nun war gerade im Zuge, die praktische Bedeutung der Affekte zu besprechen, und beabsichtigte, ein Bei— spiel zu zitieren für die zielbewußte Ausbeutung eines Affekts um eine an sich uninteressente Muskelarbeit mit. Lustgefühlen zu laden und so intensiver zu gestalten. Er erzählte also, natürlich in französischer Sprache, die gerade damals von hiesigen Blättern aus einem alldeutschen Blatte abgedruckte Geschichte von einem deutschen Schulmeister, der seine Schüler im Garten arbeiten ließ und, um sie zu intensiver-er Arbeit anzufeucrn, sie aufforderte, sich vorzustellen, daß sie statt jeder Erdscholle einen französischen Schädel einschlügen. Beim Vortrag seiner Ge

§ 570

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schichte sagte N. natürlich jedes‘mal, wo von Deutschen die Rede war, ganz korrekt Allemend und nicht Roche. Doch als' es zur Pointe der Geschichte kam, trug er die Worte des Schulmeisters folgenderweise vor: Imaginez vous, qn’en ehaque moelie vous écrasez lo crä„ne d’un Fra.nqais. Also statt motte —— m'ochel

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Sieht man da. nicht förmlich, wie der korrekte Gelehrte vom Anfang der Erzählung sich zusammennimmt, um ja. nicht der Gewohnheit und vielleicht auch der Versuchung nach'zugehen und das sogar durch einen Bundeserlaß ausdrücklich verpönte Wort von dem Kathéder der Universitäteaula fallen zu lassen! Und gerade im Augenblick, wo er glücklich das letztemal ganz korrekt ,instititeur allemand‘ gesagt hat und innerlich eufatmend zum unverfä.nglichen Schlusse eilt, klammert sich die mühsam zurückgedrä.ngte Vokahel an den Gleichklang des Wortes nette und — das Unheil ist geschehen. Die Angst vor der ‘p_ölitischen Taktlosigkeit, vielleicht eine zurückgedrängbe Lust, das gewohnte nnd von allen erwartete Wort doch zu gebrauchen, sowie der Unwillen des geborenen Biepublilieners und Demokrefen gegen jeden Zwang in der freien Meümngsäu.ßerung inferferieren mit der auf die korrekte Wiedergabe des Beispiels gerichteten Hauptabsiclit. Die interferierende Tendenz ist dem‘ Redner bekannt und er hat, wie nicht anders anzunehmen ist, unmittelbar -'vor dem Versprechen an sie gedacht.

§ 574

Sein Versprechen hat Professor N. nicht hcmerkt, wenigstens hat. er es nicht verbessert, was man doch meist geradezu automatisch tut. Dagegen wurde der Lapsus von der meist französischen Zuhörer-Schaft mit wahrer Genugtuung aufgenommen und wirkte vollkom'men' wie ein beabsichtigter Wortwitz. Ich aber folgte diesem anscheinend harmlosen Vorgang mit wahrer innei'er Erregung. Denn wenn ‘idh‘ mir auch aus nnheliegendefl Géründen Versagen mußte, dem Profisäor “die sich nach psych0a,nalyfiselier

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Fund, Plynhnpnthalogie am Alltlphlnnl. vr, Aufl. 6

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82 V. DAS VERSPRECHEN.

§ 578

Methode aufdrängenden Fragen zu stellen, so war doch dieses Versprechen für mich ein schlagender Beweis für die Richtigkeit Ihrer Lehre von der Determjnjerung der Fehlhandlungen und den tiefen Analogien und Zusammenhängen zwischen dem Versprechen und dem Witz.“

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6) Auf ein ganz besonders lehneichcs Beispiel von Versprechen möchte ich nicht verzichten, obwohl es sich nach Angabe meines Gewährsma.nnes vor etwa 20 Jahren zugetragen hat„Eine Dame äußerte einmal in einer Gesellschaft —— man hört es den Worten an, daß sie im Eifer und unter dem Drucke allerlei geheimer Regungen zu stande gekommen sind: Ja., eine Frau muß schön sein, wenn sie den Männern gefallen soll. Da hat es ein Mann viel besser; wenn er nur seine f ün f geraden Glieder hat, mehr braucht er nicht! Dieses Beispiel gestattet uns einen guten Einblick in den intim'en Mechanismus eines Versprechens durch Verdichtung oder einer Kontamination (vgl. S. 59). Es liegt nahe, anzunehmen, daß hier zwei sinnähnliche Redeweisen‘ verschmelzen sind:

§ 580

wenn er seine vier geraden Glieder hat

§ 581

wenn er seine f ü n f Sin n e beisa.mmen hat. Oder aber das Element ger a d e ist das Gemeinsame zweier Redeintentionen gewesen, die gelautet haben:

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wenn er nur seine geraden Glieder hat

§ 583

alle fünf gerade sein lassen Es hindert uns auch nichts anzunehmen, daß beide Redensarten, die von den fünf Sinnen und die von den geraden fünf mitgewirkt haben, um in den Satz von den geraden Gliedern zunächst eine Zahl und dann die geheimsinnige fünf anstatt der simpeln vier einzuführen. Diese Verschmelzung wäre aber gewiß nicht erfolgt, wenn sie nicht in der als Versprechen resultierenden

§ 584

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V. DAS VERSPRECHEN. 83

§ 586

Form einen eigenen guten Sinn hätte, den einer zynisichlen !Wahrheil;7 wie sie von einer Freu allerdings nicht ohne Bemäntelung bekannt werden darf. — Endlich wollen wir nicht versäumen, aufmerksam zu machen-, daß die Rede der Dame ihrem Wortlaut nach ebensowohl einen vortrcfflichen Witz wie ein lustiges Versprechen bedeuten kann. Es hängt nur davon ab, ob sie diese Worte mit bewußter Absicht oder —- mit unhewußter Absicht gesprochen hat Das Benehmen der Rednerin in unserem Falle widerlegte. allerdings die bewnßie Absicht und schloß den Witz aus.“ ' ’ . \ ' ‘ "

§ 587

Die Annäherung eines Versprechens an einen Witz kann so weit gehen wie in dem von O. Rank mitgeteilten Falle, in dem die Urheberin des Versprechens es schließlich selbst. als Witz belecht (Internet. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913):

§ 588

€) „Ein jung verheirateter Ehemann, dem seine um ihr mädchenhaftes Aussehen besorgte Frau den häufigen Geschlechtsverkehr nur ungern gestattet, erzählt mir folgende, nachträglich auch ihn und seine Frau höchst belustigende Geschichte: Nach einer N acht;7 in welcher er das Abstinenzg-ebot seiner Frau wieder einmal übertretcn hat, rasiert er sich morgens in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und benützt dabei — wie schon öfter aus Bequemlichkeit — die auf dein Nachtkästchen liegende Puderqua.ste seiner noch mhenden Gattin. Die um ihren Teint äußerst besorgte Dame hatte ihm auch dies schon mehrmals verwiesen und ruft ihm darum geärgert zu: ,Du puderst mich ja schon wieder mit deiner Queste!‘ Durch des Mannes Gelächter auf ihr Vers ersprechen aufmerksam geniecht (sie wollte sagen: du puderst dich schon wieder mit meiner Q1iEtoT), lacht sie schließlich bolustigt mit (,pudemi‘ ist ein jedem Wiener g‘eläufig—er Ausdruck für koitieren, die Quaste als p_hallischcs Symbol kaum 7&v01felhnfi) “

§ 589

ß.

§ 590

§ 591

84 V. DAS vnnsrnncnnn.

§ 592

r,) Ich reihe hier einen anderen Fall von Versprechen an, deesen Deutung wenig Kunst erfordert. „Der Professor be— müht sich in der Anatomie um die Erklärung der Nasenhöhle, einen bekanntlich sehr schwierigen Abschnittcs der Eingeweidelehre. Auf seine Frage, ob die Hörer seine Ausführungen erfaßt hatten, wird ein allgemeines ,Ja‘ vernehmlich. Darauf bemerkt der bekannt selbstbewußte Professor: ,Ich glaube kaum, den: die Leute, welche die Nasenhöhle verstehen, kann man selbst in einer Millionenstadt wie Wien an einem Finger, pa.rdon, an den Fingern einer Hand wollte ich sagen, abzählen-“

§ 593

L) Demele Anetom ein andermal: „Beim weiblichen Genitale hat man trotz vieler Versuchungen — pardon, Vers u c h e. . .“

§ 594

x) Herrn Dr. Alf. Robitsek in Wien verdanke ich den Hinweis auf zwei von einem altfranzösischen Autor bemerkte Fälle von Versprechen, die ich unübersetzt wiedergeben werde.

§ 595

Br ant6me (1527—1614) Vies des Demes galentes, Discours second: „Si a.y—je cogneu une trés belle et libn.neste deme de par le monde, qui, devisa,nt avec un honneste gentilhomme de le cour des affaires de la, guerre durant ces civiles, elle luy dit: ,J ’ay euy dire que le ray & faiet rompre tous les e. .. de ce pays lä. Elle vouloit dire les ponts. Pensez que, venant de eoucher d’avec son mery, ou songeant äson amant, elle zweit eneor ce nem fra.is en„la. bouche; et le gentilhomme s’en esehauffer en amours d’elle pour ce met!“

§ 596

„Une autre dame que j'ai eogneue, entretenant une autre grand deine plus qu’elle, et luy louant et exaltant ses beentez„ elle luy dit aprés: ,Non, mada.me, ce que je vous en dis, oe n’est point pour vous adultérer; voulent dire adulater, comme elle le rhabilla. ainsi: pensez qu’elle songeoit & adultérer.‘ “

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V. DAS VEBSPRECHEN. 85

§ 599

Bei dem psychutherapeutischen Verfahren, dessen ich mich zur Auflösung und Beseitigung neumtiseher Symptome bediene, ist sehr häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vor— gebrachten Reden und Einfällen des Patienten einen Gedankeninhalt aufzuspüren, der zwar sich zu verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich in mannigfeltigster Weise unabsichtlicli zu verraten. Dabei leistet oft das Versprechen die wertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugendeben und anderseits sonderbarsben Beispielen dertun könnte. Die Patienten sprechen z. B. von ihrer Tante und nennen sie konsequent, ohne das Versprechen zu merken, „meine Mutter“, oder bezeichnen ihren Mann als iluen „Bruder-“. Sie machen mich auf diese Weise aufmerksam, daß sie diese Personen miteinander „identifiziert“, in eine Reihe gebracht haben, welche für ihr Gefühlsleben die Wiederkehr desselben Typus bedeutet. Oder: ein; junger Mann von 20 Jahren stellt sich mir in der Sprechstunde niit den Worten vor: Ich bin der Vater des N. N., den sie behandelt haben. — Pardon, ich Will sagen, der Bruder; er ist ja. um vier J a.h.re älter als ich. Ich verstehe, daß er durch dieses Versprechen ausdrücken Will, daß er wie der Bruder durch die Schuld des Vaters erkrankt sei, wie der Bruder Heilung verlange, daß aber der Vater derjenige ist, demdie Heilung am dringlichsten Wäre. Andere Male reicht eine ungewöhnlich klingende Wortfügung’, eine gezwungen erscheinende Ausdrucksweise hin, um den Anteil eines verdrängüen Gedankens an der anders motivierten Rede des Patienten aufzudecke‘n.

§ 600

In groben wie in solchen feinemn Redestörungen, die sich eben noch dem „Versprechen“ subsumieren lassen, finde ich also nicht den Einfluß von Kontaktwirkungen der Laute, sondern den von Gedanken außerhalb der Redeintention maßgebend für die Entstehung des Versprechena und hinreichend zur Aufhellnng des

§ 601

§ 602

85 V. DAS VERSPRECHEN.

§ 603

zu stunde gekommenen Spmchfehlers. Die Gesetze, nach denen die Leute verändernd aufeinander einwirken, möchte ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam genug, um für sicli allein die korrekte Ausführung dcr Rede zu stören. In den Fällen, die ich genauer studiert und durchschaut habe, stellen sie bloß den vorgebildeben Mechanismus dar, dessen sich ein ferner gelegenm psychisches Motiv bequelilcrweise bedient, ohne sich aber an den Machthereich dieser Beziehungen zu binden. In einer großen Reihe von Substitutionen wird beim Versprechen von solchen Lautgcsetzen völlig abgesehen. Ich befinde mich hiebei in voller Übereinstimmung mit. Wundt, der gleichfalls die Bedingungen des Versprechens als zusammengesetzte und weit über die Kontakt» wirk'lmgen der Laute hinausgehende vermutet

§ 604

Wenn ich diese „entfernteren psychischen Einflüsse“ nach Wundts Ausdruck für gesichert halte, so weiß ich anderseits von keiner Abhaltung, um auch zuzugeben, daß bei beschleu nigter Rede und einigermaßen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedinglmgen für; Versprechen sich leicht auf das von Merin ger und Mayer bestimmte Maß einschränken können. Bei einem Teile der von diesen Autoren gesammelten Beispiele ist wohl eine komplizierten Auflösung wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin angeführten Fall heraus:

§ 605

Es war mir auf der Schwest . 4 . Brust so schwer.

§ 606

‘Gehi; es hier wohl so einfach zu, daß das schwe das gleichwertige Bru als Vorkla.ng verdrängt? Es ist kaum abzuweisem daß die, Laube schwc außerdem durch eine besondere Relation zu dieser Vordringlichkeit befähigt werden. Diese könnte dann keine andere sein als die Assoziation: Schwester —— Bruder,

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§ 608

v. DAS vnasmcnnui 87

§ 609

etwa. noch: Brust der Schwester, die zu_anderen Gedankenkreisen hinüberleitet. Dieser hinter der Szene unsichtbare Helfer verleiht dem sonst harmlosen schwe die Macht, deren Erfolg sich als Sprechfehler äußert

§ 610

Für anderes Ver$preehen läßt sich annehmen, daß der Anklang an obszöne Worte und Bedeutungen das eigentlich Stö— rende ist Die absichtliche Entetellung und Verzerrung der Worte und Redensarten, die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts anderes, als beim harmlosen Anlaß» an das \'erpönte zu mahnen, und diese Spielerei ist. so häufig, daß es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch unabsiehtlich und wider Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie: Eiseheißweibchen für Eiweißseheibchen, Apopos Fritz für Apropos, Loknskapitäl für Lotuskapitä,l usw., vielleicht noch die Alabiisterbaehse (Alabasterbüchse) der hl. Magdalena gehömn wohl in (ließe Kategoriefi — „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßenfi‘ ist kaum etwas anderes als eine unabsichtliche Parodie als Nachklang‘ einer beabsichtigten. Wenn ich der Chef wäre, in dessen Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus beigetragen hätte, würde ich wohl daran denken, wie klug die Römer gehandelt haben, als sie den Soldaten des triunr phierenden Imperators gestatteten, den inneren Einspruch gegen den Gefeierten in Spottliederndsut zu äußern. — Merin ger erzählt von sich selbst, daß er zu einer Person, die als die‘äl’veste der Gesellschaft mit dem vertraulichen Ehmnnamen „Senexl“ oder „altes Senexl“ angesprochen wurde, einmal gesagt habe: „Prost, Sonex altesl!“ Er ersclu‘ak selbst über diesen Fehler (S. 50}. Wir können uns vielleicht seinen Affekt deuten, wenn

§ 611

* Bei einer meiner Pebientinnen setzte sich das Versprechen als Symptom so lange fort, bis ed 'amf den Kinderstreich, das Wort ruinieren durch nrinieren zu emhien, zurückgeführt war. ‘

§ 612

§ 613

88 v. DASW'EBHPBECHEN.

§ 614

wir daran mahnen, wie nahe „A ltes 1“ an den Schimpf „alter Esel“ kommt. Auf die Verletzung der Ehrfurcht_ vor dem Alter (cl,i., auf die Kindheit reduziert: vor dem Vater) sind große innere Strafen gesetzt.

§ 615

Ich hoffe, die Leser werden den VVertuntemchied dieser Deutungen, die sich durch nichts beweisen lassen, und der Beispiele, die ich selbst gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht vernachlässigen. Wenn ich aber im stillen immer noch an der Erwartung festhalta, auch die scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf Störung durch eine halb unterdrückte Idee außerhalb des intendierten Zusammen ' han-ges zurücliführen lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beechtenswerte Bemerkung von Mcri nger. Dieser Autor sagt, es ist merkwürdig, daß niemand sich versprochen haben will. Es gibt sehr gescheite und ehrliche Menschen, welche beleidigt sind, wenn man ihnen sagt, sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich nicht, diese Behauptung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das „niemen “ von Meri n ger hingestellt wird. Die Spur Al'fekt aber, die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur des Schämens ist, hat ihre Bedeutung. Sie ist gleichzusetzen dem Ärger, wenn wir einen vergessenen Namen nicht erinnern, und der Verwunclerung über die Haltbarkeit einer scheinbar belanglosen Erinnerung und weist allemal auf die Beteiligung eines Motive am Zustandekommen der Störung hin.

§ 616

Das Vexdnehen von Namen entspricht einer Schmähung; wenn es absichtlich g%chieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen, wo es als unabsiehtliches Versprechen auftritt, die— selbe Bedeutung haben Jene Person, die nach Mayers Beliebt einmal „Freuder“ sagte anstatt Freud, weil sie kurz darauf den Namen „B reuer“ verbrachte (S. 38), ein andermal von einer

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§ 618

V,DAS vnnspsncnnn. 89

§ 619

Freuer—Breudsch'en Methode (S. 28) sprach, war wohl ein Fachgenosse und von. dieser Methode nicht sonderlich entzückt. Einen gewiß nicht anders aufzuklärenden Fall von Namenentsi;eb lung werde ich weiter unten beim Verschreibeu mitbeilen‘

§ 620

In diesen Fällen mengt sich als störendcs Moment eine Kritik ein, welche beiseite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem Zeitpunkte der Intention d(ß Redners nicht entspricht.

§ 621

Umgekehrt muß die Namenersetzung, die Aneignung des fremden N amens, die Identifizierung mittels des Nsmenversprechens, eine Anerkennung bedeuten, die im Augenblick aus irgend welchen Gründen imHintergmnde verbleiben soll. Ein Erlebnis dieser Art erzählt S. Ferenczi aus seinen Schuljahren:

§ 622

* Man kann auch bemerken, daß gerade Arisbokmben besonders häufig die Namen von Arzbeu, die sie konsultich haben, entsbellen, und darf daraus schließen, daß sie dieselben innerlich gering schätzen, trotz der Höflichkeit, mit welcher sie ihnen zu begegnen pflegen. —— Ich zitiere hier einige treffende Bemerkungen über das Namenvergessen aus der englischen Barbeitung unseres Themas durch Prof. E. Jones in Toronto (The Psychopathology of Everyday Life in American J. of Psychology Oct. 1911):

§ 623

„Wenige Leute können sich einer Anwandlung von Ärger erwehren, wenn sie finden, daß man ihren Namen vergessen hat, besonders dann, wenn sie von der betreffenden Person gehoifh oder erwartet hatten, sie würde den Namen behalten haben. Sie sagen sich sofort ohne Überlegung, daß die Person den Namen. nicht vergessen hätte, wenn man einen stärkeren Eindruck bei ihr hinterlassen hätte; denn der Name ist ein wesentlicher Bes&ndbeil der Persönlichkeit. Anderseifis gibt es wenig Dinge, die schmeichelhafter empfunden werden, als wenn man von einer hohen Yemsönlichkeib, wo man es nicht. erwartet hätte, mit seinem Namen a.ngeredet wird. Napoleon, ein Meister in der Kunst, Menschen zu behandeln, gab während des unglücklichen Feldzuges von 1814 eine erstaunliche Probe seines Gedächtnisses naeh dieser Richtung Als er sich in einer Stadt bei Graonne befand, erinnerte er sich, daß er deren Bürgermeister De

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§ 625

‘90 . V. DAS VERS'PRECHEN.

§ 626

„In der ersten Gymnasielklasse habe ich (zum erstenmal in meinem Leben) öffentlich (d.h. vor der ganzen Klasse) ein Gedicht rezitiercn müssen. Ich war gut vorbereitet. und war be stürzt, gleich beim Beginne durch eine Laclrsalve gestört zu werden. Der Professor erklärte mir dann diesen sondcrbaron Empfang: ich sagte nämlich den Titel des Gedicth ,Aus der Ferne) ganz richtig, nannte aber als Autor nicht den wirklichen Dichter, sondern —— mich selber. Der Name des Dichters ist Alexander (Sändot) Petöfi. Die Gleichheit des Vornamens mit meinem eigenen begünstigte die Verwechslung; die eigentliche Ursache derselben aber war sicherlich die, daß ich mich damals in meinen geheimen Wünschen mit dem gefeierten Dichter

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Bussy etwa. zwanzig Jahre vorher in einem bestimmten Regiment kennen gelernt. hatte; die Folge war, daß der entziickte De Bussy sich seinem Dienst mit schra.nkenloser Hingebung widmete. Dementsprechend gibt es auch kein verläßlicheres Mitte], einen Menschen zu beleidigen, als indem man so hat, als habe man seinen Namen vergessen; man drückt damit aus, die Person sei einem so gleichgültig, daß man sich nicht die Mühe zu nehmen brauche, sich ihren Namen zu merken. Dieser Kunstgriff spielt. auch in der Literatur eine gewisse Rolle So heißt es in Turgenjews ,Ra-uch‘ einmal: ,Sie finden Baden noch immer amiisa.nt, Herr — Lit— vinov’l‘ Batmirov pflegte Libvinovs Namen immer zögerncl auszusprechen, als ob er sich erst. auf ihn besinnen müßte. Dadurch, wie durch die hochmiit.ige Art, wie er seinen Hut heim Gruß lüftete, wollte er Litvinov in seinem Shake hinken.“ An einer anderen Stelle in „Väter und Söhne“ schreibt der Dichter: „Der Gouverneur lud Kirsanov und Bezarov zum Balls ein und wiederholte diese Einladung einige Minuten später, wobei er sie als Brüder zu betraßhten schien und Kisa.rav ansprach.“ Hier ergibt das Vergessen der früheren Einladung, die Irrung in den Namen und die Unfähigkeit, die beiden jungen Männer auseinander zu halten, geradezu eine Häufung von krä.nkenden Momenten. Namenentstellung hat dieselbe Bedeutung wie Nmenvergessen, es ist ein erster Schritt gegen das Ver

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gessen hin.

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v. DAS VERSPRECH'EN. 91

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helden‘ identifizierte. Ich liegfie für ihn auch bewußt eine an Anbetung grenzende Liebe und Hochechtung. Natürlich steckt auch der ganze leidige Ambitionskomplex hinter dieser Fehlleistung.“

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Eine ähnliche Identifizierung mittels des verlauschten Ne» mens wurde mir von einem jungen Arzt berichtet, der sich zag' haft und vcr‘ehmngsvoll dem berühmicn Virchow mit den W erben vorstellte: Dr. Virchow. Der Professor wendete sich erstaunt zu ihm und fragte: Ah, heißen Sie auch Virchow? Ich weiß nicht, wie der junge Ehrgeizige das Versprechen rechtfertigte, ob er die anmutende Ausrede fand, er sei sich so klein neben dem großen Namen vorgekominen, daß ihm sein eigener entschwinden mußte, oder ob er den Mut hatte zu gestehen, er hoffe auch noch einmal ein so großer Mann wie Virchow zu werden, der Herr Geheimret möge ihn darum nicht so gering schätzig behandeln. Einer dieser beiden Gedenken — oder vieL leicht_ gleichzeitig beide — mag den jungen Mann bei seiner Vorstellung in Verwirrung gebracht haben.

§ 633

Aus höchst persönlichen Motiven muß ich es in der Schwebe lassen, ob eine ähnliche Deutung auch auf den nun anzuführenden F all anwendbar ist. Auf dem internationalen Kongreß in Alu—_ sterdam 1907 war die, von mir vertretene Hysterielehre Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Einer meiner energisehesten Gegner soll sich in seiner Brandrede gegen mich wiederholt in der Weise versprochen haben, daß er sich an meine Stelle setzte und in meinem Namen sprach. Er sagte z. B.: Breuer und ich haben bekanntlich nachgewiesen, während er nur zu sagen beabsichtigen k0nnte: Breuer und Freud- Der Name dieses Gegners zeigt nicht die leise—ste Klangähnlichkeit mit dem mei. lügen. Wir werden durch dieses Beispiel Wie durch Viele andere Fälle von Namenvertausclinixg beim Versprechen daran gemahnt, '

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92 , V. ms vnnsrnncnnn.

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daß das Versprechen jener Erleichterung, die ihm der Gleichklang gewährt, völlig entbehren und sich nur auf verdeckte inhaltliche Beziehungen gestützt durchsetzen kann.

§ 637

In anderen und weit bedeutsameren Fällen ist es Selbstkritik, innerer Widerspruch gegen die eigene Äußerung, was zum Versprechen, ja. zum Ersatz des Intendierfen durch seinen Gegensatz nötigt. Man merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung die Absicht derselben aufhebt, und wie der Sprechfehler die innere Unaufrichtigkeit bloßgvelegt hat *. Das Versprechen wird hier zu einem mimischen Ausdrucksmittel, freilich oftmals für den Ausdruckydessen, was man nicht, sagen wollte, zu einem Mittel des Selbstverrates. So z.B. wenn ein Mann, der in seinen Beziehungen zum Weihe den sogenanan normalen Verkehr nicht bevorzugt, in ein Gespräch über ein für kokett erklärtes Mädchen mit. den Worten einfällt: Im Umgang mit mir Würde sie sich das Ko ötti eren schon abgewöhnen Kein Zweifel, daß es nur das andere “Wort koitieren sein-kann, dessen Einwirkung auf des intendierte kokettieren SOlChe Abänderung zuzuschreiben ist,

§ 638

Die zufällige Gunst des Sprechmeterials läßt oft Beispiele von Versprechen entstehen, denen die geradezu niederschmet— ternde Wirkung einer Enthüllung oder der volle komische Effekt eines Witzes zukommt.

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So in nachstehendem von Dr. Reitler beobachteten und mitgeteilten Falle:

§ 640

„,Diesen‘ neuen, reizenden Hut haben Sie wohl sich selbst eufgeputzt?‘ sagte eine Dame in bewundemdem Tone zu einer

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enden-n.“

§ 642

* Durch solches Versprechen brandmurkt n B. Ahlengruber im „G‘wissenswurm" den heuchlerischen Erbschleieher.

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v. DAS VERSPRECH'EN. 93

§ 645

„Die Fortsetzung des beabsichtigten Lobes mußte nunmehr unterhleiben; denn die im stillen geübte Kritik, der Hutaufputz sei eine ,Patzerei‘, hatte sich denn doch viel zu deutlich in dem unliebsamen Versprechen geäußert, als daß irgend welche Phrasen konventioneller Bewunderung noch glaubwürdig erschienen Wären.“

§ 646

Oder in folgendem von Dr. Max Graf erlebten Beispiel:

§ 647

„In der Generalversammlung des Journalistenvereines ,Concordia‘ hält ein junges, stets geldbedürftiges Mitglied eine hef— tige Oppositionsrede und sagt in seiner Erregung: ,Die Herren V o r s e h u 13 mitglieder‘ (anstatt Vo r stands oder Aus 5 c h u B— mitglieder). Diesean haben das Recht, Darlehen zu bewilligen, und auch der junge Redner hat ein Darlehensgesuch einge— bracht.“

§ 648

Das nachstehende Beispiel zeigt einen ernsthaften Fall von Selbstverrat durch Versprechen. Einige Nebenumstände berechtigen seine vollständige Wiedergabe aus der Mitteilung von A. A. Brill im Zentralblatt für Psychoanalyse, H- J ahrga, 1 ”"

§ 649

„Eines Abends gingen Dr. Frink und ich spazieren und besprechen einige Angelegenheiten der New Yorker Psychoanalytischen Gesellschaft. Wir hegeg-neten einem Kollegen, Herrn Dr. R., den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, und von dessen Privatleben ich nichts wußte. — Wir freuten uns sehr, uns wieder zu treffen, und gingen auf meine Aufforderung in ein Kaffeehaus, wo wir uns zwei Stunden lang angeregt unterhielten. Er schien von mir Näheres zu Wissen, denn nach der gewöhnlichen Begrüßiuig erkundigte er sich mich meinem kleinen Kinda und erklärte mir, daß er von Zeit. zu Zeit über mich von einem gemeinsamen Freunde höre und sich für meine Tätigkeit inter

§ 650

* Im Zentmlbl. für Psych. irrtümlieherwei>ie E, Jones zugeschrieben.

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94 ‘ v. DAS vnnsrnncnns.

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essiere. nachdem er darüber in den medizinischen Zeitschriften gelesen hatte. — Auf meine Frage, oh er verheirabet sei, gab er eine verncinende Auskunfü und fügte hinzu: ,Wozu soll ein Mensch wie ich heiraten?“

§ 654

„Beim Verlassen des Kaffeehauses wandte er sich plötzlich an mich: ,Ich möchte wissen, was Sie in folgendem Falle tun würden: Ich kenne eine Krankenpflegerin, die als Mitschuldige in einen Eheschcidungsprozeß verwickelt war. Die Ehefrau klagte ihren Mann auf Scheidung und bezeichnete die Pflegerin als Mitschuldige und er bekam die Scheidung*.‘ — Ich unterbrach ihn: ,Sie Wollen sagen, sie bekam die Scheidung.‘ — Er verbesserte sofort: ,Natürlich, sie bekam die Scheidung,‘ und erzählte weiter, daß» die Pflegerin sich derart über den Prozeß und Skandal aufgeregt habe, daß sie zu trinken begann, schwer nervös wurde usw., und fragte mich um meinen Rat, wie er sie behandeln solle.“

§ 655

„Sobald ich den Fehler korrigiert hatte, hat ich ihn, ihn zu erklären, aber ich bekam die gewöhnlichen erstaunten Antworten: ob es nicht eines jeden Menschen gutes Recht sei, sich zu versprechen, daß das nur ein Zufall sei, nichts dahinter zu suchen sei usw. Ich erwiderte, daß, jecles Fehlspreehen begründet sein müsse, und daß ich versucht Wäre zu glauben, daß er selbst der Held der Geschichte sei, wenn er mir nicht früher mitgeteilt hätte, daß er unvermählt sei, denn dann wäre das Versprechen durch den 'Wunsch erklärt, seine Frau und nicht er hätte den Prozeß verlieren sollen, damit er nicht (nach unserem Eherecht) Alimente zu zahlen brauche und in der Stadt New York Wieder heiraten könne. Er lehnte meine Vermutung hartnäckig ab, he

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* „Nach unseren Gesetzen wird die Ehescheidung nur ausgesprochen, ’ wenn bewiesen wird, daß der eine Teil die Ehe. gebrochen hab, und zwar wird die Scheidung nur dem betrogenen Teile bewilligt,“

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V. DAS VEREPEECHEN. 95

§ 659

stärktc sie aber gleichzeitig durch eine übertriebene Affcktreaktion, deutliche Zeichen von Erregung und danach Gelächter. Auf meinen Appell, die Wahrheit im Interesse der wissenschaftlichen Klarstellung zu sagen, bekam ich die Antwort: ,Wenn Sie nicht eine Lüge hören wollen, müssen Sie an mein Junggeeellentum glauben, und daher ist. Ihre psychoanalytische Er— klärung durchaus falsch-‘ — Er fügte noch hinzu, daß solch ein Mensch, der jede Kleinigkeit beachte, direkt gefährlich sei. Plötzlich fiel ihm ein anderes Rendezvous ein, und er verabschiedete sich.“ '

§ 660

„Wir beide, Dr. Frink und ich, waren dennoch von meiner Auflösung eeines Versprechen; überzeugt, und ich besehloß, durch Erkundigung den Beweis oder Gegenbeweis zu erhalten. — Einige Tage später besuchte ich einen Nachbar, einen alten Freund des Dr- R., der mir vollinhaltlich meine Erklärung bestätigen konnte. Der Prozeß hatte vor wenigen Wochen stattgefunden und die Pfleger-in war als Mitschuldige vorgeladen werden. — Dr. R. ist jetzt von der Richtigkeit der Freudschen Mechanismen fest überzeugt.“

§ 661

Der Selbstverrat ist ebenso unzweifelliaft in folgendem von 0. Bank mitgeteilten Falle:

§ 662

„Ein Vater, der keinerlei patriotieches Gefühl besitzt und seine Kinder auch von diesem ihm überflüssig erscheinenden Empfinden frei erziehen will, tadelt seine Söhne wegen ihrer Teilnahme an einer patriotischen Kundgebung und weist ihre Berufung auf das gleiche Verhalten des Onkels mit den Worten zurück: ,Gera,de dem sollt ihr nicht nacheifern; der ist ja ein I die t.‘ Das über diesen ungewohnten Ton des Vaters erstaunte Gesicht der Kinder macht ihn aufmerksam, daß er sich versprochen habe, und entschuldigend bemerkt eri Ich wollte natür— lich sagen: P atrio t.“

§ 663

§ 664

' 96 V. DAS VERSPRECHEN.

§ 665

Als Selbstverrat wird auch von der Partnerin des Gesprächs ein Versprechen gedeutet, das J. Stärcke (l. e.) berichtet, und zu dem er eine treffende, wenn auch die Aufgabe der Deutung überechrei‘rende Bemerkung hinzufügt.

§ 666

„Eine Zahnärztin hatte mit ihrer Schwester verabredet, daß sie bei ihr einmal nachsehen würde, ob sie zwischen zwei Beckenzähn'en wohl Kontakt hätte (d. h. ob die Backenzähne mit ihren Seitenflächen einander berühren, so daß keine N ahrungsreste dazwischen bleiben können). Ihre Schwester beklagte' sich jetzt dariiber, daß sie auf diese Untersuchung so lange warten mußte, und sagte im Schene: ,Jetzt behandelt sie wohl eine Kollegin, aber ihre Schwester muß noch immer warten.‘ — Die Zahnärztin untersucht sie jetzt, findet wirklich ein kleines Loch in dem einen Backenzahn, und sagt: ,Ich dachte nicht, daß es so schlimm war; ich dachte, daß du nur kein Kontant hättest. . .. kein Kontakt hättest.‘ — ,Siehst du. wohl,‘ rief ihre Schwester lachend, ,daß es nur wegen deiner Habsucht ist, daß du mich soviel länger warten läßt als deine zahlenden Pa tienten?!‘ “ —

§ 667

„(Ich darf selbstverstä.ndlich meine eigenen Einfä,lle nicht den ihrig-en hinzufügen oder daraus Schlüsse ziehen, aber beim Vernehmen dieser Versprechung ging mein Gedankengang sofort dahin, daß diese zwei lieben und geistreichen jungen Frauen unverheiratet sind und auch sehr wenig mit jungen Männern umgehen“, und ich fragte mich selbst, ob' sie mehr Kontakt mit jungen Leuten haben würden, wenn sie mehr Kontant hatten,)“

§ 668

Den "Wert eines Selbstverra.tes hat auch nachstehendes, von Th. Reik (l. c.) mitgeteiltes Versprechen:

§ 669

„Ein junges Mädchen sollte einem ihr unsympathischen jungen Manne verloht werden Um die beiden jungen Leute ein. ander näherzuhringen. verabredeten deren Eltern eine Zusammen

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§ 671

V . DAS:VERSPREOHEN, 97

§ 672

kunt't, der auch Braut und Bräutigam in spe beiwohnten. Das junge Mädchen besaß Selbstüberwindung genug, ihren Freier, der sich sehr gelunt gegen sie benahin, ihre Abneigung nicht merken zu lassen. Doch auf die Frage ihrer Mutter, wie ihr der junge Mann gefiele, antwortete sie höflich: ,Gut, Er ist. sehr liebenswidrigl‘“

§ 673

Nicht minder aber ein anderes, das 0. Rank (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse) als „witziges Versprechen“ beschreibt.

§ 674

„Einer verheirateten Frau, die gern Anekdoten hört und von der man behauptet, daß sie auch eußerehelichen \Verbungen nicht abhold sei, wenn sie durch entsprechende Geschenke unter stützt werden, erzählt ein junger Mann, der sich auch um ihre Gunst bewirbt, nicht ohne Absicht folgende altbekannte Ge schichte. Von zwei Geschäftsfreunden bemüht sich der eine um die Gunst der etwas spröden Frau seines Kompag'nons; schließ lich will sie ihm diese gegen ein Geschenk von 1000 Gulden gewähren. Als nun ihr Mann verreisen Will, borgt sich sein Kompegnon von ihm 1000 Gulden aus und verspricht, sie noch am nächsten Tage seiner Frau zurückzustellen. Natürlich gibt er denn diesen Betrag als vermeintlichen Liebeslohn der Frau, die sich schließlich noch entdeckt glaubt, als ihr zurückgekehrter Mann die 1000 Gulden verlangt, und zum Schaden noch den Schimpf hat. —— Als der junge Mann- in der Erzählung dieser Geschichte bei der Stelle angelangt war, wo der Ver-führer zum Kampagnen sagt: ,Ich werde das Geld morgen deiner Frau z u rü ckgeben‘, unterbrach ihn seine Zuhörerin mit den vielsngenden Worten: ,Sagen Sie, haben Sie mir das nicht schon — i urü c kgegeben? Ah, pardon, ich wollte sagen —- erzählt? —— Sie könnte ihm Bereitwilligkeit, sich unter denselben Bedingungen hinzugeben, kaum deutlicher ’kundgeben, ohne sie direkt euszusprechen’.“

§ 675

Freud, Plyclmpnthnlugie m nur-„um.. VI.-Aufl. '!

§ 676

§ 677

98 v. ms vnnsrnncnnn.

§ 678

Einen schönen Fall von solchem Selbstverrat mit harmlosem Ausgang berichtet V. Tausk (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, IV, 1916) unter nachstehendem Titel:

§ 679

„Der Glauben der Väter.“

§ 680

„Da meine Braut Christin war“, erzählte Herr A„ „und nicht zum Judentum übertreten wollte, mußte ich selbst vom Judentum zum Christentum überthn, um heiraten zu können. Ich wechselte die Konfession nicht ohne inneren Widerstand, aber das Ziel schien mir den Konfessionswechsel zu rechtfertigen und dies um so eher, als ich nur eine äußere Zugehörigkeit zum Judentum, keine religiöse Überzeugung, da ich eine solche nicht besaß, abzulegen hatte. Ich habe mich trotzdem später immer zum Judentum bekannt, und wenige meiner Bekannten wissen, daß ich getauft bin.

§ 681

Aus dieser Ehe entstammten zwei Söhne, die christlich getauft wurden. Als die Knaben entsprechend herangewachsen waren, erfuhren sie von ihrer jüdischen Abstammung, damit sie sich nicht, durch antisemitische Einflüsse der Schule bestimmt, aus diesem überflüssigen Grunde gegen den Vater kehrten.

§ 682

Vor einigen Jahren wohnte ich mit den Kindern, die damals die Volksschule besuchten7 zur Sommerfrßehe in D. bei einer Lehrerfamilie Als wir eines Tages mit unseren, übrigens freund lichen, \Virtsleuten bei der J ause. saßen, machte die Frau des Hauses, da sie von der jüdischen Herkunft ihrer Sommerpartei nichts ahnte, einige recht scharfe Ausfälle gegen die Juden. Ich hätte nun tapfer die Situation deklarieren sollen, um meinen Söhnen das Beispiel vom ,Mut der Überzeugung zu geben, fürchtete aber die unerquicklichen Auseinandersetmmgen, die einem solchen Bekenntnis zu folgen pflegen. Außerdem bangte mir davor, die gute Unterkunft, die wir gefunden hatten, eventuell

§ 683

§ 684

V. DAS VEBSPEECIIEN. 99

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verlassen zu müssen und mir und meinen Kindern so die ohnehin kurz bemessene Erholungszeit zu verderben, falls unsere Wirtsleute ihr Benehmen gegen uns, weil wir Juden waren, in unfreundlicher Weise verändern 801an.

§ 686

Da. ich jedoch erwarten durfte, daß meine Knaben in freimütiger Weise und unbefangen die folgensehwere Wahrheit verraten würden, wenn sie noch länger dem Gespräche beiwohnten, wollte ich sie aus der Gesellschaft entfernen, indem ich sie in den Garten schickte.

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,Geht in den Garten, Juden —‘ sagte ich und korrigierte schnell: ,Jungen‘. Womit ich also durch eine Fehlleistung meinem ,Mut der Überzeugung‘ zum Ausdruck verhalf. Die anderen hatten zwar aus diesem Versprechen keine Konsequenzen gezogen, weil sie ihm keine Bedeutung zumaßen, ich aber mußte die Lehre ziehen, daß der ,Glsuben der Väter‘ sich nicht ungestraft verleugnen läßt, wenn man ein Sohn ist und Söhne hat.“

§ 688

Erheibernd wirkt das Versprechen, wenn es als Mittel benutzt wird, um wähmnd eines Widerspruches zu bestätigen, was dem Arzte in der psychoanalytischen Arbeit sehr willkommen sein mag. Bei einem meiner Patienten hatte ich einst einen Traum zu deuten, in welchem der Name J aunel' vorkam. Der Träumer kannte eine Person dieses Namens, es ließ sich aber nicht finden, weshalb diese Person in den Zusammenhang des Traumes aufgenommen war, und darum wagte ich die Vermw tung, es könne bloß wegen des Namens, der an den Schimpf Gauner anklinge, geschehen sein. Der Patient widersprach rasch und energisch, verspraßh sich aber dabei und bestätigte meine Vermutung, indem er sich der Ersetzung ein zweitesmal bediente Seine Antwort Lautete: Das erscheint mir doch zu jeW a g 1:- Als ich ihn auf das Versprechen aufmerksam machte, gab er meiner Deutung nach“, ‘

§ 689

7}

§ 690

§ 691

100 „ V. DAS VERBPREGHEN.

§ 692

Wenn im ernsthaften Wortstreit ein solches Versprechen, welches die Redeabsieht in ihr Gegenteil verkehrt, sich dem einen der beiden Streiter ereignet, so setzt es ihn sofort in Nachteil gegen den anderen, der es selten versäumt, sich seiner verbes» serten Position zu bedienen.

§ 693

Es wird dabei klar, daß die Menschen ganz allgemein dem Versprechen wie anderen Fehlleistungen dieselbe Deutung geben, wie ich sie in diesem Buche vertrete, auch wenn sie sich in der Theorie nicht für diese Auffassung einsetzen, und wenn sie für ihre eigene Pemon nicht geneigt sind, auf die mit der Duldung der Fehlleistungen verbundene Bequemlichkeit zu verzichten. Die Heiterkeit und der Hohn, die solches Fehlgehen der Rede im entscheidenden Moment mit Gewißheit hervorrufen, zeugen gegen die angeblich allgemein zugelassene Konvention, ein Versprechen sei ein Laps’us linguae und psychologisch bedeutungslos. Es war kein geringerer als der deutsche Reichskanzler Fürst Bülow, - der durch solchen Einspruch die Situation zu retten versuchte, als ihm der Wortlth seiner Verteidigungsrede für seinen Kaiser (Nov. 1907) durch ein Versprechen ins Gegenteil umschlug.

§ 694

„Was nun die Gegenwart, die neue Zeit Kaiser Wilhelms II., angeht, so kann ich nur wiederholen, was ich vor einem J ahre gesagt habe, daß es unbillig und ungerecht wäre, von einem Ring verantwortlicher Ratgeber um unseren Kaiser zu sprechen.... (Lebhafte Zurufe: Unveramtwortlicher), nnverantwortlicher Ratgeber zu sprechen. Verzeihen Sie den Lapsus linguae.“ (Heitcrkeit)

§ 695

Indes, der Satz des Fürsten B ü l o w war durch die Häufung der Negaticnen einigermaßen undurchsichtig ausgefallen; die Sympathie für den Redner und die Rücksicht auf seine schwierige Stellung wirkten dahin, daß dies Versprechen nicht weiter gegen ihn. ausgenüt2t wurde. Schlimmer erging es ein Jahr

§ 696

§ 697

v. ms vnnsrnncnsn. 101

§ 698

später an dem'selben Orte einem anderen, der zu einer r ü (: kh altlosen Kundgehung an den Kaiser auffordem wollte und dabei durch ein böses Versprechen en endem in seiner loyalen Brust wohnende Gefühle gemeh-nt wurde:

§ 699

„L attm a.nn (Dtsch.-nat.): Wir stellen uns bei der Frage der Adresse auf den Boden der Geschäftsordnung des Reichstags. Danach hat der Reichstag das Recht, eine solche Adresse an den Kaiser einzureichen. Wir glauben, daß der einheitliche Gedanke und der Wunsch des deutschen Volkes dahin geht, eine einheitliche Kundgebung auch in dieser Air gelegenheit zu erreichen, und wenn wir das in einer Form tun können, die den monerchischen Gefühlen durchaus Rechnung trägt, so sollen wir das auch r ü c k g r a t l o s tun. (Stürmische Heiterkeit, die minutenla,ng anhält.) Meine Herren, es hieß nicht rückgratlos, sondern r \“1 c k h a 1 t lo s (Heiterkeit), und solche rückhaltlose Äußerung des Volkes, das wollen wir hoffen, nimmt auch unser Kaiser in dieser schweren Zeit entgegen."

§ 700

Der „Vorwärts“ vom 12. November 1908 versäumte es nicht, die psychologische Bedeutung dieses Versprechens aufzw zeigen:

§ 701

„Rückgretlos vor dem Kaiserthron“

§ 702

„Nie ist wohl je in einem Parlament von einem Abgeordneten in unfreiwilliger Selbstbeziehtig1mg seine und der Parlamentsmehrheit Haltung gegenüber dem Monarchen so treffend gekennzeichnet werden, wie das dem Antisemiten Lattmann gelang, als er am zweiten Tage der Interpcllation mit feierlichem Pathos in das Bekenntnis entgleiste, er und seine Freunde wollten dem Kaiser rückgrßtlos ihre Meinung sagen.

§ 703

Stürmische Heiterkhit auf allen Seiten erstickbe die weiteren Worte des Unglücklieh’en, der es noch für notwendig hielt,

§ 704

§ 705

102 v. DAS vsnsmmcnsu.

§ 706

ausdrücklich entsehuldigend zu stammeln, er meine eigentlich ,rückhaltlos‘.“

§ 707

Ein schönes Beispiel von Versprechen, welches nicht so sehr den Verrat des Redners als die Orientierung des außer der Szene stehenden Hörers bezweckt, findet sich im \Vallenstein (Piccolomim', I. Aufzug, 5. Auftritt) und zeigt uns, daß der Dichter, der sich hier dieses Mittels bedient, Mechanismus und Sinn des Versprechens wohl gekannt hat. Max Piccolomini hat in der vorhergehenden Szene aufs leidenschaftlichste für den Herzog Partei genommen und dabei von den Segnungen des Friedens geschwärmt, die sich ihm auf seiner Reise enthüllt, während er die Tochter Wellensteins ins Lager begleitete. Er läßt seinen Vater und den Abgesendten des Hofes, Questenberg, in voller Bestürzung zurück. Und nun geht der fünfte Auftritt weiter:

§ 708

Questenberg: 0 weh uns! Steht es so? Freund, und wir lassen ihn in diesem Wahn Dahingehen, rufen ihn nicht gleich Zurück, daß wir die Augen auf der Stelle Ihm öffnen?

§ 709

Octavio (aus einem tiefen Nachdenken zu sich kommend) Mir hat er sie jetzt geöffnet, Und mehr erblick’ ich, als mich freut. Questenberg: Was ist Freund?

§ 710

Octavio: Fluch über diese Reise! Questenberg: Wieso? Was ist es? Octavia: Kommen Sie! Ich muß

§ 711

Sogleich die unglückselige Spur verfolgen, Mit meinen Augen sehen —— kommen Sie — (Will ihn fortführen)Queetenberg: Was denn? W'ohin?

§ 712

§ 713

V. DAS VERSPRECHEN. 103

§ 714

Octavia (preesiert): Zu ihr! Questenberg: Zu — 0etavio (korrigiert sich): Zum Herzog! Gehe—D‘ wir! usw.

§ 715

Dies kleine Versprechen: Zu ihr anstatt: Zu ihm soll uns verraten, daß der Vater das Motiv der Parteinahme seines Sohnes durchschaut hat, Während der Höfling klagt: „daß er in lauter Räteel.n zu ihm rede“.

§ 716

Ein“ anderes Beispiel von poetischer Verwertung des Versprechens hat Otto Rank bei Shakespeare entdeckt. Ich zitiere Banks Mitteilung nach dem Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 31.

§ 717

„Ein dichterisch überaus fein motiviertes und technisch glänzend ver-wertetes Versprechen, welches‘ wie das von“ Freud im Wallenstein aufgezeigte (Zur Psychopathologie des Alltagslebens, 2. Aufl., S. 48) verrät, daß die Dichter Mechanismus und Sinn dieser Fehlleistung wohl kennen und deren Verständnis auch beim Zuhörer voraussetzen, findet sich in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ (III. Aufzug, 2. Szene). Die durch den Willen ihres Vaters an die Wahl eines Gatten durch das Los gefesselte Porzia. ist. bisher allen ihren unliebsamen Freiern durch das Glück des Zufalls entronnen. Da sie endlich in Bassanie den Bewerber gefunden hat, dem sie wirklich zugetan ist, muß sie fürchten, daß auch er das falsche Los ziehen werde Sie möchte ihm nun ein liebsten sagen, daß er auch in dimem Fall ihrer Liebe sicher sein könne, ist. aber durch ihr Gelübde daran gehindert In diesem inneren Zwiespalt läßt sie der Dichter zu dem willkommenen Freier sagen:

§ 718

Ich bitt' Euch, wartet; ein, zwei Tage noch, Bevor Ihr wagt: dem wählt Ihr falsch, so büße ich Euern Umgang ein; darum verzieht

§ 719

§ 720

J04 V. DAS VEBSPRECHEN.

§ 721

Ein Etwas sagt mir (doch es ist nicht Liebe),

§ 722

Ich möcht’ Euch nicht verlieren; * " —

§ 723

»— —— —- Ich könnt’ Euch leiten

§ 724

Zur rechten Wahl, dann bräch’ ich meinen Eid“,

§ 725

Das Will ich nicht; so könnt Ihr mich verfehlem

§ 726

Doch wenn Ihr’s tut, macht Ihr mich sündlich wünschen,

§ 727

Ich hätt’ ihn nur gebrochen. 0, der Augen,

§ 728

Die mich so übersehn und mich geteilt!

§ 729

Halb bin ich Euer, die andre Hälfte Euer ,„

§ 730

Mein wollt ich sagen; doch wenn mein, dann Euer,

§ 731

Und so ganz Euer.

§ 732

(Nech der Übersetzung von Schlegel und Tieck.) Gerade das, was sie ihm also bloß leise endeuten möchte, weil sie es eigentlich ihm überhaupt verschweigen sollte, daß sie nämlich schon vor der Wahl ganz die Seine sei und ihn liebe, das läßt der Dichter mit bewundernswertcm psychologischen Fein— gefühl in dem Versprechen sich offen durchdrängen und weiß durch diesen Kunstgriff die unerträgliche Ungewißhcit des Lie benden sowie die gleichgestimmte Spannung des Zuhörers über den Ausgang“ der \Vehl zu beruhigen.“

§ 733

Bei dem Interesse, welche solche Perteinahme der großen Dichter für unsere Auffassung des Versprechens verdient, halte ich es für gerechtfertigt, ein drittes solches Beispiel anzuführen_ welches von E. Jones mitgeteilt worden ist*:

§ 734

„Otto Rank macht in einem unlängst publizierten Auf« setz ** auf ein schönes Beispiel aufmerksam, in welchem Shake speare eine seiner Gestalten, die Porzia, ein ,Versprechen‘ be gehen läßt, durch welches ihre geheimen Gedanken einem auf« Wßeiepiel von literarischer Verwertung des Versprechens. Zen

§ 735

tm.lbla,tb für Psychoanalyse, I, 10. ** Zentralbl. fiir Psych„ I, Heft 3, S. 109.

§ 736

§ 737

V. DAB VERSYRECHEN . 105

§ 738

merlris‘amen Hörer offenbar werden Ich habe die Absicht, ein ähnliches Beispiel aus ,The Egoist‘, dem Meisterwerke des größten englischen anansclii'ii'tstellers, George Meredith, zu erzählen. Die Handlung desanans ist kurz folgender Sir Willoughby Patterne, ein von seinem Kreise sehr bewunderter Aristokret, verlobt sich mit einer Miß Konstantin. Durhem. Sie ent deckt in ihm einen intensiven Egoismus, den er jedoch vor der Welt geschickt verbirgt, und geht, um der Heirat zu entrinnen, mit einem Kapitän namens Oxford durch. Einige Jahre später verlobt er sich mit einer Miß. Klara Middleton. Der größte Teil des Buches ist nun mit der ausführlichen Beschreibung des Konfliktes erfüllt7 der in Klara Middletons Seele entsteht, als sie in ihrem Verlobten denselben hervorstechenden Charakterzug entdeckt. Äußere Umständ.e und ihr Ehrbegriff fesseln sie an ihr gegebenes Wort, während ihr Bräutigam ihr immer verächtlicher erscheint. Teilweise macht sie Vernon Whitford, dessen Vetter und Sekretär (den sie zuletzt auch heiratet), zum Vertrauten Er jedoch hält sich aus Loyalität Patterne gegenüber und aus anderen Motiven zurück.

§ 739

In einem Monolog über ihren Kummer spricht Klara folgendermaßen: ,Wenn doch ein edler Mann mich sehen könnte, wie ich bin, und es nicht zu gering erachtete, mir zu helfen! Oh! befreit zu werden aus diesem Kerker' von Dornen und Gestrüpp. Ich kann mir allein meinen Weg‘ nicht bahncn. Ich bin ein Feigling. Ein Fingerzeig* — ich glaube, er Würde mich verändern Zu einem Kameraden könnt’ ich fliehn, blutig zerrissen und umbraust von Vernehtung und Geschrei..„ Kon—

§ 740

’* Anmerkung des Übersetzen: Ich wollte ursprünglich das Original „beckoning of a. finger“ mit „leiser Wink" übersetzen, bis mir klar wurde, daß ich durch Unterschlagung des Wortes „Finger“ den Satz einer psychologischen Feinheit belaube.

§ 741

§ 742

106 V. DAS VEMPRECHEN.

§ 743

stantia begegnete einem Soldaten. Vielleicht hetete sie, und ihr Gebet ward erhört. Sie tat nicht recht. Aber, oh, wie lieb’ ich sie darum. Sein Name war Harry Oxford..„ Sie schwankte nicht, sie riß die Ketten, sie ging- offen zu dem andern über. Tapferes Mädchen, wie denkst du über mich? Ich aber habe keinen Harry Whitford, ich bin allein.‘ —— —

§ 744

Die plötzliche Erkenntnis, daß sie einen anderen Namen für Oxford gebraucht habe, traf sie wie ein Faustschlag und übergnß sie mit. flammender Räte.

§ 745

Die Tatsache, daß die Namen beider Männer mit ,ford‘ endigen, erleichtert das Verwechseln der beiden offensichtlich und „würde von vielen als ein hinreichender Grund dafür angesehen werden‘- Der wahre tieferliegende Grund jedoch ist von dem Dichter klar ausgeführt.

§ 746

An einer anderen Stelle kommt dasselbe Versprechen Wieder vor. Es folgt ihm jene spontane Unschlüssigk‘eit und jener plötzliche Wechsel des Themas, mit denen uns die Psychoanalyse 'und J ungs Werk über die Assoziationen vertraut Machen, und die, nur eintreten, wenn ein halhbewußter Komplex berührt wird. Patterne sagt in patronisierendern Tone von Whitford: ,Falscher Alarm! Der gute alte Vernon ist gar nicht im stande, etwas Ungewöhnliches zu tun.‘ Klara antwortet: ,Wenn aber nun Oxford — Whitford... da — Ihre Schwäne kommen gerade den Sec durch'scgelnd; wie schön sie aussehen, wenn sie indigniert sind! Was ich Sie eben fragen wollte. Männer, die Zeugen einer offensichtlichen Bewunderung für jemand anderen sind, werden wohl natürlicherweise cntmutigt ?‘ Sir W illoughby traf eine plötzliche Erleuchtung, er richtete sich steif auf.

§ 747

Noch an einer anderen Stelle verrät Klara, durch ein anderes Versprechen ihren geheimen Wunsch nach einer inniger€n Verbindung mit Vernon Whitford. Zu einem Burschen sprechend,

§ 748

§ 749

V. DAS VEBSPRECH‘EN. 107

§ 750

sagt sie: ,Sage sh'ends dem Mr. Vernon — sage 'abends dem Mr. Whitforcl, . .. usw!“ '

§ 751

Die hier vertretene Auffassung des Versprechens hält übrigens der Probe an: dem‘ Kleinsten stand. Ich habe wiederholt zeigen können, daß die geringfügigsten und naheliegendsten Fälle von Redeirrung ihren guten Sinn haben und die, nämliehe Lösung zulassen wie die auffälligeren Beispiele. Eine Patientin, die ganz gegen meinen Willen, aber mit starkem eigenen Vorsatz einen kurzen Ausflug nach Budapest unternimmt, rechtfertigt sich vor mir, sie gehe ja nur für drei Ta. ge dahin, verspricht sich aber und sagt: nur für drei Wochen. Sie verrät, daß sie mir zum Trotze lieber drei Wochen als drei Tage in jener Gesellschaft hleiben will, die ich als unpassend für sie emchte. »— Ich soll mich eines Abends entschuldigen, daß ich meine Frau nicht vom Theater abgeholt, und sage: Ich war 10 Minuten nach 10 Uhr beim Theater. Man korrigiert mich: Du willst sagen: vor 10 Uhr. Natürlich wollte ich vor 10 Uhr sagen. Nach 10 Uhr Wäre ja keine Entschuldigung. Man hatte mir gesagt, auf dem Theaterzettel stehe: Ende vor 10 Uhr. Als ich beim Theater anlangte, fand ich des Vestibül verdunkelt und das Theater entleert. Die, Vorstellung war eben früher zu Ende ge— wesen, und meine Frau hatte nicht auf mich gewertet. Als ich auf die. Uhr sah, fehlten noch fünf Minuten zu 10 Uhr. Ich nahm mir aber vor, meinen Fall zu Hause günstiger darzustellen und zu sagen. es hätten noch zehn Minuten zur zehnten Stunde gefehlt. Leider verdarb mir das Versprechen die Absicht und stellte meine Unaufrichtigkeit bloß, indem es mich selbst mehr bekennen ließ, als ich zu bekennen hatte

§ 752

Man gelangt von hier aus zu jenen Redestönmgen, die nicht mehr als Versprechen lieselirieben werden, weil sie nicht das einzelne Wort, sondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede

§ 753

§ 754

108 v. DAS vnrsrnncr-inr.

§ 755

bwinträchtigen, wie z. B. das Stammeln und Stottern der Ver— legenheit. Aber hier wie dort ist es der innere Konflikt, der uns durch die Störung der Rede verraten wird. Ich glaube wirklich nicht, daß jemand sich versprechen würde in der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten Liebcswerbung, in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den Geschworenen, kurz in all den Fällen, in denen man ganz dabei ist, Wie'wir so bezeichnend sagen. Selbst bis in die Schätzung des Stils, den ein' Autor schreibt, dürfen wir und. sind wir gewöhnt, das Erklärungsprinzip zu tragen, welches wir bei der Ableitung des einzelnen Sprcehi'ehlels nicht entbehren können. Eine klare und unzweideutige Schreibweise belehrt uns, daß der Autor hier mit sich einig ist, und wo wir gezwungenen und gewundcnen Ausdruck finden, der, wie so richtig gesagt wird, nach mehr eis einem Scheine schielt, da können wir den Anteil eines nicht genugsam erledigten, komplizierenden Gedankens erkennen oder die erstickte Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören *.

§ 756

Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches haben fremdsprachigc Freunde und Kollegen begonnen, dem Versprechen, das sie in den Ländern ihrer Zunge beobachten konnten, ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie haben, wie zu erwarten stand, gefunden, daß die Gesetze der Fehlleistung vom' Sprachmatcrial unabhängig sind, und haben dieselben Deutungen vorgenommen, die hier an Beispielen von Deutech redenden Personen erläutert wurden. Ich führe nur ein Beispiel anstatt ungezählter vieler an:

§ 757

D. A, A. Brill (Neuyork) berichtet von sich: A friend de— scribed to me a, nervous patient and wished to know whether

§ 758

“ Ce qu‘cn cong>oit bien S‘annonce clajtement EI. les mohs pour le dire Arrivent ajsément. Boileun, Axt poétique.

§ 759

§ 760

v. DAS vnnsmnom. 109

§ 761

I could benefit him. I mmarkßd, I believe that in time I could remove all his symptoms by psycho—anelysis because it is 'a. durahle case wishing to say „curahle“! (A oontribution to the Psychopa,thology of Everyday Life aus Psychotherapy vol. III, Nr. 1, 1909.)

§ 762

Schließlich will ich für diejenigen Leser, die eine gewisse An» strengung nicht scheuen und. denen die Psychoanalyse nicht fremd ist, ein Beispiel anfügen, aus dem zu ersehen ist, in welche seelischen Tiefen duch die Verfolgung eine£ Versprechens führen kann.

§ 763

L, Jekels (Intern. Zeitschr. für Psychoanalyse, I, 1913).

§ 764

„Am 11. Dezember werde ich von einer mir befreundeten Dame in polnischer Sprache etwas herausforderncl und übermütig mit den Worten apostrophiert: ,Warum habe i ch heute gesagt, daß ich zwölf Finger habe?‘

§ 765

Sie reproduziert nun über meine Aufforderung die Szene, in der die Bemerkung gefallen ist. Sie habe sich angeschickt, mit der Tochter auszugehen, um einen Besuch zu machen, habe ihre Tochter, eine in Remission befindliche Dementia, praecox, aufgefordert, die Bluse zu wechseln, was diese im anstoßenden Zim— mer auch getan hat. Als die Tochter wieder eintrat, fand sie die Mutter mit dem Reinigen der Nägel beschäftigt; und da. entwickelte sich folgendes Gespräch:

§ 766

Tochter: ,No siehst du, ich bin schon fertig und du noch nicht !‘

§ 767

Mu tter: ,Du hast ja aber auch nur eine Bluse und ich zwölf Nägel. _ ’l‘:ochter ,Was?‘

§ 768

Mutter (ungeduldig): ,No natürlich, ich habe ja doch zwölf Finger.

§ 769

§ 770

110 v. DAS vnnsrnncnns.

§ 771

Die Frage eines die Erzählung mitanhörenden Kollegen, was ihr zu zwölf einfalle, wird ebenso prompt wie bestimmt beantwortet: ,Zwölf ist für mich kein Datum (von Bedeutung).‘

§ 772

Zu Finger wird unter einem leichten Zögern die Assoziation geliefert: ,In der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an den Füßen (im Polnischen gibt es keinen eigenen Ausdruck für Zelle) vor. Als unsere Kinder zur Welt kamen, Wurden sie sofort darauf untersucht, ob sie nicht sechs Finger haben.‘ Aus äußeren Ursachen wurde an diesem Abend die Analyse nicht fortgesetzt.

§ 773

Am nächsten Morgen, dem 12. Dezember, besucht mich die Dame und erzählt mir sichtlich erregt: ,Denken Sie, was mir passiert ist; seit etwa 20 Jahren gratuliere ich dem alten Onkel meines Mannes zu seinem Geburtstag, der heute fällig ist, schreibe ihm immer am 11. einen Brief ; und diesmal habe ich es vergessen und mußte soeben telegraphienen.‘

§ 774

I ch erinnere mich und die Dame, mit welcher Bestimmtheit sie am gmtrigen Abend die Frage des Kollegen nach den zwölf, die doch eigentlich sehr geeignet war, ihr den Geburtstag in Erinnerung zu bringen, abgetan hat mit der Bemerkung, der Zwölfte sei für sie kein Datum von Bedeutung.

§ 775

Nun gesteht sie, dieser Onkel ihres Mannes sei ein Erbonkel, auf dessen Erbschaft sie eigentlich immer gerechnet habe, ganz besonders in ihrer jetzigen bedrängten finanziellen Lage.

§ 776

So sei er, respektive sein Tod, ihr sofort in den Sinn ge« kommen, als ihr vor einigen Tagen eine Bekannte aus Karten propliezeit habe, sie werde viel Geld bekommen; Es Schoß ihr sofort durch den Kopf, der Onkel sei der einzige, von dem sie, respektive ihre Kinder, Geld erhalten könnten; auch erinnerte sie sich bei dieser Szene augenblicklich, daß- schon die Frau dieses

§ 777

§ 778

v. ms VERSPRECEEN. 111

§ 779

Onkels versprochen habe, die Kinder der Erzählerin testamenteriseh zu bedenken; nun ist. sie aber ohne Testament gestorben; vielleicht hat sie ihrem Menue den bezüglichen Auftrag gegeben.

§ 780

Der Todeewnmech gegen den Onkel muß offenbar sehr intensiv aufgetreten sein, wenn sie der ihr prcphezeienden Dame gesagt hat: ,Sie verleiten die Leute dazu, andere umzubringen‘

§ 781

In diesen vier oder fünf Tagen, die zwischen der Prophezeiung und dem Geburtstage des Onkels legen, suchte sie stets in den im Wohnorte des Onkels erscheinenden Blättern die auf seinen Tod bezügliche Parte.

§ 782

Kein Wunder samit, daß bei so intensivem Wunsche nach seinem Tode, die Tatsache und das Datum seines demnächst zu 1" eiernden Geburtstages so stark unterdrückt wurden,_ daß es nicht bloß zum Vergessen eines sonst seit Jahren ausgeführten Vorsatzes gekommen ist, sondern auch, daß sie nicht einmal durch die Frage des Kollegen ins Bewußtsein gebracht wurden

§ 783

In dem I.ephus ,zwölf Finger“ hat sich nun die unterdrückte Zwölf durchgesetzt und hat die Fehlleietung mitbestimmt.

§ 784

Ich meine mitbestimmt, denn die auffällige Assoziation zu ,Fiuger‘ laßt uns noch weitere Motivierungen ahnen; sie erklärt uns. auch, warum der Zwölfer gerade diese so harmlose Redensart von den zehn Fingern verfälscht hat.

§ 785

Der Einfall lautete: ,In der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an den Füßen vor.‘ '

§ 786

Sechs Zehen sind Merkmale einer gewissen A.bnormität, so. mit sechs Finger ein almormes Kind und

§ 787

zwölf Kinder zwei abnorme Kinder

§ 788

Und tatsächlich traf dies in diesem Falle zu

§ 789

Die in sehr jungen Alter verheiratete Frau hatte als einzige Erbschaft nach ihrem Menue, der stets als exzentrischer, ah— normer Mensch galt und sich nach kurzer Ehe des Lehen nahm,

§ 790

§ 791

112 V. DAS VERSPRECH'EN.

§ 792

zwei Kinder, die wiederhblt von Ärzten als väterlicherseits schwer hereditär belastet und ebnorm bezeichnet wurden

§ 793

Die ältere Tochter ist nach einem schweren katatonen Anfall vor kurzem nä,ch Hause zurückgekehrt; bald nächher erkrankte auch die jüngere, in der Pubertät befindliche Tochter an einer schweren Neumse

§ 794

Daß die Abnormität der Kinder hier zusammengestellt wird mit dem Sterbcwunsche gegen den Onkel und sich mit diesem ungleich stärker unterdrückten und psychisch valentercn ElementVerdichtetv, läßt uns als zweite Determinierung dieses Veit sprechens den Todeswunsch gegen die ahnormcn Kind e r annehmen.

§ 795

Die prävelierendc Bedeutung des Zwölfers als Sterbewunsch erhellt aber schon daraus, daß in der Vorstellung der Erzählendcn der Geburtstag des Onkels sehr innig assoziiert war mit dem Todeshegriffe. Denn ihr Mann hat sich am 18. das Leben genommen, also einen Tag nach dem Geburtstag chendesselben On— kels, dessen Frau zu der jungen Witwe gesagt hatte: ,Gestern gratulierte er noch so herzlich und lieb, f— und heute!‘

§ 796

Ferner will ich noch hinzufügen, daß die Dame auch genug reale Gründe hatte, den Kindern den Tod zu wünschen, von denen sie gar keine Freude erfuhr, sondern nur Kummer und arge Ein« schränkungen ihrer Selbstbestimmung zu leiden hatte, und denen zuliebe sie auf jegliches Liebesglück verzichtet hatte.

§ 797

Auch diesmal war sie außerordentlich bemüht, jeglichen Anlaß zur Vemtimmung der Tochter, mit der sie zu Besuch ging, zu vermeiden; und man kann sich vorstellen, welchen Auf— wand an Geduld und Selbstverlcugnung bei einer Dementia praecox dies verlangt, und. wie viele Wutregmlgen dabei unterdrückt wcrden‘ müssen.

§ 798

§ 799

§ 800

§ 801

V. DAS VERSPRECHEN.

§ 802

§ 803

113

§ 804

§ 805

Demzufolge würde der Sinn der Fehlleistung lauten:

§ 806

Der Onkel soll sterben, diese abnormen Kinder sollen sterben

§ 807

(sozusagen diese ganze abnorme Familie), und ich soll das Geld

§ 808

von ihnen haben.

§ 809

§ 810

Diese Fehlleistung besitzt nach meiner Ansicht mehrere

§ 811

Merkmale einer ungewöhnlichen Struktur, und zwar:

§ 812

§ 813

1. Das Vorhandensein von zwei Determinanten, die in einem

§ 814

§ 815

Element verdichtet sind.

§ 816

2. Das Vorhandensein der zwei Determinanten spiegelt sich

§ 817

§ 818

in der Doppelung des Versprechens (zwölf Nägel, zwölf Finger).

§ 819

3. Auffällig ist, daß die eine Bedeutung des Zwölfers, näm

§ 820

lich die die Abnormität der Kinder ausdrückenden, zwölf Finger,

§ 821

eine indirekte Darstellung repräsentieren; die psychische Ab

§ 822

normität wird hier durch die physische, das Oberste durch das

§ 823

Unterste dargestellt."

§ 824

§ 825

Freud, Psychopathologie des Alltagslebens. VI. Aufl.,

§ 826

§ 827

§ 828

VI.— VERLESEN UND VERSCHREIBEN.

§ 829

DhB für die Fehler im Lesen und Schreiben die nämlichen Gaeiohtspunkte und Bemerkungen Geltung haben wie für die Spreebfehler, ist bei der inneren Verwandtschaft dieser Funk— tionen nicht zu verwundem. Ich werde mich hier darauf beschränken, einige sorgfältig analysierte Beispiele mitmteilen, und keinen Versuch“ unternehmen, das Ganze der Erscheinun— gen zu umfassen.

§ 830

A, V e r le s e n.

§ 831

a) Ich durchblä.ttere im Kaffeehaus eine Nummer der „Leipziger Illustrierten", die ich schräg vor mit halte, und lese als Unterschrift eines sich über die Seite eretreokenden Bildes: Eine Hohhzeitefeier in der Odyssee. Auf1netkse.m geworden und verwundert rücke ich mir das Blatt zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochueitefeier an der Ostsee. Wie komme ich’ zu diesem unsinnigen Leséfehler‘l Meine Gedanken lenken sich sofort auf ein Buch von Ruthe „Experimenteluntemnch‘angen über Musikphsntome usw.“, das mich in der latehn Zeit viel beschäftigt hat, weil es nahe an die von mir behandelten psychologischen Probleme streift. Der Autor verspricht für nächste Zeit ein Werk, welches „Analyse und. Grundgesetze der Tmumphänomene“ heißen wird. Kein Wunder, daß ich, der ich eben eine „Traumdeuth veröffentlicht

§ 832

§ 833

Inhalt-sverzeiohnis die Ankündigung de! ausfiihrlmiimW. tiven Nachweises, daß die alfihellenisehen Mytha'x fm& % ihre Hamptwumeln in Beklagten— und Muäkp'lännßm6n} ‘ Tranmphänomenen und auch in Deiifien haba&““inii‘léhluä damals sofort im Text.e nach, um hammmfinäai- oli'-äß*_äiz6h‘ um die Zurüokiühmg der Szene, Wi£ Odysse1i‘a‘üofl'flbiuä ka». erscheint, auf äen gemeinen katheitsfium’mi 'wimz mm mm ein Freund auf die schöne séam„ G-. Keller! „Gmail Heinrich“ anfinerkmm gemacht, weliab'e dieoe Episode ein? Odyssee als Objektivierung der mm das fern vdn dér Hei

§ 834

ma.t ineuden Schiffen aufklärb, und Y6fl ha.£bd die Beziehung

§ 835

zum Exhibitionatmhm der Nmfißhseit Binmgefiigt (5. an“,

§ 836

S, 170). Bei Ruths mtdeßk(.e ieh ni,th davon. Mioh W

§ 837

schä.ftigen in diesem Falle ofimflmr Priori " en. '

§ 838

b) Wie kam‘ichdazugeimes'fll'a-gesauäder Zeitunglulesen: „Im Fall durch Empa“, „mm m Fuß? Diese Auflönng bereitete mit lange Zeit Schwierigkeiten. ,Die nächsten Ein— fälle deuteten alladingm Es müsse im M &es%genes gä-\ maint am'n, und in—einer Kunétgeanhialitle»liatbe ich '1miiingsb etwas über die -Kun‘xt zur Zeit Alexamä‘rs gel‘em Ein-Mg M‘ nahe, an die bekannte Redé Alexander: zu debken wem. mal nicht Alexander win, möchte ich Diogenes „in. Almh schwebt», mit etwas von einem’gawilaeen Hermann Zeitung var, der in eine Kim verpackt sich auf Reisen begeben hatte. Aber weiber wollen sich der Zusammenhang nicht herebellen, und es gelang mit nicht, die Süße in der Kmtgéäüh'ldiüß wieda au£muhlagen,- uni «Mm: um jene Bemerkung im. Auge géallen war. Erst. Man—„im fiel mir das beineät geworim w gas-mr Wein, und amd mgleicli

§ 839

§ 840

128 VLme

§ 841

mit. seiner Lösung. Ich erinnerte mieh an die Bemerkung in einem Zeitungsartikel, was für sonderbam Arten der Beförderung die Leute jetzt wählten, um naeh Paris zu Weltansetellung zu kommen, und dort war auch, wie ieh,glaube, Beherr— hsft mitgeteilt werden, daß irgend ein Herr die Ahliläht habe, sich von einem anderen Herrn in einem Fs.ß naoh’ Benin: rollen zu lassen. Nakiirlich hätten diese Leute kein anderes Motiv, als durch solche Torheiten Aufsehen zu when. Hermann Zeitung war in der Tat der Name deejenigen Mannes, der für solche 'snßergewöhnliehe Beförderung das erste Beispiel gegeben hatte. Denn fiel mir ein, daß ich einmal einen Petienten behandelt, Hasen krankha.ffe Angst vor der Zeitung sieh als Reaktion gegen den kmnklm.ften Ehrgeiz nuflöete, sich gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt- zu sehen. Der memdonische Alexander war gewiß einer der ehrgeizigsten Männer, die je gelebt. Er klagte ja„ daß er keinen Homer finden werde, der seine Taten besinge. Aber wie konnte ich nur nicht daran denken, daß ein anderer Alexander mir näher stehe, de.ß Alexander der Name meines jüngeren Bruders ist! Ich fand nun sofort den anstößigen und der Verdrängung bedürftigen Gedanken in bekeff dieses Alexanders und die aktuelle Veranlassung für ihn. Mein Bruder ist Sachverständiger in Dingen, die Tarife und Transporte angehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für seine Lehrtätigkeit an einer kommerziellen Hochschule den. Titel Professor erhalten. Für die gleiohé Beförderung wn: ich an der Universität seit mehreren Jahren vorgeschlagen, ohne sie erreicht zu haben. Unsere Mutter äußerte damals ihr Befrem— den darüber, daß ihr kleiner Sohn eher meeaor werden sollte als im: großer. So stand es zur Zeit, als ich die Lölung für \ jenen 'Deseirrtnm nicht finden konnize„ Dann anheben sich

§ 842

§ 843

Schwierigkeiten auch bei miwm Bruder; mine— ” teaser zu werden, fielen noch' unter die meinigßi. wurde mir plötzl:iol_i der Sinn jenea_Ve'rleeens offenbar als hätte die Minderung in den Ghanoen dee Bmd_htp; Hindernis beseitigt». Ich hatte mich" so benommen, 813% @

§ 844

die Ernennt des Bruders im dei! Zeitung, und . ‘ ' dabei: Merkwürdig, daß man wegen solcher Dunimhaiümt(wie — er sie als Beruf betreibt.) in. der Mining stehen (de' Iimllläh , Professur ernannt, werden) kann! Die Stelle: über die häleifib „ „ ‘ stische Kunst im Zeitalter Alexanders sohlug‘ ich dam' DEM Mühe auf und überzeugte mich ni uminem Erstaunen, daß re]! während dm vorherigen Suchen wiederholt anf deuelben Seibe gelesen und jedesmal wienntet der Hertath einer negativen Hellnzination den beimflenden Satz fibergangm hatte, Dieser enthielt iibrigen: gar nicht», was mir A“£kläs rung brachte; was des Vergede‘ens wert gewesen wäre." Ich meine, das ly-mptam dee Nichhuffindens im Buche ist nur zu meiner Irrefiilmmg guchBfien W°x‘d€n„-Ieli mühe die; Fa“:— setznng der Gedankenverhxiipfnng dort anchen,'_wo meinen thforaclnmg ein Hindernia in rien Weg 39th war, einen irgend einer Idee über. dsnmazedmünchen Alexander. und sollbe so vom gleichnamigen Bruder nicht“ W W6td@r__,Difi_l gelang auch vollkommén', ich richte“ alle mine Bemühungen darauf, die verlorene Stelle in jener Kunstgesohiuhbe wieder: anfznfinden.

§ 845

Der Dappelsinn des Worteä„Beiörderung“ ist' 111 dieeem Falle die Assoziatimbrüuke zwischen den zwei Komplexen,„ dem unwichfigen, der durch die Zeitnngmokin angeregt wird; und dem interessanten», abermtößigeu, der; sich hierahfltö‘, rung des zu Legenden geltend. machen darf. Man ersie'itfm diesem Beispiel, dgßee nieht»- i:mnm leicht wird, Vorkomm_g

§ 846

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§ 847

§ 848

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§ 849

180 VI. VERLISEN UND m

§ 850

nisse wie diesen Lesefehler Luimkläxen. Gelegentlinhist man auch genötigt, die Lösung des Rätsels anf eine-günstigere Zeit zu verschieben. Jo schwieriger sich aber die Lösungsarbeit erweist, desto sicherer darf man erwarten, daß der endlich aufgedeckts störende Gedanke von unserem bewußten Denken als fremdartig ‘und gegensätzlich beurteilt werden wird.

§ 851

la) Ich erhalte eins Tages einen Brief aus der Nähe Wiens, der mir eine erschüttemde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch sofort 'meine Frau an und fordere sie zur Teilnahme dann auf, daß ‘die arme Wilhelm M. so schwer erkrankt und von den Ärzten aufgegeben ist. An den Worten, in welche ich mein Bedauem kleide, muß aber etwas falsch geklungen haben, denn meine Frau wird mißtrauisch, verlangt den Brief zu sehen und äußert 'als ihre Überzeugung, so könne es nicht darin stehen} denn niemand nenne eine Frau nach dem Namen den Mannes7 und überdies sei der Korrespondentin der Vorname der Frau sehr wohl bekannt. Ich verteidige meine Behnnptnng hartnäckig und verweise auf die so gebräuchlichen Visitkag’ßen, auf denen eine Frau sich selbst mit dem Vornamen des Mannes bezeichnet. Ich muß endlich den Brief zur Hand nehmen, und wir lesen darin tatsächlich „der nme W. M.", ja sogar, was ich ganz übersehen hatte: „der arme Dr. W, M.“. Mein Versehen bedeutet also einen sozusagen kmpfha.ften Versuch1 die traurige Nenigkeit von dem Hanne auf die Frau zu überwälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name eingeschabens Titel paßt schlecht zu der Forderung, es müßte die Frau gemeint sein. Darum wurde er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser Verfä.lschung war aber nicht, daß mir die Frau weniger sympathisch wäre als der Mann, sondern das Schicksal des armen Mannes hatte meine Besorgnisse um eine andere, “mit nahe stehende Person rege gemacht, welche eine

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der mir bekannten Krankheitsbedingungen mil: diesem IWW" gemeinsam hatte. ' '.\‘ *

§ 854

d) Ärgerlich und lächerlich ist mit ein Verleeen, dblllieh > sehr häufig nnterliege, wenn ich' in den Ferien in den Simlei,1 einer fremden Stadt epuiere. Ich lese dann jede Iadenfiitfl, die dem irgendwie entgegenlmmmla als Antiquitäten. Eiei'in äußert sich die Abénteuerlust des Snmmlers.

§ 855

e) Bleuler erzählt" in seinem bedequen B\mhe „AMLivitäin, Suggestibilität, Paranoia.“ (1906), S. 121: „Beim Lesen hatte ich einmal das intellektuelle Gefühl, zwei Zeilen weißer unten meinen Namen nu sehen. ' Zu meinem Erstaunen finde;ich nur das Wort ,Blutkörperchem‘. Unter vielen Tugenden von mir analysierlzen Verlosungen des periphemn wie des zentmlen Gesiohlsfeldee ist dieses der krasseebe Fall. Wenn ich etwa. meinen Namen zu sehen glaubte, ‘eo war das wm, dne dazu ' Anlaß gab, meist viel ähnlicher meinem Namen, in den meisten Fällen mußten geradezu alle Buohetßben rien Namens in der Nähe verhanden sein, bis mit ”ein solcher Irrtum begegnen“ konnte. In diesem Falle ließ sich aber an Beziehungst ,und. die Illusion sehr leicht begründen: WM ich gerade las, wu m Ende einer Bemerkung über eine Axt. eehleohhen Stile von wis— senschaftlichen Arbeiten, von der ich mich nicht frei fühllle!’

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f) 11. Suche: „An dem7 weg die Ieube happierß, geht er in seiner Steifleinenheil'. vorüber.“ Dies Wort fiel mir aber auf und ich enl.deckbe bei näherem Himhen, daß es Stil< feinheit hieß. Die Stelle fand sich in einer überschwenglioh lebenden Auslaeeung eines von mir verehrten Autors iiber einen Historiker, der mir unsympathiseh ist, weil er daß ,Dentaelxmeeesorenhatte‘ zu stark hervorkdhrß.“

§ 857

9) Über einen Fall von Verlepen im Behriebe der philothschen Wieseneglm.ft berichtet Dr. Hueell'Eibeneßhütz‘ im

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D'

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§ 860

132 VI. VERLEEIEN UND museum.

§ 861

Zentralbl. für Psychoanalyse, I, 5/6, „Ich beschäftige mich mit der Überlieferung des ,Buches der Märtyrer‘, eines mittelh'oclideußchen Legendenwerkes, das ich in den ,Deutschen Texten des Mittelalters‘, herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, edieten 9011. Uber das bisher noch unge— druckte Werk war recht wenig bekannt; es‘ bestand eine einzige Abhandlung darüber von J. Haupt ,Uber das mittelhoch— deutsche Buch der Märtyrer‘, Wiener Sitmmgsberichte, 1867, 70. Bd., S. 101 ff. — Haupt legte seiner Arbeit nicht eine alte Handschrift zu Grunde, sondern eine aus neuerer Zeit (19. Jahrhundert) stammende Abschrift der Haupthandsclm'ft 0 (Klosterneuburg), eine Abschn'ft, die in der Hofbibliothek aufbewahrt wird. Am Ende dieser Abschrift steht folgende Subskription: ’ Anno Domini MDCCCL in vigilia exeltacionia s‘ancte cruois ceptu.s est iste über ct in vig'iliu pasce anni subsequent-is finitue {zum adiutorio omnipot6ntis per me Haftma.num de Krasna tunc temporis eeoleeie niwenburgensis custodem.

§ 862

Hau pt teilt nun in seiner Abhandlung diese Subscriptio mit, in der Meinung, daß sie vom Schreiber von 0 89th herriihre, und läßt O, mit. konsequenter Verlesung der römiach geschriebenen Jahrest 1850, im Jahre 1350 geschrieben sein, trotzdem daß er die Subscriptio vollständig richtig kopiert hat, trotzdem daß sie in der Abhandlung am angeführten Orte vollständig richtig (nämlich MDCCCL) abgedruckt ist.

§ 863

Die Mitteilung Haupts bildete für mich eine Quelle von Verlegenheiten. Zunächst stand ich als hlutju.nger Anfänger in der gelehrten Wissenschaft ganz unter der Autorität Haupts und las lange Zeit aus der vollkommen klar und richtig gedruckt vor mir liegenden Subscriptio wie Haupt 1350 statt 1850 ; doch in der von mir benutzten Haupthandschlift 0 war keine

§ 864

§ 865

Mönch namens Härtmann gelebt hatte. UM). als; Schleier von meinen Augen sanlg du hatte ieh mckagiiu ganzen Sachverhalt ernten, und die weiteren Nuhfiwmbägnflwi» bestätigen meine Vermutung die yielgennnnbe Submfiptfp steht nämlich. nurill der von Haupt benutzten Abaohfiflffmfi. fühlt van ihrem Sollmiber her, E Balkan-li Zeibi&.gßiuk$ ' Kram in Mähren, Augustinemüerhm m Klostemenbnrg; imJahxelßöflalekirühaleehlltnpfiisterdeüStiftesdh% schrift 0 mbgesehriebau und sieh- müde reiner Absehrit;fi in altertümlicher Wenns nelbeß ,want. i)ie mittelalterliche Dikfion und die alte Orthogtnglliwdfl Suhloriptio haben Wohl bei dem Wunseha Hanpte, über des von ihm behandelte Werk möglichst viel Bitteilon m können, alsomoh die Etuiiv schrift G zu dafijexem,_ miss—helfen W €? WM 1850 1350 las. (Motiv der. Fehn_mndlmg,)‘f ‘. ‘

§ 866

In} In den „Witzigen MW linfillen.“ von Lichtenberg findet aieheine Bemerkung, diewohleiner Be obaehtung enütammt und im die pam Theqüe das Verlegen; enthält: Er las immer Agumemuon statt „engenqmmen“ , aoeehrhnßteerdmliommtgeigigm —

§ 867

Ineiner übergreßenAnsablvpne?ilieniet einixniieh, Bereth das Lamm, die den Text verändert und etwa:, ‘ worauf er eingetteüt oder womit er‘ beschäftigt ist, in ihn hineinliest, Der Text 9e1bet bmcht dem Verlgeeen nur ,dadurch entgegenzukomm dnß er irgend eine Lhnliehkeilz im Wort,bild bietet, die den-' Lust in geimp— 5inne verändern kann.. Flüehin'gee Einnehmen, bemadene mit. nnkanigiertem Auge, erleichtert oima zwifil.die mögliehkeii einer solchen musieg, istaberheinqqugl_ .netwendigeßedingungfürsie. ‘ .,

§ 868

§ 869

134 vr. vsnmsm um; vmemmm.

§ 870

€} Ich glaube die Kriegsweit, die bei uns allen gewisse feste und langanhaltende Präokkupationen schafft, hat keine andere Fehlleietung so sehr begünstigt wie gerade das Verlesen. Ich konnte eine große Anzahl von solchen Beobachtungen machen, ven denen ich leider nur einige wenige bewahrt hehe, Eines Tages greife ich nach einem der Mittags- oder Abendblätter und finde darin groß gedruckt: Der Friede von Görz. Aber nein, es heißt ja. nur: Die Feinde vor Götz. Wer gerade zwei Söhne als Kämpfer auf diesem Kriegsschnnplntze hat, mag sich leicht so verleeen. Ein anderer findet in einem gewissen Zusammenhange eine alte Brotkarte erwähnt., die er bei besserer Aufmerksamkeit gegen alte Brokate eintauschen muß. Es ist immerhin mitteilenswert, daß er sich in einem Hause, wo er oft gern gesehener Gast ist, bei der Hausbau durch die Abtretung von Bmtka.rten beliebt zu machen pflegt. Ein Ingenieur, dessen Ausrüstung der im Tunnel während des Baues herrschenden Feuchtigkeit nie lang gewachsen ist, liest Zu, seinem Erstaunen in einer Annonce Gegenstände aus „Sekundleder“ angepriesen. Aber Händler sind selten so aufric'htig; was da zum Kaufe empfohlen wird, ist Seehnndleder.

§ 871

Der Beruf oder die gegenwärtige Situation des Lesers bestimmt auch das Ergebnis seines Verlesens. Ein Philologe, der wegen seiner letzten trefflichen Arbeiten im Streite mit seinen Fachgenossen liegt, liest „S p r a c h s i. r a, t e gi e“ anstatt Schachstra,tegie, Ein Mann, der in einer fremden Stadt spazieren geht, gerade um die Stunde, auf welche seine durch eine Kur hergestellte Darmtätigkeit reguliert ist, liest auf einem gießen Schilde im ersten Stock eines hohen Warenhanses: „Klosethaus“; seiner Befriedigung dariiber mengt sich doch ein Befremden über die ungewöhnliche Unterbringung der wch1tätigen Anstalt bei. Im näßhsten Moment ist

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§ 873

7; mm: m vnnsenumnu. @@

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die. Befriedigung doeh gesehmnnden, denn die Taielnnfsehrltt heißt richtiger: Korsetheus.

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7") In einer zweiten Gruppe von Fällen ist der Anteil des Textes am Verleeen ein bei weitem «größerer. Er enthälteiwm, waa die Abwehr des I.eners rege macht, eine ihm peinliehe Mitteilung oder Zumntnng, und erfährt darum durch du Yegleeen eine Korrektur im Sinne der Abweianng oder Wuneehlepfüllnng. Es ist dann natürlich mbweiebar anzunehmen; daß der Text znniwhet richtig aufgenommen und beurteilt wurde, ehe er’d_iee_e Korrektur erhih'r, wenngleich du Bewußtsein von dieser ersten Imung nichts erfahren hat. Du; Beiepiel c auf den vorstehenden Seiten ist von dieser Art; ein-andere! von „höchster Aktualität teile ich hier mb Dr. ][. Eitingon (z. Z. inn<‘Kriegsepital m Iglé, Internat. Zeiteehr. f. Psychoanalyse,— n, 1915) mc.

§ 876

„Leutnant X., der nich mit einer kriegstm,nmatiechen Nenroee in unsan Spital befindet liest mir eines Tages den Schlußvere der letzten Stmphe einen Gedichten des so früh gefallenen Dichters Walter Heymann' in siehtlieher Er

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griflenheit folgendermaßen vor:

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,We aber sieht’s geschrieben, frag' ieh, daß von allen

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Ich übrig bleiben lol], ein andrer für mich inl,len’l

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Wer immer von euch {alt, der etirbt gewiß für mich;

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Und ich soll übrig bleibeii'f warum denn nicht?

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Durch mein Beiremden infmerkeam gemacht, liest er dann, etwas betreten, richtig:

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,Und ich soll übrig bleiben? warum denn ich’l‘

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Dem Fall X. verdanke ich einigen analytischen Einblick _in das psychische Material dieser ,Trnnmatihchen Neuronen des

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«w. Beyinnnn. Kriugng.dluhu nnd Feldpoltbrleße, p. 11 „Ma Auuhheedcn." ‘ ‘

§ 886

§ 887

186 VI. vnnnmim mm vnmmmm.

§ 888

Krieges‘, und da war es mir möglich; trotz der unserer Art zu arbeiten so wenig günstigen Verhältnisse eine! Kdegshmretts mit; starkem Belag und Wenig Ärzten, ein wenig über die als ,Ureaßhe‘ hochbewerbeben Granabexplosionen hinaanszusehen.

§ 889

Es bestanden auch in diesem Falle die schweren Tl‘emures, die den ansgesprcchenen Fällen dieser Neuresen eine auf den ersten Blick frappante Ähnlichkeit verleihen, Angstliohkeit, Weinen-lichkeit, Neigung zu Wntani'allen mit konvulsiven, infantilmoborise’nen Enbä.nßernngen und zu Erbrechen (,bei geringsten Aufregungen').

§ 890

Gerade des letzteren Symptome Psychoseneitäi, zunächst im Diensbe sekhndiimen Krankheitegewinnes, mußte sich jedem anfängen: Das Erscheinen des Spitalskammnndanten, der von Zeit zu Zeit die Genesenden sich ansieht, an! der Ab— teilung, die Phrase eines Bekannten auf der Stmße: ,Sie schauen ja. prächtig aus, sind gewiß sehon gesund,“ genügen zur pmmpt.en Auslösung eines Brechanfnlls.

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,G9mmd... wieder einriieken..l warum denn ich?...”

§ 892

k) Andere Fälle von „Kriege“—Verlesen hai; Dr. Hanns Sechs (Wien) in der Internet. Zeitschrift für Psychoanalyse, IV, 1916/17, mitgeteilt

§ 893

I.

§ 894

„Ein naher Bekannter batbe mi_r wiederholt erklärt, er werde, wenn die Reihe an ihn komme, keinen Gebrauch von eeiner, durch ein Diplom bestätigten Fashansbildung machen, sondern auf den dadurch begründeten Anspruch auf entsprechende Verwendung im Hinterlande verzichten und zum Front— dienat einrückem Kurz bevor der Termin wirklich hemnkam, teilte er mit eines Tages in knappster Fof'm, ohne weitere Begründung mit, er habe die Nachweise seiner Fachbildung an

§ 895

§ 896

§ 897

zuständiger Stelle vorgeiégt «im! wurde W W näobet seine Zuteilung fiir einnimimaixieile WWW

§ 898

Laß ich vamizheiüex etinerkmkmt» äiapafi_au

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sohwamn _Lefitem einen PWM!”

§ 900

Gwehäftsmfmhtät;iiehh reeäizfine; mich quölehefnd, _ _ erhaschte ich meinen Bfiok*evmfiäié Imnlm'it mal:. daß sie richtig ,E‘is'amkonshul: "" Mate.” -, . .„f —

§ 901

„In. den „nmwm und! inzwischen an unrieh ‘ erkannte Mäunkpeoche’, daß Ekz'h‘as zung Präsidenten du“ Vereinigten Sinatenzgewähiteei.» Anschließend dann mchien ein kurzer Iebeue‘imf des angeblich Gewählben und in diesem stieß ich auf die Müfßflung, daß Hughes in Bann Universitätsstudien m1fim am lm mmminmnw, an: dieses Bmutmdee in da woülzéinlangeu Zütuugedebn‘flen, die _ dem WM‘ vein'ngegan;aiwatül, keine Erwähnung. gg. anheben wu. Müheepritung ergab denn will:, d.pß

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§ 903

138 VI. VEMEN UND VEBSOHREIBEN.

§ 904

nur von der ,Brown‘-Universität die Rede war. Dieser krasse Fall, bei dem für das Zustandekommen des Verlesens eine ziemlich große Gewaltsamkeit notwendig war, erklärt sich außer aus der Flüchtigkeit bei der Zeitungslektüre ver allem daraus, daß mir die Sympathie des neuen Präsidenten fiir die Mittelmächte als Grundlage künftiger guter Beziehungen nicht bloß aus politischen, sondern auch darüber hinaus aus persönlichen Gründen wünschenswert schien.“

§ 905

B. Verschreiben.

§ 906

'n) Auf einem Blette, welches kurze tägliche Aufweiehnun» gen meist von geschäftlichen: Interesse enthält, finde ich zu meiner Überraschung mitten unter den richtigen Daten des Monats September eingeschlossen dns verschriebene Datum „Donnerstag, den 20. Okt.“, Es ist nicht schwierig, diese Antizipa.tion eufznkläten, und zwar als Ausdruck eines Wunsehes. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreiee zurückgekehrt und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beachä.ftigung, aber die Anzahl der Patienten ist noch gering, Bei meiner Ankunft fand ich einen Brief von einer Kranken vor, die sich für den 20. Okt obe r ankündjgte. Als ich die gleiche Tageszahl im September niederschrleh, kann ich wohl gedacht haben: Die X4 sollte doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem Gedenken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in diesem Falle kann; ein enstößiger zu nennen; dafiir weiß ich auch sofort die Auflösung des Sehreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt habe. Ein ganz analoges und ähnlich motiviertes Verschreihen vfiederhole ich denn im Herbst des nächsten Jahres —— E, Jones hat ähnliche Verschreibungen im Datum studiert und ,sie in den meisten Fällen leicht als motivierte erkannt,

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§ 908

uvmmvnwscmmu. ' gm

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17} Ich erhalte die “Korrektur meinen Beitrag! zum/Jahre!berichi. für Namlogie untl Peyohia.trie und muß päti'nlich mit besonderer Sorgfalt die Automnmen revidieren, die, weil ,ier« schiedenen Nationen angehörig, dem Setzer die größten Schwierigkeiten zu bereiten pflegen. Manchen {md kfingmden Namen finde ich wirklich noch zu korrigieren, aber einen

§ 910

einzigen Namen hat merkwürdigerweine der Sehen gegenv

§ 911

mein Manuskript verbessert, und war mit vollem Rechte. ‘ Ink hatte nämlich Buekrhard geschrieben, wihrend der Seiner B urekhanl erriet. Ich hatte die Abhandlung eines Geburtehelfen; über den Einfluß der Gehurt auf die Entefßlmng der Kinderlihmungen selbst als verdiensflioh gelobt, wüßte auch nichfs gegen deren Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Selu'ifl-abelier in Wien, der mich durch eine nnveratindige Kritik über meine „Traum-deutung“ geärgert hat. Es ist gende so, 'als hätte ich mirbei der Niederschrift des Namens Burckhard,'iier den Geburtshelfer bezeichnete, etwas Arge: über den anderen B., den Sehriftsteller, gedacht., denn Namenverdxehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Verspreehen erwünt habe, Schmihung ".

§ 912

c) Diese Behauptung wird sehr heiß:: durch eine Selbst— beobachtung von A. J. Stoffe: bekräftigt, in welcher der Ani/or mit rühmenewerier Of!enheit die Motive klexlegt, die

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' Vgl. etwa die Stelle im Julius Oisar, III, 8: Cinnn. Ehrlich, mein Nun. ist Cilmi. Bürger, Heißt ihn in Siüokel er in ein Vefl°hwntlnäl.

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Cinnn. 1611 bin ein» dit PO!“ ich bin niohi Gina: GBI VOI— uchworene. '

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Bürger. El but nicht!; nein Nam in Oimm, reißt ihm den lünniz nun dem Ihnen und Mir ihn Indem

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140 VI. VERLESIN um) vnnscflmm.

§ 918

ihn den Namen eines vermeintlichen Konkurrenten falsch erinnern und dann entsbellt niederschreiben hießen (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, II, 1914).

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„Eine hsrtnäckige Nameuverunglimpfung.

§ 920

Im Dezember 1910 sah ich im Schaufenster einer Züricher Buchhandlung das damals neue Buch von Dr. Eduard Hitsohmann über die Frendsche Neumsenlehre. Ich arbeitete damals gerade um Manuskript eines Vortrags, den ich demnächst in einem akademischen Verein über die Gmndziige der Freudschen Psychologie halten sollte. In der damals schon niedergeschriébenen Einleitung des Vortrags hatte ich‘ auf die historische Entwicklung der Freud.schen Psychologie aus Forschungen auf einem angewande Gebiete, auf gewisse, daraus ' folgende Schwierigkeiten einer zusammenfassenden Darstellung der Grundzüge hingewiesen, und darauf, daß noch keine allgemeine Darstellung bestehe. Als ich das Buch (des mir bis dahin unbekannten Autors) im Schaufenster sah, dachte ich zunächst nicht dars,n, es zu kaufen. Einige Tage nachher beschloß ich aber, es zu tun. Das Buch war nicht mehr im Schaufensten Ich nannte dem Buchhändler das vor kurzem erschienene Buch; als Autor nannte ich ,Dr. Eduard Hart

§ 921

. mann‘. Der Buchhändler verbesserte: ,Sie meinen Wohl Hitschmann‘, und. brachte mir das Buch.

§ 922

Das unbewußte Motiv der Fehlleistung war naheliegend. Ich hatte es mir gewissermaßen zum Verdienst angerechnet die Grundzüge der peychopnßlytiechen Lehren zusemmengefa.ßt zu haben und habe offenbar das Buch Hitsohma,nns als Minden-er meines Verdienstes mit Neid und Ärger angesehen. Die Abänderung des Namens sei ein Akt der unbewuliten Feindeeligkeit,

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§ 924

sagte ich mir naioh" der ,Psyehöpéihhologie des Am::‘gß‘ dieser Etkü'mmg gab ich mich damals zufrieden.

§ 925

Einige Wochen später notierte ich um jene Fehfleiäfing Bei dieser Gelegenheit war! mb auch ,die Frage auf, wenig ’ ' Eduard Bibeuh‘mann gerade in Eduard Hartmann umkeimbrk‘ hatte. Sollte mich bloß Eis Nnms'älmliohkeit _auf MM dee bekanntßn Philosophen gefiihr't haben'l Meine'erstu'inß ‘

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mat1onwa.r üeEdnnernnganemenAusepmeli, denth "

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wm meeeeor Hugo Welt“, einem begeisterten Schdpmhnseéa >“ verehter, gehört hatte und der ungefähr so Iantefieß ,Edumfl , v.Ha.1-tmann ietderv'erhhnzbe, d'eraizleeiuelinke Beiteumge sbiilpbe Schopenhä.uexfi Die aflektive Tendenz, dnrokdie 'dae Ersatzgebflde für den ästgésseue@Namm dsterminiert. war, war also: ,Ach; au‘diesem Hitacbmn"mi ‘1md leiner zusammen—‘ fassenden'Dmbellflg 5wü-d wohlnichb viel daran sein; er W hält sich wohl an Proud wie Earhnaim zn Sehdpenhamer." Ich hatte den diesen Fall einen deteminierfien Vergeeeens mit Erenimeinfall niedergeschtiebaz; ‘ ' Nacheinßmhzllieniabnhmmirdaalhtt,anfdßnl ich die Aufweiehmmg gmehhkadsfe, m‘die: Hand. Dabe— merktß ich, M ich e(at% Hüsulimxh'u daumkwegn nmun» mann geschrieben 119M5.‘ »; ’

§ 928

d) Ein anseheinenßemsbererl‘allvoanehreiben, dmmm ' '

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vielleicht mit ebensovlel Recht dem „Verg1eifeu“einofinen könnte: Ich habe die Absicht; mit aus der P_oetsparhm die Summe von 300 Kronen kommen zu lassen, die ich“ einm mm‘ Kurgebnmoh abweseth Vetwanflben schiukm will. Ich bemerke dabei, MmeinKunmanfßßl) Khmtiatm’ndnehnénür vor, es jetzt nut die 'rumie Sinimie 17m “BOOK hemneermmmeu, dieinder1fichm-Zvitxfiuhtnägegriftm'werdmeolh Naflü' dem ich den. M'onimagonüßig mgeeohfieben wald \üe

§ 930

§ 931

142 VI. vmmsm UND VERSDBRBIIBIN.

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der Zahl entsprechenden Ziffern nusgesehnitten‘hahé, merke ich plötzlich, daß ich nicht 380 K, wie ich wollte sondern gerade 438 bestellt habe, und erschrecke über die Unzuverlässigkeit meines Tune, Den Schreck erkenne ich bald. als unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer geworden, als ich vorher wa.n Aber ich muß eine ganze Weile darüber nachsinnan, welcher Einfluß hier meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem Bewußtsein anzukündigen. Ich gereta zuerst auf falsche Wege, will die beiden Zahlen, 380 und 438, voneinander abziehen, weiß aber dann nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein plötzlichsr Ein£a.ll den wahren Zusammenhang. 438 entspricht ja. zehn Prozent des ganzen Kontos von 4380 K! 10% Rabatt hat man aber beim Buchhändler. Ich besinne mich, daß ich vor wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke, die ihr Interesse für mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade für 300 K anzubieten Er fand die Forderung zu hoch und versprach, in den nächsten Tagen endgültige Antwort zu sagen, Wenn er mein Angebot annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken versusgeben soll. Es ist nicht zu verkennen', daß es mir um diese Ausgabe leid tut. Der Affekt bei der Wahrnehmung meines Irrtums läßt sich besser verstehen als Furcht, durch ‘solche Ausgaben arm zu werden. Aber beides, das Beda.uern wegen dieser Ausgabe und die an sie gehnüpfte Verarmungssngst, sind meinem Bewußtsein völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fände die Motivierung desselben lächerlich. Ich würde mir eine solche Rogung wahrscheinlich gar nicht zutrazuen, wenn ich nicht durch die Übung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre,

§ 933

§ 934

“Nummvrmscnnmm.

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und. wenn ich nicht vor einigen Tagen einen Tamm gehabt hätte, welcher ‘die nämliohe Lösung erforxie'rte"

§ 936

9) Nach W. Stekel zitiere ich felgend.en Fall, für (198561: Authentizität ich gleichfalls einziehen kann: „Ein gemdeül JW gla.ubliches Beispiel im lfm-schreiben und. Verlesen ist in der Redaktion eina verbreiteten Wochenblattes vorgekamen. Die betreiiende Leitung wurde öffentlich als ,käuflich‘ heseiclmst; es galt, einen Artikel der Abwehr und Verteidigung zu sehn} ben. Das geschah auch —— mit gmßer Wärme und großem Pathos. Der Chefredakteur des Blattes la.s den Artikel; der Verfasser selbstverständlieh mehrmals im Manuskript, dann noch im Bürstensbzug, alle waren sehr befriedigt Plötzlich meldet sich der Korrektor und macht auf einen kleinen Fehler aufmerksam, der der Aufmerksamkeit aller eiilgangen war. Dort stand es ja, deutlich: Unsere Leser werden uns das Zeugnis ausstellen, daß wir immer'in eigenniitzigster Weise für &as Wahl der Allgemeinheit eingetreten sind. Selbst— verstä.ndlich sollte es uneigennützigster Weise heißen. Aber die wahren Gedanken brachen mit elementarer Gewalt durch die puthetische Rede.“ 3 7

§ 937

f) Einer Leserin äes „Fester ley “, Frau Kain Levi in Budapest, ist kürzlich eine ähnlich unbeabsichtigte'Aufrichiiés keit in einer Äußerung aufgefallen, die sich das Blatt am 11. Oktober 1918 aus Wien hatte telegmphieren lassen: '

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„Als zweifellos darf auf Grund des absoluten Vertrauens— vnrhältnisses, das während des ganzen Krieges zwischen uns und dem deutschen Verbündeten gehermeht hat, vorausgesetzt

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— Es in dies jsm Traum, den ich in einer kumn Abbnuclhuigz „Uber aen Traum", Nr. VII! au „(}‘Nmfi'agui du Nerven- und &e‘lou‘

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ums—, hemmgeg.hm m‘Lßwufsie1 und iin-du., 1901; im rmigm genomman him

§ 941

§ 942

144 \vx, mm uunwmtnmm;

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werden, daß die beiden Mächte in jedem {Falle ‘zu einer ein— miitigen Entschäeßumg gelangen würden. Es int überflüssig, noch ausdrücklich zu erwähnen, daß auch in der gegenwärtigen Phase ein reges und lückenhaftes Zusammenarbeiten der Verbündeten Diplomatien stattfindet.“

§ 944

Nur wenige Wochen später konnte man sich über dieses „Vertranensverhältnis“ heimütiger äußern, brauchte man nicht mehr zum Verschreiben (oder Verdrucken) Ill flüchten.

§ 945

9) Ein in Europa weilender Amerikaner, der seine Frau in schlechtem Einvernehmen verlassen hat, glaubt, daß er sich nun mit ihr Versöhnen könne, und. fordert sie auf, ihm zu einem bestimmten Termin über den Ozean nachzulmmmen: „Es Wim schön,“ schreibt er, „wenn Du wie ich mit der Mauretania fahren könntest.“ Das Blatt, auf dem dieser sm stellt, getrant er sich dann aber nicht abzuschicken. Er zieht es vor, es neu zu ‘sahreiben. Denn er will nicht, daß sie die Korrektur bemerke, die‘nn dem Namen des Schiffes notwendig geworden war. Er hatte nämlich anfänglich Lusitnnia geschrieben.

§ 946

Dies Verechreiben bedarf keiner Erläuterung, es ist ohne

§ 947

— weiteres 'd.eutber. Doch läßt die Gunst des Zufalls noch einiges hinzufügen: Seine Frau war vor dem Kriege zum erstenmal nach Europa. gefahren, nach dem Tode ihre: einzigen Schwester. Wenn ich nicht irre, ist die Mauretania. dal! überlebende Sohwestersohiff der während des Krieges versenkten Lusita n i a. '

§ 948

b) Ein mt hat; ein Kind untersucht und schreibt nun ein Rezept für dasselbe nieder, in welchem Alcohol vorkommt. Die Mutter belästigt ihn. während dieser Tätigkeit mit töriohten und überflüssigen Fragen. Er nimmt sich innerlich test vor, sich jetlt darüber nicht zu ärgern, fiihrt diesen Vorsatz

§ 949

§ 950

auch durch, hat sich aber während der Störung verschieben. Auf dem Rezept steht anstatt Alcohol su lesen Aoliol*,

§ 951

Der stoiilichen Verwandtschaft wegen reihe ich hier einen Fall an, den E. Jones von A. A, Brill berichtet. Imtzterér, hatte sich, obwohl sonst völlig abstinent, von einem Freunde verleiten lassen, etwas Wein zu trinken. Am nächsten ,Morgen gab ihm ein heftiger Kopfschmerz Anlaß, diese thgiebigkeit zu bedauern. Er hatte den Namen einer Patientin niederzuschreiben, die Ethel hieß, und schrieb anstatt dessen Ethyl“. Es kam dabei wohl auch in Betracht, daß die betreffende Dame selbst mehr zu trinken pflegts,_ als ihr gut tat.

§ 952

Da ein Verschreiben des Arztes beim Rezeptisren eine Bedeutung bea.nspruchf„ die weit über den sonstigen praktischen Wert der Fehlleistungen hinnusgeht, bediene ich mich des;Anlasses, um die einzige bis jetzt publizierte Analyse von solchem » ärztlichen Versohreiben ausführlich mitzuteilen (Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, ], 1913).

§ 953

Ein wiederholter Fall von Verschrejben bei der. Rezeptierung, Von Dr. Ed. Hitachmsnn.

§ 954

„Ein Kollege erzählte mir, es sei ihm im Laufe der Jahre „ mehrmals passiert, daß er sich beim Versohtei‘uen. eines bestimmten Medikaments iii: weibliche Patienten vorgeschrittenen Alters irrte. Zweimal versohrieb er die zehnfachs Dosis und mußte nachher, da ihm dies plötzlich einfiel, unter größter Angst, der Patientin gesehn/det zu haben und selbst in größte ‘ Unennehmliohkeit zu kommen, eiligst die Zurüokziehung ‘des Rezepts anstreben. Diese wunderbare Symptomlmndlung ver

§ 955

» em.: Keine Gum. » Mhyh\kohul.

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nnd, lmhupthola'lu a.- Auhokuu. vu. Aufl. In

§ 957

§ 958

146 VI. mm UND mmr

§ 959

dient durch genauere Ik.rstellung der einzelnen Fälle und durch Analyse kla.rgelegt zu werden. '

§ 960

1. Fall: Der Arzt Verschreibt einer an der Schwelle des Greisennlters stehenden armen Freu gegen epaatieche Obstipation zehniach zu starke Beiladonna„läpfchen. Er verläßt das Ambula-torium und etwa. eine Stunde später fällt ihm zu Hause, während er Zeitung liest und friihstückt, plötzlich sein Irrtum ein; es überfällt ihn Angst, ‘er eilt zunächst ins Ambulamrium zurück, um die Adresse der Patientin zu requirieren, und von dort in ihre weit entlegene Wohnung. Er findet das alte Weihlein noch mit unausgefü.hrtem Rezept, worüber er höchst erfreut und beruhigt heimkehrt. Er entschuldigt sich vor sich selbst nicht ohne Berechtigung damit, daß ihmßer gesprächige Chef der Amhuhmz während der Reeeptur über die Schulter geschaut und ihn gestört hatte,

§ 961

2. Fall: Der Arzt muß sich aus seiner Ordination von einer koketten und pika,nt schönen Patientin losreißen, um ein älteres Fräulein ärztlich aufzusuchen. Er benützt ein Automobil, da er'nic‘ht viel Zeit für diesen Besuch übrig hat; denn er soll um eine bestimmte Stunde, nahe von ihrer Wahnung, ein geliebtes junges Mädchen heimlich treffen. Auch hier ergibt sich die Indikation für Belladonnn. wegen analoger Beschwerden wie im ersten Falle. Es wird wieder der Fehler begangen, das Medikament zehn.fach zu stark zu rezeptieren. Die Fatientin bringt einiges nicht zum Gegenstand gehörige Interessante vor, der Arzt aber verrät Ungeduld, wenn er sie auch mit Worten verleugnet, und verläßt die Patientin, so daß er reichlich zurecht zum Rendezvous erscheint. Etwa. zwölf Stunden nachher, gegen sieben Uhr morgens, erwacht der Arzt; der Ein.fell seines Verschreibens und Angst treten fast gleichzeitig in sein Bewußtsein, und er sendet mein zu der

§ 962

§ 963

selbstverstänfllich (oäer viefl.eiß’ht muh durch ein V ' das Medikament in einer geringbmn Dosis veral_)reidhii kabel

§ 964

3.Fa11: Der Am, will seinm- gehen Tante, Schwede: seiner Mutter, die Misohung von Tinä€ belladonnu,e und Tin opii in harmloser- Dosis vérsuinéiben. Das Eqfiept wird su- im durch das Mädchen in die'Apotlieie gatrsge'n.’ Ganz kurze Zeit. später fällt dem Am ein, daß «: anstatt tinotum ,extrzwtum‘ geschrieben habe, und gleich darauf teiephoniefl: &e‘t‘ Apotheker, über diesen In_tm intm'pellierend. Der Ani; enti— sohnldigt sich mit der eringenel‘! Ausfed‘e, er hätte da.! Rezept noch nicht vollendet 38113176, es sei ihm durch die un— erwartet rasche Wegnaiimnmg des Beuépts vom Tische. die Schuld abgenommen.

§ 965

Die auffällig gemeinsamen Pufld:e Hieuetd‘rei Irgh’imer in der Verschraibung sind darin gelegen, dal! és dein Aintä‘nur bei . diesem einen Medikament bishßf pausiert ist, daß es sich.“J jedesmal um eine weibliche Patientin im vorgeschriblzenen Alter handelte und daß die Dosis immer zu stark war. Bei der kurzen Analyse stellte es sich heraus, daß das Verhältnis des Arztes zur Mutter von entscheidender Bedeutung sein mußte, Es fiel ihm nämlich ein, daß er einmal — und_ lwar höchßtwahrsoheinlich vor dienev.i Symptumiismzliungen' —— ' seiner gleichfalls grünen Mutter 'daflßibc Rumpf. versohriébeeix"‘ hatte, und “In: in der Dosis von 0-03, obwohl die gewüiinlielié_ 002 ihm geiiufiger m, um im fa.äm zu helfen, v_fle uliuif

§ 966

' ur

§ 967

§ 968

145 vr. mm mm vnnscnnnmnm

§ 969

dachte. Die Reaktion der zarten Mutter auf dieses Medikament war Kopfkongestion und unangenehme Trockenheit im Rschen. Sie beklagte sich darüber mit einer halb scherzha.ften Anspielung auf die gefährlichen Ordinationen, die von einem Sahne ausgehen können. Auch sonst hat die Mutter, übrigens Arztenstoohter, gegen gelegentlich vom ärztlichen Sahne empfohlene Medikamente ähnlich ablehnende, halb scherzha.fte Einwendungen erhoben und vom Vergiften gesprochen

§ 970

Soweit Referent die Beziehungen dieses Sohnes zu seiner Mutter durchschaut, ist er zwar ein instinktiv liebevolles Kind, aber in der geistigen Schätzung der Mutter und im persönlichen Bespekt keineswegs übertrieben. Mit dem um ein. Jahr jüngeren Bruder und der Mutter in gemeinsamem Haushalt lebend7 empfindet er dieses Zuseinmensein seit Jahren für seine erotische Freiheit als Hemmung, wobei wir allerdings sms psychoanalytisoher Erfahrung wissen, deli solche Begründungen zum Vorwand für inneres Gebundensein gern mil!brancht werden Der Arzt akzeptierte die Analyse unter ziemlicher Befriedi@rng über die Aufklärung und meinte 1äehelnd, da.! Wort Belladonnn = schöne Frau könnte auch eine emtifloho Beziehung bedeuten. Er hat das Medikament früher gelegentlich auch selbst verwendet.“

§ 971

Ich möchte urteilen, da.!) solche ernsthafte Fehlleistungen auf keinem anderen Wege zu stande kommen als die harmlosen, die wir sonst untersuchen.

§ 972

o”) Fiir ganz besonders harmlos wird man das nachstehende, von S. Ferenczi berichtete Verschreiben halten. Man kann es als Vordiohtungsleistung infolge von Ungsduld deuten (ng desVersprechen: Der Apfe, S. 73) und wird diese Auffassung verteidigen dürfen, bis nicht etwa eine eingehende Analyse des Vorfalls ein stärkeres störendes Moment nachgewiesen hätte:

§ 973

§ 974

vr. menu mm vmemm 149

§ 975

„Hiezu' paßt die Anekfmle“ —— schreibe iixh' elan in mein Notizbuch. Natürlich meinte ich Anekdote,wind zwar von einem zu Tode verurteilten Zigeuner, der» sich die Gnade erließ, selber den Baum zu wählen, niit den er gehä‘ig';

§ 976

werden soll (Er fand trotz eifrigen Suchen keinen pusenden Baum.) '

§ 977

}) Andere Male kann im Gegensetz'hiezu der unsehiah1barete Schreibfehler gefährlichen geheimen Sinn zum "Aus,druck bringen. ’Ein Anonymuß]berichtetz

§ 978

„Ich schließe einen Brief mit, den Worben: ,Herzlichste Grüße an Ihre Frau Gemahlin und. ihren Sohn! Knapp bevor ich das Blatt ins Kuvert stecke, bemerke ich den Irrtum im Anfangsbuchswa bei ,ihren Sohn“ und verbessere ihn. Auf dem Heimweg von dem letzten Besuche bei diesem Ehepaar hatte meine Begleiter-in bemerkt, der Sohn sehe einem Hausfreund happa.nß ähnlich und sei auch sicher eeiu. Kind.“

§ 979

I:) Eine Dame richbet an ihre Schwester einige beglückwünschende Zeilen zum Einzug in deren neue und geräumige Wohnung. Eine dabei anwesende Freundin bemerkt, daß die Schreiberin eine falsche Adresse auf den Brief gesetzt hat, und. zwar nicht die der eben verlassenen Wohnung, sondern die der ergaben, längst aufgegebenen, welehe die Schwester als eben verheiratete Fran bene—gen hatte. Sie macht die Schreiberin darauf aufmerksam. Sie haben Reoht, muß diese zugeben, aber wie komme ich darauf? Warum habe ich das getan? Die Freundin meint: Wahreclieinlich gönnen Sie ihr die schöne große Wohnung nicht, die sie jetzt bekommen soll, während Sie sieh selbst im Raum beengt fühlen, und versetzen sie darum in die erste Wohnung zurück, in der sie ee auch nicht besser hatte. —— Gewiß gönne ich ihr die neue Wohnung nicht, gesbeht die

§ 980

§ 981

150 VI. VERLESEN UND vmesanmm.

§ 982

andere ehrlich zu. Sie setzt dann fort: Wie schade, daß man bei diesen Dingen immer so gemein ist!

§ 983

1} E. Jones teilt folgendes, ihm von A. A. Brill überlassen.e Beispiel vom Verschreiben mit: Ein Patient richtete an Dr. Brill ein Schreiben, in welchem er sich bemühte, seine Nervosität auf die Sorge und Erregung über den Geschäftsga.ng während einer Baumwollkrise zurückzuführen. In diesem Schreiben hieß es: my trouble is all due to that damned frig-id wave; thereis’nt even a.ny seed. Er meinte mit „wave“ natürlich eine Welle, Strömung auf dem Geldmarkt; in Wirk— lichkeit schrieb er aber nicht wave, sondern wife Auf dem Grunde seines Hermns ruhtcn Vorwürfe gegen seine Frau, wegen ihrer ehelichen Kälte und ihrer Kinderlosigkeit, und er war nicht weit entfernt von der Erkenntnis, daß die ihm aufgezvnmgene Entbehrung einen großen Anteil an der Verursaehung seines Leidens habe.

§ 984

m) Dr. R. Wagner erzählt von sich im Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 12:

§ 985

„Beim Durchlesen eines alten Kollegienheftes fand ich, daß mir in der Geschwindigkeit des Mitschreibens ein kleiner Lapsus unter-laufen war. Statt ,Epithel‘ hatte ich nämlich ,Edithel‘ geschrieben. Mit Betonung der ersten Silbe gibt das das Diminutivum eines Mädchennamens. Die retmspektive Analyse ist einfach genug. Zur Zeit des Verschreibens war die Bekanntschaft zwischen mir und der Trägerin dieses Namens nur eine ganz oberflächliche, und erst viel später wurde daraus ein intimer Verkehr. Das Verschreiben ist also ein hübscher Beweis für den Durchbruch der unhewußten Neigung zu einer Zeit, wo ich selbst eigentlich davon noch keine Ahnung hatte, und die gewählte Form des Diminutivums charakterisiert gleichzeitig die begleitenden Gefühle,“

§ 986

§ 987

„) Fran Dr. v; Hug-Hellm'nth, Beiträge ,nun „Verseh'reiben nnd Var-lesen“, wenn. i. Peychoannlgeg ,ß.‘ ‘

§ 988

„Ein Arzt verordnet einer Patientin Leviti 997 mtb ' Levioowasser. Dieser Irrtum, der einem Aponhghfi kommenen Anlaß zu abiälligen Bemerkungen gegeben hme„ kann leicht einer milderen Anflaaeung begegtßn„jwenn,mnn' nach den möglichen Beweggziinden am dem „weiiorseht und ihnen, sind sie snsh nur subjektive A_nnnignß_;eines diesem mm Fernsimhendth, eine gewisse Wahrschemhehkert ' nicht ven vornherein sbepfieht:z Dieser Auf. erfreute 85915 trotzdem er seinen Pafienten ihre wenig rationelle Ernnhmng in ziemlich derbe: Worten vorhielß, ihnen sozusagm die Le— viten las, starken Zuspruchs, so daß sein Wartezimmer vor und in dei- Ordinatinnesßnnde dicht besetzt war, _wa.s den Wunsch des Arztes reehtfertigte, das Anheidan der absolvierten Patienten möge sich möglichst rasch, vice, vite vollziohen. Wie ich mich riehtigm erinnern ,glaubte, war seine Gattin aus Frankreich gebürtig, wuflie etwas kühn seheinende Annahme, daß er sich bei seinem Wunsehe nach größerer, Geschwindigkeit seiner Patienten gerade 4 dem französischen Sprache bediente;,einigemeohderti8ß Übrigens ist es eine bei vielm Personen &nsu'nflfénde: Gewohnheit, sold: Wünschen in fremder Sprache Werbe zu verleihen, wie mein eigener Vater uns Kinder bei Spuiergängen gern dureh den Zurnf ,Avanti gioventü‘ oder ,][ngehez an pas‘ zur Eile drängte, dagegen wieder ein schon recht bejdn'ter Arzt, bei dem ich als junges Mädchen wegen eines Hnlsübels in Behandlung stand, meine ihm allzu rascheanewegnngen durch ein beschwiolr» tigenxles ,Piano, pis.nn‘ zn hemmen suchte. So erscheint es mit recht gut denkbar, daß auch jenen; Amt dieser Gewohnheit hei— digte; und so„vamhreibt‘ er l-g'rifioo- —— statt Levioovmsqer,“

§ 989

§ 990

152 VI. VEBLESEN UND VERBOH'REIBEN.

§ 991

Andere Beispiele aus der Jugenderinnerung der Verfasserin ebendaselbst (frazösisch statt französisch —— Verschrei- . ben des Namens Karl).

§ 992

0) Ein Verschreiben, das sich inhaltlich mit einem bekannten schlechten Witz deckt, bei dem aber die Witzabsieht sicherlich ausgeschlossen war, danke ich der Mitteilung einen Herrn J. G., von dem ein anderer Beitrag bereits Erwähnung gefunden hat:

§ 993

„Als Patient eines (Lungen-) Sanatoriums er£shre ich zu meinem Bedanern, daß bei einem nahen Verwandten dieselbe Krankheit konstatiert wurde, die mich zur Aufsuclmng einer Heilanstalt genötigt. hat

§ 994

In einem Briefe lege ich nun meinem Verwandten nahe, zu einem Spezialisten zu gehen, einem bekannten Professor, bei dem ich selbst in Behandlung stehe, und von dessen medizinischer Autorität ich überzeugt bin, wiihrend ich ander— seits n.llen Grund habe, seine Unhöflichkeit zu beklagen; denn der betreffende Professor hat mir — erst kurze Zeit vorher — die Ausstellung eines Zeugnisses verweigert, das für mich von großer Wichtigkeit war.

§ 995

In der Antwort auf meinen Brief werde ich von meinem‘ Verwandten auf einen Schreibfehler aufmerksam gemacht, der mich, da. ich seine Ursache augenblicklich erkannte, außerordentlich erheitcrte.

§ 996

Ich hatte in meinem Schreiben folgenden Passau verwendet:

§ 997

, ..... übrigens rmte ich Dir, ohne Verzögerung Prof. X. zu insultieren.‘ Natürlich hatte ich konsultieren schreiben wollen. ,

§ 998

Es bedn.rf vielleicht des Hinweises darauf, daß meine Latein- und Frenzösischkenntnisse die Erklärung ausschalten,

§ 999

§ 1000

VI. VERLEEN UND VERSCHREIBEN. 153

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daß es sich um einen aus Unwissenheit resultierenden Fehler handelte.“

§ 1002

Auslassungen im Schreiben haben natürlich Anspruch auf dieselbe Beurteilung wie Verschreibungen. Im Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 12, hat Jur. Dr. B. Dattncr ein merkwürdiges Beispiel einer „historischen Fehlleistung“ mitgeteilt. In einem der Geeetzesartikel über finanzielle Verpflichtungen der beiden Staaten, welche in dem Ausgleich zwischen Osterreich und Ungarn im Jahre 1867 vereinbart wurden, ist das Wort effektiv in der ungarischen Übersetzung weggeblieben, und Dattner macht es wahrscheinlich, daß die unbewußte Strömung der ungarischen Gesetzesredaktoren, Österreich möglichst wenig Vorteile zuzugestehen, an dieser Auslassung beteiligt gewesen sei.

§ 1003

Wir haben auch allen Grund anzunehmen, daß die so häufigen Wiederholungen derselben Worte beim Schreiben und Ab— schreibcn — Perseverationen —— gleichfalls nicht bedeutungslos sind. Setzt der Schreiber dasselbe Wort, das er bereits geschrieben hat, noch ein zweites Mal hin, so zeigt er damit wohl, daß er von diesem Worte nicht so leicht losgekommen ist, daß er an dieser Stelle mehr hätte äußern können, was er aber unterlassen hat, oder ähnliches. Die. Perseveration beim Abschreiben scheint dieyLuße1-ung eines „auch, auch ich“ zu ersetan Ich habe lange gerichtsä.rztliehe Gutachten in der Hand gehabt, welehe Perseverationen von seiten des Abschreibers an besonders ausgezeichneten Stellen aufwiesen, und hätte sie gern so gedeutet, als ob der seiner unpersönlichen Rolle Überdriissige die Glosse einfügen würde: Ganz mein Fall, oder ganz so wie bei uns.

§ 1004

Es steht ferner nichts im Wege, die Druckfehler als „Verschreibungen“ des Setzers zu behandeln und sie als größtenteils

§ 1005

§ 1006

' 154 'VI. VEBLEEN UND VEBSGHREIB'EN.

§ 1007

motiviert aufzufa.ssen. Eine systematische Sammlung solcher Fehlleistungen, die recht müea.nt und 1ehrreich ausfallen könnte, habe ich nicht angelegt. Jones hat in seiner hier mehrfach erwähnten Arbeit den „Misprinté“ einen besonderen Abs_a.tz gewidmet. Auch die Entstehu.ngen in Telegrammen lassen sich gelegentlich als Verschreibungen des Telegmphisten verstehen. In den Sommerferien trifft mich ein Telegramm meines Verlages, dessen Text mir unbegreiflich» ist. Es lautet:

§ 1008

„Vorräte erhalten, Einladung X. dringend.“ Die Lösung des Rätsels geht von dem darin erwähnten Natmen X. aus. X. ist doch der Autor, zu dessen Buch ich eine Einleitung schreiben soll. Aus dieser Einleitung ist die Einladung geworden. Dann darf ich mich aber erinnern, daß ich vor einigen Tagen eine Vorrede zu einem anderen Buch an den Verlag abgeschickt habe, deren Eintreffen mir also 50 bestätigt wird, Der richtige Text hat sehr wahrscheinlich so goheißen: ,

§ 1009

„Vorrede erhalten, Einleitung X. dringend.“ Wir dürfen annehmen, daß er einer Bearbeitung durch den Hungerkomplex des Telegraphisten zum Opfer gefallen ist, wobei übrigens die beiden Hälften des Satzes in innigeren Zusammenhang gebracht wurden, als vom Absender beabsichtigt war. Nebstbei ein schönes Beispiel von „seknndärer Bea:beitung“, wie. sie in den meisten Träumen nachweisbar ist *.

§ 1010

Gelegentlich sind von Anderen Druckfehler aufgezeigt worden, denen man eine Tendenz nicht leicht streitig machen kann, so von Storfer (im Zentralblatt für Psychoanalyse, II, 1914: „Der politische Dmckfehl€rteufel“) und ibid. III, 1915, die kleine Notiz, die ich hier abdrucke:

§ 1011

"Vgl. Traumdeutung. fünfte Auflage, 1919, Abschnitt über die Traumarhelt, i.

§ 1012

§ 1013

VLVERLESENUNDVERSCHREIBEN. |55

§ 1014

„Ein politischer Druckfehler

§ 1015

findet sich in der Nummer des ,Min: vom 25. April d.J. In einem Briefe aus Argyrokastron werden Äußerungen von Zographos, dem Führer der nufständischen Epircten in A1banien, (oder wenn man will: dem Präsidenten der unabhängigen Regierung des Epirus) wiedergegeben. U. &. heißt es: ,Glauben Sie mir; ein autonomer Epirus läge im ureigensteu Interesse des Fürsten Wied. _An£ ihn könnte er sich stürzen..f Daß die Annahme der Stütze, die ihm die Epirnteu anbieten, seinen Sturz bedeuten würde, weiß wohl der Fürst von Albanien auch ohne jenen fatalen Druckfehler.“ (Mitgeteilt von A. J. Storfer.)

§ 1016

Ich las selbst vor kurzem in einer unserer Wiener Tages— zeitungen einen Aufsatz „die Bukowinn unter rumänischer Herrschaft“, dessen Überschrift man zum mindesten als verfriiht erklären durfte, den damals hätten sich die Rumänen noch nicht zu ihrer Feiudseligkeit bekannt. Es hätte nach dem Inhalt unzweifelhaft russisch anstatt rumänisch heißen müssen, aber auch dem Zeneor scheint die Zusammenstelle so wenig befremdend gewesen zu sein, dn.ß er selbst diesen Druckfehler überenh. _

§ 1017

Wundt gibt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu beetätigende Tatsache, daß wir uns leichter verschreiben als versprechen (l. c. S. 374). „Im Verlaufe der normalen Rede ist fortwährend die Hemmungsfuuktion des Willens dahin gerichtet, Vorstellungsverlauf und Artikuletionebewegung miteinander in Einklang zu bringen. Wird die den. Vorstellungen folgende Ausdruckshewegung durch mechanische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben .. , so treten daher solche Antizipationen besonders leicht ein.“

§ 1018

Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das Ver—

§ 1019

§ 1020

156 VI. VEB-LESEN UND VEBSCHEEIBEN.

§ 1021

lesen auftritt, gibt Anlaß zu einem Zweifel, den ich“ nicht unerwünt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim Vorlesen die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text verläßt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Aufmerksamkeit ist nicht selten, daß er überhaupt nicht anzugeben weiß, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vorlesen unterbricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, daß die Lesefehlcr sich unter solchen Bedingungen merklich vermehren Von einer ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewohnt anzunehmen, daß sie automatisch, also von kaum hewußter Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen werden. Daraus scheint zu folgen, daß die Aufmerksamkeitsbedingung der Sprech—, Lese- und Schreibfehler anders zu bestimmen ist, als sie bei Wundt lautet (Wegfall oder Nachla.ß der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unterzogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quantitative Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist, eine Störun g der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken*.

§ 1022

* Zwischen „Va-schreiben“ und „Va-genen“ da:! man den Fall ein? .ohnlteu, daß jemand eine Unterschrift unzubringen vergißt. Ein nicht unterschriebener Scheck int soviel wie ein vergessenen Für die Bedeutung eines solchen Vergessen. will ich eine Stelle aus einem Enmn.n nufiihren, die Dr. H. Suche aufgefallen ist:

§ 1023

„Ein sehr lehneiches und durchiiohtigee Beispiel, mit wnlcher Sicherheit die Dichter den Mechanillnu: der Feld» und Sympmeung!n im Sinne der Psychoanalyse zu verwenden Wissen, enthält 'der Roman von John Gulsworthy: ,The Island Phnrisccs.‘ Im Mittelpunkte steht das

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VI. VERLESEN UND VEMHREIBEN. 157

§ 1026

Schwankeli einer jungen Mennee, der dem reichen Mittelehnnd ungehiirt, zwischen tiefem eeninlen Mitgefühl und den geseuaohaiflichen Konventionen reiner Kleeee. lm xxvx. Bnpitel wird geeehildert, wie er auf einen Brief einee jungen Vngnbunden reagiert, den er, durch deine origi— nelle Lebennmiiulung nngeeegen, einigemnl unterrtritet hette. Der Brief enibhlt keine direkte Bitte um Geld., eher die Schilderung einer großen Netlnge, die keine nndere Deutung „laut. Der Empiiiuger weint nunänbet den Gedenken von eieh, die Geld en einen Unvexbeeeerliehen wegnuwerfen, elntt damit wohltitige Amtnlten ru nnier-iehteen. ,Bine helfends Band, ein Stück von .ieh „im, ein hmeredeohnitliehee Niuken einem megeeehiipi ru gehen, ohne B.ilelreieht um! einen Aneprueh, nur weil ee ilnn eben eehleeht ging, welch ein nentimem.slez Uneinni Irgendwo um]! der Seheidesmeh gezogen werdenl‘ Aber während er diese Suhlußfolganmg vor eich hinmnrrnelte, fühlte er, nie eeine Aufriuhtigkaic Eineprueh erhob: ,Schwinrller! Du willet dein Geld behalten. dee iet alles!”

§ 1027

Er eehreibt dernufhin einen freundliehen Brief, der mit den Worten endigt:„leh eehließe einen Scheck bei. Autriehtig Ihr Richm‘d Shalton.“

§ 1028

„Bevor er noeh den dnheelr geeehrioben hat“, 1911th eine Motte, die um die Kerze eehwirrte, seine Aufmerkeeinlreit eb ; er ging dann, eie zn tungen und im Freien 1eernleeeen, deniber vergell er aber, daß der heheek nicht in den Brief eingeeehleeeen wer." Der Brief wird auch wirklich, ee wie er ist, befördert.

§ 1029

Dee Vergeeeen ist. uber noch feiner motiviert nie durch die Durchsnuung der eeheinber überwundenen eelbeteüehtigeu Tendenx, eieh die Ausgabe ru enpa.ren. ,

§ 1030

sbelton lüth lich mi dein l.ndeitn ,einer künftigen sehwiegee. eltern mitten zwischen eeiner Bene; ihrer Familie und deren Bieten veteinenmt; dureh eeine Fehlhnndlnng wird engedeutet, deli er sich nich eeine.n Sehützling eehnt, der durch reine Vergangenheit und Lebens— euffeeenng den velleten Gegeneetz zu der ihn umgebenden tedelleeen, noeh ein und dereelben Konvention gleiehiöruiig nbgeetenipelten Umgehung bildet. Teteiehlieh hemmt dieeer, der ohne die Unteretelteung eieh nut seinem Posten nicht mehr heiten kann, einige Tage mehher en, um nich

§ 1031

Aufkll.rlmg über die Gründe der Abwesenheifi des mgakündigben Scheck. zu much-Heu.“

§ 1032

§ 1033

VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

§ 1034

Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegen» wärtigen Kenntnis vom Seelenleben zu überschätzen, so brauchte man ihn nur an die Gedächtnisfunktion zu mehnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen. Keine psychologische Theorie hat. es noch vermocht, von dem fundamentalen Phänomen des Erinnerns und Vergessene im Zusammenhang-e Rechenschaft zu geben; ja, die vollständige Zergliederung dessen, was man als tatsächlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff genommen. Vielleicht ist uns heute das Vergessen rätselhafter geworden als das Erinnern, seitdem uns das Studium des Traumes und pethologischer Ereignisse gelehrt hat, daß auch das plötzlich Wieder im Be— wußtsein auftauchen kann, was wir für längst vergessen geschätzt haben.

§ 1035

Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichts— punkte, für welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen an, daß das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem

§ 1036

'ma,n einen gewissen zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, daß beim Vergesseneine gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindrücken stattfindet und ebenso unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir kennen einige der Bedingungen für die Haltbarkeit im Gedächtnis und fiir die Erweckba.rkeit dessen, was sonst vergessen würde. Bei unzähligen Anlässen im täglichen Leben können wir aber be

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§ 1038

VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄ'I‘ZEN. 145

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merken, wie unvollständig und unbefriedigend unsere Erkenntnis ist. Man höre zu, wie zwei Personen die gemeinsam äußere Eindrücke empfangen, z. B. eine Reise miteinander gemacht haben, eine Zeitlang später ihre Erinnerungen austauschen. Was dem einen fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der andere oft vergessen, als ob es nicht geschehen wäre, und zwar ohne daß man ein Recht zur Behauptung hätte, der Eindruck sei für den einen psychisch bedeutsamcr gewesen als für den anderen- Eine ganze Anzahl der die Auswahl fürs Gedächtnis bestimmenden Momente entzieht sich offenbar nach unserer Kenntnis.

§ 1040

In der Absicht, zur Kenntnis der Bedingungen des Ver—' geseens einen kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die Fälle, in denen mit das Vergessen selbst widerfährt, einer psychologischen Analyse zu unterziehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer gewissen Gruppe dieser Fälle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in Erstaunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende Wissen sollte. Ich will noch bemerken, daß ich zur Vergcßlichkeit im allgemeinen (für Erlebtes, nicht für Gelerhtesl) nicht neige, und daß ich durch eine kurze Periode meiner Jugend auch außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner Schulknabem zeit war es mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich gelmen hatte, auswendig hersagén zu können, und kurz vcr’der Universität war ich im stande, populäre Vorträge wissenschaftlichen Inhalts unmittelbar nachher fast wortgctreu niederzuschreiben. In der Spannung vor dem letzten medizinischen Rigomsum muß ich noch Gebrauch von dem Reste dieser Fähig— keit gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegenständen den Prüfem wie automatisch Antworten, die sich getreu mit dem Texte des Lehrbuches deckten, welchen ich doch nur einmal in der größten Hast durchflogen hatte.

§ 1041

Fund, Plychopnthnlauil du Alltwihhau. vr, Aufl. 10

§ 1042

§ 1043

145 VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

§ 1044

Die Verfügung über den Gedächtnisschatz ist seither bei mir immer schlechter geworden, doch habe ich mich bis in die letzte Zeit hinein überzeugt, daß ich mit Hilfe eines Kunstgriffes weit mehr erinnern kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn z. B. ein Patient in der Sprechstunde sich darauf beruft, daß ich ihn schon einmal gesehen habe, und ich mich Weder an die Tatsache noch an den Zeitpunkt erinnern kann, so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl von Jahren, von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. W'c Aufschreibungen oder die sichere Angabe des Patienten eine Kontrolle meines Einfalls ermöglichen, da zeigt es sich, daß ich selten um mehr als ein Halbjahr bei über zehn Jahren geirrt habe *. Ähnlich, wenn ich einen entfernteren Be kannten treffe, den ich aus Höflichkeit nach seinen kleinen Kindern frage. Erzählt er von den Fortschritten derselben, so suche ich mir einfallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist, kontrolliere durch die Auskunft des Vaters und gehe höchstens um einen Monat, bei älteren Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht angeben kann, welche Anhaltspunkte ich für diese Schät» zung hatte. Ich bin zuletzt so kühn geworden, daß ich meine Schätzung immer spontan vorbringe, und laufe dabei nicht Ge— fahr, den Vater durch die Bloßstellung‘ meiner Unwissenheit über seinen Sprößljng zu kranken. Ich erweitere so mein bewußtes Erinnern durch Anrufen meines jedenfalls weit reich» heltigeren unbewußten Gedächtnisses.

§ 1045

Ich werde also über a u f f ii] 1 i g e Beispiele von Vergessen, die ich zumeist an mir selbst beobachtet, berichten. Ich unterscheide Vergessen von Eindrücken und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von Vorsätzen, also Unterlassungen- Das einförmige Ergebnis der ganzen Reihe von Beobachtungen kann

§ 1046

* Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der Besprechung die Einzelheiten des damaligen ersten Besuches bewußt aufzutanohen.

§ 1047

§ 1048

VII. VERGESSEN VON EINDRUCKEN UND VOESÄTZEN. 147

§ 1049

ich vorenstellen: In allen Fällen erwies sich das Vergessen als begründet durch ein Unlnstmotiv

§ 1050

A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.

§ 1051

@) Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich harmlosen Anlaß zu heftigem Ärger. Wir saßen an der Table d>höte einem Herrn aus Vlien gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl auch an mich zu erinnern wußte. Ich hatte aber meine Gründe, die Bekanntschaft nicht zu erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegenüber gehört hatte, verriet zu sehr, daß sie seinem Gespräch mit dem Nachbarn zuhörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen, die den dort gesponnennen Faden aufnehmen. Ich wurde ungeduldig und endlich gereizt. Wenige Wochen später führte ich bei einer Verwandten Klage über dieses Verhalten meiner Frau- Ich war aber nicht im stande, auch nur ein Wort von der Unterhaltung jenes Herrn zu erinnern. Da ich sonst eher nachtragend bin und keine Einzelheit eines Vorfalls, der mich geärgcrt hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in diesem Falle wohl durch Rücksichten auf die Person der Ehefrau motiviert. Ähnlich erging es mir erst vor kurzem wieder. Ich wollte mich gegen einen intim Bekannten über eine Äußerung meiner Frau lustig machen, die erst vor wenigen Stunden gefallen war, fand mich aber in diesem Vorsatz durch den hemerkenswerten Umstand gehindert, daß ich die betreffende Äußerung spurlos vergessen hatte. Ich mußte erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu erinnern. Es ist leicht zu verstehen, daß dies mein Vergessen analog zu fassen ist der typischen Urteilsstönmg, welcher wir unterliegen, wenn es sich um unsere nächsten Angehörigen handelt.

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I)) Ich hatte es übernommen, einer fremd in Wien angekommenen Dame eine kleine eiserne Hendkassette zur Auf

§ 1053

10*

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143 VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VOBSÄTZEN.

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bewahnmgihrer Dokumente und Gelder zu besorgen. Als ich mich dazu verbot, schwehte mir mit ungewöhnlicher visueller Leh— heftigkeit das Bild einer Anslage in der Inneren Stadt vor, in welcher ich solche Kassen- gesehen haben mußte Ich konnte mich zwar an den Namen der Straße nicht erinnern, fühlte mich aber sicher, daß ich den Laden auf einem Spaziergang durch die Stadt a.uffinden werde, denn meine Erinnerung sagte mir, daß ich nn— zähligemal an ihm vorübergegangen sei. Zu meinem Ärger gelang es mir aber nicht, diese Auslage mit den Kassetten aufzu— finden, obwohl ich die Innere Stadt nach allen Richtungen durch» streifte— Es blieb mir nichts anderes übrig, meinte ich, als mir aus einem Adressenkalender die Kassenfabrikanten herauszu-' suchen, um dann auf einem zweiten Rundgang die gesuchte Auslage zu identifizieren. Es bedurfte aber nicht soviel; unter den im Kalender angezeigten Adlesseri befand sich eine, die sich mir sofort als die vergessene enthüllte. Es war richtig, daß ich ungezählte Male an dem Auslagefenster vorübergegangen war, jedesmal nämlich, wenn ich die Familie M. besucht hatte, die seit langen Jahren in dem nämlichen Hause wohnt. Seitdem dieser intime Verkehr einer völligen Entfremdung gewichen wary pflegte ich, ohne mir von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch die Gegend und das Haus zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt hatte ich, als ich die Kassetten in der Auslage suchte, jede Straße in der Umgebung begangen, dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot darauf läge, ausgewichenDas Unlustmotiv, welches in diesem Falle meine Unorientiertheit vemehuldete, ist greifbar Der Mechanismus des Vergessens ist aber nicht mehr so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine Ab» neig1mg gilt natürlich nicht dem Kassenfabrik‘anten, sondern einem anderen; von dem ich‘ nichts wissen Will, und überträgt sich von diesem anderen auf die Gelegenheit, wo sie das Ver

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VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN' UND VORBÄTZEN. 149 gessen zu stande bringt. Ganz ähnlich hatte im Falle Burck— hard der Groll gegen den einen den Schreibfehler im Namen hervorgebracht, wo an sich um den anderen: handelte Was hier die Namensgl-eichheit leistete, die Verknüpfung zwischen zwei im Wesen verschiedenen Gedankenkreisen herzustellen, das konnte im Beispiel von dem Auslegefenster die Kontignität im Raume, die untrennbare Nachbarschaft, ersetzen. Übrigens war dieser letzte Fall fester gefügt; es fand sich" noch eine zweite inhalt— liche Verknüpfung vor, denn unter den Gründen der Entfrem— dung mit der im Hause wohnenden Familie hatte das Geld eine Rolle gespielt.

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c} Ich werde von dem Bureau B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten ärztlich zu besuchen. Auf dem Wege zu dessen Wohnung- beschäftigt mich die Idee, ich müßte schon wiederholt in dem Hause gewesen sein, in welchem sich die. Firma, befindet. Es ist mir, als. ob mir die Tafel derselben in einem niedrigen Stockwerk aufgefallen wäre, während ich in einem höheren einen ärztlichen Besuch zu machen hatte. Ich kann mich aber weder , daran erinnern, welches dieses Haus ist, noch wen ich‘dort besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleichgültig und bedeutnngslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahre endlich auf dem gewöhnlichen Umweg, indem ich meine Einfä,lle dazu sammle, daß sich einen Stock über den Lokalitäten ,der Firma B. & R. die Pension Fischer befindet, in welcher ich häufig Patienten besucht habe. Ich kenne jetzt auch das Haus, welches die Burca.us und die Pension beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv bei diesem Vergessen im Spiele war. Ich finde nichts für die Erinnerung Anstößiges an der Firma selbst oder an Pension Fischer oder an den Patienten, die dort wohnten. Ich vermute auch, daß es sich um nichts sehr Pein— liches handeln kann; somit wäre es mir kaum gelungen, mich

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des Vergessenen auf einem Umweg wieder zu bemäohtigen, ohne, wie im vorigen Beispiel, äußere Hilfsmittel heranzuziehen. Es fällt mir endlich ein, daß mich eben vorhin, als ich den Weg zu dem neuen Patienten antrat, ein Herr auf der Straße gegrüßt hat, den ich Mühe hatte zu erkennen. Ich hatte diesen Mann vor Monaten in einem anscheinend schweren Zustand gesehen und die Diagnose der progressiven Paralysc über ihn verhängt, dann aber gehört, daß er hergestellt sei, so daß mein Urteil um richtig gewesen wäre. Wenn nicht etwa hier eine der Remissionen vorliegt, die sich auch bei Dementia paralytica finden, so daß meine Diagnose doch noch gerechtfertigt Wäre! Von dieser Begegnung ging der Einfluß. aus, der mich an die Nachbarschaft der Bureaus von B. & R. vergessen ließ, und mein Interesse, die Lösung des Vergessenen zu finden, war von diesem Fall strittiger Diagnostik her übertragen. Die assoziative Ver— knüpfung aber wurde bei geringem inneren Zusammenhang —— der wider Erwarten Genesene war auch Beamter eines großen Bureaus, welches mir Kranke zuzuweisen pflegte * durch eine Namensgleichheit besorgt. Der Arzt, mit welchem gemeinsam ich den fraglichen Paralytiker gesehen hatte, hieß auch Fischer, wie die in dem Hause befindliche, vom Vergessen betroffene Pension.

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d} Ein Ding verlegen heißt ja, nichts anderes als vorgessen, wohin man es gelegt hat, und. wie die meisten mit Schriften und Büchern hantierenden Personen hin ich auf meinem Schreibtisch Wohl orientiert und weiß das Gesuchte mit. einem Griffe hervorzuholen. Was anderen als Unordnung erscheint, ist für mich historisch gewordene Ordnung. Warum habe ich aber unlängst einen Bücherkatalog, der mir zugeschickt wurde, so verlegt, d,a,ß er unnuffindbar geblieben ist? Ich hatte doch die Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand, „Uber die

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vn. menssnn von EINDRÜCKFN UND vonemznn. 151

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Sprache“, zu bestellen, weil es von einem Autor herriihrt, dessen geisiu‘eich belebten sm ich liebe, dessen Ein5icht in der Psychologie und dessen Kenntnisse in der Kulturhistorie ichzu schätzen weiß. Ich meine, gerade darum habe ich den Katalog verlegt. Ich pflege nänilich Bücher dieses Autors zur Aufklärung unter meinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen Tagen hat mir jemand bei der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert mich ganz an den Ihrigen, und auch die Art zu denken ist dieselbe.“ Der Redner wußte nicht, an was er mit dieser Bemerkung rührte Vor Jahren, als ich noch jünger und anschlußbedürftiger war, hat mir ungefähr das Nämliche ein älterer Kollege gesagt, dem ich die Schriften eines bekannten medizinischen Autors enge— priesen hatte. „Ganz Ihr Stil und Ihre Art.“ So beeinflußt hatte ich diesem Autor einen um näheren Verkehr werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine kühle Antwort in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verbergen sich außerdem noch frühere absehreekende Erfahrungen hinter dieser letzten, denn ich habe den verlegten Katalog nicht wiedergefunden und bin durch dieses Vorzeichen wirklich abgehalten werden, das angezeigte Buch zu bestellen, obwohl ein wirkliches Hindernis durch das Verschwinden des Katalogs nicht geschaffen werden ist. Ich habe ja. die Namen des Buches und des Autors im‘.Gredäehtnis behalten*.

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e) Ein anderer Fall von Verlegen verdient wegen der Be— dingungen; unter denen das Verlegte wiedergefunden wurde, unser Interesse Ein jüngerer Mann erzählt mir: „Es“ gab vor einigen Jahren Mißvemtändnisse in meiner Ehe, ich fand meine Frau zu kühl, und obwohl ich ihre vortrei'flichen Eigenschaften gern anerkannte, lebten wir ohne Zärtlichkeit nebeneinander. Eines Tages

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" Fiir vielerlei Zufi.lligkeiten, die man seit The Visaher der „Tücks des Objekts“ zuschreiht, möchte ich ähnliche Erklärungen vorschlagen.

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brachte sie mir von einem Spaziergange ein Buch mit, das sie gekauft hatte, weil es mich interessieren dürfte. Ich dankte für dieses Zeichen von ,Aufmerk‘samkeit‘, versprach das Buch zu lesen, legte es mir zurecht und fand es nicht ,wieder. Monate vergin‘gen so, in denen ich mich gelegentlich all dies verschollene Buch erinnerte und. ee auch vergeblich aufzufinden versuchte. Etwa. ein halbes Jahr später erkrankte meine, getrennt von uns wohnendc, geliebte Mutter. Meine Frau verließ das Haus, um ihre Schwiegem'utter zu pflegen. Der Zustand der Kranken wurde erth iind geh meiner Frau Gelegenheit, sich von ihren besten Seiten zu zeigen. Eines Abends komme ich begeistert von der Leistung meiner Frau und dankerfüllt gegen sie nach Hause. Ich trete zu meinem Schreibtisch, öffne ohne bestimmte Absicht, aber wie mit somnambuler Sicherheit, eine bestimmte Lade desselben und zu oberst in ihr finde ich das so lange vermißte, des verlegte Buch.“

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Einen Fall von Verlegen, der in dem letzten Charakter mit diesem zusammentrifft, in der merkWürdigen Sicherheit des \Viederfindens, wenn das Motiv des Verlegens erloschen ist, erzählt J. Stärcke (l. c.).

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„Ein junges Mädchen hatte einen Lappen, aus welchem sie einen Kragen anfertigen wollie, im Zuschneiden verderben. Nun mußte die. Näherin kommen und versuchen, es noch zurechtzu bringen. Als die N äheri.n gekommen war und das Mädchen den zemchm'ttenen Kragen aus der Schublade, in die sie ihn gelegt zu haben glaubte, zum Vorschein holen wollte, konnte sie ihn nicht finden. Sie warf das Unter-ste zu oberst, aber sie fand ihn nicht. Als sie nun im Zorne sich setzte und sich abfregte, warum er plötzlich verschwunden war und ob sie ihn vielleicht nicht finden wollte. überlegbe sie, daß sie sich netür1ich»vor der Näherin achämte, weil sie etwas so Einfaches wie einen Kragen

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doch noch verdorben hatte. Als sie das bedacht hatte, stand sie auf, ging auf einen anderen Schrank zu. und brachte daraus beim ersten Griff den zerech'nittensen Kragen zum Vorschein.“

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f) Das nachstehende Beispiel von „Verlegen“ entspricht einem Typus, der jedem Psychoanalytiker bekannt geworden ist. Ich darf angeben, der Patient, der dieses Verlegen produzierte, hat den Schlüssel dazu selbst gefunden:

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„Ein in psychoanelytischer Behandlung stehender Patient, bei dem die sommerliche Unterbrechung der Kur in eine Periode des Vl’iderstandes und schlechten Befindens fällt, legt abends beim Entkleiden seinen Schlüswlbnnd, wie er meint, auf den gewohnten Platz. Denn erinnert er sich, daß er für die Abreise am nächeten Tag, dem letzten der Kur, an dem auch das Honorar fällig wird, noch einige Gegenstände aus dem Schreibtisch nehmen will, wo er auch das Geld verwahrt hat, Aber die Schlüssel sind —— verschwunden. Er beginnt seine kleine Vl'olmung systematisch, aber in steigender Erregung abzushch‘en — ohne Erfolg. Da er das ,Verlegen‘ der Schlüssel als Symptomhamdlung, also als heab sichtigt, erkennt, weckt er seinen Diener, um; mit Hilfe einer ,unbefangenen‘ Person weitermtsuchen. Nach einer weiteren Stunde gibt er das Suchen auf und fürchtet, daß er die Schlüssel verloren habe. Am nächsten Morgen bestellt er beim Febriknnten der Schreibtisclikasse neue Schlüssel, die in aller Eile angefertigt werden. Zwei Bekannte, die ihn im Wagen nach Hause begleitet haben, wollen sich erinnern, etwas auf den Boden klirren gehört zu haben, als er aus dem Wagen stieg. Er ist überzeugt, daß ihm die. Schlüssel aus der Tasche gefallen: sind. Abende präsentierte ihm der Diener triumphierend die Schlüssel. Sie lagen zwischen einem dicken Buche und einer dünnen Broschüre (einer Arbeit eines meiner Schüler), die er zur Lektüre für die Ferien mitnehmen wollte,. so geschickt hingelegt, daß niemand sie dort

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vermutet hätte. Es war ihm dann unmöglich, die Lage der Schlüssel so unsichtbar nachzuahmen. Die unbewußte Geschick— lichkeit, mit der ein Gegenstand infolge von geheimen aber starken Motiven verlegt wird, erinnert ganz an die ,somnamhule Sieherheit‘. Das Motiv war natürlich Unmut über die Unter» hrechung der Kur und die geheime Wut, bei so schlechtem Befinden ein hohes Honorar zahlen zu müssen.“

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g) Ein Mann, erzählt A. A. Brill, wurde von seiner Frau gedrängt, an einer gsellschaftlichen Veranstaltung teilzuneh— men, die ihm im Grunde sehr gleichgültig war. Er gab ihren Bitten endlich nach und begann seinen Festanzug aus dem Koffer zu nehmen, unterbrach sich aber darin und beschloß sich zuerst zu rasieren. Als er damit fertig geworden war, kehrte er zum Koffer zurück, fand ihn aber zugeklappt, und. der Schlüssel war nicht aufzufinden. Ein Schlosser war nicht aufzutreiben, da es Sonntag abends war, und so mußten die beiden sich in der Gesellschaft entschuldigen lassen. Als der Koffer am nächsten Morgen geöffnet wurde, fand sich der Schlüssel drinnen. Der Mann hatte ihn in der Zerstreutheit in den Koffer fallen lassen und diesen ins Schloß geworfen. Er gab mir zwar die Versicherung, daß er ganz ohne Wissen und Absicht so getan habe, aber wir Wissen, daß er nicht in die Gesellschaft gehen wollte. Das Verlegen des Schlüssels ermangelte also nicht eines Motive.

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E. Jones beobachtete an sich selbst, daß er jedesmal die Pfeife zu verlegen pflegte, nachdem er zuviel geraucht hatte und sich darum unwohl fühlte. Die Pfeife fand sich dann an allen möglichen Stellen, wo sie nicht hingehörte und wo sie für gewöhnlich nicht aufbewahrt wurde

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h) Einen harmlosen Fall mit eingestandener Motivierung berichtet Dora Müller (Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, III, 1915).

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1. Fräulein Erna A4 erzählt zwei Tage vor Weihnachten:

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„Denken Sie, gestern abends nahm ich aus meinem Pfefferkuchenpaket und aß; ich denke dabei, daß ich Fräulein S. (der Gesellschafterin ihrer Mutter), wenn sie mir Gutenacht sagen komme, davon anbieten müsse, ich hatte keine rechte Lust dazu, nahm mir aber trotzdem vor, es zu tun. Wie sie nachher kam und ich nach meinem Tischchen hin die Hand ausstreckte, um das Paket zu nehmen, fand ich es dort nicht. Ich suchte danach und fand es eingeschlossen in meinem Schranke. Da hatte ich das Paket ohne es zu wissen hineingestellt.“ Eine Analyse war überflüssig. die Erzählerin war sich selbst über den Zusammenhang klar. Die eben verdrängte Regung, das Gebäck für sich allein behalten zu wollen, war gleichwohl in automatischer Handlung durchgedrungen, um freilich in diesem Falle durch die nachfolgende bewußte Handlung wieder rückgängig gemacht zu werden.

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i) H. Sachs schildert, wie er sich einmal durch ein solches Verlegen der Verpflichtung zu arbeiten entzogen hat.

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„Vergangenen Sonntag nachmittags schwankte ich eine Weile, ob ich arbeiten oder einen Spaziergang mit daranschlieBanden-1 Besuche machen solle, entschloß mich aber nach einigem Kampr für das erstere. Nach etwa einer Stunde bemerkte ich, daß ich mit meinem Papiervorrat zu Ende sei. Ich wußte, daß ich irgendwo in einer Lade schon seit Jahren ein Bündel Papier aufbewahrt habe, suchte aber danach vergeblich in meinem Schreibtisch und an anderen Stellen, wo ich es zu finden vermutete, obgleich ich mir große Mühe gab und in allen möglichen alten Büchern, Broschüren, Briefschaften u. dgl. herumwühlte. So sah ich mich doch genötigt, die Arbeit einzustellen und fort— zugehan. Als ich abends nach Hause kam, setzte ich mich auf das Sofa und sah in Gedanken, halb abwesend auf den gegenüber

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155 vn. VERGESSEN vor EINDRÜCKEN UNI) VORSATZEN.

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stehenden Bücherechmnk. Da fiel mir eine Lade in die Augen und ich erinnerte, daß ich ihnen Inhalt schon lange nicht durchgemustert habe. Ich ging also hin und öffnete sie. Zu Oberst lag eine Ledermappe und in dieser unbeschriebenes Papier. Aber erst als ich es hersusg'enommen hatte und im Begriffe stand, es in“ der Sclueibtischlade zu verwahren, fiel mir ein, daß dies ja dasselbe Papier sei, das ich nachmittags vergeblich gesucht hatte Ich" muß hiezu noch bemerken, daß ich, obgleich sonst nicht sparsam, mit Papier sehr vorsichtig nmgehe und jedes verwendbare Bestehen aufhebe. Diese von einem Triebe gespeiste Gewohnheit war es offenbar, die mich zur sofortigen Korrektur des Vergessens veranlaßte, sobald das aktuelle Motiv dafür verschwunden war.“

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Wenn man die Fälle von Verlegen übersicht, wird es Wirk— lich schwer anzunehmen, daß ein Verlegen jemals anders als in« folge einer unbewuß’ren Absicht erfolgt

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j) Im Sommer des Jahres 1901 erklärte ich einmal einem Freunde, mit dem ich damals in regem Gedaflreneustauch über wissenschaftliche Fragen stand: Diese neurotischen Probleme sind nur dann zu lösen, wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme einer ursprünglichen Bisexualität des Individuums stellen. Ich erhielt zur Antwort: „Das habe ich dir schon vor zweieinhalb Jahren in Br. gesagt, als wir jenen Abendspazierga.ng machten. Du wolltest damals nichts davon hören.“ Es ist nun schmerzlich, so zum Aufgeben seiner Originalität aufgefordert zu werden. Ich konnte mich an ein solches Gespräch und an diese Eröffnung meines Freundes nicht erinnern Einer von uns beiden mußte sich da täuschen; nach dem Prinzip der Frage cui pro (lest? mußte ich das sein. Ich habe im Laufe der nächsten Woche in der Tat alles so erinnert, wie mein Freund es in‘ mir erwecken wollte; ich weiß selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte ich noch nicht, ich will mich darauf

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nicht einlaseen. Aber ich bin seither um ein Stück toleranber geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen Literatur auf eine der wenigen Ideen stoße, mit denen man meinen Namen verknüpfen kann, und wenn ich dabei die Erwähnung meines Nm mens vermisse.

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Ausstellungen an seiner Ehefrau —— Freundschaft, die ins Gegenteil umgesehlagen hat »« Irrtum in ärztlicher Diagnostik — Zurückweisung durch Gleichstmbende — Entlehnung von Ideen; es ist wohl kaum zufällig, daß eine Anzahl von Beispielen des Vergessene, die ohne Auswahl gesammelt werden sind, zu ihrer Auflösung des Eingehens auf so peinliche Themata. bedürfen. Ich vermute vielmehr, daß jeder andere, der sein eigenes Vergessen einer Prüfung nach den Motiven unterziehen will, eine ähnliche Musterkarte von Widerwärtigkeiten aufzeichnen können wird. Die Neigung zum Vergessen des Una,ngenehmen scheint mir ganz allgemein zu sein; die Fähigkeit dazu ist wohl bei den verschiedenen Personen verschieden gut ausgebildet. Manches A bleu gnen, das uns in der ärztlichen Tätigkeit begegnet, ist wahrscheinlich auf Vergessen zurückzuführen“.

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* Wenn man sich bei einem Menschen erkundng ob er vor 10 oder 15 Jahren eine luetische Infektion durchgemacht hat, vergißt man zu leicht daran, daß der Befragbe diesen Kmnkheitszuiall psychisch ganz anders behandelt hat. als etwa. einen akuten Rheumatisnms. -—- In den Anamnesen, welche Eltern über ihre neurotisch erkrankten Töchter geben, ist der Anteil des Vergessens von deni des Verbergens kaum je mit Sicherheit zu sondern, weil alles, was der späteren Verheiratung des Mädchens im Wege steht, von den. Eltern systematisch beseitigt, d. h. verdrängt wird. —- Ein Mann, der vor kurzem seine geliebte Frau an einer Lungenafbktion verloren. teilt mir nachstehenden Fall von Irreführung der ärztlichen Erkundjgung mit, der. nur auf solches Vergessen zurückführba.r ist: „Als die Plenricis meiner armen Em nach vielen Wochen noch nicht weichen wollte, wurde Dr. P. als Konsiliarius berufen. Bei der Aufnahme der

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158 VII. VERGESSEN vor EINDRÜCKEN UND vorsirznu.

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Unsere Auffassung eines solchen Vergessene beschränkt den Un« terschied zwischen dem und jenem Benehmen allerdings auf rein psychologische Verhältnisse und gestattet uns, in beiden Reak> tionsweisen den Ausdruck desselben Motive zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der Verlcugnung unangenehmer Er» innerungen, die- ich bei Angehörigen von Kranken gesehen habe, ist mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis geblieben. Eine Mutter informierte mich über die Kinderjehre ihres nerven— kranken, in der Pubertät befindlichen Sohnes und erzählte dabei, daß er wie seine Geschwister bis in späte Jahre an Bettnässen gelitten habe, was je für eine neurotische Krankengeschichte

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Anamnese stellte er die üblichen Fragen, 11. a.. auch, ob in der Familie meiner Frau etwa. Lungenkra.nkheiten vorgekommen seien. Meine Frau verneinte und auch ich erinnerte mich nicht. Bei der Verabschiedung des Dr. P. kommt das Gespräch wie zufällig auf Ausflüge, und meine Frau sagt: Ja, auch "bis Langersdori, wo mein armer Bruder be. graben liegt, ist eine weite Reise. Dieser Bruder war vor etwa 15 Jahren nach mehrjährigen: tuberkulösen Leiden gestorben. Meine Frau hatte ihn sehr geliebt und mir oft von ihm gesprochen. Ja., es fiel mir ein, da.!) sie seinerzeit, als die P]euritis festgestellt wurde, sehr besorgt war “und trübsinnig meinte: Auch mein Bruder ist an der Lunge gestorben. Nun aber wär die Erinnerung daran so sehr verdrängt, daß sie auch nach dem vorhin angeführten Ausspruch über den Ausflug nach L. keine Veranlassung fand, ihre Auskunft über Erkrankungen in ihrer Familie zu korrigieren. Mir selbst fiel das Vergessen in demselben Moment wieder ein, wo sie von Ißngersdorf sprach.“ — Ein völlig analoges ,Erlebnis erzählt E. Jones in der hier bereits mehrmals erwähnten Arbeit. Ein Arzt, dessen Frau an einer diagnostisch unklaren Unterleibserkrankung litt-, bemerkte zu ihr wie tröstend: „Es ist doch gut, daß in deiner Fa„ milie kein Fall von Tuberkulose vorgekommen ist.“ Die Frau antwortete aufs äußerste überrascht: „Hast du denn vergessen, daß meine Mutter an Tuberkulose gestorben ist, und daß meine Schwester von. ihrer Tuberkulose nicht eher hergestellt wurde, als bis die Amts sie aufgegeben hatten?“ ‘

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vn. monssnw von rnmnücxnu UND vonsllrzmr. 159

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nicht hedeutungslos ist. Einige Wochen später, als sie eich Auskunft über den Stand. der Behandlung holen wollte, hatte ich Anlaß, sie auf die Zeichen konstitutirmeller Krankheitsveranlagung bei dem jungen Menue aufmerksam zu machen, und berief mich hiehei auf das anemnestisch erhobene Bettnässen. Zu meinem Erstaunen bestritt sie die Tatsache sowohl für dies als auch für die anderen Kinder, fragte mich, woher ich das wissen könne, und hörte endlich von mir, daß sie selbst cs mir vor kurzer Zeit erzählt habe, was also von ihr vergessen worden war *.

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* In den Tagen, während ich mit der Niederschrift. dieser Seiten beschäftigt war, ist mir folgender, fast unglaublicher Fall von Vergessen -widerfahrenz Ich revidiere am 1. Jänner mein ärztliches Buch, um meine Honomrreohnungen aussenden zu können, etnße dabei im Juni auf den Namen M . . ,l und kann mich an eine zu ihm gehörige Person nicht erinnern. Mein Befreniden wächst, indem ich beim Weiterhlä.ttern hemerke, daß ich den Fall in einem Sanatorium behandelt, und daß ich ihn durch Wochen täglich besucht habe. Einen Kranken, mit dem man sich unter solchen Bedingungen beschäftigt, vergißt man als Arzt nicht nach kaum sechs Monaten Sollte es ein Mann, ein Pa.m.lytiker, ein Fall ohne Interesse gewesen sein, frage ich mich? Endlich bei dem Vermerk über das empfangene Honorar kommt mir all die Kenntnis wieder, die sich der Er— innerung entziehen wollte. M ...1 war ein l4jä.h.riges Mädchen gewesen, der merkwürdigsbe Fall meiner letzten Jahre, welcher mir eine Lehre hinterlassen. die ich kaum je vergessen werde, und dessen Ausgang mir die peinlichsten Stunden bereitet. hat. Das Kind erkrankte en umweideutiger Hysterie, die sich auch unter meinen Händen rasch und gründlich besserte. Nach dieser Besserung wurde mir das Kind' von den Eltern entzogen: es klagte noch über abdominale Sehmenen, denen die Hauptrolle im Symptombild der Hysterie zugefn.llen war. Zwei Monate später war es an Sarkom der Unterleibsdrüsen gestorben. Die Hysterie, zu der das Kind nebstjnei prädisponiert war, hatte die Tumorbildung zur provozierencleu Ursache genommen, und ich hatte, von den. lärmenden, aber harmlosen Erscheinungen der Hysfierie gefesselt, vielleicht die ersten Anzeichen der schleichenden und nnheilvollen Erkrankung übersehen.

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§ 1111

Man findet also auch bei gesunden, nicht neumtischen Menschen reichlich Anzeichen dafür, daß sich der Erinnerung an pein« liche Eindrücke, der Vorstellung peinlicher Gedanken, ein Widerstand entgegensetzt *. Die volle Bedeutung dieser Tatsache läßt sich aber erst ermessen, wenn man in die Psychologie neurotischer Personen eingeht. Man ist genötigt, ein solches ele me 11 t 3, re s A bw eh r b es tr e b e 11 gegen Vorstellungen, welche Unlust— empfindungen erwecken können, ein Bestreben, das sich nur dem Fluchtreflex bei Solimel'zmizen an die Seite stellen läßt, zu einem der Heuptpfeiler des Mechanis‘mus zu machen, welcher die hystcrischen Symptome trägt. Man möge gegen die Annahme einer solchen Abwehrtendenz nicht cinwenden, daß wir es im Gegenteil häufig genug nnmöglich_finden, pcinlichc Erinnerungen, die uns verfolgen, los zu werden und pcinlichc Affektnegungen wie Reue. Gewissensvorwürfe zu verscheuchen. Es wird ja, nicht behauptetY daß diese Abwehrtendenz sich überall durchzusetzen vermag. daß sie nicht im Spiele der psychischen Kräfte auf Faktoren sboßen kann, welche zu anderen Zwecken des Entgegengesetzte anstreben und. ihr zum Trotze zu stande bringen. A ls d a s architektonische Prinzip des seelischen Apparats

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* A Pick hat kürzlich (Zur Psychologie des Vergessens bei Geistesund Nervenkmnken, Archiv für Küminal»Anßlxropologie und. Kriminalistik von H. Groß) eine Reihe von Autoren zusammengestellt, die den Einfluß Effektiver Faktoren auf das Gedächtnis würdigen und » mehr oder minder deutlich — den Beitrag anerkenncn, den das Abwehrbcstreben gegen Unlusl: zum Vergessen leistet. Keiner von uns allen hat aber das Phänomen und seine psychologische Begründung so erschöpfend untl zugleich so eindrucksvoll darstellen können wie Nietzsche in einem seiner Aphorismen (Jenseits von Gut und Böse, II. Hauptstiick 68): „Das habe ich getan, sagt mein ,Gedächtnis‘. Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz und bleibt. unerbittlich. Endlich — gibt das Gedächtnis nach.“

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§ 1114

vn. VERGESSEN von EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN. 161

§ 1115

läßt sich die Schiehtung, der Aufbau aus einander überlagernden Instanzen erraten, und es ist sehr wohl möglich, daß dies Ahwehrbestreben einer niedrigen psychischen Instanz angehört, von höheren Instanzen aber gehemmt wird. Es spricht jedenfalls für die Existenz und Mächtigkeit dieser Tendenz zur Abwehr, 4wenn wir Vorgänge wie die in unseren Beispielen von Vergessen auf sie zurückführen können. Wir sehen, daß manches um seiner selbst willen vergessen wird; wo dies nicht möglich ist, verschiebt die Abwehrtendenz ihr Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder Bedeutsemes, zum' Vergessen, was in assoziative Verknüpfung mit dem eigentlich Anstößigen geraten ist.

§ 1116

Der hier entwickelte Gesichtspunkt, daß peinliehe Erinnerungen mit besonderer Leichtigkeit dem motivierten Vergessen verfallen, verdiente auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch keine oder eine zu geringe Beachtung ge— funden hat. So erscheint er mir noch immer nicht genügend scharf betont bei der Würdigung von Zeugenaussagen vor Ge« richt *, wobei man offenbar der unter Eidstellung des Zeugen einen allzu großen purifizierenden Einfluß auf dessen psychisches Kräftespiel zutraut. Daß man bei der Entstehung der Traditionen und der Sngengesehiclite eines Volkes einem solchen Motiv, das dem Nationalgefühl Peinliclie aus der Erinnerung auszumerzeu, Rechnung tragen muß, wird allgemein zugestanden. Vielleicht Würde sich bei genauerer Verfolgung eine vollständige Analogie herausstellen, zwischen der Art, wie Völkertraditionen und wie die Kindheitserinnerungen des einzelnen Individuums gebildet werden. Der große Darwin hat aus seiner Einsicht

§ 1117

* Vgl. Hans Groß, Kn'minalpsyohologie, 1898.

§ 1118

Freud, nyehnpnfholngls du Alllnqllobanl. 7]. Aufl. 11

§ 1119

§ 1120

162 vn. vnnemsnn VON EINDRÜCKEN UND voneirznu.

§ 1121

in dies Unlustmotiv des Vergessens eine „goldene Regel“ für den wissenschaftlichen Arbeiter gezogen *.

§ 1122

Ganz ähnlich wie beim Namenvergessen kann auch beim Vergm5en von Eindrücken Fehlßrinnern eintreten, das dort, wo es Glauben findet, als Erinnerungstäuschung bezeichnet wird. Die Erinnerungstäushhung in pathologischen Fällen —— in der Paranoia spielt sie geradezu die Rolle eines konstituierenden Mo— ments bei der Wahnbildung —— hat eine ausgedehnte Literatur W&chgerufen, in welcher ich durchgängig den Hinweis auf eine Motivierung derselben vermisse. Da. auch dieses Thema der Neurosenpsychologie angehört, entzieht es sich in unserem Zusammenhange der Behandlung. Ich werde dafür ein sonderbares Beispiel einer eigenen Erinnerungstäuschung mitteilen, bei dem die Motiviemng durch unbewußiee verdrängtes Material und die Art und Weise der Verknüpfung mit demselben deutlich genug kenntlich werden

§ 1123

*) Darwin über das Vergessen. In der Autobiographie Darwins findet sich folgende Stelle, welche seine wissenschaftlich»: Ehrlichkeit, und seinen psychologischen Scharfsinn überzeugend widerspiegelt:

§ 1124

„E. hacl, during“ many years, followed a, golden rule, namely, that Whenever a, published fact, & new observa.tion or thought. came across me, Which wa.s oppose<l to my general results, w make a memora.ndum of it Whithout fail and at once; for I had found by experience that auch facts and thoughts were fm" more apt to escape from hhe memory than favourable ones.“ j. Ernest Jones.

§ 1125

„Viele Jahre hindurch hefulgte ich eine goldene Regel. Fand ich nämlich eine veröffentlichte Tatsache, eine neue Beobachtung oder einen Gedanken, welcher einem meiner allgemeinen Ergebnisse widersprach, so notierte ich denselben eot‘orh möglichst worbgetreu. Denn die Eran hatte mich gelehrt, (la-Il solche Tatsachen und Erfahrungen dem Gedanke. nisse leichter entschwinden als die um genehmen.“ (Übersetzung des Zentralblatt für Psychoanalyse)

§ 1126

§ 1127

vn. vn1äenssau von nmnnüexnu UND vonsllrznu; 153

§ 1128

Als ich die späteren Abschnitte meines Buches über Traum— deutung schrieb, befand ich mich in einer Sommerfrische ohne Zugang zu Bibliotheken und Nachschlagebüchern und war: genütigt, mit Vorbehalt späterer Korrektur, allerlei Beziehungen und Zitate aus dem Gedächtnis in das Manuskript einzutragen. Beim Abschnitt über das Tagträumem fiel mir die ausgezeichnete Figur des armen Buchhalters im „N ab ab“ von Alph, Daudet ein, mit. welcher der Dichter wahrscheinlich seine eigene Träu— merei geschildert hat. Ich glaubte mich an“ eine der Phantasien, die dieser Mann — Mr. Jocelyn nannte ich ihn — auf seinen Spaziergängen durch die Straßen von Paris ausbrütet, deutlich zu erinnern und begann sie aus dem Gedächtnis zu reproduzieren. Wie also Herr Jocelyn auf der Straße sich kühn einem durchgehenden Pfenie entgegenwirft, es zum Stehen bringt, der \Vagensehleg sich öffnet, eine hohe Persönlichkeit dem Coupé entsteigt, Herrn Jooelyn die Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein Retter, Ihnen verdanke ich mein Leben. Was kann ich für Sie tun?“

§ 1129

Etwaige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dieser Phantasie, tröstete ich mich, würden sich leicht zu Hause verbessern lassen, wenn ich das Buch zur Hand. nähme Als ich dann aber den „N ab ab“ durchblätterte, um die druckhereite Stelle meines Manuskripte zu vergleichen, fand ich zu meiner griißten Be« schämung und Bestürzung nichts von einer solchen Träumerei des Herrn Jooelyn darin, ja der arme Buchhalter trug gar nicht diesen Namen, sondern hieß. Mr. J oycuse. Dieser zweite Irr— tum gab dann bald den Schlüssel zur Klärung des ersten, der Erinnerungstäuschung. J o yeux (wovon der Name die feminine Form darstellt): so und nicht anders müßte ich meinen eigenen Namen: Freud ins Französische übersetzen. Woher konnte also die fälsclilich erinnerte Phantasie sein, die ich D a ude t zu

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11”

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164 VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

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geschrieben hatte? Sie konnte nur ein eigenes Produkt sein, ein Tagtraum, den ich selbst gemacht und der mir nicht bewußt geworden, oder der mir einst bewußt gewesen, und den ich seither gründlich vergessen habe Vielleicht daß ich ihn‘ selbst in Paris gemacht, wo ich oft genug einsam und voll Sehnsucht durch die Straßen spaziert bin, eines Helfers und Protektors sehr bedürftig, bis Meister Chareot mich dann in seinen Verkehr zog. Den Dichter des „Na b ab” habe ich dann wiederholt im Hause Char eots gesehen. Das Ärgerliche an der Sache ist nur, daß ich kaum irgend einem anderen Vorstellungskreise so feindselig ge,genüberstehe wie dem des Protegiertwerdens. Was man in unserem Vaterlande davon sieht, verdirbt einem alle Lust daran, und meinem Charakter sagt die Situation des Protektionskindes überhaupt wenig zu. Ich habe immer ungewöhnlich viel Nei— gung dazu verspürt, „selbst der bravé Mann zu sein“. Und gerade ich mußte dann an solche, übrigens nie erfüllte, Tag— träume gemahnt werden. Außerdem ist der Vorfall auch ein gutes Beispiel dafür, wie die zurückgehaltene — in der Paranoia siegreich hervorbrechende — Beziehung zum eigenen Ich uns in der objektiven Erfassung der Dinge stört und verwirrt

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Ein anderer Fall von Erinnerungstäuschung, der sich befriedigend aufklären ließ, mahnt an die später zu besprechende „fausse réconneissance“: Ich hatte einem meiner Patienten, einem ehrgeizigen und befähigten Manne, erzählt, daß ein junger Student sich kürzlich durch eine interessante Arbeit „Der Künst« ler, Versuch einer Sexualpsyehologie“ in den Kreis meiner Schüler eingeführt habe. Als diese Schrift eineinviertel Jahr später gedruckt vorlag, behauptete mein Patient, sich mit Sicherheit daran erinnern zu können, daß: er die Ankündigung derselben bereits vor meiner ersten Mitteilung (einen Monat oder ein halbes Jahr vorher) irgendwo, etwa in einer Buchhäzidleranzeige, ge

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VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

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lesen habe. Es sei ihm diese Notiz auch damals gleich in den

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Sinn gekommen und er konstatierte überdies, daß der Autor den

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Titel verändert habe, da es nicht mehr ,,Versuch", sondern ,,An

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sätze zu einer Sexualpsychologie" heiße. Sorgfältige Erkun

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digung beim Autor und Vergleichung aller Zeitangaben zeigten

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indes, daß mein Patient etwas Unmögliches erinnern wollte.

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Von jener Schrift war nirgends eine Anzeige vor dem Drucke

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erschienen, am wenigsten aber eineinviertel Jahr vor ihrer Druck

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legung. Als ich eine Deutung dieser Erinnerungstäuschung

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unterließ, brachte derselbe Mann eine gleichwertige Erneuerung

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derselben zu stande. Er meinte, vor kurzem eine Schrift über

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,,Agoraphobie" in dem Auslagefenster einer Buchhandlung be

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merkt zu haben, und suchte derselben nun durch Nachforschung

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in allen Verlagskatalogen habhaft zu werden. Ich konnte ihn

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dann aufklären, warum diese Bemühung erfolglos bleiben mußte.

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Die Schrift über Agoraphobie bestand erst in seiner Phantasie

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als unbewußter Vorsatz und sollte von ihm selbst abgefaßt wer

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den. Sein Ehrgeiz, es jenem jungen Manne gleichzutun und durch

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eine solche wissenschaftliche Arbeit zum Schüler zu werden,

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hatte ihn zu jener ersten wie zur wiederholten Erinnerungs

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täuschung geführt. Er besann sich dann auch, daß die Buch

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händleranzeige, welche ihm zu diesem falschen Erkennen gedient

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hatte, sich auf ein Werk, betitelt: ,,Genesis, das Gesetz der

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Zeugung", bezog. Die von ihm erwähnte Abänderung des Titels

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kam aber auf meine Rechnung, denn ich wußte mich selbst zu

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erinnern, daß ich diese Ungenauigkeit in der Wiedergabe des

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Titels,,Versuch anstatt: Ansätze" begangen hatte.

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B. Das Vergessen von Vorsätzen.

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Keine andere Gruppe von Phänomenen eignet sich besser

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zum Beweis der These, daß die Geringfügigkeit der Aufmerk

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166 V1]. vnnurssnu von EINDRÜCKEN UND vorsännn.

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samkeit für sich allein nicht hinreiche, die Fehlleistung zu erklären, als die des Verges’sens von Vorsätzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls zur Handlung, der bereits Billigung gefunden hat, dessen Ausführ‘tmg aber auf einen geeigneten Zeitpunkt ver« schoben wurde. Nun kann in dem so geschaffenen Intervall aller— dings eine derm‘tige Veränderung in den Motiven eintreten, daß der Vorsatz nicht mm Ausführung gelangt, aber dann wird er nicht vergessen, sondern revidiert und aufgehoben. Das Ver. gessen von Vorsätzen, dem wir alltäglieh und in allen möglichen Situationen unterliegen, pflegen wir uns nicht durch eine Neue rung in der Motivengleichung zu erklären, sondern lassen es gemeinhin unerklärt, oder wir suchen eine psychologische Erklä— rung in der Annahme, gegen die Zeit der Ausführung ‘hin habe sich die erforderliche Aufmerksamkeit für die Handlung nicht mehr bereit gefunden, die doch für das Zustandekommen des ”Vor— satzes unerläßliche Bedingung war, damals also für die nämliche _ Handlung zur Verfügung stand. Die Beobachtung unseres normalen Verhaltens gegen Versäth läßt uns diesen Erklärungeversuch als willkürlich abweiscn Wenn ich des Morgens einen Vorsatz fasse, der abends ausgeführt werden soll, so kann ich im Laufe des Tages einigemal an ihn gumahnt werden. Er braucht aber tagsüber überhaupt nicht mehr bewußt zu werden. Wenn sich die Zeit der Ausführung nähert, fällt er mir plötzlich ein und veranlaßt mich, die zur vorgesetzten Handlung nötigen Vor« bereitungen zu treffen. Wenn ich auf einen Spaziergang einen Brief mitnehme, welcher noch befördert werden soll, so brauche ich ihn als normales und nicht nervöses Individuum keineswegs die ganze Strecke über in der Hand zu tragen und unterdessen nach einem Briefkasten auszuspähen, in den ich ihn werfe, sondern ich pflege ihn in die Tasche zu stwken, meiner Wege zu gehen, meine Gedanken frei sehweifen zu lassen, und ich rechne darauf,

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vn. vnner.ssnn von mationen UND vorsärznn. 157

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daß einer der nächsten Briefkästen meine Aufmerksamkeit er—

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regen und mich veranlasSen wird, in die Tasche zu greifen und den

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Brief hervorzuziehen. Das normale Verhalten beim gefaßten Vor

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satz deckt sich vollkcm'men mit dem experimentell zu erzeugenden

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Benehmen von Personen, denen man eine sogenannte „posthypno

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tische Suggestion auf lange Sicht“ in der Hypnose eingegeben' hat *. Man ist gewöhnt, das Phänomen in folgender Art zu be

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schreiben: Der suggerierte Vorsatz schlummert in den betref

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fenden Personen, bis die Zeit seiner Ausführung herannaht Dann

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wacht er auf und treibt zur Handlung.

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In zweierlei Lebenslagen gibt sich auch der Laie Rechen— schaft daven, daß das Vergessen in bezug auf Vorsätze keineswegs den Anspruch erheben darf, als ein nicht weiter zurückführbares Elementarphänomen zu gelten, sondern zum Schluß auf uneingestandene Motive berechtigt. Ich meine: im Liebesverhältnis und in der Militärabhä.ngigkeit. Ein Liebhaber, der das Rendezvous versäumt hat, wird sich vergeblich bei seiner Dame ent— schuldigen‘, er habe leider ganz vergessen Sie wird nicht versänmen, ihm zu antworten: „Vor einem Jahre hättest du es nicht vergessen. Es liegt dir eben nichts mehr an mir.“ Selbst wenn er nach der oben erwähnten psychologischen Erklärung griffe und sein Vergessen durch gehäufte Geschäfte entschuldigen wollte, würde er nur erreichen, daß die Dame —— so scharfsichtig geworden wie der Arzt in der Psychoanalyse — zur Antwort gäbe: „Wie merkwürdig, daß sich solche geschäftliche Störungen früher nicht ereignet haben.“ Gewiß will auch die Dame die Möglichkeit des Vergessens nicht in Abrede stellen; sie meint nur, und nicht mit Unrecht, aus dem nnabsichtlichen Vergessen

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* Vgl. B ernhei In, Neue Studien über Hypnotismus, Suggestion und Payehothempie, 1892.

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168 vu. VERGESSEN vor: nmnnücxnn UND vonsxrznu

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sei ungefähr der nämliche Schluß auf ein gewisses Nichtwollen zu ziehen wie aus der bewußten Ausflucht.

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Ähnlich wird im militärischen Dienstverhältnis der Unterschied zwischen der Unterlassung durch Vergessen und der in— folge von Absicht prinzipiell, und zwar mit Recht, vernachlässigt. Der Soldat d arf an nichts vergessen, was der militärische Dienst von‘ ihm fordert. Wenn er doch daran vergißt, obwohl ihm die Forder'lmg bekannt ist, so geht dies so zu, daß! sich den Motiven, die' auf Erfüllung der militärischen Forderung dringen, andere Gegenmotive entgegenstellen. Der Einjährige etwa, der sich beim Ruppert entschuldigen wollte, er habe v e r g e s s e 11, seine Knöpfe blank zu putzen, ist der Strafe sicher. Aber diese Strafe ist geringfügig zu nennen im Vergleiche zu jener, der er sich aussetzte, wenn er das Motiv seiner Unterlassung sich und seinen Vorgesetzten eingestehen würde: „Der elende Gemeschendienst ist mit ganz zuwider.“ Wegen dieser Strafersparnis, aus ökonomischen Gründen gleichsam, bedient er sich des Vergessens als Ausrede, oder es kommt als Kompromiß zu stande.

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Frauendienst wie Militärdienst erheben den Anspruch, daß alles zu ihnen gehörige dem Vergessen entrückt sein müsse, und erwecken so die Meinung, Vergessen sei zulässig bei unwichtij;en Dingen, während es bei wichtigen Dingen ein Anzeichen davon sei, daß man sie wie unwichtige behandeln wolle, ihnen also die Wichtigkeit abspreche *. Der Gesichtspunkt der psychischen —‘_I_n—dem Schauspiel „Cäsa.r und Kleopn.fra" von B. Shaw quält. sich der von Ägypten scheidende Cisa.r eine Weile mit. der Idee, er habe noch etwas vorgelmbt, was er jetzt vergessrm. Endlich stellt sich herum, woran Cäsa.r vergessen hatte: von Kleopa,trn Abschied zu nehmen! Durch diesen kleinen Zug 8011 voransclmuliehl werden — übrigens im vollen Gegensatz zur historischen Wahrheit —, wie. wenig sich Cä.iur aus der kleinen ägyptischen Prinzessin gemacht hatte,

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(Nach E. Jones 1. c.. S. ISS.)

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VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

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Wertschätzung ist hier in der Tat nicht abzuweisen. Kein Mensch

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vergißt Handlungen auszuführen, die ihm selbst wichtig er

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scheinen, ohne sich dem Verdachte geistiger Störung auszusetzen.

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Unsere Untersuchung kann sich also nur auf das Vergessen von

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mehr oder minder nebensächlichen Vorsätzen erstrecken; für

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ganz und gar gleichgültig werden wir keinen Vorsatz erachten,

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denn in diesem Falle wäre er wohl gewiß nicht gefaßt worden.

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Ich habe nun wie bei den früheren Funktionsstörungen die

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bei mir selbst beobachteten Fälle von Unterlassung durch Ver

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gessen gesammelt und aufzuklären gesucht und hiebei ganz all

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gemein gefunden, daß sie auf Einmengung unbekannter und un

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eingestandener Motive- oder, wie man sagen kann, auf einen

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Gegenwillen - zurückzuführen waren. In einer Reihe dieser

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Fälle befand ich mich in einer dem Dienstverhältnisse ähnlichen

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Lage, unter einem Zwange, gegen welchen ich es nicht ganz auf

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gegeben hatte, mich zu sträuben, so daß ich durch Vergessen

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gegen ihn demonstrierte. Dazu gehört, daß ich besonders leicht

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vergesse, zu Geburtstagen, Jubiläen, Hochzeitsfeiern und Standes

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erhöhungen zu gratulieren. Ich nehme es mir immer wieder vor

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und überzeuge mich immer mehr, daß es mir nicht gelingen will.

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Ich bin jetzt im Begriffe, darauf zu verzichten, und den Motiven,

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die sich sträuben, mit Bewußtsein recht zu geben. In einem

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Übergangsstadium habe ich einen Freund, der mich bat, auch

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für ihn ein Glückwunschtelegramm zum bestimmten Termin zu

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besorgen, vorher gesagt, ich würde an beide vergessen, und es

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war nicht zu verwundern, daß die Prophezeiung wahr wurde. Es

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hängt nämlich mit schmerzlichen Lebenserfahrungen zusammen,

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daß ich nicht im stande bin, Anteilnahme zu äußern, wo diese

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Äußerung notwendigerweise übertrieben ausfallen muß, da für

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den geringen Betrag meiner Ergriffenheit der entsprechende Aus

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druck nicht zulässig ist. Seitdem ich erkannt, daß ich oft vor

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170 vn. vnnonsan von EINDRÜL'KEN UND voneÄrznn.

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gehlichc Sympathie bei anderen für echte genommen habe, befinde ich mich in einer Auflehnung gegen diese Konventionen der Mitgefühlsbezeign—ng, deren soziale Nützlichkeit icli anderseits ein— sehe Kondolenzen bei Todesfällen sind von dieser zwiespältigen Behandlung ausgenommen; wenn ich mich zu ihnen entschlossen habe, versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühlsbetätignng mit gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu tun hat, da findet sie ihren Ausdruck auch niemals durch Vergessen geherumt.

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Ähnlich erklären sich durch den Widerstreit einer konventionellen Pflicht und einer nicht eingestandenen inneren Schätzung die Fälle, in denen man Handlungen auszuführen vergißt, die man einem anderen zu seinen Gunsten auszuführen versprochen hat. Hier trifft es dann regelmäßig zu, daß nur der Gönner an die entschuldigende Kraft des Vergessens glaubt, während der Bittsteller sich ohne Zweifel ,die richtige Antwort gibt: Er hat kein Interesse daran, sonst hätte er es nicht vergessen. Es gibt Menschen, die man als allgemein vergeßlich' bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als entschuldigt gelten läßt wie etwa den Kurzsiehtigen, wenn er auf der Straße nicht grüßt *. Diese Personen vergessen alle kleinen Versprechungen, die sie gegeben, lassen alle Aufträge unausgefiihrt, die sie empfangen haben, erweisen sich also in kleinen Dingen als unverläßlich und erheben dehei die Forderung, daß man ihnen diese kleineren Verstöße nicht übelnehmen, d. h. nicht durch ihren Charakter erklären,

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* Frauen sind mit. ihrem feinen Verständnis für unbewnßte seelische Vorgänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn man sie auf der Straße nicht erkennt, also nicht grüßt, als an die nächstliegenden Erklärungen zu denken, daß der Sä.nmige kurzsichtig SEi oder in Gedanken versunken sie nicht bemerkt habe, Sie sohliefim, mim hätte sie schon bemerkt, wenn man sich „etwa aus ihnen Inth würde“.

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vn. vnnenssrm VON EINDRÜCKEN UND vonemznu. 111

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sondern auf organische Eigentümlidhkeit zurüokfühmn solle *. Ich‘ gehöre selbst nicht zu diesen Leuten und habe keine Ge— legenheit gehabt, die Handlungen einer solchen Persbn zu analysieren, um durch die Auswahl des Vergessens die Motivierung desselben anfzndeeken. Ich kann mich aber der Vermutung per analogiam nicht erwehren, daß hier ein ungewöhnlich großes Maß von nicht eingestandcner Geringschätznng- des Anderen das Motiv ist, welches das konstitutionelle Moment für seine Zwecke uusbeutet **.

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Bei anderen Fällen sind die Motive des Verges'sens weniger leicht aniznfinden und erregen, wenn gefunden, ein größeres Befremden. So merkte ich in früheren Jahren, daß ich bei einer

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* S. Ferenczi berichtet von sich, daß er selbst ein „Zerstteuter“ gewesen ist und seinen Bekannten durch die Häufigkeit und Sonderbarkeit seiner Fehlhandlnngen auffällig war. Die Zeichen dieser „Zerstreutheit“ sind aber fast völlig geschw'unden, seitdem er die psychoenalytische Behandlung von Kranken zu üben begann und sich genötigt sah, auch der Analyse seines eigenen Ichs Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man verzichtet, meint er, auf die Fehlbnndlnngen, wenn man seine eigene Verantwortlichkeit um so vieles auszudehnen lernt. Er hält daher mit Recht die Zerstrentheit für einen Zustand, der von unbewußtnzn Komplexen abhän— gig und durch die Psychoanalyse heilöal' ist. Eines Tages aber stand er unter dem Selbstverwurfe, bei einem Patienten einen Kunstfehler in der Psychoanalyse begangen zu haben, An diesem Tage stellten sich alle seine früheren „Zerstreuthaiten“ wieder ein. Er stolperte mehrmals im Gehen auf der Straße (Darstellung jenes „fa,ux pas“ in der Behandlung), verguß seine Bricftasche zu Hause, wollte auf der Tramba.hn einen Kreuzer weniger zahlen, hatte seine Kleidungsstücke nicht ordentlich zngeknöptt

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[L dgl. ** E. Jones bemerkt hiezu: Offen the resistance is of ;» general order. Thus a, busy man forgets to ‘post letters entrusted to him — to his slight

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annoyanco — by his wife, just as be my „forget“ to carry out her shopping ordern. _ ,

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größeren Anzahl von Krankenbeeuehen nie an einen anderen Besuch vergesse als bei einem Gratispatienten oder bei einem Kollegen. Aus Besehämung hierüber hatte ich mir angewöhnt, die Besuche des Tages schon am Morgen als Vorsatz zu notieren. Ich weiß nicht, ob andere Ärzte auf dem nämlichen Wege zu der gleiehen Übung gekommen sind. Aber man gewinnt so eine Ahnung davon, was den sogenannten Neurastheniker veranlaßt, die Mitteilungen, die er dem Arzt machen will, auf dem berüch— tigten „Zettel“ zu notieren. Angeblich fehlt es ihm an Zutrauen zur Reproduktionsleistung seines Gedächtnisses. Das ist gewiß richtig aber die Szene geht zumeist so vor sich: Der Kranke hat seine versehiedenen Beschwerden und Anfragen höchst langatmig vorgebracht. Nachdem er fertig geworden ist, macht er einen Moment Pause, darauf zieht er den Zettel hervor und sagt entsehulcligend: Ich habe mir etwas aufgeschrieben, weil ich mir so gar nichts merke. In der Regel findet er auf dem Zettel nichts Neues. Er wiederholt jeden Punkt und beantwortet ihn selbst: Ja, danach habe ich schon gefragt. Er demonstriert mit dem Zettel wahrscheinlich nur eines seiner Symptome, die Häufigkeit, mit der seine Vorsätze durch Eimengung dunkler Motive ge stört werden.

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Ich rüh1'e ferner an Leiden, an welchen auch der größere Teil der mir bekannten Gesunden krankt, wenn ich zugestehe, daß ich besonders in früheren J uhren sehr leicht und für lange Zeit vergessen habe, entlehnte Bücher zurückzugeben, oder daß es mir besonders “leicht begegnet ist, Zahlungen durch Vergessen aufzuschieben. Unlängst verließ ich eines Morgens die Tabaktrafik, in welcher ich meinen täglichen Zigarreneinkauf geniacht hatte, ohne ihn zu bez_ahlen. Es war eine höchst harmlose Unterlassung, denn ich bin dort bekannt und konnte daher erwarten, am nächsten Tag an die Schuld gemahnt zu werden- Aber die

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VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN,

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kleine Versäumnis, der Versuch, Schulden zu machen, steht gewiß nicht außer Zusammenhang mit den Budgeterwägungen, die mich den Vortag über beschäftigt hatten. In bezug auf das Thema von Geld und Besitz lassen sich die Spuren eines zwiespältigen Ver haltens auch bei den meisten sogenannten anständigen Menschen leicht nachweisen. Die primitive Gier des Säuglings, der sich aller Objekte zu bemächtigen sucht (um sie zum Munde zu führen), zeigt sich vielleicht allgemein als nur unvollständig durch Kultur und Erziehung überwunden

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Ich fürchte, ich bin mit allen bisherigen Beispielen einfach banal geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge stoße, die jedermann bekannt sind. und die jeder in der nämlichen Weise versteht, da ich bloß vorhabe, das All tägliche zu sammeln und wissenschaftlich zu verwerten. Ich sehe nicht ein, weshalb der Weisheit, die Niederschlag der gemeinen Lebenserfahrung ist, die Aufnahme unter die Erwerbungen der Wissenschaft versagt sein sollte. Nicht die Verschiedenheit der Objekte, sondern die strengere Methode bei der Feststellung und

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Der Einheit des Thomas zuliebe darf ich hier die gewählte Ein teilung durchbrechen und dem oben Gesagten anschließen, daß in bezug auf Geldsachen das Gedächtnis der Menschen eine besondere Parteilichkeit zeigt. Erinnerungstäuschungen, etwas bereits bezahlt zu haben, sind, wie ich von mir selbst weiß, oft sehr hartnäckig. Wo der gewinnsüchtigen Absicht abseits von den großen Interessen der Lebensführung, und daher eigentlich zum Scherz, freier Lauf gelassen wird wie beim Kartenspiel, neigen die ehrlichsten Männer zu Irrtümern, Erinnerungs- und Rechen fehlern und finden sich selbst, ohne recht zu wissen wie, in kleine Be trügereien verwickelt. Auf solchen Freiheiten beruht nicht zum mindesten der psychisch erfrischende Chamkter des Spieles. Das Sprichwort, daß man beiru Spiel den Charakter des Menschen erkennt, ist zuzugeben, wenn man hinzufügen will: den unterdrückten Charakter. Wenn es un absichtliche Rechenfehler bei Zahlkellnern noch gibt, so unterliegen sie

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174 vn. vnmnssm von mwmzfrcnnn UND vonslrznn.

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das Streben nach weitreichendem Zusammenhang machen den wesentlichen Charakter der Wissenschaftlichen Arbeit aus.

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Für die Vorsätze von einigem Belang haben wir allgemein gefunden, daß sie dann vergessen werden, wenn sich dunkle Motive gegen sie erheben. Bei noch weniger wichtigen Vorsitzen erkennt man- als zweiten Mechanismus des Vergessene, daß! ein Gegenwille sich von wo anders her auf den Vorsatz überträgt, nachdem zwischen jenem andemn und dem Inhalt des Vorsatzes eine äußerliche Assoziation hergestellt werden ist. Hiezu gehört folgendes Beispiel: Ich lege “"ert auf schönes Löschpapier und nehme mir vor, auf meinem heutigen Nachmittagsweg in die Innere Stadt neues einzukaufen. Aber an vier aufei.nenderfolgenden Tagen vergesse ich daran, bis ich mich befrage, welchen Grund. diese Unterlassung hat. Ich finde ihn dann leicht, nach! dem ich mich besonnen habe, daß ich zwar „Löschpapiel‘“ zu schreiben, aber „Fließpapier“ zu sagen gewohnt bin. „Fließ“ ist. der Name eines Freundes in Berlin, der mir in den nämlichen Tagen Anlaß zu einem quälenden, besorgtcn Gedanken gegeben hatte. Diesen Gedanken kann ich nicht los werden, aber die

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of£enbar derselben Beurteilung —— Im Kaufumnnsta.nde kann man häufig eine gewisse Zögerung in der Veransgabung von. Geldsiimmen, bei des: Bem.hlnng von Rechnungen u. dgl. beobachten, die dem Eigner keinen Gewinn bringt, sondern nur psychologisch zu verstehen ist ala eine Äußerung des Gegenwillens, Geld von sich zu tun. —— Brill bemerkt hierüber mit. epigrammetischer Schärfe: We are more npt to misla,y letters containing bills than ohecks. — Mit den intimsten und am wenigsten klar gewordenen Regungen hängt es zusammen, wenn gende Frauen eine besondere Unlust zeigen, den Arzt zu honorieren, Sie haben gewöhnlich ihr Portemonnaie vergessen, können darum in der Ordination nicht zahlen, vergessen denn regelmäßig, das Honorar vom Hause aus zu schicken, und setzen es so durch, daß man sie umsonst — „um ihrer schönen Augen willen“ — behandelt hat. Sie zahlen gleichsam mit ihrem Anblick.

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vn. menssuu VON EINDRÜCKEN mm vone3rznu. 175

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Abwehrneigung (vgl. S. 160) äußert sich, indem“ sie sich mittels der Wortgleichheit auf den indifferenten und damm wenig re: sistent.en Vorsatz überträgt.

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Direkter GegenWille und entferntere Motivierung treffen in folgendem Falle von Aufschub zusammen: In der Sammlung „Grenzfragen den Nerven— und Seelenlebens“ hatte ich eine kurze Abhandlung über den Traum geschrieben, welche den Inhalt meiner „Traumdeutung“ resümiert. Bergm ann in Wiesbaden sendet eine Korrektur und bittet um umgehende Erledigung, weil er das Heft noch vor W'eihnachten. ausgeben will. Ich mache die Korrektur noch in der Nacht und lege sie auf meinen Schreibtisch, um sie am nächsten Morgen mitzunehmen. Am Morgen vergesse ich daran. erinnere mich erst nachmittags beim Anblick des Kreuzhandes auf meinem Schreibtisch. Ebenso vergesse ich die Korrektur am Nachmittag, am Abend und am näch— sten Morgen, bis ich mich aufraffe und am Nachmittag des zweiten Tages die Korrektur zu einem Briefkasten trage, verwundert, was der Grund dieser Verzögerung sein mag. Ich will sie offenbar nicht absenden, aber ich finde nicht, warum. VAuf demselben Spaziergang trete ich aber bei meinem Wiener Ver— leger, der auch das Traumbuch publiziert hat, ein, mache eine Bestellung und sage dann, wie von einem plötzlichen Einfall getrieben: „Sie wissen doch, daß ich den ,Traum‘ ein zweites Mal geschrieben habe?“ — „Ah, da wurde ich doch bitten.“ — „Beruhig'e‘n Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfeld« Kurellasche Sammlung“ Es war ihm aber doch nicht recht; er besorgte, der Vortrag Würde dem Absatz des Buches schaden. Ich widerspmcli und fragte endlich: „Wenn ich mich früher an Sie gewendet hätte, würden Sie mir die Publikation untersagt haben ?“ —— „Nein, das keineswegs.“ Ich glaube selbst, (laß ich in meinem vollen Recht gehandelt und nichts anderes

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176 vn; vnnenssnu von EINDRÜQKEN UND vonsnznn.

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getan habe, als was allgemein üblich ist; doch scheint es mir gewiß, daß ein ähnliches Bedenken, wie es der Verleger äußerte, das Motiv meiner Zögerung war, die Korrektur abzusenden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei welcher ein anderer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie unvermeidlich, einige Blätter Text aus einer früheren, in anderem Verlage erschienenen Arbeit über zerebrale Kinder— lähmung unverändert in die Bearbeitung desselben Themas im Handbuch von N othna gel hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf abermals keine Anerkennung; ich hatte auch damals meinen ersten Verleger (identisch mit dem der „Traumdeutung“) loyal von. meiner Absicht verständigt. Wenn aber diese Erinnerungsreihe noch weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlaß vor, den einer Übersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer Publikation in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe. Ich hatte dem übersetzten Text Anmerkungen beigefügt, ohne für diese Anmerkungen die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe einige Jahre später Grund zur Annahme bekommen, daß der Autor mit dieser Eigenmächtigkeit unzufrieden war.

§ 1278

Es gibt ein Sprichwort, welches die populäre Kenntnis verrät, daß das Vergessen von Vorsä,tzen nichts Zufälliges ist. „Was man einmal zu tun vergessen hat, das vergißt man dann noch öfter.“

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Ja, man kann sich mitunter des Eindrucks nicht erwehren, daß alles, was man über das Vergessen und die. Fehlhandlungcn überhaupt sagen kann, den Menschen ohnedies wie etwas Selbst verständliche; bekannt ist. Wunderbar genug, daß es doch notwendig ist, ihnen dies so Wohlbekannte vers Bewußtsein zu rücken! Wie oft habe ich sagen gehört: Gib mir diesen Auftrag nicht, ich werde gewiß an ihn vergessen. Das Eintreffen dieser V orhersagnng hatte dann sicherlich nichts Mystisches an

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VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.

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sich. Der so sprach, verspürte in sich den Vorsatz, den Auf

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trag nicht auszuführen, und weigerte sich nur, sich zu ihm zu

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bekennen.

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Das Vergessen von Vorsätzen erfährt übrigens eine gute Be

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leuchtung durch etwas, was man als ,,Fassen von falschen Vor

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sätzen" bezeichnen könnte. Ich hatte einmal einem jungen Autor

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versprochen, ein Referat über sein kleines Opus zu schreiben,

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schob es aber wegen innerer, mir nicht unbekannter Widerstände

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auf, bis ich mich eines Tages durch sein Drängen bewegen ließ

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zu versprechen, daß es noch am selben Abend geschehen werde.

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Ich hatte auch die ernste Absicht, so zu tun. aber ich hatte ver

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gessen, daß die Abfassung eines unaufschiebbaren Gutachtens für

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den nämlichen Abend angesetzt war. Nachdem ich so meinen

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Vorsatz als falsch erkannt hatte, gab ich den Kampf gegen meine

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Widerstände auf und sagte dem Autor ab.

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Freud, Paychopathologie des Alltagslebens. VI. Aufl.

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VIH.

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DAS VERGREIFEN.

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Der oben erwähnten Arbeit von M erin ger und Meyer entnehme. ich noch die Stelle (S. 98):

§ 1320

„Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie enfr sprechen den Fehlern, die bei anderen Tätigkeiten den Mensehen sich oft einstellen und ziemlich töricht ,Vergeß.lichkeiten‘ gi:— na.nnt werden.“

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Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht hinter den kleinen Funktionsstörungen des täglichen Lebens Ge sunder vermutet *.

§ 1322

wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorische Leistung ist, eine solche Auffassung zugelassen haben, so liegt es nahe, auf die Fehler unserer sonstigen motorischen Verri0htungen die nä.mliche Erwartung zu übertragen. ich habe hier zwei Gruppen von Fällen gebildet; alle die Fälle. in denen der F ehleffckt das Wesentliche scheint, also die Abirrung von der Intention, bezeichne ich als „Vergreifen“, die anderen, in denen eher die ganze Handlung unzweckmä,ßig erscheint, benenne ich „Symptom- und Zufallshandlungen“. Die Scheidung

§ 1323

* Eine zweite Publikation Meriuger.s hat mir später gezeigt, wie sehr ich diesem Autor urn-echt tat, als in); ihm „Ich“ Verständnis zu. mutete.

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ivm. DAS VERGBEI'FEN. 179

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ist aber wiederum nicht reinlich durchzuführen; wir kommen ja wohl zur Einsicht, daß alle in dieser Abhandlung- gebrauchten Eintieilungeu nur deskriptiv bedeutsame sind und der inneren Einheit des Erscheinungsgebietes widersprochen.

§ 1327

Das psychologische Verständnis des „Vergreifens“ erfährt offenbar keine besondere Förderung, wenn wiryes der Atexie und speziell der „kortikalen Ataxie“ subsumieren. Versuchen wir lieber, die einzelnen Beispiele auf ihre jeweiligen Bedingungen zurückzuführen. Ich werde wiederum Selbstbeobachtungen hiezu verwenden, zu denen sich die Anlässe bei mir nicht besonders häufig finden

§ 1328

u) In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten noch häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, daß ich, vor der Tür, an die ich anklopfen oder läuten sollte,nngekommen, die Schlüssel meiner eigenen Wohnung aus der Tasche zog, um — sie dann fast beschämt wieder einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei welchen Patienten dies der Fall war, so muß ich annehmm1, die Fehlhandlung — Schlüssel hereus— ziehen anstatt hinten — bedeutete eine Huldigung für das Haus, wo ich in diesen Mißgriff verfiel. Sie, war äquiva,lent dem Gedanken: „Hier bin ich wie zu Hause“, denn sie trug- sich nur zu, wo ich den Kranken liebgewonnen hatte. (An meiner eigenen Wohmmgstür läutete ich natürlich niemals.)

§ 1329

Die Fehlhandlung war also eine symbolische Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewußte Annahme bestimmten Gedankens, denn in der Realität weiß der Nervenarzt genau, daß der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm erwartet, und daß er selbst nur zum Zwecke der psychischen Hilfeleistung ein übermäßig warmes Interesse für seine Patienten bei sich gewähren läßt.

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1go vm. ms VERGREIFEN.

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Daß das sinnvoll fehlerhafte Hantieren mit dem Schlüssel keineswegs eine Besonderheit meiner Person ist, geht nus]zahl

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reichen Selbstbeobachhmgen anderer hervor.

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Eine fast identische Wiederholung meiner Erfahrungen be— schreibt A. Maeder (Contrib. :; la psychopathologie de la vie quotidienne, Arch. de Psychol., VI, 1906): Il est arrivé %. chacu.u de sortir son trousseau, en arrivant & la porte d’un ami particuliérement cher, de se surpmndre pour ainsi dire, en train d’ouvrir avec se clé comme chez sei. C’est un retard, puisqu’il faut sonner malgré tout. mais c’est une prenve qn’on se sent —— ou qu’on voudra.it se sentir « comme chez sei, auprés de net ami

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E. Jones (1. c., p. 509): The use of keys is afertile source of occurrenees of this kind of which two examples may be given. If I am disturbed in the. midst of some engrossing work at home By having to go to the liospital to carry out some routin.e work. I am very apt to find myself trying to open the door of my laboratory there with the key of my desk at home, although the two keys a.re quite unlike each other. The mistake unconscicusly demonstrates Where I would rather be at the moment

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Some years ago 1 was acting in a subordinate position at a. certain institution, the front door of which was kept locked, so that it was necessary to ring for admission. On several occassions I found myself mald.ng serious attempts to open the door With my house key. Each one of the permanent visiting staff, of which I aspired to be a, member, was provided with a. key to avoid tht‘ trouble of having to wait at the door. My mista.kes thus expressed my desire to be on a similar footing, and to be quite „at home“ there.

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Ähnlich berichtet Dr. Hanns Sachs (Wien): Ich trage stets zwei Schlüssel bei mir, von denen der eine die Tür zur Kanzlei.—

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v1n. ms VERGBEIFEN. 181

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der andere die zu meiner Wohnung öffnet Leicht verwechselber sind sie durchaus. nicht, da. der Kanzleis‘chlüssel mindestens dreimal so groß ist wie der Wohnuhg‘ssehlüssel. Überdies trage ich den erstemn in der Hosentasche, den anderen in der Weste. Trotzdem geschah es öfters, daß ich vor der Tür stehend be— merkte, daß ich auf der Treppe den falsehen Schlüssel imrbcreitet hatte. Ich beschloß, einen statistischen Versuch zu machen; da ich ja täglich ungefähr in derselben! Gemütsverfessung vor den beiden Türen stehe, mußte auch die Verwechslung der beiden Schlüssel, wenn andere sie psychisch determim'ert sein sollte7 eine regelmäßige Tendenz zeigen. Die Beobachtung bei späteren Fällen ergab dann daß ich regelmäßig den Wohnungsschlüssel vor der Kanzleitür hereusnalim, nur ein einziges Mal war das Umgekehrte der Fall: ich kann ermüdet nach}l-Ieuse, wo, Wie ich wußte, ein Gast meiner wartete. Vor der Tür mache ich einen Versuch, sie mit dem natürlich viel zu großen Kanzleischlüssel eufzusperren.

§ 1342

b) In einem bestimmten Hause, wo ich seit sechs Jahren zweimal täglich zu f&tgesetzten Zeiten vor einer Tür im zweiten Stock auf Einlaß warte, ist es mir während dieses langen Zeitra.umes zweimal (mit einem kurzen Intervall) geschehen, daß ich um einen Stock höher gegangen bin, also mich „versbiegen“ habe. Das eine Mal befand ich mich in einem ehrgeizigen Tag— traum, der mich „höher und immer höher steigen“ ließu Ich überhörte damals sogar, daß sich die fi‘egliehe Tür geöffnet hatte, als ich den Fuß auf die ersten Stufen des drittenSboekwer-ks setzte. Das andere Mal ging ich wiederum „in Gedanken ver» sunken“ zu weit; als ich es bemerkte, umkehrte und die mich beherrschende Phantasie zu erhaschen suchte, fand ich, daß ich mich über eine (phantasierte) Kritik meiner Schriften ärgerte, in welcher mir der Vorwurf gemacht wurde, daß ich immer „zu weit

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182 VIII. DAS VERGREIFEN.

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ginge“, und in die ich nun den wenig respektvollen Ausdruck „ve rs t i ege n“ einzusetzen hatte

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0} Auf meinem Schreibtisch liegen seit vielen Jahren nebeneinander ein Reflexhammer und eine Stimmgabel. Eines Tages eile ich nach Schluß der Sprechstunde fort, weil ich einen bestimmten Stadtbahnzug erreichen Will, stecke bei vollem Tageslicht ahstatt des Hammers die Stimingabel in die Roektasche und werde durch die Schwere des die Tasche herabziehenden Gegenstandes auf meinen Mi.ßgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht gewohnt ist, wird ohne Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Moments erklären und entschuldigen. Ich habe es trotzdem vor-gezogen. mir die Frage zu stellen, warum ich eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammcis genommen. Die Eilfertigkeit hätte ebenso wohl ein Motiv sein können, den Griff richtig auszuführen. um nicht Zeit mit der Korrektur zu versäumen

§ 1347

Wer hat zuletzt nach der Stimmgabcl gegriffen? lautet die Frage, die sich mir da, anfdrängt. Das war vor wenigen Tagen ein idiotisches Kind, bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseindrüekc prüfte, und das durch die Stimmgabel so gefesselt wurde, daß ich sie ihm nur schwer entreißen konnte. Soll das also heißen, ich sei ein Idiot? Allerdings scheint es so, denn der nächste Einfall, der sich an Hammer assoziiert, lautet „Chamer“ (hebräisch: Esel).

§ 1348

Was soll aber dieses Geschimpfe? Man muß hier die Situa— tion befragen Ich eile zu einer Konsultation in einem Orte an der Westbahnstl‘ccke, zu einer Kranken, die noch der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten vom Balkon herabgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt. schreibt., er wisse trotzdem nicht, ob es sich um Rückenma.rks verletzu.ng oder um traumatische Neurose — Hysterie —— handle.

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— vun ms vnnonnrrnrr. 183

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Da soll ich nun entscheiden. Da Wäre also eine Mahnung 'am Pletze, in der heiklen Differentialdiagnoee besonders vorsichtig zu sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man dia,gmostiziere viel zu leichtsimrig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle Aber die Beschilupfimg ist noch nicht gerechtfertigt! Ja, es kommt hinzu, daß die kleine Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen jungen Mann gesehen, der seit einer Gemütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich diagnostizierte damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische Behandlung; und dann stellte es sich heraus, daß ich freilich nicht unrichtig diagnostiziert hatte, aber auch nicht richtig. Eine ganze Anzahl der Symptome des Kranken war hysten'sch gewesen, und diese schwanden auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unantastba.rer Rest sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sklerose beziehen ließ. Die den Kranken nach mir sahen, hatten es leicht, die organische Affektion zu erkennen; ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck war doch der eines schweren Irrtums; das Versprechen derHeilung, das. ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Mißgriff nach dem Stimmgebel anstatt nach dem Hammer ließ sich also so in \Vorbe übersetzen: Du Trotbel, du Esel, nimm dich diesmal zusammen, daß du nicht wieder eine Hysterie dingnostiziert, wo eine unheilba,re Krankheit vorliegt, wie bei dem armen Mann an demselben Ort vor J ahrenl Und zum Glück für , diese kleine Analyse, wenn auch zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selhe Ma'.nn mit schwerer spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem idiotischen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.

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Man merkt, es ist, diesmal die Stimme der Selbstkritik, die sich durch das Fehlg1'eifen vernehmlic‘h macht. Zu solcher Ver

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134 m. ms VERGREIFEN. wendung als Selbstverwurf ist der Fehlgriff ganz besonders geeignet. Der Mißgriff hier will den Mißgriff, den man anderswo begangen hat, darstellen.

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(1 ) Selbstverständlieh kann das Fehlgreifen auch einer ganzen Reihe ander-erdunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es kommt sehr selten vor, daß ich etwas zersehlage. Ich bin

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nicht besonders geschickt, aber infolge der anatomischen integrität meiner Nervmuskelapparate sind Gründe für so unge

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sehickte Bewegungen mit unerwünschtem Erfolge bei mir offenbar nicht gegeben. Ich weiß also kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleieheu ich je zerschlagen hätte. ich war durch die Enge in meinem Studierzirnmer oft- genötigt, in den unbequemsten' Stellungen mit einer Anzahl von antiken Ton» und. Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantieren, so daß Zuschauer die Beser'gnis ausdrückten, ich würde etwas herunterschleudern und zerschlagcn Es ist. aber niemals geschehen. Warum habe ich also einmal den marmornen Deckel meines einfachen Tintengefiißes zu Boden geworfen, so daß er zer-brach?

§ 1358

Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untorsberger Marmor, die für die Aufnahme des gläsernen Tintenfäßehens aus» gehöhlt ist; das Tintenfaß trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzestatuetten und Terrakottafigürchen ist hinter diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu schreiben, mache mit. der Hand, welche den Federstiel halt, eine merkwürdig ungeschickte, ausfahrende Bewegung und werfe so den Deckel des Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Erklärung ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine Schwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue Erwerbungen anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äußerte dann: „Jetzt sieht dein

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vm. ms VERGREIFEN. 185

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Schreibt-isch wirklich hübsch aus, nur das Tintenzcug‘ paßt nicht dazu. Du mußt, ein sohönzercs haben.“ Ich begleitete die Schwester hinaus und kann erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint—, an dem vorm-teilten Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloß ich etwa. aus den Worten der Schwester, daß sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit einem schöneren Tintenzeng zu beschenken? und zersehlng das nnschöne alte, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötigen? Wenn dem so ist7 so war meine schleudemde Bewegung nur scheinbar unge» schickt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und zielhewnßt und verstand es, allen wertvoller-en, in der Nähe befindlichen Objekten schonend auszuweichen.

§ 1362

Ich glaube wirklich, daß- man diese Beurteilung für eine ganze Reihe von anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen muß. Es ist richtig, daß diese etwas Gewaltsames, Sehlenderndes, wie Spastisch-Ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit, die man den bewußt WillkürIichen Bewegungen nicht allgemein nachrühmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffeicherheit, haben sie übrigens mit den motorischen Äußerungen der hysterischen Nenrose und zum Teile auch mit. den motorischen Leistungen des Somnambulismus gemeinsam, was wohl hier wie dort auf die nämliche unbekannte Modifikation des Innervationsvorganges hinweist.

§ 1363

Auch eine von Frau Lou Andreas-Snlomé mitgeteilte Selbstbeobachtung kann überzeugend da.rtun, wie eine hartnäckig festgehaltene „Ungeschicklichkeit“ in sehr goschickter Weise uneingestnnden€n Absichten dient.

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„Genau von der Zeit an, wo die Milch seltene und kost

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186 vn]. DAS VERGREIFEN.

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bare Ware geworden war, geschah es mit, zu meinem ständigen Schrecken und Ärgernis, sie beständig überkoehen zu lassen. Umsonst mühbe ich mich, dessen Herr zu werden, obwohl ich durchaus nicht sagen kann, daß ich mich bei sonstigen Gelegenheiten zerstreut oder unachtsa-m bewiesen hätte. Eher hätte das Ursache gehabt nach dem Tode meines lieben weißen Terriers (der so berechtigterweise Wie nur je ein Mensch ,Freund‘ [russisch Drnjck] hieß). Aber — siehe da,.' — niemals seitdem ist. die Milch auch nur um ein Tröpfchen überkoeht. Mein nächster Gedanke darüber lautete: ,Wie gut ist das, da das auf Herdple,tbe oder Fußboden sich Ergießende nun nicht ein— mal Verwendung fändel‘ —— Und gleichzeitig sah ich meinen ,Freund‘ vor mir,. wie er gespannt desaß, die Kochprozedur zu beobachten: den Kopf etwas schiefgeneigt und mit dem Schwanzende schon erwartungsvoll wedelnd, —— mit getroster Sicherheit des sich vollziehenden prächtigen Unglücks gewürtig. Damit war freilich alles klar, und auch dies: daß er mit noch mehr lieb gewesen war, als ich selbst wußte.“

§ 1368

Es ist mir in den letzten Jahren, seitdem ich solche Beobachtungen sammle, noch einigcma,l geschehen, daß ich Gegenstände von gewissem Werte zerschlagen oder zerbrochen habe, aber die Untersuchung dieser Fälle hat mich überzeugt, daß es niemals ein Erfolg des Zufalls oder meiner absicbtslosen Ungesehicklie’hkeit wait So habe ich eines Morgens, als ich im Badekostüm, die Füße mit Strohpantoffeln bekleidet, durch ein Zimmer ging, einem plötzlichen Impuls folgend, einen der Pentoffel vom Fuß weg gegen die Wand geschleudert, so daß er eine hübsche kleine Venus von Marmor von ihrer Konsole herunterholte. Während sie in Stücke ging, zitierte ich ganz ungerühri: die Verse von Buseh:

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VIII. DAS VERGEEIl-‘EN. 187

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Ach! die Venus ist perdü — Kliekeradoms‘. »—— von Medici!

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Dieses tolle Treiben und meine Ruhe bei dem Schaden finden ihre Aufklärung in der damaligen Situation. Wir hatten eine schwer Kranke in der Familie, an deren Genesung ich im stillen bereits verzweifelt hatte. An jenem Morgen hatte ich von einer großen Bmserung erfahren; ich weiß, daß ich mir gesagt hatte: also bleibt sie doch am Leben. Dann diente mein Anfall von Zerstörungswut zum Ausdruck einer denkbaren Stimmung gegen das Schicksal und gestattete mir, eine „Opferhandlung“ zu vollziehen, gleichsam als hätte ich gelobt, wenn sie gesund wird, bringe ich dies oder jenes zum Opfer] Daß ich für dieses Opfer die Venus von Medici ausgesucht, sollte gewiß nichts anderes als eine galente Huldigung für die Genesende sein; unbegreiflioh bleibt mir aber auch diesmal, daß ich, so rasch entschlossen, so gßchieki. gezielt und kein anderes der in; so großer N ähe befindlichen Objekte getroffen habe.

§ 1373

Ein anderes Zorbrechen, für das ich mich wiederum des der Hand emtfah1‘enden Federstiels bedient habe, hatte gleichfalls die Bedeutung eines Opfers, aber diesmal eines Bittopfers zur Al» wendung leh hatte mir einmal darin gefallen, einem treu6nn'md verdienten Freunde einen Vorwurf zu machen, der sich auf die Deutung gewisser Zeichen aus seinem Unbewußben, auf nichts anderes, stützie. Er nahm es übel auf und schrieb mir einen Brief , in dem er mich bet, meine Freunde nicht psychoanelytisch zu behandeln- Ich mußte ihm recht geben und beschwiehtigte ' ihn durch meine Antwort. Während ich diesen Brief schrieb, hatte ich meine neueste Erwerbung, ein prächtig glasiertes ägyptisches Figürchen, vor mir stehen. Ich zerschlug es auf die be— schriebene Weise und wußte denn eofort, daß ich dies Unheil

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188 VIII. DAS VERGREIFEN. .

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angerichtet, um ein größeres ebzuwenden. Zum Glücke ließ sich beides — die Freundschaft wie die Figur — so leimen, daß man den Sprung nicht merken würde.

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Ein drittes Zerbrechen stand in weniger ernsthaftem Zusammenhang; es war nur eine maskierte „Exekution“, um den Ausdruck von Th. V ischer („Auch einer“) zu gebrauchen, an einem Objekt, das sich meines Gefallens nicht mehr erfreute. Ich hatte. eine Zeitlang einen Stock mit Silber-griff getragen; als die dünne Silherplette einmal ohne mein Verschulden beschädigt werden war, wurde sie schlecht repariert. Bald nachdem der Stock zurückgekommen war, benützte ich den Griff, um im Übermut nach dem Beine eines meiner Kleinen zu angeln. Dabei bracher natürlich entzwei und ich war von ihm befreit.

§ 1378

Der Gleichmnt, mit dem man in all dienen Fällen den ent« standenen Schaden aufnimmt, darf wohl als Beweis für das Bestehen einer unbewuß-ten Absicht bei der Ausführung in An spruch genommen werden.

§ 1379

Gelegentlich stößt man, wenn man den Begründung-en einer so geringfügigen Fehlleistung na.ehforscht, wie es das Zerbrechen eines Gegenstandes ist, auf Zusammenhänge, die tief in die Vorgeschichte eines Menschen hineinführen und überdies en der gegenwärtigen Situation desselben haften. Nachstehende Analyse von L. J ekels (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913) soll hiefür ein Beispiel geben.

§ 1380

„Ein Arzt befindet sich im Besitze einer, wenn auch nicht kostbaren, so (loch sehr hübschen irdenen Blumenvase. Dieselbe wurde ihm seinerzeit nebst vielen anderen, darunter auch kostbaren, Gegenständen von einer tverheirateten) Patientin geschenkt. Als bei derselben die Psychose manifest wurde, hat er all die Geschenke den Angehörigen der Patientin zurückerstattet

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§ 1383

„ bis auf die eine weit weniger kostspielige Vase, von der er sich nicht. trennen konnte, angeblich wegen ihrer Schönheit

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Doch kostete diese Unterschla.gung den sonst so skrupulüeen Menschen einen gewissen inneren Kampf, war er sich doch der Ungehörigkeit dieser Handlung vollkommen bewußt und half sich bloß über seine Gewissensbissel mit dem Vorhalt hinweg, die Vase habe eigentlich keinen Materialwert, sei schwerer einzupackcn usw.

§ 1385

Als er nun einige Monate später im Begriffe war, den ihm _ streitig gmnnchten Restbetrag für die Behandlung dieser Patientin durch einen Rechtsanwalt reklamielen und eintreiben zu lassen, meldeten sich die Sélbstvorwürfe wieder; flüchtig befiel ihn auch die Angst, die vermeintliche Unterschlagug könnte von den Angehörigen entdeckt und ihm im Strafverfahren ent

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gegengehalten werden. ’

§ 1387

Besonders jedoch das erste Moment war eine Weile hindurch so stark, daß er schon daran dachte, auf eine etwa hundertmal höhere Forderung zu verzichten — quasi als Entschädigung für den unterschlagenen Gegenstand —, er überwa,nd jedoch alsbald diesen Gedanken, indem er ihn als. absurd beiseite schob.

§ 1388

\Vähmnd dieser Stirnng passiert es ihm nun, daß er, der sonst außerordentlich selten etwas zerbricht und seinen Muskelappa.rat gut beherrscht, beim Erneuern des W'asscrs in der Vase dieselbe durch eine organisch mit dieser Handlung gar nicht zu» sammenhängmde, sonderbar ,ungeschickte‘ Bewegung vom Tische wirft, so daß sie etwa in: fünf oder sechs größere Stücke zerbricht. Und dies, nachdem er am Abend zuvor, nur nach ‘vorherigem starken Zögern, sich entschlossen hatte, gerade diese Vase blumen— gefüllt vor die geladenen Gäste auf den Tisch des Speisezimmers zu stellen, und nachdem er knapp vor dem Zerbrechcn an sie ge

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190 VIII. DAS VERGREIB‘EN.

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dacht, sie in seinem Wohnzimmer angstvoll vermißt und eigenhändig aus dem anderen Zimmer geholt hat!

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Ah; er nun nach der anfänglichen Bestürzung die Stücke aufsemmelt, und gerade als er durch Zusemmenpassen derselben konstatiert, es werde noch möglich sein, die Vase fast lückenlos zu mkonstruieren, da »— gleiten ihm die zwei oder drei größeren Bruchstücke aus den Händen; sie zerstieben in tausend Splitter und mit ihnen auch jegliche Hoffnung auf diese Vase.

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Freglos hatte diese Fehlleistung die aktuelle Tendenz, dem Arzte das Verfolgen seines Rechtes zu ermöglichen, indem dieselbe das beseitigte, was er zurüchbehalten hatte und was ihn einigermaßen behinderte, das zu verlangen, was man ihm zurückbehalten hatte.

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Doch außer dieser direkten, besitzt für jeden Psychoanalytiker diese Fehlleistung noch eine weitere, ungleich tiefere und wichtigere, s y in ho l i s c h e Determinierung; ist (loch Vase ein nnzweifelhaftes Symbol der Frau.

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Der Held dieser kleinen Geschichte hatte seine schöne, junge und heißgeliebte Frau auf tragische “’eise verloren; er verfiel in eine NeuMe, deren Grundmote war, er sei an dem Unglück schuld (,er habe eine schöne Vase zcrbrochen‘).

§ 1396

Auch fand er kein Verhältnis mehr zu den Frauen und hatte Abneigung vor der Ehe und vor dauernden Liebesheziehungen, die im Unbewußten als Untreue gegen seine verstorbene Frau gewertet, im Bewußten aber damit rationalisiert wurde, er bringe den Frauen Unglück, es könnte sich eine seinetwegen töten usw. (Da durfte er natürlich die Vase nicht dauernd behalten !)

§ 1397

Bei seiner starken Libido ist es nun nicht verwunderlich, daß ihm als die adäquatestcn die ihrer N ntur nach doch'passageren Beziehungen zu verheiratet-en Frauen vorschwebten (daher Zu— rückhalten der Vase eines anderen),

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vm. ms VERGREIFEN. —191

§ 1400

Eine schöne Bestätigung für diese Symbolik findet sich in nachstehenden zwei Momenten: Infolge der Neurose unterzog er sich der psychoanalytischen Behandlung.

§ 1401

Im Verlaufe der Sitzung, in der er von dem Zerbreehen tler .irdenen‘ Vase erzählte, kann er viel später wieder einmal auf sein Verhältnis zu den Frauen zu sprechen und meinte, er sei bis zur Unsinnigkeit anspruchsvoll; so verlange er z. B. von den Frauen .unirdische Schönheit‘. Doch eine sehr deutliche Betonung, daß er noch an seiner (verstorbenen i. e. unirdisehen) Frau hänge und von ,indischer Schönheit! nichts wissen wolle; daher das Zer— brechen der ,ixdenen‘ (irdischen) Vase.

§ 1402

Und genau zur Zeit., als er in der Übertragung die Phantasie bildete, die Tochter seines Arztes zu heiraten, — da. verehrte er demselben eine — Vase, quasi als Andeutung, nach welcher Richtung ihm die Reveuche erwünscht Wäre.

§ 1403

Voraussichtlich läßt sich die symbolische Bedeutung der Fehlleistung noch mannigfaltig variieren, z. B. die Vase nicht füllen wollen usw. Tnteressanter erscheint mir jedoch die Erwägung. daß das Vorhandensein von mehreren, mindestens zweien. wahrscheinlich auch getrennt aus dem Vor- und Unbe« wußten wirksamen Motiven, sich in der Doppelung‘ der: Fehlleistung — -— Umsteßen und Entgleit;en der Vase — widerspiegelt.“

§ 1404

Z) Das Fallenlassen von Objekten, Umweri'en, Zerschlagen derselben scheint sehr häufig zum Ausdruck unbewußter Gedunkengänge verwendet zu werden, wie man gelegentlich durch Analyse beweisen kann, häufiger aber aus den abergläubisch oder scherzhaffi daran geknüpften Deutungen im Volksmunde errntcn möchte Es ist bekannt., welche Deutungen sich an das Ausschütten VOD Salz, Uniwerfen eines W'einglases, Steckenbleiben eines zu Boden gefallenen Mmers u. dgl. knüpfen. Welches Anrecht auf Beachan solche abergläubische Deutungen

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192 VIII. ms VERGREIFEN.

§ 1407

haben, werde ich erst an späterer Stelle erörtem; hie'her gehört nur die Bemerkung, daß die einzelne ungeschickte Verrichtung keineswegs einen konstanten Sinn hat; sondern je nach Umständen sich dieser oder jener Absicht als Darstellungsmittel bietet

§ 1408

Vor kurzem gab es in meinem Hause eine Zeit, in der ungewöhnlich viel Glas und Porzellangeschirr zerbrochcn wurde; ich selbst trug mehreres zum Schaden bei. Allein die kleine psychische Endemie war leicht aufzuklären; es Waren die Tage vor der Vermählung meiner ältesten Tochter. Bei solchen Feiern pflegte man sonst mit Absicht ein Gerät zu zerbrechen und ein glückbringendes Wort dazu zu sagen. Diese Sitte mag die Bedeutung eines Opfers und noch anderen symbolischen Sinn haben

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\ Wenn dienende Personen zerbrechliche Gegenstände durch

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F allenlassen vernichten, so wird man an eine psychologische Erklärung hicfür gewiß nicht in erster. Linie denken, doch ist auch dabei ein Beitrag dunkler Motive nicht unwahrscheinlich. Nichts liegt den. Ungebildeten ferner als die Schätzung der Kunst und der Kunstwerke Eine dumpfe Feindseligkeit gegen deren Erzeugnisse beherrscht unser dienendes Volk, zumal wenn die Gegen stände, deren Wert sie nicht einsehen, eine Quelle von Arbeitsenforderung für sie werden. Leute von derselben Bildungsstufe und Herkunft zeichnen sich dagegen in wissenschaftlichen Instituten oft durch große Geschicklichkeit und Vel‘läßlichkeit in der Handhabung heikler Objekte aus, wenn sie erst begonnen haben, sich mit ihrem Herrn zu identifizieren und sich zum wesentlichen Personal des Instituts zu rechnen

§ 1411

Ich schalte hier die Mitteilung eines jungen Techniken ein, welche Einblick in den Mechanismus einer Sachbeschädigung gestattet.

§ 1412

„Vor einiger Zeit arbeitete ich mit mehreren Kollegen im Laboratorium der Hochschule im einer Reihe komplizierter Elasti»

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§ 1414

vun ms vnaonmmv. l93

§ 1415

zitätsversuche, eine Arbeit, die wir freiwillig übernommen hatten, die aber begann, mehr Zeit zu beanspruchen, als wir erwartet hatten. Als ich eines Tages wieder mit meinem Kollegen F. ins Laboratorium ging, äußerte dieser, wie unangenehm es ihm gerade heute sei, so viel Zeit zu verlieren, er hätte zu Hause soviel anderes zu tun; ich konnte ihm nur beistimmen und äußerte noch halb scherzhaft, auf einen Verfall der vergangenen “Woche anspielend: ,Hoffentlich wird wieder die Maschine versagen, so daßfwir die Arbeit abbrechen und früher weggehen können!‘

§ 1416

Bei der Arbeitsteilung trifft es sich, daß Kollege F. das Ventil der Presse zu steuern bekommt, d.h. er hat die Druck— flüssigkeit aus dem Akkumulator durch vorsichtiges Öffnen des Ventils langsam in den Zylinder der hydraulischen Presse einzulassen; der Leiter des Versuches steht beim Manometer und mit, wenn der richtige Druck erreicht ist, ein lautes ,Halt‘. A ui‘ diesee Kommando fallt F. das Ventil und dreht es mit aller Kraft »— nech links (alle Ventile werden ausnahmslos nach rechts geschlossen !). Dadurch wird plötzlich der volle Druck des Akkmnulators in der Presse wirksam, worauf die Rohrleitung nicht eingerichtet ist, so daß sofort eine Rolu'verbindung platzt —— ein gem harmloser Maßehinendefekt, der uns jedoch zwingt, für heute die. Arbeit einzustellen und nach Hause zu gehen.

§ 1417

Charakteristisch ist übrigens, daß einige Zeit nachher, als wir diesen Vorfall besprechen, Freund F. sich an meine von mir mit Sicherheit erinnerte Äußerung absolut nicht erinnern wollte.“

§ 1418

Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, ausgleiten, braucht gleichfalls nicht immer als rein zufälliges Fehlschlagen motorische!“ Aktion gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppel! sinn dieser Ausdrücke weist bereits auf die Art von verhaltenen Phantasien hin, die sich durch solches Aufgeben des Körper—

§ 1419

Fluid, Plyclmpnlhologle des Allllenhbanl. vr. Aufl. 13

§ 1420

§ 1421

194 VIII. uns VERGREIFEN.

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gleichgewichtes darstellen können. Ich erinnere mich an eine Anzahl von leichteren nervösen Erkrankungen bei Frauen und. Mädchen, die naeh einem Falle ohne Verletzung aufgetreten waren und.a,ls treumatische Hysterie zufolge des Sehrecks beim Falle aufgefaßt wurden. Ich bekam schon damals den Eindruck, als. ob die Dinge anders zusammenhingen, als wäre das Fallen bereits eine Veranstaltung der Neurose und ein Ausdruck derselbetn unbewußten Phantasien sexuellen Inhalts gewesen, die man als die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen vermuten darf. Sollte dasselbe nicht auch ein Sprichwort sagen wollen, welches lautet: „“’enn eine Jungfrau fällt. fällt sie auf den Rücken?“

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Zum Ver-greifen kann man auch den Fall rechnen, daß jemand einem Bettler anstatt einer Kupfer oder kleinen Silber— münze ein Goldstüc;k gibt. Die Auflösung solcher Fehlgriffe ist leicht; es sind Opferhaudlungen, bestimmt, das Schicksal zu er weichen, Unheil abzuwehren u. dgl. Hat man die zärtlichc Mutter oder Tante unmittele vor dem Spaziergang, auf dem sie sich so widerwi.llig großmütig erzeigt, eine Besorgnis über die Gesund heit, eines Kindes äußern gehört, so kann man an dem Sinne des angeblich nnliebsamen Zufalls nicht mehr zweifeln. Auf solche Art ermöglichen unsere Fehlleistungen die Ausübung aller jener frommen und abergläubischeu Gebräuchc, die wegen des Sträubene unserer ung-läubig gewordenen Vernunft das Licht des Be wußteeins scheuen müssen

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f) Daß zufällige Aktionen eigentlich absichtliche sind, wird auf keinem anderen Gebiete eher Glauben finden als auf dem der sexuellen Betätigung. wo die. Grenze zwischen beiderlei Artm sich wirklich zu verwischen scheint. Da.ß eine scheinbar un< geschickte Bewegung höchst raffiniert zu sexuellen Zwecken aus genützt werden kann, davon habe ich vor einigen Jahmn an mir

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selbst ein schönes Beispiel erlebt Ich traf in einem befreundeten Hause ein als Gast angelangtes junges Mädchen, welches ein längst für erloschen gehaltenes Wohlgefellen bei mir erregte und mich darum heiter, gesprächig und zuvorkommend stimmte. Ich habe damals auch nachgeforscht, auf welchen Bahnen dies zuging; ein J ehr vorher hatte dasselbe Mädchen mich kühl gelassen. Als nun der Onkel des l\’[ä,dchensY ein sehr alter Herr, ins Zimmer trat, sprengen wir beide auf, um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl zu bringen. Sie war behende.r als ich, wohl auch dem Objekt näher; so hatte sie sich zuerst des Sessels bemächtigt und trug ihn mit der Lehne nach rückwärls, beide Hände auf die Sesselränder_ gelegt, vor sich hin. Indem ich später hinzutrat und den Anspruch, den Sessel zu tragen, doch nicht aufgab, stand ich plötzlich dicht hinter ihr, hatte beide Arme von rückwärts um sie geschlungen, und die Hände trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoß. Ich löste natürlich die Situation ebenso rasch, als sie entstanden war. Es schien auch keinem nufznfallen, wie geschickt ich diese ungeschickte Bewe gung ausgebeutet hatte.

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Gelegentlich habe ich mir auch sagen müssen, daß das ärgerliche nngeschickte Answeichen auf der Straße, wobei man durch cinige Sekunden hin und her, aber doch stets nach der näinliehen Seite wie. der oder die andere, Schritte macht, bis endlich beide vor einander stehen bleiben, daß auch dieses „den Weg Vertreten“ ein nnartig provozierendes Benehmen früherer Jahre wiederholt und sexuelle Absichten unter der Maske der Ungeschicklichkeit verfolgt. Aus meinen Psychonnalysen Neurofischer weiß ich, daß die sogenannte Naivität junger Leute und Kinder häufig nur solch eine Maske ist, um das Unanständige unbeirrt durch Genieren aussprechen oder tun zu können.

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Ganz ähnliche Beobachtungen hat W. Stckel von seiner

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eigenen Person mitgeteilt: „Ich trete in ein Haus ein und reiche der Dame des Hauses meine Rechte Merkwürdigerweise löse ich dabei die Schleife, die ihr loses Morgenkleid zusammenhält. Ich bin mir keiner mehrbaren Absicht bewußt, und doch habe ich diese ungeschiekte Bewegung mit der Geschicklichkeit eines Eskamoteurs vollbracht-“

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Ich habe schon wiederholt Proben dafür geben können, daß die Dichter Fehlleistungen ebenso als sinnvoll und motiviert auffassen, wie wir es hier vertreten. Es wird uns darum nicht verwundern, an einem neuen Beispiel zu ersehen. wie ein Dichter auch eine ungesehickte Bewegung bedeutungsvoll macht und zum Vorzeichen späterer Begebenheiten werden läßt.

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In Theodor Fontanes Roman: „L’Adultera“ heißt es (Bd. II, S. 64 der gesammelten Werke, Verlag S. Fischer): „. . . und Melanie sprang auf und warf ihrem Gatten, wie zur Begrüßung, einen der großen Bälle zu. Aber sie hatte nicht richtig gezielt, der Ball ging seitwärts und Rubehn fing ihn auf.“ Bei der Heimkehr von dem Ausflnge. der diese kleine Episode gebracht hat, findet ein Gespräch zwischen Melanie und Rubehn statt, das die erste Andeutung einer keimenden Nei— gung verrät. Diese Neigung wächst zur Leidenschaft, so daß Melanie schließlich ihren Gatten verläßt, um dem geliebten Menue ganz anzugehören. (Mitgeteilt von H. Sechs-)

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‘g} Die Effekte, die durch das Fehlgreifen normaler Menschen zu stande kommen, sind in der Regel von harmlosester Art. Gerade darum wird sich ein besonderes Interesse an die Frage knüpfen, ob Fehlgriffe von erheblicher Tragweite, die von be— deutsamen Folgen begleitet sein können, wie z. B. die des Arztes oder Apothekers, nach irgend einer Richtung unter unsere Gesichtspunkte fallen

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Vin. me vnnenmm. 197

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Da. ich sehr selten in die Lage komme, ärztliche Eingriffe vorzunehmen, habe ich nur über ein Beiepiel von ärztlichem Vergleii’en aus eigener Erfahrung zu berichten. Bei einer sehr alten Dame, die ich seit Jahren zweimal täglich besuche, be— schränkt sich meine ärztliche Tätigkeit beim Morgenbesuch auf zwei Akte: ich träufle ihr ein paar Tropfen Augenwa,sser ins Auge und gebe ihr eine Morphiuminjektion. Zwei Fläschchen. ein blaues für das Kallyrium und ein weißes für die Morphinlösung. sind regelmäßig vorbereitet. Während der beiden Ver— richtungen beschäftigen sich meine Gedanken wohl meist mit etwas anderem; das hat sich eben schon so oft wiederholt, daß die Aufmerksamkeit sich wie frei bemimmt. Eines Morgens be— merke ich, daß der Automat falsch gearbeitet hatte, das Tropfrührchen hatte ins weiße anstatt ins blaue Fläschchen eingetaucht und nicht Kollyrium, sondern Morphin ins Auge geträuflalt. Ich crechrak heftig und beruhigte mich dann durch die Überlegung, daß einige Tropfen einer zweiprozentigen Morphinlösung auch im Bindeha.utsaek kein Unheil anzurichten vermögen. Die Schreckempfindung' war offenbar anderswoher einzuleiten.

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Bei dem Versuche, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel mir zunächst die Phrase ein: „sich an der Alten vergreifen“, die den kurzen Weg zur Löenng weisen konnte. Ich stand. unter dem Eindruck eines Traumes, den mir am Abend vorher ein junger Mann erzählt hatte, dessen Inhalt sich nur auf den sexuellen Verkehr mit der eigenen Mutter deuten 1ieß'*. Die Sonderberkeit, daß die Sage keinen Anstoß an dem Alter der Königin Jokeste nimmt, schien mir gut zu dem. Ergebnis zu

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* Des Odipustrnumea, wie ich ihn zu nennen pflege, weil er den Schlüssel zum Verabindni! der Sage von König Odipus enthält. Im Text des Sophokles ist die Beziehung auf einen solchen Traum der Jokaste in den Mund gelaglz (Vgl. „Tmnmdeutung“, S. 182, V. Aufl., S. 183.)

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stimmen, daß es sich bei der Verliebtheit in die'eigene Mutter niemals um deren gegenwärtige Person handelt, sondern um ihr jugendliches Eri.imcrungsbild aus den liindc1jahren. Solche Inkongruenzen stellen sich immer heraus, wo eine zwischen zwei Zeiten sehwa.n.kende Phantasie bewußt gemacht und dadurch an eine bestimmte Zeit gebunden wird. In Gedanken solcher Art versunken, kann ich zu meiner über neunzigjährigen Patientin, und ich muß wohl auf dein Wege gewesen sein, den allgemein menschlichen Charakter der Odipusfabcl als das Korrelat des Verhängnissee, das sich in den 0ra.keln äußert, zu erfassen denn ich vergrifi' mich dann l„bei oder an der Alten? Indes dies Vergreifen war Wiederum harmlos; ich hatte von den beiden möglichen Irrtümern, die Morphinlüsung fürs Auge zu verwenden oder das Augenwaeser zur Tnjektion zu nehmen, den bei weitem harmlowren gewählt. Es bleibt immer noch die Frage, ob man bei Fehlgriffen, die schweren Schaden stiften können, in ähnlicher “'eiee wie bei den hier behandelten eine unbewußte Absicht in Erwägung ziehen darf.

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Hier läßt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im Stiche, und ich bleibe auf Vermutungen und Annäherungen angewiesen. Es ist bekannt, daß bei den schwereren Fällen von l’sychoneurose Selbstbeschädigungen gelegentlich als Krankheitssymptome auftreten, und daß der Ausgang des psychischen Konflikte in Selbstmord bei ihnen niemals auszuschließen ist. Ich habe nun erfahren und werde es eines Tages durch gut aufgeklärte Beispiele belegen, daß viele scheinbar zufällige Schädigungen, die solche Kranke treffen, eigentlich Selbstbeschädigungen sind, indem eine beständig lauernde Tendenz zur Selbst— bestrefung, die sich sonst als Seibstvorwurf äußert, oder ihren Beitrag zur Symptombildung stellt, eine zufällig gebotene äußere Situation geschickt ausnützt, oder ihr etwa noch bis zu!“ Errei

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an DAS VERkaEN. 199

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chung des gewünschten schädigenden Effekte nachhilft. Solche Vorkommnisse sind auch bei mitbelschweren Fällen keineswegs selten, und sie verraten den Anteil der unbewußben Absicht durch eine Reihe von besonderen Zügen, z. B. durch die auffällige Fassung. welche die Kranken bei dem angeblichen Unglücksfalle bewahren *.

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Aus meiner ärztlichen Erfahrung will ich anstatt vieler nur ein einziges Beispiel ausführlich berichten: Eine jungequ bricht sich bei einem Wa.genunfall die Knochen des einen Unter , schenkels, so daß sie für Wochen hettlägerig wird, fällt dabei durch den Mangel a.n Schmerzensäußeruxigen und die Ruhe auf, mit. der sie ihr Ungemach erträgt. Dieser Unfall leitet eine lange und schwere neumtische Erkrankung ein, von' der sie endlich durch Psychoanalyse hergestellt wird. In der Behzindlung erfahre. ich die Nebenumetände des. Unfalls sowie gewisse Eindrücke, die ihm vorausgegangen sind. Die junge Frau befand sich mit. ihrem mehr eifersüchtigen Menue auf dem Gute einer verheirateten Schwester in Gesellschaft ihrer zahlr'eichen übrigen Geschwister und deren Männer und Frauen. Eines Abends gab sie in diemem intimen Kreise eine Vorstellung in einer ihier Künste, sie tanzte kunstgerecht Cancun unter großem Beifall der Verwandten, aber zur geringen Befriedigung ihres Mannes, der ihr nachher zuzischelte: Du hast dich wieder henommen wie eine Dime— Das Wort traf ; wir wollen es dahingestellt sein lassen, ob gerade wegen der Tanzproduktion. Sie schlief die

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* Die Selbstbeschädigung, die nicht auf volle Selbstvernichtung hinzioli, hat in unserem gegenwärtigen Kultur—zustand überhaupt keine andere Wahl, als sich hinlßr der Zn£ä.lligkeiu zu verbergen, oder sich durch Simulation einer spontanen Erkrankung durchzusetzen, Früher einmal war sie ein gebräuchlichee Zeichen. der Trauer{ zu anderen Zeiten konnte sie Ideen der Frömmigkeit und Weltentaagung Änsdruck geben.

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Nacht unruhig, am nächsten Vormittag begehrte sie eine Ausfahrt zu machen. Aber sie wählte die Pferde selbst, refüsicrte des eine Paar und verlangte ein anderes. Die jüngste Schwester wollte ihren Säugling mit seiner Amine im Wagen mitfahren lassen; dem widersetzte sie sich energisch. Auf der Fahrt zeigte sie sich nervös, mahnte den Kutschen daß die Pferde schen würden, und als die unruhigen Tiere wirklich einen Augenblick Schwierigkeiten machten, sprang sie im Schrecken aus dem Wagen und brach sich den Fuß, Während die im Wagen Verbliebenen heil da.-vonkamen. Kann man nach der Aufdeckung dieser Einzelheiten kaum mehr bezweifeln, daß dieser Unfall eigentlich eine Veranstaltung war, so wollen wir doch nicht versäumen, die Geschicklichkeit zu bewundern welche den Zufall nötigte, die Strafe so passend für die Schuld auszuteilen. Denn nun war ihr das Cancantanzen für längere Zeit unmöglich ge

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macht

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Von eigenen Selbstbeschiidigungen weiß. ich in ruhigen Zeiten wenig zu berichten, aber ich finde mich solcher unter eußercrdentliehen Bedingungen nicht unfähig. Wenn eines der Mitglieder meiner Familie sich beklagt, jetzt habe es sich auf die Zunge gebiesen, die Finger gequetscht usw., so erfolgt anstatt der erhofften Teilnahme von meiner Seite die Frage: Wozu hast du das getan? Aber ich habe mir selbst aufs schmerzhaftcste den Daumen eingeklemmt, nachdem ein jugendlicher Patient in der Behandlungss—tunde die (natürlich nicht ernsthaft zu nehmende) Absicht bekannt hatte, meine älteste Tochter zu heiraten, während ich wußte, daß sie sich gerade im Sanatorium in äußerster Lebensgefahr befand.

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Einer meiner Knaben, dessen lebhaftes Temperament der Krankenpflege Schwierigkeiten zu bereiten pflegte, hatte eines

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Morgens einen Zornanfall gehabt, weil man ihm zugemutet hatte, den Vormittag im Bette zuzubringen, und gedroht sich umzu bringen, wie es ihm aus der Zeitung bekannt geworden war. Abends zeigte er mir eine Beule, die er sich durch Anstoßen an die Türklinke an der Seite des Brustkorbs zugezogen hatte. Auf meine ironische Frage, wozu er das getan und was er damit ge wollt habe, antwortete das 11jährige Kind wie erleuchtet: Das war mein Selbstmord versuch, mit dem ich in der Früh gedroht habe. Ich glaube übrigens nicht, daß meine Anschauungen über die Selbstbeschädigung meinen Kindern damals zugänglich waren.

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Wer an das Vorkommen von absichtlicher Selbst beschädigung wenn der ungeschickte Ausdruck gestattet ist glaubt, der wird dadurch vorbereitet, anzunehmen, daß es

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außer dem bewußt absichtlichen Selbstmord auch halb absicht liche Selbstvernichtung mit unbewußter Absicht - gibt, die eine Lebensbedrohung geschickt auszunützen und sie als zufällige Verunglückung zu maskieren weiß. Eine solche braucht keines wegs selten zu sein. Denn die Tendenz zur Selbstvernichtung ist bei sehr viel mehr Menschen in einer gewissen Stärke vor- . handen, als bei denen sie sich durchsetzt; die Selbstbeschädi gungen sind in der Regel ein Kompromiß zwischen diesem Trieb und den ihm noch entgegenwirkenden Kräften, und auch wo es wirklich zum Selbstmord kommt, da ist die Neigung dazu eine lange Zeit vorher in geringerer Stärke oder als unbewußte und unterdrückte Tendenz vorhanden gewesen.

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Auch die bewußte Selbstmordabsicht wählt ihre Zeit, Mittel und Gelegenheit; es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbe wußte einen Anlaß abwartet, der einen Teil der Verursachung auf sich nehmen und sie durch Inanspruchnahme der Abwehr

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kräfte der Person von ihrer Bedrückung frei machen kann *. Es sind keineswegs müßige Erwägungen, die ich da vorbringe; mir ist mehr als ein Fall von anscheinend zufälligen Verungliicken [zu Pferde oder aus dem Wagen) bekannt geworden, dessen nähere Umstände den Verdacht auf unbewußt zugelassenen Selbstmord rechtfertigen. Da stürzt z. B. während eines Offizierswettrennena ein Offizier vom Pferde und ‘verletzt sich so schwer, daß er mehrere Tage nachher erliegt. Sein Benehmen, nachdem er zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch bemerkenswerter ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief verstimmi. durch den Tod seiner geliebten Mutter, wird von Weinkrämpfen in der Gesellschaft seiner Kameraden befallen, er äußert Lebens» übeldruß gegen seine vertrauten Freunde, will den Dienst quittieren, um an einem Kriege in Afrika Anteil zu nehmen, der ihn sonst nicht berührt **; früher ein schneidiger Reiter, weicht

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" Der Fall ist dann schließlich kein anderer als der des sexuellen Alternate auf eine Frau, bei dem der Angriff des Mannes nicht durch die volle Muskelkrafl, des Wsibes abgewehrt werden kann, weil iliui ein Teil der unbewußber; Begungen der Angegriffencn fürdcrud entgegcnkommt. Na.u sagt. ja._ wohl. eine solche Situation lä,hme die Kräfte der Frau: man. braucht dann nur noch die Gründe für diese Lähmung hinzuzufügen. Insofern ist der geistreiche Riehterspruch des Sancho Fans:-L, den er als Gouverneur auf seiner Insel fällt, psychologisch ungerecht (Don Quijote, II, Teil, Kap._ XLV). Eine Frs,u zent einen Mann vor den Richter, der sie angeblich gewaltsam ihrer Ehre beraubt hat.. Seuche entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem Angeklagten abnimmt. Und gibt diesem nach dem Abgange der Frau die Erlaubnis, ihr nachzueilefl und ihr die Börse Wieder zu entrechn. Sie kommen beide ringend wieder. und die Frau rühmb sich, daß der Bösewichb nicht im stands gewesen sei. sich der Börse zu bemächtigen. Darauf Sancho: „Hibtest, du deine Ehre halb so ernsthaft verteidigt wie diese Börse, so hätte sie dir der Mann nicht rauhen können.“

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*) Daß die Situation des Schlachtfeldes eine solche ist, wie sie der bewußten Selbstmordabsicbt entgegenkommt. die doch den direkten Weg

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er jetzt dem Reiten aus, wo es nur möglich ist. Vor dem Wettmnnen endlich. dem er sich nicht entziehen kann, äußert er eine trübe Ahnung; wir werden uns bei unserer Auffassung nicht mehr verwundern, daß diese Ahnung recht behielt. Man wird mir entgegenhalten, es sei ja. ohne weiteres verständlich, daß ein Mensch in solch nervöeer Depression den Tier nicht zu meistern versteht wie in gesunden Tagen. Ich bin ganz einverstanden; nur möchte ich den Mechanismus dieser motorischen Hemmung durch die

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..Nervosität“ in der hier betonten Selbstvernichtungsabsicht suchen.

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S F erenezi in Budepeet hat mir die Analyse eines Falles_ von angeblich zufälliger Schußverletzung, den er für einen un lmwußten Selbstmordversuch erklärt, zur Veröffentlichung überlassen. Ich kann mich mit seiner Auffassung nur einverstanden erklären:

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„J. Ad., 22jähriger Tischlergeselle, suchte mich am 18. J änner 1908 auf. Er wollte von mir erfahren, ob die Kugel, die. ihm am 20. März 1907 in die linke Schläfe eindrang, operativ entfernt werden könne oder müsse. Von zeitweise auftretenden. nicht allzu heftigen Kopfschmerzen abgesehen, fühlt er sich ganz gesund, auch die objektive Untersuchung ergibt außer der charakteristischen, pulvergesehwärzten Schußna.rbe an der linken Schläfe gar nichts, so daß ich die Operation widmete. Uber die Umstände das Falles befragt, erklärt er, sich zufällig verletzt zu haben. Er spielte mit dem Revolver des Bruders, glaubte. daß er nicht geladen ist, drückte ihn mit der linken Hand an die. linke Sehläfe (er ist nicht Linkshänder), legte den Finger auf den Hahn. und der Schuß ging los. 1) r ei P s. tra n e n war an in der sechsliufigen Schußweffc. Ich frage ihn:

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scheut ist, einleuchtend. Vgl. im „Wallenstein“ die Wortt des schwe dieehen Hauptmannes über den Tod des Max Piccolomiui: „Man sagt, er wollte “erben."

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204 VIII. DAS VERGRE‘JFEN. wie er auf die Idee kam, den Revolver zu sich zu nehmen- Er erwidert, daß es zur Zeit seiner Assentierung war; den Abend zuvor nahm er die Waffe ins Wirtshaus mit, weil er Sehlägereien befürchtete. Bei der Musterung wurde er wegen Krampfadern für untauglich erklärt, worüber er sich sehr schämte. Er ging nach Hause, spielte mit dem Revolver, hatte aber nicht die Ab sicht, sich wehe zu tun; da kann es zum Unfall. Auf die [weitere Frage, wie er sonst mit seinem Schicksal zufrieden gewesen sei, antwortete er mit einem Seufzer und erzählte seine Liebesgeschichte mit einem Mädchen, das ihn auch liebte und ihn trotz— dem verließ; sie wanderte rein aus Geldgier nach“ Amerika aus. Er wollte ihr nach, doch die Eltern hinderten ihn daran. Seine Geliebte reiste am 20. Jänner 1907, also zwei Monate vor dem Unglücksfalle, ab. Trotz all dieser Verdachtsmomente beharrte der Patient dabei, daß der Schuß ein ,Unfall‘ war. Ich aber bin fest überzeugt, daß die N achlässigkeit, sich von der Ladung der Waffe vor dem Spielen nicht überzeugt zu haben, wie auch die Selbetbeschädigung psychisch bestimmt waren. Er war noch ganz unter dem deprimiemnden Eindruck der unglücklichen Lieb schaft und wollte offenbar beim Militär ,vergessen‘. Als ihm auch diese Hoffnung genommen wurde, kam es zum Spiele mit der Sehnßwaffé, d. h. zum unbewußten Selbstmordversueh. Daß er den Revolver nicht in der rechten, sondern in der linken Hand hielt, spricht entschieden dafür, daß er wirklich nur ,spielte‘, d. h. bewußt keinen Selbstmord begehen wollte.“

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Eine andere, mir vom Beobachter überlassene Analyse einer anscheinend zufälligen Selbstbeschädigung bringt das Sprichwort in Erinnerung: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ *.

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* Selbstbestmiung wegen Abortus von Dr. J. E. G. van Emden, Haag (Holland), Zentralblatt für Psychoanalyse II, 12.

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„Frau X aus, gutem bürgerlichen Milieu ist verheiratet und hat. drei Kinder. Sie ist zwar nervös, aber brauehte nie eine allergische Behandlung, da sie dem Leben doch genügend gewachsen ist. Eines Tages zog sie sich in folgender Weise eine momentan ziemlich imponierende, aber vorübergehende Entstellung ihres Gesichtes zu

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In einer Straße, welche zurecht gemacht wurde, stolperte sie über einen Steinhaufen und kam mit dem Gesichte in Berührung mit einer Hausmauer. Das ganze Gesicht war geschrammt, die Augenlirler wurden blau und ödematös, und da. sie Angst bekam, es möchte mit ihren Augen etwas passieren, ließ sie den Arzt rufen. Nachdem sie deswegen beruhigt war, fragte ich: ,Aber warum sind Sie, eigentlich so gefallen?‘ Sie erwiderte, daß sie gerade zuvor ihren Manu, der seit einigen Monaten eine Gelenkeai’fektion hatte, wodurch er schlecht zu Fuß war, gewarnt hatte, in dieser Straße gut aufzupassen, und sie hatte ja schon öfters die Erfahrung gemacht, daß in derartigen Fällen merkwürdigen weise ihr selber dasjenige passierte, wogegen sie eine andere Person gewarnt hatte.

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ich war mit dieser Determinieruug ihres Unfalls nicht zufrieden und fragte, ob sie nicht vielleicht etwas mehr zu erzählen wußte. J a, gerade vor dem Unfall hatte sie in einem Laden von der entgegengesetzten Seite der Straße ein hübsches Bild gesehen, das sie sich ganz plötzlich als Schmuck für die Kinderstube wünschte und darum sofort kaufen wollte: da ging sie geradeaus auf den Laden zu, ohne auf die Straße zu achten, stolperte über den Steinheufen und fiel mit ihrem Gesichte gegen die Haus— mauer. ohne auch nur den leisesten Versuch zu machen, sich mit den Händen zu schützen. Der Vorsatz, das Bild zu kaufen, war gleich vergessen, und sie ging eiligst naeh Hause

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,Aber warum haben Sie nicht besser zugeschaut ?" fragte ich.

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,Ja,‘ antwortete sie, ,es war vielleicht doch eine Strafe! Wegen der Geschichte, welche ich Ihnen schon im Vertrauen erzählt habe." ,Hat diese Geschichte Sie dann noch immer so gequält ?‘

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,Ja. —— nachher habe ich es sehr bedauert, mich selbst bos haft, Vel'bl‘echel‘isch und unmoralisch gefunden, aber ich war damals fast verrückt vor Nervosität.‘

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Es hatte sich um einen Abox-tus gehandelt. welchen sie mit Einverständnis ihres Mannes, da sie beide wegen ihrer pekuniämn Verhältnisse von mehr Kinderscgen verschont bleiben wollten. von einer Kurpfuscherin hatte einlciten und von einem Spezialarzt hatte zu Ende bringen lassen.

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,Öfters mache ich mir den Vorwurf : aber du hast doch dein Kind töten lassen. und ich hatte Angst, daß. so etwas doch nicht filme Strafe bleiben könnte. Jetzt, da Sie mir versichert haben. daß mit den Augen nichts Schlimmes vorliegt. bin ich ganz bernhigt: ich bin nun sowieso schon genug—end gestrai‘t.‘

§ 1504

Dieser Unfall war also eine Seibsthcstra-fung einerseits um fiir ihre Untat zu büße„n, anderseits aber, um einer vielleicht viel größeren unbekannten Strafe, vor welcher sie monatelang fortwährend A ngst hatte, zu entgehen.

§ 1505

In dem Augenblick, als sie auf den Laden losstürztc, nm sich das, Bild zu ka.ufen, war die Erinnerung an die ganze Greschichte mit all ihren Befürchtungen, welche sich schon während der VVar-nung ih1-m Mannes in ihrem Unbewußten ziemlich stark regte, überwältigend geworden und hätte Vielleicht in einem etwa derartigen Wortlaut Ausdruck finden können:

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> Aber wofür brauchst du einen Schmuck für die Kinderstube. du hast dein Kind umbringen lassen! Du bist eine Mörder-in! Die große Strafe naht ganz gewiß!

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VIXI. DAB VE‘RGEEIFEN. 207

§ 1509

Dieser Gedanke wurde nicht bewußt, aber statt dessen henützte sie in diesem, ich möchte sagen psychologischen Mnment die Situation, um den Steinhaufen, der ihr dafür geeignet schien, in unauffälligerr Weise für die Selbstbeetmfung zu verwenden; deswegen streekte sie beim Fallen auch nicht einmal die Hände _ aus und darum kam es auch nicht zu einem heftigen hir-schrecken. Die zweite, wahrscheinlich geringere Determiniernng ihres Unfalls ist wohl die Selbstbestrafung wegen des unbewußten Beseitigung-swunsohes gegen ihren, allerdings in dieser Affäre mitschuldigen Man—n. Dieser Wunsch hatte sich durch die voll» kommen überflüssige Warnung verraten, in der Straße mit dem Steinhaufen ja gut anfzupaeeen, da der Mann, eben weil er schlecht zu Fuß war, sehr vorsichtig ging.“

§ 1510

Wenn man die näheren Umstände des Falles erwähnt, wird man auch geneigt sein., J. Stärke (Le) recht. zu geben, wenn er eine anscheinend zufällige Selbstbesehäcligung durch Verbrennung als „Offer-handlung“ auffaßt.

§ 1511

„Eine Dame deren Schwiegersohn nach Deutschland ebreisen mußte, um dort in Militäadienst zu gehen, verbrühte sich den Fuß unter folgenden Umständen. Ihre Tochter erwartete bald ihre Niederkunft, und die GedankenAn die Kriegsgefahren stimmten selbstverständlieh die ganze Familie nicht sehr munter. Am Tage, vor der Abreise hatte sie ihren Schwiegersohn und ihre Tochter zum Essen eingeladen. Sie bereitete selber in der Küche das Essen. nachdem sie zuerst, sonderber genug, ihre hohen Schnürstiei'el mit Plattfußsohlen, auf denen sie bequem gehen kann und die sie auch zu Hanse gewöhnlich trägt, mit einem Paar zu großer, oben offener Pantoffeln ihres Mannes vertauseht hatte. Als sie eine große Pfanne kochender Suppe vom Feuer nahm. ließ sie diese fallen und verbrühte sich dadurch ziemlich ernst einen Fuß. zumal den Fußriicken, der vom offenen Pan—

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toffel nicht geschützt wurde. —— Selbstverständlich wurde dieser Unfall von jedermann auf Rechnung ihrer begreiflichen ,Nervosität‘ geschrieben- Die ersten Tage nach diesem' Brandopfer war sie mit heißen Gegenständen sehr vorsichtig, wodurch sie aber nicht gehindert wurde, sich wenige Tage später den einen Puls mit heißer Brühe zu verbrühen.“

§ 1515

Wenn so ein Wütcn gegen die eigene“ Integrität und das eigene Leben hinter anscheinend zufälliger Ungeschicklichkeit und motorischer Unzulänglichkeit verborgen sein kann, so braucht man keinen großen Schritt mehr zu tun, um die Übertragung der nämlichen Auffassung auf Fehlgriffe möglich zu finden, welche Leben und Gesundheit anderer ernstlich in Gefahr bringen. “’ne ich an Belegen für die Triftigkeit dieser Auffassung Vorbringen kann, ist der Erfahrung an Neurotikern entnommen, deckt sich also nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich werde über einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehlgriff, sondern, was man eher eine Symptom. oder Zufallshendlung nennen kann, auf die Spur brachte, welche dann die Lösung des Konflikts bei dem Patienten ermöglichte. Ich übernahm es einmal, die Ehe eines sehr intelligenten Mannes zu bessern, dessen Mißhelligkeiten mit seiner ihn zärtlich Liebenden jungen Frau sich gewiß auf reale Begründungen berufen konnten, aber, wie er selbst zuga.b, durch diese nicht voll erklärt wurden. Er beschäftigte sich unablässig mit dem Gedanken der Scheidung, den er dann wieder verwarf, weil er seine beiden kleinen Kinder zärtlich liebteTrotzdem kam er immer wieder auf den Vorsatz zurück und versuchte dabei kein Mittel, um sich die Situation erträglich zu gestalten. Solches Nichtfertigwerden mit einem Konflikt gilt mir als Beweis dafür, daß sich unbewußte und verdrängte Mo. tive zur Verdrängung der miteinander streit9nden bewußten be< reif. gefunden haben, und ich unternehme es in solchen Fällen,

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den Konflikt durch psychische Analyse zu beenden. Der Mann erzählte mir eines Tages von einem kleinen Vorfall7 der ihn aufs äußerste erschreckt hatte Er „hetztia“ mit seinem älteren Kinde, dem weitaus geliebteren, hab es hoch und ließ es nieder und einmal an solcher Stelle und so hoch, daß das Kind mit dem _ Scheitel fest ,am den schwer herabhängenden Gasluster engestoßen

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Wäre. Fest, aber doch eigentlich nicht oder gerade eben noch! Dem Kinde war nichts geschehen, aber es wurde vor Schreck schwindlig. Der Vater blieb entsetzt mit dem Kinde im Arme stehen, die Mutter bekam einen hysterischen Anfall. Die besondere Geschicklichkeit dieser unvorsichtigen Bewegung, die Heftigkeit der Reaktion bei den Eltern legten es mir nahe, in dieser Zufälligkeit eine Symptnmhandlung zu suchen, welche eine böse Absicht gegen das geliebte Kind zum Ausdruck bringen sollte. Den Wider— sprueh gegen die aktuelle Zärtlichkeit dieses Vaters zu seinem Kinde konnte ich aufheben, wenn ich den Impuls zur Schädigung in die Zeit zurückverlegte, da dieses Kind das einzige und so klein gewesen war7 daß sich der Vater noch nicht zärtlich für dasselbe zu interessieren brauchte- Dann hatte ich es leicht anzunehmen, daß der von seiner Frau wenig befriedigte Mann damals den Ge; danken gehabt oder den Vorsatz gefaßt: Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar nichts liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau scheiden lassen. Ein Wunsch nach dem Tode dieses jetzt so geliebten \Vesens mußte also unbewußt weiterbestehen. Von hier ab war der Weg zur unbewußten Fixierung dieses Wunsches leicht zu finden. Eine mächtige Determinierung ergab sich wirklich aus der Kindheitserinnerung des Patienten, daß der Tod eines kleinen Bruders, den die Mutter der Nachlässigkeit des Vaters zur Last legte, zu heftigen Aus« einandersetzungen zwischen den Eltern mit Scheidungsandrohung geführt hatte. Der weitere Verlauf der Ehe meines Patienten

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Freud, Paynhopathnlagia tlel Allhq-nlehonw. VI. Aufl. 14

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210 VIII. DAS VERGREIFEN.

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bestätigte. meine Kombination auch durch den therapeutischen Erfolg.

§ 1524

J. Stärcke (l. c.) hat ein Beispiel dafür gegeben, daß Dichter kein Bedenken tragen, ein Verg‘rcifcn an die Stelle einer absichtlichen Handlung zu setzen und es somit zur Quelle der schwersten Konsequenzen zu machen:

§ 1525

„In einer der Skizzen von Heyerman s * kommt ein Beispiel von Vergreifen oder, genauer gesagt-, Fehlgreifen vor, das vom Autor als dramatisches Motiv angewandt wird.

§ 1526

Es ist die Skizze ,Tom und Teddie‘. —— Von einem Tauchen paar _. das in einem Spezialitätentheater auftritt, längere Zeit unterm Wasser bleibt und dort Kunststücke ausführt in einem eisernen Bassin mit gläsernen W änden — hält die Frau es seit kurzem mit einem anderen Menne, einem Dresseur. Der Mann. Taucher hat sie gerade vor der Vorstellung zusammen im Ankleidezinnner ertappt. Stille Szene, drohende Blicke und der Taucher sagt: ,Nachher!‘ — Die Vorstellung fängt an. — Der Taucher wird das schwierigste Kunststück machen, er bleibt ,zwei und eine halbe Minute in einer hermetisch geschlossenen Kiste unterm Wasser‘. Sie hatten dieses Kunststück schon üfters gemacht, die Kiste wurde dann geschlossen, und ,Teddie zeigt dem Publikum, das auf seinen Uhren die Zeit kontrollierte, den Schlüssel‘. Sie ließ auch absichtlich den Schlüssel ein paar— mal im Bassi.u fallen und tauchte dann eilig danach, um nicht zu spät zu sein, wenn der Koffer geöffnet werden mußte.

§ 1527

An diesem Abend des 31. Jänner wurde Tom wie gewöhn— lich von den kleinen Fingern des munter-frischen Weibchens eingespen‘t. Er lächelte hinter dem Guckloch — sie spielte mit dem Schlüssel und wartete auf sein warnendes Zeichen. Zwischen

§ 1528

* Hermann Heyermanns, Schcteen vun Samuel Falkland, 18. Bundel, Amsterdam, H. J. W. Bacht, 1914.

§ 1529

§ 1530

VIII. DAS VERGREIFEN . 2 [1

§ 1531

den Kulissen stand der Dmseur mit seinem tadellosen Frank. seiner Weißen Krawatte, seiner Beitpeitsche. Um ihre Aufmerk» smkeit auf sie zu ziehen, pfiff er ganz kurz, der Dritte. Sie schaute hin, lachte und mit der ungeschickten Gebärde von jemand. dessen Aufmerksamkeit abgelenkt wird, warf sie den Schlüssel so Wild in die Höhe, daß er genau zwei Minuten zwanzig Sekunden, gut gezählt, neben das Bassin, zwischen dem das Fußgeetell verdeckenden Flaggentueh fiel. Keiner hatte es gesehen. Keiner konnte es sehen. Vom Saal aus gesehen, war die optische Täuschung eo, daß jedermann den Schlüssel ins Wasser gleiten sah — und keiner der Theaterheli‘er merkte es, weil des. F'laggentuch den Laut milderte

§ 1532

Lachend, ohne _zu zaudern, kletterte Teddie über den Rand des Bassins. Lachend —« er hielt es wohl aus —— kann sie ‘die Leiter herunter. Lachend verschwand sie unter dem Fußgestell, um dort zu suchen, ’und als sie den Schlüssel nicht sofort fand, bück’ce sie sich mit einer Mimik zum Stehlen, mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie sagte: ,O jeminc, wie das doch lästig ist!‘ an der Vorderseite des Flaggentuches.

§ 1533

Unterdessen machte Tom seine drolligen Grima,ssen hinter dem Gucklnch, wie wenn auch er unruhig würde. Man sah das Weiß seines falschen Gebisses, das Kamen seiner Lippen unter dem Flachsschnurrba.rt, die komischen Atemblasen, die man auch beim Apfelessen gesehen hatte. Man sah das Grabsen und Wühlen seiner bleichen Knöehelfinger und man lachte, so wie man diesen Abend schon öfter gelacht hatte.

§ 1534

Zwei Minuten und achtundfünfzig Sekunden . . .

§ 1535

Drei Minuten sieben Sekunden . . . zwölf Sekunden . . .

§ 1536

Bravo! Bravo! Bravo! . . .

§ 1537

Da. entstand eine Bestürzung im Saale und ein Schauen mit

§ 1538

14‘

§ 1539

§ 1540

212 VIII. ms VERGREIF'EN.

§ 1541

den Füßen, Weil auch die Knechte und der Dresseur zu suchen anfingen und der Vorhang fiel, bevor der Deckel aufgehoben war.

§ 1542

Sechs englische Tänzerinnen traten auf — dann der Mann mit den Ponys, Hunden und Affen. Und so weiter,

§ 1543

Erst am nächsten Morgen vernahm das Publikum, daß ein Unglück geschehen war, daß Teddie als Witwe auf der Welt zurückblißb . . .“

§ 1544

Aus dem Zitierten geht hervor, wie vorzüglich dieser Künstler selber das Wesen der Symptomhandlung verstanden haben muß, um uns so treffend die tiefere Ursache der tödlichen Ungeachickliehkeit vorzuführen.“

§ 1545

§ 1546

IX.

§ 1547

SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1548

Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir die Aus. führung einer unbewuß'wn Absicht erkannten, traten als Störungen a,nderer beabeichtigter Handlungen auf und deckhen sich mit dem Vorwand der Ungmcliicklichkeit. Die Zufallshand— lungen, von denen jetzt die Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, daß sie die Anlehnungan eine bewußte Intention verschmähen und also des Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich auf und werden zugelassen, Well man Zweck und Absicht bei ihnen nicht vermutet. Man führt sie aus, „ohne sich etwas bei ihnen zu denken“, nur „rein zufällig“, „wie um die Hände zu beschäftigen“, und man rechnet darauf, daß solche Auskunft der Nachfolschung nach der Be— deutung der Handlung ein Ende bereiten wird. Um sich dieser Ausnahmetellung erfreuen zu können, müssen diese Handlungen, die nicht mehr die Entschuldigung der Ungeachjoklichkeit in Anspruch nehmen, bestimmte Bedingungen erfüllen; sie müssen 11 n a u f f ii 1 ] ig und ihre Effekte müssen geringfügig sein.

§ 1549

Ich habe eine große Anzahl solcher Zufallshandlun_gen bei mir und anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Untersuchung der einzelnen Beispiele, daß sieeher den Namen von S_ym p tom h andlungen verdienen. Sic bringen etwas zum Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen vermutet und

§ 1550

§ 1551

214 1x. smprou- mm ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1552

was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu behalten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle andemen bisher betrachteten Phänomene die Rolle von Symptomen.

§ 1553

Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls- oder Symptom— handlungen erhält man allerdings bei der psychoanalytischen Behandlung der Neurotiker. Ich kann es mir nicht versagen, an zwei Beispielen dieser Herkunft zu zeigen, wie weit und wie fein die Determinierung dieser unscheinbaren Vorkommnisee durch unbewußte Gedanken getrieben ist. Die Grenze der Symptomhandlungen gegen das Ver-greifen ist so wenig scharf, daß ich diese Beispiele auch im vorigen Abschnitt hätte unterbringen können.

§ 1554

a) Eine junge Frau erzählt als Einfull Während der Sitzung. daß sie sich gestern beim Nägelsohneiden „ins Fleisch geschnitten, Während sie das feine Häutchen im N agelbett abzutra.gen bemüht war“. Das ist so wenig interessant, daß man sich verwundert fragt, wozu es überhaupt erinnert und erwähnt wird, und auf die Vermutung gerät, man habe es mit einer Symptomhandlung zu tun. Es war auch wirklich der Ringfinger, an dem das kleine Ungesehick verfiel, der Finger, an dem man den Ehering trägt. Es war überdies ihr Hochzeitstag, was der Verletzung des feinen Häutchens einen ganz bestimmten, leicht zu erratenden Sinn very leiht. Sie erzählt auch gleichzeitig einen Traum, der auf die Ungeachicklichkeit ihres Mannes und auf ihre Anästhesie als Frau anspielt. Warum war es aber der Ringfinger der linken Hand, an dem sie sich verletzte, da man doch den Ehering an der rechten Hand trägt? Ihr Mann ist J urist, „Doktor der Rechte“: und ihre geheime Neigung hatte als Mädchen einem Arzt (schemha.ft: „Doktor der Linke“) gehört. Eine Ehe zur linken Henri hat auch ihre bestimmte Bedeutung. .

§ 1555

b) Eine unverheiratetc junge Dame erzählt: „Ich habe gestern ganz unabsichtlich eine Hundertguldennotc in zwei Stücke

§ 1556

§ 1557

IX. SYMPTOM- UND ZUFALI.SHANDLUNGEN. ' 215

§ 1558

gefissen und die Hälfte davon einer mich besuchenden Dame gegeben Soll das auch eine Symptomhandlung sein?“ Die genauere Erforschung deckt folgende Einzelheiten auf. Die Hundertguldennote: Sie widmet einen Teil ihrer Zeit und ihres Vermögens wohltätigen Werken. Gemeinsam mit einer anderen Dame sorgt sie für die Erziehung eines verwaieten Kindes. Die 100 Gulden sind der ihr zugeschickte Beitrag jener Dame, den sie in ein Kuvert einsehloß und vorläufig auf ihren Schreibtisch niederlegte,

§ 1559

Die Besucherin war eine angesehene Dame, der sie bei einer anderen W'ohltätigkeitsaktion beisteht. Diese Dame wollte eine Reihe Namen von Personen notieren7 an die man sich um Unterstützung wenden könnte Es fehlte an Papier, da griff meine Patientin nach dem Kuvei't auf ihrem Schreibtisch und rißw es, ohne sich an seinen Inhalt zu hesi1men, in zwei Stücke, von denen sie eines selbst behielt, um ein Duplika.t der Namenliste zu haben, das andere ihrer Besucherin übergab. Man bemerke die Harmlosigkeit dieses unzweckrfiäßigen Vorgehen. Eine Hundertguldennote erleidet bekanntlich keine Einbuße an ihrem Werte, wenn sie zer—rieeen wird, falls sie sich aus den Rißetüeken vollständig zusammensetzen läßt. Daß die Dame das Stück Papier nicht wegwerfen würde, war durch die Wichtigkeit der darauf stehen— den Namen verbürgt, und ebensowenig litt es einen Zweifel7 daß sie den wertvollen Inhalt zurückstellen würde sobald sie ihn bemerkt hätte.

§ 1560

W’elchem unbewußten Gedanken sollte aber diese Zufallshandlung, die sich durch ein Vergessen ermöglichte, Ausdruck geben? Die besuehende Dame hatte eine ganz bestimmte Beziehung zu 1meel'er Kur-_ Es war dieselbe, die mich seinerzeit dem leidenden Mädchen als Arzt empfohlen, und wenn ich nicht

§ 1561

§ 1562

216 1x. sruwron- UND zurunsnnunnunariw.

§ 1563

irre, hält sich meine Patientin zum Danke für diesen Rat ver— pflichtet. Soll die halbierte Hundertguldennote etwa ein Hrr norar für diese Vermittlung darstellen? Das bliebe noch recht

§ 1564

befreindlich.

§ 1565

Es kommt aber anderes Material hinzu. Einige Tage vorher hatte eine Vermittlerin ganz anderer Art bei einer Verwandten angefragt, ob das gnädige Fräulein wohl die Bekanntschaft eines gewissen Herrn machen wolle, und am Morgen, einige Stunden vor dem Besuche der Dame, war der Werbebrief des Freiers eingetroffen, der viel Anlaß zur Heiterkeit gegeben hatte. Als nun die Dame das Gespräch mit einer Erkundigung nach dem Befinden meiner Patientin eröffnete konnte diese wohl gedacht haben: „Den richtigen Arzt hast du mir zwar empfohlen, wenn du mir aber zum richtigen Manne (und dahinter: zu einem Kinde) verhelfen könntest, Wäre ich dir doch denkbaren“ Von diesem verdrängt gehaltenen Gedanken aus flossen ihr die beiden Vermittlerinnen in eins zusammen, und sie überreichte der Be— sucherin das Honorar, das ihre Phantasie der anderen zu geben bereit war. Völlig verbindlich wird diese Lösung, wenn ich hinzufüge, daß ich ihr erst am Abend vorher von solchen Zufallsoder Symptomhandlungen erzählt hatte Sie bediente sich dann der nächsten Gelegenheit, um etwas Analoges zu produzieren.

§ 1566

Eine Gruppierung der so überaus häufigen Zufalls- und Symptomhandlungen könnte man vornehmen, je nachdem sie gewohnheitsmäßig, regelmäßig unter gewissen Umständen, oder vereinzelt erfolgen. Die ersteren (wie das Spielen mit der Uhrkette, das Zwirbeln am Barte usw.), die fast zur Charakteristik der be— treffenden Personen dienen können, streifen an die mannigfaltigen Tikbewegungen und verdienen wohl im Zusammenhange mit letzteren behandelt zu werden. Zur zweiten Gruppe rechne ich

§ 1567

§ 1568

' 1x. srnrron- mm zursntsnmnnunemz. 217

§ 1569

das Spielen, wenn man einen Stock, das Kritzeln, wenn man einen Bleistift in der Hand hält, das Kli_mpern mit Münzen in der Tasche, das Kneten von Teig und anderen plastischen Stoffen, allerlei Hantierun‘gen an seiner Gewandung u. dgl. mehr. Unter diesen spielenden Beschäftigungen verbergen sich während der psychischen Behandlung regelmäßig Sinn und Bedeutung, denen ein anderer Ausdruck versagt ist, Gewöhnlich weiß. die betreffende Person nichts davon, daß sie dergleichen tut, oder daß sie gewisse Modifikationen an ihrem gewöhnlichen Tändeln vorgenommen hat, und sie übersicht und ühethört auch die Effekte. dieser Handlungen. Sie hört z. B. das Geräusch nicht, das sie beim Klimpern mit Geldstücken hervorhringt, und henimmt sich wie erstaunt und ungläubig, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Ebenso ist alles, was man, oft ohne es zu merken, mit seinen Kleidern vornimmt, bedeutungsvoll und der Beachtung des Arztes wert. Jede Veränderung des gewohnten Aufzug-s, jede kleine Nachlässigkeit, wie etwa. ein nicht schließender Knopf, jede Spur von Entblößung will etwas besagen, was der Eigentümer der Kleidung nicht direkt sag-en will, meist gar nicht zu sagen weiß. Die Deutungen dieser kleinen Zufallshandlungen sowie die Beweise für diese Deutungen ergeben sich jedesmal mit. zureichender Sicherheit uns den Begleitumständen während der Sitzung, aus dem eben behandelten Thema und aus den Ein— fällen, die sich einstellen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die anscheinende Zufälligkeit lenkt. Wegen dieses Zusammenhanges unterlasse ich es, meine Behauptungen durch Mitteilung von Beispielen mit; Analyse in unterstützen; ich erwähne diese Dinge aber, weil ich glaube, daß sie bei normalen Menschen dieselbe Bedeutung haben wie bei meinen Patienten

§ 1570

Ich kann es mir nicht versegen, an Wenigstens einem Beispiel zu zeigen, wie innig eine gewohnheitsgemäß ausgeführte Symbol

§ 1571

§ 1572

218 IX. SYMPTOM- UND Zl'l<‘ALLSI-I.ANDLUNGEN.

§ 1573

handlung mit dem Intin1sten und \Vichtigsien im Leben einen Gesunden verknüpft sein kann" „Wie Professm Freud uns gelchl’t hat spielt die Symbolik im kindlichen Leben des N ormalen eine größere Rolle, als man nach früheren psychoanalytischen Erfahrungen erwartete: im Hinblick darauf mag die folgende kurze Analyse von einigem Interesse sein, insbesondere wegen ihrer medizinischen Ausblicke. Ein Arzt stieß bei der Wiedereinrichtung seiner Möbel in einem neuen Heim auf ein ,einfaches‘ hölzernes Stetthop. N ach— dem er einen Augenblick nachgedacht hatte, W er es denn eigentlich unterbringen solle, fühlte er sich gedrängt, es seitlich auf seinen Schreibtisch zu stellen, und zwar so, daß es genau zwischen seinem Stuhl und dem, worin seine Patienten zu sitzen pflegten, zu stehen kam. Die Handlung als solche war aus zwei Gründen ein wenig seltsam. Erstens braucht er überhaupt nicht oft ein Stethoskop (er ist. nämlich Neurologe), und sobald er eines nötig hat, benützt er ein doppeltee für beide Ohren. Zweitens Waren alle seine medizinischen Apparate und Instrumente in Schub— kästen untergebracht, mit alleiniger Ausnahme dieses einen Gleichwohl dachte er nicht mehr an die Sache, bis ihn eines Tages eine Patientin, die noch nie ein ,einfaches‘ Stethoskop gesehen hatte, fragte, was das sei. Er sagte es ihr, und sie fragte, warum er es gerade hieher gestellt habe, worauf er schlegfertig er widerte, daß dieser Platz ebensogut wäre wie jeder andere. Dies machte ihn jedoch stutzig und er begann nachzudenken, ob dieser Handlung nicht irgend eine unbewußte Motivierung zu Grunde liege, und Ver-traut mit der psychoanalytischen Methode beschloß er, die Suche zu erforschen.

§ 1574

”' Beitrag zur Symbolik im Alltag von Ernest Jones, Toronöo. Aus dem Englischen übersetab von Otto Rank, Wien. Zentralblatt für psyazm. analyse, I, 3, 1911.

§ 1575

§ 1576

, ' IX. smrron- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. 219

§ 1577

Als erste Erinnerung fiel ihm die Tatsache ein, daß als Student der Medizin die Gewohnheit seines Spitalarztes auf ihn Eindruck gemwht hatte, der immerwährend ein einfaches St8thoshop bei seinen Besuchen in den Kra'nkensälen in der Hand gehalten hatte, obgleich er es niemals benützto. Er hatte diesen Arzt sehr bewundert und war ihm außemrdentlich zugetan Später, als er selbst die Spitelpraxis ausübte, nahm er die gleiche Gewohnheit an und hätte sich unbehaglich gefühlt, wenn er durch ein Versehen sein Zimmer verlassen hätte, ohne das Thstmment in der Hand zu schwingen. Die Nutzlosigkeit dieser Gewohnheit zeigte sich jedoch nicht nur in der Tatsache, daß das einzige Stethoskop, welches er in Wirklichkeit benutzte, eines für beide Ohren war, das er in der Tasche trug, sondern auch darin, daß sie fortgesetzt wurde, als er auf der chirurgischen Abteilung war und überhaupt kein Stethoskop mehr brauchte. Die Bedeutung dieser Beobachtungen wird sogleich klar, wenn wir auf die phallisehe Natur dieser symbolischen Handlung hinweisen

§ 1578

Als nächstes erinnerte er die Tatsamhe. daß ihn als kleinen Jungen die Gewohnheit seines Heusarztes frappicrt hatte, ein einfaches Stethoskop im Innern seines Hutes zu tragen; er fand es interessant, daß der Doktor sein Hauptinstrument immer zur . Hand habe. wenn er Patienten besuchen ging, und daß er nur den Hut {d. i. einen Teil seiner Kleidung) abzimeh.men und ,es herauszuziehen‘ hatte. Er war als kleines Kind diesem Arzte überaus a.nhä,nglich gewesen und konnte kürzlich durch Selbstenalyse aufdecken, daß er im Alter von dreieinhalb Jahren eine doppelte Phantasie in betreff der Geburt einer jüngeren Schwester gehabt hatte: nämlich, daß sie das Kind war erstens von ihm selbst und seiner Mutter., hweitem vom Doktor und ilun selbst. In dieser Phantasie spielte er also sowohl die männliche wie die weibliche

§ 1579

§ 1580

220 IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1581

Rolle. Er erinnerte ferner, im Alter von sechs Jahren von dem» selben Arzt untersucht werden zu sein, und entsinnt sich deutlich der wollüstigen Empfindung, als er den Kopf des'Doktors, der ihm das Stethcskoi) an die Brust. drückte, in seiner N ähe fühlte, sowie der rhythmisch hin- und hergehendcn A tmungsbewegnng, Im Alter von drei J alu-en hatte er ein chronisches Brustübel gehabt und mußte wiederholt untersucht werden sein, wenn er das auch tatsächlich nicht mehr erinnern konnte.

§ 1582

Im Alter von acht Jahren machte die Mitteilung eines älteren Knaben Eindruck auf ihn, der ihm sagte, es sei Sitte des Arztes, mit seinen Patientinnen zu Bette zu gehen. Es gab sicherlich in Wahrheit einen Grund zu diesem Gerüchte, und. auf alle Fälle waren die Frauen der Nachbarschaft, einschließlich seiner eigenen Mutter, dem jungen und netten Arzte sehr zugeta.n. Der Analysierbe selbst hatte bei verschiedenen Gelegenheiten sexuelle Versuchungen in bezug auf seine Patientinnen erfahren, hatte sich zweimal in solche verliebt und schließlich eine geheiratet. Es ist kaum zweifelhaft, daß seine unbewußte Identifizierung mit dem Doktor der hauptsächlichste Grund war, der ihn bewog, den Beruf des Mediziner—s zu ergreifen. Aus anderen Analysen läßt sich vermuten, daß dies sicherlich das häufigste Motiv ist (obgleich es schwer ist] zu bestimmen, wie häufig). Im vorliegenden Falle war es zweifach bedingt: erstens durch die bei mehreren Gelegenheiten erwiesene Überlegenheit des Arztes dem Vater gegenüber, auf den der Sohn sehr eifersüchtig war, und zweitens durch des Doktors Kenntnis verbotener Dinge und Gelegenheiten zu sexueller Befriedigung.

§ 1583

Dann kam ein bereits anderwärts veröffentlichier Traum* von deutlich homosexuell—masochistischer N atur, in welchem ein

§ 1584

* „Freud's Theory of Dreams“, American Journ, of Psychol., April 1910, p. 301, Nr, 7,

§ 1585

§ 1586

IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

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§ 1588

Mann, der eine Ersatzfigur des Arztes ist, den Träumer mit einem

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Schwert angriff. Das Schwert erinnerte ihn an eine Geschichte

§ 1590

in der Völsung-Nibelungen-Sage, wo Sigurd ein bloßes Schwert

§ 1591

zwischen sich und die schlafende Brünhilde legt. Die

§ 1592

gleiche Geschichte kommt in der Arthus-Sage vor, die unser

§ 1593

Mann ebenfalls genau kennt..

§ 1594

§ 1595

Der Sinn der Symptomhandlung wird nun klar. Der Arzt

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hatte das einfache Stethoskop zwischen sich und seine Patien

§ 1597

tinnen gestellt, genau so wie Sigurd sein Schwert zwischen sich

§ 1598

und die Frau legte, die er nicht berühren durfte. Die Handlung

§ 1599

war eine Kompromißbildung; sie diente zweierlei Regungen:

§ 1600

in seiner Einbildung dem unterdrückten Wunsche nachzugeben.

§ 1601

mit irgend einer reizenden Patientin in sexuelle Beziehungen zu

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treten, ihn aber zugleich zu erinnern, daß dieser Wunsch nicht

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verwirklicht werden konnte. Es war sozusagen ein Zauber gegen

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die Anfechtungen der Versuchung.

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Ich möchte hinzufügen, daß auf den Knaben die Stelle aus

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Lord Lyttons Richelieu großen Eindruck machte:

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Beneath the rule of men entirely great

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The pen is mightier than the sword *

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daß er ein fruchtbarer Schriftsteller geworden ist und eine außer

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gewöhnlich große Füllfeder benützt. Als ich ihn fragte, wozu er

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diese nötig habe, erwiderte er charakteristischerweise: Ich habe

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soviel auszudrücken.

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§ 1618

Diese Analyse mahnt uns wieder einmal daran, welch weit

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reichende Einblicke in das Seelenleben uns die ,harmlosen und

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,sinnlosen Handlungen gewähren, und wie frühzeitig im Leben

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die Tendenz zur Symbolisierung entwickelt ist."

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Cf. Oldhams wear my pen as others do their sword".

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221

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222 1x. sn1rron- UND zumnmnmnnuuenu.

§ 1631

ich kann noch etwa aus meiner psychotherapeutischen Erfahrung einen Fall erzählen, in dem die mit einem Klumpen Brotkrume spielende Hand eine beredte Aussage ehlegte. Mein Pa— tient war ein nochnicht 13jä,hriger, seit fast zwei J ahren schwer hysterischer Knabe, den ich endlich in psychoanalytische Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufenthalt in einer Wasserheilanstalt sich erfolglos erwiesen hatte. Er mußte nach meiner Voraussetzung sexuelle Erfahrungen gemacht haben und seiner Altersstufe entsprechend von sexuellen Fragen gequält sein; ich hütebe mich aber, ihm mit Aufklärungen zu Hilfe zu kommen, weil ich Wieder einmal eine Probe auf meine Voraussetzungen anstellen wollte. Ich durfte also neugierig sein, auf welchem Wege sich das Gesuchte bei ihm andeuten Würde. Da fiel es mir auf, (laß er eines Tages irgend etwas zwischen den Fingern der rechten Hand rollte, damit in die Tasche fuhr, dort weiter spielte, es Wieder hervorzng usw. Ich fragte nicht, was er in der Hand habe; ei‘zeigte es mit aber, indem er plötzlich die Hand öffnete. Fa war Brotkrume, die zu einem Klumpen zusammengelmetet war. In der nächsten Sitzung brachte er wieder einen solchen Klumpen mit, formte aber aus ihm, während wir das Ge— spräch führten., mit unglaublicher Raschheit— und. bei geschlossenen Augen Figuren, die mein Interesse erregten Es waren unzweifelhaft Männchen mit Kopf, zwei Armen, zwei Beinen, wie die rohesten prähistorischen Idole, und einem Fortsatz zwischen beiden Beinen, den er in eine lange Spitze auszog. Kaum daß dieser gefertigt war, knetete er das Männchen wiedei zusammen; später ließ er es bestehen, zog aber einen ebensolehen Fortsatz an der Rückenflä.che und an anderen Stellen aus, um die Bedeutung des ersten zu verhüllen. Ich wollte ihm zeigen, wie ich ihn verstanden hatte, ihm aber dabei die Ausflucht benehmen, daß er sich bei dienst menschenformenden Tätigkeit nichts ge

§ 1632

§ 1633

[X. SYM‘PTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. 223

§ 1634

dacht habe. in dieser Absicht fragte ich ihn plötzlich, ob er sich an die Geschichte jenes römischen Könige erinnere, der dem Abgesandten seines Sohnes eine pantomimische Antwort im Garten gegeben. Der Knabe wollte sich nicht an das erinnern, was er doch vor so viel kürzerer Zeit als ich gelernt haben mußte. Er fragte, ob das die Geschichte von dem Sklaven sei, auf dessen glattrasierten Schädel man die Antwort geschrieben habe- Nein; das gehört in die griechische Geschichte, sagte ich und erzählte: Der König Tarqninius Superbus hatte seinen Sohn Scxtus vernnlaßt, sich in' eine feindliche latinisohe Stadt einzuschleichen. Der Sohn, der sich unterdes Anhang in dieser Stadt verschafft hatte, schickte einen Boten an den König mit der Frage, was nun weiter geschehen solle. Der König gab keine Antwort, sondern ging in seinen Garten, ließ sich dort die Frage Wiederholen und schlug schweigend die größten und schönsten Mohnköpfe ab. Dem Boten blieb nichts übrig als dims dem Sextus zu berichten, der den Vater verstand und es sich angelegen sein ließ, die angesehensten Bürger der Stadt durch Mord zu beseitigen.

§ 1635

Während ich redete, hielt der Knabe in seinem Kneten inne, und als ich mich anschickte zu erzählen, was der König in seinem Garten tat, schon bei den Worten „schlug schweigend“, hatte er mit einer blitzschnellen Bewegung seinem Männchen den Kopf abgerissen. Er hatte mich also verstanden und gemerkt, daß er von mir verstanden worden war. Ich konnte ihn nun direkt befragen, gab ihni die Auskünfte, um die es ,ihm zu tun war, und wir hatten binnen kurzem der Neurose ein Ende gemacht.

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Die Symptomlmndlungen, die nia.n in fast unemchöpflicher Reichhaltigkeit bei Gesunden wie bei Kranken beobachten kann, verdienen unser Interesse aus mehr als einem Grunde. Dem Arzte dienen sie oft als wertvolle Winke zur Orientierung in neuen oder ihm wenig bekannten Verhältnissen, dem Menschenbeobachter

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224 1x. srm»row mm zumnnsumnwmnu.

§ 1639

verraten sie oft alles, und mitunter selbst mehr, als er zu wissen wünscht. Wer mit ihrer Würdigung vertraut ist, darf sich gelegentlich wie der König Salome vorkommen, der mich der orientalischen Sage die Sprache der Tiere verstand. Eines Tages sollte ich einen mir fremden jungen Mann im Hause seiner Mutter ärztlich untersuchen Als er mir entgegentrat, fiel mir ein großer Eiweißfleek, kenntlich an seinen eigentümlich starren Rändern, auf seiner Hose auf. Der junge Mann entschuldigte sich nach kurzer Verlegenheit, er habe sich heiser gefühlt und darum ein rohes Ei getrunken, von dem wahrscheinlich etwas schlüpfriges Eiweiß auf seine Kleidung herabgeronnen sei, und konnte zur 4 Bestätigung auf die Eierscha,le hinweisen, die noch auf einem Tellerchen im Zimmer zu sehen war. Somit war der suspekte Fleck in harmloser Vl’eise aufgeklärt; als aber die Mutter uns allein gelassen hatte, dankte ich ihm, (laß er mir die Diagnose so sehr erleichtert habe, und nahm ohne weiteres sein Geständnis, daß er unter den Beschwerden der Masturbation leide, zur Grund» lage unserer Unterhaltung. Ein anderes Mal machte ich einen Besuch bei einer ebenso reichen wie geizigen und närrischen Dame, die dem Arzte die Aufgabe zu stellen- pflegte, sich durch ein Heer von Klagen durchzuarbeiten, ehe man zur simpeln Be gründung ihrer Zustände gelangte Als ich eintrat, saß sie bei einem Tischelien damit beschäftigt, Silbergulden in Häufchen zu schichten, und Während sie sich erhob, warf sie einige der Geldstücke zu Boden. Ich half ihr beim Aufklauben derselben unterbrach sie bald in der Schilderung ihres Elends und fragte: Hat Sie also der vornehmé Schwiegersohn um soviel Geld ge— bracht? Sie antwortete mit erbitterter Verneinung, um die kürzeste Zeit nachher die klägliche Gwchichte von der Aufregung über die Verschwendung des Schwiegersohnes zu erzählen, hat mich aber allerdings seither nicht wieder gerufen. Ich kann nicht

§ 1640

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1x. smvron- UND znmmsnmnmnenn. 225

§ 1642

behaupten, daß man sich immer Freunde unter denen wirbt. denen man die Bedeutung ihrer Symptomhandlungen mitteilt,.

§ 1643

Ein anderes „Eingeständnié durch Fehlhandlung“ berichtet Dr. J. E. G. van Emden: (Haag): „Beim Zahlen in einem kleinen Restaurant in Berlin behauptete der Kellner, daß der Preis einer bmhimmben Speise >— des Krieges wegen — um 10 Pfennig erhöht werden war; meine Bemerkung, warum das auf der Preisliste nicht angezeigt werden war, beantwoflete er mit der Erwiderung, daß dies offenbar eine Unterlassung nein müßte, daß es aber gewiß so war! Beim Einstecken des Betrages war er nngeechiekt untl ließ ein Zehnpfennigstück gerade für mich auf den Tisch niederfallenll

§ 1644

,Jetzt weiß ich aber sicher, daß Sie mir zuviel gerechnet haben, wollen Sie, daß ich mich an der Kasse erkündige ?‘

§ 1645

,Bitte, gestatten Sie . . . einen Moment . . .‘ und fort war er schon _

§ 1646

Selbstverständlieh gönnte ich ihm den Rückzug und, naeh— dem er zwei Minuten später sich entsohuldig‘te, unbegreiflicherweise mit einer anderen Speise im Irrtum gewesen zu sein, die zehn Pfennige als Belohnung für seinen Beitrag zur Psychopathologie des Alltagslebens.“

§ 1647

Wer seine Nebemnenschen während des Essens beobacth will, wird die schönsten und lehrreichsten Symptomhxindlungen an ihnen feststellen können.

§ 1648

So erzählt Dr. Hanns Sachs:

§ 1649

„Ich war zufällig zugegen-, als ein älteres Ehepaar meiner Verwandtschaft das Abendeseen einnahm Die Dame war magenleidend und mußte _sehr strenge Diät halten. Dem Menue war eben ein Braten vorgesetzt werden, und er hat; seine Frau, die sich an dieser Speise nicht beteiligen durfte, um den Senf. Die Frau öffnete den Schrank, griff hinein und stellte vor ihren

§ 1650

Freud, Psychopatholcgic du Ann-hm. vz. Aufl. 15

§ 1651

§ 1652

226 1x. smrron- mm ZUFAILSHANDLUNGEN.‘

§ 1653

Mann das Fläschchen mit ihren Ma3entmpfen auf den Tisch. Zwischen dem faßförmigen Senfglase und dem kleinen Tropll fläsehchen bestand natürlich keine Ähnlichkeit, aus der der Mill griff erklärt werden konnte; trotzdem bemerkte die Frau ihre Verwechslung erst, als der Gatte sie lachend darauf aufmerksam machte.

§ 1654

Der Sinn der Symptomhandlung bedarf keiner Erklärung.“

§ 1655

Ein köstliches Beispiel dieser Art, das vom Beobachter sehr geschickt ausgebeutet wurde, verdanke ich Dr. Bernh. D a t t n e r (Wien):

§ 1656

„Ich sitze mit einem Kollegen von der Philosophie, Dr. H., im Restaurant beim Mittagessen. Er erzählt von den Unbilden der Pmbekendidetur, erwähnt nebenbei, daß er vor der Beendi gung seiner Studien beim Gesandten resp. bevöllmächtigten außemrdentliehen Minister von Chile als Sekretär untergekome men war. ,Dann wurde aber der Minister versetzt und dem neu antretenden habe ich mich nicht vorgestellt-‘ Und während er diesen letzten Satz ausspricht, führt er ein Stück Torte zum Munde, läßt es aber, wie aus Ungeachicklichkeit, vom Messer herabfallen. Ich erfasse sofort den geheimen Sinn dieser Symptomha,ndlung und werte dem mit der Psychoanalyse nicht vertrauten Kollegemwie von ungefähr ein: ,Da haben Sie aber einen fetten Bissen fallen lassen.“ Er aber merkt nicht, daß, sich meine Wdrte ebensogui' auf seine Synipfomhandlung‘ beziehen können, und wiederholt mit einer sonderbar anmutenden, überraschenden Lebhaftigkeit, so als hätte ich ihm förmlich das Wort aus dem Munde genommen, gerade dieselben Worte, die ich ausgesprochen: ,Ja, das war Wirklich ein fetter Rissen, den ich fallen girlsssen habe‘ und erleichtert sich dann durch eine erschöpi'ende Darstellung seiner Ungeschickliehkeit, die ihn um diese gut bezahlte Stellung gebracht hat

§ 1657

§ 1658

1x. srnmom mm zwmemnnnunonu. 227

§ 1659

Der Sinn der symbolischen Symptomhandlung erleuchtet sich, wenn man ins Auge faßt, daß der Kollege Skiupel empfand, mir, der ihm ziemlich ferne steht, von seiner prekären materiellen Situation zu erzählen, daß sich dann der verdrängen'de Gedanke in eine Symptomhendlung kleidete, die symbolisch ausdrückt, was hätte verborgen werden sollen, und somit dem Sprecher aus dem Unbewuß'ren Erleichterung schuf-“ —

§ 1660

Wie sinnreich sich ein scheinbar nicht beabsichtigtes Wegnehmen oder Mitnehmen herausstellen kann, mögen folgende Beispiele zeigen.

§ 1661

1. Dr. B. Dattner: „Ein Kollege stattet seiner verehrten J ugendfreundin das erstemal nach ihrer Eheschließung einen Besuch ab. Er erzählt mir von dimr Visite und drückt mir sein Erstaunen darüber aus, daß es ihm nicht gelungen sei, sich nur ganz kurze Zeit, wie er es vor hatte, bei ihr zu verweilen. Dann

§ 1662

aber berichtet er von einer eonderharen Fehlleistrung, die ihm dort zugestoßen sei,

§ 1663

Der Mann seiner Freundin, der am Gespräche teilgenommen habe, hätte eine Zündkölzchensgha,chtel gesucht, die ganz bestimmt bei seiner Ankunft auf der Tischplatie gelegen sei. Aueh der Kollege habe seine Taschen durchsucht, aber ,sie‘ nicht zufällig .eingesteckt‘ habe, doch vergebene. Geraume Zeit danach habe er ,sie‘ tatsächlich in seiner Tasche entdeckt, wobei ihm aufge—

§ 1664

fallen sei, daß nur ein einziges Zündhölzchen in der Schachtel gelegen war.

§ 1665

Ein paar Tage später bestätigt ein Traum, der die Schachtel— symbolik aufdringliah zeigt und sich mit der Jugendfreundin beschäftigt, meine Erklärung, daß der Kollege mit seiner Symptorir handlung Prioritätsrechte rekla,mieren und die Ausschließlichkeit ' seines Besitzes (nur ein Zündhölzehen drinnen) darstellen wollte.“

§ 1666

15*

§ 1667

§ 1668

223 1x. smerou- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1669

2. Dr. Hanns Sachs: .

§ 1670

„Unser Mädchen ißt eine bestimmte Torte besonders gem An dieser Tatsache ist kein Zweifel möglich, denn es ist die einzige Speise, die sie ausnahmslos gut zubereitet. Eines Sonn« tags brachte sie uns eben diese Torte, stellte sie auf der Kredenz ab, nahm die beim vorigen Gang benützten Teller und Besteckc und häu.fte sie auf die Tasse, auf der sie die Torte hereingetragen hatte; auf die Spitze dieses Haufens placierte sie dann w'iedor die. Torte, anstatt sie uns vprzusetzen, und verschwand damit in die Küche. Wir meinten zuerst, sie habe an der Torte irgend etwas zu verbessern gefunden, da sie aber nicht wieder erschien, läutete meine Frau und fragte: ,Betty, was ist denn mit der Torte los?‘ Darauf das Mädchen ohne Verständnis: ,Wieso?‘ Wir mußten sie erst darüber aufklären, daß sie die Torte wieder mitgenommen habe; sie hatte sie aufgeladen hinausgetragen und wieder abgestellt, ,ohne es zu bemerken‘.

§ 1671

Am nächsten Tage, als wir uns daran machten, den Rest dieser Torte zu verzehren, bemerkte meine Frau, daß nicht weniger vorhanden war, als wir am Vortag übrig gelassen hatten. daß also das Mädchen das ihr gebührende Stück der Lieblingsspeise verschmäht hatte. Auf die Frage, warum sie nichts von der Torte gegessen habe, antwortete sie leicht verlegen, sie habe keine Lust gehabt.

§ 1672

Die infa,ntile Einstellung ist beide Male sehr deutlich; erst die kindliche Maßlosigkeit, die das Ziel der Wünsche mit niemandem teilen will, dann die ebenso kindliche Reaktion mit Trotz: wenn ihr es mir nicht gönnt, so bchaltet es für euch, ich Will jetzt gar nichts haben.“ ——

§ 1673

Die Zufalls- oder Symptomhandlungeu, die sich in Ehesachen ereignen, haben oft die ems‘oeste Bedeutung und könnten den, der sich um die Psychologie des Unbewußtem nicht beküm—

§ 1674

§ 1675

IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEÜ. 229

§ 1676

mom will, zum Glauben,an Vorzeichen nötigen. Es ist kein guter Anfang7 wenn eine junge Frau auf der Hochzeitereise ihren Ehering verliert, doch wa.r_er meist nur verlegt und wird bald wiedergefunden. — Ich kenne eine jetzt von ihrem Menue geschiedene Dame, die bei der Verwaltung ihres Vermögens Dokumente häufig mit ihrem Mädchennamen unterzeichnet hat, viele Jahre vorher, ehe sie diesen wirklich Wieder annahm. —— Einst war ich als Gast bei einem jung verheirateten Paare und hörte die junge qu lachend ihr letztes Erlebnis erzählen, wie sie am Tage nach der Rückkehr von der Reise wieder ihre ledige Schwester aufgesucht hätte, um mit ihr, wie in früheren Zeiten, Einkäufe zu machen, während der Ehemann seinen Geschäften nachging. Plötzlich sei ihr ein Herr auf der anderen Seite der Straße aufgefallen, und sie habe ihre Schwester anstoßend ge— rufen: Schau, dort geht ja. der Herr L. Sie hatte vergessen, daß dieser Herr seit einigen Wochen ihr Ehegemehl war. Mich überlief es kalt bei dieser Erzählung, aber ich getraute mich der Folgerung‘ nicht Die kleine Geschichte fiel mir erst Jahre später Wieder ein, nachdem diese Ehe den imglüeklichsbcn Ausgang genommen hatte.

§ 1677

Den beachtenswerten, in französischer Sprache veröffent— lichten Arbeiten von A. M a.eder* in Zürich entnehme ich folgende Beobachhing‘, die ebensowohl einen Platz beim .„Vergesseu“ verdient hätte:

§ 1678

„Une deine nous racentait réeemment qu’elle avait oul)lié d‘essayer sa. rohe de noce et s’en souvint la veille du mariage ä, huit heums du mir, In couturiére désespémit de voir sa elientc. (‘c détail snffit & montrer que la, finncée ne se senta.it pas trés henreuse de porter une rohe d’épousc, elle chercha,it ä oublier

§ 1679

* AlplL Mac-der, Contributions 31. la psychupathologie de la vie quoLidjenne, Archives des,Psychulogie, T. VI1 1906.

§ 1680

§ 1681

230 IX, SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1682

cette représentation pénible. Elle est aujourd’hui ....... divoreée.“

§ 1683

Von der großen Schauspielerin Eleonore Duse erzählte mir ein Freund, der auf Zeichen echten gelernt hat, sie bringe in einer ihrer Rollen eine Symptomhandlung an, die so recht zeige, aus welcher Tiefe sie ihr Spiel hemufhole. Es ist. ein Ehebruchsdrama; sie hat eben eine Auseinnndersetzung mit ihrem Marine gehabt und steht nun in Gedanken abseits, ehe sich ihr der Ver— sueher nähert. In diesem kurzen Intervall spielt sie mit dem Ehering an ihrem Finger, zieht ihn ab, um ihn wieder anzusteeken, und zieht ihn- vvieder ab. Sie ist nun reif für den anderen.

§ 1684

Hier schließt an, was Th. Reik (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, III, 1915) von anderen Symptomhandlungen mit Ringen erzählt.

§ 1685

„Wir kennen die Symphomhandlungen, welche Eheleute ausführen, indem sie den Trauring abziehen und wieder ansteckenEine Reihe ähnlicher Symmehandlungen produzierte mein Kollege M. Er hatte von einem von ihm geliebten Mädchen einen Ring zum Geschenk erhalten, mit dem Bemerken, er dürfe ihn ,nicht verlieren, sonst wisse sie, daß er sie nicht mehr lieb habe. Er entfaltete in der Folgezeit eine erhöhte Beshrgnis, er könnte den Ring verlieren. Hatte er ihn zeitweilig, z. B. beim \Va.schen abgelegt, so war er regelmäßig verlegt, so daß es oft langen Suchens bezlurfte, um ihn Wieder zu erlangen Wenn er einen Brief in den Postkasten warf, konnte er die leise Angst nicht unterdrücken, der Ring könnte von den Rändern des Briefkastens ab« gezogen werden Einmal hantierbe er Wirklich so ungeschiekt, daß der Ring in den Kasten fiel- Der Brief, den er bei dieser Gelegenheit abeandte, war ein Absehiedsschreiben an eine frühere

§ 1686

§ 1687

IX. SYMPTOMv UND ZUFALEHANDLUNGUN. 231

§ 1688

Geliebte von ihm gewesen, und er fühlte sich ihr gegenüber schuldig. Gleichzeitig erwachte in ihm Sehnsucht nach dieser Frau. welche mit meiner Neigung zu seinem jetzigen Liebesobjekt in Konflikt kam.“

§ 1689

An dem Thema des „Ringes“ kann man sich wieder einmal den Eindruck holen, wie s'chwer es für den Psychoanalytiker ist, etwas Neues zu finden, was nicht ein Dichter vor ihm gewußt hätte. In Fontanes Roman „Vor dem Sturm“ sagt Justizrat ’l‘urgany während eines Pfänderspieles: „Wollen Sie es glauben, meine Damen, daß sich die tiefsten Geheimnisse der N etur in der Abgabe der Pfänder effenbaren“ Unter den Beispielen, mit denen er seine Behauptung erhärtet, verdient eines nn5er besonderes Inteneéee: Ich entsinne mich einer im Embonpointalter stehenden meeseorenfrau, die mal auf mal ihren Trauring als Pfand vom Finger zog. Erlassern Sie mir, Ihnen das eheliche Glück des Hauses zu schildern“ Er setzt dann fort: „In derselben Gesellschaft befand sich ein Herr, der nicht müde wurde, sein englische?» Taschenmesser, zehn Klingen mit Korkzieher und Feuerstehl, in den Schoß der Dame zu deponieren, bis das Klingenmonstrum, nach Zerreißung mehrerer Seidenkleider, endlich vor dem allgemeinen Entrüstnngesehrei verschwand.“

§ 1690

Es wird uns nicht wundernehmen, daß ein Objekt von so reicher symbolischer Bedeutung wie ein Ring auch dann zu sinn— reiehen Fehlhandlungen verwendet wird, wenn es nicht als Eheoder Verlobungsn'ng die erotische Bindung bezeichnet. Dr. M. Kardon hat mir nachstehende: Beispiel eines derartigen Vorkommnisses zur Verfügung gestellt:

§ 1691

„Eine Fehlhandlung als Bekenntnis.

§ 1692

Vor mehreren Jahren hat sich mir ein um vieles jüngerer Mann angeschlossen, der meine geistigen Bestrebungen teilt und

§ 1693

§ 1694

232 1x. smrrom- UND ZUFALLSHANDLUNGER

§ 1695

zu mir etwa im Verhältnis eines Schülers zu seinem Lehrer steht. Ich habe ihm zu einer bestimmten Gelegenheit einen Ring geschenkt, und dieser hat ihm schon mehreremal Gelegenheit zu Symptom- resp. Fehlhandlungen gegeben, sobald in unseren Be— ziehungen irgend etwas seine Mißbilligung' gefunden hatte. Vor kurzem wußte er mir folgenden, besonders hübschen und durchsichtigen Fall zu berichten: Er war von einer einmal wöchentlich stattfindenden Zusanuiienkunft, bei der er mich regelmäßig zu sehen und zu sprechen pflegte, unter irgend einem Vorwand ausgeblieben, da. ihm eine Verabiedung mit einer jungen Dame wünschenswerter erschienen war. Am darauffolgenden Vormittag bemerkte er, aber erst als er schon längst das Haus ver lassen hatte, daß: er den Ring nicht am Finger trage. Er beunruhigte sich darüber nicht weiter, da er annehm, er habe ihn daheim auf dem Nachtkästchen, wo er ihn jeden Abend hinlegte, vergessen und werde ihn beim Nachhausekommen dort finden. Er sah auch gleich nach der Heimkehr nach ihm, aber vergeblich, und begann nun, ebenso erfolglos, das Zimmer zu durchsuchén. Endlich fiel ihm ein, daß der Ring —— wie übrigens schon seit mehr als einem Jahre —— auf dem Naehtkästchen neben einem kleinen Messerchen gelegen sei, das er in der Westentasche zu tragen gewohnt war; so verfiel er auf die Vermutung, er könnte ,aus Zerstreutheit‘ den Ring mit dem Memr eingesteckt haben. Er griff also in die Tasche und fand dort wirklich den gesuchten Ring.

§ 1696

- „Der Ehering in der Westeanhe‘ ist die sprichwörtliche Aufbewahrungsart für den Ring, wenn der Mann die Frau, von der er ihn empfangen hat, zu betrugen beabsichtigt. Sein Schuldgefühl hat ihn also zunächst zur Selbstbestrafung (,Du verdienst es nicht mehr, diesen Ring zu tragen‘), in zweiter Linie zu dem Eingwtändnis seiner Untreue veranlaßt, allerdings bloß in der

§ 1697

§ 1698

1x. srmom mm zursmsuaunmuenu. 233

§ 1699

Form einer b‘ehlhandlung, die keinen Zeugen hatte. Erst auf dem Umweg über den Bericht davon — der allerdings voraussehbur war * kam es zum Eingeständnis der begangenen kleinen ,Untreue‘,“ —

§ 1700

Ich weiß auch von einem älteren Herrn, der ein sehr junges Mädchen zur Frau nahm und die Hochzeitsnacht anstatt abzureisen in einem Hotel der Großstadt zuzubringen gedachte. Kaum im Hotel angelangt, merkte er mit Schleckem daß er seine Brieftasche, in der sich die ganm für die Hochzeitsreise bestimmte Geldsumme befand, vermisse, also verlegt oder verloren habe. Es gelang noch, den Diener telephonisch zu erreichen, der das Vermißte in dem abgelegten Rock den Hoolizeiters auffand und dem Hemden, der so ohne Vermiz’ggen in die Ehe gegangen war, ins Hotel brachte Er konnte also am nächsten Morgen die Reise mit seiner jungen Frau antreten; in der Nacht selbst war

§ 1701

er, wie seine Befürchtung vorausgesehen hatte, „unvermögen “ geblieben. —

§ 1702

Es ist tröstlich zu denken. daß das „Verlieren“ der Menschen in ungeahnter Ausdehnung Symptomhandlung und somit wenigstens einer geheimen Absicht des Verlustträ.gers willkommen ist. Es ist oft. nur ein Ausdruck der geringen Schätzung des verlorenen Gegenstandes oder einer geheimen Abneigung gegen denselben oder gegen die Person, von der er herstammt, oder die Verlustneigung hat sich auf diesen Gegenstand durch symbolische Gedankenverbindnng von anderen und bedeutsameren Objekten her übertragen. Das Verlieren wertvoller Dinge dient mannigfechon Regungen zum Ausdruck, es soll entweder einen verdrängten Gedanken symbolisch darstellen, also eine Mahnung wiederholen, die man gern überhören möchte, oder es soll — und dies vor allem.anderen —— den dunklen Schicksalsmächten

§ 1703

§ 1704

234 IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1705

— Opfer bringen, deren Dienst auch unter uns noch nicht er

§ 1706

loschen ist *. .

§ 1707

Zur Erläutean dieser Sätze über das Verlieren nur einige Beispiele:

§ 1708

Dr. B, D a,ttner „Ein Kollege berichtet mir, daß er seinen Pcn‘kalastift, dem er bereits über zwei Jahre besessen habe und der ihm seiner Vorzüge wegen sehr wertvoll geworden sei, un

§ 1709

* Hier noch eine kleine Sammlung mannigfaltiger Symptomhand.luu» gen bei Gesunden und Nenmtikern: Ein älterer Kollege, der nicht gern im Kartenspiel verliert, hat eines Abends eine größere Verlusteumme klaglos, aber in eigentümlieh verhaltener Stimmung ausgezahlt. Nach seinem 'Weggehen wird entdeckt, daß er so ziemlich alles, wen er bei sich trägt, auf_ seinem Platz zurückgela.ssen hat: Brille, Zigarrentaeche und Saoktucl:r Das fordert wohl die Übersetzung: Ihr Räuber, ihr habt mich dm schön ausgeplündert. — Ein Mann., der an gelegentlich auftretender sexueller Impntenz leidet, welche in der Innigkeit seiner Kinderbeziehungen zur Mutter begründet ist, berichtet, daß er gewohnt ist, Schriften und Aufzeichnungen mit einem S, dem Anfangsbuchstaben des Namens seiner Mutter, zu verzieren. Er verträgt es nicht, daß Briefe vom Hause auf." seinem Schreibtisch in Berührung mit anderen unheiligen Bn'efschefton geraten, und ist darum genötigt, erstere gesondert aufzubewahren. ,— Eine junge l)a,me reißt plötzlich die Tür des Behaudlungszimmers auf, in dem sich noch ihre Vorgänger—in beiinch Sie entschuldigt sich mit „Gedankenlosigkeit“; es ergibt sich bald., daß sie die Neugierde demon— slriert hat, welche sie seinerzeit ins Schlafzimmer der Eltern dringen ließ, —— Mädchen, die auf ihre schönen Haare stolz sind, wissen so geschickt mit Kamm und Haa:nmleln umzugehen, daß sich ihnen mitten im Gespräch die Haare lösen. —— Manche Männer zeretreuen während der Behandlung (in liegender Stellung) Kleingelrl aus der Hosentasche und honorierau so die Arbeit der Behandlungsstuude je nach ihrer Schätzung ; Wer beim Arzt einen mitgebrachten Gegenstand1 wie Zwicker, Hand— schuhe, Täsßhchen vergißt, deutet damit an. daß er sich nicht losteißon lmnn und gern bald wiederkommen möchte, E, Jones ssgt: One can almost measuru the success with which & p}.ygigian is pmusing psyclm«

§ 1710

§ 1711

1x._ emmom UND ZUFALIßHANDLUNGEN.' 235

§ 1712

vermutet verloren habe. Die Analyse ergab folgenden Tai.bestand: Am Tage vorher hatte der Kollege von seinem Schwager einen empfindlich unangenehmen Brief erhalten, dessen Schlußsatz folgendermaßen lautete: ,Ich habe vorläufig weder Lust noch Zeit, Deinen Leichtsinn und Deine Feulheit zu unterstützen—‘ Der Affekt, der sich an diesen Brief knüpfte, war so mächtig, daß der Kollege prompt am nächsten Tage den Pcnkala, ein Geschenk dieses Schwe—gers, 0pferte, um durch dessen Gnade nicht allzusehr beschwert zu sein.“

§ 1713

therapy, tor instenee by the size of the cellection of umbrellns, handkerchieis, purses, and. so on, that he coulcl ma'.ke in a month. -— Die kleinsten gewohnheitsmä.ßigcn und mit. minimaler Aufmerksamkeit äus— geführten Verrichbungen, wie das Au.fziehen der Uhr vor dem Schlafen— gehen, das Auslöschen des Liohbcs vor dem Verlassen des Zimmers u. an„ sind gelegentlich Störungen unterworfen, welche den,Einfluß der unbewußten Komplexe auf die angeblich stärksten „Gewohnheiten" unverkenn— ba: demonstrieren. Maeder erzählt in dcr Zeitschrift. „Coenobium“ von einem Spitalarzte, der sich eines Abends einer wichtigen Angelegenheit Wegen entschloß, in die Stadt zu gehen, obwohl er Dienst hatte und das Spital nicht hätte verlassen sollen. Als er zurückkam, bemerkte er zu seinem Erstaunen Licht in seinem Zimmer, Er hatte, was ihm früher nie geschehen war, vergessen, bei seinem Weggahen dunkel zu. machen. Er besann sich aber bald auf da.! Motiv dieses Vergessene. Der im Hause wohnende Spitaldirektor mußte in aus dem Licht im Zimmer seines Interne den. Schluß niehen, daß dieser im Hause sei. — Ein mit Sorgen überbürdeter und gelegentlich Verstimmungen unterworfener Mann versicherte mir, daß er regelmäßig am Morgen seine Uhr abgelaufen finde, wenn ihm am Abend vorher das Leben gar zu hart und unfreund1ich er— schienen sei. Er drückt also durch die Unterlassung, die Uhr nutzuziehen, symbolisch aus, daß ihm nicht»; dann gelegen sei, den nächsten Tag zu erleben. — Ein anderer, mir persönlich unbekannt., schreibt: „Von einem harten Sehicksa-lsschhge betroffen, erschien mir das Leben so hart und. unfreundlich, daß ich mit oinbildet,e, keine genügende Kraft zu fin— den, um den nächsten Tag durchzuleben, und da. bemerkte ich, daß ich

§ 1714

§ 1715

235 ' 1x. smrom- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1716

Eine mir bekannte Dame hat sich, wie begreiflich, während der Trauer um ihre alte Mutter des Theaterhesuches enthalten Es fehlen jetzt nur noch wenige Tage bis zum Ablauf des Trauer jahres, und sie läßt sich durch das Zureden ihrer Bekannten bewegen, eine Theaterkarte für eine besonders interessante Vorstellung; zu nehmen- Vor dem Theater angelangt, macht sie die Entdeckung, daß sie die Karte verloren hat Sie meint später, fast täglich meine Uhr aufzuziehen vergaß, was ich früher niemals run— Lerließ und es vor dem Niederlegen regelmäßig fast mechanisch unv bewußt tet. Nur selten erinnerte ich mich daran, wenn ich am folgenden Tage etwas Wichtiges oder mein Interesse besonders Fesselndes vor hatte. Sollte auch dies eine Symptomhandlung scin'l Ich konnte mir dies gar nicht erklären.“ — Wer sich, wie Jung (Uber die Psychologie der Dementis. pm.ecox, 1907, S. 62) oder Maeder (Une voie nouvelle en psychologie —— Freud et- son éuole, „Cocnobium“, Lugano 1909) die Mühe nehmen will, auf die Melodien zu achten, welche man. ohne es zu beabsichtigen, oft ohne es zu merken, vor sich hin trällert, wird die Beziehung des Textes zu einem die Person beschäftigcnden Thema wohl regelmäßig aufdecken können

§ 1717

Auch die [einem Deberxninierung des Gedankenzlusdi'uckcs in Rede oder Schrift verdiente eine sorgfältige Beachtung, Man glaubt doch im allgemeinen die Wahl zu haben, in welche' \Vorbe man seine Gedanken einkleiden oder durch welches Bild man sie verkleiden soll. Nähere Beobachtung zeigt, daß andere Rücksichben über diese Wahl entscheiden, und da.ß in der Form des Gedankens ein Lieferer, oft nicht beebsichtigter Sinn durchschimmert. Die Bilder und Redensarten, deren sich eine Person vorzugsweise bedient„ sind für ihre Beurteilung meist nicht, gleichgültig, und andere erweisen sich oft als Anspielung auf ein Thema, welches derzeit im Hintergrunde gehalten wird, aber den Sprecher mächtig ergriffen hat. Ich hörte jemand zu einer gewissen Zeit wiederholt, in theoretischen Gesprächen die Redensart. gebrauchen: „Wenn einem plötzlich etwas durch den Kopf schießt“, aber ich wußte, daß er vor kurzem die Nachricht an hallen hatte, seinem Sohn sei die Feldkuppe, die er auf dem Kopie trug, von vom nach hinben durch ein russisches Projektil durchschossen werden.

§ 1718

§ 1719

IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGE‘N. 237

§ 1720

daß sie dieselbe mit der Tramwaykarte weggeworfen hat, als sie aus dem Wagen eusstieg. Dieselbe Dame rühmt sich, nie etwas aus Unaehtsamkeit zu verlieren.

§ 1721

Otto Rank hat. in einer längeren Mitteilung (Das Verlieren als Symptomhandlung, Zentralbl. für Psychoanalyse, L 10/11) die diesem Akte zu Grunde liegende Opferstimmung und dessen tiefer reichende Motiviernngen mit Hilfe von Traumanelysen durchsichtig gemacht. (Andere Mitteilungen desselben Inhalts im Zentralblatt für Psychoanalyse, II, und Internat Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913.) Interessant ist es dann, wenn er hinzufügt, daß manclunal nicht nur das Verlieren, sondern auch das Finden von Gegenständen determiniert ers‘cheint. ln welchem Sinne dies zu verstehen ist, mag aus seiner Beobachtung, „die ich hieher setze, hervorgehen. Es ist klar, daß béim Verliercn das Objekt bereits gegeben ist., das beim Finden erst gesucht werden muß (Internat. Zeitschr. für Psyehnanalyse, III, 1915).

§ 1722

„Ein materiell von. seinen Eltern abhängiges junges Mädv chen will sich ein billiges Schmuckstück kaufen Sie fragt im Laden nach dem Preise des ihr zusagenden Objekts, erfährt aber zu ihrem Betrüben, daß es mehr kostet, als ihre Ersparnisse be tragen Und doch sind es nur zwei Kronen, deren Fehlen ihr diese kleine Freude verwehrb In gedrückter Stimmung schlendert sie durch die abendlich belebten Straßen der Stadt nach Hause. Auf einem der stärk‘st frequentierten Plätze wird sie plötzlich — obwohl sie ihrer Angabe nach tief in Gedanken versunken war — auf ein am Boden liegendes kleines Blättchen aufmerksam, das sie eben achtlos passiert hatte. Sie wendet sich um, hebt es auf und bemerkt zu ihrem Erstaunen, daß es ein zusammengefa.ltefter Zweikronenéchein ist. Sie denkt sich: das hat mir das Schicksal zugeschickt, damit ich mir den Schmuck kaufen kann. und macht erfreut Kehrt, um diesem Winke zu

§ 1723

§ 1724

233 xx. srnpron- min ZUFALLSHANDLUNGE_N.

§ 1725

folgen. lm selben Moment aber sagt sie sich, sie dürfe das doch nicht tun, weil das gefundene Geld ein Glücksgeld ist, das man nicht ausgeben darf.

§ 1726

Das Stückchen Analyse, das zum Verständnis dieser ,Zufallshandlung‘ gehört, darf man wohl auch ohne pelsönliche Auskunft der Betroffenen aus der gegebenen Situation erschließen. Unter den Gedanken, die das Midchen beim Nachhausegehen beschäftigten, wird sich wohl der ihrer Armut und materiellen Einschränkung im Vordergrunde befunden haben, und zwar, wie wir vermuten dürfen, im Sinne der wunscherfüllenden Aufhebung

§ 1727

' ihrer drückenden Verhältnisse Die Idee, wie man auf leichteste Weise zu diesem fehlenden Geldbetrag kommen könne, wird ihrem auf Befriedigung ihres bescheidenen Wunsches gerichteten Interesse kaum femgeblieben sein und ihr die einfachste Lösung des Findens nahegebraeht haben. Solcherert war ihr Unbewußtes (oder Vorbewußtes) auf ,Finden‘ eingestellt, selbst wenn der Gedanke daran ihr —— wegen andenveitig‘er Inanspruchnahriie ihrer Aufmerksamkeit (,in Gedanken versunken‘) — nicht voll bewußt geworden sein sollte. .Ja„ wir dürfen auf Grund ä]an licher analysierter Fälle geradezu behaupten, daß die unbe— wu ß te ,Such-Bercitschaft‘ viel eher zum Erfolg zu führen ver» mag als die bewußt gelenkte Aufmerksamkeit. Sonst Wäre es auch kaum erklärlich, Wieso gerade diese eine Person von den vielen Hunderten Vorübergehenden, noch dazu unter den er

§ 1728

- schwerenden Umständen der ungünstigen Abendbeleuchtung und der diehtgedrängten Menge, den für sie selbst überraschenden Fund machen konnte. In welch starkem Ausmaß diese um oder vorbewußte Bereitschaft tatsächlich bestand, zeigt die sonderba.re Tatsache, daß das Mädchen noch nach diesem Funde, also nachdem die Einstellung bereits überflüssig geworden und gewiß schon der bewußten Aufmerksamkeit entzogen war, auf ihrem

§ 1729

§ 1730

IX. SYMPTOM— UND ZUEAIJSHANDLUNGEN. 239

§ 1731

weiteren Heimweg an einer dunklen und einsamen Stelle einer Vorstadtstraße ein Taeehentueh fand.“

§ 1732

Man muß sagen, daß gerade solche Symptomhandlungen oft den bunten Zugang zur Erkenntnis des intimen Seelenlebens der Menschen gestatten.

§ 1733

Von den vereinzelten Zufallshandlungen will ich ein Beispiel mitteilen, welches auch ohne Analyse eine tiefere Deutung zu].ieß, das die Bedingungen trefflich erläutert, unter denen solche Symptome vollkommen unauffällig produziert werden können, und an das sich eine praktisch bedeutsame Bemerkung anknüpfen läßt. Auf einer Sommerreise traf es sich, daß ich einige Tage an einem gewissen Orte auf die Ankunft meines Reisegefä.hrten zu warten hatte. Ich machte unterdes die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich gleichfalls einsam zu fühlen schien und sich bereitwillig mir anschloß. Da wir in demselben Hotel wohnten, fügte es sich leicht, daß wir alle Mahlzeiten gemeinsam einnehmen und Spaziergänge miteinander machten. Am Nachmittag des dritten Tages teilte er mit plötzlich mit, daß er heute abends seine mit dem Eilzuge einlangende Frau erwarte. Mein psychologisches Interesse wurde nun rege, denn es war mir an meinem Gesellschafter bereits am Vormittag aufgefallen, daß er meinen Vorschlag zu einer größeren Partie zurückgewiesen und auf unserem kleinen Spaziergang einen gewissen 'Weg als zu steil und gefährlich nicht hatte begehen wollen. Auf dem Nachnüttegsspa,ziergang behauptete er plötzlich, ich müßte doch hungrig sein, ich sollte doch ja. nicht seinetwegen die Abendmahlzcit aufsehieben, er werde erst nach der Ankunft seiner Frau mit ihr zu Abend essen. Ich verstand den Wink und setzte mich an den Tisch, während er auf den Bahnhof ging. Am nächsten Morgen trafen wir uns in der Vorhelle des Hotels. Er

§ 1734

§ 1735

240 IX, SYMP'I'OM— UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1736

stellte mich seiner Frau vor und fügte hinzu: Sie werden doch mit uns das Frühstück nehmen? Ich hatte noch eine kleine Besorgung in der nächsten Straße vor und versicherte, ich wurde bald nachkommeu Als ich dann in den Frühstückssaal trat, seh ich, daß das Paar an einem kleinen Fenstertisch Platz genommen hatte, auf dessen einer Seite sie beide saßen Auf der Gegenseite befand sich nur ein Sessel, aber über dessen Lehm hing der große und schwe1ve Lodenmanbel des Mannes herab, den Platz ver— deckend. Ich verstand sehr wohl den Sinn dieser gewiß nicht absichtlichen, aber darum um so ausdrucksvolleren Lagerung. Es hieß»: Für dich ist hier heim Platz= du bist jetzt überflüssig. Der Mann bemerkte es nicht, daß ich vor dem Tische stehen blieb, ohne mich zu setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann so— fort amstieß und ihm zuflüsterte: Du hast ja dem Herrn den Platz verlegt.

§ 1737

Bei diesem wie bei anderen ähnlichen Ergebnissen habe ich mir gesagt, daß die unabsichtlich ausgeführten Handlungen unvermeidlich zur Quelle von Mißverständnissen im menschlichen Verkehr werden müssen. Der Täter, der von einer mit ihnen ver knüpften Absicht nichts weiß, rechnet sich dieselben nicht an und hält sich nicht verantwortlich für sie. Der andere hingegen erkennt,. indem er regelmäßig auch solche Handlungen seines Partners zu Schlüssen über dessen Absichten und Gesinnungen verwertet, mehr von den psychischen Vorgängen des Fremden, als dieser selbst zuzugeben bereit ist und mitgeteilt zu haben glaubt. Letzterer aber entrüstet sich, wenn ihm diese aus seinen Symptomhandlunge-n gezogenen Schlüsse vorgehalten werden, er— klärt sie für grundlos, da ihm das Bewußtsein für die Absicht bei der Ausführung fehlt, und klagt über Mißverständnis von seiten des anderen- Gcnnu besehen beruht ein solches Mißver— ständnis auf einem Zufcin< und Zuvielvcrs‘oehen- Je „nervöser“

§ 1738

§ 1739

IX. SYMPTOM- UND ZWALYHHANDLUNG'EN. 241

§ 1740

zwei Menschen sind, desto eher werden sie einander Anlaß zu Entzweiungen bieten, deren Begründung jeder für seine eigene Person ebenso bestimmt leugnet, wie er sie für die Person des anderen als gesichert annimmt. Und dies ist wohl die Strafe für die innere Unaufrichtigkeit, daß die Menschen unter den Vor» Wänden des Vergessens, Vergreifens nur] der Unabsichtlichkeit Begungen den Ausdruck gestatten, die sie besser-sich und anderen eingaßtehen würden, wenn sie sie schon nicht beherrschen können. Man kann in der Tat ,ganz allgemein behaupten, daß jedermann fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenmensehen be— treibt und diese infolgedessen besser kennen lernt als jeder einzelne sich selbst. Der Weg zur Befolgung der Mahnung «;w'ivö asfxurbv führt durch das Studium seiner eigenen, scheinbar zufälligen Handlungen und Unterlassungen. ‘

§ 1741

Von all den Dichtern, die sich gelegentlich über die kleinen Symptomhandlungen und Fehlleistungen geäußert oder sich ihrer bedient haben, hat keiner deren geheime Natur mit solcher Klarheit erkennt und. dem Sachverhalt eine so unheimliche Belebung gegeben wie Strindberg, dessen Genie bei solcher Erkenntnis allerdings durch tiefgehende psychische Abnormität unterstützt wurde.

§ 1742

Dr. Karl Weiß (Wien) hat auf folgende Stelle aus einem seiner Werke aufmerksam gemacht. (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913, S. 268):

§ 1743

„Nach einer Weile kam der Graf wirklich und er trat ruhig an Esther heran, als habe er sie zu einem Stelldichein bestellt.

§ 1744

—— Hast du lange gewartet? fragte er mit seiner gedämpf— tun Stimme- ,

§ 1745

— Sechs Monate, wie du weißt, antwortete Esther; aber du hast mich heute gesehen?

§ 1746

Freud. Psychop.ihnlogie du Allmgqlebenl. vl, Aufl. 16

§ 1747

§ 1748

242 IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1749

— Ja., eben im Straßenbahnwag‘en; und ich sah dir in die Augen, daß ich mit dir zu sprechen glaubte

§ 1750

— Es ist viel ,geschéhen‘ seit dem letztenma,l.

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* Ja, und ich glaubte, es sei zwischen uns aus

§ 1752

„„ Wieso?

§ 1753

—» Alle Kleinigkeiten, die ich von dir bekommen habe, gingen erntzwei, und Zwar auf eine akku.lte Weise. Aber das ist eine alte Wahhm9hmung V

§ 1754

— Was du sagst! Jetzt erinnere ich mich an eine ganze Menge Fälle, die ich für Zufälle hielt. Tch bekam einmal ein I’ineen.ez von meiner Großmutter, während wir gute Freunde waren Es war aus gesehlii'fenem Eergln‘istall und ausgezeichnet bei den Obduktionen, ein wahres Wunderwerk. das. ich sorgfältig hütete. Eines Tages brach ich mit der Alten, und sie wurde auf mich böse.

§ 1755

Da geschah es bei der nächsten Obduktion, daß die Glä&r ohne Ursache herausfielen. Ich glaubte, es sei ganz einfach entzwei; seh.idkte es zur Reparatur. Nein, es fuhr fort, seinen Dienst zu verweigern; wurde in eine Schublade gelegt und ist fort-gekommen. '

§ 1756

— Was du sagst! Wie eigentümlieh, daß das, was die Augen betrifft, em empfindlichSten ist. Ich hatte ein Doppelglas von einem Freunde bekommen; das paßibe für meine Augen so gut, daß der Gebrauch ein Genuß für mich war. Der Freund und ich wurden Unfreunde. Du weißt, dazu kommt es, ohne sichtbare Ursache; es scheint einem, als dürfe man nicht einig sein. Als ich des Openngles das nächste Mal benutmn Wollte, konnte ich nicht klar sehen. Der Schenkel war zu kurz und ieh sah zwei Bilder. Ich brauche dir nicht zu sagen, (laßt sich weder der Schenkel verkürzt noch der Abstand der Augen vergrößert hatte!

§ 1757

§ 1758

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IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.

§ 1760

§ 1761

243

§ 1762

§ 1763

Es war ein Wunder, das alle Tage geschieht und das schlechte Beobachter nicht merken. Die Erklärung? Die psychische Kraft des Hasses ist wohl größer, als wir glauben. Übrigens der Ring, den ich von dir bekommen habe, hat den Stein verloren und läßt sich nicht reparieren, läßt sich nicht. Willst du dich jetzt von mir trennen?... (Die gotischen Zimmer, S. 258 f.)"

§ 1764

§ 1765

16*

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X.

§ 1770

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IRRTÜMER.

§ 1772

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Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit Fehl erinnern nur durch den einen Zug unterschieden, daß der Irrtum (das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondern Glau ben findet. Der Gebrauch des Ausdrucks,Irrtum" scheint aber noch an einer anderen Bedingung zu hängen. Wir sprechen von ,,Irren" anstatt von falsch Erinnern", wo in dem zu reprodu zierenden psychischen Material der Charakter der objektiven Realität hervorgehoben werden soll, wo also etwas anderes er innert werden soll als eine Tatsache unseres eigenen psychischen Lebens, vielmehr etwas, was der Bestätigung oder Widerlegung. durch die Erinnerung anderer zugänglich ist. Den Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in diesem Sinne bildet die Unwissenheit.

§ 1774

§ 1775

In meinem Buche ,,Die Traumdeutung" (1900)* habe ich mich einer Reihe von Verfälschungen an geschichtlichem und überhaupt tatsächlichem Material schuldig gemacht, auf die ich nach dem Erscheinen des Buches mit Verwunderung aufmerksam geworden bin. Ich habe bei näherer Prüfung derselben gefunden, daß sie nicht meiner Unwissenheit entsprungen sind, sondern sich auf Irrtümer des Gedächtnisses zurückleiten, welche sich durch Analyse aufklären lassen.

§ 1776

§ 1777

5. Aufl. 1919.

§ 1778

X. IRRTÜMER.

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§ 1780

245

§ 1781

§ 1782

a) Auf S. 266 bezeichne ich als den Geburtsort Schillers die Stadt Marburg, deren Name in der Steiermark wiederkehrt.. Der Irrtum findet sich in der Analyse eines Traumes während einer Nachtreise, aus dem ich durch den vom Kondukteur aus gerufenen Stationsnamen Marburg geweckt wurde. Im Traum inhalt wird nach einem Buche von Schiller gefragt. Nun ist Schiller nicht in der Universitätsstadt Marburg, sondern in dem schwäbischen Marbach geboren. Ich behaupte auch, daß ich dies immer gewußt habe.

§ 1783

§ 1784

b) Auf S. 135 wird Hannibals Vater Hasdrubal ge nannt. Dieser Irrtum war mir besonders ärgerlich, hat mich aber in der Auffassung solcher Irrtümer am meisten bestärkt. In der Geschichte der Barkiden dürften wenige der Leser des Buches besser Bescheid wissen als der Verfasser, der diesen Fehler nieder schrieb und ihn bei drei Korrekturen übersah. Der Vater Hannibals hieß Hamilkar Barkas, Hasdrubal war der Name von Hannibals Bruder, übrigens auch der seines

§ 1785

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Schwagers und Vorgängers im Kommando.

§ 1787

§ 1788

c) Auf S. 177 und S. 370 behaupte ich, daß Zeus seinen Vater Kronos entmannt und ihn vom Throne stürzt. Diesen Greuel habe ich aber irrtümlich um eine Generation vorge schoben; die griechische Mythologie läßt ihn von Kronos an seinem Vater Uranos verüben *.

§ 1789

§ 1790

Wie ist es nun zu erklären, daß mein Gedächtnis in diesen Punkten Ungetreues lieferte, während es mir sonst, wie sich Leser des Buches überzeugen können, das entlegenste und unge. bräuchlichste Material zur Verfügung stellte? Und ferner, daß

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* Kein voller Irrtum! Die orphische Version des Mythus ließ die Entmannung an Kronos von seinem Sohne Zeus wiederholt werden. (Ro scher, Lexikon der Mythologie.)

§ 1793

246

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X. IRRTÜMER.

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§ 1797

ich bei drei sorgfältig durchgeführten Korrekturen wie mit Blind

§ 1798

heit geschlagen an diesen Irrtümern vorbeiging?

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Goethe hat von Lichtenberg gesagt: Wo er einen Spaß

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macht, liegt ein Problem verborgen. Ähnlich kann man über die

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hier angeführten Stellen meines Buches behaupten: Wo ein Irr

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tum vorliegt, da steckt eine Verdrängung dahinter. Richtiger

§ 1804

gesagt: eine Unaufrichtigkeit, eine Entstellung, die schließlich

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auf Verdrängtem fußt. Ich bin bei der Analyse der dort mitge

§ 1806

teilten Träume durch die bloße Natur der Themata, auf welche

§ 1807

sich die Traumgedanken beziehen, genötigt gewesen, einerseits die

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Analyse irgendwo vor ihrer Abrundung abzubrechen, anderseits

§ 1809

einer indiskreten Einzelheit durch leise Entstellung die Schärfe

§ 1810

zu benehmen. Ich konnte nicht anders und hatte auch keine

§ 1811

andere Wahl, wenn ich überhaupt Beispiele und Belege vor

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bringen wollte: meine Zwangslage leitete sich mit Notwendig

§ 1813

keit aus der Eigenschaft der Träume ab, Verdrängtem, d. h.

§ 1814

Bewußtseinsunfähigem, Ausdruck zu geben. Es dürfte trotzdem

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genug übrig geblieben sein. woran empfindlichere Seelen Anstoß

§ 1816

genommen haben. Die Entstellung oder Verschweigung der mir

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selbst noch bekannten fortsetzenden Gedanken hat sich nun nicht.

§ 1818

spurlos durchführen lassen. Was ich unterdrücken wollte, hat

§ 1819

sich oftmals wider meinen Willen den Zugang in das von mir

§ 1820

Aufgenommene erkämpft und ist darin als von mir unbemerkter

§ 1821

Irrtum zum Vorschein gekommen. In allen drei hervorgehobenen

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Beispielen liegt übrigens das nämliche Thema zu Grunde; die

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Irrtümer sind Abkömmlinge verdrängter Gedanken, die sich mit

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meinem verstorbenen Vater beschäftigen.

§ 1825

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ad a. Wer den auf S. 266 analysierten Traum durchliest,

§ 1827

wird teils unverhüllt erfahren, teils aus Andeutungen erraten

§ 1828

können, daß ich bei Gedanken abgebrochen habe, die eine un

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freundliche Kritik am Vater enthalten hätten. In der Fortsetzung

§ 1830

X. IRRTÜMER.

§ 1831

§ 1832

dieses Zuges von Gedanken und Erinnerungen liegt nun eine ärgerliche Geschichte, in welcher Bücher eine Rolle spielen, und ein Geschäftsfreund des Vaters, der den Namen Marburg führt, denselben Namen, durch dessen Ausruf in der gleichnamigen Süd bahnstation ich aus dem Schlafe geweckt wurde. Diesen Herrn Marburg wollte ich bei der Analyse mir und den Lesern unter schlagen; er rächte sich dadurch, daß er sich dort einmengte, wo er nicht hingehört, und den Namen des Geburtsortes Schillers aus Marbach in Marburg veränderte.

§ 1833

§ 1834

ad b. Der Irrtum Hasdrubal anstatt Hamilkar, der Name des Bruders an Stelle des Namens des Vaters, ereignete sich gerade in einem Zusammenhange, der von den Hannibalphanta sien meiner Gymnasiastenjahre und von meiner Unzufrieden. heit mit dem Benehmen des Vaters gegen die ,,Feinde unseres Volkes handelt. Ich hätte fortsetzen und erzählen können, wie mein Verhältnis zum Vater durch einen Besuch in England ver ändert wurde, der mich die Bekanntschaft meines dort lebenden Halbbruders aus früherer Ehe des Vaters machen ließ. Mein Bruder hat einen ältesten Sohn, der mir gleichaltrig ist; die Phan tasien, wie anders es geworden wäre, wenn ich nicht als Sohn des Vaters, sondern des Bruders zur Welt gekommen wäre, fanden also kein Hindernis an den Altersrelationen. Diese unterdrückten Phantasien fälschten nun an der Stelle, wo ich in der Analyse abbrach, den Text meines Buches, indem sie mich nötigten, den Namen des Bruders für den des Vaters zu setzen.

§ 1835

§ 1836

ad c. Dem Einfluß der Erinnerung an diesen selben Bruder schreibe ich es zu, daß ich die mythologischen Greuel der grie chischen Götterwelt um eine Generation vorgeschoben habe. Von den Mahnungen des Bruders ist mir lange Zeit eine im Ge dächtnis geblieben: ,,Vergiß nicht in bezug auf Lebensführung eines," hatte er mir gesagt, daß du nicht der zweiten, sondern

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X. IRRTÜMER.

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eigentlich der dritten Generation vom Vater aus angehörst." Unser Vater hatte sich in späteren Jahren wieder verheiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich begehe den besprochenen Irrtum im Buche gerade dort, wo ich von der Pietät zwischen Eltern und Kindern handle. hionan

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Es ist auch einigemal vorgekommen, daß Freunde und Pa tienten, deren Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen anspielte, mich aufmerksam machten, die Um stände der gemeinsam erlebten Begebenheit seien von mir ungenau erzählt worden. Das wären nun wiederum historische Irrtümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der Richtigstellung nachgeprüft und mich gleichfalls überzeugt, daß meine Erinnerung des Sach lichen nur dort ungetreu war, wo ich in der Analyse etwas mit Absicht entstellt oder verhehlt hatte. Auch hier wieder ein un bemerkter Irrtum als Ersatz für eine absichtliche Verschweigung oder Verdrängung

§ 1846

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och Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen, heben sich scharf andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit be ruhen. So war es z. B. Unwissenheit, wenn ich auf einem Aus flug in der Wachau den Aufenthalt des Revolutionärs Fisch hof berührt zu haben glaubte. Die beiden Orte haben nur den Namen gemein; das Emmersdorf Fischhofs liegt in Kärnten. Ich wußte es aber nicht anders.

§ 1848

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Noch ein beschämender und lehrreicher Irrtum, ein Beispiel von temporärer Ignoranz, wenn man so sagen darf. Ein Patient mahnte mich eines Tages, ihm die zwei versprochenen Bücher über Venedig mitzugeben, aus denen er sich für seine Osterreise vorbereiten wollte. Ich habe sie bereit gelegt, erwiderte ich, und ging in das Bibliothekszimmer, um sie zu holen. In Wahrheit hatte ich aber vergessen, sie herauszusuchen, denn ich war mit der Reise meines Patienten, in der ich eine unnötige Störung der

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X. IRRTÜMER.

§ 1851

§ 1852

Behandlung und eine materielle Schädigung des Arztes erblickte, nicht recht einverstanden. Ich halte also in der Bibliothek rasche Umschau nach den beiden Büchern, die ich ins Auge gefaßt hatte. ,,Venedig als Kunststätte" ist das eine; außerdem aber muß ich noch ein historisches Werk in einer ähnlichen Sammlung besitzen. Richtig, da ist es: ,,Die Mediceer", ich nehme es und bringe es dem Wartenden, um dann beschämt den Irrtum einzugestehen. Ich weiß doch wirklich, daß die Medici nichts mit Venedig zu tun haben, aber es erschien mir für eine kurze Weile gar nicht unrichtig. Nun muß ich Gerechtigkeit üben; da ich dem Pa tienten so häufig seine eigenen Symptomhandlungen vorgehalten habe, kann ich meine Autorität vor ihm nur retten, wenn ich ehrlich werde und ihm die geheim gehaltenen Motive meiner Abneigung gegen seine Reise kundgebe. evidio do s

§ 1853

§ 1854

Man darf ganz allgemein erstaunt sein, daß der Wahrheits drang der Menschen soviel stärker ist, als man ihn für gewöhn lich einschätzt. Vielleicht ist es übrigens eine Folge meiner Be schäftigung mit der Psychoanalyse, daß ich kaum mehr lügen kann. So oft ich eine Entstellung versuche, unterliege ich einer Irrung oder anderen Fehlleistung, durch die sich meine Unauf richtigkeit wie in diesem und den vorstehenden Beispielen verrät.

§ 1855

§ 1856

Der Mechanismus des Irrtums scheint der lockerste unter allen Fehlleistungen, d. h. das Vorkommen des Irrtums zeigt ganz allgemein an, daß die betreffende seelische Tätigkeit mit irgend einem störenden Einfluß zu kämpfen hatte, ohne daß die Art des Irrtums durch die Qualität der im Dunkeln gebliebenen störenden Idee determiniert wäre. Wir tragen indes an dieser Stelle nach. daß bei vielen einfachen Fällen von Versprechen und Verschreiben derselbe Tatbestand anzunehmen ist. Jedesmal, wenn wir uns versprechen oder verschreiben, dürfen wir eine Störung durch seelische Vorgänge außerhalb der Intention erschließen, aber es

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X. IRRTÜMER.

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ist zuzugeben, daß das Versprechen und Verschreiben oftmals den Gesetzen der Ähnlichkeit, der Bequemlichkeit oder der Neigung zur Beschleunigung folgt, ohne daß es dem Störenden gelungen wäre, ein Stück seines eigenen Charakters in dem beim Ver sprechen oder Verschreiben resultierenden Fehler durchzusetzen. Das Entgegenkommen des sprachlichen Materials ermöglicht erst die Determinierung des Fehlers und setzt derselben auch die Grenze.

§ 1864

§ 1865

Um nicht ausschließlich eigene Irrtümer anzuführen, will ich noch einige Beispiele mitteilen, die allerdings ebensowohl beim Versprechen und Vergreifen hätten eingereiht werden können, was aber bei der Gleichwertigkeit all dieser Weisen von Fehl leistung bedeutungslos zu nennen ist.

§ 1866

§ 1867

a) Ich habe einem Patienten untersagt, die Geliebte, mit der er selbst brechen möchte, telephonisch anzurufen, da jedes Ge spräch den Abgewöhnungskampf von neuem entfacht. Er soll ihr seine letzte Meinung schreiben, wiewohl es Schwierigkeiten hat, ihr Briefe zuzustellen. Er besucht mich nun um 1 Uhr, um mir zu sagen, daß er einen Weg gefunden hat, der diese Schwierig keiten umgeht, fragt auch unter anderem, ob er sich auf meine ärztliche Autorität berufen darf. Um 2 Uhr ist er mit der Ab fassung des Absagebriefes beschäftigt, unterbricht sich plötzlich, sagt der dabei anwesenden Mutter: Jetzt habe ich vergessen, den Professor zu fragen, ob ich in dem Briefe seinen Namen nennen darf, eilt zum Telephon, läßt sich verbinden und ruft die Frage ins Rohr: Bitte, ist der Herr Professor schon nach dem Speisen zu sprechen? Als Antwort tönt ihm ein erstauntes ,,Adolf, bist du verrückt geworden?" entgegen, und zwar von imlichen Stimme, die er nach meinem Gebote nicht mehr hätte hören sollen. Er hatte sich bloß geirrt" und anstatt der Nummer des Arztes die der Geliebten angegeben.

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X. IRRTÜMER.

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b) Eine junge Dame soll einen Besuch bei einer kürzlich verheirateten Freundin in der Habsburgergasse machen. Sie spricht davon während des Familientisches, sagt aber irrtüm licherweise, sie müsse in die Babenbergergasse gehen. Andere bei Tische Anwesende machen sie lachend auf den von ihr nicht bemerkten Irrtum- oder Versprechen, wenn man so lieber will - aufmerksam. Zwei Tage vorher ist nämlich in Wien die Re publik ausgerufen worden, das Schwarzgelb ist verschwunden und hat den Farben der alten Ostmark: rot-weiß-rot Platz gemacht, die Habsburger sind abgetan; die Sprecherin hat diese Ersetzung in die Adresse der Freundin eingetragen. Es gibt übrigens in Wien eine sehr bekannte Babenbergerstraße, aber kein Wiener würde von ihr als ,,Gasse" reden.

§ 1873

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e) In einer Sommerfrische hat der Schullehrer, ein ganz armer, aber stattlicher junger Mann, der Tochter eines Villen besitzers aus der Großstadt so lange den Hof gemacht, bis das Mädchen sich leidenschaftlich in ihn verliebt und auch ihre Familie bewogen hat, die Heirat trotz der bestehenden Standes und Rassenunterschiede gutzuheißen. Da schreibt der Lehrer eines Tages seinem Bruder einen Brief, in dem es heißt: Schön ist das Dirndl ja gar nicht, aber recht lieb und soweit wär's gut. Ob ich mich aber werd' entschließen können, eine Jüdin zu heiraten, das kann ich dir noch nicht sagen. Dieser Brief gerät in die Hände der Braut und macht dem Verlöbnis ein Ende, während der Bruder sich gleichzeitig über die an ihn gerichteten Liebes beteuerungen zu verwundern hat. Mein Gewährsmann ver sicherte mir, daß hier Irrtum und nicht eine schlaue Veranstal. tung vorlag. Mir ist auch ein anderer Fall bekannt geworden. in dem eine Dame, die, mit ihrem alten Arzt unzufrieden, ihm doch nicht offen absagen wollte, diesen Zweck mittels einer Brief verwechslung erreichte, und wenigstens hier kann ich dafür ein

§ 1875

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§ 1876

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X. IRRTÜMER.

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stehen, daß der Irrtum und nicht die bewußte List sich des bekannten Lustspielmotivs bedient hat. wwwd) Brill erzählt von einer Dame, die sich bei ihm nach dem Befinden einer gemeinsamen Bekannten erkundigte, wobei sie dieselbe irrtümlich bei ihrem Mädchennamen nannte. Auf

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merksam gemacht, mußte sie zugestehen, daß sie den Mann dieser

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Dame nicht möge und mit der Heirat derselben sehr unzufrieden

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gewesen sei.

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e) Ein Fall von Irrtum, der auch als Versprechen" be schrieben werden kann: Ein junger Vater begibt sich zum Standesbeamten, um seine zweitgeborene Tochter anzumelden. Befragt, wie das Kind heißen soll, antwortet er: Hanna, muß sich aber von dem Beamten sagen lassen: Sie haben ja schon ein Kind dieses Namens. Wir werden den Schluß ziehen, daß diese zweite Tochter nicht so ganz willkommen war wie seiner zeit die erste.

§ 1888

§ 1889

f) Als ,,Irrtum" will ich auch eine Begebenheit mit ernst haftem Hintergrund erzählen, die mir von einem nahe beteiligten Zeugen berichtet wurde. Eine Dame hat den Abend mit ihrem Manne und in Gesellschaft von zwei Fremden im Freien zuge bracht. Einer dieser beiden Fremden ist ihr intimer Freund.. wovon aber die anderen nichts wissen und nichts wissen dürfen. Die Freunde begleiten das Ehepaar bis vor die Haustür. Während man auf das Öffnen der Tür wartet, wird Abschied genommen. Die Dame verneigt sich gegen den Fremden, reicht ihm die Hand und spricht einige verbindliche Worte. Dann greift sie nach dem Arm ihres heimlich Geliebten, wendet sich zu ihrem Manne und will ihn in gleicher Weise verabschieden. Der Mann geht auf die Situation ein, zieht den Hut und sagt überhöflich: Küss' die Hand, gnädige Frau. Die erschrockene Frau läßt den Arm des Geliebten fahren und hat noch Zeit, ehe der Hausmeister

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X. IRRTÜMER.

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erscheint, zu seufzen: Nein, so etwas soll einem passieren! Der

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Mann gehörte zu jenen Eheherren, die eine Untreue ihrer Frau

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außerhalb jeder Möglichkeit verlegen wollen. Er hatte wiederholt

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geschworen, in einem solchen Falle würde mehr als ein Leben in

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Gefahr sein. Er hatte also die stärksten inneren Abhaltungen,

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um die Herausforderung, die in dieser Irrung lag, zu bemerken.

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g) Eine Irrung eines meiner Patienten, die durch eine Wieder

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holung zum Gegensinn besonders lehrreich wird: Der über

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bedenkliche junge Mann hat sich nach langwierigen inneren

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Kämpfen dazu gebracht, dem Mädchen, das ihn seit langem liebt

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wie er sie, die Zusage der Ehe zu geben. Er begleitet die ihm

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Verlobte nach Hause, verabschiedet sich von ihr, steigt über

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glücklich in einen Tramwaywagen und verlangt von der Schaff

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nerin zwei Fahrkarten. Etwa ein halbes Jahr später ist

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er bereits verheiratet, kann sich aber noch nicht recht in sein

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Eheglück finden. Er zweifelt, ob er recht getan hat zu heiraten,

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vermißt frühere freundschaftliche Beziehungen, hat an den

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Schwiegereltern allerlei auszusetzen. Eines Abends holt er seine

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junge Frau vom Hause ihrer Eltern ab. steigt mit hr in den

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Wagen der Straßenbahn und begnügt sich damit, der Schaffnerin

§ 1915

eine einzige Karte abzuverlangen.

§ 1916

§ 1917

h) Wie man einen ungern unterdrückten Wunsch vermittels

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eines ,,Irrtums" befriedigen kann, davon erzählt Maeder (No

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velles contributions etc., Arch. de Psych., VI, 1908) ein hübsches

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Beispiel. Ein Kollege möchte einen dienstfreien Tag so recht.

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ungestört genießen; er soll aber einen Besuch in Luzern machen.

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auf den er sich nicht freuen kann, und beschließt nach längerer

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Überlegung, doch hinzufahren. Um sich zu zerstreuen, liest er

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auf der Fahrt Zürich-Arth-Goldau die Tageszeitungen, wech

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selt in letzterer Station den Zug und setzt seine Lektüre fort.

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In der Fortsetzung der Fahrt entdeckt ihm dann der kontrollie

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X. IRRTÜMER.

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rende Schaffner, daß er in einen falschen Zug eingestiegen ist, nämlich in den, der von Goldau nach Zürich zurückfährt, während er ein Billet nach Luzern genommen hatte. i) Einen analogen, wenngleich nicht voll geglückten Ver

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§ 1933

such, einem unterdrückten Wunsch durch den nämlichen Mecha nismus der Irrung zum Ausdruck zu verhelfen, berichtet Dr. V. Tausk unter der Überschrift ,,Falsche Fahrtrichtung" (Intern. Zeitschrift für ärztl. Psychoanalyse, IV, 1916/17).

§ 1934

§ 1935

,,Ich war aus dem Felde auf Urlaub nach Wien gekommen. Ein alter Patient hatte von meiner Anwesenheit Kenntnis be kommen und ließ mich bitten, daß ich ihn besuche, da er krank zu Bette lag. Ich leistete der Bitte Folge und verbrachte zwei Stunden bei ihm. Beim Abschied fragte der Kranke, was er schuldig sei. Lumijo

§ 1936

§ 1937

Ich bin auf Urlaub hier und ordiniere jetzt nicht, ant wortete ich. Nehmen Sie meinen Besuch als einen Freundschafts dienst.

§ 1938

§ 1939

Der Kranke stutzte, da er wohl das Empfinden hatte, er habe kein Recht, eine berufliche Leistung als unentgeltlichen Freundschaftsdienst in Anspruch zu nehmen. Aber er ließ sich meine Antwort schließlich gefallen, in der von der Lust an der Geldersparung diktierten respektvollen Meinung, daß ich als Psychoanalytiker sicher richtig handeln werde.

§ 1940

§ 1941

Mir selbst stiegen schon wenige Augenblicke später Be denken über die Aufrichtigkeit meiner Noblesse auf, und, von Zweifeln - die kaum eine zweideutige Lösung zuließen - er füllt, bestieg ich die elektrische Straßenbahnlinie X. Nach einer kurzen Fahrt hatte ich auf die Linie Y umzusteigen. Während ich an der Umsteigestelle wartete, vergaß ich die Honorarange legenheit und beschäftigte mich mit den Krankheitssymptomen meines Patienten. Indem kam der von mir erwartete Wagen

§ 1942

X. IRRTÜMER.

§ 1943

§ 1944

und ich stieg ein. Aber bei der nächsten Haltestelle mußte ich

§ 1945

wieder aussteigen. Ich war nämlich statt in einen Y-Wagen

§ 1946

versehentlich und ohne es zu merken in einen X-Wagen ein

§ 1947

gestiegen und fuhr in der Richtung, aus der ich eben gekommen

§ 1948

war, wieder zurück, in der Richtung zum Patienten, von dem

§ 1949

ich kein Honorar annehmen wollte. Mein Unbewußtes

§ 1950

aber wollte sich das Honorar holen."

§ 1951

§ 1952

j) Ein sehr ähnliches Kunststück wie im Beispiel h ist mir

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selbst einmal gelungen. Ich hatte meinem gestrengen älte

§ 1954

sten Bruder zugesagt, ihm in diesem Sommer den längst fälligen

§ 1955

Besuch in einem englischen Seebad abzustatten, und dabei die

§ 1956

Verpflichtung übernommen, da die Zeit drängte, auf dem kür

§ 1957

zesten Wege ohne Aufenthalt zu reisen. Ich bat um einen Tag

§ 1958

Aufschub für Holland, aber er meinte, das könnte ich für die

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Rückreise aufsparen. Ich fuhr also von München über Köln

§ 1960

nach Rotterdam Hook of Holland, von wo das Schiff um Mitter

§ 1961

nacht nach Harwich übersetzt. In Köln hatte ich Wagenwechsel;

§ 1962

ich verließ meinen Zug, um in den Eilzug nach Rotterdam um

§ 1963

zusteigen, aber der war nicht zu entdecken. Ich fragte ver

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schiedene Bahnbedienstete, wurde von einem Bahnsteig auf den

§ 1965

anderen geschickt, geriet in eine übertriebene Verzweiflung und

§ 1966

konnte mir bald berechnen, daß ich während dieses erfolglosen

§ 1967

Suchens den Anschluß versäumt haben dürfte. Nachdem mir

§ 1968

dieses bestätigt worden war, überlegte ich, ob ich in Köln über

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nachten sollte, wofür unter anderem auch die Pietät sprach, da

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nach einer alten Familientradition meine Ahnen einst bei einer

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Judenverfolgung aus dieser Stadt geflüchtet waren. Ich ent

§ 1972

schloß mich aber anders, fuhr mit einem späteren Zug nach

§ 1973

Rotterdam, wo ich in tiefer Nachtzeit ankam, und war nun ge

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nötigt, einen Tag in Holland zuzubringen. Dieser Tag brachte

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mir die Erfüllung eines längst gehegten Wunsches; ich konnte

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§ 1979

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X. IRRTÜMER.

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§ 1982

die herrlichen Rembrandtbilder im Haag und im Reichsmuseum

§ 1983

zu Amsterdam sehen. Erst am nächsten Vormittag, als ich wäh

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rend der Eisenbahnfahrt in England meine Eindrücke sammeln

§ 1985

konnte, tauchte mir die unzweifelhafte Erinnerung auf, daß ich

§ 1986

auf dem Bahnhofe in Köln wenige Schritte von der Stelle, wo

§ 1987

ich ausgestiegen war, auf dem nämlichen Bahnsteig eine große

§ 1988

Tafel Rotterdam-Hook of Holland gesehen hatte. Dort war

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tete der Zug, in dem ich die Reise hätte fortsetzen sollen. Man

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müßte es als unbegreifliche ,,Verblendung" bezeichnen, daß ich

§ 1991

trotz dieser guten Anleitung weggeeilt und den Zug anderswo

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gesucht hatte, wenn man nicht annehmen wollte, daß es eben

§ 1993

mein Vorsatz war, gegen die Vorschrift meines Bruders die

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Rembrandtbilder schon auf der Hinreise zu bewundern. Alles

§ 1995

übrige, meine gut gespielte Ratlosigkeit, das Auftauchen der

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pietätvollen Absicht. in Köln zu übernachten, war nur Veranstal

§ 1997

tung, um mir meinen Vorsatz zu verbergen, bis er sich voll

§ 1998

kommen durchgesetzt hatte.

§ 1999

§ 2000

k) Eine ebensolche, durch Vergeßlichkeit" hergestellte

§ 2001

Veranstaltung, um einen Wunsch zu erfüllen, auf den man an

§ 2002

geblich verzichtet hat, berichtet J. Stärcke von seiner eigenen

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Person. (1. c.)

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,,Ich mußte einmal in einem Dorfe einen Vortrag mit Licht

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bildern halten. Dieser Vortrag war aber um eine Woche ver

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schoben. Ich hatte den Brief hinsichtlich dieses Aufschubs be

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antwortet und das geänderte Datum in meinem Notizbuch notiert.

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Ich wäre gern schon nachmittags nach diesem Dorfe gegangen,

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damit ich die Zeit hätte, um einem mir bekannten Schriftsteller,

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der dort wohnt, einen Besuch abzustatten. Zu meinem Bedauern

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konnte ich aber zurzeit keinen Nachmittag dafür frei machen.

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Nur ungern gab ich diesen Besuch auf.

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Als nun der Abend des Vortrages da war, machte ich mich,

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X. IRRTÜMER.

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mit einer Tasche voll Laternenbilder, in größter Eile zum Bahn hof. Ich mußte einen Taxi nehmen, um den Zug noch zu er reichen (es passiert mir öfters, daß ich so lange zögere, daß ich einen Taxi nehmen muß, um den Zug noch zu erreichen!) An Ort und Stelle gekommen, war ich einigermaßen erstaunt, daß keiner am Bahnhof war, um mich abzuholen (wie es bei Vorträgen in kleineren Orten Gewohnheit ist). Plötzlich fiel mir ein, daß der Vortrag um eine Woche verschoben war, und daß ich jetzt am ursprünglich festgestellten Datum eine vergebliche Reise ge macht hatte. Nachdem ich meine Vergeßlichkeit herzinnig ver wünscht hatte, überlegte ich, ob ich mit dem nächstfolgenden Zug wieder nach Hause zurückkehren sollte. Bei näherer Überlegung dachte ich aber daran, daß ich jetzt eine schöne Gelegenheit hatte, um den gewünschten Besuch zu machen, was ich denn auch tat. Erst unterwegs fiel mir ein, daß mein unerfüllter Wunsch, für diesen Besuch gehörig Zeit zu haben, das Komplott hübsch vorbereitet hatte. Das Schleppen mit der schweren Tasche voll Laternenbilder und das Eilen, um den Zug zu erreichen, konnten ausgezeichnet dazu dienen, die unbewußte Absicht desto besser zu verbergen."

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Man wird vielleicht nicht geneigt sein, die Klasse von Irr tümern, für die ich hier die Aufklärung gebe, für sehr zahlreich oder besonders bedeutungsvoll zu halten. Ich gebe aber zu be denken, ob man nicht Grund hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung der ungleich wichtigeren Urteils irrtümer der Menschen im Leben und in der Wissenschaft auszudehnen. Nur den auserlesensten und ausgeglichensten Gei stern scheint es möglich zu sein, das Bild der wahrgenommenen äußeren Realität vor der Verzerrung zu bewahren, die es sonst beim Durchgang durch die psychische Individualität des Wahr. nehmenden erfährt.

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Freud, Psychopathologie des Alltagslebens. VI. Aufl.

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XI.

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KOMBINIERTE FEHLLEIST U N GEN .

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Zwei der letzterwähnten Beispiele, mein irrtum, der die M e— dioeer nach Venedig bringt, und der des jungen Mannes, der ein telephonisehes Gespräch mit seiner Geliebten dem Verbote ebzutrotzen weiß, haben eigentlich eine ungenaue Beschreibung gefunden und stellen sich bei sorgfältiger Betrachtung als Vereinigung eines Vergessene mit einem Irrtum dar Dieselbe V er— einjgung kann ich noch deutlicher an einigen anderen Beispielen aufzeigen.

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&) Ein Freund teilt mir folgendes Erlebnis mit: „Ich habe vor einigen J uhren die Wahl in den Ausschuß einer bestimmten literarischen Vereinigung angenommen, weil ich vermutete, die Gesellschaft könnte mir einmal behilflich sein, eine Aufführung meines Dramas durchzusetzen, und nahm regelmäßig, wenn auch ohne viel Interesse, an den jeden Freitag stattfindenden Sitzungen teil Vor einigen Monaten erhielt ich nun die Zusicherung einer Aufführung am Theater in F., und seither passierte es mir regelmäßig, daß ich an die Sitzungen jenes Vereines vergaß. Als ich Ihre Schrift über diese Dinge las, schämte ich mich meines Vergessene, machte mir Vorwürfe, es sei doch eine Ge meinheit, daß ich jetzt ausbleibe, nachdem ich die Leute nicht mehr brauehe, und beschloß, nächsten Freitag gewiß nicht zu vergessen. Ich erinnerte mich an diesen Vorsatz immer wieder,

§ 2031

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Ix1. xommmrrn rnmimßruuenu. 259

§ 2033

bis ich ihn ausführte und vor der Tür des Sitzungssaales stand. Zu meinem Erstaunen war sie geschlossen, die Sitzung war schon vorüber; ich hatte mich nämlich im Tage geirrt; es war schon Samstag-l“

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b) Das nächste Beispiel ist eine Kombination einer Symptomhandlung mit einem Verlegen; es ist auf entfernteren 1Umwegen, aber aus guter Quelle zu mir gelangt.

§ 2035

Eine Dame reist mit ihrem Schwager, einem berühmten Künstler, nach Rom. Der Besucher wird von den in Rom leben— den Deutschen sehr gefeiert und erhält unter anderem eine goldene Medaille antiker Herkunft zum Gesehenke. Die Dame ki‘iinkt sich darüber, daß ihr Schwager das schöne Stück nicht genug zu schätzen weiß. Nachdem sie, von ihrer Schwester ahgelöst, wieder zu Hause angelangt ist, entdeckt sie beim Auspacken, daß sie—die Medaille —— sie weiß nicht wie —— mitge nommen hat. Sie teilt es sofort dem Schwager brieflich mit und kündigt ihm an, daß sie das Entführte am nächsten Tage nach Rom zui‘ücksehicken wird. Am nächsten Tage aber ist die Medaille so geschieht verlegt, daß sie unauffindbar und unabsendbar ist, und dann däm.mert der Dame, was ihre „Zerstreutheit“ bedeute, nämlich, daß sie das Stück für sich selbst behalten Wolle. ' '

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6} Einige Fälle, in denen sich die Fehlha.ndlung hartnäckig wiederholt und. dabei auch ihre Mittel wechselt:

§ 2037

Jones (1. c., S. 483): Aus ihm unbekannten Motiven hatte er einst einen Brief mehrere Tage auf seinem Schreibtisch liegen lassen, ohne ihn aufzugeben. Endlich entschloß er sich dazu, aber er erhielt ihn vom „Dead letter office“ zurück, denn er hatte ver— geesen, die Adresee zu Schreiben. Nachdem er ihn admssiert hatte,bra.ehte er ihn wieder zur Post, aber diesmal ohne Briefmarke.

§ 2038

"*

§ 2039

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250 XI. KOMBINIERTE FEHLLEISTUNGEN.

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Die Abneigung dagegen, den Brief überhaupt abzusenden, konnte er dann nicht mehr übersehen.

§ 2042

Sehr eindrucksvoll schildert die vergeblichen Bemühungen, eine Handlung gegen einen inneren \Viderstend durchzusetzen., eine kleine Mitteilung von Dr. Karl \Veiß (Wien) über einen Fall von Vergessen. (Zentralbl. für Psychoanalyse, II, 9.) „Wie konsequent sich das Unbewußte durchzusetzen weiß, wenn es ein Motiv hat, einen Vorsatz nicht zur Ausführung gelangen zu lassen, und wie schwer es ist, sich gegen diese Tendenz zu sichern, dafür bietet der folgende Vorfall einen Beleg. Ein Bekannter ersueht mich, ihm ein Buch zu leihen und es ihm am nächsten Tage mitzubringen, Ich sage sogleich zu, empfinde aber ein lebhaftes Unlustgefühl, das ich mir zunächst nicht erklären kann. Später wird es mir klar: der Betreffende schuldet mir seit Jahren eine Summe Geldes, an denen Bezahlung er anscheinend nicht denkt. Ich denke nicht weiter an die Sache, erinnere mich ihrer ,aber am nächsten Vormittag mit dem gleichen Unlustgefühl und sage mir sofort: ,Dein Unbewußtes wird darauf hinarbeiten, daß du das Buch vergißt. Du Willst aber nicht ungefällig sein und wirst deshalb alles tun, um nicht zu vergessen.‘ Ich komme nach Hause, packe das, Buch in Papier und lege es neben mich auf den Schreibtisch, an dem ich Briefe schreibe.

§ 2043

Nach einiger Zeit gehe ich fort; nach wenigen Schritten erinnere ich mich, daß ich die ßriefe, die ich zur Post mitnehmen wollte, auf dem Schreibtisch liegen gelassen habe. (Beiläufig bc« merkt war einer darunter, in dem ich einer Person, die mich in einer bentinnnten Angelegenheit fördern sollte, etwas Unange« nehmen schreiben mußte.) Ich keine um, hole die Briefe und gehe wieder weg. In der Elektrischen fällt mir ein, daß ich meiner Frau vemprochen habe, ihr einen Einkauf zu besol‘g®m

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X]. KOMBINERTE FEHLLEISTUNGEN. 261

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und ich bin recht befriedigt bei dem Gedanken, daß es nur ein kleines Päckchen sein wird. Hier stellt sich plötzlich die Assoziation Päckchen — Buch her und. jetzt merke ich, daß ich das Buch nicht bei mir habe. Ich hatte es also nicht nur das eretema.l, als ich fortging, vergessen, sondern auch konsequent übersehen, als ich die Briefe holte, neben denen es lag.“

§ 2047

Das Nämliche in einer eingehend analysiert-en Beobachtung von Otto Rank (Zentralbl. für Psychoanalyse, H, 5):

§ 2048

„Ein peinlich ordentlicher und peda—ntisch genauer Mann berichtet das. folgende, für ihn ganz außergewöhnliche Erlebnis. Eines Nachmittags, als er auf der Straße nach der Zeit sehen Will, bemerkt er, daß er seine Uhr zu Hause vergessen hat, was seiner Erinnerung nach noch nie vorgekommen war. Da er für den Abend eine pünktliche Verabredung hat und nicht mehr die Zeit findet, vorher seine Uhr zu holen, benützt er den Besuch bei einer befreundeten Dame, um sich ihre Uhr für den Abend alle zuleihen; dies war um so eher angängig, als er die Dame infolge einer früheren Vera.bredung am nächsten Vormittag zu besuchen hatte und bei dieser Gelegenheit die Uhr z1uück2‘ustellen ver— sprach. Zu seinem Erstaunen merkt er aber, als er tags darauf der Besitzerin die eutlehnte Uhr überreichen will, daß- er nun diese zu Hause vergaß', seine eigene Uhr hatte er diesmal zu sich gesteckt. Er nahm sich nun fest vor, die Damenuhr noch am Nachmittag zurückzustellen, und führte den Vorsatz auch aus. Als er aber beim Weggeh-en nach der Zeit sehen Will, hat er zu seinem maßlosen Ärger und Erstaunen wieder die eigene Uhr vergessen. Diese Wiederholung der Fehlleistung_ kam dem sonst so ordnunge liebenden Manne derart pathologisch vor, daß er gern ihre psychologische Motivierung gekannt hätte, die sich auch prompt auf die psychoanalytische Fragestellung ,ergab, ob er an dem kritischen

§ 2049

§ 2050

262 in. KOMBINIER'I‘E rmunnmsrunenn.

§ 2051

Tage des ersten Vergessene irgend etwas Unangenehmes erlebt habe, und in welchem Zusammenhange dies geschehen sei. Er erzählt darauf sogleich, daß er nach dem Mittagessen, kurz bevor er weggiug und. die Uhr vergaß, ein Gespräch mit seiner Mutter gehabt hatte, die ihm erzählte, ein lcichtsinniger Verwandter. der ihm schon viel Kummer und Geldopfer verursacht hatte, hätte seine Uhr versetzt; de sie aber zu Hause gebraucht werde, ließe er ihn bitten, ihm das Geld zur Auslösung zu geben. Diese fast erzwungene Art des Geldleihens‘ hatte unseren Mann sehr peinlich berührt und ihm all die Unnnnehmlichkeiten wieder in Erinne« rung gebracht, die ihm dieser Verwandte seit vielen J ehren bee reitet hatte. Seine Symptomhandlung erweist sich demnach als mehrfach determiniert: erstens gibt sie einem Gedankengange Ausdruck, der etwa besagt, ich lasse mir das Geld nicht auf diese Weise ebpressen, und wenn eine Uhr gebraucht wird, so lasse ich eben meine eigene zu Hause; da. er sie jedoch abends zur Einhaltung eines Rendezvous braucht, kann sich diese Absicht nur auf unbewu.ßtem Wege, in Form einer Symptomhandlung, durch» setzen; zweitens besagt das Vergessen soviel als: die ewigen Geldopfer für diesen Teugenichts werden mich noch gänzlich zu Grunde richten, so daß ich alles werde hergeben müssen. Ob— wohl nun der Ärger über diese Mitteilung nach Angabe des Mannes nur ein momentaner gewesen war, zeigt (loch die Wiederholung der gleichen Symptomhandlung, daß er im Unbewußten intensiv weiterwirkt, etwa. un'e wenn das Bewußtsein sagen Würde: Diese Geschichte geht mir nicht aus. dem Kopfe *. Daß dann das gleiche Schicksal einmal auch die cntlehnte Damenuhr betrifft, wird uns nach dieser Einstellung des Unbewußten nicht

§ 2052

* Dieses Weiterwirken im Unbewußten äußert sich einmal in Form

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eines Tranmes, welcher der Fehlhendlung folgt, ein enderma.l in der Wiederholung derselben oder in der Unterlassung einer Korrektur.

§ 2054

§ 2055

XI. KOMBINIER'I'E FEHLLEISTUN'GEN. 263

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wundernehmen. Doch begünstigen vielleicht noch spezielle Motive diese Übertragung auf die ,nnschuldige‘ Damenuhr. Das nächst liegende Motiv ist wohl, daß er sie vermutlich gern als Ersatz seiner eigenen, aufgeopferten Uhr behalten hätte und. sie darum am nächsten Tage mirückzugehen vergißt; auch hätte er die Uhr vielleicht gern als Andenken an die Dame besessen. Ferner bietet ihm das Vergessen der Damenuhr Gelegenheit, die verehrte Dame ein zweites Mal zu besuchen; er hatte sie ja. des Morgens einer anderen Sache wegen aufsuchen müssen und scheint mit dem Vergessen der Uhr gleichsam anzudeuten, daß ihm dieser schon längere Zeit vorher bestimmte Besuch zu schade sei, um ihn noch nebenbei zur Rückgabe der Uhr zu benützen. Auch spricht. das zweimalng Vergessen der eigenen und die dadurch ermöglichte Rückstellung der fremden Uhr dafür, daß unser Mann es unbewußterweise zu vermeiden sucht, beide Uhren gleichzeitig zu tragen. Er trachtet offenbar, diesen Anschein des Überflusses zu vermeiden, der in zu auffälligem Gegensatz _zu dem Mangel des Verwandten stünde; anderseits aber weiß er damit seiner anscheinlichen Heirateabsicht der Dame gegenüber mit der Selbstmahimng zu begegnen, daß er seiner Familie (Mutter) gegenüber unlösbare Verpflicht\mgen habe. Ein weiterer Grund für das Vergessen einer Damenuhr mag endlich darin zu suchen sein, daß er sich am Abend zuvor als Jungg‘ieeelle vor seinen Bekannten geniert hatte, auf die Damenuhr zu sehen, was er nur verstohlen tat, und daß er, um die Wiederholung dieser peinlichen Situation zu vermeiden, die Uhr nicht mehr zu sich stecken mochte. Da er sie aber anderseits zurückznstellen hatte, so resultiert auch hier die unbewußt vollzog-em Symptomha.ndlung, die sich als Kompmmißbildung zwischen widerstrei<

§ 2057

landen Gefühlsregungen und als teuer erkaufter Sieg der unbewußten Instanz erweist“

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§ 2059

264 in. Kommunen: FEHLLEISTUNGEN.

§ 2060

Einige Beobachtungen von J. S t ärcke (l. e.).

§ 2061

1. Verlegen — Zerbrech'en — Vergessen — als Ausdruck eines zurückgedrängten Gegenwillens

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„Von einer Sammlung Illustrationen für eine wissenschaft— liche Arbeit sollte ich eines Tages meinem Bruder einige leihen, welche er als Lichtbilder bei einem Vortrag benutzen wollte. Obgleich ich einen Augenblick den Gedanken verspürte, daß ich die Reproduktionen, die ich mit vieler Mühe gesammelt hatte, lieber in keiner Weise vorgeführt oder publiziert sah, bevor ich das selbst m'a,chen konnte, versprach ich ihm, die Negative der gewünschten Bilder aufzusuchen und Laternenbilder davon anzufertigen —— Diese Negative konnte ich aber nicht finden. Den ganzen Stapel Schachteln voll Negative, die sich auf diesen Gegenstand bezogen, sah ich durch. gut zweihundert Negative nahm ich eines nach dem anderen in die Hand, aber die Negative, die ich suchte, waren nicht dabei. Ich vermutete wohl, daß ich meinem Bruder diese Bilder eigentlich nicht zu gönnen schien. Nachdem ich mir diesen abgiinstigen Gedanken bewußt gemacht und bestritten hatte, bemerkte ich, daß ich die oberste Schachtel des Stapels zur Seite gesetzt und diese nicht durchsucht hatte, und diese Schachtel enthielt die gesuchten Negative. Auf dem Deckel dieser Schachtel stand eine kurze Aufzeichnung betreffs des lnhalte, und wahrscheinlich hatte ich das mit einem flüchtigen Blick gesehen, bevor ich diese Schachtel zur Seite setzte.

§ 2063

Der abgünstige Gedanke schien indessen noch nicht ganz besiegt, denn es geschah noch allerlei, bevor die Lichtbilder verschickt waren. Eine von den Laternenplatten drückte ich kaputt, Während ich diese in der Hand hatte und die Glasseite reinputzte (so zerbreche ich sonst nie eine La.ternenplatte). Als ich von dieser Platte ein; neues Exemplar angefertigt hatte, fiel es mir aus der Henri, und nur dadurch, daß ich den Fuß vorstreekte

§ 2064

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XI. KOMBINIERTE FEHIJEIBTUNGEN. 265

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und es darauf auffing, zerbrach es nicht. Als ich die Laternenplatten montierte, fiel der ganze Haufen noch einmal auf den Boden, glücklicherweise ohne daß dabei etwas zerbrach Und schließlich dauerte es noch mehrere Tage, bevor ich sie wirklich emballiertc und versandte, da ich mir dieses jeden Tag von neuem voma,hm und dieses Vornehmen jedesmal wieder vergaß.“

§ 2067

2. Wiederholtes Vergessen —— Vergreifen bei der endlichen Ausführung.

§ 2068

„Eines Tages mußte ich einem Bekannten eine Postkarte senden, aber versch es während mehrerer Tage immer wieder, wobei ich ein starkes Vermuten hatte, daß folgendes die Ursache davon war: in einem Briefe hatte er mir mitgeteilt, daß im Laufe jener Woche mich jemand besuchen wollte, auf dessen Besuch ich nicht sehr erpicht war. Als diese Woche vorüber war und die Aussicht des ungewünschten Besuches sehr gering geworden war, sehrieb ich endlich die Postkarte, worin ich niitteilte, wenn ich zu sprechen sein Würde. Als ich diese Postkarte schrieb, wollte ich anfangs hinzufügen, daß ich wegen ,druk werk‘ (= emsige, angestrengte oder überhä.ufte Arbeit) am Schreiben behin dert- gewesen war, aber ich schrieb das am Ende nicht, weil diese gewöhnliche Ausrede doch von keinem vernünftigen Menschen mehr geglaubt wird. Ob diese kleine Unwahrheit sich doch äußern mußte, weiß ich nicht, aber als ich die Postkarte in den Briefkasten warf, warf ich sie irrtümlicherweise in die untere Öffnung des Kastens: ,Drukwerk‘ (: Drucksachen .“

§ 2069

3. Vergessen und Irrtum.

§ 2070

„Ein Mädchen geht eines Morgens, da das Wetter sehr schön ist, nach dem ,Ryksmuseum‘, um dort Gipse.bgüsse zu zeichnen. Obgleich sie bei diem schönen Wetter lieber spazieren gehen möchte, entschloß sie sich, doch mal emsig zu sein und zu zeichnen. Sie muß zuerst Zeichenpapier kaufen. Sie geht zum Laden (un

§ 2071

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266 XL KOMBINIERTE FEHLLEISTUNGEN.

§ 2073

gefahr zehn Minuten vom Museum), kauft Bleistifte und andere Zeichengeräte, aber vergißt eben das Zeichenpapier zu kaufen, geht dann zum Museum, und als sie auf ihrem Stühlchen sitzt, fertig, um anzufangen, da hat. sie noch kein Papier, so daß sie von neuem zu dem Laden gehen muß. Nachdem sie Papier geholt hat, fängt sie wirklich an zu zeichnen, geht mit der Arbeit gut vorwärts und hört nach einiger Zeit vom 'l‘urme des Museums eine große Zahl Glockanschläge. Sie denkt: ,Das wird 801101! 12 Uhr sein‘, arbeitet nach fort, bis die Turmglocke Viertel— stunde spielt (,das ist Viertel nach zwölf‘, denkt sie), packt jetzt ihre Zeichengeräte ein und entschließt sich, durch den ,Vonclel» park‘ zum Hause ihrer Schwester zu spazieren, um dort Kaffee zu trinken (= hol]. zweite Mahlzeit). Beim Suasso»Mueeum sieht sie zu ihrem Staunen, daß es statt halb eins erst zwölf Uhr ist! — Das lockende schöne Wetter hatte ihren Fleiß hintere Licht geführt und dadurch hatte sie, als die Turmglocke um halb 12 zwölf schlug. nicht daran gedacht, daß eine Turinglocke auch mit dei halben Stunde schlägt.“

§ 2074

Wie schon eimge der vorstehenden Beobachtungen zeigen, kann die unbewußt störende Tendenz ihre Absicht auch erreichen, indem sie dieselbe Art der Fehlleistung hartnäckig wiederholt. Ich entnehme ein amüsantes Beispiel hiefi‘xr einem Büchlein „Frank Wedekind und das Theater“, das im Münchener Drei Masken—Verlag erschienen ist, muß aber die Verantwortung für das in Mark Twainscher Manier erzählte Geschichtchen dem Autor des Buches überlassen

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„Im “’edekinds Einnkte.r ,Die Zensur" fällt an der ernstesten Stelle des Stückes der Ausspruch: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein Denkfehler.‘ Der Autor, dem die Stelle am Herzen lag, hat auf der Probe den Darsteller, vor dem Worte ,Demkfehler‘ eine kleine Pause zu machen. Am Abend —— der

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§ 2077

IX. KOMBINEEETE FEHLLEIBTUNGER. 267

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Darsteller ging ganz in seiner Rolle auf, beobachtete auch die Pause genau, sagte aber unwillkürlieh' in feierliehstem Tone: »Die Furcht vor dem rBode ist ein Druckfehler—‘ Der Autor versicherte dem Künstler nach Schluß der Vorstellung auf seine Fragen, daß er nicht das geringste umzusetzen habe, nur heiße es an der betreffenden Stelle nicht: die Furcht vor dem Tode sei ein Druckfehler, sondern ein Denkfehler. .

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Als ,Die Zensur‘ am folgenden Abend wiederholt wurde, sagte der Darsteller an der bewußten Stelle, und zwar Wieder in feierlioh‘stem Tone: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein' — DenkzetteL‘ Wedekind spendete dem Schauspieler wieder uneingeschränkté Lob, aber bemerkte nur nebenbei, daß es nicht heiße, die Furcht vor dem Tode sei ein Denkzettol, sondern ein ‘ Denkfehlen ,

§ 2080

Am nächsten Abend wurde wieder ,Die Zensur" gespielt und der Darsteller, mit dem sich der Autor inzwischen befreundet und Kunstmchaunngen ausgetauscht hatte, sagte, als die Stelle kam, mit der feierfiehefen Miene von der Welt: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein — Druckzettelf , Der Künstler erhielt des Autors rückha.ltlose Anerkennung

§ 2081

der Einakter wurde auch noch oft wiederholt, aber den Begriff ,Denkfehler‘ hielt der Autor nun ein für allemal für endgültig erledigt.“

§ 2082

Rank hat auch den sehr interessanten Beziehungen von „Fehlleistung und Traum“ (Zentralbl. für Psychoanalyse ebenda. Internet Zeitschr. für Psychoanalyse, III, 1915) Aufmerksamkeit geschenkt, denen man aber nicht ohne eingehende Analyse des Traumes folgen kann, welcher sich an die Fehlhandlung anschließt- Ich träumte einmal in einem längeren Zusammenhange, daß ich mein Portemonnaie verloren. Am Morgen vermißte ich es wirklich beim Ankleiden; ich hatte vergessen, es beim Aus

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§ 2084

268 XI. KOMBI'NIERTE FEHLLEISTUNGEN.

§ 2085

kleiden vor der .Treumnaeht aus der Hosentasche zu nehmen und an seinem gewohnten Platz zu legen. Dieses Vergessen ,war mir eine nicht unbekannt, es sollte wahrscheinlich einem unbewußten Gedenken Ausdruck geben, der für das Auftreten im Trauminhalt vorbereitet war.

§ 2086

Ich will nicht behaupten, daß solche Fälle von kombinierten Fehlleistungen etwas Neues lehnen können, was nicht schon aus den Einzelfällen zu ersehen wäre, aber dieser Formenweehsel der Fehlleistung bei Erhaltung desselben Erfolges gibt doch den plastischen Eindruck eines Willens, der nach einem bestimmten Ziele strebt, und widerspricht in ungleich energiseherer Weise der Auffassung, daß die Fehlleistung etwas Zufälliges und der Deutung nieht Bedürftiges sei Es darf uns auch auffallen, daß es in diesen Beispielen einem bewußten Vorsatz so gründlich mißlingt, den Erfolg der Fehlleistung hintanzuhalten. Mein Freund setzt es doch nicht durch, die Vereinssitzung zu besuchen, und die Dame findet sich außer stunde, sich von der Medaille zu trennen. Jenes Unbekannte, das sich gegen dieee Vorsätze sträubt, findet einen anderen Ausweg, nachdem ihm der erste Weg versperrt wird. Zur Überwindung des unbekannten Motive ist nämlich noch etwas anderes als der bewußte Gegenvorsatz erforderlich; es brauchte eine psychische Arbeit, welche das Unbekannte dem Bewußtsein bekannt macht.

§ 2087

§ 2088

XII.

§ 2089

§ 2090

DETERMINISMUS. ZUFALLS- UND ABERGLAUBEN. GESICHTSPUNKTE.

§ 2091

§ 2092

Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden Einzelerörte rungen kann man folgende Einsicht hinstellen: Gewisse Un zulänglichkeiten unserer psychischen Leistungen - deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll und gewisse absichtslos erscheinende Ver richtungen erweisen sich, wenn man das Ver fahren der psychoanalytischen Untersuchung auf sie anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewußtsein unbekannte Motive determiniert.

§ 2093

§ 2094

Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene ein gereiht zu werden, muß eine psychische Fehlleistung folgenden Bedingungen genügen.

§ 2095

§ 2096

a) Sie darf nicht über ein gewisses Maß hinausgehen, wel ches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Aus druck ,,innerhalb der Breite des Normalen" bezeichnet wird.

§ 2097

§ 2098

b) Sie muß den Charakter der momentanen und zeitweiligen Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Leistung vor. her korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen wir die Richtigkeit der Korrektur und die Un

§ 2099

270 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2100

§ 2101

richtigkeit unseres eigenen psychischen Vorganges sofort er kennen.

§ 2102

§ 2103

e) Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns verspüren, sondern müssen versucht sein, sie durch ,Unaufmerksamkeit" zu

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erklären oder als Zufälligkeit" hinzustellen.

§ 2106

§ 2107

Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Vergessen und die Irrtümer bei besserem Wissen, das Versprechen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und die sogenannten Zufallshandlungen.

§ 2108

§ 2109

Die gleiche Zusammensetzung mit der Vorsilbe ver deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychi schen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teile ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.

§ 2110

§ 2111

I. Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen als unaufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literarhistorikers R. M. Meyer in der Zeit" ausgeführt und an Beispielen er läutert gefunden, daß es unmöglich ist, absichtlich und willkür lich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiß ich, daß man es nicht zu stande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehr stellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so er weist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein analoges Beispiel einer gedankenlos hingeworfenen" Zahl ausführlicher analysieren.

§ 2112

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS U. ABERGLAUBEN ETC. 271

§ 2113

§ 2114

a) Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner Patien tinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vor namen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Auswahl scheint sehr groß; gewiß schließen sich einige Namen von vornherein aus, in erster Linie der echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich Anstoß nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von besonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen nicht ver legen zu sein. Man sollte erwarten und ich erwarte selbst, daß sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name Dora. Ich frage nach seiner Determinie rung. Wer heißt denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, daß das Kinder mädchen meiner Schwester so heißt. Aber ich besitze so viel Selbstzucht oder Übung im Analysieren, daß ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Deter minierung bringt. Ich sah auf dem Tische im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: ,,An Fräulein Rosa W." Erstaunt frage ich, wer so heißt, und werde belehrt, daß die vermeintliche Dora eigentlich Rosa heißt und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus ablegen mußte, weil meine Schwester den Ruf ,,Rosa" auch auf ihre eigene Person beziehen kann. Ich sagte bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen Moment still und begann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklare verliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewußt machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht beibehalten durfte, fiel

§ 2115

272

§ 2116

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS U. ABERGLAUBEN ETC..

§ 2117

§ 2118

mir kein anderer als ,,Dora" ein. Die Ausschließlichkeit beruht

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hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte

§ 2120

meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur ent

§ 2121

scheidender Einfluß von der im fremden Haus dienenden Person,

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von einer Gouvernante, her.

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Diese kleine Begebenheit fand Jahre später eine unerwartete

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Fortsetzung. Als ich einmal die längst veröffentlichte Kranken

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geschichte des nun Dora genannten Mädchens in meiner Vorlesung

§ 2127

besprach, fiel mir ein, daß ja eine meiner beiden Hörerinnen

§ 2128

den gleichen Namen Dora, den ich in den verschiedensten Ver

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knüpfungen so oft auszusprechen hatte, trage, und ich wandte

§ 2130

mich an die junge Kollegin, die mir auch persönlich bekannt war,

§ 2131

mit der Entschuldigung, ich hätte wirklich nicht daran gedacht,

§ 2132

daß sie auch so heiße, sei aber gern bereit, den Namen in der

§ 2133

Vorlesung durch einen anderen zu ersetzen. Ich hatte nun die

§ 2134

Aufgabe, rasch einen anderen zu wählen, und überlegte dabei,

§ 2135

jetzt dürfe ich nur nicht auf den Vornamen der anderen Hörerin

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kommen und so den psychoanalytisch bereits geschulten Kollegen

§ 2137

ein schlechtes Beispiel geben. Ich war also sehr zufrieden, als

§ 2138

mir zum Ersatze für Dora der Name Erna einfiel, dessen ich

§ 2139

mich nun im Vortrag bediente. Nach der Vorlesung fragte ich

§ 2140

mich, woher wohl der Name Erna stammen möge, und mußte

§ 2141

lachen, als ich merkte, daß die gefürchtete Möglichkeit sich bei

§ 2142

der Wahl des Ersatznamens dennoch, wenigstens teilweise, durch

§ 2143

gesetzt hatte. Die andere Dame hieß mit ihrem Familiennamen

§ 2144

Lucerna, wovon Erna ein Stück ist.

§ 2145

§ 2146

B) In einem Briefe an einen Freund kündige ich ihm an, daß

§ 2147

ich jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe

§ 2148

und nichts mehr an dem Werke ändern will, ,,möge es auch 2467

§ 2149

Fehler enthalten". Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzu

§ 2150

klären und füge die kleine Analyse noch als Nachschrift dem

§ 2151

XIL DETERMINISMUS.

§ 2152

ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2153

§ 2154

273

§ 2155

§ 2156

Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt, wie ich damals geschrieben,

§ 2157

§ 2158

als ich mich auf frischer Tat ertappte: wars wat Hom da

§ 2159

Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des Alltags

§ 2160

lebens. Du findest im Briefe die Zahl 2467 als übermütige Will

§ 2161

kürschätzung der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden.

§ 2162

Es soll heißen: irgend eine große Zahl, und da stellt sich diese

§ 2163

ein. Nun gibt es aber nichts Willkürliches, Undeterminiertes im

§ 2164

Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, daß das

§ 2165

Unbewußte sich beeilt hat, die Zahl zu determinieren, die von

§ 2166

dem Bewußten freigelassen wurde. Nun hatte ich gerade vorher

§ 2167

in der Zeitung gelesen, daß ein General E. M. als Feldzeugmeister

§ 2168

in den Ruhestand getreten ist. Du mußt wissen, der Mann

§ 2169

interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente,

§ 2170

kam er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte

§ 2171

zum Arzte: Sie müssen mich aber in acht Tagen gesund machen,

§ 2172

denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet."

§ 2173

Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen,

§ 2174

und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzeug

§ 2175

meister und schon im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in

§ 2176

welcher Zeit er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an, daß ich

§ 2177

ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich er

§ 2178

zähle meiner Frau davon und sie bemerkt: ,Da müßtest du also

§ 2179

auch schon im Ruhestand sein? Und ich protestiere: Davor

§ 2180

bewahre mich Gott. Nach diesem Gespräche setze ich mich an

§ 2181

den Tisch, um Dir zu schreiben. Der frühere Gedankengang setzt

§ 2182

sich aber fort und mit gutem Recht. Es war falsch gerechnet;

§ 2183

ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Erinnerung. Meine.

§ 2184

Großjährigkeit, meinen 24. Geburtstag also, habe ich im Militär

§ 2185

arrest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte).

§ 2186

Das war also 1880; es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die

§ 2187

Zahl 24 in 2467! Nimm nun meine Alterszahl 43 und gib 24

§ 2188

§ 2189

Freud, Psychopathologie des Alltagslebens. VI. Aufl.

§ 2190

§ 2191

18

§ 2192

274 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2193

§ 2194

Jahre hinzu, so bekommst Du die 67! Das heißt auf die Frage,

§ 2195

ob ich auch in den Ruhestand treten will, habe ich mir im

§ 2196

Wunsche noch 24 Jahre Arbeit zugelegt. Offenbar bin ich ge

§ 2197

kränkt darüber, daß ich es in dem Intervall, durch das ich den

§ 2198

Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe, und doch wie

§ 2199

in einer Art von Triumph darüber, daß er jetzt schon fertig ist,

§ 2200

während ich noch alles vor mir habe. Da darf man mit Recht

§ 2201

sagen, daß nicht einmal die absichtslos hingeworfene Zahl 2467

§ 2202

ihrer Determinierung aus dem Unbewußten entbehrt."

§ 2203

§ 2204

Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar

§ 2205

willkürlich gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch viel

§ 2206

mals mit dem nämlichen Erfolge wiederholt; aber die meisten

§ 2207

Fälle sind so sehr intimen Inhalts, daß sie sich der Mitteilung

§ 2208

entziehen. En d

§ 2209

§ 2210

Gerade darum aber will ich es nicht versäumen, eine sehr

§ 2211

interessante Analyse eines Zahleneinfalls" hier anzufügen,

§ 2212

welche Dr. Alfred Adler (Wien) von einem ihm bekannten

§ 2213

..durchaus gesunden" Gewährsmann erhielt*: A. schreibt mir:

§ 2214

,,Gestern abends habe ich mich über die Psychopathologie des

§ 2215

Alltags hergemacht und ich hätte das Buch gleich ausgelesen,

§ 2216

wenn mich nicht ein merkwürdiger Zwischenfall gehindert hätte.

§ 2217

Als ich nämlich las, daß jede Zahl, die wir scheinbar ganz will

§ 2218

kürlich ins Bewußtsein rufen, einen bestimmten Sinn hat, be

§ 2219

schloß ich, einen Versuch zu machen.

§ 2220

Es fiel mir die Zahl

§ 2221

1734 ein. Nun überstürzten sich folgende Einfälle:

§ 2222

1734:17 102; 102:17 6. Dann zerreiße ich die Zahl in 17

§ 2223

und 34. Ich bin 34 Jahre alt. Ich betrachte, wie ich Ihnen,

§ 2224

glaube ich einmal gesagt habe, das 34. Jahr als das letzte Jugend

§ 2225

§ 2226

jahr, und ich habe mich darum an meinem letzten Geburtstag

§ 2227

*Alfr. Adler, Drei Psychoanalysen von Zahleneinfällen und obse

§ 2228

dierenden Zahlen. Psych.-Neur. Wochenschr., Nr. 28, 1905.

§ 2229

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 275

§ 2230

§ 2231

sehr miserabel gefühlt. Am Ende meines 17. Jahres begann für

§ 2232

mich eine sehr schöne und interessante Periode meiner Entwick

§ 2233

lung. Ich teile mein Leben in Abschnitte von 17 Jahren. Was

§ 2234

haben nun die Divisionen zu bedeuten? Es fällt mir zu der

§ 2235

Zahl 102 ein, daß die Nummer 102 der Reclamschen Universal

§ 2236

bibliothek das Kotzebuesche Stück Menschenhaß und Reue

§ 2237

enthält."

§ 2238

§ 2239

Mein gegenwärtiger psychischer Zustand ist Menschenhaß

§ 2240

und Reue. Nr. 6 der U.-B. (ich weiß eine ganze Menge Nummern

§ 2241

auswendig) ist Müllners Schuld. Mich quält in einem fort

§ 2242

der Gedanke, daß ich durch meine Schuld nicht geworden bin,

§ 2243

was ich nach meinen Fähigkeiten hätte werden können. Weiter

§ 2244

fällt mir ein, daß Nr. 34 der U.-B. eine Erzählung desselben

§ 2245

Müllner, betitelt ,Der Kaliber, enthält. Ich zerreiße das Wort

§ 2246

in Ka-liber; weiter fällt mir ein, daß es die Worte ,Ali und

§ 2247

Kali enthält. Das erinnert mich daran, daß ich einmal mit

§ 2248

meinem (sechsjährigen) Sohn Ali Reime machte. Ich forderte

§ 2249

ihn auf, einen Reim auf Ali zu suchen. Es fiel ihm keiner ein

§ 2250

und ich sagte ihm, als er einen von mir wollte: Ali reinigt den

§ 2251

Mund mit hypermangansaurem Kali. Wir lachten viel und Ali

§ 2252

war sehr lieb. In den letzten Tagen mußte ich mit Verdruß

§ 2253

konstatieren, daß er ka (kein) lieber Ali sei."*

§ 2254

§ 2255

,,Ich fragte mich nun: Was ist Nr. 17 der U.-B.?, konnte

§ 2256

es aber nicht herausbringen. Ich habe es aber früher ganz be

§ 2257

stimmt gewußt, nehme also an, daß ich diese Zahl vergessen

§ 2258

wollte. Alles Nachsinnen blieb umsonst. Ich wollte weiter lesen,

§ 2259

las aber nur mechanisch, ohne ein Wort zu verstehen, da mich

§ 2260

die 17 quälte. Ich löschte das Licht aus und suchte weiter.

§ 2261

Schließlich fiel mir ein, daß Nr. 17 ein Stück von Shakespeare

§ 2262

sein muß. Welches aber? Es fällt mir ein: Hero und Leander.

§ 2263

Offenbar ein blödsinniger Versuch meines Willens, mich ab

§ 2264

§ 2265

18

§ 2266

276 XII. DETERMINISMUS. - ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2267

§ 2268

zulenken. Ich stehe endlich auf und suche den Katalog der U.-B.

§ 2269

Nr. 17 ist Macbeth'. Zu meiner Verblüffung muß ich kon

§ 2270

statieren, daß ich von dem Stücke fast gar nichts weiß, trotzdem

§ 2271

es mich nicht weniger beschäftigt hat als andere Dramen Shake

§ 2272

speares. Es fällt mir nur ein: Mörder, Lady Macbeth, Hexen,

§ 2273

Schön ist häßlich, und daß ich seinerzeit Schillers Macbeth

§ 2274

bearbeitung sehr schön gefunden habe. Zweifellos habe ich also

§ 2275

auch das Stück vergessen wollen. Noch fällt mir ein, daß 17 und

§ 2276

34 durch 17 dividiert 1 und 2 ergibt. Nr. 1 und 2 der U.-B.

§ 2277

ist Goethes Faust. Ich habe früher sehr viel Faustisches in

§ 2278

mir gefunden."

§ 2279

§ 2280

Wir müssen bedauern, daß die Diskretion des Arztes uns

§ 2281

keinen Einblick in die Bedeutung dieser Reihe von Einfällen ge

§ 2282

gönnt hat. Adler bemerkt, daß dem Manne die Synthese seiner

§ 2283

Auseinandersetzungen nicht gelungen ist. Dieselben würden uns

§ 2284

auch kaum mitteilenswert erschienen sein, wenn in deren Fort

§ 2285

setzung nicht etwas aufträte, was uns den Schlüssel zum

§ 2286

Verständnis der Zahl 1734 und der ganzen Einfallsreihe in die

§ 2287

Hand spielte.

§ 2288

§ 2289

,,Heute früh hatte ich freilich ein Erlebnis, das sehr für die

§ 2290

Richtigkeit der Freudschen Auffassung spricht. Meine Frau,

§ 2291

die ich beim Aufstehen des Nachts aufgeweckt hatte, fragte

§ 2292

mich, was ich denn mit dem Katalog der U.-B. gewollt hätte.

§ 2293

Ich erzählte ihr die Geschichte. Sie fand, daß alles Rabulistik

§ 2294

sei, nur sehr interessant den Macbeth, gegen den ich mich

§ 2295

so sehr gewehrt hatte, ließ sie gelten. Sie sagte, ihr falle gar

§ 2296

nichts ein, wenn sie sich eine Zahl denke. Ich antwortete: Ma

§ 2297

chen wir eine Probe. Sie nannte die Zahl 117. Ich erwiderte

§ 2298

darauf sofort: 17 ist eine Beziehung auf das, was ich dir er

§ 2299

zählt habe, ferner habe ich dir gestern gesagt: wenn eine Frau

§ 2300

im 82. Jahre steht und ein Mann im 35., so ist das ein arges

§ 2301

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 277

§ 2302

§ 2303

Mißverhältnis. Ich frozzle seit ein paar Tagen meine Frau mit

§ 2304

der Behauptung, daß sie ein altes Mütterchen von 82 Jahren

§ 2305

sei. 8235=117."

§ 2306

§ 2307

Der Mann, der seine eigene Zahl nicht zu determinieren

§ 2308

wußte, fand also sofort die Auflösung, als seine Frau ihm eine

§ 2309

angeblich willkürlich gewählte Zahl nannte. In Wirklichkeit

§ 2310

hatte die Frau sehr wolil aufgefaßt, aus welchem Komplex die

§ 2311

Zahl ihres Mannes stammte, und wählte die eigene Zahl aus dem

§ 2312

nämlichen Komplex, der gewiß beiden Personen gemeinsam war,

§ 2313

da es sich in ihm um das Altersverhältnis der beiden handelte.

§ 2314

Wir haben es nun leicht, den Zahleneinfall des Mannes zu über

§ 2315

setzen. Er spricht, wie Adler andeutet, einen unterdrückten

§ 2316

Wunsch des Mannes aus, der voll entwickelt lauten würde: ,,Zu

§ 2317

einem Manne von 34 Jahren, wie ich einer bin, paßt nur eine

§ 2318

Frau von 17 Jahren."

§ 2319

§ 2320

Damit man nicht allzu geringschätzig von solchen Spiele

§ 2321

reien" denken möge, will ich hinzufügen, was ich kürzlich von

§ 2322

Dr. Adler erfahren habe, daß ein Jahr nach Veröffentlichung

§ 2323

dieser Analyse der Mann von seiner Frau geschieden war *.

§ 2324

§ 2325

Ähnliche Aufklärungen gibt Adler für die Entstehung

§ 2326

obsedierender Zahlen. Auch die Wahl sogenannter ,,Lieblings

§ 2327

zahlen" ist nicht ohne Beziehung auf das Leben der betreffenden

§ 2328

Person und entbehrt nicht eines gewissen psychologischen Inter

§ 2329

esses.

§ 2330

Ein Herr, der sich zu der besonderen Vorliebe für die

§ 2331

Zahlen 17 und 19 bekannte, wußte nach kurzem Besinnen anzu

§ 2332

§ 2333

* Zur Aufklärung des ,,Macbeth" in Nr. 17 der U.-B. teilt mir Adler

§ 2334

mit, daß der Betreffende in seinem 17. Lebensjahr einer anarchistischen

§ 2335

Gesellschaft beigetreten war, die sich den Königsmord zum Ziel gesetzt

§ 2336

hatte. Darum verfiel wohl der Inhalt des Macbeth dem Vergessen. Zu

§ 2337

jener Zeit erfand die nämliche Person eine Geheimschrift, in der die

§ 2338

Buchstaben durch Zahlen ersetzt waren.

§ 2339

278 XII. DETERMINISMUS. - ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2340

§ 2341

geben, daß er mit 17 Jahren in die langersehnte akademische

§ 2342

Freiheit, auf die Universität, gekommen, und daß er mit 19 Jah

§ 2343

ren seine erste große Reise und bald darauf seinen ersten wissen

§ 2344

schaftlichen Fund gemacht. Die Fixierung dieser Vorliebe er

§ 2345

folgte aber zwei Lustren später, als die gleichen Zahlen zur

§ 2346

Bedeutung für sein Liebesleben gelangten. Ja, selbst Zahlen,

§ 2347

die man anscheinend willkürlich in gewissem Zusammenhange

§ 2348

besonders häufig gebraucht, lassen sich durch die Analyse auf

§ 2349

unerwarteten Sinn zurückführen. So fiel es einem meiner Pa

§ 2350

tienten eines Tages auf, daß er im Unmut besonders gern zu

§ 2351

sagen pflegte: Das habe ich dir schon 17- bis 36mal gesagt, und

§ 2352

er fragte sich, ob es auch dafür eine Motivierung gebe. Es fiel

§ 2353

ihm alsbald ein, daß er an einem 27. Monatstag geboren sei,

§ 2354

sein jüngerer Bruder aber an einem 26., und daß er Grund habe,

§ 2355

darüber zu klagen, daß das Schicksal ihm so viel von den Gütern

§ 2356

des Lebens geraubt, um sie diesem jüngeren Bruder zuzuwenden.

§ 2357

Diese Parteilichkeit des Schicksals stellte er also dar, indem

§ 2358

er von seinem Geburtsdatum zehn abzog und diese zum Datum

§ 2359

des Bruders hinzufügte. ,,Ich bin der Ältere und dennoch so

§ 2360

verkürzt worden."

§ 2361

§ 2362

Ich will bei den Analysen von Zahleneinfällen länger ver

§ 2363

weilen, denn ich kenne keine anderen Einzelbeobachtungen, die

§ 2364

so schlagend die Existenz von hoch zusammengesetzten Denk

§ 2365

vorgängen erweisen würden, von denen das Bewußtsein doch

§ 2366

keine Kunde hat, und anderseits kein besseres Beispiel von Ana

§ 2367

lysen, bei denen die häufig angeschuldigte Mitarbeit des Arztes

§ 2368

(die Suggestion) so deutlich außer Betracht kommt. Ich werde

§ 2369

daher die Analyse eines Zahleneinfalles eines meiner Patienten

§ 2370

(mit seiner Zustimmung) hier mitteilen, von dem ich nur an

§ 2371

zugeben brauche, daß er das jüngste Kind einer langen Kinder

§ 2372

reihe ist, und daß er den bewunderten Vater in jungen Jahren

§ 2373

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 279

§ 2374

§ 2375

verloren hat. In besonders heiterer Stimmung läßt er sich die

§ 2376

Zahl 426718 einfallen und stellt sich die Frage: ,,Also was fällt

§ 2377

mir dazu ein? Zunächst ein Witz, den ich gehört habe: ,Wenn

§ 2378

man einen Schnupfen ärztlich behandelt, dauert er 42 Tage,

§ 2379

wenn man ihn aber unbehandelt läßt 6 Wochen. Das ent

§ 2380

spricht den ersten Ziffern der Zahl 42-6X7. In der Stockung,

§ 2381

die sich bei ihm nach dieser ersten Lösung einstellt, mache ich

§ 2382

ihn aufmerksam, daß die von ihm gewählte sechsstellige Zahl

§ 2383

alle ersten Ziffern enthalte bis auf 3 und 5. Nun findet er so

§ 2384

fort die Fortsetzung der Deutung. Wir sind 7 Geschwister,

§ 2385

ich der jüngste. 3 entspricht in der Kinderreihe der Schwester

§ 2386

A., 5 dem Bruder L., das waren meine beiden Feinde. Ich pflegte

§ 2387

als Kind jeden Abend zu Gott zu beten, daß er diese meine beiden

§ 2388

Quälgeister aus dem Leben abberufen solle. Es scheint mir nun,

§ 2389

daß ich mir hier diesen Wunsch selbst erfülle; 3 und 5, der

§ 2390

böse Bruder und die gehaßte Schwester sind übergangen."

§ 2391

Wenn die Zahl also Ihre Geschwisterreihe bedeutet, was soll

§ 2392

das 18 am Ende? Sie waren doch nur 7. ,,Ich habe oft ge

§ 2393

dacht, wenn der Vater noch länger gelebt hätte, so wäre ich

§ 2394

nicht das jüngste Kind geblieben. Wenn noch 1 gekommen wäre,

§ 2395

so wären wir 8 gewesen, und ich hätte ein kleineres Kind hinter

§ 2396

mir gehabt, gegen das ich den Älteren gespielt hätte."

§ 2397

§ 2398

Somit war die Zahl aufgeklärt, aber lag uns noch ob,

§ 2399

den Zusammenhang zwischen dem ersten Stück der Deutung und

§ 2400

den folgenden herzustellen. Das ergab sich sehr leicht aus der

§ 2401

für die letzten Zahlen benötigten Bedingung: Wenn der Vater

§ 2402

noch länger gelebt hätte. 42-6X7 bedeutete den Hohn gegen

§ 2403

die Ärzte, die dem Vater nicht hatten helfen können, drückte

§ 2404

also in dieser Form den Wunsch nach dem Fortleben des Vaters

§ 2405

aus.

§ 2406

Die ganze Zahl entsprach eigentlich der Erfüllung seiner

§ 2407

beiden infantilen Wünsche in betreff seines Familienkreises, die

§ 2408

280 XIL DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2409

§ 2410

beiden bösen Geschwister sollten sterben, und ein kleines Ge

§ 2411

schwisterchen hinter ihnen nachkommen, oder auf den kürzesten

§ 2412

Ausdruck gebracht: Wenn doch lieber die beiden gestorben wären

§ 2413

anstatt des geliebten Vaters! *

§ 2414

§ 2415

Eine andere Zahlenanalyse entnehme ich Jones (1. c.,

§ 2416

p. 478). Ein Herr seiner Bekanntschaft ließ sich die Zahl 986

§ 2417

einfallen und forderte ihn dann heraus, sie mit irgend etwas,

§ 2418

was er sich denke, in Zusammenhang zu bringen. Die nächste

§ 2419

Assoziation der Versuchsperson war die Erinnerung an einen

§ 2420

längst vergessenen Scherz. Am heißesten Tage des Jahres vor

§ 2421

sechs Jahren hatte eine Zeitung die Notiz gebracht, das Thermo

§ 2422

meter zeige 9860 Fahrenheit, offenbar eine groteske Übertrei

§ 2423

bung von 98-6, dem wirklichen Thermometerstand! Wir saßen

§ 2424

während dieser Unterhaltung vor einem starken Feuer im Ka

§ 2425

min, von dem er sich wegrückte, und er bemerkte wahrscheinlich

§ 2426

mit Recht, daß die große Hitze ihn auf diese Erinnerung gebracht

§ 2427

habe. Ich gab mich aber nicht so leicht zufrieden und verlangte

§ 2428

zu wissen, wieso gerade diese Erinnerung bei ihm so fest ge

§ 2429

haftet habe. Er erzählte, er habe über diesen Scherz so fürch

§ 2430

terlich gelacht und sich jedesmal von neuem über ihn amüsiert,

§ 2431

so oft er ihm wieder eingefallen sei. Da ich aber den Scherz

§ 2432

nicht besonders gut finden konnte, wurde meine Erwartung eines

§ 2433

geheimen Sinnes dahinter nur noch verstärkt. Sein nächster Ge

§ 2434

danke war, daß die Vorstellung der Wärme ihm immer soviel

§ 2435

bedeutet habe. Wärme sei das Wichtigste in der Welt, die Quelle

§ 2436

alles Lebens usw. Eine solche Schwärmerei eines sonst recht.

§ 2437

nüchternen jungen Mannes mußte nachdenklich stimmen; ich

§ 2438

bat ihn, mit seinen Assoziationen fortzufahren. Sein nächster

§ 2439

Einfall ging auf den Rauchfang einer Fabrik, den er von seinem

§ 2440

Zur Vereinfachung habe ich einige nicht minder gut passende

§ 2441

Zwischeneinfälle des Patienten weggelassen.

§ 2442

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 281

§ 2443

§ 2444

Schlafzimmer aus sehen konnte. Er pflegte oft des Abends auf

§ 2445

den Rauch und das Feuer zu starren, der aus ihm hervorging, und

§ 2446

dabei über die beklagenswerte Vergeudung von Energie nach

§ 2447

zudenken. Wärme, Feuer, die Quelle alles Lebens, die Vergeu

§ 2448

dung von Energie aus einer hohen hohlen Röhre- es war nicht

§ 2449

schwer, aus diesen Assoziationen zu erraten, daß die Vorstellung

§ 2450

Wärme und Feuer bei ihm mit der Vorstellung von Liebe ver

§ 2451

knüpft waren, wie es im symbolischen Denken gewöhnlich ist,

§ 2452

und daß ein starker Masturbationskomplex seinen Zahleneinfall

§ 2453

motiviert habe. Es blieb ihm nichts übrig, als meine Vermutung

§ 2454

zu bestätigen."

§ 2455

§ 2456

Wer sich von der Art, wie das Material der Zahlen im un

§ 2457

bewußten Denken verarbeitet wird, einen guten Eindruck holen

§ 2458

will, den verweise ich auf C. G. Jungs Aufsatz ,,Ein Beitrag

§ 2459

zur Kenntnis des Zahlentraumes" (Zentralbl. für Psychoanalyse,

§ 2460

I, 1912) und auf einen anderen von E. Jones ,,Unconscious

§ 2461

manipulations of numbers" (ibd. II, 5. 1912).

§ 2462

§ 2463

In eigenen Analysen dieser Art ist mir zweierlei besonders

§ 2464

auffällig: Erstens die geradezu somnambule Sicherheit, mit der

§ 2465

ich auf das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in einen rech

§ 2466

nenden Gedankengang versenke, der dann plötzlich bei der ge

§ 2467

suchten Zahl angelangt ist, und die Raschheit, mit der sich die

§ 2468

ganze Nacharbeit vollzieht; zweitens aber der Umstand, daß

§ 2469

die Zahlen meinem unbewußten Denken so bereitwillig zur Ver

§ 2470

fügung stehen, während ich ein schlechter Rechner bin und die

§ 2471

größten Schwierigkeiten habe, mir Jahreszahlen, Hausnummern.

§ 2472

und dergleichen bewußt zu merken. Ich finde übrigens in diesen

§ 2473

unbewußten Gedankenoperationen mit Zahlen eine Neigung zum

§ 2474

§ 2475

Aberglauben, deren Herkunft mir lange Zeit fremd geblieben ist.

§ 2476

Es wird uns nicht überraschen zu finden, daß nicht nur

§ 2477

Zahlen, sondern auch Worteinfälle anderer Art sich der

§ 2478

282 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2479

§ 2480

analytischen Untersuchung regelmäßig als gut determiniert

§ 2481

erweisen.

§ 2482

Ein hübsches Beispiel von Herleitung eines obsedierenden,

§ 2483

§ 2484

d. h. verfolgenden Wortes findet sich bei Jung (Diagnost. Asso

§ 2485

ziationsstudien, IV, S. 215). ,,Eine Dame erzählte mir, daß ihr

§ 2486

seit einigen Tagen beständig das Wort Taganrog' im Munde

§ 2487

liege, ohne daß sie eine Idee habe, woher das komme. Ich fragte

§ 2488

die Dame nach den affektbetonten Ereignissen und verdrängten

§ 2489

Wünschen der Jüngstvergangenheit. Nach einigem Zögern er

§ 2490

zählte sie mir, daß sie sehr gern einen Morgenrock hätte,

§ 2491

ihr Mann aber nicht das gewünschte Interesse dafür habe.

§ 2492

Morgenrock: Tag-an-rock', man sieht die partielle Sinn- und

§ 2493

Klangverwandtschaft. Die Determination der russischen Form

§ 2494

kommt daher, daß ungefähr zu gleicher Zeit die Dame eine Per

§ 2495

sönlichkeit aus Taganrog kennen gelernt hatte."

§ 2496

§ 2497

Dr. E. Hitschmann verdanke ich die Auflösung eines

§ 2498

anderen Falles, in dem sich ein Vers wiederholt in einer be

§ 2499

stimmten Örtlichkeit als Einfall aufdrängte, ohne daß dessen

§ 2500

Herkunft und Beziehungen einsichtlich gewesen wären.

§ 2501

§ 2502

,,Erzählung des Dr. jur. E.: Ich fuhr vor sechs Jahren

§ 2503

von Biarritz nach San Sebastian. Die Eisenbahnstrecke führt

§ 2504

über den Bidassoafluß, der hier die Grenze zwischen Frankreich

§ 2505

und Spanien bildet. Auf der Brücke hat man einen schönen

§ 2506

Blick, auf der einen Seite über ein weites Tal und die Pyrenäen,

§ 2507

auf der anderen Seite weithin über das Meer. Es war ein schöner,

§ 2508

heller Sommertag, alles war erfüllt von Sonne und Licht, ich war

§ 2509

auf einer Ferienreise, freute mich nach Spanien zu kommen

§ 2510

da fielen mir die Verse ein: Aber frei ist schon die Seele,

§ 2511

schwebet in dem Meer von Licht."

§ 2512

§ 2513

Ich erinnere mich, daß ich damals darüber nachdachte, wo

§ 2514

her diese Verse seien, und mich dessen nicht entsinnen konnte;

§ 2515

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2516

283

§ 2517

§ 2518

nach dem Rhythmus mußten die Worte aus einem Gedichte

§ 2519

stammen, welches aber meiner Erinnerung vollständig entfallen.

§ 2520

war.

§ 2521

Ich glaube später, da mir die Verse wiederholt in den

§ 2522

Sinn kamen, noch mehrere Leute danach gefragt zu haben, ohne

§ 2523

etwas erfahren zu können.

§ 2524

§ 2525

Im Vorjahr fuhr ich, von einer spanischen Reise zurück.

§ 2526

kehrend, auf derselben Bahnstrecke. Es war stockfinstere Nacht

§ 2527

und es regnete. Ich sah zum Fenster hinaus, um zu sehen, ob

§ 2528

wir schon an der Grenzstation ankämen, und bemerkte, daß wir

§ 2529

auf der Bidassoabrücke waren. Sofort kamen mir die oben an

§ 2530

geführten Verse wieder ins Gedächtnis, und wieder konnte ich

§ 2531

mich ihrer Herkunft nicht erinnern.

§ 2532

§ 2533

Mehrere Monate nachher kamen mir zu Hause die Uhland

§ 2534

schen Gedichte in die Hand. Ich öffnete den Band und mein

§ 2535

Blick fiel auf die Verse: ,Aber frei ist schon die Seele, schwebet

§ 2536

in dem Meer von Licht, die den Schluß eines Gedichtes: Der

§ 2537

Waller bilden. Ich las das Gedicht und erinnerte mich nun

§ 2538

ganz dunkel, es einmal vor vielen Jahren gekannt zu haben. Der

§ 2539

Schauplatz der Handlung ist in Spanien, und dies schien mir die

§ 2540

einzige Beziehung der zitierten Verse zu der von mir beschrie

§ 2541

benen Stelle der Eisenbahnstrecke zu bilden. Ich war von meiner

§ 2542

Entdeckung nur halb befriedigt und blätterte mechanisch in

§ 2543

dem Buche weiter. Die Verse,Aber frei ist schon usw. standen

§ 2544

als die letzten auf einer Seite. Beim Umblättern fand ich auf

§ 2545

der nächsten Seite ein Gedicht mit der Überschrift:

§ 2546

Bidassoabrücke.

§ 2547

Die

§ 2548

§ 2549

Ich bemerke noch, daß mir der Inhalt dieses letzteren Ge

§ 2550

dichtes fast noch fremder schien als der des ersten, und daß seine

§ 2551

ersten Verse lauten: ,Auf der Bidassoabrücke steht ein Heiliger

§ 2552

altersgrau, segnet rechts die span'schen Berge, segnet links den

§ 2553

fränk'schen Gau.***

§ 2554

284 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2555

§ 2556

II. Diese Einsicht in die Determinierung scheinbar will

§ 2557

kürlich gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klä

§ 2558

rung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme eines

§ 2559

durchgehenden psychischen Determinismus berufen sich bekannt

§ 2560

lich viele Personen auf ein besonderes Überzeugungsgefühl für

§ 2561

die Existenz eines freien Willens. Dieses Überzeugungsgefühl

§ 2562

besteht und weicht auch dem Glauben an den Determinismus

§ 2563

nicht. Es muß wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas

§ 2564

berechtigt sein. Es äußert sich aber, soviel ich beobachten kann,

§ 2565

nicht bei den großen und wichtigen Willensentscheidungen; bei

§ 2566

diesen Gelegenheiten hat man vielmehr die Empfindung des psy

§ 2567

chischen Zwanges und beruft sich gern auf sie (,,Hier stehe ich,

§ 2568

ich kann nicht anders"). Hingegen möchte man gerade bei den

§ 2569

belanglosen, indifferenten Entschließungen versichern, daß man

§ 2570

ebensowohl anders hätte handeln können, daß man aus freiem,

§ 2571

nicht motiviertem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen

§ 2572

braucht man nun das Recht des Überzeugungsgefühles vom freien

§ 2573

Willen nicht zu bestreiten. Führt man die Unterscheidung der

§ 2574

Motivierung aus dem Bewußten von der Motivierung aus dem

§ 2575

Unbewußten ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefühl, daß

§ 2576

die bewußte Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen

§ 2577

Entscheidungen erstreckt. Minima non eurat praetor. Was aber

§ 2578

so von der einen Seite frei gelassen wird, das empfängt seine

§ 2579

Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbewußten, und so

§ 2580

ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos durch

§ 2581

geführt *.

§ 2582

§ 2583

*Diese Anschauungen über die strenge Determinierung anscheinend

§ 2584

willkürlicher psychischer ionen haben bereits reiche Früchte für die

§ 2585

Psychologie vielleicht auch für die Rechtspflege- getragen. Bleuler

§ 2586

and Jung haben in diesem Sinne die Reaktionen beim sogenannten

§ 2587

Assoziationsexperiment verständlich gemacht, bei dem die untersuchte

§ 2588

XIL DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2589

§ 2590

285

§ 2591

§ 2592

III. Wenngleich dem bewußten Denken die Kenntnis von

§ 2593

der Motivierung der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen

§ 2594

Sachlage abgehen muß, so wäre es doch erwünscht, einen psycho

§ 2595

logischen Beweis für deren Existenz aufzufinden; ja es ist aus

§ 2596

Gründen, die sich bei näherer Kenntnis des Unbewußten ergeben,

§ 2597

wahrscheinlich, daß solche Beweise irgendwo auffindbar sind.

§ 2598

Es lassen sich wirklich auf zwei Gebieten Phänomene nach

§ 2599

weisen, welche von einer unbewußten und darum verschobenen

§ 2600

Kenntnis von dieser Motivierung zu entsprechen scheinen:

§ 2601

§ 2602

a) Es ist ein auffälliger und allgemein bemerkter Zug im

§ 2603

Verhalten der Paranoiker, daß sie den kleinen, sonst von uns

§ 2604

vernachlässigten Details im Benehmen der anderen die größte

§ 2605

Bedeutung beilegen, dieselben ausdeuten und zur Grundlage weit

§ 2606

gehender Schlüsse machen. Der letzte Paranoiker z. B., den ich

§ 2607

gesehen habe, schloß auf ein allgemeines Einverständnis in seiner

§ 2608

Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof

§ 2609

eine gewisse Bewegung mit der einen Hand gemacht hatten. Ein

§ 2610

anderer hat die Art notiert, wie die Leute auf der Straße gehen,

§ 2611

§ 2612

mit den Spazierstöcken fuchteln u. dgl. *.

§ 2613

§ 2614

Die Kategorie des Zufälligen, der Motivierung nicht Be

§ 2615

§ 2616

Person auf ein ihr zugerufenes Wort mit einem ihr dazu einfallenden ant

§ 2617

wortet (Reizwort-Reaktion), und die dabei verlaufende Zeit gemessen wird

§ 2618

(Reaktionszeit). Jung hat in seinen ,,Diagnostischen Assoziationsstudion

§ 2619

1906" gezeigt, welch feines Reagens für psychische Zustände wir in dem

§ 2620

so gedeuteten Assoziationsexperiment besitzen. Zwei Schüler des Straf

§ 2621

rechtslehrers H. Groß in Prag, Wertheimer und Klein, haben aus

§ 2622

diesen Experimenten eine Technik zur ,,Tatbestands-Diagnostik" in straf

§ 2623

rechtlichen Fällen entwickelt, deren Prüfung gegenwärtig Psychologen und

§ 2624

Juristen beschäftigt.

§ 2625

§ 2626

* Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man

§ 2627

diese Beur

§ 2628

teilung unwesentlicher und zufälliger Äußerungen bei anderen zum ,,Bo

§ 2629

ziehungswahn gerechnet.

§ 2630

286 XII. DETERMINISMUS. - ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2631

§ 2632

dürftigen, welche der Normale für einen Teil seiner eigenen

§ 2633

psychischen Leistungen und Fehlleistungen gelten läßt, verwirft

§ 2634

der Paranoiker also in der Anwendung auf die psychischen Äuße

§ 2635

rungen der anderen. Alles, was er an den anderen bemerkt, ist

§ 2636

bedeutungsvoll, alles ist deutbar. Wie kommt er nur dazu? Er

§ 2637

projiziert wahrscheinlich in das Seelenleben der anderen, was im

§ 2638

eigenen unbewußt vorhanden ist, hier wie in so vielen ähnlichen

§ 2639

Fällen. In der Paranoia drängt sich eben so vielerlei zum Be

§ 2640

wußtsein durch, was wir bei Normalen und Neurotikern erst

§ 2641

durch die Psychoanalyse als im Unbewußten vorhanden nach

§ 2642

weisen. Der Paranoiker hat also hierin in gewissem Sinne

§ 2643

Recht, er erkennt etwas, was dem Normalen entgeht, er sicht

§ 2644

schärfer als das normale Denkvermögen, aber die Verschiebung

§ 2645

des so erkannten Sachverhaltes auf andere macht seine Er

§ 2646

kenntnis wertlos. Die Rechtfertigung der einzelnen paranoischen

§ 2647

Deutungen wird man dann hoffentlich von mir nicht erwarten.

§ 2648

Das Stück Berechtigung aber, welches wir der Paranoia bei dieser

§ 2649

Auffassung der Zufallshandlungen zugestehen, wird uns das

§ 2650

psychologische Verständnis der Überzeugung erleichtern, welche

§ 2651

sich beim Paranoiker an alle diese Deutungen geknüpft hat,

§ 2652

Es ist eben etwas Wahres daran; auch unsere nicht als

§ 2653

krankhaft zu bezeichnenden Urteilsirrtümer erwerben das ihnen

§ 2654

zugehörige Überzeugungsgefühl auf keine andere Art. Dies Ge

§ 2655

fühl ist für ein gewisses Stück des irrtümlichen Gedankenganges

§ 2656

oder für die Quelle, aus der er stammt, berechtigt und wird

§ 2657

dann von uns auf den übrigen Zusammenhang ausgedehnt.

§ 2658

b) Ein anderer Hinweis auf die unbewußte und verschobene

§ 2659

§ 2660

Kenntnis der Motivierung bei Zufalls- und Fehlleistungen findet

§ 2661

* Die durch Analyse bewußt zu machenden Phantasien der Hyste

§ 2662

riker von sexuellen und grausamen Mißhandlungen decken sich z. B. ge

§ 2663

legentlich bis ins Einzelne mit den Klagen verfolgter Paranoiker. Es ist

§ 2664

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 287

§ 2665

§ 2666

sich in den Phänomenen des Aberglaubens. Ich will meine Mei

§ 2667

nung durch die Diskussion des kleinen Erlebnisses klarlegen,

§ 2668

welches für mich der Ausgangspunkt dieser Überlegungen war.

§ 2669

§ 2670

Von den Ferien zurückgekehrt, richten sich meine Gedanken

§ 2671

alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu beginnenden

§ 2672

Arbeitsjahre beschäftigen sollen. Mein erster Weg gilt einer sehr

§ 2673

alten Dame, bei der ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichen

§ 2674

ärztlichen Manipulationen zweima. täglich vornehme. Wegen

§ 2675

dieser Gleichförmigkeit haben sich unbewußte Gedanken sehr

§ 2676

häufig auf dem Wege zu der Kranken und während der Beschäf

§ 2677

tigung mit ihr Ausdruck verschafft. Sie ist über 90 Jahre alt;

§ 2678

es liegt also nahe, sich bei Beginn eines jeden Jahres zu fragen,

§ 2679

wie lange sie wohl noch zu leben hat. An dem Tage, wovon ich

§ 2680

erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagen, der mich vor

§ 2681

ihr Haus führen soll. Jeder der Kutscher auf dem Wagenstand

§ 2682

platz vor meinem Hause kennt die Adresse der alten Frau, denn

§ 2683

jeder hat mich schon oftmals dahin geführt. Heute ereignete es

§ 2684

sich nun, daß der Kutscher nicht vor ihrem Hause, sondern vor

§ 2685

dem gleichbezifferten in einer nahegelegenen und wirklich ähn

§ 2686

lich aussehenden Parallelstraße Halt macht. Ich merke den

§ 2687

Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt.

§ 2688

Hat das nun etwas zu bedeuten, daß ich vor ein Haus geführt

§ 2689

werde, in dem ich die alte Dame nicht vorfinde? Für mich gewiß

§ 2690

nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre, würde ich in

§ 2691

dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig

§ 2692

des Schicksals, daß dies Jahr das letzte für die alte Frau sein

§ 2693

wird.

§ 2694

Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbe

§ 2695

wahrt hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gewesen.

§ 2696

bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der identische Inhalt uns

§ 2697

auch als Realität in den Veranstaltungen Perverser zur Befriedigung ihrer

§ 2698

Gelüste entgegentritt.

§ 2699

288 XII. DETERMINISMUS.

§ 2700

§ 2701

ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2702

§ 2703

Ich erkläre allerdings den Vorfall für eine Zufälligkeit ohne wei

§ 2704

§ 2705

teren Sinn.

§ 2706

§ 2707

Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuß ge

§ 2708

macht und dann in ,,Gedanken", in der Zerstreutheit" vor das

§ 2709

Haus der Parallelstraße anstatt vors richtige gekommen wäre.

§ 2710

Das würde ich für keinen Zufall erklären, sondern für eine der

§ 2711

Deutung bedürftige Handlung mit unbewußter Absicht. Diesem

§ 2712

„Vergehen" müßte ich wahrscheinlich die Deutung geben, daß

§ 2713

ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen erwarte.

§ 2714

§ 2715

Ich unterscheide mich also von einem Abergläubischen in

§ 2716

§ 2717

folgendem:

§ 2718

§ 2719

Ich glaube nicht, daß ein Ereignis, an dessen Zustande.

§ 2720

kommen mein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes

§ 2721

über die zukünftige Gestaltung der Realität lehren kann; ich

§ 2722

glaube aber, daß eine unbeabsichtigte Äußerung meiner eigenen

§ 2723

Seelentätigkeit mir allerdings etwas Verborgenes enthüllt, was

§ 2724

wiederum nur meinem Seelenleben angehört; ich glaube zwar an

§ 2725

äußeren (realen) Zufall, aber nicht an innere (psychische) Zufäl

§ 2726

ligkeit. Der Abergläubische umgekehrt: er weiß nichts von

§ 2727

der Motivierung seiner zufälligen Handlungen und Fehlleistun

§ 2728

gen, er glaubt, daß es psychische Zufälligkeiten gibt; dafür ist

§ 2729

er geneigt, dem äußeren Zufall eine Bedeutung zuzuschreiben,

§ 2730

die sich im realen Geschehen äußern wird, im Zufall ein Aus

§ 2731

drucksmittel für etwas draußen ihm Verborgenes zu sehen. Die

§ 2732

Unterschiede zwischen mir und dem Abergläubischen sind zwei:

§ 2733

erstens projiziert er eine Motivierung nach außen, die ich innen

§ 2734

suche; zweitens deutet er den Zufall durch ein Geschehen, den

§ 2735

ich auf einen Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene

§ 2736

ihm entspricht dem Unbewußten bei mir, und der Zwang, den

§ 2737

Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, sondern ihn zu deuten,

§ 2738

ist uns beiden gemeinsam.

§ 2739

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC: 289

§ 2740

§ 2741

Ich nehme nun an, daß diese bewußte Unkenntnis und un

§ 2742

bewußte Kenntnis von der Motivierung der psychischen Zufällig

§ 2743

keiten eine der psychischen Wurzeln des Aberglaubens ist. Weil

§ 2744

der Abergläubische von der Motivierung der eigenen zufälligen

§ 2745

Handlungen nichts weiß, und weil die Tatsache dieser Motivie

§ 2746

rung nach einem Platze in seiner Anerkennung drängt, ist er

§ 2747

genötigt, sie durch Verschiebung in der Außenwelt unterzu

§ 2748

bringen. Besteht ein solcher Zusammenhang, so wird er kaum

§ 2749

auf diesen einzelnen Fall beschränkt sein. Ich glaube in der

§ 2750

Tat, daß ein großes Stück der mythologischen Weltauffassung,

§ 2751

die weit bis in die modernsten Religionen hinein reicht, nichts

§ 2752

anderes ist als in die Außenwelt projizierte

§ 2753

Psychologie. Die dunkle Erkenntnis (sozusagen: endo

§ 2754

psychische Wahrnehmung) psychischer Faktoren und Verhält

§ 2755

nisse des Unbewußten spiegelt sich es ist schwer, es anders

§ 2756

zu sagen, die Analogie mit der Paranoia muß hier zu Hilfe ge

§ 2757

nommen werden in der Konstruktion einer übersinnlichen

§ 2758

Realität, welche von der Wissenschaft in Psychologie

§ 2759

des Unbewußten zurückverwandelt werden soll. Man könnte

§ 2760

sich getrauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfall, von

§ 2761

Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit u. dgl. in

§ 2762

solcher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsycho

§ 2763

logie umzusetzen. Die Kluft zwischen der Verschiebung des

§ 2764

Paranoikers und der des Abergläubischen ist minder groß, als

§ 2765

sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu denken

§ 2766

begannen, waren sie bekanntlich genötigt, die Außenwelt an

§ 2767

thropomorphisch in eine Vielheit von Persönlichkeiten nach

§ 2768

ihrem Gleichnis aufzulösen; die Zufälligkeiten, die sie aber

§ 2769

gläubisch deuteten, waren also Handlungen, Äußerungen von

§ 2770

Personen, und sie haben sich demnach genau so benommen wie

§ 2771

Die natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat.05

§ 2772

§ 2773

Freud, Peychopathologie des Alltagulobena. VI. Aud.

§ 2774

§ 2775

19

§ 2776

290 XIL DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2777

§ 2778

die Paranoiker, welche aus den unscheinbaren Anzeichen, die

§ 2779

ihnen die anderen geben, Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden

§ 2780

alle, welche mit Recht die zufälligen und unbeabsichtigten Hand

§ 2781

lungen ihrer Nebenmenschen zur Grundlage der Schätzung ihres

§ 2782

Charakters machen. Der Aberglaube erscheint nur so sehr de

§ 2783

placiert in unserer modernen, naturwissenschaftlichen, aber noch.

§ 2784

keineswegs abgerundeten Weltanschauung; in der Weltanschau

§ 2785

ung vorwissenschaftlicher Zeiten und Völker war er berechtigt

§ 2786

und konsequent.

§ 2787

§ 2788

Der Römer, der eine wichtige Unternehmung aufgab, wenn

§ 2789

ihm ein widriger Vogelflug begegnete, war also relativ im Recht;

§ 2790

er handelte konsequent nach seinen Voraussetzungen. Wenn er

§ 2791

aber von der Unternehmung abstand, weil er an der Schwelle

§ 2792

seiner Tür gestolpert war (Un Romain retournerait"), so war er

§ 2793

uns Ungläubigen auch absolut überlegen, ein besserer Seelen

§ 2794

kundiger, als wir uns zu sein bemühen. Denn dieses Stolpern

§ 2795

mußte ihm die Existenz eines Zweifels, einer Gegenströmung in

§ 2796

seinem Innern beweisen, deren Kraft sich im Momente der Aus

§ 2797

führung von der Kraft seiner Intention abziehen konnte. Des

§ 2798

vollen Erfolges ist man nämlich nur dann sicher, wenn alle

§ 2799

Seelenkräfte einig dem gewünschten Ziel entgegenstreben. Wie

§ 2800

antwortet Schillers Tell, der so lange gezaudert, den Apfel

§ 2801

vom Haupte seines Knaben zu schießen, auf die Frage des Vogts,

§ 2802

wozu er den zweiten Pfeil eingesteckt?

§ 2803

§ 2804

Mit diesem Pfeil durchbohrt' ich

§ 2805

Euch,

§ 2806

§ 2807

Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte,

§ 2808

Und Euer wahrlich hätt' ich nicht gefehlt."

§ 2809

§ 2810

IV. Wer die Gelegenheit gehabt hat, die verborgenen Seelen

§ 2811

regungen der Menschen mit dem Mittel der Psychoanalyse zu

§ 2812

studieren, der kann auch über die Qualität der unbewußten Mo

§ 2813

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUREN ETC.

§ 2814

§ 2815

tive, die sich im Aberglauben ausdrücken, einiges Neue sagen.

§ 2816

Am deutlichsten erkennt man bei den oft sehr intelligenten, mit

§ 2817

Zwangsdenken und Zwangszuständen behafteten Nervösen, daß

§ 2818

der Aberglaube aus unterdrückten feindseligen und grausamen

§ 2819

Regungen hervorgeht. Aberglaube ist zum großen Teile Un

§ 2820

heilserwartung, und wer anderen häufig Böses gewünscht, aber

§ 2821

infolge der Erziehung zur Güte solche Wünsche ins Unbewußte

§ 2822

verdrängt hat, dem wird es besonders nahe liegen, die Strafe für

§ 2823

solches unbewußte Böse als ein ihm drohendes Unheil von außen

§ 2824

zu erwarten.

§ 2825

§ 2826

Wenn wir zugeben. daß wir die Psychologie des Aber

§ 2827

glaubens mit diesen Bemerkungen keineswegs erschöpft haben,

§ 2828

so werden wir auf der anderen Seite die Frage wenigstens streifen

§ 2829

müssen, ob denn reale Wurzeln des Aberglaubens durchaus zu

§ 2830

bestreiten seien, ob es gewiß keine Ahnungen, prophetische

§ 2831

Träume, telepathische Erfahrungen, Äußerungen übersinnlicher

§ 2832

Kräfte u. dgl. gebe. Ich bin nun weit davon entfernt, diese Phä

§ 2833

nomene überall so kurzer Hand aburteilen zu wollen, über welche

§ 2834

so viele eingehende Beobachtungen selbst intellektuell hervor

§ 2835

ragender Männer vorliegen, und die am besten die Objekte wei

§ 2836

terer Untersuchungen bilden sollen. Es ist dann sogar zu hoffen,

§ 2837

daß ein Teil dieser Beobachtungen durch unsere beginnende Er

§ 2838

kenntnis der unbewußten seelischen Vorgänge zur Aufklärung

§ 2839

gelangen wird, ohne uns zu grundstürzenden Abänderungen

§ 2840

unserer heutigen Anschauungen zu nötigen. Wenn noch andere,

§ 2841

wie z. B. die von den Spiritisten behaupteten Phänomene, er

§ 2842

weisbar werden sollten, so werden wir eben die von der neuen

§ 2843

Erfahrung geforderten Modifikationen unserer Gesetze" vor

§ 2844

nehmen, ohne an dem Zusammenhang der Dinge in der Welt.

§ 2845

irre zu werden.

§ 2846

§ 2847

Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen kann ich die nun

§ 2848

§ 2849

19

§ 2850

§ 2851

291

§ 2852

292

§ 2853

§ 2854

XII. DETERMINISMUS.

§ 2855

ZUFALLS U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2856

§ 2857

aufgeworfenen Fragen nicht anders als subjektiv, d. i. nach meiner

§ 2858

persönlichen Erfahrung, beantworten. Ich muß leider bekennen,

§ 2859

daß ich zu jenen unwürdigen Individuen gehöre, vor denen die

§ 2860

Geister ihre Tätigkeit einstellen und das Übersinnliche entweicht,

§ 2861

so daß ich niemals in die Lage gekommen bin. selbst etwas zum

§ 2862

Wunderglauben Anregendes zu erleben. Ich habe wie alle Men

§ 2863

schen Ahnungen gehabt und Unheil erfahren, aber die beiden

§ 2864

wichen einander aus, so daß auf die Ahnungen nichts folgte, und

§ 2865

das Unheil unangekündigt über mich kam. Zur Zeit, als ich,

§ 2866

ein junger Mann, allein in einer fremden Stadt lebte, habe ich

§ 2867

oft genug meinen Namen plötzlich von einer unverkennbaren,

§ 2868

teuren Stimme rufen hören, und mir dann den Zeitmoment der

§ 2869

Halluzination notiert, um mich besorgt bei den Daheimgeblie

§ 2870

benen zu erkundigen, was um jene Zeit vorgefallen. Es war

§ 2871

nichts. Zum Ersatz dafür habe ich später ungerührt und

§ 2872

ahnungslos mit meinen Kranken gearbeitet, während mein Kind

§ 2873

einer Verblutung zu erliegen drohte. Es hat auch keine der

§ 2874

Ahnungen, von denen mir Patienten berichtet haben, meine An

§ 2875

erkennung als reales Phänomen erwerben können.

§ 2876

§ 2877

Der Glaube an prophetische Träume zählt viele Anhänger,

§ 2878

weil er sich darauf stützen kann, daß manches sich wirklich in

§ 2879

der Zukunft so gestaltet, wie es der Wunsch im Traume vorher

§ 2880

konstruiert hat. Allein daran ist wenig zu verwundern, und

§ 2881

zwischen dem Traum und der Erfüllung lassen sich in der Regel

§ 2882

noch weitgehende Abweichungen nachweisen, welche die Gläubig

§ 2883

keit der Träumer zu vernachlässigen liebt. Ein schönes Beispiel

§ 2884

eines mit Recht prophetisch zu nennenden Traumes bot mir einmal

§ 2885

eine intelligente und wahrheitsliebende Patientin zur genauen

§ 2886

Analyse. Sie erzählte, daß sie einmal geträumt, sie treffe ihren

§ 2887

früheren Freund und Hausarzt vor einem bestimmten Laden

§ 2888

einer gewissen Straße, und als sie am nächsten Morgen in die

§ 2889

XII. DETERMINISMUS, ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 293

§ 2890

§ 2891

innere Stadt ging, traf sie ihn wirklich an der im Traume

§ 2892

genannten Stelle. Ich bemerke, daß dieses wunderbare Zu

§ 2893

sammentreffen seine Bedeutung durch kein nachfolgendes Er

§ 2894

eignis erwies, also nicht aus dem Zukünftigen zu rechtfer

§ 2895

tigen war.

§ 2896

§ 2897

Das sorgfältige Examen stellte fest, daß kein Beweis dafür

§ 2898

vorliege, die Dame habe den Traum bereits am Morgen nach der

§ 2899

Traumnacht, also vor dem Spaziergang und der Begegnung er

§ 2900

innert. Sie konnte nichts gegen eine Darstellung des Sach

§ 2901

verhaltes einwenden, die der Begebenheit alles Wunderbare

§ 2902

nimmt und nur ein interessantes psychologisches Problem übrig

§ 2903

läßt. Sie ist eines Vormittags durch die gewisse Straße gegangen,

§ 2904

hat vor dem einen Laden ihren alten Hausarzt begegnet und nun

§ 2905

bei seinem Anblick die Überzeugung bekommen, daß sie die

§ 2906

letzte Nacht von diesem Zusammentreffen an der nämlichen

§ 2907

Stelle geträumt habe. Die Analyse konnte dann mit großer

§ 2908

Wahrscheinlichkeit andeuten, wie sie zu dieser Überzeugung ge

§ 2909

kommen war, welcher man ja nach allgemeinen Regeln ein ge

§ 2910

wisses Anrecht auf Glaubwürdigkeit nicht versagen darf. Ein

§ 2911

Zusammentreffen am bestimmten Orte nach vorheriger Erwar

§ 2912

tung, das ist ja der Tatbestand eines Rendezvous. Der alte

§ 2913

Hausarzt rief die Erinnerung an alte Zeiten in ihr wach, in

§ 2914

denen Zusammenkünfte mit einer dritten, auch dem Arzt

§ 2915

befreundeten Person für sie bedeutungsvoll gewesen waren. Mit

§ 2916

diesem Herrn war sie seitdem in Verkehr geblieben und hatte am

§ 2917

Tage vor dem angeblichen Traum vergeblich auf ihn gewartet.

§ 2918

Könnte ich die hier vorliegenden Beziehungen ausführlicher mit

§ 2919

teilen, so wäre es mir leicht zu zeigen, daß die Illusion des

§ 2920

prophetischen Traumes beim Anblick des Freundes aus früherer

§ 2921

Zeit äquivalent ist etwa folgender Rede: ,,Ach, Herr Doktor, Sie

§ 2922

erinnern mich jetzt an vergangene Zeiten, in denen ich niemals

§ 2923

294

§ 2924

XII. DETERMINISMUS, ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2925

§ 2926

vergeblich auf N. zu warten brauchte, wenn wir eine Zusammen

§ 2927

kunft bestellt hatten."

§ 2928

§ 2929

Von jenem bekannten merkwürdigen Zusammentreffen",

§ 2930

daß man einer Person begegnet, mit welcher man sich gerade in

§ 2931

Gedanken beschäftigt hat, habe ich bei mir selbst ein einfaches

§ 2932

und leicht zu deutendes Beispiel beobachtet, welches wahrschein

§ 2933

lich ein gutes Vorbild für ähnliche Vorfälle ist. Wenige Tage.

§ 2934

nachdem mir der Titel eines Professors verliehen worden war,

§ 2935

der in monarchisch eingerichteten Staaten selbst viel Autorität

§ 2936

verleiht, lenkten während eines Spazierganges durch die innere

§ 2937

Stadt meine Gedanken plötzlich in eine kindische Rachephantasie

§ 2938

ein, die sich gegen ein gewisses Elternpaar richtete. Diese hatten

§ 2939

mich einige Monate vorher zu ihrem Töchterchen gerufen, bei

§ 2940

dem sich eine interessante Zwangserscheinung im Anschluß an

§ 2941

einen Traum eingestellt hatte. Ich brachte dem Falle, dessen

§ 2942

Genese ich zu durchschauen glaubte, ein großes Interesse ent

§ 2943

gegen; meine Behandlung wurde aber von den Eltern abgelehnt

§ 2944

und mir zu verstehen gegeben, daß man sich an eine ausländische

§ 2945

Autorität, die mittels Hypnotismus heile, zu wenden gedenke.

§ 2946

Ich phantasierte nun, daß die Eltern nach dem völligen Miß.

§ 2947

glücken dieses Versuches mich bäten, mit meiner Behandlung

§ 2948

einzusetzen, sie hätten jetzt volles Vertrauen zu mir usw. Ich

§ 2949

aber antwortete: Ja, jetzt, nachdem ich auch Professor ge

§ 2950

worden bin, haben Sie Vertrauen. Der Titel hat an meinen Fähig

§ 2951

keiten weiter nichts geändert: wenn Sie mich als Dozenten nicht

§ 2952

brauchen konnten, können Sie mich auch als Professor entbehren.

§ 2953

An dieser Stelle wurde meine Phantasie durch den lauten

§ 2954

Gruß Habe die Ehre, Herr Professor" unterbrochen, und als

§ 2955

ich aufschaute, ging das nämliche Elternpaar an mir vorüber,

§ 2956

an dem ich soeben durch die Abweisung ihres Anerbietens Rache

§ 2957

genommen hatte. Die nächste Überlegung zerstörte den An

§ 2958

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 295

§ 2959

§ 2960

schein des Wunderbaren. Ich ging auf einer geraden und breiten,

§ 2961

fast menschenleeren Straße jenem Paar entgegen, hatte bei einem

§ 2962

flüchtigen Aufschauen, vielleicht zwanzig Schritte von ihnen

§ 2963

entfernt, ihre stattlichen Persönlichkeiten erblickt und erkannt,

§ 2964

diese Wahrnehmung aber nach dem Muster einer negativen

§ 2965

Halluzination aus jenen Gefühlsmotiven beseitigt, die sich

§ 2966

dann in der anscheinend spontan auftauchenden Phantasie zur

§ 2967

Geltung brachten.

§ 2968

§ 2969

Eine andere Auflösung einer scheinbaren Vorahnung" be

§ 2970

richte ich nach Otto Rank (Zentralbl. f. Psychoanalyse, II. 5):

§ 2971

§ 2972

..Vor einiger Zeit erlebte ich selbst eine seltsame Variation

§ 2973

jenes merkwürdigen Zusammentreffens', wobei man einer Person

§ 2974

begegnet, mit welcher man sich gerade in Gedanken beschäftigt

§ 2975

hat (Alltag, 2, S. 120). Ich gehe unmittelbar vor Weihnachten in

§ 2976

die Österreichisch-Ungarische. Bank, um mir zehn neue Silber

§ 2977

kronen zu Geschenkzwecken einzuwechseln. In ehrgeizigen Phan

§ 2978

tasien versunken, die an den Gegensatz meiner geringen Bar

§ 2979

schaft zu den im Bankgebäude aufgestapelten Geldmassen an

§ 2980

knüpfen, biege ich in die schmale Bankgasse ein, wo die Bank

§ 2981

gelegen ist. Vor dem Tor sehe ich ein Automobil stehen und

§ 2982

viele Leute aus und eingehen. Ich denke mir. die Beamten

§ 2983

werden gerade für meine paar Kronen Zeit haben; ich werde

§ 2984

es jedenfalls rasch abmachen, die zu wechselnde Geldnote hin

§ 2985

legen und sagen: Bitte, geben Sie mir Gold! Sogleich be

§ 2986

merke ich meinen Irrtum ich sollte ja Silber verlangen

§ 2987

und erwache aus meinen Phantasien. Ich befinde mich nur noch

§ 2988

wenige Schritte vom Eingang entfernt und sehe einen jungen

§ 2989

Mann mir entgegenkommen, der mir bekannt vorkommt, den ich

§ 2990

jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit noch nicht mit Sicherheit,

§ 2991

zu erkennen vermag. Wie er näher kommt, erkenne ich in ihm

§ 2992

einen Schulkollegen meines Bruders, namens Gold. von dessen

§ 2993

296 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 2994

§ 2995

Bruder, einem bekannten Schriftsteller, ich zu Beginn meiner

§ 2996

literarischen Laufbahn weitgehende Förderung erwartet hatte.

§ 2997

Sie blieb jedoch aus und mit ihr auch der erhoffte materielle Er

§ 2998

folg, mit dem sich meine Phantasie auf dem Wege zur Bank

§ 2999

beschäftigt hatte. Ich muß also, in meine Phantasien versunken,

§ 3000

das Herannahen des Herrn Gold unbewußt apperzipiert haben,

§ 3001

was sich meinem von materiellen Erfolgen träumenden Bewußt

§ 3002

sein in der Form darstellte, daß ich beschloß, am Kassenschalter

§ 3003

Gold statt des minderwertigen Silbers zu verlangen. An

§ 3004

derseits scheint aber auch die paradoxe Tatsache, daß mein Un

§ 3005

bewußtes ein Objekt wahrzunehmen im stande ist, welches

§ 3006

meinem Auge erst später erkennbar wird, zum Teil aus der

§ 3007

Komplex bereitschaft (Bleuler) erklärlich, die ja aufs Mate

§ 3008

rielle eingestellt war und meine Schritte gegen mein besseres

§ 3009

Wissen von Anfang an nach jenem Gebäude gelenkt hatte, wo

§ 3010

nur die Gold- und Papiergeldverwechslung stattfindet."

§ 3011

§ 3012

In die Kategorie des Wunderbaren und Unheimlichen gehört

§ 3013

noch jene eigentümliche Empfindung, die man in manchen Mo

§ 3014

menten und Situationen verspürt, als ob man genau das nämliche

§ 3015

schon einmal erlebt hätte, sich in derselben Lage schon einmal

§ 3016

befunden hätte, ohne daß es je dem Bemühen gelingt, das frühere,

§ 3017

das sich so anzeigt, deutlich zu erinnern. Ich weiß, daß ich bloß

§ 3018

dem lockeren Sprachgebrauch folge, wenn ich das, was sich in

§ 3019

solchen Momenten in einem regt, eine Empfindung heiße; es

§ 3020

handelt sich wohl um ein Urteil, und zwar ein Erkennungsurteil,

§ 3021

aber diese Fälle haben doch einen ganz eigentümlichen Cha

§ 3022

rakter, und daß man sich niemals an das Gesuchte erinnert,

§ 3023

darf nicht beiseite gelassen werden. Ich weiß nicht, ob dies Phä

§ 3024

nomen des Déjà vu" im Ernst zum Erweis einer früheren

§ 3025

psychischen Existenz des Einzelwesens herangezogen worden ist;

§ 3026

wohl aber haben die Psychologen ihm ihr Interesse zugewendet

§ 3027

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3028

§ 3029

297

§ 3030

§ 3031

und die Lösung des Rätsels auf den mannigfaltigsten spekula

§ 3032

tiven Wegen angestrebt. Keiner der beigebrachten Erklärungs

§ 3033

versuche scheint mir richtig zu sein, weil in keinem etwas anderes

§ 3034

als die Begleiterscheinungen und begünstigenden Bedingungen

§ 3035

des Phänomens in Betracht gezogen wird. Jene psychischen Vor

§ 3036

gänge, welche nach meinen Beobachtungen allein für die Erklä

§ 3037

rung des Déjà vu" verantwortlich sind, die unbewußten Phan

§ 3038

tasien nämlich, werden ja heute noch von den Psychologen all

§ 3039

gemein vernachlässigt.

§ 3040

§ 3041

Ich meine, man tut Unrecht, die Empfindung des schon ein

§ 3042

mal Erlebthabens als eine Illusion zu bezeichnen. Es wird viel

§ 3043

mehr in solchen Momenten wirklich an etwas gerührt, was man

§ 3044

bereits einmal erlebt hat, nur kann dies letztere nicht bewußt

§ 3045

erinnert werden, weil es niemals bewußt war. Die Empfindung

§ 3046

des Déjà vu entspricht, kurz gesagt, der Erinnerung an eine

§ 3047

unbewußte Phantasie. Es gibt unbewußte Phantasien (oder Tag

§ 3048

träume), wie es bewußte solche Schöpfungen gibt, die ein jeder

§ 3049

aus seiner eigenen Erfahrung kennt.

§ 3050

§ 3051

Ich weiß, daß der Gegenstand der eingehendsten Behandlung

§ 3052

würdig wäre, will aber hier nur die Analyse eines einzigen Falles

§ 3053

von ,,Déjà vu" anführen, in dem sich die Empfindung durch be

§ 3054

sondere Intensität und Ausdauer auszeichnete. Eine jetzt 37jäh

§ 3055

rige Dame behauptet, daß sie sich aufs schärfste erinnere, im

§ 3056

Alter von zwölfeinhalb Jahren habe sie einen ersten Besuch bei

§ 3057

Schulfreundinnen auf dem Lande gemacht, und als sie in den

§ 3058

Garten eintrat, sofort die Empfindung gehabt, hier sei sie schon

§ 3059

einmal gewesen; diese Empfindung habe sich, als sie die Wohn

§ 3060

räume betrat, wiederholt, so daß sie vorher zu wissen glaubte,

§ 3061

welcher Raum der nächste sein würde, welche Aussicht man von

§ 3062

ihm aus haben werde usw. Es ist aber ganz ausgeschlossen

§ 3063

und durch ihre Erkundigung bei den Eltern widerlegt, daß dieses

§ 3064

298 XII. DETERMINISMUS. - ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3065

§ 3066

Bekanntheitsgefühl in einem früheren Besuch des Hauses und

§ 3067

Gartens. etwa in ihrer ersten Kindheit, seine Quelle haben könnte.

§ 3068

Die Dame, die das berichtete, suchte nach keiner psychologischen

§ 3069

Erklärung sondern sah in dem Auftreten dieser Empfindung

§ 3070

einen prophetischen Hinweis auf die Bedeutung, welche eben diese

§ 3071

Freundinnen später für ihr Gefühlsleben gewannen. Die Er

§ 3072

wägung der Umstände, unter denen das Phänomen bei ihr auf

§ 3073

trat, zeigt uns aber den Weg zu einer anderen Auffassung. Als

§ 3074

sie den Besuch unternahm, wußte sie, daß diese Mädchen einen

§ 3075

einzigen, schwerkranken Bruder hatten. Sie bekam ihn bei dem

§ 3076

Besuch auch zu Gesichte, fand ihn sehr schlecht aussehend und

§ 3077

dachte sich, daß er bald sterben werde. Nun war ihr eigener

§ 3078

einziger Bruder einige Monate vorher an Diphtherie gefährlich

§ 3079

erkrankt gewesen; während seiner Krankheit hatte sie vom

§ 3080

Elternhause entfernt wochenlang bei einer Verwandten gewohnt.

§ 3081

Sie glaubt, daß der Bruder diesen Landbesuch mitmachte, meint

§ 3082

sogar, es sei sein erster größerer Ausflug nach der Krankheit

§ 3083

gewesen: doch ist ihre Erinnerung in diesen Punkten merkwürdig

§ 3084

unbestimmt, während alle anderen Details, und besonders das

§ 3085

Kleid, das sie an jenem Tage trug, ihr überdeutlich vor Augen

§ 3086

stehen. Dem Kundigen wird es nicht schwer fallen, aus diesen

§ 3087

Anzeichen zu schließen, daß die Erwartung, ihr Bruder werde

§ 3088

sterben, bei dem Mädchen damals eine große Rolle gespielt hatte

§ 3089

und entweder nie bewußt geworden oder nach dem glücklichen

§ 3090

Ausgang der Krankheit energischer Verdrängung verfallen war.

§ 3091

Im anderen Falle hätte sie ein anderes Kleid, nämlich Trauer

§ 3092

kleidung, tragen müssen. Bei den Freundinnen fand sie nun

§ 3093

die analoge Situation vor, den einzigen Bruder in Gefahr, bald

§ 3094

zu sterben, wie es auch kurz darauf wirklich eintraf. Sie hätte

§ 3095

bewußt erinnern sollen, daß sie diese Situation vor wenigen Mo

§ 3096

naten selbst durchlebt hatte; anstatt dies zu erinnern, was durch

§ 3097

XII, DETERMINISMUS.

§ 3098

ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 299

§ 3099

§ 3100

die Verdrängung verhindert war, übertrug sie das Erinnerungs

§ 3101

gefühl auf die Lokalitäten, Garten und Haus, und verfiel der

§ 3102

..fausse reconnaissance", daß sie das alles genau ebenso schon

§ 3103

einmal gesehen habe. Aus der Tatsache der Verdrängung dürfen

§ 3104

wir schließen, daß die seinerzeitige Erwartung, ihr Bruder werde

§ 3105

sterben, nicht weit entfernt vom Charakter einer Wunsch

§ 3106

phantasie gewesen war. Sie wäre dann das einzige Kind ge

§ 3107

blieben. In ihrer späteren Neurose litt sie in intensivster Weise

§ 3108

unter der Angst, ihre Eltern zu verlieren, hinter welcher die

§ 3109

Analyse wie gewöhnlich den unbewußten Wunsch des gleichen

§ 3110

Inhalts aufdecken konnte.

§ 3111

§ 3112

Meine eigenen flüchtigen Erlebnisse von Déjà vu" habe ich

§ 3113

mir in ähnlicher Weise aus der Gefühlskonstellation des Moments.

§ 3114

ableiten können. Das wäre wieder ein Anlaß, jene (unbewußte

§ 3115

und unbekannte) Phantasie zu wecken, die sich damals und da

§ 3116

mals als Wunsch zur Verbesserung der Situation in mir ge

§ 3117

bildet hat *.

§ 3118

§ 3119

V. Als ich unlängst Gelegenheit hatte. einem philosophisch

§ 3120

§ 3121

Diese Erklärung des Déjà vu" ist bisher nur von einem einzigen

§ 3122

Beobachter gewürdigt worden. Dr. Ferenczi, dem die dritte Auflage

§ 3123

dieses Buches so viel wertvolle Beiträge verdankt, schreibt mir hierüber:

§ 3124

Ich habe mich sowohl bei mir als auch bei anderen davon überzeugt,

§ 3125

daß das unerklärliche Bekanntheitsgefühl auf unbewußte Phantasien zu

§ 3126

rückzuführen ist, an die man in einer aktuellen Situation unbewußt er

§ 3127

innert wird. Bei einem meiner Patienten ging es anscheinend anders,

§ 3128

in Wirklichkeit aber ganz analog zu. Dieses Gefühl kehrte bei ihm sehr

§ 3129

oft wieder erwies sich aber regelmäßig als von einem vergessenen

§ 3130

(verdrängten) Traumstück der vergangenen Nacht herrührend. Es

§ 3131

scheint also, daß das Déjà vu nicht nur von Tagträumen, sondern auch

§ 3132

von nächtlichen Träumen abstammen kann." (Ich habe später erfahren,

§ 3133

daß Grasset 1901 eine Erklärung des Phänomens gegeben hat, welche

§ 3134

der meinigen sehr nahe kommt.)

§ 3135

300 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3136

§ 3137

gebildeten Kollegen einige Beispiele von Namenvergessen mit

§ 3138

Analyse vorzutragen, beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr

§ 3139

schön, aber bei mir geht das Namenvergessen anders zu. So

§ 3140

leicht darf man es sich offenbar nicht machen; ich glaube nicht,

§ 3141

daß mein Kollege je vorher an eine Analyse bei Namenvergessen

§ 3142

gedacht hatte; er konnte auch nicht sagen, wie anders es bei ihm

§ 3143

zugehe. Aber seine Bemerkung berührt doch ein Problem, welches

§ 3144

viele in den Vordergrund zu stellen geneigt sein werden. Trifft

§ 3145

die hier gegebene Auflösung der Fehl- und Zufallshandlungen

§ 3146

allgemein zu oder nur vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind

§ 3147

die Bedingungen, unter denen sie zur Erklärung der auch anders

§ 3148

wie ermöglichten Phänomene herangezogen werden darf? Bei der

§ 3149

Beantwortung dieser Frage lassen mich meine Erfahrungen im

§ 3150

Stiche. Ich kann nur davon abmahnen, den aufgezeigten Zu

§ 3151

sammenhang für selten zu halten, denn so oft ich bei mir selbst

§ 3152

und bei meinen Patienten die Probe angestellt, hat er sich wie

§ 3153

in den mitgeteilten Beispielen sicher nachweisen lassen, oder

§ 3154

haben sich wenigstens gute Gründe, ihn zu vermuten, ergeben.

§ 3155

Es ist nicht zu verwundern, wenn es nicht alle Male gelingt,

§ 3156

den verborgenen Sinn der Symptomhandlung zu finden, da die.

§ 3157

Größe der inneren Widerstände, die sich der Lösung widersetzen,

§ 3158

als entscheidender Faktor in Betracht kommt. Man ist auch nicht

§ 3159

im stande, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen

§ 3160

Traum zu deuten; es genügt, um die Allgemeingültigkeit der

§ 3161

Theorie zu bestätigen, wenn man nur ein Stück weit in den

§ 3162

verdeckten Zusammenhang einzudringen vermag. Der Traum, der

§ 3163

sich beim Versuche, ihn am Tage nachher zu lösen, refraktär

§ 3164

zeigt, läßt sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Ge

§ 3165

heimnis entreißen, wenn eine unterdes erfolgte reale Veränderung

§ 3166

die miteinander streitenden psychischen Wertigkeiten herabge

§ 3167

setzt hat. Das nämliche gilt für die Lösung der Fehl- und

§ 3168

XII. GESICHTSPUNKTE.

§ 3169

§ 3170

301

§ 3171

§ 3172

Symptomhandlungen; das Beispiel von Verlesen ,,Im Faß durch

§ 3173

Europa" auf Seite 115 hat mir die Gelegenheit gegeben, zu zeigen,

§ 3174

wie ein anfänglich unlösbares Symptom der Analyse zugänglich

§ 3175

wird, wenn das reale Interesse an den verdrängten Gedanken

§ 3176

nachgelassen hat. Solange die Möglichkeit bestand, daß mein

§ 3177

Bruder den beneideten Titel vor mir erhalte, widerstand das

§ 3178

genannte Verlesen allen wiederholten Bemühungen der Analyse;

§ 3179

nachdem es sich herausgestellt hatte, daß diese Bevorzugung un

§ 3180

wahrscheinlich sei, klärte sich mir plötzlich der Weg, der zur

§ 3181

Auflösung desselben führte. Es wäre also unrichtig, von all den

§ 3182

Fällen. welche der Analyse widerstehen, zu behaupten, sie seien

§ 3183

durch einen anderen als den hier aufgedeckten psychischen

§ 3184

Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme noch

§ 3185

andere als negative Beweise. Auch die bei Gesunden wahrschein

§ 3186

lich allgemein vorhandene Bereitwilligkeit. an eine andere Er

§ 3187

klärung der Fehl- und Symptomhandlungen zu glauben, ist jeder

§ 3188

Beweiskraft bar; sie ist, wie selbstverständlich, eine Äußerung

§ 3189

derselben seelischen Kräfte, die das Geheimnis hergestellt haben.

§ 3190

und die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen, gegen

§ 3191

dessen Aufhellung aber sträuben.

§ 3192

§ 3193

Auf der anderen Seite dürfen wir nicht übersehen, daß die

§ 3194

verdrängten Gedanken und Regungen sich den Ausdruck in

§ 3195

Symptom- und Fehlhandlungen ja nicht selbständig schaffen. Die

§ 3196

technische Möglichkeit für solches Ausgleiten der Innervationen

§ 3197

muß unabhängig von ihnen gegeben sein; diese wird dann von

§ 3198

der Absicht des Verdrängten, zur bewußten Geltung zu kommen,

§ 3199

gern ausgenützt. Welche Struktur- und Funktionsrelationen es

§ 3200

sind, die sich solcher Absicht zur Verfügung stellen, das haben

§ 3201

für den Fall der sprachlichen Fehlleistung eingehende Unter

§ 3202

suchungen der Philosophen und Philologen festzustellen sich be

§ 3203

müht.

§ 3204

Unterscheiden wir so an den Bedingungen der Fehl

§ 3205

302 XII. DETERMINISMUS. - ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3206

§ 3207

und Symptomhandlung das unbewußte Motiv von den ihm

§ 3208

entgegenkommenden physiologischen und psychophysischen Re

§ 3209

lationen, so bleibt die Frage offen, ob es innerhalb der Breite.

§ 3210

der Gesundheit noch andere Momente gibt, welche, wie das un

§ 3211

bewußte Motiv und an Stelle desselben, auf dem Wege dieser

§ 3212

Relationen die Fehl- und Symptomhandlungen zu erzeugen ver

§ 3213

mögen. Es ist nicht meine Aufgabe, diese Frage zu beantworten.

§ 3214

§ 3215

Es liegt übrigens auch nicht in meiner Absicht, die Ver

§ 3216

schiedenheiten zwischen der psychoanalytischen und der land

§ 3217

läufigen Auffassung der Fehlleistungen, die ja groß genug sind.

§ 3218

noch zu übertreiben. Ich möchte vielmehr auf Fälle hinweisen,

§ 3219

in denen diese Unterschiede viel von ihrer Schärfe einbüßen. Zu

§ 3220

den einfachsten und unauffälligsten Beispielen des Versprechens

§ 3221

und Verschreibens, bei denen etwa nur Worte zusammengezogen

§ 3222

oder Worte und Buchstaben ausgelassen werden, entfallen die

§ 3223

komplizierteren Deutungen. Vom Standpunkt der Psychoanalyse

§ 3224

muß man behaupten, daß in diesen Fällen sich irgend eine Stö

§ 3225

rung der Intention angezeigt hat, kann aber nicht angeben, woher

§ 3226

die Störung stammte und was sie beabsichtigte. Sie brachte eben

§ 3227

nichts anderes zu stande, als ihr Vorhandensein zu bekunden. In

§ 3228

denselben Fällen sieht man dann auch die von uns nie bestrittenen.

§ 3229

Begünstigungen der Fehlleistung durch lautliche Wertverhält

§ 3230

nisse und naheliegende psychologische Assoziationen in Wirk

§ 3231

samkeit treten. Es ist aber eine billige wissenschaftliche Forde

§ 3232

rung, daß man solche rudimentäre Fälle von Versprechen oder

§ 3233

Verschreiben nach den besser ausgeprägten beurteile, deren Unter

§ 3234

suchung so unzweideutige Aufschlüsse über die Verursachung

§ 3235

der Fehlleistung ergibt.

§ 3236

§ 3237

VI. Seit den Erörterungen über das Versprechen haben wir

§ 3238

uns begnügt zu beweisen, daß die Fehlleistungen eine verborgene

§ 3239

Motivierung haben, und uns mit dem Hilfsmittel der Psycho

§ 3240

XII. GESICHTSPUNKTE

§ 3241

§ 3242

analyse den Weg zur Kenntnis dieser Motivierung gebahnt. Die

§ 3243

allgemeine Natur und die Besonderheiten der in den Fehl

§ 3244

leistungen zum Ausdruck gebrachten psychischen Faktoren haben

§ 3245

wir bisher fast ohne Berücksichtigung gelassen, jedenfalls noch

§ 3246

nicht versucht, dieselben näher zu bestimmen und auf ihre Ge

§ 3247

setzmäßigkeit zu prüfen. Wir werden auch jetzt keine grund

§ 3248

liche Erledigung des Gegenstandes versuchen, denn die ersten

§ 3249

Schritte werden uns bald belehrt haben, daß man in dieses Gebiet

§ 3250

besser von anderer Seite einzudringen vermag. Man kann sieh

§ 3251

hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenigstens anführen und

§ 3252

in ihrem Umfang umschreiben will. 1. Welches Inhalts und

§ 3253

welcher Herkunft sind die Gedanken und Regungen, die sich

§ 3254

durch die Fehl- und Zufallshandlungen andeuten? 2. Welches

§ 3255

sind die Bedingungen dafür, daß ein Gedanke oder eine Regung

§ 3256

genötigt und in den Stand gesetzt werde, sich dieser Vorfälle

§ 3257

als Ausdrucksmittel zu bedienen? 3. Lassen sich konstante und

§ 3258

eindeutige Beziehungen zwischen der Art der Fehlleistungen

§ 3259

und den Qualitäten des durch sie zum Ausdruck Gebrachten.

§ 3260

nachweisen?

§ 3261

§ 3262

Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der

§ 3263

letzten Frage zusammenzutragen. Bei der Erörterung der Bei

§ 3264

spiele von Versprechen haben wir es für nötig gefunden, über

§ 3265

den Inhalt der intendierten Rede hinauszugehen, und haben die

§ 3266

Ursache der Redestörung außerhalb der Intention suchen müssen.

§ 3267

Dieselbe lag dann in einer Reihe von Fällen nahe und war dem

§ 3268

Bewußtsein des Sprechenden bekannt. In den scheinbar ein

§ 3269

fachsten und durchsichtigsten Beispielen war es eine gleich

§ 3270

berechtigt klingende, andere Fassung desselben Gedankens, die

§ 3271

dessen Ausdruck störte, ohne daß man hätte angeben können.

§ 3272

warum die eine unterlegen, die andere durchgedrungen war

§ 3273

(Kontaminationen von Meringer und Mayer). In einer

§ 3274

§ 3275

303

§ 3276

304

§ 3277

XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3278

§ 3279

zweiten Gruppe von Fällen war das Unterliegen der einen Fas

§ 3280

sung motiviert durch eine Rücksicht, die sich aber nicht stark

§ 3281

genug zur völligen Zurückhaltung erwies (zum Vorschwein

§ 3282

gekommen"). Auch die zurückgehaltene Fassung war klar be

§ 3283

wußt. Von der dritten Gruppe erst kann man ohne Einschrän

§ 3284

kung behaupten, daß hier der störende Gedanke von dem inten

§ 3285

dierten verschieden war, und kann hier eine, wie es scheint.

§ 3286

wesentliche Unterscheidung aufstellen. Der störende Gedanke ist

§ 3287

entweder mit dem gestörten durch Gedankenassoziation ver

§ 3288

bunden (Störung durch inneren Widerspruch), oder er ist ihm

§ 3289

wesensfremd, und durch eine befremdende äußerliche Asso

§ 3290

ziation ist gerade das gestörte Wort mit dem störenden Gedanken,

§ 3291

der oft unbewußt ist, verknüpft. In den Beispielen, die ich aus

§ 3292

meinen Psychoanalysen gebracht habe, steht die ganze Rede unter

§ 3293

dem Einfluß gleichzeitig aktiv gewordener, aber völlig unbe

§ 3294

wußter Gedanken, die sich entweder durch die Störung selbst

§ 3295

verraten (Klapperschlange Kleopatra) oder einen

§ 3296

§ 3297

indirekten Einfluß äußern, indem sie ermöglichen. daß die

§ 3298

einzelnen Teile der bewußt intendierten Rede einander stören.

§ 3299

(Ase natmen: wo Hausenauerstraße, Reminiszenzen an

§ 3300

eine Französin dahinterstehen). Die zurückgehaltenen oder un

§ 3301

bewußten Gedanken, von denen die Sprechstörung ausgeht, sind

§ 3302

von der mannigfaltigsten Herkunft. Eine Allgemeinheit enthüllt

§ 3303

uns diese Überschau also nach keiner Richtung.

§ 3304

§ 3305

Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Verlesen und

§ 3306

Verschreiben führt zu den nämlichen Ergebnissen. Einzelne Fälle

§ 3307

scheinen wie beim Versprechen einer weiter nicht motivierten

§ 3308

Verdichtungsarbeit ihr Entstehen zu danken (z. B.: der Apfe).

§ 3309

Man möchte aber gern erfahren, ob nicht doch besondere Be

§ 3310

dingungen erfüllt sein müssen, damit eine solche Verdichtung, die

§ 3311

in der Traumarbeit regelrecht, in unserem wachen Denken fehler

§ 3312

XII. GESICHTSPUNKTE.

§ 3313

§ 3314

305

§ 3315

§ 3316

haft ist, Platz greife, und bekommt hierüber aus den Beispielen

§ 3317

selbst keinen Aufschluß. Ich würde es aber ablehnen, hieraus

§ 3318

den Schluß zu ziehen, es gebe keine solchen Bedingungen als

§ 3319

etwa den Nachlaß der bewußten Aufmerksamkeit, da ich von

§ 3320

anderswoher weiß, daß sich gerade automatische Verrichtungen

§ 3321

durch Korrektheit und Verläßlichkeit auszeichnen. Ich möchte

§ 3322

eher betonen, daß hier, wie so häufig in der Biologie, die nor

§ 3323

malen oder dem Normalen angenäherten Verhältnisse ungün

§ 3324

stigere Objekte der Forschung sind als die pathologischen. Was

§ 3325

bei der Erklärung dieser leichtesten Störungen dunkel bleibt,

§ 3326

wird nach meiner Erwartung durch die Aufklärung schwererer

§ 3327

Störungen Licht empfangen.

§ 3328

§ 3329

Auch beim Verlesen und Verschreiben fehlt es nicht an Bei

§ 3330

spielen, welche eine entferntere und kompliziertere Motivierung

§ 3331

erkennen lassen. ,,Im Faß durch Europa" ist eine Lesestörung,

§ 3332

die sich durch den Einfluß eines entlegenen, wesensfremden Ge

§ 3333

dankens aufklärt, welcher einer verdrängten Regung von Eifer

§ 3334

sucht und Ehrgeiz entspringt, und den ,,Wechsel" des Wortes

§ 3335

,,Beförderung" zur Verknüpfung mit dem gleichgültigen

§ 3336

und harmlosen Thema, das gelesen wurde, benützt. Im Falle

§ 3337

Burckhard ist der Name selbst ein solcher ,,Wechsel".

§ 3338

§ 3339

Es ist unverkennbar, daß die Störungen der Sprechfunk

§ 3340

tionen leichter zu stande kommen und weniger Anforderungen

§ 3341

an die störenden Kräfte stellen als die anderer psychischer Lei

§ 3342

stungen.

§ 3343

§ 3344

Auf anderem Boden steht man bei der Prüfung des Ver

§ 3345

gessens im eigentlichen Sinne, d. h. des Vergessens von vergan

§ 3346

genen Erlebnissen (das Vergessen von Eigennamen und Fremd

§ 3347

worten, wie in den Abschnitten I und II, könnte man als ,,Ent

§ 3348

fallen", das von Vorsätzen als ,,Unterlassen" von diesem Ver

§ 3349

gessen sensu strictiori absondern). Die Grundbedingungen des

§ 3350

§ 3351

Freud, Psychopathologie des Alltagslebens. VI. Aufl.

§ 3352

§ 3353

20

§ 3354

306 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3355

§ 3356

normalen Vorgangs beim Vergessen sind unbekannt*. Man wird

§ 3357

auch daran gemahnt, daß nicht alles vergessen ist, was man da

§ 3358

für hält. Unsere Erklärung hat es hier nur mit jenen Fällen

§ 3359

zu tun, in denen das Vergessen bei uns ein Befremden erweckt,

§ 3360

insofern es die Regel verletzt, daß Unwichtiges vergessen. Wich

§ 3361

tiges aber vom Gedächtnis bewahrt wird. Die Analyse der Bei

§ 3362

spiele von Vergessen, die uns nach einer besonderen Aufklärung

§ 3363

zu verlangen scheinen, ergibt als Motiv des Vergessens jedesmal

§ 3364

§ 3365

* Über den Mechanismus des eigentlichen Vergessens kann ich etwa

§ 3366

folgende Andeutungen geben: Das Erinnerungsmaterial unterliegt im all

§ 3367

gemeinen zwei Einflüssen, der Verdichtung und der Entstellung. Die Ent

§ 3368

stellung ist das Werk der im Seelenleben herrschenden Tendenzen und

§ 3369

wendet sich vor allem gegen die affektwirksam gebliebenen Erinnerungs

§ 3370

spuren, die sich gegen die Verdichtung resistenter verhalten. Die indiffe

§ 3371

rent gewordenen Spuren verfallen dem Verdichtungsvorgang ohne Gegen.

§ 3372

wehr, doch kann man beobachten, daß überdies Entstellungstendenzen sich

§ 3373

an dem indifferenten Material sättigen, welche dort, wo sie sich äußern

§ 3374

wollten, unbefriedigt geblieben sind. Da diese Prozesse der Verdichtung

§ 3375

und Entstellung sich über lange Zeiten hinziehen, während welcher alle

§ 3376

frischen Erlebnisse auf die Umgestaltung des Gedächtnisinhaltes einwirken,

§ 3377

meinen wir, es sei die Zeit, welche die Erinnerungen unsicher und un

§ 3378

dentlich macht. Sehr wahrscheinlich ist beim Vergessen von einer direkten

§ 3379

Funktion der Zeit überhaupt nicht die Rede. An den verdrängten

§ 3380

Erinnerungsspuren kann man konstatieren, daß sie durch die längste Zeit

§ 3381

dauer keine Veränderungen erfahren haben. Das Unbewußte ist überhaupt

§ 3382

zeitlos. Der wichtigste und auch befremdendste Charakter der psychischen

§ 3383

Fixierung ist der, daß alle Eindrücke einerseits in der nämlichen Art

§ 3384

erhalten sind, wie sie aufgenommen wurden, und überdies noch in all den

§ 3385

Formen, die sie bei den weiteren Entwicklungen angenommen haben, ein

§ 3386

Verhältnis, welches sich durch keinen Vergleich aus einer anderen Sphäre

§ 3387

erläutern läßt. Der Theorie zufolge ließe sich also jeder frühere Zustand

§ 3388

des Gedächtnisinhaltes wieder für die Erinnerung herstellen, auch wenn

§ 3389

dessen Elemente alle ursprünglichen Beziehungen längst gegen neuere

§ 3390

eingetauscht haben.

§ 3391

XII. GESICHTSPUNKTE,

§ 3392

§ 3393

307

§ 3394

§ 3395

eine Unlust, etwas zu erinnern, was peinliche Empfindungen

§ 3396

erwecken kann. Wir gelangen zur Vermutung, daß dieses Motiv

§ 3397

im psychischen Leben sich ganz allgemein zu äußern strebt, aber

§ 3398

durch andere gegenwirkende Kräfte verhindert wird, sich irgend

§ 3399

wie regelmäßig durchzusetzen. Umfang und Bedeutung dieser

§ 3400

Erinnerungsunlust gegen peinliche Eindrücke scheinen der sorg

§ 3401

fältigsten psychologischen Prüfung wert zu sein; auch die Frage,

§ 3402

welche besonderen Bedingungen das allgemein angestrebte Ver

§ 3403

gessen in einzelnen Fällen ermöglichen, ist aus diesem weiteren

§ 3404

Zusammenhange nicht zu lösen. «Siyezu v buzish

§ 3405

§ 3406

Beim Vergessen von Vorsätzen tritt ein anderes Moment in

§ 3407

den Vordergrund; der beim Verdrängen des peinlich zu Erinnern

§ 3408

den nur vermutete Konflikt wird hier greifbar, und man er

§ 3409

kennt bei der Analyse der Beispiele regelmäßig einen Gegen

§ 3410

willen, der sich dem Vorsatz widersetzt, ohne ihn aufzuheben.

§ 3411

Wie bei früher besprochenen Fehlleistungen erkennt man auch

§ 3412

hier zwei Typen des psychischen Vorgangs; der Gegenwille

§ 3413

kehrt sich entweder direkt gegen den Vorsatz (bei Absichten

§ 3414

von einigem Belang), oder er ist dem Vorsatz selbst wesensfremd

§ 3415

und stellt seine Verbindung mit ihm durch eine äußerliche

§ 3416

Assoziation her (bei fast indifferenten Vorsätzen).

§ 3417

§ 3418

Derselbe Konflikt beherrscht die Phänomene des Vergreifens.

§ 3419

Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung äußert, ist

§ 3420

häufig ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein überhaupt fremder,

§ 3421

der nur die Gelegenheit benützt, sich bei der Ausführung der

§ 3422

Handlung durch eine Störung derselben zum Ausdruck zu

§ 3423

bringen. Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren

§ 3424

Widerspruch erfolgt, sind die bedeutsameren und betreffen auch

§ 3425

die wichtigeren Verrichtungen.

§ 3426

§ 3427

Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufalls- oder

§ 3428

Symptomhandlungen immer mehr zurück. Diese vom Bewußt

§ 3429

§ 3430

20*

§ 3431

308

§ 3432

XII. DETERMINISMUS. - ZUFALLS U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3433

§ 3434

sein gering geschätzten oder ganz übersehenen motorischen Äuße

§ 3435

rungen dienen so mannigfachen unbewußten oder zurückgehal

§ 3436

tenen Regungen zum Ausdruck; sie stellen meist Phantasien oder

§ 3437

Wünsche symbolisch dar.

§ 3438

§ 3439

Zur ersten Frage, welcher Herkunft die Gedanken und Re

§ 3440

gungen seien, die sich in den Fehlleistungen zum Ausdruck brin

§ 3441

gen, läßt sich sagen, daß in einer Reihe von Fällen die Herkunft

§ 3442

der störenden Gedanken von unterdrückten Regungen des Seelen

§ 3443

lebens leicht nachzuweisen ist. Egoistische, eifersüchtige, feind

§ 3444

selige Gefühle und Impulse, auf denen der Druck der moralischen

§ 3445

Erziehung lastet, bedienen sich bei Gesunden nicht selten des

§ 3446

Weges der Fehlleistungen, um ihre unleugbar vorhandene, aber

§ 3447

von höheren seelischen Instanzen nicht anerkannte Macht irgend

§ 3448

wie zu äußern. Das Gewährenlassen dieser Fehl- und Zufalls

§ 3449

handlungen entspricht zum guten Teile einer bequemen Duldung

§ 3450

des Unmoralischen. Unter diesen unterdrückten Regungen spielen

§ 3451

die mannigfachen sexuellen Strömungen keine geringfügige Rolle.

§ 3452

Es ist ein Zufall des Materials, wenn gerade sie so selten unter

§ 3453

den durch die Analyse aufgedeckten Gedanken in meinen Bei

§ 3454

spielen erscheinen. Da ich vorwiegend Beispiele aus meinem

§ 3455

eigenen Seelenleben der Analyse unterzogen habe, so war die

§ 3456

Auswahl von vornherein parteiisch und auf den Ausschluß des

§ 3457

Sexuellen gerichtet. Andere Male scheinen es höchst harmlose

§ 3458

Einwendungen und Rücksichten zu sein, aus denen die störenden

§ 3459

Gedanken entspringen.

§ 3460

§ 3461

Wir stehen nun vor der Beantwortung der zweiten Frage,

§ 3462

welche psychologischen Bedingungen dafür gelten, daß ein Ge

§ 3463

danke seinen Ausdruck nicht in voller Form, sonder in gleich

§ 3464

sam parasitärer, als Modifikation und Störung eines anderen

§ 3465

suchen müsse. Es liegt nach den auffälligsten Beispielen von

§ 3466

Fehlhandlung nahe, diese Bedingungen in einer Beziehung zur

§ 3467

XII. GESICHTSPUNKTE.

§ 3468

§ 3469

309

§ 3470

§ 3471

Bewußtseinsfähigkeit zu suchen, in dem mehr oder minder ent

§ 3472

schieden ausgeprägten Charakter des ,,Verdrängten". Aber die

§ 3473

Verfolgung durch die Reihe der Beispiele löst diesen Charakter

§ 3474

in immer mehr verschwommene Andeutungen auf. Die Neigung,

§ 3475

über etwas als zeitraubend hinwegzukommen, die Erwägung,

§ 3476

daß der betreffende Gedanke nicht eigentlich zur intendierten

§ 3477

Sache gehört, - scheinen als Motive für die Zurückdrängung

§ 3478

eines Gedankens, der dann auf den Ausdruck durch Störung eines

§ 3479

anderen angewiesen ist, dieselbe Rolle zu spielen wie die mora

§ 3480

lische Verurteilung einer unbotmäßigen Gefühlsregung oder die

§ 3481

Abkunft von völlig unbewußten Gedankenzügen. Eine Einsicht

§ 3482

in die allgemeine Natur der Bedingtheit von Fehl- und Zufalls- .

§ 3483

leistungen läßt sich auf diese Weise nicht gewinnen. Einer ein

§ 3484

zigen bedeutsamen Tatsache wird man bei diesen Untersuchungen

§ 3485

habhaft; je harmloser die Motivierung der Fehlleistung ist,

§ 3486

je weniger anstößig und darum weniger bewußtseinsunfähig der

§ 3487

Gedanke ist, der sich in ihr zum Ausdruck bringt, desto leichter

§ 3488

wird auch die Auflösung des Phänomens, wenn man ihm seine

§ 3489

Aufmerksamkeit zugewendet hat; die leichtesten Fälle des Ver

§ 3490

sprechens werden sofort bemerkt und spontan korrigiert. Wo

§ 3491

es sich um Motivierung durch wirklich verdrängte Regungen

§ 3492

handelt, da bedarf es zur Lösung einer sorgfältigen Ana

§ 3493

lyse, dei selbst zeitweise auf Schwierigkeiten stoßen oder

§ 3494

mißlingen kann.

§ 3495

§ 3496

Es ist also wohl berechtigt, das Ergebnis dieser letzten

§ 3497

Untersuchung als einen Hinweis darauf zu nehmen, daß die

§ 3498

befriedigende Aufklärung für die psychologischen Bedingungen

§ 3499

der Fehl- und Zufallshandlungen auf einem anderen Wege

§ 3500

und von anderer Seite her zu gewinnen ist. Der nachsich

§ 3501

tige Leser möge daher in diesen Auseinandersetzungen den

§ 3502

Nachweis der Bruchflächen sehen, an denen dieses Thema

§ 3503

310 XII, DETERMINISMUS. ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.

§ 3504

§ 3505

ziemlich künstlich aus einem größeren Zusammenhange heraus

§ 3506

§ 3507

gelöst wurde.

§ 3508

§ 3509

VII. Einige Worte sollen zum mindesten die Richtung nach

§ 3510

diesem weiteren Zusammenhange andeuten. Der Mechanismus

§ 3511

der Fehl- und Zufallshandlungen, wie wir ihn durch die An

§ 3512

wendung der Analyse kennen gelernt haben, zeigt in den wesent

§ 3513

lichsten Punkten eine Übereinstimmung mit dem Mechanismus

§ 3514

der Traumbildung, den ich in dem Abschnitt Traumarbeit"

§ 3515

meines Buches über die Traumdeutung auseinandergesetzt habe.

§ 3516

Die Verdichtungen und Kompromißbildungen (Kontaminationen)

§ 3517

findet man hier wie dort; die Situation ist die nämliche, daß

§ 3518

unbewußte Gedanken sich auf ungewöhnlichen Wegen, über

§ 3519

äußere Assoziationen, als Modifikation von anderen Gedanken

§ 3520

zum Ausdruck bringen. Die Ungereimtheiten, Absurditäten und

§ 3521

Irrtümer des Trauminhalts, denen zufolge der Traum kaum als

§ 3522

Produkt psychischer Leistung anerkannt wird, entstehen auf

§ 3523

dieselbe Weise, freilich mit freierer Benutzung der vorhandenen

§ 3524

Mittel, wie die gemeinen Fehler unseres Alltagslebens; hier

§ 3525

wie dort löst sich der Anschein inkorrekter Funk

§ 3526

tion durch die eigentümliche Interferenz zweier

§ 3527

oder mehrerer korrekter Leistungen. Aus diesem

§ 3528

Zusammentreffen ist ein wichtiger Schluß zu ziehen: Die eigen

§ 3529

tümliche Arbeitsweise, deren auffälligste Leistung wir im Traum

§ 3530

inhalt erkennen, darf nicht auf den Schlafzustand des Seelen

§ 3531

lebens zurückgeführt werden, wenn wir in den Fehlhandlungen

§ 3532

so reichliche Zeugnisse für ihre Wirksamkeit während des wachen

§ 3533

Lebens besitzen. Derselbe Zusammenhang verbietet uns auch.

§ 3534

tiefgreifenden Zerfall der Seelentätigkeit, krankhafte Zustände

§ 3535

der Funktion als die Bedingung dieser uns abnorm und fremd

§ 3536

artig erscheinenden psychischen Vorgänge anzusehen *.

§ 3537

§ 3538

Vgl. hiezu ,,Traumdeutung", S. 362. (5. Aufl., S. 449.)

§ 3539

XII. GESICHTSPUNKTE.

§ 3540

§ 3541

ONSELLO 311

§ 3542

§ 3543

Die richtige Beurteilung der sonderbaren psychischen Ar

§ 3544

beit, welche die Fehlleistung wie die Traumbilder entstehen

§ 3545

läßt, wird uns erst ermöglicht, wenn wir erfahren haben, daß

§ 3546

die psychoneurotischen Symptome, speziell die psychischen Bil

§ 3547

dungen der Hysterie und der Zwangsneurose, in ihrem Mecha

§ 3548

nismus alle wesentlichen Züge dieser Arbeitsweise wiederholen.

§ 3549

An dieser Stelle schlösse sich also die Fortsetzung unserer Unter

§ 3550

suchungen an. Für uns hat es aber noch ein besonderes Interesse,

§ 3551

die Fehl, Zufalls- und Symptomhandlungen in dem Lichte dieser

§ 3552

letzten Analogie zu betrachten. Wenn wir sie den Leistungen

§ 3553

der Psychoneurosen, den neurotischen Symptomen, gleichstellen,

§ 3554

gewinnen zwei oft wiederkehrende Behauptungen, daß die Grenze

§ 3555

zwischen nervöser Norm und Abnormität eine fließende, und

§ 3556

daß wir alle ein wenig nervös seien, Sinn und Unterlage. Man

§ 3557

kann sich vor aller ärztlichen Erfahrung verschiedene Typen

§ 3558

von solcher bloß angedeuteter Nervosität von formes frustes

§ 3559

der Neurosen- konstruieren: Fälle, in denen nur wenige Sym

§ 3560

ptome, oder diese selten oder nicht heftig auftreten, die Ab

§ 3561

schwächung also in die Zahl, in die Intensität, in die zeitliche

§ 3562

Ausbreitung der krankhaften Erscheinungen verlegen; viel

§ 3563

leicht würde man aber gerade den Typus nicht erraten, welcher

§ 3564

als der häufigste den Übergang zwischen Gesundheit und Krank.

§ 3565

heit zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende Typus, dessen

§ 3566

Krankheitsäußerungen die Fehl- und Symptomhandlungen sind,

§ 3567

zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß die Symptome in die

§ 3568

mindest wichtigen psychischen Leistungen verlegt sind, wäh

§ 3569

rend alles, was höheren psychischen Wert beanspruchen kann,

§ 3570

frei von Störung vor sich geht. Die gegenteilige Unterbringung

§ 3571

der Symptome, ihr Hervortreten an den wichtigsten individuellen

§ 3572

und sozialen Leistungen, so daß sie Nahrungsaufnahme und

§ 3573

Sexualverkehr, Berufsarbeit und Geselligkeit zu stören vermögen,

§ 3574

312 XII. DETERMINISMUS. ZUFALLS- UND ABERGLAUBEN ETC.

§ 3575

§ 3576

kommt den schweren Fällen von Neurose zu und charakterisiert diese besser als etwa die Mannigfaltigkeit oder die Lebhaftigkeit der Krankheitsäußerungen.

§ 3577

§ 3578

Der gemeinsame Charakter aber der leichtesten wie der schwersten Fälle, an dem auch die Fehl- und Zufallshandlungen Anteil haben, liegt in der Rückführbarkeit der Phäno mene auf unvollkommen unterdrücktes psychi sches Material, das, vom Bewußtsein abgedrängt, doch nicht jeder Fähigkeit, sich zu äußern, be raubt worden ist.