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§ 2§ 3
I
§ 4§ 5
Sigm. Freud
Zur§ 6Psychopathologie
des Alltagslebens§ 7§ 8
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Zur
Psychopathologie des Alltagslebens§ 11(Über Vergessen, Versprechen,
Vergreifen, Aberglaube und Irrtum)§ 12Von
§ 13Prof. Dr. Sigm. Freud
§ 14in Wien
§ 15Achte Auflage
§ 16"Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll." Faust, II. Teil, V. Akt.
§ 171922
Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m. b. H. Leipzig Wien. Zürich§ 18§ 19
Zur
Psychopathologie des Alltagslebens§ 20(Über Vergessen, Versprechen,
Vergreifen, Aberglaube und Irrtum) Von§ 21Prof. Dr. Sigm. Freud
§ 22in Wien
§ 23Achte Auflage
§ 24"Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll." Faust, II. Teil, V. Akt.
§ 251922
Internationaler Psychoanalytischer Verlag Ges. m. b. H. Leipzig Wien Zürich§ 26/
§ 27§ 28
Von diesem Buche sind folgende autorisierte Übersetzungen
erschienen:§ 29Eine russische von Dr. Medem 1909
§ 30Eine polnische von Dr. L. ]ekels und H. lvanka 1912
§ 31Eine englische von Dr. A. Brill 1914
§ 32Eine holländische von Dr. ]. Stärcke 1916
§ 33Alle Rechte vorbehalten.
§ 34Copyright 1922 by „Internationaler Psychoanalytischer Verlag“
Ges. m. b. H., Wien [.§ 35Druckv und \'erlquällaus Kur! Prochnskn m 'l‘buhechiik'lh'l'eirlmn.
§ 36§ 37
Inhaltsangabe.
§ 38[Vergessen von Eigennamen . , . . .
§ 39U. Vergessen von fremdspr\chigen Worten
III. Vergessen von Namen und Wortiulgen und Deckeriunemugeu \" Das Versprechen . . VI. Veriescu uud Versohreibon. . . . . . "H. Vergessen von Eindrücken und Vorsätzen _ .§ 40IV, Über Kindlneits—
§ 41VIH. 'Das V<xgreifen
§ 42iX Symptum- und Zufallshandhmgen
§ 43X. 1rriiimu
§ 44X1 Kombinierte l‘ehileistuugeu
§ 45XII. Determiuismus.
punkte§ 46Alfails— uud Abergizmben
§ 47Seite
§ 4810
15 52 63§ 49. 126
. 158 . 193§ 50. 229
§ 51261
§ 52. . . . . 277
— Gesichts§ 53. 288
§ 54§ 55
I.
VERGESSEN VON EIGENNAMEN.§ 56lm Jahrgang 1898 der Monatsschrift für Psychiatrie und
Neurologie habe ich unter dem Titel „Zum psychischen Mecha nismus der Vergeßlichkeit“ einen kleinen Aufsatz veröffent licht, dessen Inhalt ich hier wiederholen und zum Ausgang für weitere Erörterungen nehmen werde. Ich habe dort den häu figen Fall des zeitweiligen Vergessens von Eigennamen an einem prägnanten Beispiel aus meiner Selbstbeobachtung der psychologischen Analyse unterzogen und bin zu dem Ergebnis gelangt, daß dieser gewöhnliche und praktisch nicht sehr be deutsame Einzelvorfall von Versagen einer psychischen Funk tion — des Erinnerns — eine Aufklärung zuläßt, welche weit über die gebräuchliche Verwertung des Phänomens hinausführt.§ 57Wenn ich nicht sehr irre, würde ein Psycholog, von dem
man die Erklärung forderte, wie es zugehe, daß einem so oft ein Name nicht einfällt, den man doch zu kennen glaubt, sich begnügen zu antworten, daß Eigennamen dem Vergessen leichter unterliegen als andersartiger Gedächtnisinhalt. Er würde die plausiblen Gründe für solche Bevorzugung der Eigen namen anführen, eine anderweitige Bedingtheit des Vorgangs aber nicht vermuten.§ 58Für mich wurde zum Anlaß einer eingehenden Beschäftivergessen, sondern auch falsch erinnert. Dem sich um den entfallen den Namen Bemühenden kommen andere — Ersatznamen — zum Bewußtsein, die zwar sofort als unrichtig erkannt werden, sich aber doch mit großer Zähigkeit immer wieder aufdrängen. Der Vorgang, der zur Reproduktion des gesuchten Namens führen soll, hat sich gleichsam verschoben und so zu einem unrichtigen Ersatz geführt. Meine Voraussetzung ist nun, daß diese Verschiebung nicht psychischer Willkür über lassen ist, sondern gesetzmäßige und berechenbare Bahnen einhält. Mit anderen Worten, ich vermute, daß der oder die Ersatznamen in einem aufspürbaren Zusammenhang mit dem gesuchten Namen stehen, und hoffe, wenn es mir gelingt, diesen Zusammenhang nachzuweisen, dann auch Licht über den Hergang des Namenvergessens zu verbreiten.
gung mit dem Phänomen des zeitweiligen Namenvergessens die Beobachtung gewisser Einzelheiten, die sich zwar nicht in allen Fällen, aber in einzelnen deutlich genug erkennen lassen. In solchen Fällen wird nämlich nicht nur § 59In dem 1898 von mir zur Analyse gewählten Beispiel warOrvieto die großartigen Fresken von den „letzten Dingen“ geschaffen, den zu erinnern ich mich vergebens bemühte. Anstatt des ge suchten Namens — Signorelli — drängten sich mir zwei andere Namen von Malern auf — Botticelli und Boltraffio —, die mein Urteil sofort und entschieden als unrichtig abwies. Als mir der richtige Name von fremder Seite mitge teilt wurde, erkannte ich ihn sogleich und ohne Schwanken. Die Untersuchung, durch welche Einflüsse und auf welchen Assoziationswegen sich die Reproduktion in solcher Weise — von Signorelli auf Botticelli und Boltraffio — ver schoben hatte, führte zu folgenden Ergebnissen:
es der Name des Meisters, welcher im Dom von § 60a) Der Grund für das Entfallen des Namens Signorelli ist weder in einer Besonderheit dieses Namens selbst noch in einem psychologischen Charakter des Zusammenhanges zu suchen, in welchen derselbe eingefügt war. Der vergessene Name war mir ebenso vertraut wie der eine der Ersatznamen — Botticelli — und ungleich vertrauter als der andere der Ersatznamen — Boltraffio —, von dessen Träger ich kaum etwas anderes anzugeben wüßte als seine Zugehörigkeit zur mailändischen Schule. Der Zusammenhang aber, in dem sich das Namervergessen ereignete, erscheint mir harmlos und führt zu keiner weiteren Aufklärung: Ich machte mit einem Fremden eine Wagenfahrt von Ragusa in Dalmatien nach einer Station der Herzegowina; wir kamen auf das Reisen in Italien zu sprechen, und ich fragte meinen Reisegefährten, ob er schon in Orvieto gewesen und dort die berühmten Fresken des *** besichtigt habe.
§ 61b) Das Namenvergessen erklärt sich erst, wenn ich mich an das in jener Unterhaltung unmittelbar vorhergehende Thema erinnere, und gibt sich als eine Störung des neu auftauchenden Themas durch das vorhergehende zu er kennen. Kurz ehe ich an meinen Reisegefährten die Frage stellte, ob er schon in Orvieto gewesen, hatten wir uns über die Sitten der in Bosnien und in der Herzegowina leben den Türken unterhalten. Ich hatte erzählt, was ich von einem unter diesen Leuten praktizierenden Kollegen gehört hatte, daß sie sich voll Vertrauen in den Arzt und voll Ergebung in das Schicksal zu zeigen pflegen. Wenn man ihnen ankündigen muß, daß es für den Kranken keine Hilfe gibt, so antworten sie: „Herr, was ist da zu sagen? Ich weiß, wenn er zu retten wäre, hättest du ihn gerettet!“ — Erst in diesen Sätzen finden sich die Worte und Namen: Bosnien, Herzegowina, Herr vor, welche sich in eine Assoziationsreihe zwischen Signorelli — Botticelli und Boltraffio einschalten lassen.
§ 62c) Ich nehme an, daß der Gedankenreihe von den Sitten der Türken in Bosnien usw. die Fähigkeit, einen nächsten Ge danken zu stören, darum zukam, weil ich ihr meine Aufmerk samkeit entzogen hatte, ehe sie noch zu Ende gebracht war. Ich erinnere nämlich, daß ich eine zweite Anekdote erzählen wollte, die nahe bei der ersten in meinem Gedächtnis ruhte. Diese Türken schätzen den Sexualgenuß über alles und ver fallen bei sexuellen Störungen in eine Verzweiflung, welche seltsam gegen ihre Resignation bei Todesgefahr absticht. Einer der Patienten meines Kollegen hatte ihm einmal gesagt: „Du weißt ja, Herr, wenn das nicht mehr geht, dann hat das Leben keinen Wert.“ Ich unterdrückte die Mitteilung dieses charakteristischen Zuges, weil ich das heikle Thema nicht im Gespräch mit einem Fremden berühren wollte. Ich tat aber noch mehr; ich lenkte meine Aufmerksamkeit auch von der Fortsetzung der Gedanken ab, die sich bei mir an das Thema „Tod und Sexualität“ hätten knüpfen können. Ich stand da mals unter der Nachwirkung einer Nachricht, die ich wenige Wochen vorher während eines kurzen Aufenthaltes in Trafoi erhalten hatte. Ein Patient, mit dem ich mir viele Mühe ge geben, hatte wegen einer unheilbaren sexuellen Störung seinem Leben ein Ende gemacht. Ich weiß bestimmt, daß mir auf jener Reise in die Herzegowina dieses traurige Ereignis und alles, was damit zusammenhängt, nicht zur bewußten Erinne rung kam. Aber die Übereinstimmung Trafoi — Boltraffio nötigt mich anzunehmen, daß damals diese Reminiszenz trotz der absichtlichen Ablenkung meiner Aufmerksamkeit in mir zur Wirksamkeit gebracht worden ist.
§ 63d) Ich kann das Vergessen des Namens Signorelli nicht mehr als ein zufälliges Ereignis auffassen. Ich muß den Ein fluß eines Motivs bei diesem Vorgang anerkennen. Es waren Motive, die mich veranlaßten, mich in der Mitteilung meiner Gedanken (über die Sitten der Türken usw.) zu unterbrechen, und die mich ferner beeinflußten, die daran sich knüpfenden Gedanken, die bis zur Nachricht in Trafoi geführt hätten, in mir vom Bewußtwerden auszuschließen. Ich wollte also etwas vergessen, ich hatte etwas verdrängt. Ich wollte allerdings etwas anderes vergessen als den Namen des Meisters von Or vieto; aber dieses andere brachte es zu stande, sich mit dessen Namen in assoziative Verbindung zu setzen, so daß mein Willensakt das Ziel verfehlte und ich das eine wider Willen vergaß, während ich das andere mit Absicht ver gessen wollte. Die Abneigung, zu erinnern, richtete sich gegen den einen Inhalt; die Unfähigkeit, zu erinnern, trat an einem anderen hervor. Es wäre offenbar ein einfacherer Fall, wenn Abneigung und Unfähigkeit, zu erinnern, denselben Inhalt be träfen. — Die Ersatznamen erscheinen mir auch nicht mehr so völlig unberechtigt wie vor der Aufklärung; sie mahnen mich (nach Art eines Kompromisses) ebenso sehr an das, was ich vergessen, wie an das, was ich erinnern wollte, und zeigen mir, daß meine Absicht, etwas zu vergessen, weder ganz ge lungen, noch ganz mißglückt ist.
§ 64e) Sehr auffällig ist die Art der Verknüpfung, die sich zwi schen dem gesuchten Namen und dem verdrängten Thema (von Tod und Sexualität usw., in dem die Namen Bosnien, Herzego wina, Trafoi vorkommen) hergestellt hat. Das hier eingeschal tete, aus der Abhandlung des Jahres 1898 wiederholte Schema sucht diese Verknüpfung anschaulich darzustellen.
§ 65Der Name Signorelli ist dabei in zwei Stücke zerlegt worelli), das andere hat durch die Über setzung Signor — Herr mehrfache und verschiedenartige Be ziehungen zu den im verdrängten Thema enthaltenen Namen gewonnen, ist aber dadurch für die Reproduktion verloren ge gangen. Sein Ersatz hat so stattgefunden, als ob eine Verschie bung längs der Namenverbindung „Herzegowina und Bosnien“ vorgenommen wäre, ohne Rücksicht auf den Sinn und auf die akustische Abgrenzung der Silben zu nehmen. Die Namen sind also bei diesem Vorgang ähnlich behandelt worden wie die Schriftbilder eines Satzes, der in ein Bilderrätsel (Rebus) um gewandelt werden soll. Von dem ganzen Hergang, der anstatt des Namens Signorelli auf solchen Wegen die Ersatznamen geschaffen hat, ist dem Bewußtsein keine Kunde gegeben worden. Eine Beziehung zwischen dem Thema, in dem der Name Signorelli vorkam, und dem zeitlich ihm vorangehenden verdrängten Thema, welche über diese Wiederkehr gleicher Silben (oder vielmehr Buchstabenfolgen) hinausginge, scheint zunächst nicht auffindbar zu sein.
den. Das eine Silbenpaar ist in einem der Ersatznamen unver ändert wiedergekehrt ( § 66Es ist vielleicht nicht überflüssig zu bemerken, daß die vonMotiv hin zugefügt und überdies den Mechanismus des Fehlerinnerns klargelegt. Jene Dispositionen sind auch für unseren Fall unentbehrlich, um die Möglichkeit zu schaffen, daß das ver drängte Element sich assoziativ des gesuchten Namens be mächtige und es mit sich in die Verdrängung nehme. Bei einem anderen Namen mit günstigeren Reproduktionsbedingungen wäre dies vielleicht nicht geschehen. Es ist ja wahrscheinlich, daß ein unterdrücktes Element allemal bestrebt ist, sich irgendwo anders zur Geltung zu bringen, diesen Erfolg aber nur dort erreicht, wo ihm geeignete Bedingungen entgegen kommen. Andere Male gelingt die Unterdrückung ohne Funk tionsstörung, oder, wie wir mit Recht sagen können, ohne Symptome.
den Psychologen angenommenen Bedingungen der Reproduk tion und des Vergessens, die in gewissen Relationen und Dis positionen gesucht werden, durch die vorstehende Aufklärung einen Widerspruch nicht erfahren. Wir haben nur für gewisse Fälle zu all den längst anerkannten Momenten, die das Ver gessen eines Namens bewirken können, noch ein § 67Die Zusammenfassung der Bedingungen für das Vergessenäußerliche Assoziation zwischen dem betreffenden Namen und dem vorher unterdrückten Element herzustellen. Letz tere Bedingung wird man wahrscheinlich nicht sehr hoch veranschlagen müssen, da bei den geringen Ansprüchen an die Assoziation eine solche in den allermeisten Fällen durchzu setzen sein dürfte. Eine andere und tiefer reichende Frage ist es, ob eine solche äußerliche Assoziation wirklich die ge— nügende Bedingung dafür sein kann, daß das verdrängte Ele ment die Reproduktion des gesuchten Namens störe, ob nicht doch notwendig ein intimerer Zusammenhang der beiden Themata erforderlich wird. Bei oberflächlicher Betrachtung würde man letztere Forderung abweisen wollen und das zeit liche Aneinanderstoßen bei völlig disparatem Inhalt für ge nügend halten. Bei eingehender Untersuchung findet man aber immer häufiger, daß die beiden durch eine äußerliche Assozia tion verknüpften Elemente (das verdrängte und das neue) außerdem einen inhaltlichen Zusammenhang besitzen, und auch in dem Beispiel Signorelli läßt sich ein solcher erweisen.
eines Namens mit Fehlerinnern ergibt also: 1. eine gewisse Disposition zum Vergessen desselben, 2. einen kurz vorher abgelaufenen Unterdrückungsvorgang, 3. die Möglichkeit, eine § 68Der Wert der Einsicht, die wir bei der Analyse des BeiSignorelli gewonnen haben, hängt natürlich davon ab, ob wir diesen Fall für ein typisches oder für ein verein zeltes Vorkommnis erklären wollen. Ich muß nun behaupten, daß das Namenvergessen mit Fehlerinnern ungemein häufig so zugeht, wie wir es im Falle: Signorelli aufgelöst haben. Fast allemal, da ich dies Phänomen bei mir selbst beobachten konnte, war ich auch im stande, es mir in der vorerwähnten Weise als durch Verdrängung motiviert zu erklären. Ich muß auch noch einen anderen Gesichtspunkt zu Gunsten der typi schen Natur unserer Analyse geltend machen. Ich glaube, daß man nicht berechtigt ist, die Fälle von Namenvergessen mit Fehlerinnern prinzipiell von solchen zu trennen, in denen sich unrichtige Ersatznamen nicht eingestellt haben. Diese Ersatznamen kommen in einer Anzahl von Fällen spontan; in anderen Fällen, wo sie nicht spontan aufgetaucht sind, kann man sie durch Anstrengung der Aufmerksamkeit zum Auftauchen zwingen, und sie zeigen dann die nämlichen Be ziehungen zum verdrängten Element und zum gesuchten Na men, wie wenn sie spontan gekommen wären. Für das Be wußtwerden des Ersatznamens scheinen zwei Momente maß gebend zu sein, erstens die Bemühung der Aufmerksamkeit, zweitens eine innere Bedingung, die am psychischen Material haftet. Ich könnte letztere in der größeren oder geringeren Leichtigkeit suchen, mit welcher sich die benötigte äußerliche Assoziation zwischen den beiden Elementen herstellt. Ein guter Teil der Fälle von Namenvergessen ohne Fehlerinnern schließt sich so den Fällen mit Ersatznamenbildung an, für welche der Mechanismus des Beispiels Signorelli gilt. Ich werde aber mich gewiß nicht der Behauptung erkühnen, daß alle Fälle von Namenvergessen in die nämliche Gruppe ein zureihen seien. Es gibt ohne Zweifel Fälle von Namen vergessen, die weit einfacher zugehen. Wir werden den Sach verhalt wohl vorsichtig genug dargestellt haben, wenn wir aussprechen: Neben dem einfachen Vergessen von Eigennamen kommt auch ein Vergessen vor, welches durch Verdrängung motiviert ist.
spiels § 69II.
§ 70VERGESSEN VON FREMDSPRACHIGEN WORTEN.
§ 71Der gebräuchliche Sprachschatz unserer eigenen SpracheSignorelli enthüllt hat. Ich werde zum Beweise hiefür eine einzige, aber durch wertvolle Eigentümlichkeiten ausgezeichnete Analyse mitteilen, die den Fall des Vergessens eines nicht sub stantivischen Wortes aus einem lateinischen Zitat betrifft. Man gestatte mir, den kleinen Vorfall breit und anschaulich vorzutragen.
scheint innerhalb der Breite normaler Funktion gegen das Ver gessen geschützt. Anders steht es bekanntlich mit den Voka beln einer fremden Sprache. Die Disposition zum Vergessen derselben ist für alle Redeteile vorhanden, und ein erster Grad von Funktionsstörung zeigt sich in der Ungleichmäßigkeit unserer Verfügung über den fremden Sprachschatz, je nach unserem Allgemeinbefinden und dem Grade unserer Ermüdung. Dieses Vergessen geht in einer Reihe von Fällen nach dem selben Mechanismus vor sich, den uns das Beispiel § 72Im letzten Sommer erneuerte ich — wiederum auf derVergil schen Vers, in dem die unglückliche Dido ihre Rache an Aeneas der Nachwelt überträgt: Exoriare...., vielmehr er wollte so schließen, denn er brachte das Zitat nicht zu stande und suchte eine offenkundige Lücke der Erinnerung durch Umstellung von Worten zu verdecken: Exoriar(e) ex nostris ossibus ultor! Endlich sagte er geärgert: „Bitte, machen Sie nicht ein so spöttisches Gesicht, als ob Sie sich an meiner Ver legenheit weiden würden, und helfen Sie mir lieber. An dem Vers fehlt etwas. Wie heißt er eigentlich vollständig?“
Ferienreise — die Bekanntschaft eines jungen Mannes von akademischer Bildung, der, wie ich bald merkte, mit einigen meiner psychologischen Publikationen vertraut war. Wir waren im Gespräch — ich weiß nicht mehr wie — auf die soziale Lage des Volksstammes gekommen, dem wir beide angehören, und er, der Ehrgeizige, erging sich in Bedauern darüber, daß seine Generation, wie er sich äußerte, zur Ver kümmerung bestimmt sei, ihre Talente nicht entwickeln und ihre Bedürfnisse nicht befriedigen könne. Er schloß seine leidenschaftlich bewegte Rede mit dem bekannten § 73Gerne, erwiderte ich und zitierte, wie es richtig lautet:
§ 74"Exoriar(e) aliquis nostris ex ossibus ultor!"
§ 75„Zu dumm, ein solches Wort zu vergessen. Übrigens von
Ihnen hört man ja, daß man nichts ohne Grund vergißt. Ich wäre doch zu neugierig zu erfahren, wie ich zum Vergessen dieses unbestimmten Pronomen aliquis komme.“§ 76Ich nahm diese Herausforderung bereitwilligst an, da ichaufrichtig und kritiklos alles mitzuteilen, was Ihnen einfällt, wenn Sie ohne bestimmte Absicht Ihre Aufmerksam keit auf das vergessene Wort richten**.
einen Beitrag zu meiner Sammlung erhoffte. Ich sagte also: Das können wir gleich haben. Ich muß sie nur bitten, mir § 77„Gut, da komme ich also auf den lächerlichen Einfall,liquis.“
mir das Wort in folgender Art zu zerteilen: a und * Dies ist der allgemeine Weg, um Vorstellungselemente, die sich verbergen, dem Bewußtsein zuzuführen. Vgl. meine „Traumdeutung“, p. 69. (5. Aufl., p. 71.) § 78Was soll das? — „Weiß ich nicht.“ — Was fällt IhnenReliquien — Liquidation — Flüssigkeit — Fluid. Wissen Sie jetzt schon etwas?“
weiter dazu ein? — „Das setzt sich so fort: § 79Nein, noch lange nicht. Aber fahren Sie fort.
§ 80„Ich denke“, fuhr er höhnisch lachend fort, „an Simon von Trient, dessen Reliquien ich vor zwei Jahren in einer Kirche in Trient gesehen habe. Ich denke an die Blutbeschuldi gung, die gerade jetzt wieder gegen die Juden erhoben wird, und an die Schrift von Kleinpaul, der in all diesen angeb lichen Opfern Inkarnationen, sozusagen Neuauflagen, des Hei lands sieht.“
§ 81Der Einfall ist nicht ganz ohne Zusammenhang mit dem
Thema, über das wir uns unterhielten, ehe Ihnen das latei nische Wort entfiel.§ 82„Richtig. Ich denke ferner an einen Zeitungsartikel inAugustinus über die Frauen sagt. Was machen Sie damit?“
einem italienischen Journal, den ich kürzlich gelesen. Ich glaube, er war überschrieben: Was der hl. § 83Ich warte.
§ 84„Also jetzt kommt etwas, was ganz gewiß außer Zu
sammenhang mit unserem Thema steht.“§ 85Enthalten Sie sich gefälligst jeder Kritik und —
§ 86„Ich weiß schon. Ich erinnere mich eines prächtigen altenOriginal. Er sieht aus wie ein großer Raubvogel. Er heißt, wenn Sie es wissen wollen, Benedikt.“
Herrn, den ich vorige Woche auf der Reise getroffen. Ein wahres § 87Doch wenigstens eine Aneinanderreihung von HeiligenSimon, St. Augustinus, St. Benediktus. Ein Kirchenvater hieß, glaube ich,Origines. Drei dieser Namen sind übrigens auch Vornamen wie Paul im Namen Kleinpaul.
und Kirchenvätern: Der heilige § 88„Jetzt fällt mit der heilige Januarius ein und sein Blutwunder — ich finde, das geht mechanisch so weiter.“
§ 89Lassen Sie das; der heilige Januarius und der heilige Augustinus haben beide mit dem Kalender zu tun. Wollen Sie mich nicht an das Blutwunder erinnern?
§ 90„Das werden Sie doch kennen! In einer Kirche zu Neapelflüssig wird. Das Volk hält viel auf dieses Wun der und wird sehr aufgeregt, wenn es sich verzögert, wie es einmal zur Zeit einer französischen Okkupation geschah. Da nahm der kommandierende General — oder irre ich mich? war es Garibaldi? — den geistlichen Herrn beiseite und be deutete ihm mit einer sehr verständlichen Gebärde auf die draußen aufgestellten Soldaten, er hoffe, das Wunder werde sich sehr bald vollziehen. Und es vollzog sich wirklich. . .“
wird in einer Phiole das Blut des heiligen Januarius aufbe wahrt, welches durch ein Wunder an einem bestimmten Fest tag wieder § 91Nun und weiter? Warum stocken Sie?
§ 92„Jetzt ist mir allerdings etwas eingefallen. . . . das ist aber
zu intim für die Mitteilung. . . . Ich sehe übrigens keinen Zusammenhang und keine Nötigung, es zu erzählen.“§ 93Für den Zusammenhang würde ich sorgen. Ich kann Sie
ja nicht zwingen zu erzählen, was Ihnen unangenehm ist; dann verlangen Sie aber auch nicht von mir zu wissen, auf welchem Wege Sie jenes Wort „aliquis“ vergessen haben.§ 94„Wirklich? Glauben Sie? Also ich habe plötzlich an eine
Dame gedacht, von der ich leicht eine Nachricht bekommen könnte, die uns beiden recht unangenehm wäre.“§ 95Daß ihr die Periode ausgeblieben ist?
§ 96„Wie können Sie das erraten?“
§ 97Das ist nicht mehr schwierig. Sie haben mich genügendKalenderheiligen, an das Flüssigwerden des Blutes zu einem bestimmten Tage, den Aufruhr, wenn das Ereignis. . . . Sie haben ja nicht eintritt, die deutliche Drohung, daß das Wunder vor sich gehen muß, sonst das Wunder des heiligen Januarius zu einer prächtigen An spielung auf die Periode der Frau verarbeitet.
darauf vorbereitet. Denken Sie an die § 98,Ohne daß ich es gewußt hätte. Und Sie meinen wirklich,aliquis‘ nicht reproduzieren können?“
wegen dieser ängstlichen Erwartung hätte ich das Wörtchen ,§ 99Das scheint mir unzweifelhaft. Erinnern Sie sich doch ana—liquis und an die Assoziationen: Reliquien, Liquidation, Flüssigkeit. Soll ich noch den als Kind hingeopferten heiligen Simon, auf den Sie von den Reliquien her kamen, in den Zusammenhang einflechten?
Ihre Zerlegung in § 100„Tun Sie das lieber nicht. Ich hoffe, Sie nehmen diese
Gedanken, wenn ich sie wirklich gehabt habe, nicht für Ernst. Ich will Ihnen dafür gestehen, daß die Dame Italienerin ist, in deren Gesellschaft ich auch Neapel besucht habe. Kann das aber nicht alles Zufall sein?"§ 101Ich muß es Ihrer eigenen Beurteilung überlassen, ob Sie
sich alle diese Zusammenhänge durch die Annahme eines Zu falls aufklären können. Ich sage Ihnen aber, jeder ähnliche Fall, den Sie analysieren wollen, wird Sie auf ebenso merk würdige „Zufälle“ führen.§ 102Ich habe mehrere Gründe, diese kleine Analyse, für derenohne Ersatzerinnern beleuchtet und meinen vorhin aufgestellten Satz bestätigt, daß das Auf tauchen oder Ausbleiben von unrichtigen Ersatzerinnerungen eine wesentliche Unterscheidung nicht begründen kann**.
Überlassung ich meinem damaligen Reisegenossen Dank schulde, zu schätzen. Erstens, weil mir in diesem Falle ge stattet war, aus einer Quelle zu schöpfen, die mir sonst ver sagt ist. Ich bin zumeist genötigt, die Beispiele von psychi scher Funktionsstörung im täglichen Leben, die ich hier zu sammenstelle, meiner Selbstbeobachtung zu entnehmen. Das weit reichere Material, das mir meine neurotischen Patienten liefern, suche ich zu vermeiden, weil ich den Einwand fürchten muß, die betreffenden Phänomene seien eben Erfolge und Äußerungen der Neurose. Es hat also besonderen Wert für meine Zwecke, wenn sich eine nervengesunde fremde Person zum Objekt einer solchen Untersuchung erbietet. In anderer Hinsicht wird mir diese Analyse bedeutungsvoll, indem sie einen Fall von Wortvergessen * Feinere Beobachtung schränkt den Gegensatz zwischen der Ana lyse: Signorelli und der: aliquis betreffs der Ersatzerinnerungen um einiges ein. Auch hier scheint nämlich das Vergessen von einer Ersatz bildung begleitet zu sein. Als ich an meinen Partner nachträglich die Frage stellte, ob ihm bei seinen Bemühungen, das fehlende Wort zu erinnern, nicht irgend etwas zum Ersatz eingefallen sei, berichtete er, daß er zu nächst die Versuchung verspürt habe, ein ab in den Vers zu bringen: nostris ab ossibus (vielleicht das unverknüpfte Stück von a-liquis) und dann, daß sich ihm das Exoriare besonders deutlich und hartnäckig aufgedrängt habe. Als Skeptiker setzte er hinzu, offenbar weil es das erste Wort des Verses war. Als ich ihn hat, doch auf die Assoziationen von Exoriare aus zu achten, gab er mir Exorzismus an. Ich kann mir also sehr wohl denken, daß die Verstärkung von Exoriare in der Repro duktion eigentlich den Wert einer solchen Ersatzbildung hatte. Dieselbe wäre über die Assoziation: Exorzismus von den Namen der Heiligen her erfolgt. Indes sind dies Feinheiten, auf die man keinen Wert zu legen braucht. — Es erscheint nun aber wohl möglich, daß das Auftreten irgend einer Art von Ersatzerinnerung ein konstantes, vielleicht auch nur ein charakteristisches und verräterisches Zeichen des tendenziösen, durch Verdrängung motivierten Vergessens ist. Diese Ersatzbildung bestände auch dort, wo das Auftauchen unrichtiger Ersatznamen ausbleibt, in der Verstärkung eines Elementes, welches dem vergessenen benachbart ist. Im Falle: Signorelli war z. B., solange mir der Name des Malers unzu gänglich blieb, die visuelle Erinnerung an den Zyklus von Fresken und an sein in der Ecke eines Bildes angebrachtes Selbstporträt überdeutlich, jedenfalls weit intensiver, als visuelle Erinnerungsspuren sonst bei mir auftreten. In einem anderen Falle, der gleichfalls in der Abhandlung von 1898 mitgeteilt ist, hatte ich von der Adresse eines mir unbequemen Besuches in einer fremden Stadt den Straßennamen hoffnungslos ver gessen, die Hausnummer aber wie zum Spott — überdeutlich gemerkt, während sonst das Erinnern von Zahlen mir die größte Schwierigkeit bereitet. § 103Der Hauptwert des Beispiels: aliquis ist aber in einem anderen seiner Unterschiede von dem Falle: Signorelli ge legen. Im letzteren Beispiel wird die Reproduktion des Na mens gestört durch die Nachwirkung eines Gedankenganges, der kurz vorher begonnen und abgebrochen wurde, dessen In halt aber in keinem deutlichen Zusammenhang mit dem neuen Thema stand, in dem der Name Signorelli enthalten war. Zwischen dem verdrängten und dem Thema des vergessenen Namens bestand bloß die Beziehung der zeitlichen Kontiguität; dieselbe reichte hin, damit sich die beiden durch eine äußer Iiche Assoziation in Verbindung setzen konnten**. Im Beispiel: aliquis hingegen ist von einem solchen unabhängigen ver drängten Thema, welches unmittelbar vorher das bewußte Denken beschäftigt hätte und nun als Störung nachklänge, nichts zu merken. Die Störung der Reproduktion erfolgt hier aus dem Innern des angeschlagenen Themas heraus, indem sich unbewußt ein Widerspruch gegen die im Zitat dargestellte Wunschidee erhebt. Man muß sich den Hergang in folgender Art konstruieren: Der Redner hat bedauert, daß die gegen wärtige Generation seines Volkes in ihren Rechten verkürzt wird; eine neue Generation, weissagt er wie Dido, wird die Rache an den Bedrängten übernehmen. Er hat also den Wunsch nach Nachkommenschaft ausgesprochen. In diesem Moment fährt ihm ein widersprechender Gedanke dazwischen. „Wün schest du dir Nachkommenschaft wirklich so lebhaft? Das ist nicht wahr. In welche Verlegenheit kämest du, wenn du jetzt die Nachricht erhieltest, daß du von der einen Seite, die du kennst, Nachkommen zu erwarten hast? Nein, keine Nach kommenschaft, — wiewohl wir sie für die Rache brauchen.“ Dieser Widerspruch bringt sich nun zur Geltung, indem er ge nau wie im Beispiel: Signorelli eine äußerliche Assoziation zwi schen einem seiner Vorstellungselemente und einem Element des beanstandeten Wunsches herstellt, und zwar diesmal auf eine höchst gewaltsame Weise durch einen gekünstelt erscheinenden Assoziationsumweg. Eine zweite wesentliche Übereinstimmung mit dem Beispiel Signorelli ergibt sich daraus, daß der Wider spruch aus verdrängten Quellen stammt und von Gedanken aus geht, welche eine Abwendung der Aufmerksamkeit hervorrufen würden. — Soviel über die Verschiedenheit und über die innere Verwandtschaft der beiden Paradigmata des Namenvergessens. Wir haben einen zweiten Mechanismus des Vergessens kennen gelernt, die Störung eines Gedankens durch einen aus dem Ver drängten kommenden inneren Widerspruch. Wir werden die sem Vorgang, der uns als der leichter verständliche erscheint, im Laufe dieser Erörterungen noch wiederholt begegnen.
* Ich möchte für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges zwi schen den beiden Gedankenkreisen im Falle Signorelli nicht mit voller Überzeugung einstehen. Bei sorgfältiger Verfolgung der verdrängten Ge danken über das Thema von Tod und Sexualleben stößt man doch auf eine Idee, die sich mit dem Thema der Fresken von Orvieto nahe berührt. § 104III.
§ 105VERGESSEN VON NAMEN UND WORTFOLGEN.
§ 106Erfahrungen, wie die eben erwähnte, über den Hergang des
Vergessens eines Stückes aus einer fremdsprachigen Wortfolge können die Wißbegierde rege machen, ob denn das Vergessen von Wortfolgen in der Muttersprache eine wesentlich andere Aufklärung erfordere. Man pflegt zwar nicht verwundert zu sein, wenn man eine auswendig gelernte Formel oder ein Ge dicht nach einiger Zeit nur ungetreu, mit Abänderungen und Lücken reproduzieren kann. Da aber dieses Vergessen das im Zusammenhang Erlernte nicht gleichmäßig betrifft, sondern wiederum einzelne Stücke daraus loszubröckeln scheint, könnte es sich der Mühe verlohnen, einzelne Beispiele von solcher fehlerhaft gewordenen Reproduktion analytisch zu untersuchen.§ 107Ein jüngerer Kollege, der im Gespräche mit mir die VerVon Korinthus nach Athen gezogen‘,“ fragte er, „oder ,Nach Korinthus von Athen ge zogen‘.“ Auch ich war einen Moment lange schwankend, bis ich lachend bemerkte, daß der Titel des Gedichtes „Die Braut von Korinth“ ja keinen Zweifel darüber lasse, welchen Weg der Jüngling ziehe. Die Reproduktion der ersten Strophe ging dann glatt oder wenigstens ohne auffällige Verfälschung vor sich. Nach der ersten Zeile der zweiten Strophe schien der Kollege eine Weile zu suchen; er setzte bald fort und re zitierte also:
mutung äußerte, das Vergessen von Gedichten in der Mutter sprache könnte wohl ähnlich motiviert sein wie das Vergessen einzelner Elemente in einer fremdsprachigen Wortfolge, erbot sich zugleich zum Untersuchungsobjekt. Ich fragte ihn, an welchem Gedichte er die Probe machen wolle, und er wählte „Die Braut von Korinth“, welches Gedicht er sehr liebe und wenigstens strophenweise auswendig zu kennen glaube. Zu Beginn der Reproduktion traf sich ihm eine eigentlich auf fällige Unsicherheit, „Heißt es: ,§ 108"Aber wird er auch willkommen scheinen, Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt? Denn er ist noch Heide mit den Seinen Und sie sind Christen und — getauft."
§ 109Ich hatte schon vorher wie befremdet aufgehorcht; nach
dem Schlusse der letzten Zeile waren wir beide einig, daß hier eine Entstellung stattgefunden habe. Da es uns aber nicht ge lang, dieselbe zu korrigieren, eilten wir zur Bibliothek, um Goethes Gedichte zur Hand zu nehmen, und fanden zu unserer Überraschung, daß die zweite Zeile dieser Strophe einen völlig anderen Wortlaut habe, der vom Gedächtnis des Kollegen gleichsam herausgeworfen und durch etwas anscheinend frem des ersetzt worden war. Es hieß richtig:§ 110„ "Aber wird er auch willkommen scheinen,Wenn er teuer nicht die Gunst erkauft." “
§ 111Auf „erkauft“ reimte „getauft“, und es schien mir sonder
bar, daß die Konstellation: Heide, Christen und getauft, ihn bei der Wiederherstellung des Textes so wenig gefördert hatte.§ 112Können Sie sich erklären, fragte ich den Kollegen, daß
Sie in dem Ihnen angeblich so wohl vertrauten Gedichte die Zeile so vollständig gestrichen haben, und haben Sie eine Ahnung, aus welchem Zusammenhang Sie den Ersatz holen konnten?§ 113Er war im stande, Aufklärung zu geben, obwohl er es offen
bar nicht sehr gerne tat. „Die Zeile: Jetzt, wo jeder Tag was Neues bringt, kommt mir bekannt vor; ich muß diese Worte vor kurzem mit Bezug auf meine Praxis gebraucht haben, mit deren Aufschwung ich, wie Sie wissen, gegenwärtig sehr zu frieden bin. Wie dieser Satz aber dahinein gehört? Ich wüßte einen Zusammenhang. Die Zeile ,wenn er teuer nicht die Gunst erkauft‘ war mir offenbar nicht angenehm. Es hängt das mit einer Bewerbung zusammen, die ein erstes Mal abge schlagen worden ist, und die ich jetzt mit Rücksicht auf meine sehr gebesserte materielle Lege zu wiederholen ge denke. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, aber es kann mir doch gewiß nicht lieb sein, wenn ich jetzt angenommen werde, mich daran zu erinnern, daß eine Art von Berechnung damals wie nun den Ausschlag gegeben hat.“§ 114Das erschien mir einleuchtend, auch ohne daß ich die
näheren Umstände zu wissen brauchte. Aber ich fragte weiter: Wie kommen Sie überhaupt dazu, sich und Ihre privaten Ver hältnisse in den Text der „Braut von Korinth“ zu mengen? Be stehen vielleicht in Ihrem Falle solche Unterschiede der Re ligionsbekenntnisse, wie sie im Gedichte zur Bedeutung kommen?§ 115( "Keimt ein Glaube neu,) wird oft Lieb’ und Treu wie ein böses Unkraut ausgerauft."
§ 116Ich hatte nicht richtig geraten, aber es war merkwürdig zu
erfahren, wie die eine wohlgezielte Frage den Mann plötzlich hellsehend machte, so daß er mir als Antwort bringen konnte, was ihm sicherlich bis dahin selbst unbekannt geblieben war. Er sah mich mit einem gequälten und auch unwilligen Blick an, murmelte eine spätere Stelle des Gedichtes vor sich hin:§ 117„ "Sieh sie an genau" ** "!" "Morgen ist sie grau." “
§ 118und fügte kurz hinzu: Sie ist etwas älter als ich. Um ihm
nicht noch mehr Pein zu bereiten, brach ich die Erkundigung ab. Die Aufklärung erschien mir zureichend. Aber es war gewiß überraschend, daß die Bemühung, eine harmlose Fehl leistung des Gedächtnisses auf ihren Grund zurückzuführen, an so ferne liegende, intime und mit peinlichem Affekt be setzte Angelegenheiten des Untersuchten rühren mußte.§ 119Ein anderes Beispiel vom Vergessen in der WortfolgeJung**** und mit den Worten des Autors anführen.
eines bekannten Gedichtes will ich nach C. G. § 120„ "Ein Herr will das bekannte Gedicht rezitieren: ,Ein Fichtenbaum steht einsam usw.‘ In der Zeile: ,Ihn schläfert‘ bleibt er rettungslos stecken, er hat ,mit weißer Decke‘ total vergessen. Dieses Vergessen in einem so bekannten Vers schien mir auffallend, und ich ließ ihn nun reproduzieren, was ihm zu ,mit weißer Decke‘ einfiel. Es entstand folgende Reihe: ,Man denkt bei weißer Decke an ein Totentuch — ein Lein-" "tuch, mit dem man einen Toten zudeckt — (Pause) — jetztauch sehr korpulent — mein Freund ist auch korpulent und ich habe schon gedacht, es könnte ihm auch so gehen — er gibt sich wahrscheinlich zu wenig Be wegung — als ich von dem Todesfall hörte, ist mir plötzlich angst geworden, es könnte mir auch so gehen, da wir in unserer Familie sowieso Neigung zur Fettsucht haben, und auch mein Großvater an einem Herzschlag gestorben ist; ich finde mich auch zu korpulent und habe deshalb in diesen Tagen mit einer Entfettungskur begonnen.‘" “ fällt mir ein naher Freund ein — sein Bruder ist jüngst ganz plötzlich gestorben — er soll an einem Herzschlag gestorben sein — er war eben
* Der Kollege hat übrigens die schöne Stelle des Gedichtes sowohl in ihrem Wortlaut wie nach ihrer Anwendung etwas abgeändert. Das gespenstische Mädchen sagt seinem Bräutigam: „ "Meine Kette hab’ ich dir gegeben;“ Deine Locke nehm’ ich mit mir fort. Sieh sie an genau! Morgen bist du grau, Und nur braun erscheinst du wieder dort." ** C. G. Jung, Über die Psychologie der Dementia praecox. 1907, Seite 64. § 121„ "Der Herr hat sich also unbewußt sofort mit dem Fichten“ bemerkt baum identifiziert," Jung, „ "der vom weißen Leichen“ tuch umhüllt ist."
§ 122Das nachstehende Beispiel von Vergessen einer Wortfolge,Ferenczi in Budapest verdanke, bezieht sich, anders als die vorigen, auf eine selbstgeprägte Rede, nicht auf einen vom Dichter übernommenen Satz. Es mag uns auch den nicht ganz gewöhnlichen Fall vorführen, daß sich das Vergessen in den Dienst unserer Besonnenheit stellt, wenn ihr die Gefahr droht, einem augenblicklichen Gelüste zu erliegen. Die Fehlleistung gelangt so zu einer nützlichen Funktion. Wenn wir wieder ernüchtert sind, geben wir dann jener inneren Strömung Recht, welche sich vorhin nur durch ein Versagen — ein Vergessen, eine psychische Impotenz — äußern konnte.
das ich meinem Freunde S. § 123„In einer Gesellschaft fällt das Wort ,Tout comprendreMax, den wir gewöhnlich Maxi nennen. Das führt mich zum Worte Maxime und zur Erinnerung, daß es sich damals (wie im eingangs erwähnten Falle) um die Abänderung einer bekannten Maxime handelte. Seltsamerweise fällt mir dazu nicht eine Maxime, sondern folgendes ein: ,Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde‘ und dessen veränderte Fassung ,der Mensch schuf Gott nach‘. Daraufhin taucht sofort die Erinnerung dem seinigen an das Gesuchte auf:
c’est tout pardonner‘. Ich bemerke dazu, daß der erste Teil des Satzes genügt; das ,Pardonnieren‘ sei eine Überhebung, man überlasse das Gott und den Geistlichen. Ein Anwesender findet diese Bemerkung sehr gut; das macht mich verwegen und — wahrscheinlich um die gute Meinung des wohlwollen den Kritikers zu sichern — sage ich, daß mir unlängst etwas Besseres eingefallen sei. Wie ich es aber erzählen will — fällt es mir nicht ein. — Ich ziehe mich sofort zurück und schreibe die Deckeinfälle auf. — Zuerst kommt der Name des Freun des und der Straße in Budapest, die die Zeugen der Geburt jenes (gesuchten) Einfalles waren; dann der Name eines anderen Freundes, § 124„Mein Freund sagte damals zu mir in der Andrássystraße:Nichts Menschliches ist mir fremd‘, worauf ich — auf die psychoanalytischen Erfahrungen anspielend — sagte: ,Du solltest weitergehen und bekennen, daß dir‘.“ nichts Tierisches fremd ist
,§ 125„Nachdem ich aber endlich die Erinnerung an das Gesuchte
hatte, konnte ich es in der Gesellschaft, in der ich mich gerade befand, erst recht nicht erzählen. Die junge Gattin des Freun des, den ich an die Animalität des Unbewußten erinnert hatte, war auch unter den Anwesenden, und ich mußte wissen, daß sie zur Kenntnisnahme solcher unerfreulicher Einsichten gar nicht vorbereitet war. Durch das Vergessen ist mir eine Reihe unangenehmer Fragen ihrerseits und eine aussichtslose Diskussion erspart worden, und gerade das muß das Motiv der ,temporären Amnesie‘ gewesen sein.“§ 126„Es ist interessant, daß sich als Deckeinfall ein Satz ein
stellte, in dem die Gottheit zu einer menschlichen Erfindung degradiert wird, während im gesuchten Satze auf das Tierische im Menschen hingewiesen wurde. Also die Capitis diminutio ist das Gemeinsame. Das Ganze ist offenbar nur die Fort setzung des durch das Gespräch angeregten Gedankenganges über das Verstehen und Verzeihen.“§ 127„Daß sich in diesem Falle das Gesuchte so rasch ein
stellte, verdanke ich vielleicht auch dem Umstand, daß ich mich aus der Gesellschaft, in der es zensuriert war, sofort in ein menschenleeres Zimmer zurückzog.“§ 128Ich habe seither zahlreiche andere Analysen in Fällen von
Vergessen oder fehlerhafter Reproduktion einer Wortfolge an gestellt und bin durch das übereinstimmende Ergebnis dieser Untersuchungen der Annahme geneigt worden, daß der in den Beispielen „aliquis“ und „Braut von Korinth“ nachgewiesene Mechanismus des Vergessens fast allgemeine Gültigkeit hat. Es ist meist nicht sehr bequem, solche Analysen mitzuteilen, da sie wie die vorstehend erwähnten stets zu intimen und für den Analysierten peinlichen Dingen hinleiten; ich werde die Zahl solcher Beispiele darum auch nicht weiter vermehren. Gemeinsam bleibt all diesen Fällen ohne Unterschied des Materials, daß das Vergessene oder Entstellte auf irgend einem assoziativen Wege mit einem unbewußten Gedanken inhalt in Verbindung gebracht wird, von welchem die als Ver gessen sichtbar gewordene Wirkung ausgeht.§ 129Ich wende mich nun wiederum zu dem Vergessen von Na
men, wovon wir bisher weder die Kasuistik noch die Motive er schöpfend betrachtet haben. Da ich gerade diese Art von Fehl leistung bei mir zuzeiten reichlich beobachten kann, bin ich um Beispiele hiefür nicht verlegen. Die leisen Migränen, an denen ich noch immer leide, pflegen sich Stunden vorher durch Na menvergessen anzukündigen, und auf der Höhe des Zustandes, während dessen ich die Arbeit aufzugeben nicht genötigt bin, bleiben mir häufig alle Eigennamen aus. Nun könnten gerade Fälle wie der meinige zu einer prinzipiellen Einwendung gegen unsere analytischen Bemühungen Anlaß geben. Soll man aus solchen Beobachtungen nicht folgern müssen, daß die Verursa chung der Vergeßlichkeit und speziell des Namenvergessens in Zirkulations- und allgemeinen Funktionsstörungen des Groß hirns gelegen ist, und sich darum psychologische Erklärungs versuche für diese Phänomene ersparen? Ich meine keines wegs; das hieße den in allen Fällen gleichartigen Mechanismus eines Vorgangs mit dessen variabeln und nicht notwendig er forderlichen Begünstigungen verwechseln. An Stelle einer Auseinandersetzung will ich aber ein Gleichnis zur Erledi gung des Einwandes bringen.§ 130Nehmen wir an, ich sei so unvorsichtig gewesen, zur NachtEinsamkeit und Dunkelheit mir Uhr und Börse weggenommen. Obwohl ich in diesen Worten nichts gesagt hätte, was nicht richtig wäre, liefe ich doch Gefahr, nach dem Wortlaut meiner Meldung für nicht ganz richtig im Kopfe gehalten zu werden. Der Sachverhalt kann in korrekter Weise nur so beschrieben werden, daß, von der Einsamkeit des Ortes begünstigt, unter dem Schutze der Dunkelheit un- bekannte Täter mich meiner Kostbarkeiten beraubt haben. Nun denn, der Sachverhalt beim Namenvergessen braucht kein anderer zu sein; durch Ermüdung, Zirkulationsstörung und In toxikation begünstigt, raubt mir eine unbekannte psychische Macht die Verfügung über die meinem Gedächtnis zustehenden Eigennamen, dieselbe Macht, welche in anderen Fällen dasselbe Versagen des Gedächtnisses bei voller Gesundheit und Lei stungsfähigkeit zu stande bringen kann.
zeit in einer menschenleeren Gegend der Großstadt spazieren zu gehen, werde überfallen und meiner Uhr und Börse beraubt. An der nächsten Polizeiwachstelle erstatte ich dann die Mel dung mit den Worten: Ich bin in dieser und jener Straße ge wesen, dort haben § 131Wenn ich die an mir selbst beobachteten Fälle von NamenBleuler, Jung, Riklin) kann ich dasselbe auch in der Form ausdrücken: Der entzogene Name habe einen „persönlichen Komplex“ in mir gestreift. Die Beziehung des Namens zu meiner Person ist eine unerwartete, meist durch oberflächliche Assoziation (Wort zweideutigkeit, Gleichklang) vermittelte; sie kann allgemein als eine Seitenbeziehung gekennzeichnet werden. Einige ein fache Beispiele werden die Natur derselben am besten er läutern:
vergessen analysiere, so finde ich fast regelmäßig, daß der vor enthaltene Name eine Beziehung zu einem Thema hat, welches meine Person nahe angeht, und starke, oft peinliche Affekte in mir hervorzurufen vermag. Nach der bequemen und empfeh lenswerten Übung der Züricher Schule (§ 132a) Ein Patient bittet mich, ihm einen Kurort an der Riviera zu empfehlen. Ich weiß einen solchen Ort ganz nahe bei Genua, erinnere auch den Namen des deutschen Kollegen, der dort praktiziert, aber den Ort selbst kann ich nicht nennen, so gut ich ihn auch zu kennen glaube. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Patienten warten zu heißen und mich rasch an die Frauen meiner Familie zu wenden. „Wie heißt doch der Ort neben Genua, wo Dr. N. seine kleine Anstalt hat, in der die und jene Frau solange in Behandlung war?“ „Natür lich, gerade du mußtest diesen Namen vergessen. Nervi heißt er.“ Mit Nerven habe ich allerdings genug zu tun.
§ 133b) Ein anderer spricht von einer nahen Sommerfrische und behauptet, es gebe dort außer den zwei bekannten ein drittes Wirtshaus, an welches sich für ihn eine gewisse Erinnerung knüpft; den Namen werde er mir sogleich sagen. Ich bestreite die Existenz dieses dritten Wirtshauses und berufe mich darauf, daß ich sieben Sommer hindurch in jenem Orte ge wohnt habe, ihn also besser kennen muß als er. Durch den Widerspruch gereizt, hat er sich aber schon des Namens be mächtigt. Das Gasthaus heißt: der Hochwartner. Da muß ich freilich nachgeben, ja ich muß bekennen, daß ich sieben Sommer lang in der nächsten Nähe dieses von mir ver leugneten Wirtshauses gewohnt habe. Warum sollte ich hier Namen und Sache vergessen haben? Ich meine, weil der Name gar zu deutlich an den eines Wiener Fachkollegen anklingt, wiederum den „professionellen“ Komplex in mir anrührt.
§ 134c) Ein andermal, im Begriffe auf dem Bahnhof von Reichenhall eine Fahrkarte zu lösen, will mir der sonst sehr vertraute Name der nächsten großen Bahnstation, die ich schon so oft passiert habe, nicht einfallen. Ich muß ihn allen Ernstes auf dem Fahrplan suchen. Er lautet: Rosenheim. Dann weiß ich aber sofort, durch welche Assoziation er mir abhanden gekommen ist. Eine Stunde vorher hatte ich meine Schwester in ihrem Wohnorte ganz nahe bei Reichenhall besucht; meine Schwester heißt Rosa, also auch ein Rosenheim. Diesen Namen hat mir der „Familienkomplex“ weggenommen.
§ 135d) Das geradezu räuberische Wirken des „Familien komplexes“ kann ich dann in einer ganzen Anzahl von Bei spielen verfolgen.
§ 136Eines Tages kam ein junger Mann in meine Ordination,Schiller, an welche sich ein Scherz des Wiener Spaziergängers Daniel Spitzer knüpft.
jüngerer Bruder einer Patientin, den ich ungezählte Male ge sehen hatte, und dessen Person ich mit dem Vornamen zu be zeichnen gewohnt war. Als ich dann von seinem Besuch er zählen wollte, hatte ich seinen, wie ich wußte, keineswegs un gewöhnlichen Vornamen vergessen und konnte ihn durch keine Hilfe zurückrufen. Ich ging dann auf die Straße, um Firmen schilder zu lesen, und erkannte den Namen, sowie er mir das erstemal entgegentrat. Die Analyse belehrte mich darüber, daß ich zwischen dem Besucher und meinem eigenen Bruder eine Parallele gezogen hatte, die in der verdrängten Frage gipfeln wollte: Hätte sich mein Bruder im gleichen Falle ähnlich oder vielmehr entgegengesetzt benommen? Die äußer liche Verbindung zwischen den Gedanken über die fremde und über die eigene Familie war durch den Zufall ermöglicht wor den, daß die Mütter hier und dort den gleichen Vornamen: Amalia tragen. Ich verstand dann auch nachträglich die Ersatz namen: Daniel und Franz, die sich mir aufgedrängt hatten, ohne mich aufzuklären. Es sind dies, wie auch Amalia, Namen aus den Räubern von § 137e) Ein andermal kann ich den Namen eines Patienten nicht finden, der zu meinen Jugendbeziehungen gehört. Die Analyse führt über einen langen Umweg, ehe sie mir den ge suchten Namen liefert. Der Patient hatte die Angst geäußert, das Augenlicht zu verlieren; dies rief die Erinnerung an einen jungen Mann wach, der durch einen Schuß blind geworden war; daran knüpfte sich wieder das Bild eines anderen Jünglings, der sich angeschossen hatte, und dieser letztere trug den selben Namen wie der erste Patient, obwohl er nicht mit ihm verwandt war. Den Namen fand ich aber erst, nachdem mir die Übertragung einer ängstlichen Erwartung von diesen beiden juvenilen Fällen auf eine Person meiner eigenen Familie be wußt geworden war
§ 138Ein beständiger Strom von „Eigenbeziehung“ geht so durch
mein Denken, von dem ich für gewöhnlich keine Kunde er halte, der sich mir aber durch solches Namenvergessen verrät. Es ist, als wäre ich genötigt, alles, was ich über fremde Per sonen höre, mit der eigenen Person zu vergleichen, als ob meine persönlichen Komplexe bei jeder Kenntnisnahme von anderen rege würden. Dies kann unmöglich eine individuelle Eigenheit meiner Person sein; es muß vielmehr einen Hinweis auf die Art, wie wir überhaupt „Anderes“ verstehen, enthalten. Ich habe Gründe anzunehmen, daß es bei anderen Individuen ganz ähnlich zugeht wie bei mir.§ 139Das Schönste dieser Art hat mir als eigenes Erlebnis einLederer berichtet. Er traf auf seiner Hochzeitsreise in Venedig mit einem ihm oberflächlich bekannten Herrn zu sammen, den er seiner jungen Frau vorstellen mußte. Da er aber den Namen des Fremden vergessen hatte, half er sich das erstemal mit einem unverständlichen Gemurmel. Als er dann dem Herrn, wie in Venedig unausweichlich, ein zweites mal begegnete, nahm er ihn beiseite und bat ihn, ihm doch aus der Verlegenheit zu helfen, indem er ihm seinen Namen sage, den er leider vergessen habe. Die Antwort des Fremden zeugte von überlegener Menschenkenntnis: Ich glaube es gern, daß Sie sich meinen Namen nicht gemerkt haben. Ich heiße wie Sie: Lederer! — Man kann sich einer leicht unangenehmen Empfindung nicht erwehren, wenn man seinen eigenen Namen bei einem Fremden wiederfindet. Ich verspürte sie unlängst recht deutlich, als sich mir in der ärztlichen Sprechstunde ein Herr S. Freud vorstellte. Übrigens nehme ich Notiz von der Versicherung eines meiner Kritiker, daß er sich in diesem Punkte entgegengesetzt wie ich verhalte.
Herr § 140f) Die Wirksamkeit der Eigenbeziehung erkennt man auch in folgendem, von Jung** mitgeteilten Beispiel:
§ 141„ "Ein Herr Y verliebte sich erfolglos in eine Dame, welche“ bald darauf einen Herrn X heiratete. Trotzdem nun Herr Y den Herrn X schon seit geraumer Zeit kennt und sogar in ge schäftlichen Verbindungen mit ihm steht, vergißt er immer und immer wieder dessen Namen, so daß er sich mehreremal bei anderen Leuten danach erkundigen mußte, als er mit Herrn X korrespondieren wollte."
§ 142Indes ist die Motivierung des Vergessens in diesem Falle
durchsichtiger als in den vorigen, welche unter der Konstel lation der Eigenbeziehung stehen. Das Vergessen scheint hier direkte Folge der Abneigung des Herrn Y gegen seinen glück licheren Rivalen; er will nichts von ihm wissen; „nicht ge dacht soll seiner werden“.§ 143g) Das Motiv zum Vergessen eines Namens kann auch ein feineres sein, in einem sozusagen „sublimierten“ Groll gegen dessen Träger bestehen. So schreibt ein Fräulein I. v. K. aus Budapest:
§ 144„Ich habe mir eine kleine Theorie zurechtgelegt. Ich
habe nämlich beobachtet, daß Menschen, die Talent zur Ma lerei, für Musik keinen Sinn haben, und umgekehrt. Vor einiger Zeit sprach ich hierüber mit jemandem, indem ich sagte: ,Meine Beobachtung hat bisher immer zugetroffen, einen Fall ausgenommen.‘ Als ich mich an den Namen dieser Person erinnern wollte, hatte ich ihn hoffnungslos vergessen, trotzdem ich wußte, daß sein Träger einer meiner intimsten Bekannten ist. Als ich nach einigen Tagen den Namen zu fällig nennen hörte, wußte ich natürlich sofort, daß vom Zer störer meiner Theorie die Rede war. Der Groll, den ich un bewußt gegen ihn hegte, äußerte sich durch das Vergessen seines mir sonst so geläufigen Namens.“* Dementia praecox, S. 52. § 145h) Auf etwas anderem Wege führte die Eigenbeziehung zum Vergessen eines Namens in dem folgenden von Ferenczi mitgeteilten Falle, dessen Analyse besonders durch die Auf klärung der Ersatzeinfälle (wie Botticelli — Boltraffio zu Signorelli) lehrreich wird.
§ 146„Einer Dame, die etwas von Psychoanalyse gehört hat,Jung nicht einfallen.“
will der Name des Psychiaters § 147„Dafür stellen sich folgende Einfälle ein: Kl. (ein Name) — Wilde — Nietzsche — Hauptmann.“
§ 148„Ich sage ihr den Namen nicht und fordere sie auf, an
jeden einzelnen Einfall frei zu assoziieren.“§ 149„Bei Kl. denkt sie sofort an Frau Kl., und daß sie eine gezierte, affektierte Person sei, die aber für ihr Alter sehr gut aussehe. ,Sie wird nicht alt.‘ Als gemeinsamen Oberbegriff von Wilde und Nietzsche nennt sie ,Geisteskrankheit‘. Dann sagt sie spöttisch: ,Sie Freudianer werden so lange die Ursachen der Geisteskrankheiten suchen, bis sie selbst geisteskrank werden.‘ Dann: ,lch kann Wilde und Nietzsche nicht ausstehen. Ich verstehe sie nicht. Ich höre, sie waren beide homosexuell; Wilde hat sich mit jungen Leu ten abgegeben.‘ (Trotzdem sie in diesem Satze den richtigen Namen — allerdings ungarisch — schon ausgesprochen hat, kann sie sich seiner immer noch nicht erinnern.)“
§ 150„Zu Hauptmann fällt ihr Halbe, dann Jugend ein, und jetzt erst, nachdem ich ihre Aufmerksamkeit auf das Wort Jugend lenke, weiß sie, daß sie den Namen Jung ge sucht hat.“
§ 151„Allerdings hat diese Dame, die im Alter von 39 JahrenJu oder gendAlter gemahnt, auszuweichen. Auffallend ist die rein inhaltliche Assoziierung der Deckeinfälle zu dem ge suchten Namen und das Fehlen von Klangassoziationen.“
den Gatten verlor und keine Aussicht hat, sich wieder zu ver heiraten, Grund genug, der Erinnerung an alles, was an § 152i) Noch anders und sehr fein motiviert ist ein Beispiel von Namenvergessen, welches sich der Betreffende selbst auf geklärt hat:
§ 153„Als ich Prüfung aus Philosophie als NebengegenstandEpikurs gefragt, und dann weiter, ob ich wisse, wer dessen Lehre in späteren Jahrhunderten wieder aufgenommen habe. Ich ant wortete mit dem Namen Pierre Gassendi, den ich gerade zwei Tage vorher im Café als Schüler Epikurs hatte nennen hören. Auf die erstaunte Frage, woher ich das wisse, gab ich kühn die Antwort, daß ich mich seit langem für Gassendi interessiert habe. Daraus ergab sich ein magna cum laude fürs Zeugnis, aber leider auch für später eine hartnäckige Neigung, den Namen Gassendi zu vergessen. Ich glaube, mein schlechtes Gewissen ist schuld daran, wenn ich diesen Namen allen Bemühungen zum Trotz jetzt nicht behalten kann. Ich hätte ihn ja auch damals nicht wissen sollen.“
machte, wurde ich vom Examinator nach der Lehre § 154Will man die Intensität der Abneigung gegen die Erinne
rung an diese Prüfungsepisode bei unserem Gewährsmann richtig würdigen, so muß man erfahren haben, wie hoch er seinen Doktortitel anschlägt, und für wieviel anderes ihm dieser Ersatz bieten muß.§ 155j) Ich schalte hier noch ein Beispiel von Vergessen eines Städtenamens ein, welches vielleicht nicht so einfach ist wie die vorher angeführten, aber jedem mit solchen Untersuchun gen Vertrauteren glaubwürdig und wertvoll erscheinen wird. Der Name einer italienischen Stadt entzieht sich der Erinne rung infolge seiner weitgehenden Klangähnlichkeit mit einem weiblichen Vornamen, an den sich vielerlei affektvolle, in der Mitteilung wohl nicht erschöpfend ausgeführte Erinnerungen knüpfen. S. Ferenczi (Budapest), der diesen Fall von Ver gessen an sich selbst beobachtete, hat ihn behandelt, wie man einen Traum oder eine neurotische Idee analysiert, und dies gewiß mit Recht.
§ 156„Ich war heute bei einer befreundeten Familie; es kamenFreuds Theorie des Vergessens stimmt. — Statt des gesuchten Städte namens drängen sich mir folgende Einfälle auf: ,Capua‘ — ,Brescia‘ — ,Der Löwe von Brescia‘.“
oberitalienische Städte zur Sprache. Da erwähnt jemand, daß diese den österreichischen Einfluß noch erkennen lassen. Man zitiert einige dieser Städte; auch ich will eine nennen, ihr Name fällt mir aber nicht ein, obzwar ich weiß, daß ich dort zwei sehr angenehme Tage verlebte, was nicht gut zu § 157„Diesen ,Löwen‘ sehe ich in Gestalt einer Marmorstatue wie gegenständlich vor mir stehen, merke aber sofort, daß er weniger dem Löwen auf dem Freiheitsdenkmal zu Brescia (das ich nur im Bilde gesehen habe), als jenem anderen marmornen Löwen ähnelt, den ich am Grabdenkmal der in den Tuilerien gefallenen Schweizer Garde in Luzern gesehen habe, und dessen Reproduktion en miniature auf meinem Bücherschrank steht. Endlich fällt mir der gesuchte Name doch ein: es ist Verona.‘“
§ 158„Ich weiß auch sofort, wer an dieser Amnesie schuld war.Veronika, auf unga risch Verona, und war mir wegen ihrer abstoßenden Physio gnomie wie auch wegen ihrer heiseren, kreischenden und unleidlichen Konfidenz (wozu sie sich durch die Stimme lange Dienstzeit berechtigt glaubte) sehr antipathisch. Auch die tyrannische Art, wie sie seinerzeit die Kinder des Hauses behandelte, war mir unausstehlich. Nun wußte ich auch, was die Ersatzeinfälle bedeuteten.“
Niemand anderer als eine frühere Bedienstete der Familie, bei der ich gerade zu Gaste war. Sie hieß § 159„An Capua assoziiere ich sofort caput mortuum. Ich verglich Veronikas Kopf sehr oft mit einem Totenschädel. — Das ungarische Wort kapzsi (geldgierig) gab sicher auch eine Determinierung für die Verschiebung her. Natürlich finde ich auch jene viel direkteren Assoziationswege, die Capua und Verona als geographische Begriffe und als italienische Worte mit gleichem Rhythmus miteinander verbinden.“
§ 160„Das gleiche gilt von Brescia; aber auch hier finden sich verschlungenere Seitenwege der Ideenverknüpfung.“
§ 161„Meine Antipathie war seinerzeit so heftig, daß ich VeBrechreiz hervorrufen.‘ Und doch war sie sicher längst in Beziehung zu bringen zur Idee der gefallenen Schweizer Garde.“
ronika förmlich ekelhaft fand und mehreremal mein Erstaunen darüber äußerte, daß sie doch ein Liebesleben haben und ge liebt werden konnte; ,sie zu küssen‘ — sagte ich — ,muß ja einen § 162„Brescia wird, wenigstens hier in Ungarn, nicht mit dem Löwen, sondern einem anderen wilden Tier zusammen sehr oft genannt. Der bestgehaßte Name in diesem Lande wie auch in Oberitalien ist der des Generals Haynau, der kurzweg die genannt wird. Vom gehaßten Hyäne von BresciaTyran Haynau führt also der eine Gedankenfaden über Brescia nen zur Stadt Verona, der andere über die Idee des Totengräbertieres mit der heiseren Stimme (der das Auftauchen eines Grabdenkmals mitbestimmt) zum Totenschädel und zum unangenehmen Organ der durch mein Unbewußtes so arg beschimpften Veronika, die seinerzeit in diesem Hause beinahe so tyrannisch gehaust hat wie der österreichische General nach den ungarischen und italienischen Freiheitskämpfen.“
§ 163„An Luzern knüpft sich der Gedanke an den Sommer, den Veronika mit ihrer Dienstherrschaft am Vierwaldstätter See in der Nähe von Luzern verbrachte; an die „Schweizer Garde“ wiederum die Erinnerung, daß sie nicht nur die Kinder, sondern auch die erwachsenen Mitglieder der Fa milie zu tyrannisieren verstand und sich in der Rolle der Garde-Dame gefiel.“
§ 164„Ich bemerke ausdrücklich, daß diese meine Antipathie
gegen V. — bewußt — zu den längst überwundenen Dingen gehört. Sie hat sich inzwischen äußerlich wie in ihren Ma nieren sehr zu ihrem Vorteil verändert, und ich kann ihr (wozu ich allerdings selten Gelegenheit habe) mit aufrichtiger Freundlichkeit begegnen. Mein Unbewußtes hält, wie ge wöhnlich, zäher an den Eindrücken fest, es ist ,nachträglich‘ und nachtragend.“§ 165„Die Tuilerien sind eine Anspielung auf eine zweite Persönlichkeit, eine ältere französische Dame, die die Frauen des Hauses bei vielen Anlässen tatsächlich ,gardiert‘ hat, und die von groß und klein geachtet — wohl ein wenig auch gefürchtet wird. Ich war eine Zeitlang ihr élève in fran zösischer Konversation. Zum Worte ,élève‘ fällt mir noch ein, daß, als ich beim Schwager meines heutigen Gastgebers in Nordböhmen auf Besuch war, ich viel darüber lachen mußte, daß die dortige Landbevölkerung die Eleven der dortigen Forstakademie ,Löwen‘ nannte. Auch diese lustige Erinne rung mag an der Verschiebung von der Hyäne zum Löwen be teiligt gewesen sein.“
§ 166k) Auch das nachstehende Beispiel** kann zeigen, wie ein zurzeit die Person beherrschender Eigenkomplex ein Namen vergessen an weit abliegender Stelle hervorruft:
§ 167„Zwei Männer, ein älterer und ein jüngerer, die vor sechsCa, nicht wahr?“ — Der Ältere weist dies zurück: ,Ge latafimi wiß nicht, aber ich habe den Namen ebenfalls vergessen, ob wohl ich mich an alle Einzelheiten des Aufenthaltes dort sehr gut erinnere. Es reicht bei mir hin, daß ich merke, ein anderer habe einen Namen vergessen; sogleich wird auch bei mir das Vergessen induziert. Wollen wir den Namen nicht suchen? Mir fällt aber kein anderer ein als Caltanisetta, der doch gewiß nicht der richtige ist.‘ — ,Nein,‘ sagt der Jüngere, ,der Name fängt mit w an oder es kommt ein w darin vor.‘ — ,Ein w gibt es doch im Italienischen nicht,“ mahnt der Ältere. — ,Ich meinte ja auch nur ein v und habe nur w gesagt, weil ich’s von meiner Muttersprache her so gewohnt bin.‘ — Der Ältere sträubt sich gegen das v. Er meint: ,Ich glaube, ich habe überhaupt schon viele sizilianische Namen vergessen; es wäre an der Zeit, Versuche zu machen. Wie heißt z. B. der hochgelegene Ort, der im Altertum Enna geheißen hat? — Ah, ich weiß schon: Castrogiovanni.‘ — Im nächsten Mo ment hat der Jüngere auch den verlorenen Namen wiederge funden. Er ruft: Castelvetrano und freut sich, das behaup tete v nachweisen zu können. Der Ältere vermißt noch eine Weile das Bekanntheitsgefühl; nachdem er aber den Namen akzeptiert hat, soll er Auskunft darüber geben, weshalb er ihm entfallen war. Er meint: ,Offenbar weil die zweite Hälfte vetrano an — Veteran anklingt. Ich weiß schon, daß ich nicht gern ans Altern denke und in sonderbarer Weise re agiere, wenn ich daran gemahnt werde. So z. B. habe ich un längst einem hochgeschätzten Freund in der merkwürdigsten Einkleidung vorgehalten, daß er ,längst über die Jahre der Jugend hinaus sei‘, weil dieser früher einmal mitten unter den schmeichelhaftesten Äußerungen über mich auch behauptete: ,Ich sei kein junger Mann mehr.‘ Daß sich der Widerstand bei mir gegen die zweite Hälfte des Namens Castelvetrano ge richtet hat, geht ja auch daraus hervor, daß der Anlaut des selben in dem Ersatznamen Caltanisetta wiedergekehrt war.‘ — ,Und der Name Caltanisetta selbst?‘ fragt der Jüngere. — ,Der ist mir immer wie ein Kosenamen für ein junges Weib erschienen,‘ gesteht der Ältere ein.“
Monaten gemeinsam in Sizilien gereist sind, tauschen Erinne rungen an jene schönen und inhaltreichen Tage aus. ,Wie hat nur der Ort geheißen,‘ fragt der Jüngere, ,an dem wir über nachtet haben, um die Partie nach Selinunt zu machen? * Zentralblatt für Psychoanalyse l, 9, 1911. § 168„Einige Zeit später setzt er hinzu: ,Der Name für Enna war ja auch ein Ersatzname. Und nun fällt mir auf, daß dieser mit Hilfe einer Rationalisierung vordringende Namen Castrogiovanni genau so an giovane — jung anklingt, wie der verlorene Name Castelvetrano an Veteran — alt.‘“
§ 169„Der Ältere glaubt so für sein Namenvergessen Rechen
schaft gegeben zu haben. Aus welchem Motiv der Jüngere zum gleichen Ausfallsphänomen gekommen war, wurde nicht untersucht.“§ 170Neben den Motiven des Namenvergessens verdient auch
der Mechanismus desselben unser Interesse. In einer großen Reihe von Fällen wird ein Name vergessen, nicht weil er selbst solche Motive wachruft, sondern weil er durch Gleichklang und Lautähnlichkeit an einen anderen streift, gegen den sich diese Motive richten. Man versteht, daß durch solche Lockerung der Bedingungen eine außerordentliche Erleichterung für das Zustandekommen des Phänomens geschaffen wird. So in den folgenden Beispielen:§ 171l) Ed. Hitschmann (Zwei Fälle von Namenvergessen. Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913).
§ 172"II. „Herr N. will die Buchhandlungsfirma ,Gilhofer und Ranschburg‘ jemandem angeben. Es fällt ihm aber trotz allen Nachdenkens nur der Name Ranschburg ein, trotzdem ihm die Firma sonst sehr geläufig ist. Mit einer leichten Un befriedigung darüber nach Hause kommend, ist ihm die Sache wichtig genug, um den anscheinend bereits schlafenden Bruder nach der ersten Hälfte des Firmanamens zu fragen. Derselbe nennt ihn anstandslos. Darauf fällt Herrn N. sofort zu ,Gil hofer‘ das Wort ,Gallhof‘ ein. Zum ,Gallhof‘ hatte er einige Monate vorher in Gesellschaft eines anziehenden Mädchens einen erinnerungsreichen Spaziergang gemacht. Das Mädchen hatte ihm als Andenken einen Gegenstand geschenkt, auf dem geschrieben steht: ,Zur Erinnerung an die schönen Gallhofer Stunden.‘ In den letzten Tagen vor dem Namenverges sen wurde dieser Gegenstand, scheinbar zufällig, beim raschen Zuschieben der Lade durch N. stark beschädigt, was er — mit dem Sinne von Symptomhandlungen vertraut — nicht ohne Schuldgefühl konstatierte. Er war in diesen Tagen in etwas ambivalenter Stimmung zu der Dame, die er zwar liebte, deren Ehewunsch er aber zaudernd gegenüberstand." “
§ 173m) Dr. Hanns Sachs:
§ 174„In einem Gespräche über Genua und seine nächste UmgePegli nennen, kann den Namen aber erst mit Mühe, durch angestrengtes Nach denken, erinnern. Im Nachhausegehen denkt er an das pein liche Entgleiten dieses ihm sonst vertrauten Namens und wird dabei auf das ganz ähnlich klingende Wort Peli geführt. Er weiß, daß eine Südsee-Insel so heißt, deren Bewohner ein paar merkwürdige Gebräuche bewahrt haben. Er hat darüber vor kurzem in einem ethnologischen Werke gelesen und sich da mals vorgenommen, diese Mitteilungen für eine eigene Hypo these zu verwerten. Dann fällt ihm ein, daß Peli auch der Schauplatz eines Romans ist, den er mit Interesse und Ver gnügen gelesen hat, nämlich von ,Van Zantens glücklichste Zeit‘ von Laurids Bruun. — Die Gedanken, die ihn an diesem Tage fast unaufhörlich beschäftigt hatten, knüpften sich an einen Brief, den er am selben Morgen von einer ihm sehr teuren Dame erhalten hatte; dieser Brief läßt ihn be fürchten, daß er auf ein verabredetes Zusammentreffen werde verzichten müssen. Nachdem er den ganzen Tag in übelster Laune zugebracht hatte, war er am Abend mit dem Vorsatz ausgegangen, sich nicht länger mit dem ärgerlichen Gedanken abzuplagen, sondern die ihm in Aussicht stehende und von ihm äußerst hoch geschätzte Geselligkeit möglichst ungetrübt zu genießen. Es ist klar, daß durch das Wort Pegli sein Vor satz arg gefährdet werden konnte, da dieses mit Peli lautlich so eng zusammenhängt; Peli aber, da es durch das ethno logische Interesse die Ich-Beziehung gewonnen hatte, verkör pert nicht nur Van Zantens, sondern auch seine eigene ,glück lichste Zeit‘ und deshalb auch die Befürchtungen und Sorgen, die er tagsüber genährt hatte. Es ist charakteristisch, daß diese einfache Deutung erst gelang, nachdem ein zweiter Brief die Zweifel in eine fröhliche Gewißheit baldigen Wieder sehens umgewandelt hatte.“
bung will ein junger Mann auch den Ort § 175Erinnert man sich bei diesem Beispiel an das ihm sozusagenNervi nicht erinnert werden kann (S. 26), so sieht man, wie sich der Doppelsinn eines Wortes durch die Klangähnlichkeit zweier Worte ersetzen läßt.n) Als 1915 der Krieg mit Italien ausbrach, konnte ich an mir die Beobachtung machen, daß meinem Gedächtnis plötzlich eine ganze Anzahl von Namen italienischer Örtlichkeiten ent zogen war, über die ich sonst leicht verfügt hatte. Wie so viele andere Deutsche hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, einen Teil der Ferien auf italienischem Boden zuzubringen, und konnte nicht daran zweifeln, daß dies massenhafte Namenver gessen der Ausdruck der begreiflichen Verfeindung mit Italien war, die nun an die Stelle der früheren Vorliebe trat. Neben diesem direkt motivierten Namenvergessen machte sich aber auch ein indirektes bemerkbar, welches auf denselben Einfluß zurückzuführen war. Ich neigte auch dazu, nicht italienische Ortsnamen zu vergessen, und fand bei der Untersuchung dieser Vorfälle, daß diese Namen irgendwie durch entfernten Anklang mit den verpönten feindlichen zusammenhingen. So quälte ich mich eines Tages mit dem Erinnern des mährischen Städte namens Bisenz. Als er mir endlich einfiel, wußte ich so fort, daß dieses Vergessen auf Rechnung des Palazzo Bi in senziOrvieto zu setzen sei. In diesem Palazzo befindet sich das Hotel Belle Arti, wo ich bei jedem meiner Aufenthalte in Orvieto gewohnt hatte. Die liebsten Erinnerungen waren natürlich durch die veränderte Gefühlseinstellung am stärk sten geschädigt worden.
benachbarte, in welchem der Ort § 176Es ist auch zweckmäßig, daß wir uns durch einige Beispiele
daran mahnen lassen, in den Dienst wie verschiedener Absich ten sich die Fehlleistung des Namenvergessens stellen kann.§ 177o) A. J. Storfer (Zur Psychopathologie des Alltags. Internat. Zeitschrift f. ärztl. Psychoanalyse, II, 1914).
§ 178"1. Namenvergessen zur Sicherung eines Vorsatzvergessens."
§ 179"„Eine Basler Dame wird eines Morgens verständigt, daßSelma X aus Berlin, die eben auf ihrer Hochzeitsreise begriffen ist, auf der Durchreise in Basel ange kommen ist; die Berliner Freundin soll nur einen Tag in Basel bleiben, und die Baslerin eilt daher sofort ins Hotel. Als die Freundinnen auseinandergehen, verabreden sie, nachmittags wieder zusammenzukommen und bis zur Abreise der Berli nerin beisammen zu bleiben." ihre Jugendfreundin
§ 180"Nachmittags vergißt die Baslerin das Rendezvous. Die Determination dieses Vergessens ist mir nicht bekannt, doch sind ja gerade in dieser Situation (Zusammentreffen mit einer eben verheirateten Jugendfreundin) mehrerlei typi sche Konstellationen möglich, die eine Hemmung gegen die Wiederholung der Zusammenkunft bedingen können. Das Interessante an diesem Falle ist eine fernere Fehlleistung, die eine unbewußte Sicherung der ersten darstellt. Zur Zeit, da sie wieder mit der Freundin aus Berlin zusammenkommen sollte, befand sich die Baslerin an einem anderen Orte in Ge sellschaft. Es kam auf die vor kurzem erfolgte Heirat der Wiener Opernsängerin Kurz die Rede. Die Basler Dame äußerte sich in kritischer Weise (!) über diese Ehe, als sie aber den Namen der Sängerin aussprechen wollte, fiel ihr zu ihrer größten Verlegenheit der Vorname nicht ein. (Bekannt lich neigt man gerade bei einsilbigen Familiennamen besonders dazu, den Vornamen mitzunennen.) Die Basler Dame ärgerte sich um so mehr über die Gedächtnisschwäche, als sie die Sängerin Kurz oft singen gehört hatte und der (ganze) Name ihr sonst geläufig war. Ohne daß vorher jemand anderer" "den entfallenen Vornamen genannt hätte, nahm das Gespräch eine andere Wendung."
§ 181"Am Abend desselben Tages befindet sich unsere BaslerSelma Kurz‘. Dem folgt auch gleich ihr Ausruf : ,Ach, jetzt fällt mir ein: ich habe ganz vergessen, daß ich heute nachmittag eine Verabredung mit meiner Freundin Selma hatte.‘ Ein Blick auf die Uhr zeigte, daß die Freundin schon abgereist sein mußte." “ Dame in einer mit der nachmittägigen zum Teil identischen Gesellschaft. Es kommt zufällig wieder auf die Ehe der Wiener Sängerin die Rede und die Dame nennt ohne jede Schwierigkeit den Namen ,
§ 182Wir sind vielleicht noch nicht vorbereitet, dieses schöne
Beispiel nach all seinen Beziehungen zu würdigen. Einfacher ist das nachfolgende, in dem zwar nicht ein Name, aber ein fremdsprachliches Wort aus einem in der Situation liegenden Motiv vergessen wird. Wir bemerken schon, daß wir dieselben Vorgänge behandeln, ob sie sich nun auf Eigennamen, Vor namen, fremdsprachliche Worte oder Wortfolgen beziehen.§ 183Hier vergißt ein junger Mann das englische Wort fürGold, das mit dem deutschen identisch ist, um Anlaß zu einer ihm erwünschten Handlung zu finden.
§ 184p) Hanns Sachs:
§ 185„Ein junger Mann lernt in der gemeinsamen Pension eine
Engländerin kennen, die ihm gefällt. Als er sich am ersten Abend ihrer Bekanntschaft in ihrer Muttersprache, die er so ziemlich beherrscht, mit ihr unterhält und dabei das englische Wort für ,Gold‘ verwenden will, fällt ihm trotz angestrengten Suchens das Vokabel nicht ein. Dagegen drängen sich ihm als Ersatzworte das französische ,or‘, das lateinische ,aurum‘ und das griechische ,chrysos‘ hartnäckig auf, so daß er nur mit Mühe im stande ist, sie abzuweisen, obgleich er bestimmt weiß, daß sie mit dem gesuchten Worte keine Verwandtschaft haben. Er findet schließlich keinen anderen Weg, sich verständlich zu machen, als den, einen goldenen Ring, den die Dame an der Hand trägt, zu berühren; sehr beschämt erfährt er nun von ihr, daß das langgesuchte Wort für Gold genau so laute wie das deutsche, nämlich gold. Der hohe Wert einer solchen, durch das Vergessen herbeigeführten Berührung liegt nicht bloß in der unanstößigen Befriedigung des Ergreifungs- oder Berührungstriebes, die ja auch bei anderen, von Verliebten eifrig ausgenutzten Anlässen möglich ist, sondern noch viel mehr darin, daß sie eine Aufklärung über die Aussichten der Bewerbung ermöglicht. Das Unbewußte der Dame wird, be sonders wenn es dem Gesprächspartner gegenüber sympathisch eingestellt ist, den hinter der harmlosen Maske verborgenen erotischen Zweck des Vergessens erraten; die Art und Weise, wie sie die Berührung aufnimmt und die Motivierung gelten läßt, kann so ein beiden Teilen unbewußtes, aber sehr bedeu tungsvolles Mittel der Verständigung über die Chancen des eben begonnenen Flirts werden.“§ 186q) Ich teile noch nach J. Stärcke eine interessante Be obachtung von Vergessen und Wiederauffinden eines Eigen namens mit, die sich dadurch auszeichnet, daß mit dem Na menvergessen die Fälschung der Wortfolge eines Gedichtes wie im Beispiel der „Braut von Korinth“ verbunden ist. (Aus der holländischen Ausgabe dieses Buches unter dem Titel: De invloed van ons onbewuste in ons dagelijksche leven, Am sterdam 1916, deutsch abgedruckt in Intern. Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse, IV, 1916.)
§ 187"4. Ein Fall von Namenvergessen und falsch"
§ 188"Erinnern."
§ 189"„Ein alter Jurist und Sprachgelehrter, Z., erzählt in GeWeinhändler geworden ist. Dann erzählt er wieder eine Anekdote von der Dummheit desselben Studen ten, verwundert sich noch einmal darüber, daß sein Name ihm nicht einfällt, und sagt dann: ,Er war ein solcher Esel, daß ich noch nicht begreife, daß ich ihm mit Wiederholen Lateinisch habe eintrichtern können.‘ Einen Augenblick später erinnert er sich, daß der gesuchte Name ausgeht auf ...man. Jetzt fragen wir ihn, ob ihm ein anderer Name, der auf man ausgeht, einfällt, und er sagt: ,Erdmann‘. — ,Wer ist denn das?‘ — ,Das war auch ein Student aus dieser Zeit.‘ — Seine Tochter bemerkt aber, daß es auch einen Professor Erdmann gibt. Bei genauerer Erörterung zeigt sich, daß dieser Pro fessor Erdmann vor kurzem eine von Z. eingesandte Arbeit nur in verkürzter Form in eine von ihm redigierte Zeitschrift hat aufnehmen lassen und zum Teil damit nicht einverstanden war, usw., und daß Z. das als ziemlich unangenehm empfunden hat. (Überdies vernahm ich später, daß Z. in früheren Jahren wohl einmal die Aussicht gehabt hat, Professor in demselben Fache zu werden, worin jetzt Professor E. doziert, und daß dieser Name also auch in dieser Hinsicht vielleicht eine emp findliche Seite berührt.)" sellschaft, daß er in seiner Studentenzeit in Deutschland einen Studenten gekannt hat, der außerordentlich dumm war, und über dessen Dummheit er manche Anekdote zu erzählen weiß. Er kann sich aber an den Namen dieses Studenten nicht er innern, glaubt, daß dieser Name mit W anfängt, nimmt dies aber später wieder zurück. Er erinnert sich, daß dieser dumme Student später
§ 190"Jetzt fällt ihm plötzlich der Name des dummen Studenten" "ein: ,Lindeman!‘ Weil er sich schon früher erinnert hatte, daß der Name auf ...man ausgeht, war also ,Linde‘ noch länger verdrängt geblieben. Auf die Frage, was ihm bei ,Linde‘ einfällt, sagt er zuerst: ,Dabei fällt mir gar nichts ein.‘ Auf mein Drängen, daß ihm bei diesem Worte doch wohl etwas ein fallen wird, sagt er, indem er aufwärts blickt und mit der Hand eine Gebärde in der Luft macht: ,Nun ja, eine Linde, das ist ein schöner Baum.‘ Weiter will ihm dabei nichts ein fallen. Alle schweigen und jedermann verfolgt seine Lektüre und andere Beschäftigung, bis Z. einige Augenblicke später in träumerischem Tone folgendes zitiert:"
§ 191",Steht er mit festenErde, So reicht er nicht auf, Nur mit der Linde Oder der Rebe Sich zu vergleichen.‘" Gefügigen Knochen Auf der
§ 192"Ich stieß einen Triumphschrei aus: ,Da haben wir den ErdErdmann, kann nicht aufreichen, sich mit der Linde (Lindeman) oder der Rebe (Weinhändler) zu vergleichen. Mit anderen Worten: jener Lindeman, der dumme Student, der später Weinhändler geworden ist, war schon ein Esel, aber der Erdmann ist ein noch viel größerer Esel, kann sich mit diesem Lindeman noch nicht vergleichen.‘ — Eine solche im Unbewußten gehaltene Hohn oder Schmährede ist etwas sehr Gewöhnliches, darum kam es mir vor, daß die Hauptursache des Namenvergessens jetzt wohl gefunden war." mann,‘ sagte ich. ,Jener Mann, der ,auf der Erde steht‘, das ist also der Erde-Mann oder
§ 193"Ich fragte jetzt, aus welchem Gedichte die zitierten Zeilen stammten. Z. sagte, daß es ein Gedicht von Goethe sei, er glaubte, daß es anfängt:"
§ 194"Edel sei der Mensch Hilfreich und gut!"
§ 195"und daß weiter auch darin vorkommt:"
§ 196"Und hebt er sich aufwärts, So spielen mit ihm die Winde."
§ 197"Am nächsten Tage suchte ich dieses Gedicht von Goethe auf, und es zeigte sich, daß der Fall noch hübscher (aber auch komplizierter) war, als er erst zu sein schien."
§ 198"a) Die ersten zitierten Zeilen lauten (vgl. oben):"
§ 199"Steht er mit festenMarkigen Knochen"
§ 200"Gefügige Knochen wäre eine ziemlich fremdartige Kom bination. Darauf will ich aber nicht näher eingehen."
§ 201"b) Die folgenden Zeilen dieser Strophe lauten (vgl. oben):"
§ 202"Auf der wohlbegründeten Dauernden Erde, Reicht er nicht auf, Nur mit der Eiche Oder der Rebe Sich zu vergleichen."
§ 203"Es kommt also im ganzen Gedicht keine Linde vor! Der Wechsel von Linde statt Eiche hat (in seinem Unbewußten) nur stattgefunden, um das Wortspiel ,Erde—Linde—Rebe‘ zu er möglichen."
§ 204"c) Dieses Gedicht heißt: ,Grenzen der Menschheit‘ und ent hält eine Vergleichung zwischen der Allmacht der Götter und" "der geringen Macht des Menschen. Das Gedicht, dessen An fang lautet:"
§ 205"Edel sei der Mensch, Hilfreich und gut!"
§ 206"ist aber ein anderes Gedicht, das einige Seiten weiter steht.“ Es heißt: ,Das Göttliche‘, und enthält ebenso Gedanken über Götter und Menschen. Weil hierauf nicht näher eingegangen worden ist, kann ich höchstens vermuten, daß auch Gedanken über Leben und Tod, über das Zeitliche und das Ewige und über das eigene schwache Leben und den künftigen Tod beim Entstehen dieses Falles eine Rolle gespielt haben."
§ 207In manchen dieser Beispiele werden alle Feinheiten derJones (London), die aus dem Englischen übersetzt ist**.
psychoanalytischen Technik in Anspruch genommen, um ein Namenvergessen aufzuklären. Wer mehr von solcher Arbeit kennen lernen will, den verweise ich auf eine Mitteilung von E. § 208Ferenczi hat bemerkt, daß das Namenvergessen auch als hysterisches Symptom auftreten kann. Es zeigt dann einen Mechanismus, der sich von dem der Fehlleistung weit entfernt. Wie diese Unterscheidung gemeint ist, soll aus seiner Mitteilung ersichtlich werden:
§ 209„Ich habe jetzt eine Patientin, ein alterndes Fräulein, in
Behandlung, der auch die gebräuchlichsten und ihr bestbe kannten Eigennamen nicht einfallen wollen, obwohl sie sonst ein gutes Gedächtnis hat. Bei der Analyse stellte sich heraus, daß sie durch dieses Symptom ihre Unwissenheit dokumen tieren will. Diese demonstrative Hervorkehrung ihrer Ignoranz ist aber eigentlich ein Vorwurf gegen ihre Eltern, die ihr keine höhere Schulbildung zu teil werden ließen. Auch ihr quälender Zwang zum Reinemachen (,Hausfrauenpsychose‘) entspringt zum Teil aus derselben Quelle. Sie will damit ungefähr sagen: Ihr habt einen Dienstboten aus mir gemacht.“* Analyse eines Falles von Namenvergessen. Zentralblatt für Psycho analyse, Jahrg. II, Heft 2, 1911. § 210Ich könnte die Beispiele von Namenvergessen vermehren
und die Diskussion derselben sehr viel weiter führen, wenn ich nicht vermeiden wollte, fast alle Gesichtspunkte, die für spä tere Themata in Betracht kommen, schon hier beim ersten zu erörtern. Doch darf ich mir gestatten, die Ergebnisse der hier mitgeteilten Analysen in einigen Sätzen zusammenzufassen: § 211Der Mechanismus des Namenvergessens (richtiger: des
Entfallens, zeitweiligen Vergessens) besteht in der Störung der intendierten Reproduktion des Namens durch eine fremde und derzeit nicht bewußte Gedankenfolge. Zwischen dem gestörten Namen und dem störenden Komplex besteht ent weder ein Zusammenhang von vornherein, oder ein solcher hat sich, oft auf gekünstelt erscheinenden Wegen, durch ober flächliche (äußerliche) Assoziationen hergestellt.§ 212Unter den störenden Komplexen erweisen sich die der
Eigenbeziehung (die persönlichen, familiären, beruflichen) als die wirksamsten.§ 213Ein Name, der infolge von Mehrdeutigkeit mehreren Ge
dankenkreisen (Komplexen) angehört, wird häufig im Zu sammenhange der einen Gedankenfolge durch seine Zugehö rigkeit zum anderen, stärkeren Komplex gestört.§ 214Unter den Motiven dieser Störungen leuchtet die Absicht
hervor, die Erweckung von Unlust durch Erinnern zu vermeiden.§ 215Man kann im allgemeinen zwei Hauptfälle des Namenver
gessens unterscheiden, wenn der Name selbst an Unangenehmes rührt, oder wenn er mit anderem in Verbindung gebracht ist, dem solche Wirkung zukäme, so daß Namen um ihrer selbst willen oder wegen ihrer näheren oder entfernteren Assoziations beziehungen in der Reproduktion gestört werden können.§ 216Ein Überblick dieser allgemeinen Sätze läßt uns verstehen,
daß das zeitweilige Namenvergessen als die häufigste unserer Fehlleistungen zur Beobachtung kommt.§ 217Wir sind indes weit davon entfernt, alle EigentümlichReik eine gute Erklärung dieses merkwürdigen Vorkommens geben können**.
keiten dieses Phänomens verzeichnet zu haben. Ich will noch darauf hinweisen, daß das Namenvergessen in hohem Grade ansteckend ist. In einem Gespräche zweier Personen reicht es oft hin, daß die eine äußere, sie habe diesen oder jenen Namen vergessen, um ihn auch bei der zweiten Person ent fallen zu lassen. Doch stellt sich dort, wo das Vergessen induziert ist, der vergessene Name leichter wieder ein. Dies „kollektive“ Vergessen, streng genommen ein Phänomen der Massenpsychologie, ist noch nicht Gegenstand der analyti schen Untersuchung geworden. In einem einzigen, aber be sonders schönen, Fall hat Th. § 218„ "In einer kleinen Gesellschaft von Akademikern, in der sich auch zwei Studentinnen der Philosophie befanden, sprach man von den zahlreichen Fragen, welche der Ursprung des Christentums der Kulturgeschichte und Religionswissenschaft aufgibt. Die eine der jungen Damen, welche sich am Gespräch beteiligte, erinnerte sich, in einem englischen Roman, den sie kürzlich gelesen hatte, ein anziehendes Bild der vielen reli giösen Strömungen, welche jene Zeit bewegten, gefunden zu haben. Sie fügte hinzu, in dem Roman werde das ganze Leben Christi von der Geburt bis zu seinem Tode geschildert, doch wollte ihr der Name der Dichtung nicht einfallen (die visuelle" "Erinnerung an den Umschlag des Buches und an das typogra“ ..... phische Bild des Titels war überdeutlich). Auch drei von den anwesenden Herren behaupteten, den Roman zu kennen, und bemerkten, daß auch ihnen sonderbarerweise der Name nicht zur Verfügung stehe."
*) Th. Reik, Über kollektives Vergessen. Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, VI, 1920. § 219Nur die junge Dame unterzog sich der Analyse zur AufBen Hur (von Lewis Wallace). Ihre Ersatzeinfälle waren: Ecce homo — homo sum — quo vadis? gewesen. Das Mädchen verstand selbst, daß sie den Namen vergessen, „ "weil er einen Ausdruck enthält, den ich und jedes andere“. Diese Erklärung fand durch junge Mädchen — noch dazu in Gesellschaft junger Leute — nicht gern gebrauchen wird" die sehr interessante Analyse eine weitere Vertiefung. In dem einmal berührten Zusammenhang hat ja auch die Übersetzung von homo: Mensch, eine anrüchige Bedeutung. Reik schließt nun: Die junge Dame behandelt das Wort so, als ob sie sich mit dem Aussprechen jenes verdächtigen Titels vor jungen Männern zu den Wünschen bekannt hätte, die sie als ihrer Persönlichkeit nicht gemäß und als peinlich abge wiesen hat. Kürzer gesagt: unbewußt setzt sie das Aus sprechen von „Ben Hur“ einem sexuellen Angebot gleich und ihr Vergessen entspricht demnach der Abwehr einer unbe wußten Versuchung dieser Art. Wir haben Grund zur An nahme, daß ähnliche unbewußte Vorgänge das Vergessen der jungen Männer bedingt haben. Ihr Unbewußtes hat das Ver gessen des Mädchens in seiner wirklichen Bedeutung erfaßt und es..... gleichsam gedeutet...... Das Vergessen der Männer stellt eine Rücksicht auf solch abweisendes Verhal ten dar. ..... Es ist so, als hätte ihnen ihre Gesprächs partnerin durch ihre plötzliche Gedächtnisschwäche einen deutlichen Wink gegeben, den die Männer unbewußt wohl ver standen hätten.
klärung dieses Namenvergessens. Der Titel des Buches lau tete: § 220Es kommt auch ein fortgesetztes Namenvergessen vor, bei
dem ganze Ketten von Namen dem Gedächtnis entzogen wer den. Hascht man, um einen entfallenen Namen wiederzufin den, nach anderen, mit denen jener in fester Verbindung steht, so entfliehen nicht selten auch diese neuen als Anhalt auf gesuchten Namen. Das Vergessen springt so von einem Na men zum anderen über, wie um die Existenz eines nicht leicht zu beseitigenden Hindernisses zu beweisen. § 221IV.
§ 222ÜBER KINDHEITS- UND DECKERINNERUNGEN.
§ 223In einer zweiten Abhandlung (1899 in der Monatsschrift
für Psychiatrie und Neurologie veröffentlicht) habe ich die tendenziöse Natur unseres Erinnerns an unvermuteter Stelle nachweisen können. Ich bin von der auffälligen Tatsache aus gegangen, daß die frühesten Kindheitserinnerungen einer Per son häufig bewahrt zu haben scheinen, was gleichgültig und nebensächlich ist, während von wichtigen, eindrucksvollen und affektreichen Eindrücken dieser Zeit (häufig, gewiß nicht allgemein!) sich im Gedächtnis der Erwachsenen keine Spur vorfindet. Da es bekannt ist, daß das Gedächtnis unter den ihm dargebotenen Eindrücken eine Auswahl trifft, stände man hier vor der Annahme, daß diese Auswahl im Kindesalter nach ganz anderen Prinzipien vor sich geht als zur Zeit der intel lektuellen Reife. Eingehende Untersuchung weist aber nach, daß diese Annahme überflüssig ist. Die indifferenten Kind heitserinnerungen verdanken ihre Existenz einem Verschie bungsvorgang; sie sind der Ersatz in der Reproduktion für andere wirklich bedeutsame Eindrücke, deren Erinnerung sich durch psychische Analyse aus ihnen entwickeln läßt, deren direkte Reproduktion aber durch einen Widerstand gehindert ist. Da sie ihre Erhaltung nicht dem eigenen Inhalt, sondern einer assoziativen Beziehung ihres Inhalts zu einem anderen, verdrängten, verdanken, haben sie auf den Namen „Deckerinne rungen“, mit welchem ich sie ausgezeichnet habe, begründeten Anspruch.§ 224Die Mannigfaltigkeiten in den Beziehungen und Bedeuzeitlichen Relation zwischen der Deckerinnerung und dem durch sie gedeckten Inhalt besonders hervorgehoben. Der Inhalt der Deckerinnerung gehörte dort nämlich einem der ersten Kinderjahre an, während die durch sie im Gedächtnis vertretenen Gedankenerlebnisse, die fast unbewußt geblieben waren, in späte Jahre des Betreffenden fielen. Ich nannte diese Art der Verschiebung eine rückgreifende oder rückläufige. Vielleicht noch häufiger begegnet man dem ent gegengesetzten Verhältnis, daß ein indifferenter Eindruck der jüngsten Zeit sich als Deckerinnerung im Gedächtnis fest setzt, der diese Auszeichnung nur der Verknüpfung mit einem früheren Erlebnis verdankt, gegen dessen direkte Reproduktion sich Widerstände erheben. Dies wären vorgreifende oder vorgeschobene Deckerinnerungen. Das Wesentliche, was das Gedächtnis bekümmert, liegt hier der Zeit nach hinter der Deckerinnerung. Endlich wird der dritte noch mögliche Fall nicht vermißt, daß die Deckerinnerung nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch Kontinguität in der Zeit mit dem von ihr gedeckten Eindruck verknüpft ist, also die gleichzeitige oder anstoßende Deckerinnerung.
tungen der Deckerinnerungen habe ich in dem erwähnten Auf satz nur gestreift, keineswegs erschöpft. An dem dort aus führlich analysierten Beispiel habe ich eine Besonderheit der § 225Ein wie großer Teil unseres Gedächtnisschatzes in die
Kategorie der Deckerinnerungen gehört, und welche Rolle bei verschiedenen neurotischen Denkvorgängen diesen zufällt, das sind Probleme, in deren Würdigung ich weder dort eingegan gen bin, noch hier eintreten werde. Es kommt mir nur dar auf an, die Gleichartigkeit zwischen dem Vergessen von Eigen namen mit Fehlerinnern und der Bildung der Deckerinnerungen hervorzuheben.§ 226Auf den ersten Anblick sind die Verschiedenheiten derwissen wir, daß die Ersatznamen falsch sind; bei den Deckerinnerungen verwundern wir uns, daß wir sie überhaupt besitzen. Wenn dann die psychologische Analyse nachweist, daß die Ersatz bildung in beiden Fällen auf die nämliche Weise durch Ver schiebung längs einer oberflächlichen Assoziation zu stande gekommen ist, so tragen gerade die Verschiedenheiten im Material, in der Zeitdauer und in der Zentrierung der beiden Phänomene dazu bei, unsere Erwartung zu steigern, daß wir etwas Wichtiges und Allgemeingültiges aufgefunden haben. Dieses Allgemeine würde lauten, daß das Versagen und Irre gehen der reproduzierenden Funktion weit häufiger, als wir vermuten, auf die Einmengung eines parteiischen Faktors, einer Tendenz hinweist, welche die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer anderen entgegenzuarbeiten bemüht ist.
beiden Phänomene weit auffälliger als ihre etwaigen Analogien. Dort handelt es sich um Eigennamen, hier um komplette Eindrücke, um entweder in der Realität oder in Gedanken Er lebtes; dort um ein manifestes Versagen der Erinnerungs funktion, hier um eine Erinnerungsleistung, die uns befrem dend erscheint; dort um eine momentane Störung — denn der eben vergessene Name kann vorher hundertmal richtig reproduziert worden sein und es von morgen an wieder wer den —, hier um dauernden Besitz ohne Ausfall, denn die in differenten Kindheitserinnerungen scheinen uns durch ein langes Stück unseres Lebens begleiten zu können. Das Rätsel scheint in diesen beiden Fällen ganz anders orientiert zu sein. Dort ist es das Vergessen, hier das Erhaltensein, was unsere wissenschaftliche Neugierde rege macht. Nach einiger Ver tiefung merkt man, daß trotz der Verschiedenheit im psychi schen Material und in der Zeitdauer der beiden Phänomene die Übereinstimmungen weit überwiegen. Es handelt sich hier wie dort um das Fehlgehen des Erinnerns; es wird nicht das vom Gedächtnis reproduziert, was korrekterweise reproduziert werden sollte, sondern etwas anderes zum Ersatz. Dem Falle des Namenvergessens fehlt nicht die Gedächtnisleistung in der Form der Ersatznamen. Der Fall der Deckerinnerungs bildung beruht auf dem Vergessen von anderen, wichtigeren Eindrücken. In beiden Fällen gibt uns eine intellektuelle Emp findung Kunde von der Einmengung einer Störung, nur jedes mal in anderer Form. Beim Namenvergessen § 227Das Thema der Kindheitserinnerungen erscheint mir so
bedeutsam und interessant, daß ich ihm noch einige Bemer kungen widmen möchte, die über die bisherigen Gesichts punkte hinausgehen.§ 228Wie weit zurück in die Kindheit reichen die Erinnerungen?Henri** und Potwin****; dieselben ergeben, daß große individuelle Verschiedenheiten bei den Untersuchten bestehen, indem einzelne ihre erste Erinnerung in den sechsten Lebensmonat verlegen, andere von ihrem Leben bis zum voll endeten sechsten, ja achten Lebensjahr nichts wissen. Aber womit hängen diese Verschiedenheiten im Verhalten der Kind heitserinnerungen zusammen, und welche Bedeutung kommt ihnen zu? Es ist offenbar nicht ausreichend, das Material für diese Fragen durch Sammelerkundigung herbeizuschaffen; es bedarf dann noch einer Bearbeitung desselben, an der die auskunftgebende Person beteiligt sein muß.
Es sind mir einige Untersuchungen über diese Frage bekannt, so von V. et C. * Enquête sur les premiers souvenirs de l’enfance. L’année psycho logique, Ill, 1897. **** Study of early memories. Psycholog. Review, 1901. § 229Ich meine, wir nehmen die Tatsache der infantilen Amnesie,
des Ausfalls der Erinnerungen für die ersten Jahre unseres Lebens viel zu gleichmütig hin und versäumen es, ein selt sames Rätsel in ihr zu finden. Wir vergessen, welch hoher intellektueller Leistungen und wie komplizierter Gefühlsregun gen ein Kind von etwa vier Jahren fähig ist, und sollten uns geradezu verwundern, daß das Gedächtnis späterer Jahre von diesen seelischen Vorgängen in der Regel so wenig bewahrt hat, zumal da wir allen Grund zur Annahme haben, daß diese selben vergessenen Kindheitsleistungen nicht etwa spurlos an der Entwicklung der Person abgeglitten sind, sondern einen für alle späteren Zeiten bestimmenden Einfluß ausgeübt haben. Und trotz dieser unvergleichlichen Wirksamkeit sind sie ver gessen worden! Es weist dies auf ganz speziell geartete Be dingungen des Erinnerns (im Sinne der bewußten Reproduk tion) hin, die sich unserer Erkenntnis bisher entzogen haben. Es ist sehr wohl möglich, daß das Kindheitsvergessen uns den Schlüssel zum Verständnis jener Amnesien liefern kann, die nach unseren neueren Erkenntnissen der Bildung aller neuro tischen Symptome zu Grunde liegen.§ 230Von den erhaltenen Kindheitserinnerungen erscheinen uns
einige gut begreiflich, andere befremdend oder unverständlich. Es ist nicht schwer, einige Irrtümer in betreff beider Arten zu berichtigen. Unterzieht man die erhaltenen Erinnerungen eines Menschen einer analytischen Prüfung, so kann man leicht fest stellen, daß eine Gewähr für die Richtigkeit derselben nicht be— steht. Einige der Erinnerungsbilder sind sicherlich gefälscht, unvollständig oder zeitlich und räumlich verschoben. Die An gaben der untersuchten Personen wie, ihre erste Erinnerung rühre etwa aus dem zweiten Lebensjahr her, sind offenbar un verläßlich. Es gelingt bald auch Motive zu finden, welche die Entstellung und Verschiebung des Erlebten verständlich machen, aber auch beweisen, daß nicht einfache Gedächtnis untreue die Ursache dieser Erinnerungsfehler sein kann. Starke Mächte aus der späteren Lebenszeit haben die Erinnerungs fähigkeit der Kindheitserlebnisse gemodelt, dieselben Mächte wahrscheinlich. an denen es liegt, daß wir uns allgemein dem Verständnis unserer Kindheitsjahre so weit entfremdet haben.§ 231Das Erinnern der Erwachsenen geht bekanntlich an verCharcots Vorschlag. Im Träumen verschwinden diese Unterschiede, wir träumen alle in vorwie genden Gesichtsbildern. Aber ebenso bildet sich diese Ent wicklung für die Kindheitserinnerungen zurück; diese sind plastisch visuell auch bei jenen Personen, deren späteres Er innern des visuellen Elements entbehren muß. Das visuelle Erinnern bewahrt somit den Typus des infantilen Erinnerns. Bei mir sind die frühesten Kindheitserinnerungen die einzigen von visuellem Charakter; es sind geradezu plastisch herausge arbeitete Szenen, nur den Darstellungen auf der Bühne ver gleichbar. In diesen Szenen aus der Kindheit, ob sie sich nun als wahr oder als verfälscht erweisen, sieht man regelmäßig auch die eigene kindliche Person in ihren Umrissen und mit ihrer Kleidung. Dieser Umstand muß Befremden erregen; erwachsene Visuelle sehen nicht mehr ihre Person in ihren Erinnerungen an spätere Erlebnisse**. Es widerspricht auch allen unseren Erfahrungen anzunehmen, daß die Aufmerksam keit des Kindes bei seinen Erlebnissen auf sich selbst anstatt ausschließlich auf die äußeren Endrücke gerichtet wäre. Man wird so von verschiedenen Seiten her zur Vermutung gedrängt, daß wir in den sogenannten frühesten Kindheitserinnerungen nicht die wirkliche Erinnerungsspur, sondern eine spätere Be arbeitung derselben besitzen, eine Bearbeitung, welche die Einflüsse mannigfacher späterer psychischer Mächte erfahren haben mag. Die „Kindheitserinnerungen“ der Individuen rücken so ganz allgemein zur Bedeutung von „Deckerinnerun gen“ vor und gewinnen dabei eine bemerkenswerte Analogie mit den in Sagen und Mythen niedergelegten Kindheitserinne rungen der Völker,
schiedenem psychischen Material vor sich. Die einen erinnern in Gesichtsbildern, ihre Erinnerungen haben visuellen Cha rakter; andere Individuen können kaum die dürftigsten Um risse des Erlebten in der Erinnerung reproduzieren; man nennt solche Personen „Auditifs“ und „Moteurs“ im Gegensatz zu den „Visuels“ nach § 232Wer eine Anzahl von Personen mit der Methode der Psycho
analyse seelisch untersucht hat, hat bei dieser Arbeit reichlich Beispiele von Deckerinnerungen jeder Art gesammelt. Die Mit teilung dieser Beispiele wird aber gerade durch die vorhin er örterte Natur der Beziehungen der Kindheitserinnerungen zum späteren Leben außerordentlich erschwert; um eine Kindheits erinnerung als Deckerinnerung würdigen zu lassen, müßte man oft die ganze Lebensgeschichte der betreffenden Person zur Darstellung bringen. Es ist nur selten, wie im nachstehenden hübschen Beispiel, möglich, eine einzelne Kindheitserinnerung aus ihrem Zusammenhang für die Mitteilung herauszuheben.§ 233Ein 24jähriger Mann hat folgendes Bild aus seinem fünften
Lebensjahr bewahrt. Er sitzt im Garten eines Sommerhauses auf einem Stühlchen neben der Tante, die bemüht ist, ihm die Kenntnisse der Buchstaben beizubringen. Die Unterscheidung von m und n bereitet ihm Schwierigkeiten, und er bittet die Tante, ihm doch zu sagen, woran man erkennt, was das eine und was das andere ist. Die Tante macht ihn aufmerksam, daß das m doch um ein ganzes Stück, um den dritten Strich, mehr habe als das n. — Es fand sich kein Anlaß, die Zuver lässigkeit dieser Kindheitserinnerung zu bestreiten; ihre Be deutung hatte sie aber erst später erworben, als sie sich ge eignet zeigte, die symbolische Vertretung für eine andere Wiß begierde des Knaben zu übernehmen. Denn, so wie er damals den Unterschied zwischen m und n wissen wollte, so bemühte er sich später, den Unterschied zwischen Knaben und Mäd chen zu erfahren, und wäre gewiß einverstanden gewesen, daß gerade diese Tante seine Lehrmeisterin werde. Er fand dann auch heraus, daß der Unterschied ein ähnlicher sei, daß der Bub wiederum ein ganzes Stück mehr habe als das Mädchen, und zur Zeit dieser Erkenntnis weckte er die Erinnerung an die entsprechende kindliche Wißbegierde.* Ich behaupte dies nach einigen von mir eingeholten Erkundigungen. § 234Ein anderes Beispiel aus späteren Kindheitsjahren: EinRock aufband. Dazu ergänzt er jetzt zwanglos, sie sei von der Straße ge kommen und von unerwarteten Wehen befallen worden. DasAufbinden des Rockes ist aber eine Deckerinnerung für die Entbindung. Der Verwendung solcher „Wortbrücken“ werden wir in noch anderen Fällen begegnen.
in seinem Liebesleben arg gehemmter Mann, jetzt über 40 Jahre alt, ist das älteste von neun Kindern. Bei der Ge burt des jüngsten Geschwisterchens war er 15 Jahre, er be hauptet aber steif und fest, daß er niemals eine Gravidität der Mutter bemerkt hatte. Unter dem Drucke meines Un glaubens stellt sich bei ihm die Erinnerung ein, er habe ein mal im Alter von elf oder zwölf Jahren gesehen, daß die Mutter sich vor dem Spiegel hastig den § 235An einem einzigen Beispiel möchte ich noch zeigen, welchen
Sinn eine Kindheitserinnerung durch analytische Bearbeitung gewinnen kann, die vorher keinen Sinn zu enthalten schien. Als ich in meinem 43. Jahr begann, mein Interesse den Resten der Erinnerung an die eigene Kindheit zuzuwenden, fiel mir eine Szene auf, die mit seit langem — wie ich meinte, seit jeher — von Zeit zu Zeit zum Bewußtsein gekommen war, und die nach guten Merkzeichen vor das vollendete dritte Lebens jahr verlegt werden durfte. Ich sah mich fordernd und heu lend vor einem Kasten stehen, dessen Tür mein um 20 Jahre älterer Halbbruder geöffnet hielt, und dann trat plötzlich meine Mutter, schön und schlank, wie von der Straße zurück kehrend ins Zimmer. In diese Worte hatte ich die plastisch gesehene Szene gefaßt, mit der ich sonst nichts anzufangen wußte. Ob mein Bruder den Kasten — in der ersten Über setzung des Bildes hieß es „Schrank“ — öffnen oder schließen wollte, warum ich dabei weinte, und was die Ankunft der Mutter damit zu tun habe, das alles war mir dunkel; ich war versucht, mir die Erklärung zu geben, daß es sich um die Erinnerung an eine Hänselei des älteren Bruders handle, die durch die Mutter unterbrochen wurde. Solche Mißverständ nisse einer im Gedächtnis bewahrten Kindheitsszene sind nichts Seltenes; man erinnert sich einer Situation, aber die selbe ist nicht zentriert, man weiß nicht, auf welches Element derselben der psychische Akzent zu setzen ist. Analytische Bemühung führte mich zu einer ganz unerwarteten Auffassung des Bildes. Ich hatte die Mutter vermißt, war auf den Ver dacht gekommen, daß sie in diesem Schrank oder Kasten ein gesperrt sei, und forderte darum den Bruder auf, den Kasten aufzusperren. Als er mir willfahrte und ich mich überzeugte, die Mutter sei nicht im Kasten, fing ich zu schreien an; dies ist der von der Erinnerung festgehaltene Moment, auf den alsbald das meine Sorge oder Sehnsucht beschwichtigende Er scheinen der Mutter folgte. Wie kam aber das Kind zu der Idee, die abwesende Mutter im Kasten zu suchen? Gleich zeitige Träume wiesen dunkel auf eine Kinderfrau hin, von welcher noch andere Reminiszenzen erhalten waren, wie z. B. daß sie mich gewissenhaft anzuhalten pflegte, ihr die kleinen Münzen abzuliefern, die ich als Geschenke erhalten hatte, ein Detail, des selbst wieder auf den Wert einer Deckerinne rung für Späteres Anspruch machen kann. So beschloß ich denn, mir diesmal die Deutungsaufgabe zu erleichtern, und meine jetzt alte Mutter nach jener Kinderfrau zu befragen. Ich erfuhr allerlei, darunter, daß die kluge aber unredliche Person während des Wochenbettes der Mutter große Hausdiebstähle verübt hatte und auf Betreiben meines Halbbruders dem Ge richte übergeben worden war. Diese Auskunft gab mir das Verständnis der Kinderszene wie durch eine Art von Erleuch tung. Das plötzliche Verschwinden der Kinderfrau war mir nicht gleichgültig gewesen; ich hatte mich gerade an diesen Bruder mit der Frage gewendet, wo sie sei, wahrscheinlich, weil ich gemerkt hatte, daß ihm eine Rolle bei ihrem Ver schwinden zukomme, und er hatte ausweichend und wort spielerisch, wie seine Art immer war, geantwortet: sie ist „eingekastelt“. Diese Antwort verstand ich nun nach kind licher Weise, ließ aber zu fragen ab, weil nichts mehr zu er fahren war. Als mir nun kurze Zeit darauf die Mutter abging, argwöhnte ich, der schlimme Bruder habe mit ihr dasselbe an gestellt wie mit der Kinderfrau, und nötigte ihn, mir den § 236V.
§ 237DAS VERSPRECHEN.
§ 238Wenn das gebräuchliche Material unserer Rede in der
Muttersprache gegen das Vergessen geschützt erscheint, so unterliegt dessen Anwendung um so häufiger einer anderen Störung, die als „Versprechen“ bekannt ist. Das beim nor malen Menschen beobachtete Versprechen macht den Eindruck der Vorstufe für die unter pathologischen Bedingungen auf tretenden sogenannten „Paraphasien“.§ 239Ich befinde mich hier ausnahmsweise in der Lage, eineMeringer und C. Mayer eine Studie über „Versprechen und Ver lesen“ publiziert, deren Gesichtspunkte fernab von den meini gen liegen. Der eine der Autoren, der im Texte das Wort führt, ist nämlich Sprachforscher und ist von linguistischen Inter essen zur Untersuchung veranlaßt worden, den Regeln nach zugehen, nach denen man sich verspricht. Er hoffte, aus diesen Regeln auf das Vorhandensein „eines gewissen gei stigen Mechanismus“ schließen zu können, „in welchem die Laute eines Wortes, eines Satzes, und auch die Worte unter einander in ganz eigentümlicher Weise verbunden und ver knüpft sind“ (S. 10).
Vorarbeit würdigen zu können. Im Jahre 1895 haben § 240Die Autoren gruppieren die von ihnen gesammelten BeiVertauschungen (z. B. die Milo von Venus anstatt Venus von Milo), Vorklänge oder Antizipationen (z. B. es war mir auf der Schwest... auf der Brust so schwer), Nachklänge, Postpositionen (z. B. „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen“ für anzustoßen), Kontaminationen (z. B. „Er setzt sich auf den Hinterkopf“ aus: „Er setzt sich einen Kopf auf“ und: „Er stellt sich auf die Hinterbeine“), Substitutionen (z. B. „Ich gebe die Präparate in den Briefkasten“ statt Brütkasten), zu welchen Hauptkategorien noch einige minder wichtige (oder für unsere Zwecke minder bedeutsame) hinzugefügt werden. Es macht bei dieser Gruppierung keinen Unterschied, ob die Umstellung, Entstellung, Verschmelzung usw. einzelne Laute des Wortes, Silben oder ganze Worte des intendierten Satzes betrifft.
spiele des „Versprechens“ zunächst nach rein deskriptiven Ge sichtspunkten als § 241Zur Erklärung der beobachteten Arten des VersprechensMeringer eine verschiedene psychische Wertigkeit der Sprachlaute auf. Wenn wir den ersten Laut eines Wortes, das erste Wort eines Satzes innervieren, wendet sich der Erre gungsvorgang bereits den späteren Lauten, den folgenden Wor ten, zu, und soweit diese Innervationen miteinander gleich zeitig sind, können sie einander abändernd beeinflussen. Die Erregung des psychisch intensiveren Lautes klingt vor oder hallt nach und stört so den minderwertigen Innervations vorgang. Es handelt sich nun darum zu bestimmen, welche die höchstwertigen Laute eines Wortes sind. Meringer meint: „Wenn man wissen will, welchem Laute eines Wortes die höchste Intensität zukommt, so beobachte man sich beim Suchen nach einem vergessenen Wort, z. B. einem Namen. Was zuerst wieder ins Bewußtsein kommt, hatte jedenfalls die größte Intensität vor dem Vergessen (S. 160). Die hoch wertigen Laute sind also der Anlaut der Wurzelsilbe und der Wortanlaut und der oder die betonten Vokale“ (S. 162).
stellt § 242Ich kann nicht umhin, hier einen Widerspruch zu erheben.Signorelli ist bei dem Ersatznamen der Anlaut und sind die wesentlichen Silben verloren gegangen; gerade das minderwertige Silbenpaar elli ist im Ersatznamen Botticelli dem Bewußtsein wiedergekehrt. Wie wenig die Er satznamen den Anlaut des entfallenen Namens respektieren, mag z. B. folgender Fall lehren: Eines Tages ist es mir unmög lich, den Namen des kleinen Landes zu erinnern, dessen Haupt ort Monte Carlo ist. Die Ersatznamen für ihn lauten:
Ob der Anlaut des Namens zu den höchstwertigen Elementen des Wortes gehöre oder nicht, es ist gewiß nicht richtig, daß er im Falle des Wortvergessens zuerst wieder ins Bewußtsein tritt; die obige Regel ist also unbrauchbar. Wenn man sich bei der Suche nach einem vergessenen Namen beobachtet, so wird man verhältnismäßig häufig die Überzeugung äußern müssen, er fange mit einem bestimmten Buchstaben an. Diese Überzeugung erweist sich nun ebenso oft als unbegründet wie als begründet. Ja, ich möchte behaupten, man proklamiert in der Mehrzahl der Fälle einen falschen Anlaut. Auch in unserem Beispiel: § 243Piemont, Albanien, Montevideo, Colico.
§ 244Für Albanien tritt bald Montenegro ein, und dann fällt mir auf, daß die Silbe Mont (Mon ausgesprochen) doch allen Er satznamen bis auf den letzten zukommt. Es wird mir so er leichtert, vom Namen des Fürsten Albert aus das vergessene Monaco aufzufinden. Colico ahmt die Silbenfolge und Rhythmik des vergessenen Namens ungefähr nach.
§ 245Wenn man der Vermutung Raum gibt, daß ein ähnlicherMeringer und Mayer entlehnten Beispiele —: zweitens aber könnte die Störung analog dem Vorgang im Falle Signo zu stande kommen durch Einflüsse relliaußerhalb dieses Wortes, Satzes oder Zusammenhanges, von Elementen her, die auszusprechen man nicht intendiert, und von deren Erre gung man erst durch eben die Störung Kenntnis erhält. In der Gleichzeitigkeit der Erregung läge das Gemeinsame, in der Stellung innerhalb oder außerhalb desselben Satzes oder Zusammenhanges das Unterscheidende für die beiden Ent stehungsarten des Versprechens. Der Unterschied erscheint zunächst nicht so groß, als er für gewisse Folgerungen aus der Symptomatologie des Versprechens in Betracht kommt. Es ist aber klar, daß man nur im ersteren Falle Aussicht hat, aus den Erscheinungen des Versprechens Schlüsse auf einen Me chanismus zu ziehen, der Laute und Worte zur gegenseitigen Beeinflussung ihrer Artikulation miteinander verknüpft, also Schlüsse, wie sie der Sprachforscher aus dem Studium des Versprechens zu gewinnen hoffte. Im Falle der Störung durch Einflüsse außerhalb des nämlichen Satzes oder Redezusammen hanges würde es sich vor allem darum handeln, die störenden Elemente kennen zu lernen, und dann entstände die Frage, ob auch der Mechanismus dieser Störung die zu vermutenden Gesetze der Sprachbildung verraten kann.
Mechanismus wie der fürs Namenvergessen nachgewiesene auch an den Erscheinungen des Versprechens Anteil haben könne, so wird man zu einer tiefer begründeten Beurteilung der Fälle von Versprechen geführt. Die Störung in der Rede, welche sich als Versprechen kundgibt, kann erstens verursacht sein durch den Einfluß eines anderen Bestandteils derselben Rede, also durch das Vorklingen oder Nachhallen, oder durch eine zweite Fassung innerhalb des Satzes oder des Zusammenhanges, den auszusprechen man intendiert — hieher gehören alle oben § 246Man darf nicht behaupten, daß Meringer und Mayer die Möglichkeit der Sprechstörung durch „komplizierte psy chische Einflüsse“, durch Elemente außerhalb desselben Wor tes, Satzes oder derselben Redefolge übersehen haben. Sie mußten ja bemerken, daß die Theorie der psychischen Ungleich wertigkeit der Laute streng genommen nur für die Aufklärung der Lautstörungen, sowie der Vor- und Nachklänge ausreicht. Wo sich die Wortstörungen nicht auf Lautstörungen reduzieren lassen, z. B. bei den Substitutionen und Kontaminationen von Worten, haben auch sie unbedenklich die Ursache des Ver sprechens außerhalb des intendierten Zusammenhanges ge sucht und diesen Sachverhalt durch schöne Beispiele er wiesen. Ich zitiere folgende Stellen:
§ 247(S. 62.) „ "Ru. erzählt von Vorgängen, die er in seinem InVorschwein gekommen. . .‘ Mayer und ich waren an wesend und Ru. bestätigte, daß er ,Schweinereien‘ gedacht hatte. Daß sich dieses gedachte Wort bei ,Vorschein‘ verriet und plötzlich wirksam wurde, findet in der Ähnlichkeit der Wörter seine genügende Erklärung." “ — nern für ,Schweinereien‘ erklärt. Er sucht aber nach einer milden Form und beginnt: ,Dann aber sind Tatsachen zum
§ 248(S. 73.) „ "Auch bei den Substitutionen spielen wie bei den“ Kontaminationen und in wahrscheinlich viel höherem Grade die ,schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder eine große Rolle. Sie sind, wenn auch unter der Schwelle des Bewußt seins, so doch noch in wirksamer Nähe, können leicht durch eine Ähnlichkeit des zu sprechenden Komplexes herangezogen werden und führen dann eine Entgleisung herbei oder kreuzen den Zug der Wörter. Die ,schwebenden‘ oder ,vagierenden‘ Sprachbilder sind, wie gesagt, oft die Nachzügler von kürz lich abgelaufenen Sprachprozessen (Nachklänge)."
§ 249(S. 97.) „ "Eine Entgleisung ist auch durch Ähnlichkeit mög-" "lich, wenn ein anderes ähnliches Wort nahe unter der Bewußtohne daß es gesprochen zu werden. Das ist der Fall bei den Substitutionen. bestimmt wäre — So hoffe ich, daß man beim Nachprüfen meine Regeln wird bestätigen müssen. Aber dazu ist notwendig, daß man (wenn ein anderer spricht) sich Klarheit darüber verschafft, an was alles der Sprecher gedacht hat**. Hier ein lehrreicher Fall. Klassendirektor Li. sagte in unserer Gesell schaft: ,Die Frau würde mir Furcht einlagen.‘ Ich wurde stutzig, denn das l schien mir unerklärlich. Ich erlaube mir, den Sprecher auf seinen Fehler ,einlagen‘ für ,einjagen‘ auf merksam zu machen, worauf er sofort antwortete: ,Ja, das kommt daher, weil ich dachte: ich wäre nicht in der Lage‘ usw." “ seinsschwelle liegt,
§ 250„ "Ein anderer Fall. Ich frage R. v. Schid., wie es seinemdraut.. dauert vielleicht noch einen Monat.‘ Das ,draut‘ mit einem r war mir unverständlich, denn das r von dauert konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte also R. v. S. aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht, ,das ist eine traurige Geschichte‘. Der Sprecher hatte also zwei Antworten im Sinne und diese vermengten sich." “ kranken Pferd gehe. Er antwortete: ,Ja, das
§ 251Es ist wohl unverkennbar, wie nahe die Rücksichtnahme
auf die „vagierenden“ Sprachbilder, die unter der Schwelle des Bewußtseins stehen und nicht zum Gesprochenwerden be stimmt sind, und die Forderung, sich zu erkundigen, an was der Sprecher alles gedacht habe, an die Verhältnisse bei unseren „Analysen“ herankommen. Auch wir suchen unbe wußtes Material, und zwar auf dem nämlichen Wege, nur daß wir von den Einfällen des Befragten bis zur Auffindung des störenden Elements einen längeren Weg durch eine komplexe Assoziationsreihe zurückzulegen haben.* Von mir hervorgehoben. § 252Ich weile noch bei einem anderen interessanten Verhalten,Meringers Zeugnis ablegen. Nach der Einsicht des Autors selbst ist es irgend eine Ähnlichkeit eines Wortes im intendierten Satze mit einem anderen nicht inten dierten, welche dem letzteren gestattet, sich durch die Verur sachung einer Entstellung, Mischbildung, Kompromißbildung (Kontamination) im Bewußtsein zur Geltung zu bringen:
für das die Beispiele § 253lagen, dauert, Vorschein.
§ 254jagen, traurig, ..schwein.
§ 255Nun habe ich in meiner Schrift über die „Traumdeutung“** dargetan, welchen Anteil die Verdichtungsarbeit an der Entstehung des sogenannten manifesten Trauminhalts aus den latenten Traumgedanken hat. Irgend eine Ähnlichkeit der Dinge oder der Wortvorstellungen zwischen zwei Elementen des unbewußten Materials wird da zum Anlaß genommen, um ein Drittes, eine Misch- oder Kompromißvorstellung zu schaf fen, welche im Trauminhalt ihre beiden Komponenten ver tritt, und die infolge dieses Ursprungs so häufig mit wider sprechenden Einzelbestimmungen ausgestattet ist. Die Bil dung von Substitutionen und Kontaminationen beim Verspre chen ist somit ein Beginn jener Verdichtungsarbeit, die wir in eifrigster Tätigkeit am Aufbau des Traumes beteiligt finden.
§ 256In einem kleinen, für weitere Kreise bestimmten AufsatzMeringer eine besondere praktische Bedeu tung für gewisse Fälle von Wortvertauschungen in Anspruch genommen, für solche nämlich, in denen man ein Wort durch sein Gegenteil dem Sinne nach ersetzt. „ "Man erinnert sicheröffnete: ,Hohes Haus! Ich konstatiere die Anwesenheit von so und soviel Herren und erkläre somit die Sitzung für geschlossen!‘ Die allgemeine Heiterkeit machte ihn erst aufmerksam und er verbesserte den Fehler. Im vorliegenden Falle wird die Er klärung wohl diese sein, daß der Präsident sich wünschte, er wäre schon in der Lage, die Sitzung, von der wenig Gutes zu erwarten stand, zu schließen, aber — eine häufige Erschei nung — der Nebengedanke setzte sich wenigstens teilweise durch, und das Resultat war ,geschlossen‘ für ,eröffnet‘, also das Gegenteil dessen, was zu sprechen beabsichtigt war. Aber vielfältige Beobachtung hat mich belehrt, daß man gegen sätzliche Worte überhaupt sehr häufig miteinander ver tauscht; sie sind eben schon in unserem Sprachbewußtsein assoziiert, liegen hart nebeneinander und werden leicht irr tümlich aufgerufen." “ wohl noch der Art, wie vor einiger Zeit der Präsident des österreichischen Abgeordnetenhauses die Sitzung
(Neue Freie Presse vom 23. Aug. 1900: „Wie man sich verspre chen kann“) hat * Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, 1900, 5. Aufl. 1919. § 257Nicht in allen Fällen von Gegensatzvertauschung wird esaliquis gefunden; dort äußerte sich der innere Widerspruch im Vergessen eines Wortes anstatt in seiner Ersetzung durch das Gegenteil. Wir wollen aber zur Ausgleichung des Unterschiedes bemerken, daß das Wörtchen aliquis eines ähnlichen Gegensatzes, wie ihn „schließen“ und „eröffnen“ ergibt, eigentlich nicht fähig ist, und daß „er öffnen“ als gebräuchlicher Bestandteil des Redeschatzes dem Vergessen nicht unterworfen sein kann.
so leicht, wie hier im Beispiel des Präsidenten, wahrscheinlich zu machen, daß das Versprechen infolge eines Widerspruchs ge schieht, der sich im Innern des Redners gegen den geäußerten Satz erhebt. Wir haben den analogen Mechanismus in der Ana lyse des Beispiels: § 258Zeigen uns die letzten Beispiele von Meringer und Mayer, daß die Sprechstörung ebensowohl durch den Einfluß vor- und nachklingender Laute und Worte desselben Satzes entstehen kann, die zum Ausgesprochenwerden bestimmt sind, wie durch die Einwirkung von Worten außerhalb des inten dierten Satzes, deren Erregung sich sonst nicht ver, so werden wir zunächst erfahren wollen, ob raten hätte man die beiden Klassen von Versprechen scharf sondern, und wie man ein Beispiel der einen von einem Falle der anderen Klasse unterscheiden kann. An dieser Stelle der Erörterung muß man aber der Äußerungen Wundts gedenken, der in seiner eben erscheinenden umfassenden Bearbeitung der Ent wicklungsgesetze der Sprache (Völkerpsychologie, 1. Band, 1. Teil, S. 371 u. ff., 1900) auch die Erscheinungen des Ver sprechens behandelt. Was bei diesen Erscheinungen und an deren, ihnen verwandten, niemals fehlt, das sind nach Wundt gewisse psychische Einflüsse. „ "Dahin gehört zunächst alsLaut- und Wortassoziationen. Ihm tritt der Wegfall oder der Nachlaß der diesen Lauf hem menden Wirkungen des Willens und der auch hier als Willens funktion sich betätigenden Aufmerksamkeit als negatives Mo ment zur Seite. Ob jenes Spiel der Assoziation darin sich äußert, daß ein kommender Laut antizipiert oder die voraus gegangenen reproduziert, oder ein gewohnheitsmäßig einge übter zwischen andere eingeschaltet wird, oder endlich darin, daß ganz andere Worte, die mit den gesprochenen Lauten in assoziativer Beziehung stehen, auf diese herüberwirken — alles dies bezeichnet nur Unterschiede in der Richtung und allenfalls in dem Spielraum der stattfindenden Assoziationen, nicht in der allgemeinen Natur derselben. Auch kann es in" positive Bedingung der ungehemmte Fluß der von den gespro chenen Lauten angeregten "manchen Fällen zweifelhaft sein, welcher Form man eine benach dem Prinzip der Komplikation der Ursachen** auf ein Zusammentreffen mehrerer Motive zurückzuführen habe." “ (S. 380 und 381.) stimmte Störung zuzurechnen, oder ob man sie nicht mit größerem Rechte
§ 259Ich halte diese Bemerkungen Wundts für vollberechtigt und sehr instruktiv. Vielleicht könnte man mit größerer Ent schiedenheit als Wundt betonen, daß den positiv begünsti gende Moment der Sprechfehler — der ungehemmte Fluß der Assoziationen — und das negative — der Nachlaß der hem menden Aufmerksamkeit — regelmäßig miteinander zur Wir kung gelangen, so daß beide Momente nur zu verschiedenen Be stimmungen des nämlichen Vorganges werden. Mit dem Nach laß der hemmenden Aufmerksamkeit tritt eben der unge hemmte Fluß der Assoziationen in Tätigkeit; noch unzweifel heiter ausgedrückt: durch diesen Nachlaß.
§ 260Unter den Beispielen von Versprechen, die ich selbst geWundt „ "Kontaktwirkung der“ nennt, zurückführen müßte. Fast regelmäßig entdecke Laute" ich überdies einen störenden Einfluß von etwas außerhalb der intendierten Rede, und das Störende ist entweder ein ein zelner, unbewußt gebliebener Gedanke, der sich durch das Ver sprechen kundgibt und oft erst durch eingehende Analyse zum Bewußtsein gefördert werden kann, oder es ist ein allgemeineres psychisches Motiv, welches sich gegen die ganze Rede richtet.
sammelt, finde ich kaum eines, bei dem ich die Sprechstörung einzig und allein auf das, was § 261Beispiel a): Ich will gegen meine Tochter, die beim Ein beißen in einen Apfel ein garstiges Gesicht geschnitten hat, zitieren:
* Von mir hervorgehoben. § 262"Der Affe gar possierlich ist, Zumal wenn er vom Apfel frißt."
§ 263Ich beginne aber: Der Apfe... Dies scheint eine Kontamina tion von „Affe“ und „Apfel“ (Kompromißbildung) oder kann auch als Antizipation des vorbereiteten „Apfel“ aufgefaßt wer den. Der genauere Sachverhalt ist aber der: Ich hatte das Zitat schon einmal begonnen und mich das erstemal dabei nicht ver sprochen. Ich versprach mich erst bei der Wiederholung, die sich als notwendig ergab, weil die Angesprochene, von anderer Seite mit Beschlag belegt, nicht zuhörte. Diese Wiederholung, die mit ihr verbundene Ungeduld, des Satzes ledig zu werden, muß ich in die Motivierung des Sprechfehlers, der sich als eine Verdichtungsleistung darstellt, mit einrechnen.
§ 264b) Meine Tochter sagt: Ich schreibe der Frau Schresin ger... Die Frau heißt Schlesinger. Dieser Sprechfehler hängt wohl mit einer Tendenz zur Erleichterung der Artikulation zu sammen, denn das l ist nach wiederholtem r schwer auszu sprechen. Ich muß aber hinzufügen, daß sich dieses Verspre chen bei meiner Tochter ereignete, nachdem ich ihr wenige Minuten zuvor „Apfe“ anstatt „Affe“ vorgesagt hatte. Nun ist das Versprechen in hohem Maße ansteckend, ähnlich wie das Namenvergessen, bei dem Meringer und Mayer diese Eigentümlichkeit bemerkt haben. Einen Grund für diese psy chische Kontagiosität weiß ich nicht anzugeben.
§ 265c) „Ich klappe zusammen wie ein Tassenmescher — Taschenmesser“, sagt eine Patientin zu Beginn der Behand lungsstunde, die Laute vertauschend, wobei ihr wieder die Arti kulationsschwierigkeit („Wiener Weiber Wäscherinnen wa schen weiße Wäsche“ — „Fischflosse“ und ähnliche Prüf worte) zur Entschuldigung dienen kann. Auf den Sprechfehler aufmerksam gemacht, erwidert sie prompt: „Ja, das ist nur, weil Sie heute ,Ernscht‘ gesagt haben.“ Ich hatte sie wirklich mit der Rede empfangen: „Heute wird es also Ernst“ (weil es die letzte Stunde vor dem Urlaub werden sollte) und hatte das „Ernst“ scherzhaft zu „Ernscht“ verbreitert. Im Laufe der Stunde verspricht sie sich immer wieder von neuem, und ich merke endlich, daß sie mich nicht bloß imitiert, sondern daß sie einen besonderen Grund hat, im Unbewußten bei dem Worte Ernst als Namen zu verweilen**.
§ 266d) „Ich bin so verschnupft, ich kann nicht durch die Ase“ — passiert derselben Patientin ein natmen — Nase atmen andermal. Sie weiß sofort, wie sie zu diesem Sprechfehler kommt. „Ich steige jeden Tag in der Hasenauerstraße in die Tramway, und heute früh ist mir während des Wartens auf den Wagen eingefallen, wenn ich eine Französin wäre, würde ich Asenauer aussprechen, denn die Franzosen lassen das H im Anlaut immer weg.“ Sie bringt dann eine Reihe von Re miniszenzen an Franzosen, die sie kennen gelernt hat, und langt nach weitläufigen Umwegen bei der Erinnerung an, daß sie als 14jähriges Mädchen in dem kleinen Stück „Kurmärker und Picarde“ die Picarde gespielt und damals gebrochen Deutsch gesprochen hat. Die Zufälligkeit, daß in ihrem Logier haus ein Gast aus Paris angekommen ist, hat die ganze Reihe von Erinnerungen wachgerufen. Die Lautvertauschung ist also Folge der Störung durch einen unbewußten Gedanken aus einem ganz fremden Zusammenhang.
* Sie stand nämlich, wie sich zeigte, unter dem Einfluß von unbe wußten Gedanken über Schwangerschaft und Kinderverhütung. Mit den Worten: „zusammengeklappt wie ein Taschenmesser“, welche sie bewußt als Klage vorbrachte, wollte sie die Haltung des Kindes im Mutterleibe beschreiben. Das Wort „Ernst“ in meiner Anrede hatte sie an den Namen (S. Ernst) der bekannten Wiener Firma in der Kärntnerstraße gemahnt, welche sich als Verkaufsstätte von Schutzmitteln gegen die Konzeption zu annoncieren pflegt. § 267e) Ähnlich ist der Mechanismus des Versprechens bei einer anderen Patientin, die mitten in der Reproduktion einer längst verschollenen Kindererinnerung von ihrem Gedächtnis ver lassen wird. An welche Körperstelle die vorwitzige und lüsterne Hand des anderen gegriffen hat, will ihr das Gedächtnis nicht mitteilen. Sie macht unmittelbar darauf einen Besuch bei einer Freundin und unterhält sich mit ihr über Sommer wohnungen. Gefragt, wo denn ihr Häuschen in M. gelegen sei, antwortet sie: an der Berglende anstatt Berglehne.
§ 268f) Eine andere Patientin, die ich nach Abbruch der Stunde frage, wie es ihrem Onkel geht, antwortet: „Ich weiß nicht, ich sehe ihn jetzt nur in flagranti.“ Am nächsten Tage beginnt sie: „Ich habe mich recht geschämt, Ihnen eine so dumme Ant wort gegeben zu haben. Sie müssen mich natürlich für eine ganz ungebildete Person halten, die beständig Fremdwörter verwechselt. Ich wollte sagen: en passant.“ Wir wußten damals noch nicht, woher sie die unrichtig angewendeten Fremdworte genommen hatte. In derselben Sitzung aber brachte sie als Fortsetzung des vortägigen Themas eine Re miniszenz, in welcher das Ertapptwerden in flagranti die Hauptrolle spielte. Der Sprechfehler am Tage vorher hatte also die damals noch nicht bewußt gewordene Erinnerung antizipiert.
§ 269g) Gegen eine andere muß ich an einer gewissen Stelle der Analyse die Vermutung aussprechen, daß sie sich zu der Zeit, von welcher wir eben handeln, ihrer Familie geschämt und ihrem Vater einen uns noch unbekannten Vorwurf gemacht habe. Sie erinnert sich nicht daran, erklärt es übrigens für un wahrscheinlich. Sie setzt aber das Gespräch mit Bemerkungen über ihre Familie fort: „Man muß ihnen das eine lassen: Es
§ 270sind doch besondere Menschen, sie haben alle Geiz — ich wollte sagen Geist.“ Das war auch denn wirklich der Vorwurf, den sie aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte. Daß sich in dem Versprechen gerade jene Idee durchdrängt, die man zu rückhalten will, ist ein häufiges Vorkommnis (vgl. den Fall von Meringer: zum Vorschwein gekommen). Der Unter schied liegt nur darin, daß die Person bei Meringer etwas zurückhalten will, was ihr bewußt ist, während meine Patien tin das Zurückgehaltene nicht weiß, oder wie man auch sagen kann, nicht weiß, daß sie etwas, und was sie zurückhält.
§ 271h) Auf absichtliche Zurückhaltung geht auch das nach stehende Beispiel von Versprechen zurück. Ich treffe einmal in den Dolomiten mit zwei Damen zusammen, die als Touristinnen verkleidet sind. Ich begleite sie ein Stück weit, und wir be sprechen die Genüsse, aber auch die Beschwerden der touristi schen Lebensweise. Die eine der Damen gibt zu, daß diese Art, den Tag zu verbringen, manches Unbequeme hat. Es ist wahr, sagt sie, daß es gar nicht angenehm ist, wenn man so in der Sonne den ganzen Tag marschiert hat, und Bluse und Hemd ganz durchgeschwitzt sind. In diesem Satze hat sie einmal eine kleine Stockung zu überwinden. Denn setzt sie fort: Wenn man aber dann nach Hose kommt und sich umkleiden kann... Ich meine, es bedurfte keines Examens, um dieses Versprechen aufzuklären. Die Dame hatte offenbar die Absicht gehabt, die Aufzählung vollständiger zu halten und zu sagen: Bluse, Hemd und Hose. Dies dritte Wäschestück zu nennen, unterdrückte sie dann aus Gründen der Wohlanständigkeit. Aber im nächsten, inhaltlich unabhängigen Satz setzte sich das unterdrückte Wort als Verunstaltung des ähnlichen Wortes „nach Hause“ wider ihren Willen durch.
§ 272i) „Wenn Sie Teppiche kaufen wollen, so gehen Sie nur zu Kaufmann in der Matthäusgasse. Ich glaube, ich kann Sie dort auch empfehlen,“ sagt mir eine Dame. Ich wiederhole: „Also bei Matthäus.... bei Kaufmann will ich sagen.“ Es sieht aus wie Folge von Zerstreutheit, wenn ich den einen Namen an Stelle des anderen wiederhole. Die Rede der Dame hat mich auch wirklich zerstreut gemacht, denn sie hat meine Aufmerksamkeit auf anderes gelenkt, was mir weit wichtiger ist als Teppiche. In der Matthäusgasse steht nämlich das Haus, in dem meine Frau als Braut gewohnt hatte. Der Ein gang des Hauses war in einer anderen Gasse, und nun merke ich, daß ich deren Namen vergessen habe und ihn mir erst auf einem Umweg bewußt machen muß. Der Name Matthäus, bei dem ich verweile, ist mir also ein Ersatzname für den verges senen Namen der Straße. Er eignet sich besser dazu als der Name Kaufmann, denn Matthäus ist ausschließlich ein Per sonenname, was Kaufmann nicht ist, und die vergessene Straße heißt auch nach einem Personennamen: Radetzky.
§ 273k) Folgenden Fall könnte ich ebensogut bei den später zu besprechenden „Irrtümern“ unterbringen, führe ihn aber hier an, weil die Lautbeziehungen, auf Grund deren die Wort ersetzung erfolgt, ganz besonders deutlich sind. Eine Pa tientin erzählt mir ihren Traum: Ein Kind hat beschlossen, sich durch einen Schlangenbiß zu töten. Es führt den Be schluß aus. Sie sieht zu, wie es sich in Krämpfen windet usw. Sie soll nun die Tagesanknüpfung für diesen Traum finden. Sie erinnert sofort, daß sie gestern abends eine populäre Vor lesung über erste Hilfe bei Schlangenbissen mitangehört hat. Wenn ein Erwachsener und ein Kind gleichzeitig gebissen worden sind, so soll man zuerst die Wunde des Kindes behan deln. Sie erinnert auch, welche Vorschriften für die Be handlung der Vortragende gegeben hat. Es käme sehr viel darauf an, hatte er auch geäußert, von welcher Art man ge bissen worden ist. Hier unterbreche ich sie und frage: Hat er denn nicht gesagt, daß wir nur sehr wenige giftige Arten in unserer Gegend haben, und welche die gefürchteten sind? „Ja, er hat die Klapperschlange hervorgehoben.“ Mein La chen macht sie dann aufmerksam, daß sie etwas Unrichtiges gesagt hat. Sie korrigiert jetzt aber nicht etwa den Namen, sondern sie nimmt ihre Aussage zurück. „Ja so, die kommt ja bei uns nicht vor, er hat von der Viper gesprochen. Wie gerate ich nur auf die Klapperschlange?” Ich vermutete, durch die Einmengung der Gedanken, die sich hinter ihrem Traum ver borgen hatten. Der Selbstmord durch Schlangenbiß kann kaum etwas anderes sein, als eine Anspielung auf die schöne Kleopatra. Die weitgehende Lautähnlichkeit der beiden Worte, die Übereinstimmung in den Buchstaben Kl..p..r in der nämlichen Reihenfolge und in dem betonten a sind nicht zu verkennen. Die gute Beziehung zwischen den Namen Klapperschlange und Kleopatra erzeugt bei ihr eine mo mentane Einschränkung des Urteils, derzufolge sie in der Be hauptung, der Vortragende habe sein Publikum in Wien in der Behandlung von Klapperschlangenbissen unterwiesen, keinen Anstoß nimmt. Sie weiß sonst so gut wie ich, daß diese Schlange nicht zur Fauna unserer Heimat gehört. Wir wollen es ihr nicht verübeln, daß sie an die Versetzung der Klapperschlange nach Ägypten ebensowenig Bedenken knüpfte, denn wir sind gewohnt, alles Außereuropäische, Exotische zusammenzuwerfen, und ich selbst mußte mich einen Moment besinnen, ehe ich die Behauptung aufstellte, daß die Klapper schlange nur der neuen Welt angehört.
§ 274Weitere Bestätigungen ergeben sich bei Fortsetzung derAntoniusgruppe von Straßer besichtigt. Dies war also der zweite Traumanlaß (der erste der Vortrag über Schlangenbisse). In der Fort setzung ihres Traumes wiegte sie ein Kind in ihren Armen, zu welcher Szene ihr das Gretchen einfällt. Weitere Einfälle bringen Reminiszenzen an „Arria und Messalina“. Das Auftauchen so vieler Namen von Theaterstücken in den Traum gedanken läßt bereits vermuten, daß bei der Träumerin in früheren Jahren eine geheim gehaltene Schwärmerei für den Beruf der Schauspielerin bestand. Der Anfang des Traumes: „Ein Kind hat beschlossen, sein Leben durch einen Schlangen biß zu enden“, bedeutet wirklich nichts anderes als: Sie hat sich als Kind vorgenommen, einmal eine berühmte Schauspielerin zu werden. Von dem Namen Messalina zweigt endlich der Gedankenweg ab, der zu dem wesentlichen Inhalt dieses Trau mes führt. Gewisse Vorfälle der letzten Zeit haben in ihr die Besorgnis erweckt, daß ihr einziger Bruder eine nicht standesgemäße Ehe mit einer Nicht-Arierin, eine Mésalliance eingehen könnte.
Analyse. Die Träumerin hat gestern zum erstenmal die in der Nähe ihrer Wohnung aufgestellte § 275l) Ein völlig hamloses oder vielleicht uns nicht genügend in seinen Motiven aufgeklärtes Beispiel will ich hier wieder geben, weil es einen durchsichtigen Mechanismus erkennen läßt:
§ 276Ein in Italien reisender Deutscher bedarf eines Riemens,coreggia. Dieses Wort werde ich mir leicht merken, meint er, indem ich an den Maler (Correggio) denke. Er geht dann in einen Laden und verlangt: una ribera.
um seinen schadhaft gewordenen Koffer zu umschnüren. Das Wörterbuch liefert ihm für Riemen das italienische Wort § 277Es war ihm anscheinend nicht gelungen, das deutsche WortRiemen annähert. Ich hätte dieses Beispiel natürlich ebensowohl beim Namen vergessen wie hier beim Versprechen unterbringen können.
in seinem Gedächtnis durch das italienische zu ersetzen, aber seine Bemühung war doch nicht gänzlich ohne Erfolg ge blieben. Er wußte, daß er sich an den Namen eines Malers halten müsse, und so geriet er nicht auf jenen Malernamen, der an das italienische Wort anklingt, sondern an einen anderen, der sich dem deutschen Worte § 278Als ich Erfahrungen von Versprechen für die erste Auflage
dieser Schrift sammelte, ging ich so vor, daß ich alle Fälle, die ich beobachten konnte, darunter also auch die minder ein drucksvollen, der Analyse unterzog. Seither haben manche andere sich der amüsanten Mühe, Versprechen zu sammeln und zu analysieren, unterzogen und mich so in den Stand gesetzt, Auswahl aus einem reicheren Material zu schöpfen.§ 279m) Ein junger Mann sagt zu seiner Schwester: Mit den D. bin ich jetzt ganz zerfallen, ich grüße sie nicht mehr. Sie ant wortet: Überhaupt eine saubere Lippschaft. Sie wollte sagen: Sippschaft, aber sie drängte noch zweierlei in dem Sprechirrtum zusammen, daß ihr Bruder einst selbst mit der Tochter dieser Familie einen Flirt begonnen hatte, und daß es von dieser hieß, sie habe sich in letzter Zeit in eine ernst hafte unerlaubte Liebschaft eingelassen.
§ 280n) Ein junger Mann spricht eine Dame auf der Straße mit den Worten an: „Wenn Sie gestatten, mein Fräulein, möchte ich Sie begleit-digen.“ Er dachte offenbar, er möchte sie gern begleiten, fürchtete aber, sie mit dem Antrag zu beleidigen. Daß diese beiden einander widerstreitenden Ge fühlsregungen in einem Worte — eben dem Versprechen — Ausdruck fanden, weist darauf hin, daß die eigentlichen Ab sichten des jungen Mannes jedenfalls nicht die lautersten waren und ihm dieser Dame gegenüber selbst beleidigend er scheinen mußten. Während er aber gerade dies vor ihr zu verbergen sucht, spielt ihm das Unbewußte den Streich, seine eigentliche Absicht zu verraten, wodurch er aber anderseits der Dame gleichsam die konventionelle Antwort: „Ja, was glauben Sie denn von mir, wie können Sie mich denn so beleidigen“ vorwegnimmt. (Mitgeteilt von O. Rank.)
§ 281o) Eine Anzahl von Beispielen entnehme ich einem Aufsatz von W. Stekel aus dem „Berliner Tageblatt“ vom 4. Jän ner 1904, betitelt „Unbewußte Geständnisse“.
§ 282„ "Ein unangenehmes Stück meiner unbewußten Gedankennicht ver lassen werden —‘. Offenbar entsprang das einem egoistischen Motiv des Unbewußten, diese wohlhabende Kranke noch länger behandeln zu dürfen, einem Wunsche, der meinem wachen Bewußtsein vollkommen fremd ist und den ich mit Entrüstung zurückweisen würde." “ enthüllt das folgende Beispiel. Ich schicke voraus, daß ich in meiner Eigenschaft als Arzt niemals auf meinen Erwerb be dacht bin und immer nur das Interesse des Kranken im Auge habe, was ja eine selbstverständliche Sache ist. Ich befinde mich bei einer Kranken, der ich nach schwerer Krankheit in einem Rekonvaleszentenstadium meinen ärztlichen Beistand leiste. Wir haben schwere Tage und Nächte mitgemacht. Ich bin glücklich, sie besser zu finden, male ihr die Wonnen eines Aufenthaltes in Abbazzia aus und gebrauche dabei den Nach satz: ,wenn Sie, was ich hoffe, das Bett bald
§ 283p) Ein anderes Beispiel (W. Stekel). „Meine Frau nimmt eine Französin für die Nachmittage auf und will, nachdem man sich über die Bedingungen geeinigt hatte, ihre Zeugnisse zu rückbehalten. Die Französin bittet, sie behalten zu dürfen, mit der Motivierung: Je cherche encore pour les arprès-midis, pardon, pour les avant-midis. Offenbar hatte sie die Absicht, sich noch anderweitig umzusehen und vielleicht bessere Be dingungen zu erhalten — eine Absicht, die sie auch ausge führt hat.“
§ 284q) „Ich soll einer Frau die Leviten lesen, und ihr Mann, auf dessen Bitte das geschieht, steht lauschend hinter der Tür. Am Ende meiner Predigt, die einen sichtlichen Eindruck gemacht hatte, sagte ich: ,Küss’ die Hand, gnädiger Herr!‘ Dem Kundigen hatte ich damit verraten, daß die Worte an die Adresse des Herrn gerichtet waren, daß ich sie um seinet willen gesprochen hatte.“
§ 285r) Dr. Stekel berichtet von sich selbst, daß er zu einer Zeit zwei Patienten aus Triest in Behandlung gehabt habe, die er immer verkehrt zu begrüßen pflegte. „Guten Morgen, Herr Peloni,“ sagte ich zu Askoli, — „Guten Morgen, Herr Askoli,“ zu Peloni. Er war anfangs geneigt, dieser Verwechs lung keine tiefere Motivierung zuzuschreiben, sondern sie durch die mehrfachen Gemeinsamkeiten der beiden Herren zu er klären. Er ließ sich aber leicht überzeugen, daß die Namen vertauschung hier einer Art Prahlerei entsprach, indem er durch sie jeden seiner italienischen Patienten wissen lassen konnte, er sei nicht der einzige Triestiner, der nach Wien gekommen sei, um seinen ärztlichen Rat zu suchen.
§ 286s) Dr. Stekel selbst in einer stürmischen Generalver sammlung: Wir streiten (schreiten) nun zu Punkt 4 der Tagesordnung.
§ 287t) Ein Professor in seiner Antrittsvorlesung: „Ich bin nicht geneigt (geeignet), die Verdienste meines sehr ge schätzten Vorgängers zu schildern.“
§ 288u) Dr. Stekel zu einer Dame, bei welcher er Basedowsche Krankheit vermutet: „Sie sind um einen Kropf (Kopf) größer als Ihre Schwester.“
§ 289v) Dr. Stekel berichtet: Jemand will das Verhältnis zweier Freunde schildern, von denen einer als Jude charakte risiert werden soll. Er sagt: Sie lebten zusammen wie Kastor und Pollak. Das war durchaus kein Witz, der Redner hatte das Versprechen selbst nicht bemerkt und wurde erst von mir darauf aufmerksam gemacht.
§ 290w) Gelegentlich ersetzt ein Versprechen eine ausführliche Charakteristik. Eine junge Dame, die das Regiment im Hause führt, erzählt mir von ihrem leidenden Manne, er sei beim Arzt gewesen, um ihn nach der ihm zuträglichen Diät zu be fragen. Der Arzt habe aber gesagt, darauf käme es nicht an. „Er kann essen und trinken, was ich will.“
§ 291Die folgenden zwei Beispiele von Th. Reik: (Internation. Zeitschr. f. Psychoanalyse, III, 1915) stammen aus Situationen, in denen sich Versprechen besonders leicht ereignen, weil in ihnen mehr zurückgehalten wird, als gesagt werden kann.
§ 292x) Ein Herr spricht einer jungen Dame, deren Gatte kürz lich gestorben ist, sein Beileid aus und setzt hinzu: „Sie werden Trost finden, indem Sie sich völlig Ihren Kindern widwen.“ Der unterdrückte Gedanke wies auf andersartigen Trost hin: eine junge schöne Witwe wird bald neue Sexual freuden genießen.
§ 293y) Derselbe Herr unterhält sich mit derselben Dame in einer Abendgesellschaft über die großen Vorbereitungen, welche in Berlin zum Osterfeste getroffen werden, und fragt: „Haben Sie heute die Auslage bei Wertheim gesehen? Sie ist ganz dekolletiert.“ Er hatte seiner Bewunderung über die Dekolletage der schönen Frau nicht laut Ausdruck geben dürfen, und nun setzte sich der verpönte Gedanke durch, indem er die Dekoration einer Warenauslage in eine Dekolletage ver wandelte, wobei das Wort Auslage unbewußt doppelsinnig ver wendet wurde.
§ 294Dieselbe Bedingung trifft auch für eine Beobachtung zu,Hanns Sachs ausführliche Rechenschaft zu geben versucht:
über welche § 295z) „Eine Dame erzählt mir von einem gemeinsamen Be kannten, er sei, als sie ihn das letztemal sah, so elegant ange zogen gewesen wie immer, besonders habe er hervorragend schöne, braune Halbschuhe getragen. Auf meine Frage, wo sie ihn denn getroffen habe, berichtete sie: ,Er hat an meiner Haustür geläutet und ich hab’ ihn durch die heruntergelas senen Rouleaux gesehen. Ich habe aber weder geöffnet noch sonst ein Lebenszeichen gegeben, denn ich wollte nicht, daß er es erfährt, daß ich schon in der Stadt bin.‘ Ich denke mir beim Zuhören, daß sie mir dabei etwas verschweigt, am wahr scheinlichsten wohl, daß sie deswegen nicht geöffnet habe, weil sie nicht allein und nicht in der Toilette war, um Besuche zu empfangen, und frage ein wenig ironisch: ,Also durch die geschlossenen Jalousien hindurch haben Sie seine Hausschuhe — seine Halbschuhe bewundern können?‘ In ,Hausschuhe‘ kommt der von der Äußerung abgehaltene Gedanke an ihr Hauskleid zum Ausdruck. Das Wort ,Halb‘ wurde anderseits wieder deswegen zu beseitigen versucht, weil gerade in diesem Worte der Kern der verpönten Antwort: ,Sie sagen mir nur die halbe Wahrheit und verschweigen, daß Sie halb ange zogen waren‘ enthalten ist. Befördert wurde das Versprechen auch dadurch, daß wir unmittelbar vorher von dem Eheleben des betreffenden Herrn, von seinem ,häuslichen Glück‘ gespro chen hatten, was wohl die Verschiebung auf seine Person mitdeterminierte. Schließlich muß ich gestehen, daß vielleicht mein Neid mitgewirkt hat, wenn ich diesen eleganten Herrn in Hausschuhen auf der Straße stehen ließ; ich selbst habe mir erst vor kurzem braune Halbschuhe gekauft, die keineswegs mehr ,hervorragend schön‘ sind.“
§ 296Kriegszeiten wie die gegenwärtigen bringen eine Reihe
von Versprechen hervor, deren Verständnis wenig Schwierig keiten macht.§ 297α) „Bei welcher Waffe befindet sich Ihr Herr Sohn?“ wirdMördern.“
eine Dame gefragt. Sie antwortet: „Bei den 42er § 298β) Leutnant Henrik Haiman schreibt aus dem Felde**: Ich werde aus der Lektüre eines fesselnden Buches herausge rissen, um für einen Moment den Aufklärungstelephonisten zu vertreten. Auf die Leitungsprobe der Geschützstation reagiere ich mit: Kontrolle richtig, Ruhe. Reglementmäßig sollte es lauten: Kontrolle richtig, Schluß. Meine Abweichung er klärt sich durch den Ärger über die Störung im Lesen.
§ 299γ) Ein Feldwebel instruiert die Mannschaft, ihre AdressenGespeckstücke nicht verlorengehen.
genau nach Hause anzugeben, damit die § 300δ) Das nachstehende, hervorragend schöne und durchCzeszer, der während seines Aufenthaltes in der neutralen Schweiz zu Kriegszeiten diese Beobachtung gemacht und sie erschöpfend analysiert hat. Ich gebe seine Zuschrift mit unwesentlichen Auslassungen im folgenden wieder:
seinen tieftraurigen Hintergrund bedeutsame Beispiel verdanke ich der Mitteilung von Dr. L. § 301„Ich gestatte mir, einen Fall von ,Versprechen‘ mitzuteilen,Boche jetzt allgemein und ausschließlich zur Bezeichnung der Deutschen gebraucht. Bei öffentlichen Kund gebungen aber, sowie bei Vorlesungen u. dgl. bestreben sich höhere Beamte, Professoren und sonst verantwortliche Personen, aus Neutralitätsgründen das ominöse Wort zu vermeiden.
der Herrn Professor M. N. in O. bei einem seiner im eben ver flossenen Sommersemester abgehaltenen Vorträge über die Psychologie der Empfindungen unterlief. Ich muß voraussen den, daß diese Vorlesungen in der Aula der Universität unter großem Zudrang der französischen internierten Kriegsgefan genen und im übrigen der meist aus entschieden ententefreund lich gesinnten Französisch-Schweizern bestehenden Studenten schaft gehalten wurden. In O. wird, wie in Frankreich selbst, das Wort * Intern. Zeitschr. für Psychoanalyse, IV, 1916/17. § 302Professor N. nun war gerade im Zuge, die praktische Bemoche vous écrasez le crâne d’un Français. Also statt motte — moche!
deutung der Affekte zu besprechen, und beabsichtigte, ein Bei spiel zu zitieren für die zielbewußte Ausbeutung eines Affekts, um eine an sich uninteressante Muskelarbeit mit Lustgefühlen zu laden und so intensiver zu gestalten. Er erzählte also, natür lich in französischer Sprache, die gerade damals von hiesigen Blättern aus einem alldeutschen Blatte abgedruckte Geschichte von einem deutschen Schulmeister, der seine Schüler im Garten arbeiten ließ und, um sie zu intensiverer Arbeit anzufeuern, sie aufforderte, sich vorzustellen, daß sie statt jeder Erdscholle einen französischen Schädel einschlügen. Beim Vortrag seiner Geschichte sagte N. natürlich jedesmal, wo von Deutschen die Rede war, ganz korrekt Allemand und nicht Boche. Doch als es zur Pointe der Geschichte kam, trug er die Worte des Schulmeisters folgenderweise vor: Imaginez vous, qu’en chaque § 303Sieht man da nicht förmlich, wie der korrekte Gelehrte vommotte und — das Unheil ist geschehen. Die Angst vor der politischen Taktlosigkeit, vielleicht eine zurückge drängte Lust, das gewohnte und von allen erwartete Wort doch zu gebrauchen, sowie der Unwillen des geborenen Re publikaners und Demokraten gegen jeden Zwang in der freien Meinungsäußerung interferieren mit der auf die korrekte Wiedergabe des Beispiels gerichteten Hauptabsicht. Die inter ferierende Tendenz ist dem Redner bekannt und er hat, wie nicht anders anzunehmen ist, mittelbar vor dem Verspre chen an sie gedacht.
Anfang der Erzählung sich zusammennimmt, um ja nicht der Gewohnheit und vielleicht auch der Versuchung nachzugeben und das sogar durch einen Bundeserlaß ausdrücklich verpönte Wort von dem Katheder der Universitätsaula fallen zu lassen! Und gerade im Augenblick, wo er glücklich das letztemal ganz korrekt ,instititeur allemand‘ gesagt hat und innerlich auf atmend zum unverfänglichen Schlusse eilt, klammert sich die mühsam zurückgedrängte Vokabel an den Gleichklang des Wortes § 304Sein Versprechen hat Professor N. nicht bemerkt, wenig
stens hat er es nicht verbessert, was man doch meist geradezu automatisch tut. Dagegen wurde der Lapsus von der meist französischen Zuhörerschaft mit wahrer Genugtuung aufge nommen und wirkte vollkommen wie ein beabsichtigter Wort witz. Ich aber folgte diesem anscheinend harmlosen Vorgang mit wahrer innerer Erregung. Denn wenn ich mir auch aus naheliegenden Gründen versagen mußte, dem Professor die sich nach psychoanalytischer Methode aufdrängenden Fragen zu stellen, so war doch dieses Versprechen für mich ein schlagen der Beweis für die Richtigkeit Ihrer Lehre von der Determinie rung der Fehlhandlungen und den tiefen Analogien und Zu sammenhängen zwischen dem Versprechen und dem Witz.“§ 305ε) Unter den betrübenden Eindrücken der Kriegszeit ent
stand auch das Versprechen, welches ein heimgekehrter öster reichischer Offizier, Oblt. T., berichtet: § 306„Während mehrerer Monate meiner italienischen Kriegs
gefangenschaft waren wir, eine Zahl von 200 Offizieren, in einer engen Villa untergebracht. In dieser Zeit starb einer unserer Kameraden an der Grippe. Der Eindruck, der durch diesen Vorfall hervorgerufen wurde, war naturgemäß ein tief gehender; denn die Verhältnisse, in denen wir uns befanden, das Fehlen ärztlichen Beistands, die Hilflosigkeit unserer da maligen Existenz ließen ein Umsichgreifen der Seuche mehr denn wahrscheinlich werden. — Wir hatten den Toten in einem Kellerraume aufgebahrt. Am Abend, als ich mit einem Freunde einen Rundgang um unser Haus angetreten hatte, äußerten wir beide den Wunsch, die Leiche zu sehen. Mir als dem Voranschreitenden bot sich beim Eintritt in den Keller ein Anblick, der mich heftig erschrecken ließ; denn ich war nicht vorbereitet gewesen, die Bahre so nahe beim Eingang aufgestellt zu finden und aus solcher Nähe in das durch spielende Kerzenlichter in Unruhe versetzte Antlitz schauen zu müssen. Noch unter diesem nachwirkenden Bilde setzten wir dann den Rundgang fort. An einer Stelle, von wo sich dem Auge die Ansicht des im vollen Mondenscheine schwimmenden Parkes, einer hellbestrahlten Wiese und da hintergelegter, leichter Nebelschleier zeigte, gab ich der da mit verknüpften Vorstellung Ausdruck, einen Reigen Elfen unter dem Saume der anschließenden Kiefern tanzen zu sehen.§ 307Am folgenden Nachmittag begruben wir den toten GeGrab — — Gras setzen und eine Serenade sinken!‘ — Erst beim zweiten Versprechen wurde ich auf merksam; das erstemal hatte ich verbessert, ohne des Sinnes im Fehler bewußt geworden zu sein. Nun überlegte ich und reihte aneinander: ,ins Grab — sinken!‘ Blitzartig folgten diese Bilder: im Mondschein tanzende, schwebende Elfen; der aufgebahrte Kamerad, der erweckte Eindruck; einzelne Szenen vom Begräbnis, die Empfindung des gehabten Ekels und der gestörten Trauer; Erinnerung an einzelne Gespräche über die aufgetretene Seuche, Furchtäußerungen mehrerer Offiziere. Später entsann ich mich des Umstandes, daß es der Todestag meines Vaters sei, was für mich meines sonst sehr schlechten Datengedächtnisses wegen auffallend wurde.
fährten. Der Weg von unserem Kerker bis zum Friedhof des kleinen, benachbarten Ortes war für uns gleicherweise bitter und entwürdigend; denn halbwüchsige, johlende Burschen, eine spöttische, höhnende Bevölkerung, derbe, schreiende Lärmer hatten diesen Anlaß benützt, um unverhohlen ihren von Neugierde und Haß gemischten Gefühlen Ausdruck zu ver leihen. Die Empfindung, selbst in diesem wehrlosen Zustand nicht ungekränkt bleiben zu können, der Abscheu vor der be kundeten Roheit beherrschten mich bis zum Abend mit Er bitterung. Zur gleichen Stunde wie tagszuvor, in der näm lichen Begleitung begingen wir auch diesmal den Kiesweg rund um das Wohnhaus; und an dem Kellergitter vorüber kommend, hinter dem die Leiche gelegen hatte, überfiel mich die Erinnerung des Eindrucks, den ihr Anblick in mir hinter lassen hatte. An der Stelle, von der sich mir dann wiederum der erhellte Park darbot, unter dem gleichen Vollmondlichte, hielt ich an und äußerte zu meinem Begleiter: ,Wir könnten uns hier ins § 308Beim nachherigen Überdenken wurde mir klar: das Zukönnten ins Grab sinken‘ wurde mit darauf in ihrer Bedeu tung bewußt, wie ich auch die Überzeugung gewann, nur die zuerst stattgehabte Korrektur von ,Grab‘ in ,Gras‘, die noch ohne Deutlichkeit geschehen war, habe auch das zweite Ver sprechen: ,singen‘ in ,sinken‘ zur Folge gehabt, um dem unter drückten Komplex endgültige Wirkung zu sichern.
sammentreffen äußerer Bedingungen zwischen beiden Aben den, die gleiche Stunde, Beleuchtung, der nämliche Ort und Begleiter. Ich erinnerte mich des Unbehagens, das ich emp funden hatte, als die Besorgnis einer Ausbreitung der Grippe erörtert wurde; aber zugleich auch des inneren Verbotes, mich Furcht anwandeln zu lassen. Auch die Wortstellung: ,wir§ 309Ich füge bei, daß ich zu jener Zeit an beängstigenden
Träumen litt, in denen ich eine mir sehr nahestehende An gehörige wiederholt krank, einmal selbst tot sah. Ich hatte noch knapp vor meiner Gefangennehme die Nachricht er halten, daß die Grippe gerade in der Heimat dieser Angehö rigen mit besonderer Heftigkeit wüte, hatte ihr auch meine lebhaften Befürchtungen geäußert. Seither war ich ohne Ver bindung geblieben. Monate später empfing ich die Kunde, daß sie zwei Wochen vor dem geschilderten Ereignis ein Opfer der Epidemie geworden sei! —“§ 310ζ) Das nachstehende Beispiel von Versprechen beleuchtetumbringen — unter bringen, meine ich. Er sträubt sich dann heftig gegen die Deutung seines Versprechens. „Du wirst doch nicht glauben, daß ich feindselige Impulse gegen dich habe?“ Eine Viertel stunde später sagt er zu der ihn hinausbegleitenden Dame, die die Pflege des Kranken übernommen hat: „Ich kann nichts finden und glaube ja noch immer nicht daran. Aber wenn es so sein sollte, bin ich für eine tüchtige Dosis Mor phium, und dann ist Ruhe.“ Es kommt heraus, daß der Freund ihm die Bedingung gestellt hat, daß er seine Leiden durch ein Medikament abkürze, sobald es feststeht, daß ihm nicht mehr zu helfen ist. Der Arzt hatte also wirklich die Aufgabe übernommen, den Freund umzubringen.
blitzähnlich einen der schmerzlichen Konflikte, die das Los des Arztes sind. Ein wahrscheinlich dem Tode verfallener Mann, dessen Diagnose aber noch nicht feststeht, ist nach Wien gekommen, um hier die Lösung seines Knotens abzu warten, und hat einen Jugendfreund, der ein bekannter Arzt ge worden ist, gebeten, seine Behandlung zu übernehmen, wor auf dieser nicht ohne Widerstreben schließlich einging. Der Kranke soll in einer Heilanstalt Aufenthalt nehmen und der Arzt schlägt das Sanatorium „Hera“ vor. Das ist doch eine Anstalt nur für bestimmte Zwecke (eine Entbindungsanstalt), wendet der Kranke ein. O nein, ereifert sich der Arzt: In der „Hera“ kann man jeden Patienten § 311η) Auf ein ganz besonders lehrreiches Beispiel von Versprefünf geraden Glieder hat, mehr braucht er nicht! Dieses Beispiel gestattet uns einen guten Einblick in den intimen Mechanismus eines Versprechens durch Verdichtung oder einer Kontamination (vgl. S. 64). Es liegt nahe, anzunehmen, daß hier zwei sinnähnliche Redeweisen verschmolzen sind:
chen möchte ich nicht verzichten, obwohl es sich nach Angabe meines Gewährsmannes vor etwa 20 Jahren zugetragen hat. „Eine Dame äußerte einmal in einer Gesellschaft — man hört es den Worten an, daß sie im Eifer und unter dem Drucke aller lei geheimer Regungen zu stande gekommen sind: Ja, eine Frau muß schön sein, wenn sie den Männern gefallen soll. Da hat es ein Mann viel besser; wenn er nur seine § 312wenn er seine vier geraden Glieder hat wenn er seine fünf Sinne beisammen hat.
§ 313Oder aber das Element gerade ist das Gemeinsame zweier Redeintentionen gewesen, die gelautet haben:
§ 314wenn er nur seine geraden Glieder hat alle fünf gerade sein lassen.
§ 315Es hindert uns auch nichts anzunehmen, daß beide Redens arten, die von den fünf Sinnen und die von den geraden fünf mitgewirkt haben, um in den Satz von den geraden Gliedern zunächst eine Zahl und dann die geheimsinnige fünf anstatt der simpeln vier einzuführen. Diese Verschmelzung wäre aber gewiß nicht erfolgt, wenn sie nicht in der als Versprechen re sultierenden Form einen eigenen guten Sinn hätte, den einer zynischen Wahrheit, wie sie von einer Frau allerdings nicht ohne Bemäntelung bekannt werden darf. — Endlich wollen wir nicht versäumen, aufmerksam zu machen, daß die Rede der Dame ihrem Wortlaut nach ebensowohl einen vortreff lichen Witz wie ein lustiges Versprechen bedeuten kann. Es hängt nur davon ab, ob sie diese Worte mit bewußter Absicht oder — mit unbewußter Absicht gesprochen hat. Das Be nehmen der Rednerin in unserem Falle widerlegte allerdings die bewußte Absicht und schloß den Witz aus.“
§ 316Die Annäherung eines Versprechens an einen Witz kann soRank mitgeteilten Falle, in dem die Urheberin des Versprechens es schließlich selbst als Witz belacht (Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, I, 1913):
weit gehen wie in dem von O. § 317θ) „ "Ein jung verheirateter Ehemann, dem seine um ihrPuderquaste seiner noch ruhenden Gattin. Die um ihren Teint äußerst besorgte Dame hatte ihm auch dies schon mehrmals verwiesen und ruft ihm darum ge ärgert zu: ,Du puderst mich ja schon wieder mit deiner Quaste!‘ Durch des Mannes Gelächter auf ihr Versprechen auf-" mädchenhaftes Aussehen besorgte Frau den häufigen Ge schlechtsverkehr nur ungern gestattet, erzählt mir folgende, nachträglich auch ihn und seine Frau höchst belustigende Ge schichte: Nach einer Nacht, in welcher er das Abstinenz gebot seiner Frau wieder einmal übertreten hat, rasiert er sich morgens in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer und benützt da bei — wie schon öfter aus Bequemlichkeit — die auf dem Nachtkästchen liegende "merksam gemacht (sie wollte sagen: du puderst dich schon wieder mit meiner Quaste), lacht sie schließlich belustigt mit (,pudern‘ ist ein jedem Wiener geläufiger Ausdruck für koitie ren, die Quaste als phallisches Symbol kaum zweifelhaft)." “
§ 318Die Verwandtschaft zwischen Witz und Versprechen be
kundet sich auch darin, daß das Versprechen oft nichts anderes ist als eine Verkürzung:§ 319ι) Ein junges Mädchen hat nach dem Verlassen der Schule Chemie verloren.
den herrschenden Zeitströmungen Rechnung getragen, indem sie sich zum Studium der Medizin inskribierte. Nach wenigen Semestern hatte sie die Medizin mit der Chemie vertauscht. Von dieser Schwenkung erzählt sie einige Jahre später in folgender Rede: Ich hab’ mich ja im allgemeinen beim Sezieren nicht gegraust, aber wie ich einmal an einer Leiche die Nägel von den Fingern abziehen sollte, da habe ich die Lust an der ganzen§ 320κ) Ich reihe hier einen anderen Fall von Versprechen an,an einem Finger, pardon, an den Fingern einer Hand wollte ich sagen, abzählen.“
dessen Deutung wenig Kunst erfordert. „Der Professor bemüht sich in der Anatomie um die Erklärung der Nasenhöhle, eines bekanntlich sehr schwierigen Abschnittes der Eingeweidelehre. Auf seine Frage, ob die Hörer seine Ausführungen erfaßt haben, wird ein allgemeines ,Ja‘ vernehmlich. Darauf bemerkt der bekannt selbstbewußte Professor: Ich glaube kaum, denn die Leute, welche die Nasenhöhle verstehen, kann man selbst in einer Millionenstadt wie Wien § 321λ) Derselbe Anatom ein andermal: „Beim weiblichenVersuchungen — pardon, Versuche...“
Genitale hat man trotz vieler § 322μ) Herrn Dr. Alf. Robitsek in Wien verdanke ich den Hinweis auf zwei von einem altfranzösischen Autor bemerkte Fälle von Versprechen, die ich unübersetzt wiedergeben werde.
§ 323Brantôme (1527—1614) Vies des Dames galantes, Dis cours second: „ "Si ay-je cogneu une très belle et honneste dameponts. Pensez que, venant de coucher d’avec son mary, ou songeant à son amant, elle avoit encor ce nom frais en la bouche; et le gentilhomme s’en eschauffer en amours d’elle pour ce mot.‘" de par le monde, qui, devisant avec un honneste gentilhomme de la cour des affaires de la guerre durant ces civiles, elle luy dit: ,J’ay ouy dire que le roy a faiet rompre tous les c... de ce pays là. Elle vouloit dire les “
§ 324„ "Une autre dame que j´ai cogneue, entretenant une autreadultérer; voulant dire adulater, comme elle le rhabilla ainsi: pensez qu’elle songeoit à adultérer.‘" grand dame plus qu’elle, et luy louant et exaltant ses beautez, elle luy dit après: ,Non, madame, ce que je vous en dis: ce n’est point pour vous “
§ 325Bei dem psychotherapeutischen Verfahren, dessen ich michVater des N. N., den sie behandelt haben. — Pardon, ich will sagen, der Bruder; er ist ja um vier Jahre älter als ich. Ich verstehe, daß er durch dieses Versprechen ausdrücken will, daß er wie der Bruder durch die Schuld des Vaters erkrankt sei, wie der Bruder Heilung verlange, daß aber der Vater derjenige ist, dem die Heilung am dringlichsten wäre. Andere Male reicht eine ungewöhnlich klingende Wortfügung, eine gezwungen erschei nende Ausdrucksweise hin, um den Anteil eines verdrängten Gedankens an der anders motivierten Rede des Patienten aufzudecken.
zur Auflösung und Beseitigung neurotischer Symptome bediene, ist sehr häufig die Aufgabe gestellt, aus den wie zufällig vor gebrachten Reden und Einfällen des Patienten einen Gedanken inhalt aufzuspüren, der zwar sich zu verbergen bemüht ist, aber doch nicht umhin kann, sich in mannigfaltigster Weise unabsichtlich zu verraten. Dabei leistet oft das Versprechen die wertvollsten Dienste, wie ich an den überzeugendsten und anderseits sonderbarsten Beispielen dartun könnte. Die Pa tienten sprechen z. B. von ihrer Tante und nennen sie konse quent, ohne das Versprechen zu bemerken, „meine Mutter“, oder bezeichnen ihren Mann als ihren „Bruder“. Sie machen mich auf diese Weise aufmerksam, daß sie diese Personen mitein ander „identifiziert“, in eine Reihe gebracht haben, welche für ihr Gefühlsleben die Wiederkehr desselben Typus bedeutet. Oder: ein junger Mann von 20 Jahren stellt sich mir in der Sprechstunde mit den Worten vor: Ich bin der § 326In groben wie in solchen feineren Redestörungen, die sich In einer großen. Ich Reihe von Substitutionen wird beim Versprechen von solchen Lautgesetzen völlig abgesehen befinde mich hiebei in voller Übereinstimmung mit Wundt, der gleichfalls die Bedingungen des Versprechens als zu sammengesetzte und weit über die Kontaktwirkungen der Laute hinausgehende vermutet.
eben noch dem „Versprechen“ subsumieren lassen, finde ich also nicht den Einfluß von Kontaktwirkungen der Laute, son dern den von Gedanken außerhalb der Redeintention maß gebend für die Entstehung des Versprechens und hinreichend zur Aufhellung des zu stande gekommenen Sprechfehlers. Die Gesetze, nach denen die Laute verändernd aufeinander ein wirken, möchte ich nicht anzweifeln; sie scheinen mir aber nicht wirksam genug, um für sich allein die korrekte Ausfüh rung der Rede zu stören. In den Fällen, die ich genauer stu diert und durchschaut habe, stellen sie bloß den vorgebildeten Mechanismus dar, dessen sich ein ferner gelegenes psychisches Motiv bequemerweise bedient, ohne sich aber an den Macht bereich dieser Beziehungen zu binden.§ 327Wenn ich diese „entfernteren psychischen Einflüsse“ nachWundts Ausdruck für gesichert halte, so weiß ich anderseits von keiner Abhaltung um auch zuzugeben, daß bei beschleu nigter Rede und einigermaßen abgelenkter Aufmerksamkeit die Bedingungen fürs Versprechen sich leicht auf das von Meringer und Mayer bestimmte Maß einschränken können. Bei einem Teile der von diesen Autoren gesammelten Beispiele ist wohl eine kompliziertere Auflösung wahrscheinlicher. Ich greife etwa den vorhin angeführten Fall heraus:
§ 328Es war mir auf der Schwest... Brust so schwer.
§ 329Geht es hier wohl so einfach zu, daß das schwe das gleich wertige Bru als Vorklang verdrängt? Es ist kaum abzuweisen, daß die Laute schwe außerdem durch eine besondere Relation zu dieser Vordringlichkeit befähigt werden. Diese könnte dann keine andere sein als die Assoziation: Schwester — Bruder, etwa noch: Brust der Schwester, die zu anderen Ge dankenkreisen hinüberleitet. Dieser hinter der Szene unsicht bare Helfer verleiht dem sonst harmlosen schwe die Macht, deren Erfolg sich als Sprechfehler äußert.
§ 330Für anderes Versprechen läßt sich annehmen, daß der AnEischeißweibchen für Eiweißscheibchen, Apopos Fritz für Apropos, Lokuskapitäl für Lotuskapitäl usw., viel leicht noch die Alabüsterbachse (Alabasterbüchse) der hl. Mag dalena gehören wohl in diese Kategorie**. — „Ich fordere Sie auf, auf das Wohl unseres Chefs aufzustoßen,“ ist kaum etwas anderes als eine unabsichtliche Parodie als Nachklang einer beabsichtigten. Wenn ich der Chef wäre, zu dessen Feierlichkeit der Festredner diesen Lapsus beigetragen hätte, würde ich wohl daran denken, wie klug die Römer gehandelt haben, als sie den Soldaten des triumphierenden lmperators gestatteten, den inneren Einspruch gegen den Gefeierten in Spottliedern laut zu äußern. — Meringer erzählt von sich selbst, daß er zu einer Person, die als die älteste der Gesell schaft mit dem vertraulichen Ehrennamen „Senexl“ oder „altes Senexl“ angesprochen wurde, einmal gesagt habe: „Prost, Senex altesl!“ Er erschrak selbst über diesen Fehler (S. 50). Wir können uns vielleicht seinen Affekt deuten, wenn wir daran mahnen, wie nahe „Altesl“ an den Schimpf „alter“ kommt. Auf die Verletzung der Ehrfurcht vor dem Esel Alter (d. i., auf die Kindheit reduziert: vor dem Vater) sind große innere Strafen gesetzt.
klang an obszöne Worte und Bedeutungen das eigentlich Stö rende ist. Die absichtliche Entstehung und Verzerrung der Worte und Redensarten, die bei unartigen Menschen so beliebt ist, bezweckt nichts anderes, als beim harmlosen Anlaß an das Verpönte zu mahnen, und diese Spielerei ist so häufig, daß es nicht wunderbar wäre, wenn sie sich auch unabsichtlich und wider Willen durchsetzen sollte. Beispiele wie: § 331Ich hoffe, die Leser werden den Wertunterschied dieseraußerhalb des intendierten Zusammen hanges zurückführen lassen, so verlockt mich dazu eine sehr beachtenswerte Bemerkung von Meringer. Dieser Autor sagt, es ist merkwürdig, daß niemand sich versprochen haben will. Es gibt sehr gescheite und ehrliche Menschen, welche beleidigt sind, wenn man ihnen sagt, sie hätten sich versprochen. Ich getraue mich nicht, diese Behauptung so allgemein zu nehmen, wie sie durch das „niemand“ von Meringer hingestellt wird. Die Spur Affekt aber, die am Nachweis des Versprechens hängt und offenbar von der Natur des Schämens ist, hat ihre Bedeu tung. Sie ist gleichzusetzen dem Ärger, wenn wir einen ver gessenen Namen nicht erinnern, und der Verwunderung über die Haltbarkeit einer scheinbar belanglosen Erinnerung und weist allemal auf die Beteiligung eines Motivs am Zustande kommen der Störung hin.
Deutungen, die sich durch nichts beweisen lassen, und der Bei spiele, die ich selbst gesammelt und durch Analysen erläutert habe, nicht vernachlässigen. Wenn ich aber im stillen immer noch an der Erwartung festhalte, auch die scheinbar einfachen Fälle von Versprechen würden sich auf Störung durch eine halb unterdrückte Idee * Bei einer meiner Patientinnen setzte sich das Versprechen als Sym ptom so lange fort, bis es auf den Kinderstreich, das Wort ruinieren durch urinieren zu ersetzen, zurückgeführt war. § 332Das Verdrehen von Namen entspricht einer Schmähung,Mayers Bericht einmal „Freuder“ sagte anstatt Freud, weil sie kurz darauf den Namen „Breuer“ vorbrachte (S. 38), ein andermal von einer Freuer-Breudschen Methode (S. 28) sprach, war wohl ein Fachgenosse und von dieser Methode nicht sonder lich entzückt. Einen gewiß nicht anders aufzuklärenden Fall von Namenentstellung werde ich weiter unten beim Verschrei ben mitteilen**.
wenn es absichtlich geschieht, und dürfte in einer ganzen Reihe von Fällen, wo es als unabsichtliches Versprechen auftritt, die selbe Bedeutung haben. Jene Person, die nach * Man kann auch bemerken, daß gerade Aristokraten besonders häufig die Namen von Ärzten, die sie konsultiert haben, entstellen, und darf daraus schließen, daß sie dieselben innerlich gering schätzen, trotz der Höflichkeit, mit welcher sie ihnen zu begegnen pflegen. — Ich zitiere hier einige treffende Bemerkungen über das Namenvergessen aus der eng lischen Bearbeitung unseres Themas durch Prof. E. Jones, damals in Toronto (The Psychopathology of Everyday Life. American J. of Psycho logy Oct. 1911): „ "Wenige Leute können sich einer Anwandlung von Ärger erwehren,Graonne befand, erinnerte er sich, daß er deren Bürgermeister De Bussy etwa 20 Jahre vorher in einem bestimmten Regiment kennen gelernt hatte; die Folge war, daß der entzückte De Bussy sich seinem Dienst mit schrankenloser Hingebung widmete. Dementsprechend gibt es" wenn sie finden, daß man ihren Namen vergessen hat, besonders dann, wenn sie von der betreffenden Person gehofft oder erwartet hatten, sie würde den Namen behalten haben. Sie sagen sich sofort ohne Überlegung, daß die Person den Namen nicht vergessen hätte, wenn man einen stär keren Eindruck bei ihr hinterlassen hätte; denn der Name ist ein wesent licher Bestandteil der Persönlichkeit. Anderseits gibt es wenig Dinge, die schmeichelhafter empfunden werden, als wenn man von einer hohen Per sönlichkeit, wo man es nicht erwartet hätte, mit seinem Namen angeredet wird. Napoleon, ein Meister in der Kunst, Menschen zu behandeln, gab während des unglücklichen Feldzuges von 1814 eine erstaunliche Probe seines Gedächtnisses nach dieser Richtung. Als er sich in einer Stadt bei § 333ln diesen Fällen mengt sich als störendes Moment eine
Kritik ein, welche beiseite gelassen werden soll, weil sie gerade in dem Zeitpunkt der Intention des Redners nicht entspricht.§ 334Umgekehrt muß die Namenersetzung, die Aneignung desFerenczi aus seinen Schuljahren:
fremden Namens, die Identifizierung mittels des Namen versprechens, eine Anerkennung bedeuten, die im Augenblick aus irgend welchen Gründen im Hintergrunde verbleiben soll. Ein Erlebnis dieser Art erzählt S. § 335„In der ersten Gymnasialklasse habe ich (zum erstenmal
in meinem Leben) öffentlich (d. h. vor der ganzen Klasse) ein Gedicht rezitieren müssen. Ich war gut vorbereitet und war be stürzt, gleich beim Beginne durch eine Lachsalve gestört zu werden. Der Professor erklärte mir dann diesen sonderbaren Empfang: ich sagte nämlich den Titel des Gedichtes ,Aus der§ 336Alexander (Sándor) Petöfi. Die Gleichheit des Vornamens mit meinem eigenen begünstigte die Verwechslung; die eigent liche Ursache derselben aber war sicherlich die, daß ich mich damals in meinen geheimen Wünschen mit dem gefeierten Dichterhelden identifizierte. Ich hegte für ihn auch bewußt eine an Anbetung grenzende Liebe und Hochachtung. Natür lich steckt auch der ganze leidige Ambitionskomplex hinter dieser Fehlleistung.“
Ferne‘ ganz richtig, nannte aber als Autor nicht den wirklichen Dichter, sondern — mich selber. Der Name des Dichters ist § 337Eine ähnliche Identifizierung mittels des vertauschten NaVirchow mit den Worten vorstellte: Dr. Virchow. Der Professor wendete sich erstaunt zu ihm und fragte: Ah, heißen Sie auch Virchow? Ich weiß nicht, wie der junge Ehrgeizige das Versprechen recht fertigte, ob er die anmutende Ausrede fand, er sei sich so klein neben dem großen Namen vorgekommen, daß ihm sein eigener entschwinden mußte, oder ob er den Mut hatte zu gestehen, er hoffe auch noch einmal ein so großer Mann wie Virchow zu werden, der Herr Geheimrat möge ihn darum nicht so gering schätzig behandeln. Einer dieser beiden Gedanken — oder viel leicht gleichzeitig beide — mag den jungen Mann bei seiner Vorstellung in Verwirrung gebracht haben.
mens wurde mir von einem jungen Arzt berichtet, der sich zag haft und verehrungsvoll dem berühmten § 338Aus höchst persönlichen Motiven muß ich es in der SchwebeBreuer und ich haben bekanntlich nachgewiesen, während er nur zu sagen beabsichtigten konnte: Breuer und Freud. Der Name dieses Gegners zeigt nicht die leiseste Klangähnlichkeit mit dem meinigen. Wir werden durch dieses Beispiel wie durch viele andere Fälle von Namenvertauschung beim Versprechen daran gemahnt, daß das Versprechen jener Erleichterung, die ihm der Gleichklang gewährt, völlig ent behren und sich nur auf verdeckte inhaltliche Beziehungen gestützt durchsetzen kann.
lassen, ob eine ähnliche Deutung auch auf den nun anzu führenden Fall anwendbar ist. Auf dem internationalen Kon greß in Amsterdam 1907 war die von mir vertretene Hysterie lehre Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Einer meiner energischesten Gegner soll sich in seiner Brandrede gegen mich wiederholt in der Weise versprochen haben, daß er sich an meine Stelle setzte und in meinem Namen sprach. Er sagte z. B.: § 339In anderen und weit bedeutsameren Fällen ist es Selbst**. Das Versprechen wird hier zu einem mimischen Aus drucksmittel, freilich oftmals für den Ausdruck dessen, was man nicht sagen wollte, zu einem Mittel des Selbstverrates. So z. B. wenn ein Mann, der in seinen Beziehungen zum Weibe den sogenannten normalen Verkehr nicht bevorzugt, in ein Gespräch über ein für kokett erklärtes Mädchen mit den Worten einfällt: Im Umgang mit mir würde sie sich das Koëttieren schon abgewöhnen. Kein Zweifel, daß es nur das andere Wort koitieren sein kann, dessen Einwirkung auf das intendierte kokettieren solche Abänderung zuzu schreiben ist. Oder im folgenden Falle: „Wir haben einen Onkel, der schon seit Monaten sehr beleidigt ist, weil wir ihn nie besuchen. Den Umzug in eine neue Wohnung nehmen wir zum Anlaß, um nach langer Zeit einmal bei ihm zu er scheinen. Er freut sich anscheinend sehr mit uns und sagt beim Abschied so recht gefühlvoll: ,Von nun an hoffe ich euch noch seltener zu sehen als bisher.‘“
kritik, innerer Widerspruch gegen die eigene Äußerung, was zum Versprechen, ja zum Ersatz des Intendierten durch seinen Gegensatz nötigt. Man merkt dann mit Erstaunen, wie der Wortlaut einer Beteuerung die Absicht derselben aufhebt, und wie der Sprechfehler die innere Unaufrichtigkeit bloßgelegt hat§ 340Die zufällige Gunst des Sprachmaterials läßt oft Beispiele
von Versprechen entstehen, denen die geradezu niederschmet ternde Wirkung einer Enthüllung oder der volle komische Effekt eines Witzes zukommt.§ 341So in nachstehendem von Dr. Reitler beobachteten und mitgeteilten Falle:
§ 342„,Diesen neuen, reizenden Hut haben Sie wohl sich selbstatzt?‘ sagte eine Dame in bewunderndem Tone zu einer anderen.“
aufgep§ 343„Die Fortsetzung des beabsichtigten Lobes mußte nunputz sei eine ,Patzerei‘, hatte sich denn doch viel zu deut lich in dem unliebsamen Versprechen geäußert, als daß irgend welche Phrasen konventioneller Bewunderung noch glaub würdig erschienen wären.“ Milder, aber doch auch unzweideutig ist die Kritik in folgendem Beispiel: „Eine Dame machte bei einer Bekannten einen Besuch und wurde durch die wortreichen, weitschweifigen Erörterun gen der Betreffenden sehr ungeduldig und müde. Endlich gelang es ihr, aufzubrechen, sich zu verabschieden, als sie, von der sie ins Vorzimmer begleitenden Bekannten mit einem neuerlichen Wortschwall aufgehalten wurde und nun, schon im Weggehen begriffen, vor der Tür stehen und neuerdings zuhören mußte. Endlich unterbrach sie sie mit der Frage: ,Sind Sie im Vorzimmer zu Hause?‘ Erst an der erstaunten Miene bemerkte sie ihr Versprechen. Sie wollte, durch das lange Stehen im Vorzimmer ermüdet, das Gespräch mit der Frage: ,Sind Sie Vormittag zu Hause?‘ abbrechen und verriet so ihre Ungeduld über den neuerlichen Aufenthalt.“ Einer Mahnung zur Selbstbesinnung entspricht das nächste von Dr. Max Graf erlebte Beispiel: „In der Generalversammlung des Journalistenvereines ,Concordia‘ hält ein junges, stets geldbedürftiges Mitglied eine heftige Oppositionsrede und sagt in seiner Erregung: ,Die Herren Vorschußmitglieder‘ (anstatt Vorstands- oder Ausschußmitglieder). Dieselben haben das Recht, Darlehen zu bewilligen, und auch der junge Redner hat ein Darlehens gesuch eingebracht.“ An dem Beispiel „Vorschwein“ haben wir gesehen, daß ein Versprechen leicht zu stande kommt, wenn man sich be
mehr unterbleiben; denn die im stillen geübte Kritik, der Hut auf* Durch solches Versprechen brandmarkt z. B. Anzengruber im „G’wissenswurm“ den heuchlerischen Erbschleicher. § 344Ein Photograph, der sich vorgenommen hat, im VerkehrMensch, schöpsen Sie doch zu erst etwas davon ab!“ Und bald darauf zu einer Gehilfin, die durch ihre Unvorsichtigkeit ein Dutzend wertvoller Platten gefährdet hat, im Fluß einer längeren Brandrede: „Aber sind Sie denn so hornverbrannt...“
mit seinen ungeschickten Angestellten der Zoologie auszu weichen, sagt zu einem Lehrling, der eine große, ganz volle Schale ausgießen will und dabei natürlich die Hälfte auf den Boden schüttet: „Aber § 345Das nachstehende Beispiel zeigt einen ernsthaften Fall vonBrill im Zentralbl. f. Psychoanalyse, II. Jahrg., 1**.
Selbstverrat durch Versprechen. Einige Nebenumstände be rechtigen seine vollständige Wiedergabe aus der Mitteilung von A. A. § 346„ "Eines Abends gingen Dr. Frink und ich spazieren und be sprachen einige Angelegenheiten der New Yorker Psychoanaly tischen Gesellschaft. Wir begegneten einem Kollegen, Herrn Dr. E., den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, und von dessen Privatleben ich nichts wußte. — Wir freuten uns sehr, uns wieder zu treffen, und gingen auf meine Aufforderung in ein Kaffeehaus, wo wir uns zwei Stunden lang angeregt unter hielten. Er schien von mir Näheres zu wissen, denn nach der gewöhnlichen Begrüßung erkundigte er sich nach meinem kleinen Kinde und erklärte mir, daß er von Zeit zu Zeit über mich von einem gemeinsamen Freunde höre und sich für meine Tätigkeit interessiere, nachdem er darüber in den medi zinischen Zeitschriften gelesen hatte. — Auf meine Frage, ob er verheiratet sei, gab er eine verneinende Auskunft und fügte hinzu: ,Wozu soll ein Mensch wie ich heiraten?‘" “
* Im Zentralbl. für Psych. irrtümlicherweise E. Jones zugeschrieben. § 347„ "Beim Verlassen des Kaffeehauses wandte er sich plötzlicher bekam die Scheidung**.‘ — Ich unterbrach ihn, ,Sie wollen sagen, sie bekam die Schei dung.‘ — Er verbesserte sofort: ,Natürlich, sie bekam die Scheidung,‘ und erzählte weiter, daß die Pflegerin sich der art über den Prozeß und Skandal aufgeregt habe, daß sie zu trinken begann, schwer nervös wurde usw., und fragte mich um meinen Rat, wie er sie behandeln solle." “ an mich: ,Ich möchte wissen, was Sie in folgendem Falle tun würden: Ich kenne eine Krankenpflegerin, die als Mitschul dige in einen Ehescheidungsprozeß verwickelt war. Die Ehe frau klagte ihren Mann auf Scheidung und bezeichnete die Pflegerin als Mitschuldige und
§ 348„ "Sobald ich den Fehler korrigiert hatte, bat ich ihn ihn zu erklären, aber ich bekam die gewöhnlichen erstaunten Ant worten: ob es nicht eines jeden Menschen gutes Recht sei, sich zu versprechen, daß das nur ein Zufall sei, nichts dahinter zu suchen sei usw. Ich erwiderte, daß jedes Fehlsprechen be gründet sein müsse, und daß ich versucht wäre zu glauben, daß er selbst der Held der Geschichte sei, wenn er mir nicht früher mitgeteilt hätte, daß er unvermählt sei, denn dann wäre das Versprechen durch den Wunsch erklärt, seine Frau und nicht er hätte den Prozeß verlieren sollen, damit er nicht (nach unserem Eherecht) Alimente zu zahlen brauche und in der Stadt New York wieder heiraten könne. Er lehnte meine Vermutung hartnäckig ab, bestärkte sie aber gleichzeitig durch eine übertriebene Affektreaktion, deutliche Zeichen von Erre gung und danach Gelächter. Auf meinen Appell, die Wahrheit im Interesse der wissenschaftlichen Klarstellung zu sagen," "bekam ich die Antwort: ,Wenn Sie nicht eine Lüge hören“ wollen, müssen Sie an mein Junggesellentum glauben, und da her ist Ihre psychoanalytische Erklärung durchaus falsch.‘ — Er fügte noch hinzu, daß solch ein Mensch, der jede Kleinig keit beachte, direkt gefährlich sei. Plötzlich fiel ihm ein anderes Rendezvous ein, und er verabschiedete sich."
* „ "Nach unseren Gesetzen wird die Ehescheidung nur ausgesprochen,“ wenn bewiesen wird, daß der eine Teil die Ehe gebrochen hat, und zwar wird die Scheidung nur dem betrogenen Teile bewilligt." § 349„ "Wir beide, Dr. Frink und ich, waren dennoch von meiner Auflösung seines Versprechens überzeugt, und ich beschloß, durch Erkundigung den Beweis oder Gegenbeweis zu erhalten. — Einige Tage später besuchte ich einen Nachbar, einen alten Freund des Dr. R., der mir vollinhaltlich meine Erklärung bestätigen konnte. Der Prozeß hatte vor wenigen Wochen stattgefunden und die Pflegerin war als Mitschuldige vorge laden worden. — Dr. R. ist jetzt von der Richtigkeit der Freudschen Mechanismen fest überzeugt." “
§ 350Der Selbstverrat ist ebenso unzweifelhaft in folgendemRank mitgeteilten Falle:
von O. § 351„Ein Vater, der keinerlei patriotisches Gefühl besitzt undIdiot.‘ Das über diesen ungewohnten Ton des Vaters erstaunte Gesicht der Kinder macht ihn aufmerksam, daß er sich versprochen habe, und entschuldigend bemerkt er: Ich wollte natürlich sagen: Patriot.“
seine Kinder auch von diesem ihm überflüssig erscheinenden Empfinden frei erziehen will, tadelt seine Söhne wegen ihrer Teilnahme an einer patriotischen Kundgebung und weist ihre Berufung auf das gleiche Verhalten des Onkels mit den Worten zurück: ,Gerade dem sollt ihr nicht nacheifern; der ist ja ein § 352Als Selbstverrat wird auch von der Partnerin des GesprächsStärcke (l. c.) berichtet, und zu dem er eine treffende, wenn auch die Aufgabe der Deutung überschreitende Bemerkung hinzufügt.
ein Versprechen gedeutet, das J. § 353„Eine Zahnärztin hatte mit ihrer Schwester verabredet,Kontakt hätte (d. h. ob die Backenzähne mit ihren Seitenflächen einander berühren, so daß keine Nah rungsreste dazwischen bleiben können). Ihre Schwester be klagte sich jetzt darüber, daß sie auf diese Untersuchung so lange warten mußte, und sagte im Scherze: ,Jetzt behandelt sie wohl eine Kollegin, aber ihre Schwester muß noch immer warten.‘ — Die Zahnärztin untersucht sie jetzt, findet wirklich ein kleines Loch in dem einen Backenzahn, und sagt: ,Ich dachte nicht, daß es so schlimm war; ich dachte, daß du nur kein Kontant hättest.... kein Kontakt hättest.‘ — ,Siehst du wohl,‘ rief ihre Schwester lachend, ,daß es nur wegen deiner Habsucht ist, daß du mich soviel länger warten läßt als deine zahlenden Patienten?!‘“ —
daß sie bei ihr einmal nachsehen würde, ob sie zwischen zwei Backenzähnen wohl § 354„(Ich darf selbstverständlich meine eigenen Einfälle nicht
den ihrigen hinzufügen oder daraus Schlüsse ziehen, aber beim Vernehmen dieser Versprechung ging mein Gedankengang so fort dahin, daß diese zwei lieben und geistreichen jungen Frauen unverheiratet sind und auch sehr wenig mit jungen Männern umgehen, und ich fragte mich selbst, ob sie mehr Kontakt mit jungen Leuten haben würden, wenn sie mehr Kontant hätten.)“§ 355Den Wert eines Selbstverrates hat auch nachstehendes,Reik (l. c.) mitgeteiltes Versprechen:
von Th. § 356„Ein junges Mädchen sollte einem ihr unsympathischenliebenswidrig!‘“
jungen Manne verlobt werden. Um die beiden jungen Leute ein ander näherzubringen, verabredeten deren Eltern eine Zu sammenkunft, der auch Braut und Bräutigam in spe bei wohnten. Das junge Mädchen besaß Selbstüberwindung genug, ihren Freier, der sich sehr galant gegen sie benahm, ihre Ab neigung nicht merken zu lassen. Doch auf die Frage ihrer Mutter, wie ihr der junge Mann gefiele, antwortete sie höf lich: ,Gut. Er ist sehr § 357Nicht minder aber ein anderes, das O. Rank (lnternat. Zeitschrift für Psychoanalyse) als „witziges Versprechen“ be schreibt.
§ 358„ "Einer verheirateten Frau, die gern Anekdoten hört undzurückgeben‘, unterbrach ihn seine Zuhörerin mit den vielsagenden Worten: ,Sagen Sie, haben Sie mir das nicht schon — zurückgegeben? Ah, pardon, ich wollte sagen — erzählt?‘ — Sie könnte ihre Bereitwillig keit, sich unter denselben Bedingungen hinzugeben, kaum deutlicher kundgeben, ohne sie direkt auszusprechen." “ von der man behauptet, daß sie auch außerehelichen Werbun gen nicht abhold sei, wenn sie durch entsprechende Geschenke unterstützt werden, erzählt ein junger Mann, der sich auch um ihre Gunst bewirbt, nicht ohne Absicht folgende altbekannte Geschichte. Von zwei Geschäftsfreunden bemüht sich der eine um die Gunst der etwas spröden Frau seines Kompagnons; schließlich will sie ihm diese gegen ein Geschenk von 1000 Gul den gewähren. Als nun ihr Mann verreisen will, borgt sich sein Kompagnon von ihm 1000 Gulden aus und verspricht, sie noch am nächsten Tage seiner Frau zurückzustellen. Natür lich gibt er dann diesen Betrag als vermeintlichen Liebeslohn der Frau, die sich schließlich noch entdeckt glaubt, als ihr zurückgekehrter Mann die 1000 Gulden verlangt, und zum Schaden noch den Schimpf hat. — Als der junge Mann in der Erzählung dieser Geschichte bei der Stelle angelangt war, wo der Verführer zum Kompagnon sagt: ,Ich werde das Geld morgen deiner Frau
§ 359Einen schönen Fall von solchem Selbstverrat mit harmTausk (Internat. Zeitschr. für Psychoanalyse, IV, 1916) unter nachstehendem Titel:
losem Ausgang berichtet V. § 360„ "Der Glauben der Väter." “
§ 361„ "Da meine Braut Christin war“, erzählte Herr A., „und nicht zum Judentum übertreten wollte, mußte ich selbst vom Judentum zum Christentum übertreten, um heiraten zu kön nen. Ich wechselte die Konfession nicht ohne inneren Wider stand, aber das Ziel schien mir den Konfessionswechsel zu rechtfertigen, und dies um so eher, als ich nur eine äußere Zugehörigkeit zum Judentum, keine religiöse Überzeugung, da ich eine solche nicht besaß, abzulegen hatte. Ich habe mich trotzdem später immer zum Judentum bekannt, und wenige meiner Bekannten wissen, daß ich getauft bin."
§ 362"Aus dieser Ehe entstammen zwei Söhne, die christlich ge tauft wurden. Als die Knaben entsprechend herangewachsen waren, erfuhren sie von ihrer jüdischen Abstammung, damit sie sich nicht, durch antisemitische Einflüsse der Schule bestimmt, aus diesem überflüssigen Grunde gegen den Vater kehrten."
§ 363"Vor einigen Jahren wohnte ich mit den Kindern, die da mals die Volksschule besuchten, zur Sommerfrische in D. bei einer Lehrerfamilie. Als wir eines Tages mit unseren, übrigens freundlichen, Wirtsleuten bei der Jause saßen, machte die Frau des Hauses, da sie von der jüdischen Herkunft ihrer Sommerpartei nichts ahnte, einige recht scharfe Ausfälle gegen die Juden. Ich hätte nun tapfer die Situation deklarieren sollen, um meinen Söhnen das Beispiel vom ,Mut der Über zeugung‘ zu geben, fürchtete aber die unerquicklichen Aus einandersetzungen, die einem solchen Bekenntnis zu folgen pflegen. Außerdem bangte mir davor, die gute Unterkunft, die wir gefunden hatten, eventuell verlassen zu müssen und" "mir und meinen Kindern so die ohnehin kurz bemessene Er holungszeit zu verderben, falls unsere Wirtsleute ihr Benehmen gegen uns, weil wir Juden waren, in unfreundlicher Weise verändern sollten."
§ 364"Da ich jedoch erwarten durfte, daß meine Knaben in freimütiger Weise und unbefangen die folgenschwere Wahr heit verraten würden, wenn sie noch länger dem Gespräche beiwohnten, wollte ich sie aus der Gesellschaft entfernen, in dem ich sie in den Garten schickte."
§ 365",Geht in den Garten, Juden —‘ sagte ich und korrigierte schnell: ,Jungen‘. Womit ich also durch eine Fehlleistung meinem ,Mut der Überzeugung‘ zum Ausdruck verhalf. Die anderen hatten zwar aus diesem Versprechen keine Konse quenzen gezogen, weil sie ihm keine Bedeutung zumaßen, ich aber mußte die Lehre ziehen, daß der ,Glauben der Väter‘ sich nicht ungestraft verleugnen läßt, wenn man ein Sohn ist und Söhne hat." “
§ 366Keineswegs harmlos wirkt folgender Fall von Verspre
chen, den ich nicht mitteilen würde, wenn ihn nicht der Gerichtsbeamte selbst während des Verhörs für diese Samm lung aufgezeichnet hätte:§ 367Ein des Einbruchs beschuldigter Volkswehrmann sagt aus:Diebsstellung noch nicht entlassen, gehöre also derzeit noch der Volks wehr an.
Ich wurde seither aus dieser militärischen § 368Erheiternd wirkt das Versprechen, wenn es als Mittel beJauner vorkam. Der Träumer kannte eine Person dieses Namens, es ließ sich aber nicht finden, weshalb diese Person in den Zusammenhang des Traumes aufgenommen war, und darum wagte ich die Vermutung, es könne bloß wegen des Namens, der an den Schimpf Gauner anklinge, geschehen sein. Der Patient widersprach rasch und energisch, versprach sich aber dabei und bestätigte meine Vermutung, indem er sich der Ersetzung ein zweitesmal bediente. Seine Antwort lautete: Das er scheint mir doch zu jewagt. Als ich ihn auf das Ver sprechen aufmerksam machte, gab er meiner Deutung nach.
nützt wird, um während eines Widerspruches zu bestätigen, was dem Arzte in der psychoanalytischen Arbeit sehr will kommen sein mag. Bei einem meiner Patienten, hatte ich einst einen Traum zu deuten, in welchem der Name § 369Wenn im ernsthaften Wortstreit ein solches Versprechen,
welches die Redeabsicht in ihr Gegenteil verkehrt, sich dem einen der beiden Streiter ereignet, so setzt es ihn sofort in Nachteil gegen den anderen, der es selten versäumt, sich seiner verbesserten Position zu bedienen.§ 370Es wird dabei klar, daß die Menschen ganz allgemein demBülow, der durch solchen Einspruch die Situation zu retten versuchte, als ihm der Wortlaut seiner Verteidigungsrede für seinen Kaiser (Nov. 1907) durch ein Versprechen ins Gegenteil umschlug.
Versprechen wie anderen Fehlleistungen dieselbe Deutung geben, wie ich sie in diesem Buche vertrete, auch wenn sie sich in der Theorie nicht für diese Auffassung einsetzen, und wenn sie für ihre eigene Person nicht geneigt sind, auf die mit der Duldung der Fehlleistungen verbundene Bequemlich keit zu verzichten. Die Heiterkeit und der Hohn, die solches Fehlgehen der Rede im entscheidenden Moment mit Gewißheit hervorrufen, zeugen gegen die angeblich allgemein zugelassene Konvention, ein Versprechen sei ein Lapsus linguae und psycho logisch bedeutungslos. Es war kein geringerer als der deut sche Reichskanzler Fürst § 371„Was nun die Gegenwart, die neue Zeit Kaiser Wilunbillig und ungerecht wäre, von einem Ring verantwortlicher Ratgeber um unseren Kaiser zu sprechen.... (Lebhafte Zurufe: Unverantwortlicher), unverantwortlicher Rat geber zu sprechen. Verzeihen Sie den Lapsus linguae.“ (Hei terkeit.)
helms II., angeht, so kann ich nur wiederholen, was ich vor einem Jahre gesagt habe, daß es § 372Indes, der Satz des Fürsten Bülow war durch die Häufung der Negationen einigermaßen undurchsichtig ausgefallen; die Sympathie für den Redner und die Rücksicht auf seine schwie rige Stellung wirkten dahin, daß dies Versprechen nicht weiter gegen ihn ausgenützt wurde. Schlimmer erging es ein Jahr später an demselben Orte einem anderen, der zu einer rückhaltlosen Kundgebung an den Kaiser auffordern wollte und dabei durch ein böses Versprechen an andere in seiner loyalen Brust wohnende Gefühle gemahnt wurde:
§ 373„Lattmann (Dtsch.-nat.): Wir stellen uns bei der Frage der Adresse auf den Boden der Geschäftsordnung des Reichstags. Danach hat der Reichstag das Recht, eine solche Adresse an den Kaiser einzureichen. Wir glauben, daß der ein heitliche Gedanke und der Wunsch des deutschen Volkes dahin geht, eine einheitliche Kundgebung auch in dieser An gelegenheit zu erreichen, und wenn wir das in einer Form tun können, die den monarchischen Gefühlen durchaus Rechnung trägt, so sollen wir das auch rückgratlos tun. (Stürmische Heiterkeit, die minutenlang anhält.) Meine Herren, es hieß nicht rückgratlos, sondern rückhaltlos (Heiterkeit), und solche rückhaltlose Äußerung des Volkes, das wollen wir hoffen, nimmt auch unser Kaiser in dieser schweren Zeit entgegen.“
§ 374Der „Vorwärts“ vom 2. November 1908 versäumte es nicht, die psychologische Bedeutung dieses Versprechens auf zuzeigen:
§ 375„Rückgratlos vor dem Kaiserthron.“
§ 376„Nie ist wohl je in einem Parlament von einem AbgeordLattmann gelang, als er am zweiten Tage der Interpellation mit feier lichem Pathos in das Bekenntnis entgleiste, er und seine Freunde wollten dem Kaiser rückgratlos ihre Meinung sagen.
neten in unfreiwilliger Selbstbezichtigung seine und der Parla mentsmehrheit Haltung gegenüber dem Monarchen so treffend gekennzeichnet worden, wie das dem Antisemiten § 377Stürmische Heiterkeit auf allen Seiten erstickte die weihaltlos‘.“
teren Worte des Unglücklichen, der es noch für notwendig hielt, ausdrücklich entschuldigend zu stammeln, er meine eigentlich ,rück§ 378Ein schönes Beispiel von Versprechen, welches nicht soWallenstein (Piccolomini, I. Aufzug, 5. Auftritt) und zeigt uns, daß der Dichter, der sich hier dieses Mittels bedient, Mechanismus und Sinn des Versprechens wohl gekannt hat. Max Piccolo mini hat in der vorhergehenden Szene aufs leidenschaftlichste für den Herzog Partei genommen und dabei von den Segnungen des Friedens geschwärmt, die sich ihm auf seiner Reise ent hüllt, während er die Tochter Wallensteins ins Lager beglei tete. Er läßt seinen Vater und den Abgesandten des Hofes, Questenberg, in voller Bestürzung zurück. Und nun geht der fünfte Auftritt weiter:
sehr den Verrat des Redners als die Orientierung des außer der Szene stehenden Hörers bezweckt, findet sich im § 379"Questenberg: O weh uns! Steht es so? Freund, und wir lassen ihn in diesem Wahn Dahingehen, rufen ihn nicht gleich Zurück, daß wir die Augen auf der Stelle Ihm öffnen?" "Octavio (aus einem tiefen Nachdenken zu sich kommend):Mir hat er sie jetzt geöffnet, Und mehr erblick’ ich, als mich freut. Questenberg: Was ist Freund? Octavio: Fluch über diese Reise! Questenberg: Wieso? Was ist es? Octavio: Kommen Sie! Ich muß Sogleich die unglückselige Spur verfolgen, Mit meinen Augen sehen — kommen Sie — (will ihn fortführen). Questenberg: Was denn? Wohin? Octavio (pressiert): Zu ihr! Questenberg: Zu — Octavio (korrigiert sich): Zum Herzog! Gehen wir!" usw.
§ 380Dies kleine Versprechen: Zu ihr anstatt: Zu ihm soll uns "„daß“. er in lauter Rätseln zu ihm rede"
verraten, daß der Vater das Motiv der Parteinahme seines Sohnes durchschaut hat, während der Höfling klagt: § 381Ein anderes Beispiel von poetischer Verwertung des Ver Rank bei Shakespeare entdeckt. Ich zitiere Ranks Mitteilung nach dem Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 3:
sprechens hat Otto§ 382„ "Ein dichterisch überaus fein motiviertes und technischVersprechen, welches wie das von Freud im Wallenstein aufgezeigte (Zur Psychopathologie des Alltagslebens, 2. Aufl., S. 48) verrät, daß die Dinhter Me chanismus und Sinn dieser Fehlleistung wohl kennen und deren Verständnis auch beim Zuhörer voraussetzen, findet sich in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ (III. Aufzug, 2. Szene). Die durch den Willen ihres Vaters an die Wahl" glänzend verwertetes "eines Gatten durch das Los gefesselte Porzia ist bisher allen ihren unliebsamen Freiern durch das Glück des Zufalls ent ronnen. Da sie endlich in Bassanio den Bewerber gefunden hat, dem sie wirklich zugetan ist, muß sie fürchten, daß auch er das falsche Los ziehen werde. Sie möchte ihm nun am liebsten sagen, daß er auch in diesem Fall ihrer Liebe sicher sein könne, ist aber durch ihr Gelübde daran gehindert. In diesem inneren Zwiespalt läßt sie der Dichter zu dem will kommenen Freier sagen:"
§ 383"Ich bitt’ Euch, wartet; ein, zwei Tage noch,doch es ist nicht Liebe), Ich möcht’ Euch nicht verlieren; — — — — — — Ich könnt’ Euch leiten Zur rechten Wahl, dann bräch’ ich meinen Eid; Das will ich nicht; so könnt Ihr mich verfehlen. Doch wenn Ihr’s tut, macht Ihr mich sündlich wünschen, Ich hätt’ ihn nur gebrochen. O, der Augen, Die mich so übersehn und mich geteilt! Halb bin ich Euer, die andre Hälfte Euer —; doch wenn mein, dann Euer, Mein wollt ich sagen Und so ganz Euer. (Nach der Übersetzung von Schlegel und Tieck.)" Bevor Ihr wagt: denn wählt Ihr falsch, so büße Ich Euern Umgang ein; darum verzieht. Ein Etwas sagt mir (
§ 384"Gerade das, was sie ihm also bloß leise andeuten möchte, weilganz die Seine sei und ihn liebe, das läßt der Dichter mit bewundernswertem psychologischen Feingefühl in dem Versprechen sich offen durchdrängen und weiß durch diesen Kunstgriff die unerträgliche Ungewißheit" sie es eigentlich ihm überhaupt verschweigen sollte, daß sie nämlich schon vor der Wahl "des Liebenden sowie die gleichgestimmte Spannung des Zu“ hörers über den Ausgang der Wahl zu beruhigen."
§ 385Bei dem Interesse, welche solche Parteinahme der großenJones mitgeteilt worden ist**:
Dichter für unsere Auffassung des Versprechens verdient, halte ich es für gerechtfertigt, ein drittes solches Beispiel anzu führen, welches von E. § 386„ "Otto Rank macht in einem unlängst publizierten Auf satz**** auf ein schönes Beispiel au[merksnan, in welchem Shake speare eine seiner Gestalten, die Porzia, ein ,Versprechen‘ be gehen läßt, durch welches ihre geheimen Gedanken einem auf merksamen Hörer offenbar werden. Ich habe die Absicht, ein ähnliches Beispiel aus ,The Egoist‘, dem Meisterwerke des größten englischen Romanschriftstellers, George Meredith, zu erzählen. Die Handlung des Romans ist kurz folgende: Sir Willoughby Patterne, ein von seinem Kreise sehr bewun derter Aristokrat, verlobt sich mit einer Miß Konstantia Durham. Sie entdeckt in ihm einen intensiven Egoismus, den er jedoch vor der Welt geschickt verbirgt, und geht, um der Heirat zu entrinnen, mit einem Kapitän namens Oxford durch. Einige Jahre später verlobt er sich mit einer Miß Klara Middleton. Der größte Teil des Buches ist nun mit der aus führlichen Beschreibung des Konfliktes erfüllt, der in Klara Middletons Seele entsteht, als sie in ihrem Verlobten denselben hervorstechenden Charakterzug entdeckt. Äußere Umstände und ihr Ehrbegriff fesseln sie an ihr gegebenes Wort, wäh rend ihr Bräutigam ihr immer verächtlicher erscheint. Teil weise macht sie Vernon Whitford, dessen Vetter und Sekretär (den sie zuletzt auch heiratet), zum Vertrauten. Er jedoch" "hält sich aus Loyalität Patterne gegenüber und aus anderen Motiven zurück."
* Ein Beispiel von literarischer Verwertung des Versprechens. Zen tralblatt für Psychoanalyse, I, 10. ** Zentralbl. für Psych., I, Heft 3, S. 109. § 387"In einem Monolog über ihren Kummer spricht Klara fol** — ich glaube, er würde mich verändern. Zu einem Kameraden könnt’ ich fliehn, blutig zer rissen und umbraust von Verachtung und Geschrei . . . Kon stantia begegnete einem Soldaten. Vielleicht betete sie, und ihr Gebet ward erhört. Sie tat nicht recht. Aber, oh, wie lieb’ ich sie darum. Sein Name war Harry Oxford . . . Sie schwankte nicht, sie riß die Ketten, sie ging offen zu dem andern über. Tapferes Mädchen, wie denkst du über mich? Ich aber habe keinen Harry Whitford, ich bin allein.‘ — —" gendermaßen: ,Wenn doch ein edler Mann mich sehen könnte, wie ich bin, und es nicht zu gering erachtete, mir zu helfen! Oh! befreit zu werden aus diesem Kerker von Dornen und Ge strüpp. Ich kann mir allein meinen Weg nicht bahnen. Ich bin ein Feigling. Ein Fingerzeig
§ 388"Die plötzliche Erkenntnis, daß sie einen anderen NamenOxford gebraucht habe, traf sie wie ein Faustschlag und übergoß sie mit flammender Röte." für
§ 389"Die Tatsache, daß die Namen beider Männer mit ,ford‘ endigen, erleichtert das Verwechseln der beiden offensicht lich und würde von vielen als ein hinreichender Grund dafür angesehen werden. Der wahre tieferliegende Grund jedoch ist von dem Dichter klar ausgeführt."
§ 390"An einer anderen Stelle kommt dasselbe Versprechen wieder vor. Es folgt ihm jene spontane Unschlüssigkeit und jener plötzliche Wechsel des Themas, mit denen uns die" "Psychoanalyse und Jungs Werk über die Assoziationen ver traut machen, und die nur eintreten, wenn ein halbbewußter Komplex berührt wird. Patterne sagt in patronisierendem Tone von Whitford: ,Falscher Alarm! Der gute alte Vernon ist gar nicht imstande, etwas Ungewöhnliches zu tun.‘ Klara antwor tet: ,Wenn aber nun Oxford — Whitford . . . da — Ihre Schwäne kommen gerade den See durchsegelnd; wie schön sie aussehen, wenn sie indigniert sind! Was ich Sie eben fragen wollte. Männer, die Zeugen einer offensichtlichen Be wunderung für jemand anderen sind, werden wohl natürlicher weise entmutigt?‘ Sir Willoughby traf eine plötzliche Er leuchtung, er richtete sich steif auf."
* Anmerkung des Übersetzers: Ich wollte ursprünglich das Orginal „beckoning of a finger“ mit „leiser Wink“ übersetzen, bis mir klar wurde, daß ich durch Unterschlagung des Wortes „Finger“ den Satz einer psycho logischen Feinheit beraube. § 391"Noch an einer anderen Stelle verrät Klara durch einVernon — sage abends dem Mr. Whitford . . . . usw‘.**" “ anderes Versprechen ihren geheimen Wunsch nach einer inni geren Verbindung mit Vernon Whitford. Zu einem Burschen sprechend, sagt sie: ,Sage abends dem Mr.
§ 392Die hier vertretene Auffassung des Versprechens hält übriTage dahin, verspricht sich aber und sagt: nur für drei Wochen. Sie verrät, daß sie mir zum Trotze lieber drei Wochen als drei Tage in jener Gesellschaft bleiben will, die ich als unpassend für sie erachte. — Ich soll mich eines Abends entschuldigen, daß ich meine Frau nicht vom Theater abgeholt, und sage: Ich war zehn Minuten nach 10 Uhr beim Theater. Man kor rigiert mich: Du willst sagen: vor 10 Uhr. Natürlich wollte ich vor 10 Uhr sagen. Nach 10 Uhr wäre ja keine Entschul digung. Man hatte mir gesagt, auf dem Theaterzettel stehe: Ende vor 10 Uhr. Als ich beim Theater anlangte, fand ich das Vestibül verdunkelt und das Theater entleert. Die Vor stellung war eben früher zu Ende gewesen, und meine Frau hatte nicht auf mich gewartet. Als ich auf die Uhr sah, fehlten noch fünf Minuten zu 10 Uhr. Ich nahm mir aber vor, meinen Fall zu Hause günstiger darzustellen und zu sagen, es hätten noch zehn Minuten zur zehnten Stunde gefehlt. Leider verdarb mir das Versprechen die Absicht und stellte meine Unaufrichtigkeit bloß, indem es mich selbst mehr be kennen ließ, als ich zu bekennen hatte.
gens der Probe an dem Kleinsten stand. Ich habe wiederholt zeigen können, daß die geringfügigsten und naheliegendsten Fälle von Redeirrung ihren guten Sinn haben und die nämliche Lösung zulassen wie die auffälligeren Beispiele. Eine Patientin, die ganz gegen meinen Willen, aber mit starkem eigenen Vor satz einen kurzen Ausflug nach Budapest unternimmt, recht fertigt sich vor mir, sie gehe ja nur für drei * Andere Beispiele von Versprechen, die nach des Dichters Absicht als sinnvoll, meist als Selbstverrat, aufgefaßt werden sollen, finden sich bei Shakespeare in Richard II. (II, 2), bei Schiller im Don Carlos (II, 8, Versprechen der Eboli). Es wäre gewiß ein leichtes, diese Liste zu vervollständigen. § 393Man gelangt von hier aus zu jenen Redestörungen, die nichtman ganz, wie wir so bezeichnend sagen. Selbst bis in die dabei ist Schätzung des Stils, den ein Autor schreibt, dürfen wir und sind wir gewöhnt, das Erklärungsprinzip zu tragen, welches wir bei der Ableitung des einzelnen Sprachfehlers nicht ent behren können. Eine klare und unzweideutige Schreibweise belehrt uns, daß der Autor hier mit sich einig ist, und wo wir gezwungenen und gewundenen Ausdruck finden, der, wie so richtig gesagt wird, nach mehr als einem Scheine schielt, da können wir den Anteil eines nicht genugsam erledigten, kom plizierenden Gedankens erkennen oder die erstickte Stimme der Selbstkritik des Autors heraushören**.
mehr als Versprechen beschrieben werden, weil sie nicht das einzelne Wort, sondern Rhythmus und Ausführung der ganzen Rede beeinträchtigen, wie z. B. das Stammeln und Stottern der Verlegenheit. Aber hier wie dort ist es der innere Konflikt, der uns durch die Störung der Rede verraten wird. Ich glaube wirklich nicht, daß jemand sich versprechen würde in der Audienz bei Seiner Majestät, in einer ernstgemeinten Liebes werbung, in einer Verteidigungsrede um Ehre und Namen vor den Geschworenen, kurz in all den Fällen, in denen § 394Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches haben fremd
sprachige Freunde und Kollegen begonnen, dem Versprechen, das sie in den Ländern ihrer Zunge beobachten konnten, ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie haben, wie zu erwarten stand, gefunden, daß die Gesetze der Fehlleistung vom Sprach material unabhängig sind, und haben dieselben Deutungen vorgenommen, die hier an Beispielen von Deutsch redenden Personen erläutert wurden. Ich führe nur ein Beispiel anstatt ungezählter vieler an:§ 395Dr. A. A. Brill (New York) berichtet von sich: " A frienddurable case wishing to say „curable“!" (A contribution to described to me a nervous patient and wished to know whether I could benefit him. I remarked, I believe that in time I could remove all his symptoms by psycho-analysis because it is a the Psychopathology of Everyday Life aus Psychotherapy vol. III, Nr. 1, 1909.)
§ 396Schließlich will ich für diejenigen Leser, die eine gewisse
Anstrengung nicht scheuen und denen die Psychoanalyse nicht fremd ist, ein Beispiel anfügen, aus dem zu ersehen ist, in welche seelischen Tiefen auch die Verfolgung eines Verspre chens führen kann.* "Ce qu’on conçoit bien. S’annonce clairement Et les mots pour le dire Arrivent aisément" Boileau, Art poétique. § 397L. Jekels (Intern. Zeitschr. für Psychoanlyse, I, 1913).
§ 398„ "Am 11. Dezember werde ich von einer mir befreundetenWarum habe ich?’" heute gesagt, daß ich zwölf Finger habe Dame in polnischer Sprache etwas herausfordernd und über mütig mit den Worten apostrophiert: ,
§ 399"Sie reproduziert nun über meine Aufforderung die Szene, in der die Bemerkung gefallen ist. Sie habe sich angeschickt, mit der Tochter auszugehen, um einen Besuch zu machen, habe ihre Tochter, eine in Remission befindliche Dementia praecox, auf gefordert, die Bluse zu wechseln, was diese im anstoßenden Zimmer auch getan hat. Als die Tochter wieder eintrat, fand sie die Mutter mit dem Reinigen der Nägel beschäftigt; und da entwickelte sich folgendes Gespräch:"
§ 400"Tochter: ,No siehst du, ich bin schon fertig und du noch nicht!‘"
§ 401"Mutter: ,Du hast ja aber auch nur eine Bluse und ich zwölf Nägel."
§ 402"Tochter: ,Was?‘"
§ 403"Mutter (ungeduldig): .No natürlich, ich habe ja doch.‘" zwölf Finger
§ 404"Die Frage eines die Erzählung mitanhörenden Kollegen,zwölf einfalle, wird ebenso prompt wie bestimmt beantwortet: ,Zwölf ist für mich kein Datum (von.‘" Bedeutung) was ihr zu
§ 405"Zu Finger wird unter einem leichten Zögern die Assozia lion geliefert: ,ln der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an den Füßen (im Polnischen gibt es keinen eigenen Ausdruck für Zehe) vor. Als unsere Kinder zur Welt kamen, wurden sie sofort darauf untersucht, ob sie nicht sechs Fin-"
§ 406"ger haben.‘ Aus äußeren Ursachen wurde an diesem Abend die Analyse nicht fortgesetzt."
§ 407"Am nächsten Morgen, dem 12. Dezember, besucht mich die Dame und erzählt mir sichtlich erregt: ,Denken Sie, was mir passiert ist; seit etwa 20 Jahren gratuliere ich dem alten Onkel meines Mannes zu seinem Geburtstag, der heute fällig ist, schreibe ihm immer am 11. einen Brief; und diesmal habe ich es vergessen und mußte soeben telegraphieren.‘"
§ 408"Ich erinnere mich und die Dame, mit welcher Bestimmtheit sie am gestrigen Abend die Frage des Kollegen nach den zwölf, die doch eigentlich sehr geeignet war, ihr den Geburtstag in Erinnerung zu bringen, abgetan hat mit der Bemerkung, der Zwölfte sei für sie kein Datum von Bedeutung."
§ 409"Nun gesteht sie, dieser Onkel ihres Mannes sei ein Erb onkel, auf dasen Erbschaft sie eigentlich immer gerechnet habe, ganz besonders in ihrer jetzigen bedrängten finanziellen Lage."
§ 410"So sei er, respektive sein Tod, ihr sofort in den Sinn ge kommen, als ihr vor einigen Tagen eine Bekannte aus Karten prophezeit habe, sie werde viel Geld bekommen. Es schoß ihr sofort durch den Kopf, der Onkel sei der einzige, von dem sie, respektive ihre Kinder, Geld erhalten könnten; auch erinnerte sie sich bei dieser Szene augenblicklich, daß schon die Frau dieses Onkels versprochen habe, die Kinder der Erzählerin testamentarisch zu bedenken; nun ist sie aber ohne Testa ment gestorben; vielleicht hat sie ihrem Manne den bezüg lichen Auftrag gegeben."
§ 411"Der Todeswunsch gegen den Onkel muß offenbar sehr in tensiv aufgetreten sein, wenn sie der ihr prophezeienden Dame gesagt hat: ,Sie verleiten die Leute dazu, andere umzubringen.‘"
§ 412"In diesen vier oder fünf Tagen, die zwischen der Prophe-" "zeiung und dem Geburtstage des Onkels lagen, suchte sie stets in den im Wohnorte des Onkels erscheinenden Blättern die auf seinen Tod bezügliche Parte."
§ 413"Kein Wunder somit, daß bei so intensivem Wunsche nach seinem Tode, die Tatsache und das Datum seines demnächst zu feiernden Geburtstages so stark unterdrückt wurden, daß es nicht bloß zum Vergessen eines sonst seit Jahren ausgeführten Vorsatzes gekommen ist, sondern auch, daß sie nicht einmal durch die Frage des Kollegen ins Bewußtsein gebracht wurden."
§ 414"In dem Lapsus ,zwölf Finger‘ hat sich nun die unterdrücktemitbestimmt." Zwölf durchgesetzt und hat die Fehlleistung
§ 415"Ich meine mitbestimmt, denn die auffällige Assoziation zu ,Finger‘ läßt uns noch weitere Motivierungen ahnen; sie er klärt uns auch, warum der Zwölfer gerade diese so harmlose Redensart von den zehn Fingern verfälscht hat."
§ 416"Der Einfall lautete: ,In der Familie meines Mannes kamen sechs Finger an den Füßen vor.‘"
§ 417"Sechs Zehen sind Merkmale einer gewissen Abnormität,ein abnormes Kind und" somit sechs Finger
§ 418"zwölf Finger zwei abnorme Kinder."
§ 419"Und tatsächlich traf dies in diesem Falle zu."
§ 420"Die in sehr jungem Alter verheiratete Frau hatte als ein zige Erbschaft nach ihrem Manne, der stets als exzentrischer, abnormer Mensch galt und sich nach kurzer Ehe das Leben nahm, zwei Kinder, die wiederholt von Ärzten als väterlicher seits schwer hereditär belastet und abnorm bezeichnet wurden."
§ 421"Die ältere Tochter ist nach einem schweren katatonen An fall vor kurzem nach Hause zurückgekehrt; bald nachher er krankte auch die jüngere, in der Pubertät befindliche Tochter an einer schweren Neurose."
§ 422"Daß die Abnormität der Kinder hier zusammengestellt wird" "mit dem Sterbewunsche gegen den Onkel und sich mit diesemTodeswunsch gegen die abnormen annehmen." Kinder ungleich stärker unterdrückten und psychisch valenteren Ele ment verdichtet, läßt uns als zweite Determinierung dieses Versprechens den
§ 423"Die prävalierende Bedeutung des Zwölfers als Sterbe wunsch erhellt aber schon daraus, daß in der Vorstellung der Erzählenden der Geburtstag des Onkels sehr innig assoziiert war mit dem Todesbegriffe. Denn ihr Mann hat sich am 13. das Leben genommen, also einen Tag nach dem Geburtstag ebendesselben Onkels, dessen Frau zu der jungen Witwe ge sagt hatte: ,Gestern gratulierte er noch so herzlich und lieb, — und heute!‘"
§ 424"Ferner will ich noch hinzufügen, daß die Dame auch genug reale Gründe hatte, den Kindern den Tod zu wünschen, von denen sie gar keine Freude erfuhr, sondern nur Kummer und arge Einschränkungen ihrer Selbstbestimmung zu leiden hatte, und denen zuliebe sie auf jegliches Liebesglück verzichtet hatte."
§ 425"Auch diesmal war sie außerordentlich bemüht, jeglichen Anlaß zur Verstimmung der Tochter, mit der sie zu Besuch ging, zu vermeiden; und man kann sich vorstellen, welchen Aufwand an Geduld und Selbstverleugnung bei einer Dementia praecox dies verlangt, und wie viele Wutregungen dabei unter drückt werden müssen."
§ 426"Demzufolge würde der Sinn der Fehlleistung lauten:"
§ 427"Der Onkel soll sterben, diese abnormen Kinder sollen sterben (sozusagen diese ganze abnorme Familie), und ich soll das Geld von ihnen haben."
§ 428"Diese Fehlleistung besitzt nach meiner Ansicht mehrere Merkmale einer ungewöhnlichen Struktur, und zwar:"
§ 429"1. Das Vorhandensein von zwei Determinanten, die in einem Element verdichtet sind."
§ 430"2. Das Vorhandensein der zwei Determinanten spiegelt sich in der Doppelung des Versprechens (zwölf Nägel, zwölf Finger)."
§ 431"3. Auffällig ist, daß die eine Bedeutung des Zwölfers, näm“ lich die die Abnormität der Kinder ausdrückenden zwölf Fin ger, eine indirekte Darstellung repräsentiert; die psychische Abnormität wird hier durch die physische, das Oberste durch das Unterste dargestellt."
§ 432VI.
§ 433VERLESEN UND VERSCHREIBEN.
§ 434Daß für die Fehler im Lesen und Schreiben die nämlichen
Gesichtspunkte und Bemerkungen Geltung haben wie für die Sprechfehler, ist bei der inneren Verwandtschaft dieser Funk tionen nicht zu verwundern. Ich werde mich hier darauf be schränken, einige sorgfältig analysierte Beispiele mitzuteilen, und keinen Versuch unternehmen, das Ganze der Erscheinun gen zu umfassen.§ 435A. Verlesen.
§ 436a) Ich durchblättere im Kaffeehaus eine Nummer der „Leipziger Illustrierten“, die ich schräg vor mir halte, und lese als Unterschrift eines sich über die Seite erstreckenden Bildes: Eine Hochzeitsfeier in der Odyssee. Aufmerksam geworden und verwundert rücke ich mir das Blatt zurecht und korrigiere jetzt: Eine Hochzeitsfeier an der Ostsee. Wie komme ich zu diesem unsinnigen Lesefehler? Meine Gedanken lenken sich sofort auf ein Buch von Ruths „Experimental untersuchungen über Musikphantome usw.“, das mich in der letzten Zeit viel beschäftigt hat, weil es nahe an die von mir behandelten psychologischen Probleme streift. Der Autor verspricht für nächste Zeit ein Werk, welches „Analyse und Grundgesetze der Traumphänomene“ heißen wird. Kein Wun der, daß ich, der ich eben eine „Traumdeutung“ veröffentlicht habe, mit größter Spannung diesem Buche entgegensehe. In der Schrift Ruths über Musikphantome fand ich vorn im Inhaltsverzeichnis die Ankündigung des ausführlichen induk tiven Nachweises, daß die althellenischen Mythen und Sagen ihre Hauptwurzeln in Schlummer- und Musikphantomen, in Traumphänomenen und auch in Delirien haben. Ich schlug damals sofort im Texte nach, um herauszufinden, ob er auch um die Zurückführung der Szene, wie Odysseus vor Nausikaa erscheint, auf den gemeinen Nacktheitstraum wisse. Mich hatte ein Freund auf die schöne Stelle in G. Kellers „Grünem Heinrich“ aufmerksam gemacht, welche diese Episode der Odyssee als Objektivierung der Träume des fern von der Hei mat irrenden Schiffers aufklärt, und ich hatte die Beziehung zum Exhibitionstraum der Nacktheit hinzugefügt (5. Aufl., S. 170). Bei Ruths entdeckte ich nichts davon. Mich be schäftigen in diesem Falle offenbar Prioritätsgedanken.
§ 437b) Wie kam ich dazu, eines Tages aus der Zeitung zu lesen: „Im Faß durch Europa“, anstatt zu Fuß? Diese Auflösung bereitete mir lange Zeit Schwierigkeiten. Die nächsten Ein fälle deuteten allerdings: Es müsse das Faß des Diogenes ge meint sein, und in einer Kunstgeschichte hatte ich unlängst etwas über die Kunst zur Zeit Alexanders gelesen. Es lag dann nahe, an die bekannte Rede Alexanders zu denken: Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich Diogenes sein. Auch schwebte mir etwas von einem gewissen Hermann Zeitung vor, der in eine Kiste verpackt sich auf Reisen begehen hatte. Aber weiter wollte sich der Zusammenhang nicht herstellen, und es gelang mir nicht, die Seite in der Kunstgeschichte wieder aufzuschlagen, auf welcher mir jene Bemerkung ins Auge gefallen war. Erst Monate später fiel mir das beiseite geworfene Rätsel plötzlich wieder ein, und diesmal zugleich mit seiner Lösung. Ich erinnerte mich an die Bemerkung in einem Zeitungsartikel, was für sonderbare Arten der Beförderung die Leute jetzt wählten, um nach Paris zur Weltaus stellung zu kommen, und dort war auch, wie ich glaube, scherz haft mitgeteilt worden, daß irgend ein Herr die Absicht habe, sich von einem anderen Herrn in einem Faß nach Paris rollen zu lassen. Natürlich hätten diese Leute kein anderes Motiv, als durch solche Torheiten Aufsehen zu machen. Hermann war in der Tat der Name desjenigen Mannes, der Zeitung für solche außergewöhnliche Beförderung das erste Beispiel gegeben hatte. Dann fiel mir ein, daß ich einmal einen Pa tienten behandelt, dessen krankhafte Angst vor der Zeitung sich als Reaktion gegen den krankhaften Ehrgeiz auflöste, sich gedruckt und als berühmt in der Zeitung erwähnt zu sehen. Der mazedonische Alexander war gewiß einer der ehr geizigsten Männer, die je gelebt. Er klagte ja, daß er keinen Homer finden werde, der seine Taten besinge. Aber wie konnte ich nur nicht daran denken, daß ein anderer Alexander mir näher stehe, daß Alexander der Name meines jüngeren Bruders ist! Ich fand nun sofort den anstößigen und der Verdrängung bedürftigen Gedanken in betreff dieses Ale xenders und die aktuelle Veranlassung für ihn. Mein Bruder ist Sachverständiger in Dingen, die Tarife und Transporte angehen, und sollte zu einer gewissen Zeit für seine Lehrtätig keit an einer kommerziellen Hochschule den Titel Professor erhalten. Für die gleiche Beförderung war ich an der Universität seit mehreren Jahren vorgeschlagen, ohne sie er reicht zu haben. Unsere Mutter äußerte damals ihr Befrem den darüber, daß ihr kleiner Sohn eher Professor werden sollte als ihr großer. So stand es zur Zeit, als ich die Lösung für jenen Leseirrtum nicht finden konnte. Dann erhoben sich
§ 438Der Doppelsinn des Wortes „Beförderung“ ist in diesem Falle die Assoziationsbrücke zwischen den zwei Komplexen, dem unwichtigen, der durch die Zeitungsnotiz angeregt wird, und dem interessanteren, aber anstößigen, der sich hier als Stö rung des zu Lesenden geltend machen darf. Man ersieht aus diesem Beispiel, daß es nicht immer leicht wird, Vorkomm nisse wie diesen Lesefehler aufzuklären. Gelegentlich ist man auch genötigt, die Lösung des Rätsels auf eine günstigere Zeit zu verschieben. Je schwieriger sich aber die Lösungsarbeit er weist, desto sicherer darf man erwarten, daß der endlich auf gedeckte störende Gedanke von unserem bewußten Denken als fremdartig und gegensätzlich beurteilt werden wird.
§ 439c) Ich erhalte eines Tages einen Brief aus der Nähe Wiens, der mir eine erschütternde Nachricht mitteilt. Ich rufe auch sofort meine Frau an und fordere sie zur Teilnahme daran auf, daß die arme Wilhelm M. so schwer erkrankt und von den Ärzten aufgegeben ist. An den Worten, in welche ich mein Be dauern kleide, muß aber etwas falsch geklungen haben, denn meine Frau wird mißtrauisch, verlangt den Brief zu sehen und äußert als ihre Überzeugung, so könne es nicht darin stehen, denn niemand nenne eine Frau nach dem Namen des Mannes, und überdies sei der Korrespondentin der Vorname der Frau sehr wohl bekannt. Ich verteidige meine Behauptung hart näckig und verweise auf die so gebräuchlichen Visitkarten, auf denen eine Frau sich selbst mit dem Vornamen des Mannes be zeichnet. Ich muß endlich den Brief zur Hand nehmen, und wir lesen darin tatsächlich „der arme W. M.“, ja sogar, was ich ganz übersehen hatte: „der arme Dr. W. M.“. Mein Ver sehen bedeutet also einen sozusagen krampfhaften Versuch, die traurige Neuigkeit von dem Manne auf die Frau zu über wälzen. Der zwischen Artikel, Beiwort und Name eingescho bene Titel paßt schlecht zu der Forderung, es müßte die Frau gemeint sein. Darum wurde er auch beim Lesen beseitigt. Das Motiv dieser Verfälschung war aber nicht, daß mir die Frau weniger sympathisch wäre als der Mann, sondern das Schicksal des armen Mannes hatte meine Besorgnisse um eine andere, mir nahe stehende Person rege gemacht, welche eine der mir bekannten Krankheitsbedingungen mit diesem Falle gemeinsam hatte.
§ 440d) Ärgerlich und lächerlich ist mir ein Verlesen, dem ich sehr häufig unterliege, wenn ich in den Ferien in den Straßen einer fremden Stadt spaziere. Ich lese dann jede Ladentafel, die dem irgendwie entgegenkommt, als Antiquitäten. Hierin äußert sich die Abenteuerlust des Sammlers.
§ 441e) Bleuler erzählt in seinem bedeutsamen Buche „Affek tivität, Suggestibilität, Paranoia“ (1906), S. 121: „ "Beim Lesen“ hatte ich einmal das intellektuelle Gefühl, zwei Zeilen weiter unten meinen Namen zu sehen. Zu meinem Erstaunen finde ich nur das Wort ,Blutkörperchen‘. Unter vielen Tausenden von mir analysierten Verlesungen des peripheren wie des zentralen Gesichtsfeldes ist dieses der krasseste Fall. Wenn ich etwa meinen Namen zu sehen glaubte, so war das Wort, das dazu Anlaß gab, meist viel ähnlicher meinem Namen, in den meisten Fällen mußten geradezu alle Buchstaben des Namens in der Nähe vorhanden sein, bis mir ein solcher Irrtum begegnen konnte. In diesem Falle ließ sich aber der Beziehungswahn und die Illusion sehr leicht begründen: Was ich gerade las, war das Ende einer Bemerkung über eine Art schlechten Stils von wis senschaftlichen Arbeiten, von der ich mich nicht frei fühlte."
§ 442f) H. Sachs: „An dem, was die Leute frappiert, geht er in seiner Steifleinenheit vorüber.“ Dies Wort fiel mir aber auf und ich entdeckte bei näherem Hinsehen, daß es Stilfeinheit hieß. Die Stelle fand sich in einer überschwenglich lobenden Auslassung eines von mir verehrten Autors über einen Historiker, der mir unsympathisch ist, weil er das ,Deutsch Professorenhafte‘ zu stark hervorkehrt.“
§ 443g) Über einen Fall von Verlesen im Betriebe der philologi schen Wissenschaft berichtet Dr. Marcell Eibenschütz im Zentralbl. für Psychoanalyse, I, 5/6. „ "Ich beschäftige mich mitHaupt ,Über das mittelhoch deutsche Buch der Märtyrer‘, Wiener Sitzungsberichte, 1867, 70. Bd., S. 101 ff. — Haupt legte seiner Arbeit nicht eine alte Handschrift zu Grunde, sondern eine aus neuerer Zeit (19. Jahrhundert) stammende Abschrift der Haupthandschrift C (Klosterneuburg), eine Abschrift, die in der Hofbibliothek aufbewahrt wird. Am Ende dieser Abschrift steht folgende Subskription:" der Überlieferung des ,Buches der Märtyrer‘, eines mittelhoch deutschen Legendenwerkes, das ich in den ,Deutschen Texten des Mittelalters‘, herausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, edieren soll. Über das bisher noch unge druckte Werk war recht wenig bekannt; es bestand eine ein zige Abhandlung darüber von J.
§ 444"Anno Domini MDCCCL in vigilia exaltacionis sancte crucis ceptus est iste liber et in vigilia pasce anni subsequentis finitus cum adiutorio omnipotentis per me Hartmanum de Krasna tunc temporis ecclesie niwenburgensis custodem."
§ 445"Haupt teilt nun in seiner Abhandlung diese Subscriptio mit, in der Meinung, daß sie vom Schreiber von C selbst her rühre, und läßt C, mit konsequenter Verlesung der römisch ge schriebenen Jahreszahl 1850, im Jahre 1350 geschrieben sein, trotzdem daß er die Subscriptio vollständig richtig kopiert hat, trotzdem daß sie in der Abhandlung am angeführten Orte voll ständig richtig (nämlich MDCCCL) abgedruckt ist."
§ 446"Die Mitteilung Haupts bildete für mich eine Quelle von Verlegenheiten. Zunächst stand ich als blutjunger Anfänger in der gelehrten Wissenschaft ganz unter der Autorität Haupts und las lange Zeit aus der vollkommen klar und richtig gedruckt vor mir liegenden Subscriptio wie Haupt 1350 statt 1850; doch in der von mir benutzten Haupthandschrift C war keine" "Spur irgend einer Subscriptio zu finden, es stellte sich fernernur in der von Haupt benutzten Abschrift und rührt von ihrem Schreiber her, P. Hartman Zeibig, geb. zu Krasna in Mähren, Augustinerchorherr zu Klosterneuburg, der im Jahre 1850 als Kirchenschatzmeister des Stiftes die Hand schrift C abgeschrieben und sich am Ende seiner Abschrift in altertümlicher Weise selbst nennt. Die mittelalterliche Diktion und die alte Orthographie der Subscriptio haben wohl bei dem Wunsche Haupts, über das von ihm behandelte Werk möglichst viel mitteilen zu können, also auch die Handschrift C zu datieren, mitgeholfen, daß er immer statt 1850 1350 las. (Motiv der Fehlhandlung.)" “ heraus, daß im ganzen 14. Jahrhundert zu Klosterneuburg kein Mönch namens Hartmann gelebt hatte. Und als endlich der Schleier von meinen Augen sank, da hatte ich auch schen den ganzen Sachverhalt erraten, und die weiteren Nachforschungen bestätigen meine Vermutung: die vielgenannte Subscriptio steht nämlich
§ 447h) In den „Witzigen und Satirischen Einfällen“ von Lichtenberg findet sich eine Bemerkung, die wohl einer Be obachtung entstammt und fast die ganze Theorie des Verlesens enthält: Er las immer Agamemnon statt „angenommen“, so sehr hatte er den Homer gelesen.
§ 448In einer übergroßen Anzahl von Fällen ist es nämlich die
Bereitschaft des Lesers, die den Text verändert und etwas, worauf er eingestellt oder womit er beschäftigt ist, in ihn hineinliest. Der Text selbst braucht dem Verlesen nur dadurch entgegenzukommen, daß er irgend eine Ähnlichkeit im Wort bild bietet, die der Leser in seinem Sinne verändern kann. Flüchtiges Hinschauen, besonders mit unkorrigiertem Auge, erleichtert ohne Zweifel die Möglichkeit einer solchen Illusion, ist aber keineswegs eine notwendige Bedingung für sie. § 449i) Ich glaube die Kriegszeit, die bei uns allen gewisse feste und langanhaltende Präokkupationen schafft, hat keine andere Fehlleistung so sehr begünstigt wie gerade das Verlesen. Ich konnte eine große Anzahl von solchen Beobachtungen machen, von denen ich leider nur einige wenige bewahrt habe. Eines Tages greife ich nach einem der Mittags- oder Abendblätter und finde darin groß gedruckt: Der Friede von Görz. Aber nein, es heißt ja nur: Die Feinde vor Görz. Wer gerade zwei Söhne als Kämpfer auf diesem Kriegsschauplatze hat, mag sich leicht so verlesen. Ein anderer findet in einem gewissen Zusammenhange eine alte Brotkarte erwähnt, die er bei besserer Aufmerksamkeit gegen alte Brokate eintauschen muß. Es ist immerhin mitteilenswert, daß er sich in einem Hause, wo er oft gern gesehener Gast ist, bei der Hausfrau durch die Abtretung von Brotkarten beliebt zu machen pflegt. Ein Ingenieur, dessen Ausrüstung der im Tunnel während des Baues herrschenden Feuchtigkeit nie lang gewachsen ist, liest zu seinem Erstaunen in einer Annonce Gegenstände aus „Schundleder“ angepriesen. Aber Händler sind selten so aufrichtig; was da zum Kaufe empfohlen wird, ist Seehundleder.
§ 450Der Beruf oder die gegenwärtige Situation des Lesers beSprachstrategie“ anstatt Schachstrategie. Ein Mann, der in einer fremden Stadt spazieren geht, gerade um die Stunde, auf welche seine durch eine Kur hergestellte Darmtätigkeit reguliert ist, liest auf einem großen Schilde im ersten Stock eines hohen Waren hauses: „Klosethaus“; seiner Befriedigung darüber mengt sich doch ein Befremden über die ungewöhnliche Unterbrin gung der wohltätigen Anstalt bei. Im nächsten Moment ist die Befriedigung doch geschwunden, denn die Tafelaufschrift heißt richtiger: Korsethaus.
stimmt auch das Ergebnis seines Verlesens. Ein Philologe, der wegen seiner letzten trefflichen Arbeiten im Streite mit seinen Fachgenossen liegt, liest „§ 451j) In einer zweiten Gruppe von Fällen ist der Anteil des Textes am Verlesen ein bei weitem größerer. Er enthält etwas, was die Abwehr des Lesers rege macht, eine ihm peinliche Mit teilung oder Zumutung, und erfährt darum durch das Verlesen eine Korrektur im Sinne der Abweisung oder Wunscherfüllung. Es ist dann natürlich unabweisbar anzunehmen, daß der Text zunächst richtig aufgenommen und beurteilt wurde, ehe er diese Korrektur erfuhr, wenngleich das Bewußtsein von dieser ersten Lesung nichts erfahren hat. Das Beispiel c auf den vorstehen den Seiten ist von dieser Art; ein anderes von höchster Aktuali tät teile ich hier nach Dr. M. Eitingon (z. Z. im Kriegsspital in Igló, Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse, II, 1915) mit.
§ 452„ "Leutnant X., der sich mit einer kriegstraumatischen NeuHeymann** in sichtlicher Er griffenheit folgendermaßen vor:" rose in unserem Spital befindet, liest mir eines Tages den Schlußvers der letzten Strophe eines Gedichtes des so früh gefallenen Dichters Walter
§ 453",Wo aber steht’s geschrieben, frag’ ich, daß von allenwarum denn nicht?‘" Ich übrig bleiben soll, ein andrer für mich fallen? Wer immer von euch fällt, der stirbt gewiß für mich; Und ich soll übrig bleiben!
§ 454"Durch mein Befremden aufmerksam gemacht, liest er dann, etwas betreten, richtig:"
§ 455",Und ich soll übrig bleiben? warum denn ich?‘"
§ 456"Dem Fall X. verdanke ich einigen analytischen Einblick in das psychische Material dieser ,Traumatischen Neurosen des" "Krieges‘, und da war es mir möglich, trotz der unserer Art zu arbeiten so wenig günstigen Verhältnisse eines Kriegslazaretts mit starkem Belag und wenig Ärzten, ein wenig über die als ,Ursache‘ hochbewerteten Granatexplosionen hinauszusehen."
* W. Heymann: Kriegsgedichte und Feldpostbriefe, p. 11: „Den Ausziehenden.“ § 457"Es bestanden auch in diesem Falle die schweren Tremores, die den ausgesprochenen Fällen dieser Neurosen eine auf den ersten Blick frappante Ähnlichkeit verleihen, Ängstlichkeit, Weinerlichkeit, Neigung zu Wutanfällen mit konvulsiven, in fantilmotorischen Entäußerungen und zu Erbrechen (,bei ge ringsten Aufregungen‘)."
§ 458"Gerade des letzteren Symptoms Psychogeneität, zunächst im Dienste sekundären Krankheitsgewinnes, mußte sich jedem aufdrängen: Das Erscheinen des Spitalskommandanten, der von Zeit zu Zeit die Genesenden sich ansieht, auf der Ab teilung, die Phrase eines Bekannten auf der Straße: ,Sie schauen ja prächtig aus, sind gewiß schon gesund,‘ genügen zur prompten Auslösung eines Brechanfalls."
§ 459",Gesund... wieder einrücken... warum denn ich?...‘" ”
§ 460k) Andere Fälle von „Kriegs“-Verlesen hat Dr. Hanns Sachs (Wien) in der Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, IV, 1916/17, mitgeteilt:
§ 461I.
§ 462„ "Ein naher Bekannter hatte mir wiederholt erklärt, er werde, wenn die Reihe an ihn komme, keinen Gebrauch von seiner, durch ein Diplom bestätigten Fachausbildung machen, sondern auf den dadurch begründeten Anspruch auf entspre chende Verwendung im Hinterlande verzichten und zum Front dienst einrücken. Kurz bevor der Termin wirklich herankam, teilte er mir eines Tages in knappster Form, ohne weitere Be gründung mit, er habe die Nachweise seiner Fachbildung an" "zuständiger Stelle vorgelegt und werde infolgedessen demDruckbogen‘ — ich habe es für ,Drückeberger‘ gelesen." “ nächst seine Zuteilung für eine industrielle Tätigkeit erhalten. Am nächsten Tage trafen wir uns in einem Amtslokal. Ich stand gerade vor einem Pulte und schrieb; er trat heran, sah mir eine Weile über die Schulter und sagte dann: Ach, das Wort da oben heißt ,
§ 463II.
§ 464„ "In der Tramway sitzend, dachte ich darüber nach, daßEisenkonstitution‘. Einen Augenblick später fiel mir ein, daß dieses Wort für eine Geschäftsaufschrift nicht recht passe; mich rasch umdrehend, erhaschte ich noch einen Blick auf die Inschrift und sah, daß sie richtig ,Eisenkonstruktion‘ laute." “ manche meiner Jugendfreunde, die immer als zart und schwächlich gegolten hatten, jetzt die allerhärtesten Stra pazen zu ertragen im stande sind, denen ich ganz bestimmt er liegen würde. Mitten in diesem unerfreulichen Gedankenzuge las ich im Vorüberfahren mit halber Aufmerksamkeit die großen schwarzen Lettern einer Firmatafel: ,
§ 465III.
§ 466„ "In den Abendblättern stand die inzwischen als unrichtigHughes zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt sei. Anschließend daran erschien ein kurzer Lebenslauf des angeblich Gewählten und in diesem stieß ich auf die Mitteilung, daß Hughes in Bonn Univer sitätsstudien absolviert habe. Es schien mir sonderbar, daß dieses Umstandes in den wochenlangen Zeitungsdebatten, die dem Wahltag vorangegangen waren, keine Erwähnung ge schehen war. Nochmalige Überprüfung ergab denn auch, daß" erkannte Reuterdepesche, daß "nur von der ,Brown‘-Universität die Rede war. Dieser krasse Fall, bei dem für das Zustandekommen des Verlesens eine ziemlich große Gewaltsamkeit notwendig war, erklärt sich außer aus der Flüchtigkeit bei der Zeitungslektüre vor allem daraus, daß mir die Sympathie des neuen Präsidenten für die Mittelmächte als Grundlage künftiger guter Beziehungen nicht bloß aus politischen, sondern auch darüber hinaus aus per sönlichen Gründen wünschenswert schien." “
§ 467B. Verschreiben.
§ 468a) Auf einem Blatte, welches kurze tägliche Aufzeichnun gen meist von geschäftlichem Interesse enthält, finde ich zu meiner Überraschung mitten unter den richtigen Daten des Monats September eingeschlossen das verschriebene Datum „Donnerstag, den 20. Okt.“. Es ist nicht schwierig, diese Anti zipation aufzuklären, und zwar als Ausdruck eines Wunsches. Ich bin wenige Tage vorher frisch von der Ferienreise zurück gekehrt und fühle mich bereit für ausgiebige ärztliche Beschäf tigung, aber die Anzahl der Patienten ist noch gering. Bei meiner Ankunft fand ich einen Brief von einer Kranken vor, die sich für den 20. Oktober ankündigte. Als ich die gleiche Tageszahl im September niederschrieb, kann ich wohl gedacht haben: Die X. sollte doch schon da sein; wie schade um den vollen Monat! und in diesem Gedanken rückte ich das Datum vor. Der störende Gedanke ist in diesem Falle kaum ein änstößiger zu nennen; dafür weiß ich auch sofort die Auf lösung des Schreibfehlers, nachdem ich ihn erst bemerkt habe. Ein ganz analoges und ähnlich motiviertes Verschreiben wiederhole ich dann im Herbst des nächsten Jahres. — E. Jones hat ähnliche Verschreibungen im Datum studiert und sie in den meisten Fällen leicht als motivierte erkannt.
§ 469b) Ich erhalte die Korrektur meines Beitrags zum Jahres bericht für Neurologie und Psychiatrie und muß natürlich mit besonderer Sorgfalt die Autornamen revidieren, die, weil ver schiedenen Nationen angehörig, dem Setzer die größten Schwierigkeiten zu bereiten pflegen. Manchen fremd klingen den Namen finde ich wirklich noch zu korrigieren, aber einen einzigen Namen hat merkwürdigerweise der Setzer gegen mein Manuskript verbessert, und zwar mit vollem Rechte. Ich hatte nämlich Buckrhard geschrieben, während der Setzer Burckhard erriet. Ich hatte die Abhandlung eines Geburts helfers über den Einfluß der Geburt auf die Entstehung der Kinderlähmungen selbst als verdienstlich gelobt, wüßte auch nichts gegen deren Autor zu sagen, aber den gleichen Namen wie er trägt auch ein Schriftsteller in Wien, der mich durch eine unverständige Kritik über meine „Traumdeutung“ ge ärgert hat. Es ist gerade so, als hätte ich mir bei der Nieder schrift des Namens Burckhard, der den Geburtshelfer be zeichnete, etwas Arges über den anderen B., den Schriftsteller, gedacht, denn Namenverdrehen bedeutet häufig genug, wie ich schon beim Versprechen erwähnt habe, Schmähung**.
§ 470c) Diese Behauptung wird sehr schön durch eine Selbst beobachtung von A. J. Storfer bekräftigt, in welcher der Autor mit rühmenswerter Offenheit die Motive klarlegt, die ihn den Namen eines vermeintlichen Konkurrenten falsch er innern und dann entstellt niederschreiben hießen (Internat. Zeitschrift für Psychoanalyse, II, 1914).
* Vgl. etwa die Stelle im Julius Cäsar, III, 3: "Cinna. Ehrlich, mein Name ist Cinna." "Bürger. Reißt ihn in Stücke! er ist ein Verschworener." "Cinna. Ich bin Cinna der Poet! Ich bin nicht Cinna der Ver schworene." "Bürger. Es tut nichts; sein Name ist Cinna, reißt ihm den Namen aus dem Herzen und laßt ihn laufen." § 471„ "Eine hartnäckige Namenverunglimpfung."
§ 472"Im Dezember 1910 sah ich im Schaufenster einer ZüricherHitschmann über die Freudsche Neurosenlehre. Ich arbeitete damals gerade am Manuskript eines Vortrags, den ich demnächst in einem akademischen Verein über die Grundzüge der Freud schen Psychologie halten sollte. In der damals schon nieder geschriebenen Einleitung des Vortrags hatte ich auf die histo rische Entwicklung der Freudschen Psychologie aus For schungen auf einem angewandten Gebiete, auf gewisse, daraus folgende Schwierigkeiten einer zusammenfassenden Darstel lung der Grundzüge hingewiesen, und darauf, daß noch keine allgemeine Darstellung bestehe. Als ich das Buch (des mir bis dahin unbekannten Autors) im Schaufenster sah, dachte ich zunächst nicht daran, es zu kaufen. Einige Tage nachher beschloß ich aber, es zu tun. Das Buch war nicht mehr im Schaufenster. Ich nannte dem Buchhändler das vor kurzem erschienene Buch; als Autor nannte ich ,Dr. Eduard Hartmann‘. Der Buchhändler verbesserte: ,Sie meinen wohl Hitschmann‘, und brachte mir das Buch." Buchhandlung das damals neue Buch von Dr. Eduard
§ 473"Das unbewußte Motiv der Fehlleistung war naheliegend. Ich hatte es mir gewissermaßen zum Verdienst angerechnet, die Grundzüge der psychoanalytischen Lehren zusammengefaßt zu haben und habe offenbar das Buch Hitschmanns als Minderer meines Verdienstes mit Neid und Ärger angesehen. Die Abände rung des Namens sei ein Akt der unbewußten Feindseligkeit," "sagte ich mir nach der ,Psychopathologie des Alltags‘. Mit dieser Erklärung gab ich mich damals zufrieden."
§ 474"Einige Wochen später notierte ich mir jene Fehlleistung.Hartmann umgeändert hatte. Sollte mich bloß die Namensähnlichkeit auf den Namen des bekannten Philosophen geführt haben? Meine erste Asso ziation war die Erinnerung an einen Ausspruch, den ich einmal von Professor Hugo Meltzl, einem begeisterten Schopenhauer verehrer, gehört hatte und der ungefähr so lautete: ,Eduard v. Hartmann ist der verhunzte, der auf seine linke Seite umge stülpte Schopenhauer‘. Die affektive Tendenz, durch die das Ersatzgebilde für den vergessenen Namen determiniert war, war also: ,Ach, an diesem Hitschmann und seiner zusammen fassenden Darstellung wird wohl nicht viel daran sein; er ver hält sich wohl zu Freud wie Hartmann zu Schopenhauer.‘" Bei dieser Gelegenheit warf ich auch die Frage auf, warum ich Eduard Hitschmann gerade in Eduard
§ 475"Ich hatte also diesen Fall eines determinierten Vergessens mit Ersatzeinfall niedergeschrieben."
§ 476"Nach einem halben Jahre kann mir das Blatt, auf demHintsch mann geschrieben hatte." “ ich die Aufzeichnung gemacht hatte, in die Hand. Da be merkte ich, daß ich statt Hitschmann durchwegs
§ 477d) Ein anscheinend ernsterer Fall von Verschreiben, den ich vielleicht mit ebensoviel Recht dem „Vergreifen“ einordnen könnte: Ich habe die Absicht, mir aus der Postsparkasse die Summe von 300 Kronen kommen zu lassen, die ich einem zum Kurgebrauch abwesenden Verwandten schicken will. Ich be merke dabei, daß mein Konto auf 4380 K lautet und nehme mir vor, es jetzt auf die runde Summe von 4000 K herunterzusetzen, die in der nächsten Zeit nicht angegriffen werden soll. Nach dem ich den Scheck ordnungsmäßig ausgeschrieben und die der Zahl entsprechenden Ziffern ausgeschnitten habe, merke ich plötzlich, daß ich nicht 380 K, wie ich wollte, sondern gerade 438 bestellt habe, und erschrecke über die Unzuver lässigkeit meines Tuns. Den Schreck erkenne ich bald als unberechtigt; ich bin ja jetzt nicht ärmer geworden, als ich vorher war. Aber ich muß eine ganze Weile darüber nach sinnen, welcher Einfluß hier meine erste Intention gestört hat, ohne sich meinem Bewußtsein anzukündigen. Ich gerate zuerst auf falsche Wege, will die beiden Zahlen, 380 und 438, voneinander abziehen, weiß aber dann nicht, was ich mit der Differenz anfangen soll. Endlich zeigt mir ein plötzlicher Ein fall den wahren Zusammenhang. 438 entspricht ja zehn Prozent des ganzen Kontos von 4380 K! 10% Rabatt hat man aber beim Buchhändler. Ich besinne mich, daß ich vor wenigen Tagen eine Anzahl medizinischer Werke, die ihr Interesse für mich verloren haben, ausgesucht, um sie dem Buchhändler gerade für 300 K anzubieten. Er fand die For derung zu hoch und versprach, in den nächsten Tagen end gültige Antwort zu sagen. Wenn er mein Angebot annimmt, so hat er mir gerade die Summe ersetzt, welche ich für den Kranken verausgaben soll. Es ist nicht zu verkennen, daß es mir um diese Ausgabe leid tut. Der Affekt bei der Wahrneh mung meines Irrtums läßt sich besser verstehen als Furcht, durch solche Ausgaben arm zu werden. Aber beides, das Be dauern wegen dieser Ausgabe und die an sie geknüpfte Ver armungsangst, sind meinem Bewußtsein völlig fremd; ich habe das Bedauern nicht verspürt, als ich jene Summe zusagte, und fände die Motivierung desselben lächerlich. Ich würde mir eine solche Regung wahrscheinlich gar nicht zutrauen, wenn ich nicht durch die Übung in Psychoanalysen bei Patienten mit dem Verdrängten im Seelenleben ziemlich vertraut wäre,
§ 478e) Nach W. Stekel zitiere ich folgenden Fall, für dessen Authentizität ich gleichfalls einstehen kann : „Ein geradezu un glaubliches Beispiel im Verschreiben und Verlesen ist in der Redaktion eines verbreiteten Wochenblattes vorgekommen. Die betreffende Leitung wurde öffentlich als ,käuflich‘ bezeichnet; es galt, einen Artikel der Abwehr und Verteidigung zu schrei ben. Das geschah auch — mit großer Wärme und großem Pathos. Der Chefredakteur des Blattes las den Artikel, der Verfasser selbstverständlich mehrmals im Manuskript, dann noch im Bürstenabzug, alle waren sehr befriedigt. Plötzlich meldet sich der Korrektor und macht auf einen kleinen Fehler aufmerksam, der der Aufmerksamkeit aller entgangen war. Dort stand es ja deutlich: Unsere Leser werden uns das Zeugnis ausstellen, daß wir immer in eigennützigster Weise für das Wohl der Allgemeinheit eingetreten sind. Selbst verständlich sollte es uneigennützigster Weise heißen. Aber die wahren Gedanken brachen mit elementarer Gewalt durch die pathetische Rede.“
§ 479f) Einer Leserin des „Pester Lloyd“, Frau Kata Levy in Budapest, ist kürzlich eine ähnlich unbeabsichtigte Aufrichtig keit in einer Äußerung aufgefallen, die sich das Blatt am 11. Oktober 1918 aus Wien hatte telegraphieren lassen:
§ 480„Als zweifellos darf auf Grund des absoluten Vertrauenslückenhaftes Zusammen arbeiten der verbündeten Diplomatien stattfindet.“
verhältnisses, das während des ganzen Krieges zwischen uns und dem deutschen Verbündeten geherrscht hat, vorausgesetzt werden, daß die beiden Mächte in jedem Falle zu einer ein mütigen Entschließung gelangen würden. Es ist überflüssig, noch ausdrücklich zu erwähnen, daß auch in der gegen wärtigen Phase ein reges und * Es ist dies jener Traum, den ich in einer kurzen Abhandlung: „Über den Traum“, Nr. VIII der „Grenzfragen des Nerven- und Seelen lebens“, herausgegeben von Löwenfeld und Kurella, 1901, zum Paradigma genommen habe. § 481Nur wenige Wochen später konnte man sich über dieses
„Vertrauensverhältnis“ freimütiger äußern, brauchte man nicht mehr zum Verschreiben (oder Verdrucken) zu flüchten.§ 482g) Ein in Europa weilender Amerikaner, der seine Frau in schlechtem Einvernehmen verlassen hat, glaubt, daß er sich nun mit ihr versöhnen könne, und fordert sie auf, ihm zu einem bestimmten Termin über den Ozean nachzukommen: „Es wäre schön,“ schreibt er, „wenn Du wie ich mit der Mauretania fahren könntest.“ Das Blatt, auf dem dieser Satz steht, getraut er sich dann aber nicht abzuschicken. Er zieht es vor, es neu zu schreiben. Denn er will nicht, daß sie die Korrektur bemerke, die an dem Namen des Schiffes notwendig geworden war. Er hatte nämlich anfänglich Lusitania geschrieben.
§ 483Dies Verschreiben bedarf keiner Erläuterung, es ist ohneMauretania das überlebende Schwesterschiff der während des Krieges versenkten Lusitania.
weiteres deutbar. Doch läßt die Gunst des Zufalls noch einiges hinzufügen: Seine Frau war vor dem Kriege zum erstenmal nach Europa gefahren, nach dem Tode ihrer einzigen Schwester. Wenn ich nicht irre, ist die § 484h) Ein Arzt hat ein Kind untersucht und schreibt nun ein Rezept für dasselbe nieder, in welchem Alcohol vorkommt. Die Mutter belästigt ihn während dieser Tätigkeit mit törich ten und überflüssigen Fragen. Er nimmt sich innerlich fest vor, sich jetzt darüber nicht zu ärgern, führt diesen Vorsatz auch durch, hat sich aber während der Störung verschrieben. Auf dem Rezept steht anstatt Alcohol zu lesen Achol**.
§ 485Der stofflichen Verwandtschaft wegen reihe ich hier einenJones von A. A. Brill berichtet. Letzterer hatte sich, obwohl sonst völlig abstinent, von einem Freunde verleiten lassen, etwas Wein zu trinken. Am nächsten Mor gen gab ihm ein heftiger Kopfschmerz Anlaß, diese Nachgiebig keit zu bedauern. Er hatte den Namen einer Patientin nieder zuschreiben, die Ethel hieß, und schrieb anstatt dessen Ethyl**. Es kam dabei wohl auch in Betracht, daß die be treffende Dame selbst mehr zu trinken pflegte, als ihr gut tat.
Fall an, den E. § 486Da ein Verschreiben des Arztes beim Rezeptieren eine Be
deutung beansprucht, die weit über den sonstigen praktischen Wert der Fehlleistungen hinausgeht, bediene ich mich des An lasses, um die einzige bis jetzt publizierte Analyse von solchem ärztlichen Verschreiben ausführlich mitzuteilen (Internatio nale Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913).§ 487Ein wiederholter Fall von Verschreiben bei der. Rezeptierung
§ 488Von Dr. Ed. Hitschmann.
§ 489„ "Ein Kollege erzählte mir, es sei ihm im Laufe der Jahre mehrmals passiert, daß er sich beim Verschreiben eines be stimmten Medikaments für weibliche Patienten vorgeschrit tenen Alters irrte. Zweimal verschrieb er die zehnfache Dosis und mußte nachher, da ihm dies plötzlich einfiel, unter größter Angst, der Patientin geschadet zu haben und selbst in größte Unannehmlichkeit zu kommen, eiligst die Zurückziehung des Rezepts anstreben. Diese sonderbare Symptomhandlung ver-" "dient durch genauere Darstellung der einzelnen Fälle und durch Analyse klargelegt zu werden."
* Etwa: Keine Galle. ** Äthylalkohol. § 490"1. Fall: Der Arzt verschreibt einer an der Schwelle des Greisenalters stehenden armen Frau gegen spastische Obstipa tion zehnfach zu starke Belladonna-Zäpfchen. Er verläßt das Ambulatorium und etwa eine Stunde später fällt ihm zu Hause, während er Zeitung liest und frühstückt, plötzlich sein Irrtum ein; es überfällt ihn Angst, er eilt zunächst ins Ambulato rium zurück, um die Adresse der Patientin zu requirieren, und von dort in ihre weit entlegene Wohnung. Er findet das alte Weiblein noch mit unausgeführtem Rezept, worüber er höchst erfreut und beruhigt heimkehrt. Er entschuldigt sich vor sich selbst nicht ohne Berechtigung damit, daß ihm der ge sprächige Chef der Ambulanz während der Rezeptur über die Schulter geschaut und ihn gestört hatte."
§ 491"2. Fall: Der Arzt muß sich aus seiner Ordination von einer koketten und pikant schönen Patientin losreißen, um ein älteres Fräulein ärztlich aufzusuchen. Er benützt ein Automobil, da er nicht viel Zeit für diesen Besuch übrig hat; denn er soll um eine bestimmte Stunde, nahe von ihrer Wohnung, ein ge liebtes junges Mädchen heimlich treffen. Auch hier ergibt sich die Indikation für Belladonna wegen analoger Beschwer den wie im ersten Falle. Es wird wieder der Fehler begangen, das Medikament zehnfach zu stark zu rezeptieren. Die Pa tientin bringt einiges nicht zum Gegenstand gehörige Inter essante vor, der Arzt aber verrät Ungeduld, wenn er sie auch mit Worten verleugnet, und verläßt die Patientin, so daß er reichlich zurecht zum Rendezvous erscheint. Etwa zwölf Stunden nachher, gegen sieben Uhr morgens, erwacht der Arzt; der Einfall seines Verschreibens und Angst treten fast gleichzeitig in sein Bewußtsein, und er sendet rasch zu der" "Kranken, in der Hoffnung, daß das Medikament noch nicht aus der Apotheke geholt sei, und bittet um Rückstellung des Re zepts, um es zu revidieren. Er erhält jedoch das bereits aus geführte Rezept zurück und begibt sich mit einer gewissen stoischen Resignation und dem Optimismus des Erfahrenen in die Apotheke, wo ihn der Provisor damit beruhigt, daß er selbstverständlich (oder vielleicht auch durch ein Versehen?) das Medikament in einer geringeren Dosis verabreicht habe."
§ 492"3. Fall: Der Arzt will seiner greisen Tante, Schwester seiner Mutter, die Mischung von Tinct. belladonnnae und Tinct. opii in harmloser Dosis verschreiben. Das Rezept wird so fort durch das Mädchen in die Apotheke getragen. Ganz kurze Zeit später fällt dem Arzt ein, daß er anstatt tinctura ,ex tractum‘ geschrieben habe, und gleich darauf telephoniert der Apotheker, über diesen Irrtum interpellierend. Der Arzt ent schuldigt sich mit der erlogenen Ausrede, er hätte das Re zept noch nicht vollendet gehabt, es sei ihm durch die un erwartet rasche Wegnehmung des Rezepts vom Tische die Schuld abgenommen."
§ 493"Die auffällig gemeinsamen Punkte dieser drei Irrtümer ineinen Medikament bisher passiert ist, daß es sich jedesmal um eine weibliche Patientin im vorgeschrittenen Alter handelte und daß die Dosis immer zu stark war. Bei der kurzen Analyse stellte es sich heraus, daß das Verhältnis des Arztes zur Mutter von entscheidender Bedeutung sein mußte. Es fiel ihm nämlich ein, daß er einmal — und zwar höchstwahrscheinlich vor diesen Symptomhandlungen — seiner gleichfalls greisen Mutter dasselbe Rezept verschrieben hatte, und zwar in der Dosis von 0·03, obwohl die gewöhnliche 0·02 ihm geläufiger war, um ihr radikal zu helfen, wie er sich" der Verschreibung sind darin gelegen, daß es dem Arzte nur bei diesem "dachte. Die Reaktion der zarten Mutter auf dieses Medikament war Kopfkongestion und unangenehme Trockenheit im Ra chen. Sie beklagte sich darüber mit einer halb scherzhaften Anspielung auf die gefährlichen Ordinationen, die von einem Sohne ausgehen können. Auch sonst hat die Mutter, übrigens Arztenstochter, gegen gelegentlich vom ärztlichen Sohne emp fohlene Medikamente ähnlich ablehnende, halb scherzhafte Ein wendungen erhoben und vom Vergiften gesprochen."
§ 494"Soweit Referent die Beziehungen dieses Sohnes zu seiner“ Mutter durchschaut, ist er zwar ein instinktiv liebevolles Kind, aber in der geistigen Schätzung der Mutter und im persön lichen Respekt keineswegs übertrieben. Mit dem um ein Jahr jüngeren Bruder und der Mutter in gemeinsamem Haushalt lebend, empfindet er dieses Zusammensein seit Jahren für seine erotische Freiheit als Hemmung, wobei wir allerdings aus psychoanalytischer Erfahrung wissen, daß solche Begrün dungen zum Vorwand für inneres Gebundensein gern miß braucht werden. Der Arzt akzeptierte die Analyse unter ziem licher Befriedigung über die Aufklärung und meinte lächelnd, das Wort Belladonna = schöne Frau könnte auch eine ero tische Beziehung bedeuten. Er hat das Medikament früher gelegentlich auch selbst verwendet."
§ 495Ich möchte urteilen, daß solche ernsthafte Fehlleistungen
auf keinem anderen Wege zu stande kommen als die harm losen, die wir sonst untersuchen.§ 496i) Für ganz besonders harmlos wird man das nachstehende, von S. Ferenczi berichtete Verschreiben halten. Man kann es als Verdichtungsleistung infolge von Ungeduld deuten (vgl. das Versprechen: Der Apfe, S. 73) und wird diese Auffassung verteidigen dürfen, bis nicht etwa eine eingehende Analyse des Vorfalls ein stärkeres störendes Moment nachgewiesen hätte:
§ 497„Hiezu paßt die Anektode“ — schreibe ich einmal in mein Notizbuch. Natürlich meinte ich Anekdote, und zwar von einem zu Tode verurteilten Zigeuner, der sich die Gnade erbat, selber den Baum zu wählen, auf den er gehängt werden soll. (Er fand trotz eifrigen Suchens keinen pas senden Baum.)
§ 498j) Andere Male kann im Gegensatz hiezu der unschein barste Schreibfehler gefährlichen geheimen Sinn zum Aus druck bringen. Ein Anonymus berichtet:
§ 499„Ich schließe einen Brief mit den Worten: ,Herzlichsteihren Sohn.‘ Knapp bevor ich das Blatt ins Kuvert stecke, bemerke ich den Irrtum im Anfangsbuchstaben bei ,ihren Sohn‘ und verbessere ihn. Auf dem Heimweg von dem letzten Besuche bei diesem Ehepaar hatte meine Begleiterin bemerkt, der Sohn sehe einem Haus freund frappant ähnlich und sei auch sicher sein Kind.“
Grüße an Ihre Frau Gemahlin und § 500k) Eine Dame richtet an ihre Schwester einige beglück wünschende Zeilen zum Einzug in deren neue und geräumige Wohnung. Eine dabei anwesende Freundin bemerkt, daß die Schreiberin eine falsche Adresse auf den Brief gesetzt hat, und zwar nicht die der eben verlassenen Wohnung, sondern die der ersten, längst aufgegebenen, welche die Schwester als eben ver heiratete Frau bezogen hatte. Sie macht die Schreiberin darauf aufmerksam. Sie haben Recht, muß diese zugeben, aber wie komme ich darauf? Warum habe ich das getan? Die Freundin meint: Wahrscheinlich gönnen Sie ihr die schöne große Woh nung nicht, die sie jetzt bekommen soll, während Sie sich selbst im Raum beengt fühlen, und versetzen sie darum in die erste Wohnung zurück, in der sie es auch nicht besser hatte. — Gewiß gönne ich ihr die neue Wohnung nicht, gesteht die andere ehrlich zu. Sie setzt dann fort: Wie schade, daß man bei diesen Dingen immer so gemein ist!
§ 501l) E. Jones teilt folgendes, ihm von A. A. Brill über lassene Beispiel vom Verschreiben mit: Ein Patient richtete an Dr. Brill ein Schreiben, in welchem er sich bemühte, seine Nervosität auf die Sorge und Erregung über den Geschäfts gang während einer Baumwollkrise zurückzuführen. In diesem Schreiben hieß es: my trouble is all due to that damned frigid wave; there is’nt even any seed. Er meinte mit „wave“ natürlich eine Welle, Strömung auf dem Geldmarkt; in Wirk lichkeit schrieb er aber nicht wave, sondern wife. Auf dem Grunde seines Herzens ruhten Vorwürfe gegen seine Frau, wegen ihrer ehelichen Kälte und ihrer Kinderlosigkeit, und er war nicht weit entfernt von der Erkenntnis, daß die ihm aufgezwungene Entbehrung einen großen Anteil an der Ver ursachung seines Leidens habe.
§ 502m) Dr. R. Wagner erzählt von sich im Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 12:
§ 503„ "Beim Durchlesen eines alten Kollegienheftes fand ich, daßpithel‘ hatte ich nämlich ,Edithel‘ geschrieben. Mit Betonung der ersten Silbe gibt das das Diminutivum eines Mädchennamens. Die retrospektive Analyse ist einfach genug. Zur Zeit des Verschreibens war die Bekanntschaft zwischen mir und der Trägerin dieses Na mens nur eine ganz oberflächliche, und erst viel später wurde daraus ein intimer Verkehr. Das Verschreiben ist also ein hübscher Beweis für den Durchbruch der unbewußten Neigung zu einer Zeit, wo ich selbst eigentlich davon noch keine Ahnung hatte, und die gewählte Form des Diminutivums charakterisiert gleichzeitig die begleitenden Gefühle." “ mir in der Geschwindigkeit des Mitschreibens ein kleiner Lapsus unterlaufen war. Statt ,E
§ 504n) Frau Dr. v. Hug-Hellmuth, Beiträge zum Kapitel „Verschreiben und Verlesen“, Zentralbl. f. Psychoanalyse, II, 5: „ "Ein Arzt verordnet einer Patientin Levitico- statt Levicowasser. Dieser Irrtum, der einem Apotheker will kommenen Anlaß zu abfälligen Bemerkungen gegeben hatte, kann leicht einer milderen Auffassung begegnen, wenn man nach den möglichen Beweggründen aus dem Unbewußten forscht und ihnen, sind sie auch nur subjektive Annahme eines diesem Arzte Fernstehenden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht von vornherein abspricht: Dieser Arzt erfreute sich, trotzdem er seinen Patienten ihre wenig rationelle Ernährung in ziemlich derben Worten vorhielt, ihnen sozusagen die Leviten las, starken Zuspruchs, so daß sein Wartezimmer vor und in der Ordinationsstunde dicht besetzt war, was den Wunsch des Arztes rechtfertigte, das Ankleiden der absol vierten Patienten möge sich möglichst rasch, vite, vite voll ziehen. Wie ich mich richtig zu erinnern glaubte, war seine Gattin aus Frankreich gebürtig, was die etwas kühn scheinende Annahme, daß er sich bei seinem Wunsche nach größerer Ge schwindigkeit seiner Patienten gerade der französischen Sprache bediente, einigermaßen rechtfertigt. Übrigens ist es eine bei vielen Personen anzutreffende Gewohnheit, solch Wünschen in fremder Sprache Worte zu verleihen, wie mein eigener Vater uns Kinder bei Spaziergängen gern durch den Zuruf ,Avanti gioventù‘ oder ,Marchez au pas‘ zur Eile drängte, dagegen wieder ein schon recht bejahrter Arzt, bei dem ich als junges Mädchen wegen eines Halsübels in Behandlung stand, meine ihm allzu raschen Bewegungen durch ein beschwich tigendes ,Piano, piano‘ zu hemmen suchte. So erscheint es mir recht gut denkbar, daß auch jener Arzt dieser Gewohnheit hul digte; und so ,verschreibt‘ er Levitico- — statt Levicowasser." “
§ 505Andere Beispiele aus der Jugenderinnerung der Verfasfrazösisch statt französisch — Verschrei ben des Namens Karl).
serin ebendaselbst (§ 506o) Ein Verschreiben, das sich inhaltlich mit einem be kannten schlechten Witz deckt, bei dem aber die Witzabsicht sicherlich ausgeschlossen war, danke ich der Mitteilung eines Herrn J. G., von dem ein anderer Beitrag bereits Erwähnung gefunden hat:
§ 507„Als Patient eines (Lungen-) Sanatoriums erfahre ich zu
meinem Bedauern, daß bei einem nahen Verwandten dieselbe Krankheit konstatiert wurde, die mich zur Aufsuchung einer Heilanstalt genötigt hat.§ 508In einem Briefe lege ich nun meinem Verwandten nahe,
zu einem Spezialisten zu gehen, einem bekannten Professor, bei dem ich selbst in Behandlung stehe, und von dessen medizinischer Autorität ich überzeugt bin, während ich ander seits allen Grund habe, seine Unhöflichkeit zu beklagen; denn der betreffende Professor hat mir — erst kurze Zeit vorher — die Ausstellung eines Zeugnisses verweigert, das für mich von großer Wichtigkeit war.§ 509In der Antwort auf meinen Brief werde ich von meinem
Verwandten auf einen Schreibfehler aufmerksam gemacht, der mich, da ich seine Ursache augenblicklich erkannte, außer ordentlich erheiterte.§ 510Ich hatte in meinem Schreiben folgenden Passus ver
wendet:§ 511,. . . . übrigens rate ich Dir, ohne Verzögerung Prof. X. zuinsultieren.‘ Natürlich hatte ich konsultieren schreiben wollen.
§ 512Es bedarf vielleicht des Hinweises darauf, daß meine
Latein- und Französischkenntnisse die Erklärung ausschalten, daß es sich um einen aus Unwissenheit resultierenden Fehler handelte.“§ 513Auslassungen im Schreiben haben natürlich Anspruch aufDattner ein merkwür diges Beispiel einer „historischen Fehlleistung“ mitgeteilt. In einem der Gesetzesartikel über finanzielle Verpflichtungen der beiden Staaten, welche in dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn im Jahre 1867 vereinbart wurden, ist das Wort effektiv in der ungarischen Übersetzung weggeblieben, und Dattner macht es wahrscheinlich, daß die unbewußte Strö mung der ungarischen Gesetzesredaktoren, Österreich mög lichst wenig Vorteile zuzugestehen, an dieser Auslassung be teiligt gewesen sei.
dieselbe Beurteilung wie Verschreibungen. Im Zentralblatt für Psychoanalyse, I, 12, hat Jur. Dr. B. § 514Wir haben auch allen Grund anzunehmen, daß die so häu
figen Wiederholungen derselben Worte beim Schreiben und Ab schreiben — Perseverationen — gleichfalls nicht bedeutungs los sind. Setzt der Schreiber dasselbe Wort, das er bereits geschrieben hat, noch ein zweites Mal hin, so zeigt er damit wohl, daß er von diesem Worte nicht so leicht losgekommen ist, daß er an dieser Stelle mehr hätte äußern können, was er aber unterlassen hat, oder ähnliches. Die Perseveration beim Abschreiben scheint die Äußerung eines „auch, auch ich“ zu ersetzen. Ich habe lange gerichtsärztliche Gutachten in der Hand gehabt, welche Perseverationen von seiten des Abschrei bers an besonders ausgezeichneten Stellen aufwiesen, und hätte sie gern so gedeutet, als ob der seiner unpersönlichen Rolle Überdrüssige die Glosse einfügen würde: Ganz mein Fall, oder ganz so wie bei uns.§ 515Es steht ferner nichts im Wege, die Druckfehler als „VerJones hat in seiner hier mehrfach erwähnten Arbeit den „Misprints“ einen besonderen Absatz gewidmet. Auch die Entstellungen in Telegrammen lassen sich gelegentlich als Verschreibungen des Telegraphisten verstehen. In den Sommerferien trifft mich ein Telegramm meines Verlages, dessen Text mir unbegreiflich ist. Es lautet:
schreibungen“ des Setzers zu behandeln und sie als größtenteils motiviert aufzufassen. Eine systematische Sammlung solcher Fehlleistungen, die recht amüsant und lehrreich ausfallen könnte, habe ich nicht angelegt. § 516„Vorräte erhalten, Einladung X. dringend.“ Die Lösung des Rätsels geht von dem darin erwähnten Na men X. aus. X. ist doch der Autor, zu dessen Buch ich eine Einleitung schreiben soll. Aus dieser Einleitung ist die Einladung geworden. Dann darf ich mich aber erinnern, daß ich vor einigen Tagen eine Vorrede zu einem anderen Buch an den Verlag abgeschickt habe, deren Eintreffen mir also so bestätigt wird. Der richtige Text hat sehr wahrscheinlich so geheißen:
§ 517„Vorrede erhalten, Einleitung X. dringend.“ Wir dürfen annehmen, daß er einer Bearbeitung durch den Hungerkomplex des Telegraphisten zum Opfer gefallen ist, wobei übrigens die beiden Hälften des Satzes in innigeren Zu sammenhang gebracht wurden, als vom Absender beabsichtigt war. Nebstbei ein schönes Beispiel von „sekundärer Bear beitung“, wie sie in den meisten Träumen nachweisbar ist**.
§ 518Gelegentlich sind von Anderen Druckfehler aufgezeigt worStorfer (im Zentralblatt für Psychoanalyse, II, 1914: „Der politische Druckfehlerteufel“) und ibid. III, 1915, die kleine Notiz, die ich hier abdrucke:
den, denen man eine Tendenz nicht leicht streitig machen kann, so von * Vgl. Traumdeutung, fünfte Auflage, 1919, Abschnitt über die Traumarbeit, i. § 519„ "Ein politischer Druckfehler"
§ 520"findet sich in der Nummer des ,März‘ vom 25. April d. J. InZographos, dem Führer der aufständischen Epiroten in Al banien (oder wenn man will: dem Präsidenten der unabhän gigen Regierung des Epirus) wiedergegeben. U. a. heißt es: ,Glauben Sie mir; ein autonomer Epirus läge im ureigensten Interesse des Fürsten Wied. Auf ihn könnte er sich stürzen. . .‘ Daß die Annahme der Stütze, die ihm die Epiroten anbieten, seinen Sturz bedeuten würde, weiß wohl der Fürst von Albanien auch ohne jenen fatalen Druckfehler." “ (Mitge einem Briefe aus Argyrokastron wurden Äußerungen von teilt von A. J. Storfer.)
§ 521Ich las selbst vor kurzem in einer unserer Wiener Tages—rumänischer Herrschaft“, dessen Überschrift man zum mindesten als ver früht erklären durfte, denn damals hatten sich die Rumänen noch nicht zu ihrer Feindseligkeit bekannt. Es hätte nach dem Inhalt unzweifelhaft russisch anstatt rumänisch heißen müssen, aber auch dem Zensor scheint die Zusammenstellung so wenig befremdend gewesen zu sein, daß er selbst diesen Druckfehler übersah.
zeitungen einen Aufsatz „die Bukowina unter § 522Wundt gibt eine bemerkenswerte Begründung für die leicht zu bestätigende Tatsache, daß wir uns leichter ver schreiben als versprechen (l. c. S. 374). „ "Im Verlaufe der“ normalen Rede ist fortwährend die Hemmungsfunktion des Willens dahin gerichtet, Vorstellungsverlauf und Artikula tionsbewegung miteinander in Einklang zu bringen. Wird die den Vorstellungen folgende Ausdrucksbewegung durch mecha nische Ursachen verlangsamt wie beim Schreiben. . ., so treten daher solche Antizipationen besonders leicht ein."
§ 523Die Beobachtung der Bedingungen, unter denen das VerVorlesen die Aufmerksamkeit des Lesenden den Text verläßt und sich eigenen Gedanken zuwendet. Die Folge dieses Abschweifens der Aufmerksamkeit ist nicht selten, daß er überhaupt nicht anzugeben weiß, was er gelesen hat, wenn man ihn im Vor lesen unterbricht und befragt. Er hat dann wie automatisch gelesen, aber er hat fast immer richtig vorgelesen. Ich glaube nicht, daß die Lesefehler sich unter solchen Bedingungen merklich vermehren. Von einer ganzen Reihe von Funktionen sind wir auch gewohnt anzunehmen, daß sie automatisch, also von kaum bewußter Aufmerksamkeit begleitet, am exaktesten vollzogen werden. Daraus scheint zu folgen, daß die Auf merksamkeitsbedingung der Sprech-, Lese- und Schreibfehler anders zu bestimmen ist, als sie bei Wundt lautet (Wegfall oder Nachlaß der Aufmerksamkeit). Die Beispiele, die wir der Analyse unterzogen haben, gaben uns eigentlich nicht das Recht, eine quantitative Verminderung der Aufmerksamkeit anzunehmen; wir fanden, was vielleicht nicht ganz dasselbe ist, eine Störung der Aufmerksamkeit durch einen fremden, Anspruch erhebenden Gedanken**.
lesen auftritt, gibt Anlaß zu einem Zweifel, den ich nicht un erwähnt lassen möchte, weil er nach meiner Schätzung der Ausgangspunkt einer fruchtbaren Untersuchung werden kann. Es ist jedermann bekannt, wie häufig beim * Zwischen „Verschreiben“ und „Vergessen“ darf man den Fall ein schalten, daß jemand eine Unterschrift anzubringen vergißt. Ein nicht unterschriebener Scheck ist soviel wie ein vergessener. Für die Bedeutung eines solchen Vergessens will ich eine Stelle aus einem Roman anführen, die Dr. H. Sachs aufgefallen ist: „Ein sehr lehrreiches und durchsichtiges Beispiel, mit welcherGalsworthy: ,The Island Pharisees.‘ Im Mittelpunkte steht das Schwanken eines jungen Mannes, der dem reichen Mittelstand angehört, zwischen tiefem sozialen Mitgefühl und den gesellschaftlichen Konven tionen seiner Klasse. Im XXVI. Kapitel wird geschildert, wie er auf einen Brief eines jungen Vagabunden reagiert, den er, durch seine origi nelle Lebensauffassung angezogen, einigemal unterstützt hatte. Der Brief enthält keine direkte Bitte um Geld, aber die Schilderung einer großen Notlage, die keine andere Deutung zuläßt. Der Empfänger weist zunächst den Gedanken von sich, das Geld an einen Unverbesserlichen wegzuwerfen, statt damit wohltätige Anstalten zu unterstützen. ,Eine helfende Hand, ein Stück von sich selbst, ein kameradschaftliches Nicken einem Mit geschöpf zu geben, ohne Rücksicht auf einen Anspruch, nur weil es ihm eben schlecht ging, welch ein sentimentaler Unsinn! Irgendwo muß der Scheidestrich gezogen werden!‘ Aber während er diese Schlußfolgerung vor sich hinmurmelte, fühlte er, wie seine Aufrichtigkeit Einspruch erhob: ,Schwindler! Du willst dein Geld behalten, das ist alles!‘ Er schreibt daraufhin einen freundlichen Brief, der mit den Worten endigt: „Ich schließe einen Scheck bei. Aufrichtig Ihr Richard Shelton.“ „Bevor er noch den Scheck geschrieben hatte, lenkte eine Motte, die um die Kerze schwirrte, seine Aufmerksamkeit ab; er ging daran, sie zu fangen und im Freien loszulassen, darüber vergaß er aber, daß der Scheck nicht in den Brief eingeschlossen war.“ Der Brief wird auch wirklich, so wie er ist, befördert. Das Vergessen ist aber noch feiner motiviert als durch die Durch setzung der scheinbar überwundenen selbstsüchtigen Tendenz, sich die Ausgabe zu ersparen.Shelton fühlt sich auf dem Landsitz seiner künftigen Schwieger eltern mitten zwischen seiner Braut, ihrer Familie und deren Gästen ver einsamt; durch seine Fehlhandlung wird angedeutet, daß er sich nach seinem Schützling sehnt, der durch seine Vergangenheit und Lebens auffassung den vollsten Gegensatz zu der ihn umgebenden tadellosen, nach ein und derselben Konvention gleichförmig abgestempelten Umgebung bildet. Tatsächlich kommt dieser, der ohne die Unterstützung sich auf seinem Posten nicht mehr halten kann, einige Tage nachher an, um sich Aufklärung über die Gründe der Abwesenheit des angekündigten Schecks zu verschaffen.“ Sicherheit die Dichter den Mechanismus der Fehl- und Symptomhandlungen im Sinne der Psychoanalyse zu verwenden wissen, enthält der Roman von John § 524VII.
§ 525VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.
§ 526Wenn jemand geneigt sein sollte, den Stand unserer gegen
wärtigen Kenntnis vom Seelenleben zu überschätzen, so brauchte man ihn nur an die Gedächtnisfunktion zu mahnen, um ihn zur Bescheidenheit zu zwingen. Keine psychologische Theorie hat es noch vermocht, von dem fundamentalen Phä nomen des Erinnerns und Vergessens im Zusammenhange Re chenschaft zu geben; ja, die vollständige Zergliederung dessen, was man als tatsächlich beobachten kann, ist noch kaum in Angriff genommen. Vielleicht ist uns heute das Vergessen rätselhafter geworden als das Erinnern, seitdem uns das Stu dium des Traumes und pathologischer Ereignisse gelehrt hat, daß auch das plötzlich wieder im Bewußtsein auftauchen kann, was wir für längst vergessen geschätzt haben.§ 527Wir sind allerdings im Besitze einiger weniger Gesichts
punkte, für welche wir allgemeine Anerkennung erwarten. Wir nehmen an, daß das Vergessen ein spontaner Vorgang ist, dem man einen gewissen zeitlichen Ablauf zuschreiben kann. Wir heben hervor, daß beim Vergessen eine gewisse Auswahl unter den dargebotenen Eindrücken stattfindet und ebenso unter den Einzelheiten eines jeden Eindrucks oder Erlebnisses. Wir kennen einige der Bedingungen für die Haltbarkeit im Gedächtnis und für die Erweckbarkeit dessen, was sonst vergessen würde. Bei unzähligen Anlässen im täglichen Leben können wir aber be merken, wie unvollständig und unbefriedigend unsere Erkennt nis ist. Man höre zu, wie zwei Personen, die gemeinsam äußere Eindrücke empfangen, z. B. eine Reise miteinander gemacht haben, eine Zeitlang später ihre Erinnerungen austauschen. Was dem einen fest im Gedächtnis geblieben ist, das hat der andere oft vergessen, als ob es nicht geschehen wäre, und zwar ohne daß man ein Recht zur Behauptung hätte, der Eindruck sei für den einen psychisch bedeutsamer gewesen als für den anderen. Eine ganze Anzahl der die Auswahl fürs Gedächtnis bestimmenden Momente entzieht sich offenbar noch unserer Kenntnis.§ 528In der Absicht, zur Kenntnis der Bedingungen des Ver
gessens einen kleinen Beitrag zu liefern, pflege ich die Fälle, in denen mir das Vergessen selbst widerfährt, einer psychologi schen Analyse zu unterziehen. Ich beschäftige mich in der Regel nur mit einer gewissen Gruppe dieser Fälle, mit jenen nämlich, in denen das Vergessen mich in Erstaunen setzt, weil ich nach meiner Erwartung das Betreffende wissen sollte. Ich will noch bemerken, daß ich zur Vergeßlichkeit im allgemeinen (für Er lebtes, nicht für Gelerntes!) nicht neige, und daß ich durch eine kurze Periode meiner Jugend auch außergewöhnlicher Ge dächtnisleistungen nicht unfähig war. In meiner Schulknaben zeit war es mir selbstverständlich, die Seite des Buches, die ich gelesen hatte, auswendig hersagen zu können, und kurz vor der Universität war ich im stande, populäre Vorträge wissenschaft lichen lnhalts unmittelbar nachher fast wortgetreu niederzu schreiben. In der Spannung vor dem letzten medizinischen Rigorosum muß ich noch Gebrauch von dem Reste dieser Fähig keit gemacht haben, denn ich gab in einigen Gegenständen den Prüfern wie automatisch Antworten, die sich getreu mit dem Texte des Lehrbuches deckten, welchen ich doch nur einmal in der größten Hast durchflogen hatte. § 529Die Verfügung über den Gedächtnisschatz ist seither bei**. Ähnlich, wenn ich einen entfernteren Bekannten treffe, den ich aus Höflichkeit nach seinen kleinen Kindern frage. Erzählt er von den Fortschritten derselben, so suche ich mir einfallen zu lassen, wie alt das Kind jetzt ist, kontrolliere durch die Aus kunft des Vaters und gehe höchstens um einen Monat, bei älteren Kindern um ein Vierteljahr fehl, obwohl ich nicht an geben kann, welche Anhaltspunkte ich für diese Schätzung hatte. Ich bin zuletzt so kühn geworden, daß ich meine Schät zung immer spontan vorbringe, und laufe dabei nicht Gefahr, den Vater durch die Bloßstellung meiner Unwissenheit über seinen Sprößling zu kränken. Ich erweitere so mein bewußtes Erinnern durch Anrufen meines jedenfalls weit reichhaltigeren unbewußten Gedächtnisses.
mir immer schlechter geworden, doch habe ich mich bis in die letzte Zeit hinein überzeugt, daß ich mit Hilfe eines Kunst griffes weit mehr erinnern kann, als ich mir sonst zutraue. Wenn z. B. ein Patient in der Sprechstunde sich darauf beruft, daß ich ihn schon einmal gesehen habe, und ich mich weder an die Tatsache noch an den Zeitpunkt erinnern kann, so helfe ich mir, indem ich rate, d. h. mir rasch eine Zahl von Jahren, von der Gegenwart an gerechnet, einfallen lasse. Wo Aufschrei bungen oder die sichere Angabe des Patienten eine Kontrolle meines Einfalls ermöglichen, da zeigt es sich, daß ich selten um mehr als ein Halbjahr bei über zehn Jahren geirrt habe§ 530Ich werde also über auffällige Beispiele von Vergessen, die ich zumeist an mir selbst beobachtet, berichten. Ich unter scheide Vergessen von Eindrücken und Erlebnissen, also von Wissen, und Vergessen von Vorsätzen, also Unterlassungen. Das einförmige Ergebnis der ganzen Reihe von Beobachtungen kann ich voranstellen: In allen Fällen erwies sich das Vergessen als begründet durch ein Unlustmotiv.
* Gewöhnlich pflegen dann im Laufe der Besprechung die Einzel heiten des damaligen ersten Besuches bewußt aufzutauchen. § 531A. Vergessen von Eindrücken und Kenntnissen.
§ 532a) Im Sommer gab mir meine Frau einen an sich harmlosen Anlaß zu heftigem Ärger. Wir saßen an der Table d’hôte einem Herrn aus Wien gegenüber, den ich kannte, und der sich wohl auch an mich zu erinnern wußte. Ich hatte aber meine Gründe, die Bekanntschaft nicht zu erneuern. Meine Frau, die nur den ansehnlichen Namen ihres Gegenüber gehört hatte, verriet zu sehr, daß sie seinem Gespräch mit den Nachbarn zuhörte, denn sie wandte sich von Zeit zu Zeit an mich mit Fragen, die den dort gesponnenen Faden aufnahmen. Ich wurde ungeduldig und endlich gereizt. Wenige Wochen später führte ich bei einer Ver wandten Klage über dieses Verhalten meiner Frau. Ich war aber nicht im stande, auch nur ein Wort von der Unterhaltung jenes Herrn zu erinnern. Da ich sonst eher nachtragend bin und keine Einzelheit eines Vorfalls, der mich geärgert hat, vergessen kann, ist meine Amnesie in diesem Falle wohl durch Rück sichten auf die Person der Ehefrau motiviert. Ähnlich erging es mir erst vor kurzem wieder. Ich wollte mich gegen einen intim Bekannten über eine Äußerung meiner Frau lustig machen, die erst vor wenigen Stunden gefallen war, fand mich aber in diesem Vorsatz durch den bemerkenswerten Umstand gehin dert, daß ich die betreffende Äußerung spurlos vergessen hatte. Ich mußte erst meine Frau bitten, mich an dieselbe zu erinnern. Es ist leicht zu verstehen, daß dies mein Vergessen analog zu fassen ist der typischen Urteilsstörung, welcher wir unter liegen, wenn es sich um unsere nächsten Angehörigen handelt.
§ 533b) Ich hatte es übernommen, einer fremd in Wien ange kommenen Dame eine kleine eiserne Handkassette zur Aufbe wahrung ihrer Dokumente und Gelder zu besorgen. Als ich mich dazu erbot, schwebte mir mit ungewöhnlicher visueller Leb haftigkeit das Bild einer Auslage in der Inneren Stadt vor, in welcher ich solche Kassen gesehen haben mußte. Ich konnte mich zwar an den Namen der Straße nicht erinnern, fühlte mich aber sicher, daß ich den Laden auf einem Spaziergang durch die Stadt auffinden werde, denn meine Erinnerung sagte mir, daß ich unzähligemal an ihm vorübergegangen sei. Zu meinem Ärger gelang es mir aber nicht, diese Auslage mit den Kassetten aufzufinden, obwohl ich die Innere Stadt nach allen Richtungen durchstreifte. Es blieb mir nichts anderes übrig, meinte ich, als mir aus einem Adressenkalender die Kassen fabrikanten herauszusuchen, um dann auf einem zweiten Rund gang die gesuchte Auslage zu identifizieren. Es bedurfte aber nicht soviel; unter den im Kalender angezeigten Adressen be fand sich eine, die sich mir sofort als die vergessene enthüllte. Es war richtig, daß ich ungezählte Male an dem Auslagefenster vorübergegangen war, jedesmal nämlich, wenn ich die Fa milie M. besucht hatte, die seit langen Jahren in dem näm lichen Hause wohnt. Seitdem dieser intime Verkehr einer völ ligen Entfremdung gewichen war, pflegte ich, ohne mir von den Gründen Rechenschaft zu geben, auch die Gegend und das Haus zu meiden. Auf jenem Spaziergang durch die Stadt hatte ich, als ich die Kassetten in der Auslage suchte, jede Straße in der Umgebung begangen, dieser einen aber war ich, als ob ein Verbot darauf läge, ausgewichen. Das Unlustmotiv, welches in diesem Falle meine Unorientiertheit verschuldete, ist greifbar. Der Mechanismus des Vergessens ist aber nicht mehr so einfach wie im vorigen Beispiel. Meine Abneigung gilt natürlich nicht dem Kassenfabrikanten, sondern einem
§ 534c) Ich werde von dem Bureau B. & R. bestellt, einen ihrer Beamten ärztlich zu besuchen. Auf dem Wege zu dessen Woh nung beschäftigt mich die Idee, ich müßte schon wiederholt in dem Hause gewesen sein, in welchem sich die Firma befindet. Es ist mir, als ob mir die Tafel derselben in einem niedrigen Stockwerk aufgefallen wäre, während ich in einem höheren einen ärztlichen Besuch zu machen hatte. Ich kann mich aber weder daran erinnern, welches dieses Haus ist, noch wen ich dort besucht habe. Obwohl die ganze Angelegenheit gleich gültig und bedeutungslos ist, beschäftige ich mich doch mit ihr und erfahre endlich auf dem gewöhnlichen Umweg, indem ich meine Einfälle dazu sammle, daß sich einen Stock über den Lokalitäten der Firma B. & R. die Pension Fischer be findet, in welcher ich häufig Patienten besucht habe. Ich kenne jetzt auch das Haus, welches die Bureaus und die Pen sion beherbergt. Rätselhaft ist mir noch, welches Motiv bei diesem Vergessen im Spiele war. Ich finde nichts für die Er innerung Anstößiges in der Firma selbst oder an Pension Fischer oder an den Patienten, die dort wohnten. Ich vermute auch, daß es sich um nichts sehr Peinliches handeln kann; sonst wäre es mir kaum gelungen, mich des Vergessenen auf einem Umweg wieder zu bemächtigen, ohne, wie im vorigen Beispiel, äußere Hilfsmittel heranzuziehen. Es fällt mir endlich ein, daß mich eben vorhin, als ich den Weg zu dem neuen Pa tienten antrat, ein Herr auf der Straße gegrüßt hat, den ich Mühe hatte zu erkennen. Ich hatte diesen Mann vor Monaten in einem anscheinend schweren Zustand gesehen und die Diagnose der progressiven Paralyse über ihn verhängt, dann aber gehört, daß er hergestellt sei, so daß mein Urteil unrichtig gewesen wäre. Wenn nicht etwa hier eine der Remissionen vor liegt, die sich auch bei Dementia paralytica finden, so daß meine Diagnose doch noch gerechtfertigt wäre! Von dieser Begegnung ging der Einfluß aus, der mich an die Nachbarschaft der Bureaus von B. & R. vergessen ließ, und mein Interesse, die Lösung des Vergessenen zu finden, war von diesem Fall strit tiger Diagnostik her übertragen. Die assoziative Verknüpfung aber wurde bei geringem inneren Zusammenhang — der wider Erwarten Genesene war auch Beamter eines großen Bureaus, welches mir Kranke zuzuweisen pflegte — durch eine Namens gleichheit besorgt. Der Arzt, mit welchem gemeinsam ich den fraglichen Paralytiker gesehen hatte, hieß auch Fischer, wie die in dem Hause befindliche, vom Vergessen betroffene Pension.
§ 535d) Ein Ding verlegen heißt ja nichts anderes als ver gessen, wohin man es gelegt hat, und wie die meisten mit Schrif ten und Büchern hantierenden Personen bin ich auf meinem Schreibtisch wohl orientiert und weiß das Gesuchte mit einem Griffe hervorzuholen. Was anderen als Unordnung erscheint, ist für mich historisch gewordene Ordnung. Warum habe ich aber unlängst einen Bücherkatalog, der mir zugeschickt wurde, so verlegt, daß er unauffindbar geblieben ist? Ich hatte doch die Absicht, ein Buch, das ich darin angezeigt fand, „Über die Sprache“, zu bestellen, weil es von einem Autor herrührt, dessen geistreich belebten Stil ich liebe, dessen Einsicht in der Psychologie und dessen Kenntnisse in der Kulturhistorie ich zu schätzen weiß. Ich meine, gerade darum habe ich den Katalog verlegt. Ich pflege nämlich Bücher dieses Autors zur Auf klärung unter meinen Bekannten zu verleihen, und vor wenigen Tagen hat mir jemand bei der Rückstellung gesagt: „Der Stil erinnert mich ganz an den Ihrigen, und auch die Art zu denken ist dieselbe.“ Der Redner wußte nicht, an was er mit dieser Bemerkung rührte. Vor Jahren, als ich noch jünger und an schlußbedürftiger war, hat mir ungefähr das Nämliche ein älterer Kollege gesagt, dem ich die Schriften eines bekannten medizinischen Autors angepriesen hatte. „Ganz Ihr Stil und Ihre Art.“ So beeinflußt hatte ich diesem Autor einen um näheren Verkehr werbenden Brief geschrieben, wurde aber durch eine kühle Antwort in meine Schranken zurückgewiesen. Vielleicht verbergen sich außerdem noch frühere abschreckende Erfahrungen hinter dieser letzten, denn ich habe den verlegten Katalog nicht wiedergefunden und bin durch dieses Vorzeichen wirklich abgehalten worden, das angezeigte Buch zu bestellen, obwohl ein wirkliches Hindernis durch das Verschwinden des Katalogs nicht geschaffen worden ist. Ich habe ja die Namen des Buches und des Autors im Gedächtnis behalten**.
§ 536e) Ein anderer Fall von Verlegen verdient wegen der Be dingungen, unter denen das Verlegte wiedergefunden wurde, unser Interesse. Ein jüngerer Mann erzählt mir: „Es gab vor einigen Jahren Mißverständnisse in meiner Ehe, ich fand meine Frau zu kühl, und obwohl ich ihre vortrefflichen Eigenschaften gern anerkannte, lebten wir ohne Zärtlichkeit nebeneinander. Eines Tages brachte sie mir von einem Spaziergang ein Buch mit, das sie gekauft hatte, weil es mich interessieren dürfte. Ich dankte für dieses Zeichen von ,Aufmerksamkeit‘, versprach das Buch zu lesen, legte es mir zurecht und fand es nicht wie der. Monate vergingen so, in denen ich mich gelegentlich an dies verschollene Buch erinnerte und es auch vergeblich auf zufinden versuchte. Etwa ein halbes Jahr später erkrankte meine, getrennt von uns wohnende, geliebte Mutter. Meine Frau verließ das Haus, um ihre Schwiegermutter zu pflegen. Der Zustand der Kranken wurde ernst und gab meiner Frau Ge legenheit, sich von ihren besten Seiten zu zeigen. Eines Abends komme ich begeistert von der Leistung meiner Frau und dank erfüllt gegen sie nach Hause. Ich trete zu meinem Schreibtisch, öffne ohne bestimmte Absicht, aber wie mit somnambuler Sicherheit, eine bestimmte Lade desselben und zu oberst in ihr finde ich das so lange vermißte, das verlegte Buch.“
* Für vielerlei Zufälligkeiten, die man seit Th. Vischer der „Tücke des Objekts“ zuschreibt, möchte ich ähnliche Erklärungen vorschlagen. § 537Einen Fall von Verlegen, der in dem letzten Charakter mitStärcke (l. c.).
diesem zusammentrifft, in der merkwürdigen Sicherheit des Wiederfindens, wenn das Motiv des Verlegens erloschen ist, erzählt J. § 538„ "Ein junges Mädchen hatte einen Lappen, aus welchem sie einen Kragen anfertigen wollte, im Zuschneiden verdorben. Nun mußte die Näherin kommen und versuchen, es noch zurechtzu bringen. Als die Näherin gekommen war und das Mädchen den zerschnittenen Kragen aus der Schublade, in die sie ihn gelegt zu haben glaubte, zum Vorschein holen wollte, konnte sie ihn nicht finden. Sie warf das Unterste zu oberst, aber sie fand ihn nicht. Als sie nun im Zorne sich setzte und sich abfragte, warum er plötzlich verschwunden war und ob sie ihn vielleicht nicht" "finden wollte, überlegte sie, daß sie sich natürlich vor der Näherin schämte, weil sie etwas so Einfaches wie einen Kragen doch noch verdorben hatte. Als sie das bedacht hatte, stand sie auf, ging auf einen anderen Schrank zu und brachte daraus beim ersten Griff den zerschnittenen Kragen zum Vorschein." “
§ 539f) Das nachstehende Beispiel von „Verlegen“ entspricht einem Typus, der jedem Psychoanalytiker bekannt geworden ist. Ich darf angeben, der Patient, der dieses Verlegen produ zierte, hat den Schlüssel dazu selbst gefunden:
§ 540„Ein in psychoanalytischer Behandlung stehender Patient,
bei dem die sommerliche Unterbrechung der Kur in eine Pe riode des Widerstandes und schlechten Befindens fällt, legt abends beim Entkleiden seinen Schlüsselbund, wie er meint, auf den gewohnten Platz. Dann erinnert er sich, daß er für die Abreise am nächsten Tag, dem letzten der Kur, an dem auch das Honorar fällig wird, noch einige Gegenstände aus dem Schreibtisch nehmen will, wo er auch das Geld verwahrt hat. Aber die Schlüssel sind — verschwunden. Er beginnt seine kleine Wohnung systematisch, aber in steigender Erregung ab zusuchen — ohne Erfolg. Da er das ,Verlegen‘ der Schlüssel als Symptomhandlung, also als beabsichtigt, erkennt, weckt er seinen Diener, um mit Hilfe einer ,unbefangenen‘ Person weiterzusuchen. Nach einer weiteren Stunde gibt er das Suchen auf und fürchtet, daß er die Schlüssel verloren habe. Am nächsten Morgen bestellt er beim Fabrikanten der Schreibtisch kasse neue Schlüssel, die in aller Eile angefertigt werden. Zwei Bekannte, die ihn im Wagen nach Hause begleitet haben, wollen sich erinnern, etwas auf den Boden klirren gehört zu haben, als er aus dem Wagen stieg. Er ist überzeugt, daß ihm die Schlüssel aus der Tasche gefallen sind. Abends präsen tierte ihm der Diener triumphierend die Schlüssel. Sie lagen § 541168 VII. VERGESSEN vor: EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN,
§ 542zwischen einem (,lichen Buche und einer dünnen Broschüre
(einer Arbeit eines meiner Schüler), die er zur Lektüre für die Ferien mitnehmen wollbe, su geschickt hingelegt, daß niemand sie dort, vermutet hätte. Es war ihm dann unmöglich, die Lage der Schlüssel so unsichtbar nachzuuhmen. ’Die unbewußte Ge- ' sohiekliohkcit, rnit der ein Gegenstand infolge von geheimen aber starken Motiven verlegt wird, erinnert ganz an die ,seni nuanbule Sicherheit‘. Das Motiv war natürlich Unmut; über die Unterbrechung der Kur und. die geheime Wut, bei so schlechtem 'Befinden ein hohes Honorar zahlen zu müssen.“§ 5439} Ein Mann, erzählt A. A, Brill, wurde von seiner Frau
gedrängt, an einer gesellschaftlichen Veianstaltu.ng fcilzuneh- ' men, die ihm im Grunde sehr gleichgültig war. Er gab ihren Bitten endlich nach und begann seinen Festanzug uns dem Koffer zu nehmen7 unterbrach sich aber darin und besehleß sich zuerst zu rasieren. Als er damit fertig geworden war, kehrte er zum Koffer zuriiek, land ihn aber zugeklzippt, und der Schlüssel war nicht aufzuf-inclen. Ein Schlosser war nicht nufzulreiben, der es Sonntag abends war, und so mußten die beiden sich in der Gesellschaft entschuldigen lassen. Als der Koffer am nächsten Morgen geöffnet; wurde, fand sich der Schlüssel drinnen. Der Mann hatte ihn in der Zerstreutheit in den Koffer fallen lassen und diesen ins Schloß geworfen. Er gab mir zwar die Versicherung, daß er ganz ohne Wissen und Absicht so getan habe, aber wir wissen, daß er nicht in die Gesellschaft gvhr\n wollte. Das Verlegen (llfS Schlüssel.—3. armangelbe also nicht eines Mol-ivs.§ 544E. Jones beobachtete an sich selbst. daß er jedesmal die
Pfeife zu verlegen pflegte, nachdem er zuviel geraucht hatte§ 545und sich darum unwohl fühlte. Die Pfeife fand sich dann an
§ 546§ 547
169
§ 548allen möglichen Stellen1 wo sie, nicht hingehörte und wo sie
Für gewöhnlich nicht aufbewahrt wurde.§ 549‘h) Einen harmlos-en Fall mit eingestn,ndener Motivieru‘ng
berichtet- Dora Mülle r (Internationale Zeitsclu‘ilt fiir Psyche analynse, III, 1915).§ 550l. Fräulein Erna A. erzählt zwei Tage vor Weihnachten.:
§ 551„Denken Sie, gestern abends nahm ich aus meinem Pfeffer
kuchcnpaket und aß; ich denke dabei, daß ich Fräulein S. (der Gesellschafterin ihrer Mutter), wenn sie mir Gutenaeht sagen komme, dfi.ven anbieten müsse, ich hatte keine rechte Lust, dazu, nahm mir aber trotzdem vor, es zu tun “'ie‘ sie nachher kam und ich nach meinem Tisch chen hin die: Hand aussi-reckte, urn das Paket zu nehmen, fand ich es dort nicht. ich suehbe danach und fand es eingeschlossen in nn-iuem Schranke. Da hatte ich das Paket ohne es zu wissen hineingestellt.“ Eine Analyse war überflüssig, die Erzä-hlerin war sich selbst über den Zusammenhang klar. Die eben verdrängte Regnn‘g, das Gebäck fiir sich allein behalten zu wollen, war gleichwohl in automatischer Handlung durchgedrungen, um freilich in diesem Falle durch die nachfolgende bewußte Handlung wieder rück gängig gemacht zu werden.§ 5521") H. Sachs schildert, wie er sich einmal durch (,\in solches
Verlegen der Verpflichtung zu arbeiten entzogen hat.§ 553„Vergangenen Sonntag nachmittags sohwankte ich eine
Weile, ob ich arbeiten oder einen Spaziergang mit dzuansehlie— Liendeni Besuche machen solle, entschloß mich aber nach rinigmn Kampfc fiir das erstere. Nach etwa einer Stunde be— merkte ich, daß ich mit meinem Papivrmrmt zu Ende sei. Ich wußte, daß ich irgendwo in einer Lade schon seit Jahren ein Bündel Papier aufbewahrt habe, suchte aber danach vergeblich§ 554in meinem Schreibtisch und an anderen Stellen, wo ich es zu
§ 555§ 556
170 vn. vnem:ssnn VON uichüuxrm UND VORSÄ'PZE. .
§ 557finden vermutete, obgleich ich mir große Mühe gab und in
allen möglichen alten Büchern, Broschüren, Briel'schafteu u. dgl. hnrumwiihlte, So sah ich mich doch genütigt, die Ar— heil; einzustellen und fortzugehen. Als ich ähends nach Hause kam, setzte ich mich :Lul' das Sein. und sah in Gedankun, halb abwesend auf den gegenüberstehendcn Bücherschrank, Da, fiel mir eine Lade in die Augen und ich erinnnrte, daß ich ihren Inhalt schon lange nicht. dnrch'gemus’mrf. habe. ich ging also hin und Öffnete sie, Zu Oberst lag eine Ledermappe und in dieser unhescl'iri€benie$ Papier, Aber erst. als lC_ll es herausgenommen hatte und im Begriffe stand, es in der Schreibtischlade zu verwahren, fiel mir ein, daß dies ja. das snlbc Papier sei, das ich nachmittags vergeblich gesucht hatte. Ich muß hiczu noch bemerken, daß ich, obgleich sonst nicht sparsam, mit Papier sehr vorsichtig umgchc und jedes ver— wendbare Bestehen aufhcbc. Diese von einem Triebe gespeistn Cimvohnhcit war es offenbar7 die mich zur sofortigen Korrek tur des Vergessens veranlaßl,e, sobald das aktuelle Motiv dafür verschwunden war.“§ 558Wenn man die Fälle von Verlegen übersicht, wird es wirk
lich schwer anzrurehruen, daß ein Verlegen jemals anders als infolge einer unbewußlen Absicht erfolgt.§ 559)) Im Sommer (l% Jahres [901 erklärte ich einmal einem
Freunde, mit dem ich damals in regeln Gedankcnziustansch über wissenschal'tliche Fragen stand: Diese nourotisuhen Probleme sind nur dann zu lösen, wenn wir uns ganz und voll auf den Boden der Annahme oiner ursprünglichen Bisexualir,äl des ln(li viduums stellen. Ich erhielt zur Antwort: „Das habe ich dir schon vor zweieinhalb Jahren in Dr. gesagt, als wir jmmn .»lbendspazicrgahg machten. Du wolltest damals uiclns davon hören./‘ Es ist nun schnu‘l‘zlich, so zum Aufgcbvn sl‘inur§ 560§ 561
vn. VERGEsSEU von EINDRÜUKEN UND VORSÄ’I‘ZEN. 171
Originalität aufgefordert zu werden. Ich konnte mich an ein solches Gespräch und an diese Eröffnung meines Freundes nicht erinnern. Einer von uns beiden mußte sich da täuschen; naeh dem Prinzip der Frage cui ]) r ml est ! mußte ich dns sein. Ich habe im Laufe der nächsten Woche in der Tat alles so erinnert., wie mein Freund es in mir erwecken Wollte; ieln weiß selbst, was ich damals zur Antwort gab: Dabei halte ich noch nicht, ich Will mich darauf nicht einlnssen. Aber ich bin seit— her um ein Stück t.olerariter geworden, wenn ich irgendwo in der medizinischen Literatur auf eine der wenigen Ideen stoßc, mit; denen man meinen Namen verknüpfen kann, und Wenn ich dabei die, Erwähnung meines Namens vermisse. Ausstellungen nn seiner Ehefrau — Freundschaft., die ins Gegenteil eingeschlagen hat — Irrtum in ärztlicher Diagnostik — Zurückweisung durch Gleiclistrcbendß — Entlohnung von ideen: es ist wohl kaum zufällig, da.ß eine Anzahl von Bei spielen des Vergessens, die ohne Auswahl gesammelt werden sind7 zu ihrer Auflösung des Eingehcns auf so peinliehe The matzr bedürfen. lch_verniute vielmehry daß jeder andere, der sein eigenes Vergessen einer Prüfung nach den Motiven unter ziehen Will, eine ähnliche l\lusberk;trte von “'iderwiirtigkeiten aufzeichnen können wird. Die Neigung“ zum Vergessen des Un— angenelnncn scheint mir ganz allgemein zu sein; die Fähigkeit darin ist. wohl bei den verschiedenen Personen versvhiwlrn gut ausgebildet. Manches Ableugnen, das uns in der ärztlichen Tätigkeit begegnet, ist wahrscheinlich auf Vergessen zu—§ 562rückzuführen*. Unsere Auffassung; eines solchen Vergessens
§ 563* Wenn man sich bei einem Menschen erkundigt, eh er vor 111 oder
15 Jahren eine luetische Infektion durehgemncht hat, vergil.lh man zu leicht daran, dal; der llefmgte diesen Krankheitszulall psychisch ganz anders§ 564behandelt hat als etwa einen akuten Rhcunmliuuua —» in den Anamnesen,
§ 565§ 566
EINDRÜCKEN UND VOR TZEN,
§ 567172
§ 568beschränkt den Unterschied zwischen dem und jenem Beneh—
men allerdings auf rein psychologische Verhältnisse und ge stattet uns, in beiden Reaktionsweisen den Ausdruck desselben§ 569welche Eltern über ihre neurotisch erkrankten Töchter gehen, ist der
Anteil des Vergessens von dem des Verberg‘ens kaum je mit Sicherheit zu sondern, weil alles, Was der späteren Verheirulung des Mädchens im Wege steht, von den Eltern systematisch beseitigt, dl h. verdrängt wird. —— Ein Mann, der vor kurzem seine geliebte Frau am einer Lungenaffektiun Verloren, teilt mir nachstehenden Fall von Ineführuug der ärztlichen Er< huudigung mit, der nur auf solches Vergessen zurückfiihrhar ist: „Als (lie Pleurilis meiner armen Frau nach vielen Wochen noch nicht weichen \\'0lllu, wurde Dr. P. als I(ousiliarius berufen. Bei der Aufnahme der Anamnese stellte er die üblichen Fragen, u a. auch, ob in der Familie meiner Frau etwa Lungenkrankheitcn vorgekommen seien! Meine ],v‘rrui verneintr und auch ich erinnerte mich nicht. Brei der Verabschiedung des Dr. I’. kommt das Gespräch wie zufällig auf Ausflüge, und meine Frau sagt: Ja, auch bis Langersdurf, wo mein armer Bruder be— graben liegt-, ist eine weite Reise Dieser Bruder war vor etwa 15 Jahren nach mehrjährigem Luberkulüscn Leiden gestorben, Meine Frau hatte ihn sehr geliebt und mir oft von ihm guspruchcn. Ja, es fiel mir ein. (ll‘lü sie seinerzeit, als die Pluuritis Iostgesl,el_lt wurde, sehr besorgt Auch mein Bruder ist ander Lunge§ 570war und trüb„innig meinte:
gestorben. Nun aber war die Erinnerung daran so sehr verdrängt, daß sit.) auch nach (lem vorhin angeführten Ausspruch über den Ausflug nach L. keine Veranlassung fand, ihre Auskunft über Erkrankungen in ihrer Familie zu korrigieren. Mir selbst fiel das Vergessen in dmuselbcn Mmment wieder ein, wo sie von Langcrsdurl' sprach." — Ein völlig analoges Er§ 571lohuis or7£ihlt E. Jo nes in der hier bereits mehrmals erwäbnmn Arbeit..
§ 572l-Lln Arzt, dessen b .u1 an einer dinguusliscb unklaren Unterleibsorkrankung
litt, benu>rkn zu ihr wie tröstunrl: „Es ist doch gut, daß in deiner Fu milin kein Fall von Tuberkulose vorgekomxuen ist,“ Die Frau antwortch aufs äußerste überrascht: „Hast. du denn vergessen, daß meine ,\‘lufter an Tuberkulose geslorhen ist, und dal?» meine Schwester vun ihrer Tuber kulose nivhl eher hergestellt wurde, als bis die Slate sie aufgegeben§ 573hat ten ?“
§ 574§ 575
vu. VERGESSEN VON E1NDRÜCKEN UND VORSÄTZEN. 175
§ 576Motivs zu sehen. Von all den zahlreichen Beispielen der Ver
leugunng nna.ngenehmer Erinnerungen, die ich bei Angehörigen von Kranken gesehen habe. ist, mir eines als besonders seltsam im Gedächtnis geblieben. Eine Mutter informierte mich über die Kinderja„hrc ihres nervcnkranken, in der Pubertät befind lichen Sohnes und erzählte dabei, daß er wie seine Geschwistr-r bis in späte Jahre an Bettnässen gelitten habe, was ja für eine neurotisc-,he Krankengeschichte nicht hedeutungslos ist. Einige Wochen später, als; sie sich Auskunft über den Stand der %s— handlung holen wollte, hatte ich Anlaß, sie auf die Zeichen kunstitut.ioneller Krankheitsveraulagung bei dem jungen Marine n.uimerksa,m zu machen. und berief mich hir‘hei auf das anamnestisch erhobene Bettnäissen. Zu meinem Erstaunen he stritt sie die, Tatsache sowohl für dies als auch für die anderen Kinder, fragte mich, woher ich das Wissen könne, und hörte endlich von mir, daß sie selbst es mit vor kurzer Zeit erzählt habe, was also von ihr vergessen werden war *.§ 577,7 “7111 den Tagen, wäl:nrend ich mit der Niederschrift dieser Seiten
beéchäftigl. war, ist; mir folgender, fast unglaublicher Fall von Vergessen widerfahren: [eh reviciiere am 1. Jänner mein ärztlichcs Buch, um meine llonnmrrechnnugcn aussenden in können, smßa dabei im Juni an]: den Namen M.. .l und kann mich an eine zu ihm gehörige Person nicht, er— lnncrn. Mein Befremden wächst, indem ich beim Weiterblätl.ern hcmerkr-. da.ß ich den Fall in einem Sanatorium behandelt, und dal} ich ihn durch Wochen täglich besucht_ habe. Einen Kranken> mit dem man sich unter solchen Bedingungen beschäl'tigt, vergißt man als Am nicht nach kaum sechs Monacen. Sollte es ein Mann, ein Paralytiker, ein Fall ohne Interesse gewesen sein, frage ich mich? Endlich bei dem Vermerk über das emp fangene Honnra.r kommt mir all die Kenntnis wieder, die sich «ler kir innerung entziehen wollte. M...l war ein l4jährigcs Mädchen gewesen, der merkwürdigch Fall meiner lebeen Jahre, welcher mir eine Lehre hinterlassen, die ich kaum je vergessen werde, und dessen Ausgang mir§ 578die peinlichsic-n Stunden bereitel. huL. Dam Kind erkrankte nn unzweideu
§ 579§ 580
174 VII, vnnnnqsnx VON EINDRÜCK'EN UND VORSÄ'I‘ N‘
§ 581Man findet also auch bei gesunden, nicht. nourotisohen
Menschen reichlich Anzeichen dafür, (laß sich der ,I‘Jrinnerung an peinliclie Ein(lriio c, der Vorstellung peinlieher Gedanken, ein Widerstand entgegensetzt*. Die volle Bedeutrnlg dieser Tatsache läßt sich aber erst errnessen, wenn man in die Psycho logie neurotisclier Personen eingeht. Man ist genötigt, ein solches clementa.res Abwehrlvestrcbon gegen Vorsth lnngen; welche Unlustempfindungen efivecken können, ein Be streben, dns sich nur dem Fluchtmllex bei Schmerzmizen an die Seite stellen läßt, zu einem der Hauptpfoilor des Mcchw nismus zu machen, Welcher die hyste,rischcn Symptome trägt. Man möge gegen die, Annahme einer solchen Abwehrtendcnz tiger Hysterie, die sich auch unter meinen Händen rasch und gründlich bessertc, Nach dieser Besserung wurde mir das Kind von den Eltern entzogen; es klagte noch über ahdmninale Schmerzen, denen die Haupt mlle im Symptnmhild der Hysterie zugnfa.llen war. Zwei Monate später war es an Sarkmn der Fnterleibsdriisen gestorben. Die Hysterie, zu der das, Kind nebstbei prädisponiert war, hatte die Tumorbildnng zur provo— zierenden Ursache genommen, und ich hatte, von den lä.rmenden, ‘a,ber harmlosen Erscheinungen (ler Hysterie gefesselt, vielleicht die erslrm An zeichen der selileichenden und unlieilvollen Erkrankung iihm‘sehen.§ 582* A. Pick hat kürzlich (Zur Psychologie des Vergessens bei Geistes»
und Nervenkmnkcn, Archiv für Krimind-Anthropologie und Krixninnlistik von H. Groß) eine Reihe von Autoren zusammengestellt. die den Einfluß affektiver Faktoren auf das Gedächtnis würdigen und , »- mehr oder minder deutlich — den Beitrag anerkennen, den das Abwehrbestreben gegen Un lust. zum Verg'cssen leistet. Keiner von uns allen hat aber das Phänomen und seine psychologische Begründung so ersvhiipl'end und zugleich sn eindrucksvoll darstellen können wie N ictzschn in einem seiner Apho— rismen (Jenseits von (int und Böse, II, }Inupls‘tiick, GB): „Das habe ich getan, sagt mein ,Gedächtnis‘. Das kann ich nicht ge tan haben, sagt mein Stolz und bleibt unerhittliuh. Endlich * gibt das Gedächtnis nach.“§ 583§ 584
VII. VERGE'BSEN von ETNDRÜCKEN UND vonsÄrzr—zy, 175
nicht einwenden, daß wir es im Gegenteil häufig genug un 'ruöglich finden, peinliche Erinnenmgen, die uns verfolgen. los zu werden und peinlichc Affeklregungen wie Reue7 Gewissens vorwürfe zu verscheuehen. Es wird ja nicht behauptet, deli diese Ahwehrtendenz sich überall durchzusetezn vermag, daß sie nicht im Spiele der psychischen Kräfte auf Faktoren stoßen kann, welche zu anderen Zwecken das Entgegengesctzte an— streben und ihr zum Trotze zu stande bringen. Als (ln s ;irchb tektonische Prinzip des seelischen Apparats läßt sich die Schichtung, der Aufbau aus einen der überlug-ei‘nden Instanzen erraten, und es ist sehr wohl möglich7 daß dies Abwehrbestreben einer niedrigen psychi schen Instanz angehört, von höheren Instanzexfa„ber gehr‘mnlt wird. Es spricht jedenfalls für die Existenz und Mächtigkeit dieser Tendenz zur Abwehr, wenn wir Vorgänge wie die in unseren Beispielen von Vergessen auf sie zurückführcn können. Wir sehen, daß manches um seiner selbst willen vergessen wird; wo dies nicht möglich ist, verschiebt die Abwehrtendenz ihr Ziel und bringt wenigstens etwas anderes, minder Bedeut— szm1es, zum Vergessen, was in assozizttivc Verknüpfung mit dem eigentlich Anstößigen geraten ist,§ 585Der hier entxidckelte Gesichtspunkt, daß peinliehe Erinne
rungen mit besonderer Leichtigkeit dem motivierten Vergessen verfallen, verdiente auf mehrere Gebiete bezogen zu werden, in denen er heute noch keine oder eine zu geringe Beachtung ge funden hat. So erscheint er mir noch immer nicht genügend scharf betont bei der Würdigung von Zeugennussagen vor Ge richt *, wobei man offenbar der unter Eidstellung des Zeugen einen allzu großen purifizierenden Einfluß auf dessen psychi— sches Kräftespiel zutraut. Daß man bei der Entstehung der§ 586' Vgl. Hans Groß, Kriminalpsychologie, 1898,
§ 587§ 588
175 vn. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND YORSÄ'I‘ZEN.
§ 589Traditionen untl der Sagengeschiclite eines Volkes einem
solchen Motiv, des dem Na.tinnalgefühl Peinlichc aus der Er— innerung ausztunerzen, Rechnung tragen muß, wird allgemein zugcstnnclen. Vielleicht würde sich bei genauerer Verfolgung Dino vollständige Analogie hora,usstcllen zwischen der Art, wie, Völkcrtraditionen und wie die Kindheii'serinncrungcn des einzelnen Individuums gebildet werden, Der große Darwin hat aus seiner Einsicht in dies [7111ustrnotiv des Vergessens eine „goldene Regel“ für den wissnnscli3ftliulien Arbeiter gezogen *.§ 590Ganz ähnlich wie bPim Namenvergessen kann auch beim
Vergnsscn von Eindrüéken Fehlerirmern eintreten, déi—s dort, wo es Glauben Findet, als T'lrinncrungstäuschung bezeichnet wird. Die Erinnerungstäuscliung in pathologischen Fällen * in der Paranoia spielt sie geradezu die Rolle eines konstituiemnden Moments bei der Wahnbildu.ng — hat eine ausgedehnte Lite— ratur waßhgcrufen, in welcher ich durchgängig den Hinweis auf eine Motivinrung derselben vermisse. Da, auch dieses§ 591*- D a.rwin über «las Vergessen. In der Autobiographie Dar
wins findet sich folgende Stelle, welche seine wissenschal'tliche Ehr lichkeit und seinen psychologischen Sohn-risinn fiberzr-ugcnd widerspiegelt:§ 592„I had, during many years, {allowed & golden rule, mmoly, that
wlxenover ». published fact, a. new obsermtion or thought crime across IDE. which was opposed to my general results, to make a. memomndum of it \vhithout fai] and al. once; for I had found by experience that such facts§ 593and thoughts warn Far more apt to escape from the memory thnn favorn'fl.blo
Ernest J o n n s§ 594ches.“
§ 595„Viele Jahre hindurch befolgte ich eine goldene Regel. Fand ich
nämlich eine veröffentlichte Ta.tsache, eine neue Beobachtung oder einen Gedankvn, \\clchcr einem meiner allgemeinen Ergebnisse wider-spruch, so notierLo ich denselben sofort möglichst wortgetreu. Denn die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß solche Tatsachen und Erfahrungen dem Gedächt nissc leichter cntschwinden als die uns genehmen.“ (Übersetzung des Zen§ 596u‘olblzttr für Psychoanalyse.)
§ 597§ 598
vn; vnnensan von EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN. 177
§ 599Thema. der Neurosenpsychologie angehört, entzieht es sich
in unserem Znsammenhange der Behandlung. Ich werde dafiir ein. sonderba.res Beispiel einer eigenen Erinnemngstiiuschung mitteilen, bei dem die Motivicrnng durch unbewnßtes ver drängtes Material und die Art und. Weise der Verknüpfung mit demselben’deutlich genug kenntlich werden.§ 600Als ich die späteren Abschnitte meines Buches über Traum—
deutung schrieb, befand ich mich in einer Sommerirische ohne Zugang zu Bibliotheken und Nachschlagebüchcm und war. ge nötigt, mit Vorbehalt späterer Korrektur, allerlei Beziehungen und Zitate aus dem Gedächtnis in das Manuskript einzutragen. Beim Abschnitt über das Tagträumen fiel mir die ausge zeichnete Figur des armen Buchhalters im „Nah ab“ von Alph. Dan det ein. mit welcher der Dichter wahrscheinlich seine eigene Träumerei geschildert hat. Ich glaubte mich an eine der Phantasien, die dieser Mami —- \Ir. J ocelyn nannte ich ihn — auf seinen Spaziergängen durch die Straßen von Paris ausbrütct, deutlich zu erinnern und begann sie aus dem Ge dächtnis zu reproduzieren. Wie also Herr Joeelyn auf der Straße sich kiihn einem durchgehenden Pferde entgegenwirft, es zum Stehen bringt. der '\Vagenschlag sich öffnet, eine hohe Per sönlichkeit dem Coupé ent—steigt, Herrn Jocelyn die Hand drückt und ihm sagt: „Sie sind mein Retter, Ihnen \‘erdanke ich mein Lehen. Was kann ich für Sie tun?“§ 601Etwaige Ungenauigkeiten in der Wiedergabe dieser Phan
tasie, tröstete ich mich, Würden sich leicht zu Hause verbessern lassen, wenn ich das Buch zur Hand nähme. Als ich dann aber den „N a.ba.b“ durchblätterte, um die druckbereitc Stelle meines Manuskripts zu vergleichen, fand ich zu meiner größten Beschämung und Bestürznng nichts von einer solchen Träu— merei des Herrn Jocelyn darin, ja der arme Buchhalter trug§ 602Fund, Psychopnlhulnglo des Alltagslebens. v1u. Aufl. 12
§ 603§ 604
173 vn. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.
§ 605gar nicht diesen Namen,_sourlern hieß Mr. Joy euse. Dieser
zweite Irrtum ga.b dann bald den Schlüssel zur Klärung des ersten, der Erinnernngstäuschung. Joyeux (wovon der Name die feminjne Form darstellt): so und nicht anders müßte ich meinen eigenen Namen: Freud ins Französische übersetzen. Woher konnte also die [ä.lschlich erinnerte Phantasie sein, die ich Daudet zugeschrieben hatte? Sie konnte nur ein eigenes Produkt sein, ein Tagtra.um, den ich selbst gemacht und der mir nicht bewußt geworden1 oder der mir einst bewußt ge— wesen, und den ich seither gründlich vergessen habe. Viel— leicht claß ich ihn selbst in Paris gemacht, wo ich oft genug einsam und voll Sehnsucht durch die Straßen spaziert bin, eines Helfen; und Protektors sehr bedürftig, bis Meister Char— cet mich dann in seinen Verkehr zog. Den Dichter des „N aba.b“ habe ich dann wiederholt im Hause ()harcots ge— sehen. Das Ärgerliche an der Sache ist; nur, daß ich kaum irgend einem anderen Vorstellungskreise so foiudselig gegen— übcrstehe wie dem des Protegiertwerclens. Was man in unserem Vaterlande davon sieht, verdirbt einem alle Lust daran, und meinem Charakter sagt die Situation des Protektionskindes überhaupt wenig zu„ Ich habe immer ungewöhnlich viel Nei gung dazu verspürt, 7,selbst; der brave Mann zu sein“. Und gerade ich mußte dann an solche, übrigens nie erfüllte, Tag triiume gemahnt werden. Außerdem ist der Verfall auch ein gutes Beispiel dafür, wie die zurückgehaltene — in der Paranoia siegreich hervorhreeheude — Beziehung zum eigenen Ich uns in der objektiven Erfassung der Dinge stört und verwirrt. Ein anderer Full von Erinnerungstäuschung, der sich be friedigend aufklären ließ, mahnt an die später zu besprechendc „fausse réconnaissance“: Ich hatte einem meiner Patienten7 einem ehrgeizigen und befähigten Manne, erzählt, daß ein§ 606§ 607
VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄ'I‘Z EN. 179
§ 608junger Student sich kürzlich durch eine interessante Arbeit
„Der Künstler, Versuch einer Sexualpsychologie“ in den Kreis meiner Schüler eingeführt habe. Als diese Schrift eineinvicrtel Jahr später gedruckt. verlag, behauptete mein Patient, sich mit Sicherheit daran erinnern zu können, daß er die Ankün digung derselben bereits vor meiner ersten Mitteilung (einen Monat oder ein halbes Jahr vorher) irgendwo, etwa in einer Buchhändleranzeige, gelesen habe. Es sei ihm diese Notiz auch damals gleich in den Sinn gekommen und er kcnst:iticrtß über dies, daß der Autor den Titel verändert habe, da es nicht mehr .,Versuch“, sondern „Ansätze zu einer Sexualpsychologie" heiße. Sorgfä,ltigc Erkundignng beim Autor und Vergleichung‘ aller Zeitangaben zeigten indes, daß mein Patient etwas Unmög liches erinnern wollte. Von jener Schrift war nirgends eine Anzeige vor dem Drucke erschienen, am wenigsten aber ein einviertel Jahr vor ihrer Drucklegung. Als ich eine Deutung dieser Efinnerungstäuschung unterließ, brachte derselbe Mann eine gleichwertige Erneuerung derselben zu Stande. Er meinte, vor kurzem eine Schrift über „Agora.phobie“ in dem Auslage fenster einer Buchhandlung bemerkt zu haben, und suchte der— sulbcn nun durch Nacleorschung in allen Verlagska,talogen habha.ft zu werden. Ich konnte ihn dann aufklären, warum diese Bemühung erfolglos bleiben mußte. Die Schrift über Agoi‘flphobi& bestand erst in seiner Phantasie als unbewußter Vorsatz und sollte von ihm selbst abgefaßt werden. Sein Ehr geiz, es jenem jungen Manne gleichzutun und durch eine solche wissenschaftliehe Arbeit zum Schüler zu werden, hatte ihn zu jener ersten wie zur wiederholten Erinnernngstiiuschung ge führt. Er besann sich dann auch, daß die Buchhändleranzeige, welche ihm zu diesem falschen Erkennen gedient hatte, sich auf ein Werk, betitelt: „Genesis, das Gesetz der Zeugung“’§ 609li!"
§ 610§ 611
180 vn. VERGESSEN von EINDRÜCKEN mm vonsÄrznn.
§ 612bezog. Die von ihm erwähnte Ahänderung'des Titels kam aber
auf meine Rechnung, denn ich wußte mich selbst zu erinnern, daß ich diese Ungenauigkeit. in der Wiedergabe des Titels „Versuch — anstatt: Ansätze" begangen hatte.§ 6133 Das \' ergessen von Vorsätzen.
§ 614Keine andere Gruppe von I’hänornenen eignet sich besser
zum Beweis der These, daß die Geringfügigkeit der Aufmerk— samkeit. fiir sich allein nicht hinreiehe, die Fehllcistung zu er klären, als die des Vergessens von Vorsé'rtzen. Ein Vorsatz ist ein Impuls zur Handlung, der bereits Billigung gefunden hat, dessen Ausführung aber auf einen geeigneten Zeitpunkt ver— schoben wurde. Nun kann in dem so geschaffenen Intervall allerdings eine derartige Veränderung in den Motiven ein— treten, daß der Vorsatz nicht zur Ausführung gelangt, aber dann.wird er nicht vergest sondern revidiert und aufge— hoben. Das Vergessen von Vor-sätzen, dem wir alltäglich und in allen möglichen Situationen unterliegen, pflegen wir uns nicht durch eine Neuerung in der Motivengleiehung zu erklären, sondern lassen es gemeinhin unerklä.rt, oder wir suchen eine psychologische Erklärung in der Annahme, gegen die Zeit der Ausführung hin habe sich die erforderliche Aufmerksamkeit für die Handlung nicht mehr bereit gefunden, die doch für das; Zustandekommen des Vorsatzes unerläßliche Bedingung war, damals also für die niimliehe Handlung zur Verfügung stand, Die Beobachtung unseres normalen Verhaltens gegen Vorsätze läßt uns diesen Erklärungsversuch als willkürlich abweisen. Wenn ich des Morgens einen Vorsatz fasse, (ler abends ausgeführt werden 3011, so kann ich im Laufe des Tages einigema,l an ihn gemahnt werden. Er braucht aber tagsüber überhaupt nicht mehr bewußt zu werden. Wenn§ 615§ 616
VII. VERGESSEN von EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN. 181
§ 617sich die Zeit der Ausführung nähert, fällt; er mir plötzlich ein
und veranlaßt mich, die zur vorgesetzten Handlung nötigen Vorbereitungen zu treffen, Wenn ich auf einen Spaziergang einen Brief mituelnne, welcher nach befördert. werden soll, so brauche ich ihn als normales und nicht nervöscs Individuum keineswegs die ganze Strecke über in der Hand zu tragen und unterdessen nach einem Briefkasten auszuspä,hen, in den ich ihn werfe, sondern ich pflege ihn in die Tasche zu stecken, meiner Wege zu gehen., meine Gedanken frei schweifen zu lassen, und ich rechne darauf, daß einer der nächsten Brief kästen meine Aufmerksamkeit. erregen und mich veranlassen wird, in die Tasche zu greifen und. den Brief hervorzuziehcn. Das normale Verhalten beim geia.ßten Vorsatz deckt sich voll kommen mit dem experimentell zu erzeugenden Benehmen von Personen, denen man eine sogenannte „posthypnotische Sug gestien auf lange Sicht“ in der Hypnose eingegeben hat *. Man ist gewöhnt, das Phänomen in folgender Art zu beschreiben: Der suggerierte Vorsatz sehlummert in den betreffenden Per sonen, bis die Zeit seiner Ausführung hera.rma-ht. Dann wacht; er enf und treibt zur Handlung.§ 618In zweierlei Lebenslagen gibt sich auch der Laie Rechen
schaft davon, daß das Vergessen in bezug auf Vorsä.tze keines wegs den Anspruch erheben darf, als ein nicht weiter zurück iührbares Elementa.rphänomen zu gelten, sondern zum Schluß auf uneingestandene Motive berechtigt. Ich meine: im Liebes \'0rhältnis und in der ltlilitärabhängigkeit. Ein Liebhaber, der das Rendezvous versäumt hat, wird sich vergeblich bei seiner Dame entschuldigen, er habe leider ganz vergessen. Sie wird nicht versäumen, ihm zu antworten: „Vor einem Jahre hättest§ 619‘ Vgl. Bernheim, Neue Studien über Hypnolismue, Suggestion und
Psychotherapie, 1892.§ 620§ 621
182 VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORBÄTZEN.
§ 622du es nicht vergessen. Es liegt dir eben nichts mehr an mir.“
Selbst wenn er nach der oben erwähnten psychologischen Er« klärung griffe und sein Vergessen durch gehäufto Geschäfte entschuldigen wollte, würde er nur erreichen, daß die Dame — so scharjfsichtig geworden wie der Arzt in der Psycho— analyse — zur Antwort gäbe: „Wie merkwürdig, daß sich solche geschäftliche Störungen früher nicht ereignet haben.“ Gewiß will auch die Dame die Möglichkeit des Vergessens nicht in Abrcdc stellen; sie meint nur, und nicht mit Unrecht, aus dem unabsichtlichen Vergessen sei ungefähr der nä.mliche Schluß auf ein gewisses Nichtwolleu zu ziehen wie aus der bewußten Ausflucht.§ 623Ähnlich wird im militärischen Dienstverhältnis der Unter—
schied zwischen der Unterlassung durch Vergessen und der in— folge von Absicht prinzipiell, und zwar mit Recht, vernach lässigt. Der Soldat darf an nichts vergessen, was der mili— tärische Dienst von ihm fordert. Wenn er doch daran \"ergißt, obwohl ihm die Forderung bekannt ist7 so geht dies so zu, daß sich den Motiven, die auf Erfüllung der militärischen Forde rung- dringen, andere Gegenmotive cntgegenstellcn. Der Ein jä.hrige etwa, der sich beim Rapport entschuldigen wollte, er habe vergessen1 seine Knöpfe blank zu putzen, ist der Strafe sicher. Aber diese Strafe ist geringfügig zu nennen im Ver gleiche zu jener, der er sich aussetztc, wenn er das Motiv seiner Unterlassung sich und seinen Vorgesetzten eingestehen würde: „Der elende Gamaschendienst ist mir ganz zuwidcr.“ Wegen dieser Straiersparnis, aus ökonomischen Gründen glcichszun, beclient er sich des Vergessens als Ausrede, oder es kommt als Kompromiß zu stande.§ 624Francndienst wie Militärdienst erheben den Anspruch, daß
alles zu ihnen gehörige dem Vergessen eutrückt scin müsse,§ 625§ 626
VIL VERGFSSEN VON EINDRÜCKEN UNI) VORSÄTZEN. ]R3
§ 627und erwecken,so die Meinung, Vergessen sei zulässig bei un—
wichtigen Dingen, Während es bei wichtigen Dingen ein An— zeichen davon sei, daß man sie wie unwichtige behandeln wolle, ihnen also die Wichtigkeit absprf:che *. Der Gesichts punkt der psychischen Wertschätzung ist hier in der Tat nicht abzuweiseu Kein Mensch vergißt Handlungen auszuführen7 die ihm selbst wichtig erscheinen, ohne sich dem Vor-dachte geistiger Störung auszusetzen. Unsere Untersuchung kann sich also nur" auf das Vergessen von mehr oder minder nebensä,ch— lichen Vorsätzén erstrecken; für ganz und gar gleichgültig werden wir keinen Vorsatz machten, denn in diesem Falle wäre er wohl gewiß nicht gefa.ßt werden§ 628Ich habe nun wie bei den früheren Funktionsstörungen die
hei mir selbst beobachteten Fälle von Unterlassung durch Ver gessen gesammelt und aufzuklären gesucht und hiebci ganz all gemein gefunden, daß sie auf Einmengung unbekannter und un eingestandener Motive — oder, wie man. sagen kann, auf einen Gegenwillen — zurückzuführen waren. In einer Reihe dieser Fälle befand ich mich in einer dem Dienstverhältnisse ähn— lichen Lage, unter einem Zwange, gegen welchen ich es nicht ganz aufgegeben hatte, mich zu striiuben, so daß ich durch Ver gessen gegen ihn demonstrierbe. Dazu gehört, daß ich beson— ders leicht vergesse, zu Geburtstagen, Jubiläen, Hochzeits— feiern und Standeserhöhung‘en zu gratulieren. Ich nehme es§ 629" In dem Schauspiel „Cäsar und Klecpatiu.“ von B. Shaw quält
sich der von Ägypten scheidende Cäsa.t eine Weile mit. der Idee, er habe noch etwas vorgehabt, Was er jetzt vergessen. Endlich stellt sich heraus, woran Chsar vergessen hatte: von Klecpatm Abschied zu nehmen! Durch diesen kleinen Zug soll veranschaulicht werden — übrigens im vollen§ 630Gegensatz zur historischen Wahrheit —, wie wenig sich Cäsa-r aus der
kleinen ägyptischen Prinzessin gemacht hatte.§ 631(Nach Ei Jones 1. c., S. 488.)
§ 632§ 633
184 vn. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄ'I‘ZEN.
§ 634mir immer wieder vor und überzeuge mich immer mehr, daß es
mir nicht gelingen Will. Ich bin jetzt im Begriffe, darauf zu . verzichten, und den Motiven, die sich striiuben, mit, Bewußt sein recht zu gehen. In einem Übergangsstadium habe ich einen Freund, der mich bat, auch für ihn ein Glückwunsch telegrarnm zum bestimmten Termin zu besorgen, vorher gesagt, ich Würde an beide vergessen, und es war“ nicht zu verwun dern, daß die Prophezeiung wahr wurde. Es hängt nämlich mit; schmerzlichen Lebenserlahrm1gen zusammen, daß ich nicht im stunde bin, Anteilnahme zu äußern, wo diese Äußerung notwendigerweise übertrieben ausfallen muß, da [fir den ge ringen Betrag meiner Ergriffenheit der entsprechende Aus druck nicht zulässig ist. Seitdem ich erkannt, daß ich‘ oft vor gf:l>lichc Sympathie bei anderen für echte genommen habe, be— finde ich mich in einer Auflehnung gegen diese Konventionen der Milgefiihlsbezeignng, deren soziale Nützlichkeit ich ander— seits einsehe. Kondolenzen bei Todesfällen sind von dieser zwiespältig'en Behandlung ausgenommen; wenn ich mich zu ihnen entschlossen hehe, versäume ich sie auch nicht. Wo meine Gefühlsbetätigung mit gesellschaftlicher Pflicht nichts mehr zu tun hat, da findet sie ihren Ausdruck auch niemals durch Vergessen gehennnt.§ 635Von einem solchen Vergessen, in dem der zunächst unter—
drückte Vorsatz als „Gegenwille“ durchbrach und eine un erquickliche Situation zur Folge hatte, berichtet Oblt. 'l‘. aus der Kriegsgcfangenschaft.§ 636„Ein Fall von ,Uhcrsehen‘.
§ 637„Der Rangälteste eines Lagers kriegsgefa.ngencr Offiziere
wird von einem seiner Kameraden beleidigt. Er will, um Wei terungen zu entgehen, von dem einzigen ihm zur Verfügung§ 638§ 639
VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN. 185
§ 640stehenden Gewaltmittel Gebrauch machen und letzteren ent—
fernen und in ein anderes Lager versetzen lassen. Erst über Amaten mehrerer Freunde entschließt er sich, gegen seinen geheimen \V1u150h, hievcn Abstand zu nehmen und den Ehren Weg, der aber vielerlei Unannehinlichkeit.en im Gefolge haben mußte, gleich zu beschreiten,§ 641Am nämlichen Vormittag hat dieser Kommandant die
Liste der Offiziere unter Kontrolle eines VVztchorgans vorzu lcsen. Fehler waren ihm, der seine Gefährten schon durch längch Zeit kannte, darin bisher nicht unterlaufcn. Heute überliest er den Namen seines Beleidigers, so daß dieser, als alle Kameraden bereits abgetreten waren, allein am Plutze zurückbleiben muß, bis sich der Irrtum geklärt hat. Der iibcrschenc Name stand in voller Deutlichkcit in der Mitte eines Blattes.§ 642Dieser Vorfall wurde von der einen Seite als beabsichtigte
Kränkung ausgelegt; von der anderen als peinlicher und zur Fehldeutung geeigneter Zufall angesehen. Doch gewann der Urheber späterhin, nach Kenntnisnahme von Freuds ,Psycho pathologie‘ ein richtiges Urteil des Stattgefundcnen.“§ 643Ähnlich erklären sich durch den Widerstreit einer konven
tionellen Pflicht und einer nicht eingesta.ndenen inneren Schät zung die Fälle, in denen man Handlungen auszuführen vergißt, die man einem anderen zu seinen Gunsten auszuführen verspro— chen ha.t. Hier trifft es dann regelmäßig zu, daß nur der Gönner an die entschuldigende Kraft des Vergessens glaubt, während der Bittsteller sich ohne Zweifel die richtige Antwort gibt: Er hat, kein Intcrcssc daran, sonst hätte er es nicht vergessen. Es gibt Menschen, die man als allgemein vergeßlich bezeichnet und darum in ähnlicher Weise als entschuldigt gelten läßt wie§ 644§ 645
186 vn. VERGESSEN von EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.
§ 646etwa. den Kurzsichtigen, wenn er auf der Straße nicht griißi *.
Diese Personen vergessen alle kleinen Versprechungen, die sie gegeben, lassen alle Aufträge nimusg0fiihrt, die sie empfangen haben, erweisen sich also in kleinen Dingen als nnverläßlich und erheben dabei die Forderung7 daß man ihnen diese klei neren Verstöße nicht übelnelnncn, d. h. nicht durch ihren Charakter erklären7 sondern auf organische Eigentümlichkeit znrückführen solle **. Ich gehöre selbst nicht zu diesen Leuten und habe keine Gelegenheit gehabt, die Handlungen einer solchen Person zu analysieren, um durch die Auswahl des Vor‘gossens die Motivierung desselben aufzudecken. Ich kann§ 647* Frauen sind mit; ihrem feineren Verständnis für unbewußle seelische
Vorgänge in der Regel eher geneigt, es als Beleidigung anzusehen, wenn man sie auf der Straße nicht erkennt, also nicht grüßt, als an die nächst liegenden Erklärungen zu denken, daß der Siinmige knrzsichtig sei oder in Gedanken versunken sie nicht bemerkt habe. Sie schließen, man hätte sie schon bemerkt, wenn man sich „etwas aus ihnen machen würde“.§ 648** S. Ferenczi berichtet von sich, daß er selbst (in „Zersircutcr“
gewesen ist. und seinen Bekannten durch die Häufigkeit und Sonderbarkcit seiner Fehlhandlnngen auffällig war. Die Zeichen dieser ,.Xerslreutheit" sind aber fast völlig geschwnnden, seitdem er die psychonna,lytische Be— handlung von Kranken zu üben begann und sich genötigt sah, auch der Analyse seines eigenen Ichs Aufmerksamkeit zuzuwenrlcn, Man verzichtet, meint er, auf die Fehlha,ndlungen, wenn man seine eigene Verantwort lichkeit um so vieles auszudehnen lernt. Er hält daher mit Recht die Zerstreutheil'. für einen Zustand, der von unbewußten Komplexcn abhän gig und durch die Psychoanalyse heiler ist. Eines Tages aber stand er unter dem Selbstverwurfe, bei einem Patienten einen Kunstiehler in der Psychoanalyse begangen zu haben. An diesem Tage stellten sich alle seine früheren „Zerstreuiheiten“ wieder ein, Er stolperte mehrmals im Gehen auf der Straße (Darstellung jenes „faux pas“ in der Behandlung), vergaß seinn Brieftasche zu Hause. wollte auf der Trambahn einen Kreuzer weniger zahlen, hatte seine Kleidungsstücke nicht ordentlich zugeknöpit§ 649u. dgl.
§ 650§ 651
VTL VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN. 187
§ 652mich aber ,der Vermutung per analogiam nicht erwehren, daß
hier ein ungewöhnlich großes Maß von nicht eingestzmdener Geringschä.tzung des Anderen das Motiv ist, welches das kon— stitutionelle Moment für seine Zwecke ausbcutet *.§ 653Bei anderen Fällen sind die Motive des Vergessens weniger
leicht a.ufznfinden und erregen, wenn gefunden, ein größeres Beinemden. So merkte ich in früheren Jahren, daß ich bei einer größeren Anzahl von Krankenbesuehen nie an einen , anderen Besuch vergesse als bei einem Gratispatienten oder bei einem Kollegen. Aus Beschämung hierüber hatte ich mir an— gewöhnt, die B%uche des Tages sehen Am Morgen als Vorsatz zu notieren. Ich weiß nicht, ob andere Ärzte auf dem nämliohen_ Wege zu der gleichen Übung gekommen sind. Aber man ge winnt so eine Ahnung davon, was den sogenannten Neurasthe niker veranlaßt, die Mitteilungen, die er dem Arzt machen will, auf dem berüchtigten „Zettel“ zu notieren. Angeblich fehlt es ihm an Zutra,nen zur Reproduktionsleistnng seines Gedächt nisses. Das ist gewiß richtig, aber die Szene geht zumeist so vor sich: Der Kranke hat. seine versehiedenen Beschwerden und Anfragen höchst langatrnig vorgebraeht. Nachdem er fertig geworden ist, macht er einen Moment Pause, darauf zieht er den Zettel hervor und sagt entschuldigend: Ich habe mir etwas aufgesehrieben, weil ich mir so gar nichts merke. In der Regel findet er auf dem Zettel nichts Neues. Er 'wiederholt jeden Punkt und beantwortet ihn selbst: Ja„ danach habe ich schon gefragt. Er demonstriert mit dem Zettel wahrscheinlich nur eines seiner Symptome, die Häufigkeit, mit der seine Vor— sätze durch Einmengung dunkler Motive gestört werden..§ 654* E. Jones bemerkt hiczu: Often the resistance is of a. general order.
Thus & busy man fox-gets to post letters entrusted to him — to his sliglit§ 655annoyance — by his wife, just as he may „forget“ to carry out her shop
ping orders.§ 656§ 657
188 VII. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄTZEN.
§ 658Ich rühre ferner an Leiden, an welchen auch der größere
Teil der mir bekannten Gesunden krankt, wenn ich zugestohe, daß ich besonders in friiheren Jahren sehr leicht. und für lange Zeit- vergesscn habe, entlchntc Bücher zurückzugebcn, oder daß es mir besonders leicht begegnet ist, Zahlungen durch Ver— gcsscn anfznschieben. Unlängst; verließ ich eines Morgens die '1'abahtrnfik, in welcher ich meinen täglichen Zigarreneinlmuf gemacht hatte, ohne ihn zu bezahlen. Es war eine höchst harm lose Unterlassung, denn ich bin dort bekannt und konnte daher erwarten, am nächsten Tag an die Schuld gemahnt zu werden. Aber die kleine Versä.nrnnis, der Versuch, Schulden zu machen, steht gewiß nicht außer Zusammenhang mit clcn‘BndgeberWä— gungen, die mich den Vortag über beschäftigt hatten. in bezug auf das Thema. von Geld und Besitz lassen sich die Spuren eines zwiespältigen Verhaltens auch bei den meisten soge— nannten anständigen Menschen leicht nachweisen. Die pri— 1nitive Gier des Säuglings, der sich aller Objekte zu beruflich» tigen sucht (um sie zum Munde zu führen), zeigt sich viel leicht allgemein als nur unvollständig durch Kultur und Er ziehung überwunden *.§ 659* Der Einheit des Themas zuliebe darf ich hier die gewählte Ein
teilung durchhrechen und dem oben Gesaan anschließen, daß in bezug auf Geldsaohen das Gedächtnis der Menschen eine besondere Parteilichkuit. zeigt. Erinnerungstäuschnngen, etwas bereits bezahlt zu haben, sind, wie ich von mir selbst weiß, ein sehr hartnäckig. Wo der guwinnsüchtig‘on Absicht-nbscils von den großen Interessen der Lebensführung, und daher eigentlich zum Scherz, freier Lauf gelassen wird wie beim Kartenspiel, neiéen die ehrlichsten Männer zu Irrtümer-n, Erinnerungs- und ltcchcn« fehlern und finden sich selbst, ohne recht zu wissen wie, in kleine Be trügereien verwickelt. Auf solchen Freiheiten beruht; nicht zum mindesth der psychisch ertrischcnde Charakter des Spieles. Das Sprichwort, daß man beim Spiel den Charakter des Menschen erkennt, ist zuzugebcn,§ 660§ 661
VII. VERGESSEN VON EINDRUCKEN UND VORSÄTZEN. 189
§ 662Ich fürchte, ich bin mit allen bisherigen Beispielen einfach
bannl geworden. Es kann mir aber doch nur recht sein, wenn ich auf Dinge stoße, die jedermann bekannt sind, und die jeder in der nämlichen Weise versteht, da. ich bloß vor-habe, das Alltägliche zu sammeln und wissenschaftlich zu verwerten. Ich sehe nicht ein, weshalb der Weisheit, die Niederschlag der gemeinen Lebenserfa,hrnng ist, die Aufnahme unter die Erwer bungen der Wissenschaft versagt sein sollte. Nicht die Ver schiedenheit der Objekte, sondern die strengere Methode bei der Feststellung und das Streben nach wcitreichendem Zu— sammenhang machen den wesentlichen Charakter der wissen schaftlichen Arbeit aus.§ 663Für die Vorsätze von einigem Belang haben wir allgemein
gefunden1 daß sie dann vergessen werden, wenn sich dunkle Mo tive gegen sie erheben. Bei noch weniger wichtigen Vorsä,tzen erkennt man als zweiten Mechanismus des Vergessens, daß ein Gegenwille sich von wo anders her auf den Vorsatz überträgt, nachdem zwisehen jenem anderen und dem Inhalt des Vorsatzes§ 664wenn man hinzufügen will: den unterdrückteu Charakter. — Wenn es un
ahsivhtlichc Rechenfehler bei Znhlkellnern noch gibt, so unterliegen sie offenbar derselben Beurteilung. — lm Kaufmannstande kann man häufig eine gewisse Zögerung in der Veranlagiibung von Geldsuxnmen, bei der Bezahlung von Rechnungen u.dgl. beobachtenY die dem Eigner keinen Gewinn bringt, sondern nur psychologisch zu verstehen ist als eine Smile. rung des Gegenwillcns, Geld von sich zu tun, — Brill bemerkt hierüber mit epigrammatischer Schärfe: We are more npt tu mislay letters con taining bill; than checks. — Mit den intimsten und am wenigsten klar gewordenen Regungen hängt es zusammen, wenn gerade Frauen eine be— aondere I'nlust zeigen, den Arzt zu lmnuriereu Sie haben gewöhnlich ihr Portemonnaie vergessen, können darum in der Ordination nicht mhlen, vergessen dann regelmäßig, das Honorar vom Hause aus zu schicken, und setzen es so durch, daß man sie umsonst — „um ihrer schönen Augen willen" -— behandelt hat. Sie zahlen gleichsam mit ihrem Anblick.§ 665§ 666
190 VII. VERGESSEN VON EINDRUCKEN UND VORSÄTZEN.
§ 667eine ä.uß erliche Assoziation hergestellt werden ist. Hiezu ge—
hört folgendes Beispiel: Ich lege Wert auf schönes Löschpa.pier und nehme mir vor, auf“ meinem heutigen Naßhmittagsweg in die Innere Stadt neues einzukaufen. Aber an vier aufein— anderfolgenden Tagen vergesse ich daran, bis ich mich befrage, welchen Grund diese Unterlassung hat. Ich finde ihn dann leicht, nachdem ich mich besonnen habe, daß ich zwar „Lösch— papier“ zu schreiben, aber „Fließpzrpier“ zu sagen gewohnt bin. „Fließ“ ist. der Name eines Freundes in Berlin, der mir in den nämliohen Tagen Anlaß zu einem quälenden, besorgten Gedanken gegeben hatte. Diesen Gedanken kann ich nicht los werden, aber die Abwehrneigung (vgl, S. 174) äußert sich, indem sie sich mittels der Wortgleichheit auf den indifferenten und darum wenig resistenben Vorsatz überträgt.§ 668Direkter Gegenwille und entfernbere Motivierung treffen in
folgendem Falle von Aufschnb zusammen: In der Sammlung „Grenzfragen des Nerven- und Seelenleben's“ hatte ich eine kurze Abhandlung über den Traum geschrieben, welche den Inhalt meiner „Traumdeutung“ resümiert. Bergmann in Wiesbaden sendet eine Korrektur und bittet um umgehende Erledigung, weil er das Heft noch vor Weihnachten ausgeben Will. Ich mache die Korrektur noch in der Nacht und lege sie auf meinen Schreibtisch, um sie am nächsten Morgen mitzu nehmen. Am Morgen vergesse ich daran, erinnere mich erst. nachmittags beim Anblick des Kreuzbandes auf meinem Schreibtisch. Ebenso vergesse ich die Korrektur am Nach mittag, am Abend und am nächsten Morgen, bis ich mich auf raffe und am Nachmittag des zweiten Tages die Korrektur zu einem Briefkasten trage, verwundert, was der Grund dieser Verzögerung sein mag. Ich will sie offenbar nicht absenden, aber ich finde nicht, warum. Auf demselben Spaziergang trete§ 669§ 670
vu. VERGESSEN VON EINDRÜCKEN UND VORSÄ'I‘ZEN. 191
§ 671ich aber bei meinem Wiener Verleger. der auch das Traumbuch
publiziert hat, ein, mache eine Bestellung und sage dann, wie von einem plötzlichen Einfa.ll getrieben: „Sie wissen doch, daß ich den ,Traum‘ ein zweites Mal geschrieben habe?“ — „Ab, da würde ich. doch bitten.“ — „Beruhian Sie sich, nur ein kurzer Aufsatz für die Löwenfcld—Kurella.sche Samm lung,” Es war ihm aber doch nicht recht; er besorgte, der Vortrag würde dem Absatz des Buches schaden. Ich wider sprach und fragte endlich: „Wenn ich mich friiher an Sie ge wendet hätte, würden Sie mir die Publikation untersagt habcnl“ — „Nein, das keineswegs.“ Ich glaube selbst, daß ich in meinem vollen Recht. gehandclt und nichts anderes g£tiln habe, als was allgemein üblich ist; d0ch scheint es mir gewiß, daß ein ähnliches Bedenken, wie es der Verleger äußerte, das Motiv meiner Zögcrung war, die Korrektur abzuscnden. Dies Bedenken geht auf eine frühere Gelegenheit zurück, bei welcher ein anäerer Verleger Schwierigkeiten erhob, als ich, wie nnvermeidlich, einige Blätter Text aus einer friiheren, in anderem Verlage erschienenen Arbeit über zerebrale Kinder— liihzuung unverändert in die Bearbeitung desselben Themas im Handbuch von Nothnagel hinübernahm. Dort findet aber der Vorwurf abermals keine Anerkennung; ich hatte auch da mals meinen ersten Verlcger (identisch mit; dem der „Traum— dcutung") loyal von meiner Absicht verständigt. Wenn aber clicse Erinnerungsreihe noch weiter zurückgeht, so rückt sie mir einen noch früheren Anlaß vor, den einer Übersetzung aus dem Französischen, bei welchem ich wirklich die bei einer Publika tion in Betracht kommenden Eigentumsrechte verletzt habe. Ich hatte dem übersetzten Text Anmerkungen beigefügt», ohne fiir diese Anmerkungen die Erlaubnis des Autors nachgesucht zu haben, und habe einige Jahre später Grund zur Annahmie§ 672§ 673
192 VII. VERGESSEN von EINDRÜCKEN' UND VORSÄTZEN.
§ 674bekommen, daß der Autor mit; dieser Eigenmächtigkeit unzu
frieden war. _§ 675Es gibt ein Sprichwort, welches die populäre Kenntnis
verrät, daß das Vergessen von Vorsätzen nichts Zufälliges ist. ' „Was man einmal zu tun vergessen hat, das vergißf, man dann noch öfter.“§ 676Ja, man kann sich mitunter des Eindrucks nicht erwehren,
daß alles, was man über das Vergessen und die Fehlhandlungen überhaupt sagen kann, den Menschen ohnedies wie etwas Selbst versiändliches bekannt ist. Wunderbar genug, daß es doch not wendig ist, ihnen dies so “'ohlbekzmnte vers Bewußtsein zu rücken! “"ie oft; habe ich sagen gehört: Gib mir diesen Auf trag nicht, ich werde gewiß an ihn vergessen. Das Eintreffen dieser Vorhersagung hatte dann sicherlich nichts Mystisches an sich. Der so sprach, verspürte in sich den Vorsatz, den Auf— trag nicht; auszuführen, und weigerte sich nur, sich zu ihm zu bekennen.§ 677Das Vergessen von Vorsä.tzen erfährt übrigens eine gute Be
leuchtung durch etwas, was man als „Fassen von falschen Vor sätzen“ bezeichnen könnte. Ich hatte einmal einem jungen Autor versprochen, ein Referat über sein kleines Opus zu schreiben, schob es aber wegen innerer, mir nicht unbekannter Widerstände auf, bis ich mich eines Tages durch sein Drängen bewegen ließ zu versprechen, daß es noch am selben Abend ge, schehcn werde. Ich hatte auch die ernste Absicht, so zu tun, aber ich hatte vergessen, daß die Abfassung eines una.ufschieb— baren Gutachtens für den niimliehen Abend angesetzt war. Nachdem ich so meinen Vorsatz als falsch erkannt hatte, gab ich den Kampf gegen meine Widerstände auf und sagte§ 678dem Autor ab.
§ 679§ 680
VIII.
§ 681DAS VERGREIFEN.
§ 682Der oben erwähnten Arbeit von Meringer und Mayer entnehme ich noch die Stelle (S. 98):
§ 683„ "Die Sprechfehler stehen nicht ganz allein da. Sie ent“ sprechen den Fehlern, die bei anderen Tätigkeiten den Men schen sich oft einstellen und ziemlich töricht ,Vergeßlich keiten‘ genannt werden."
§ 684Ich bin also keinesfalls der erste, der Sinn und Absicht**.
hinter den kleinen Funktionsstörungen des täglichen Lebens Gesunder vermutet§ 685Wenn die Fehler beim Sprechen, das ja eine motorischeVergreifen“, die anderen, in denen eher die ganze Handlung unzweckmäßig erscheint, benenne ich „Symptom- und Zufallshandlungen“. Die Scheidung ist aber wiederum nicht reinlich durchzuführen; wir
Leistung ist, eine solche Auffassung zugelassen haben, so liegt es nahe, auf die Fehler unserer sonstigen motorischen Ver richtungen die nämliche Erwartung zu übertragen. Ich habe hier zwei Gruppen von Fällen gebildet; alle die Fälle, in denen der Fehleffekt das Wesentliche scheint, also die Abirrung von der Intention, bezeichne ich als „* Eine zweite Publikation Meringers hat mir später gezeigt, wie sehr ich diesem Autor unrecht tat, als ich ihm solches Verständnis zu mutete. § 686194 VIII. DAS VERGREIFEN.
§ 687knmnwn ja wnhl zur Einsicht. daß alle in dieser Abhandlung
gnhrzmrhtmi 14)inleilungen nur deskriptiv bedeutsame sind und der hmm-vn Einheit des Ersclminnngsgehietes widersprechen.§ 688Das psycholngische Verständnis des „Vcrgreifens“ erfährt
offenbar keine besondere Förderung. wenn wir es der Ataxie und speziell der „kortikalen Ataxie“ snbsurnieren. Versuchen wir Iil‘lw-r, die einzelnen Beispiele nu.f ihre jeweiligen Bedin gungen zurückzuführen. Ich werde Wiederum Selbstbeob :mhtnngon hinzu verwenden, zu denen sich die Anlässe bei mir§ 689nicht besonders häufig finden.
§ 690„} In früheren Jahren, als ich Hausbesuche bei Patienten
noch häufiger machte als gegenwärtig, geschah es mir oft, daß ich, vor der Tür, an die ich anklopfen oder hinten sollte, ange kommrn, die Schlüssel meiner eigenen Wohnung- aus der Tasche zog. um — sie dann fast besehäint wieder einzustecken. Wenn ich mir zusammenstelle, bei welchen Patienten dies der Fall war, so muß ich annehmen, die Fehlhandlung — Schlüssel hemmsziehen anstatt 1ä.uten — bedeutete eine Huldignng für das Haus, wo ich in diesen Mißgrifi verfiel. Sie war äqnivnlcnt den} Gedanken: „Hier bin ich wie zu Hause“, denn sie trug sich nur zu, wo ich den Kranken liebgewonnen hatte. (An meiner eigenen Wohnungstür läntete ich natürlich niemals)§ 691Die ]:‘ehlhandlung war also eine symbolische Darstellung
eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewußte Annahme besti1nnnen Gndnnlccns, denn in der Realität \\T‘lß der Nerven— :n'zt genau, daß der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm erwartet, und daß er selbst nur zum Zwecke der psychischen Hilfeleistung ein übermäßig warmes§ 692lnlm'es:<u für seine Patienten bei sich gewähren läßt.
§ 693Dal)» dus sinnvnll fehlerhafte H:mtieren mit dem Schlüssel
§ 694§ 695
VIII. DAS VERGREIFEN.
§ 696193
§ 697keint‘swegs eine Besonderheit meiner Person ist, geht aus
zahlreichen Selbstbeobaehtungen anderer hervor.§ 698Eine fast identische VVieclcrhnlung meiner Erfahrungen bc—
schreibt A. Mae—der (Contrih. &. la. psyeh—npa,thologie da la, vie quotidienne, Arch. de Psychol„ VL 1906) : Il est. arrivé ;! ohncnn de sortir son trousseau, en arriva.nt ä. la parte d’un zimi parti» euliérement eher, de se surprendre pour ainsi dire, en train d’ouvrir avec sa. clé comme chez sni. C’est un retard, puisqu‘il faut sonner malgré tout, mais c’est une preuvc qu’on se sent — ou qu’on voudra.it se sentir — comme chez sei, n.uprés de cet nmi.§ 699E. Jones (1. c., p. 509): The use of keys is & fertile source
of occurrences of this kind of Which two oxa.mples may be given. If Ia.m disturbed in the mid.st of some engmssing work at home by having to go to the hospital to carry out. some mufine work, I am very apt to find myself trying to open the door of my laboratory there with the key of my dcsk at home, although the two koys are quite unlike each other. The mista-ke unconscionsly denmnstrates where I would rather be at the moment.§ 700Some years ago I was acting in a, subordina,te position at a
certain institution, the front door of which was kept loekcd, so that it was necessary to ring for ndmission On several Occas sions I found myself making serious uttr‘mpts to open the door with in)" house key. Each one of the permanent visiting staff, of which [ aspired to be a member, was provided with 3. key to avoid the trouhle of having to wait at the door. My mista,kes thus expressed my desire to he on a similar footing, and to be quite „at home“ there§ 701Ähnlich berichtet Dr. Hanns Sachs (W'ien): Ich trage
stets zwei Schlüssel bei mir, von denen der eine die Tür zur§ 70213*
§ 703§ 704
195 vw DAS VERGREIFEN.
§ 705Kanzlei, der andere dic zu meiner Wohnung öffnet. Leicht
verwechsele sind sie durchaus nicht, da. der Ka.nzlcischliissel mindestens dreimal so groß ist; wie der Wohnungsschlüssel. [Überdies trage ich den ersteren in der Hosentasche, den anderen in der VVeste', Trotzdem geschah es öfters, daß ich vor der Tür stehend bemerkte, daß ich auf der Treppe den falschen Schlüssel vorbereitet hatte. Ich beschloß, einen statistischen Versuch zu machen ; da ich ja, täglich ungefähr in derselben Gemütsverfassnng vor den beiden Türen stehe, mußte auch die Verwechslung der beiden Schlüssel, wenn anders sie psychisch determiniert sein sollte, eine regelmäßige Tendenz zeigen. Die Beobachtung bei späteren Fällen ergab dann, daß ich regel— mäßig den Wohnungsschlüssel vor der Kanzleitür herausnahm, nur ein einziges Mal war das Umgekehrte der Fall: ich kam ermüdet nach Hause, wo, wie ich wußte, ein Gast meiner war tete. Vor der Tür machte ich einen Versuch, sie 'mit dem natürlich viel zu großen Kanzleischlüssel anfzusperrcn.§ 706b) In einem bestimmten Hanse, wo ich seit sechs Jahren
zweimal täglich zu festgesetzten Zeiten vor einer Tür im zweiten Stock auf Einlaß warte, ist es mir während dieses langen Zeitraumes zweimal (mit einem kurzen Intervall) ge schehen, daß ich um einen Stock höher gegangen bin, also mich „verstiegen“ habe. Das eine Mal befand ich mich in einem ehrgeizigen Tagtraum, der mich „höher und immer höher stei— gen“ ließ. Ich überhörte damals sogar, daß sich die fragliche Tür geöffnet hatte, als ich den Fuß auf die ersten Stufen des dritten Stockwerks setzte. Das andere Mal ging ich wiederum „in Gedanken versunken“ zu weit; als ich es bemerkte, um— kehrbe und die mich beherrschende Phantasie 211 erhaschen suchte, fand ich, daß ich mich über eine (phantasierte) Kritik meiner Schrifth iirgvrte, in welcher mir der Vorwurf ge§ 707§ 708
VIII. DAS VERGREIFEN. , 197
§ 709macht wurde, daß ich immer „zu weit ginge“, und in die ich
nun den wenig respektvolleu Ausdruck „vers ti 6 gen“ ein zusetzen hatte.§ 7100) Auf meinem Schreibtisch liegen seit vielen Jahren neben
einander ein Reflexhammer und eine Stimiugabel. Eines Tages eilc ich nach Schluß tler Sprechstunde fort, weil ich einen be stimmten Stadtba.hnviug erreichen Will1 stecke bei vollem Tages licht anstatt des Hammers die Stimmgabel in die Rocktascho und werde durch die Schwere des die Tasche herabziehenden Gegenstandes auf meinen Mißgriff aufmerksam gemacht. Wer sich über so kleine Vorkommnisse Gedanken zu machen nicht gewohnt ist, wird ohne Zweifel den Fehlgriff durch die Eile des Moments erklären und entschuldigen. Ich habe es trotzdem vorgezogen. mir die Frage zu stellen, warum ich eigentlich die Stimmgabel anstatt des Hammers genommen. Die Eilfertigkeil. hätte ebensowohl ein Motiv sein können, den Griff richtig aus zuführen, um nicht Zeit mit der Korrektur zu versäurnen.§ 711Wer hat zuletzt nach der Stimmgabel gegriffen? lautet die
Frage, die sich mir da n.ufclrängt. Das war vor wenigen Tagen ein icliotisches Kind, bei dem ich die Aufmerksamkeit auf Sinneseinclriicke prüfte, und das durch die Stimmgabel so ge— fesselt wurde, daß ich sie ihm nur schwer entreißen konnte. Soll das also heißen, ich sei ein Idiot? Allerdings scheint es so, denn der nächste Einfn.ll, der sich an Hammer asso ziiert, lautet „Chamer“ (hebräiseh: Esel).§ 712Vsz.s soll aber dieses Geschimpfel Man muß hier die ,Sims,
tion befragen Ich eile zu einer Konsultation in einem Orte an der Westbalnistrecke, zu einer Kranken, die nach der brieflich mitgeteilten Anamnese vor Monaten vom Balkon herabgestürzt ist und seither nicht gehen kann. Der Arzt, der mich einlädt, schreibt, er wisse trotzdem nicht, ob es sich um Rückenmarks§ 713§ 714
198 VIII. DAS VERGREIFEN.
verletzung oder um tra.umatische Neu1osc — Hysterie — handle. Da soll ich nun entscheiden. Da wäre also eine Mah nung am Platze, in der heiklen Differentialdiagnose besonders vorsichtig zu sein. Die Kollegen meinen ohnedies, man diagno stiziere viel zu leichtsinnig Hysterie, wo es sich um ernstere Dinge handle. Aber die Beschimpfung ist noch nicht gerecht fertigt! Ja, es kommt hinzu, daß die kleine Bahnstation der nämliche Ort ist, an dem ich vor Jahren einen jungen Mann gesehen, der seit einer“ Gemütsbewegung nicht ordentlich gehen konnte. Ich diagnostiziertc damals Hysterie und nahm den Kranken später in psychische Behandlung, und dann stellte es sich heraus, daß ich freilich nicht unrichtig diagnostiziert hatte, aber auch nicht richtig. Eine game Anzahl der Sym— ptome des Kranken war hysterisch gewesen, und diese schwan dcn auch prompt im Laufe der Behandlung. Aber hinter diesen wurde nun ein für die Therapie unanta.stbajer Rest sichtbar, der sich nur auf eine multiple Sklerose beziehen ließ. Die den Kranken nach mir sahen, hatten es leicht, die organische Af fcktion zu erkennen; ich hätte kaum anders vorgehen und anders urteilen können, aber der Eindruck war doch der eines schweren Irrtunis; dzis Versprechen der Heilung, des ich ihm gegeben hatte, war natürlich nicht zu halten. Der Mißgriff nach der Stimmgabel anstatt nach dern Ilan1iner ließ sich also so in Worte übersetzen: Du Trottel, du Esel, nimm dich dies— mal zusammen, daß du nicht wieder eine Hysterie diagnosti ziorst, Wo eine nnheilbare Krankheit vorliegt, Wie bei dem armen Mann an demselben Ort vor Jahren! Und zum Glück für diese kleine Analyse, wenn auch zum Unglück für meine Stimmung, war dieser selbe Mann mit schwerer spastischer Lähmung wenige Tage vorher und einen Tag nach dem idio tischen Kind in meiner Sprechstunde gewesen.§ 715§ 716
VIII. ms VERGREIFEN. 199
§ 717Man merkt, es ist diesmal die Stimme der Selbstkribik, die
sich durch das Fehlgreifen vernehrnlich macht. Zu solcher Ver wendung als Selbstvoru'url" ist der Folilgriff ganz besonders geeignet. Der Mißgriff hier Will den Mißgriff, den man anderswo begangen hat“,7 darstellen.§ 718d) Selbstverst-änrllieh kann das l"ehlgreifnn auch einer
ganzen Reihe anderer dunkler Absichten dienen. Hier ein erstes Beispiel: Es kommt sehr selten vor. (laß ich etwas zerschlagn. Ich bin nicht. besonders geschickt. aber infolge der :1natomi— schen Integrität meiner Newmusknla,pparate sind Gründe fiir so nngeschiekie Bewegungen mit: unerwiinschtem Erfolge lwi mir offenbar nicht. gegeben. Ich weiß nlsn kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen ich je zcrschlngen hätte. Ich war dureh die Enge in meinem Stndinrzimmer oft gnni'il igl-. in den nnbeqnernsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken ’l‘on- und Steinmehen, von denen ich eine kleine Samm lung habe, zu hnntieren, so daß Zuschauer die Besorgnis ans— di‘iic‘kfiCn. ich wiirde etwas liernfli.er$ehleud<-rn untl Zerschlagun. Es ist aber niemals geschehen. Warum habe ich also einmal den marnmrnun Deckel meine.—; einfachen 'l‘intengefäßes zu Boden geworfen, so daß er zerbraeh'?§ 719l\lcin ’l7intenzeug besteht aus einer Platte von Untßl'sberger
Marmor. die fiir die Aufnahme des gläserneu Tintenfäil.ichens ausgehiihlt ist; das ’l‘intenl'zrß trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzostatuetten und 'l‘orrakuita-[igiirehen ist hinter diesem 'l‘intenzeug aufgesuellt. [eh setze mich ill] den Tisch, um zu schreiben, mache mit der Hund, welehe den Fe<lersliul liä.lt-> eine merkwürdig unge schickle. unsl‘ahrencle Bewegung und weile so den Deckel des 'l‘intenl’ussm, (ler herr-its uni dem Tische lag, zu laden. Die§ 720Erklärung ist nicht schwer zu finden, Einige Stunden Vorher
§ 721§ 722
200 ‘ VIH. DAS VERSREIP‘EN.
§ 723war meine Schwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue
Erwerbungen anzusehen, Sie: fand sie sehr schön und äußerte dann: „Jetzt sicht dein Schreibtisch Wirklich hübsch aus, nur das, Tintenzeug paßt nicht dazu. Du mußt ein schöneres haben.“ Ich begleite die Schwester hinaus und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint., an dem verurteilten Tintenzcug clio Exekution vollzogen. Schloß ich etwa aus don Worten der Schwester, daß sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit, einem schöneren ’l‘intenzeug zu beschenkcn, und zerschlug das un— schöne alle, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötigen”! Wenn dem so ist, so war mcinc schle‘u derndc Bewegung nur scheinbar ungeschickt; in Wirklich keit war sie höchst geschickt und zielbewnßt und verstand cs, allen wertvolleren, in der Nähe befindlichen Objekten scho— nend auszuweichcn.§ 724Ich glaube Wirklich, daß man diese Beurteilung' für eine
ganze Rcihe von anscheinend zufällig ungeschickben Bewe gungen annehmen muß, Es ist richtig, daß diese etwas Ge waltsames, Suhleudcrndes, wie Spastisch»Ataktischcs zur Schau trang aber sie erweisen sich als von einer Intention be herrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit, die man den bewußt willkürlichen Bewegungen nicht allgemcin nach— rühmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltszrmkeit wie die Treffsicherheit, haben sie übrigens mit den motorischen Äuße— rungen der hysterischcn Neurose und zum Teile auch mit den motorischen Leistungen des Somnambulismus gemeinsam, was was wohl hier wie dort auf die männliche unbekanan Modifi kation des Innervationsvorgangos hinweist.§ 725Auch eine von Frau Lou And 1‘eas-Salomé mitgeteilte
Selbstbeobachtung kann überzeugend dartun, wie eine hart§ 726§ 727
VIII. ms VERGILEIFEN 201
§ 728nä,ckig festgehaltenc „Ungesghicklichkeit‘“ in sehr geschickter
Weise uneingestandenen Absichten dient.§ 729„Genau von der Zeit an, wo die Milch seltene und kost
bare Ware geworden war, geschah es mir, zu meinem ständigen Schrecken und Ärgernis, sic beständig überkochen zu lassen. Umsonsl niiilite ich mich, dessen Herr zu werden, obwohl ich durchaus nicht sagen kann, daß ich mich bei sonstigen (ielu gcnhei'tcn zerstreut oder unaehtsrun bewiesen hätte. Eher hätte das Ursache gehabt nach dem Tode meines lieben weißen Ter— riers (der so berechtigterweise wie nur je ein Mensch ,Fremnl‘ [russisch Drujok] hieß). Aber — siehe dal — niemals seitdem ist die Milch auch nur um ein Tröpfchen iiberkocht. Mein nächster Gedanke dariiber lautete: ,Wie gut ist das, du, das auf Herdpla,ttc oder Fußboden sich Ergießende nun nicht (rin inal Verwendung fände? , Und gleichzeitig sn.h ich meinen ,Freund‘ vor mir, wie er gespannt dahaß, die licehprozednr zu beobachten: den Kopf etwas sehiefgencigt- und mit. dem Sehwanzende schon eiwartnngsvoll wedelml, — mit getroster Sicherheit des sich \ollziehehden prächtigen Unglücks ge wärtig. Damit war freilich alles klar, und auch dies: daß er mir noch mehr lieb gewesen war, als ich selbst wußte.“§ 730Es ist mir in den letzten Jahren, seitdem ich solche Be
obachtungen sztnnnle, noch einigemnl geschehen, daß ich Gegen stände von gewissem Werte zerschlageu oder zcrbroehen habe, aber die. Untersuchung dieser Fälle hat, mich überzeugt, daß es niemals ein Erfolg des Zufalls oder meiner absichlslosen Un gesehieklichkeit war, So habe ich eines Morgens, als ich im Badekostüm, die Füße mit Strohpemtoffeln bekleidet;7 durch ein Zimmer ging, einem plötzlichen Impuls folgend, einen der Pan teffel vom Fuß weg gegen die Wand geschleudert, so daß er eine hübsche kleine Venus von Marmor von ihrer Konsole her§ 731§ 732
202 VIII. DAS VERGREII*'EN.
§ 733untel‘holte. Während sie in Stücke ging, zitierte ich ganz
§ 734ungerührt die Verse von Busch:
§ 735ALlll die Venus ist perdii —
Klickeradoms! — von Medici!§ 736Dieses tolle Treiben und meine Ruhe bei dem. Schaden
finden ihre Aufklärung in der damaligen Situation. Wir hatten eine schwer Kranke in der Familie, an deren Genesung ich im stillen bereits verzweifelt hatte. An jenem Morgen hatte ich ven einer großen Besserung erfahren; ich weiß, daß ich mir gesagt hatte: also bleibt sie doeh am Leben. Dann diente mein Anfall von Zerstörungswui‘. zum Ausdruck einer denkbaren Stimmung gegen das Schicksal und gestattete mir, eine „Opferhuntllung“ zu vollziehen, gleichsam als hätte ich gelobt, wenn sie gesund wird, bringe ich dies oder jenes zum Opfer! Daß ich für dieses Opfer die Venus von Medici ausge sucht-, sollte gewiß nichts anderes als eine gnlante Huldigung für die Genesendc sein; uulwgreiflich'hleibt. mir aber auch diesmal, dal} ich so rnsch entschlossen, swu gesehiekt gezielt und. kein an<lnres der in so großer Nähe befindlichen Objekte getroffen habe.§ 737Ein anderes Zerln'echen, für“ dass ich mich wiederum des der
“und entfa,hrendeu Federsliels bedient habe, hatte gleichfalls die Bedeutung eines Opfers, aber diesmal eines Bittnpf0rs zur Abwendung. Ich hatte mir einmal darin gefallen, einem treuen und verdienten Freunde einen Vorwurf zu machen, der sich auf die Deutung gewisser Zeichen uns seinem Unbe— wußt-en, auf nichts anderes, stützte. Er nahm es übel auf und schrieb mir einen Brief, in dem er mich hat, meine Freunde nicht. psychnanulytisvh zu hehaudeln, lr'li mußte ihm recht§ 738geben und beschwichtigte ihn durch meine Antwort. Während
§ 739§ 740
VIII. DAS VERGREIEEN, 203
§ 741ich diesen Brief schrieb, hatte ich meine neueste Erwerbung,
ein prächtig glasiertes ägyptisches .Figürehen, vor mir stehen. Ich zersehlug es auf die beschriebene Weise und wußte dann sofort, daß ich dies Unheil angerichtet, um ein größeres abzu wenden. Zum Glück ließ sich beides — die Freundschaft wie die Figur — so leimen. daß man den Sprung nicht merken würde.§ 742Ein drittes Zerbrechen stand in weniger ernstlmftem Zu
sammenhang; es wer nur'(-ine maskierte „Exekutinu“, um den Ausdruck von Th. Vischer („Auch einer“) zu gebrauchen, an einem Objekt, das sich meines Gefalles nicht mehr erfreute. ich hatte eine Zeitlang einen Stock mit Silbergriff getragen; als die dünne Silberplati.e einmal ohne mein Verschulden he schä,digt werden war, wurde sie schlecht; repariert. Bald nachdem der Stock zuriickgekornmon war, benützte ich den Griff. um im Ubetmut nach dem Beine eines meiner Kleinen zu angeln. Dabei brach er natürlich entzwei und ich war von ihm befreit.§ 743Der (ileiuhmnt, mit dem man in all diesen Fällen den ent—
standenen Schaden aufnimmt, darf wohl als Beweis für das Bestehen einer unbewußten Absicht bei der Ausführung in Anspruch genommen werden.§ 744Gelegentlich stößt man. wenn man den Begriinrlungen einer
so geringfügigen Fehlleistuug nnchfurscht. wie es das Zer— breehen eines Gegenstandes ist, auf Zusammenhänge, die tief in die Vorgeschichte eines Menschen hineiniiihren und über dies an der gegenwärtigen Situation desselben haften. Nach— stehende Analyse von L. Jekels (Internat. Zeitschr. f. Psycho analyse, I., 1913) soll hie[ür ein Beispiel geben.§ 745„Ein Arzt befindet sich im Besitze einer, wenn auch nicht
kostbaren. so doch sehr hübschen irclenen Blumenvase. Die— selbe \\'urde ihm seinerzeit nebst fielen anderen, darunter auch§ 746§ 747
204 var. DAS VERGREIFEN,
§ 748kostbaren, Gegenständen von einer (verheirateten) Patientin
geschenkt. Als bei derselben die Psychose manifest wurde, hat er all die Geschenke den Angehörigen der Patientin zurück— erst_a.tt.et . bis anf eine weit weniger kostspieh'ge Vase, von der er sich nicht trennen konnte, angeblich wegen ihrer Schönheit..§ 749Doch kostete diese Untersehlagrrng den sonst so skur
pulösen Menschen einen gewissen inneren Kampf, war er sich Ll00h‘del‘ Ungehörigkeit dieser Handlung vollkommen bewußt und han sich bloß über seine Gewissensbisse mit; dern Vorhalt hinweg, die Vase habe eigentlich keinen Muteria.lwert, sei schwerer einzupaeken usw.§ 750Als er nun einige Monate später im Begrier war, den ihm
streitig gemachten Restbetrag für die Behandlung dieser Pae tientin durch einen Rechtsanwalt rekla.rnieren und eintreiben zu lassen, meldeten sich die Selbstverwürfe wieder; flüchtig helfiel ihn auch die Angst, die vermeintliche Unterschlagung könnte von den Ängehörigen entdeckt und ihm im Straf verfahren entgegengeha.lten werden.§ 751Besonders jedoch das erste 1\l‘011\011,h war eine “heile hin
durch so stark, daß er schon daran dachte, auf eine etwa hundertmal höhere Forderung zu verzichten „ quasi als Ent— schädigung für den unterschlagenen Gegenstand «, er iiber— wancl jedoch alsbald diesen Gedanken, indem er ihn als absurd beiseite schob.§ 752Während dieser Stimmung passiert es ihm nun, daß er, der
sonst, außerordentlich selten etwas zerbricht und seinen Muskel upparzit gut beherrscht, beim Erneuern des W'assers in der Vase dieselbe durch eine organisch mit; dieser Handlung gar nicht zusuinriienhä„iigenrlg sonderbar ,ungeschiekte‘ Bewegung vom Tische wirft, so daß sie etwa in fünf oder sechs größere Stücke zerhricht. Und dies, nachdem er am Abend zuvor, nur nach§ 753§ 754
VIII. DAS VERGREII“EN.
§ 755\ 7 203
vorherigen: starken Zögern, sich entschlossen hatte, gerade diese 'Vase blumengefüllt vor die geladenen Gäste auf den Tisch des Speisezinuncrs zu stellen, und nachdem er knapp vor dem Zerbrechen an sie gedacht, sie in seinem Wohnzimmer angstvoll vermißt und eigenhändig aus dem anderen Zimmer geholt hatl§ 756Als er nun nach der anfänglichen Bestürzung die Stücke
nulsärnmelt, und. gerade als er durch Znsammenpnssen der selben konstatiert, _es werde noch möglich sein, die. Vase fast lückenleszu rekonstruieren, da —— gleiten ihm die zwei oder drei größeren Bruchstücke aus den Händen; sie zerstieben in tausend Splitter und mit ihnen auch jegliche Hoffnung auf diese _Va,se.§ 757Fraglos lha.tte fliese Fehlleistung die aktuelle Tendenz,
(lem ‘Arzte das Verfolgen seines Rechtes zu ermöglichen, in— dem dieselbe das beseitigte, was er znriiekbehalten hatte und was ihn einigermaßen behinderte, das zu verlangen, was man ihm zurückbehalten hatte.§ 758Doch außer dieser direkten, besitzt für jeden Psycho—
analytiker diese Fehlleistnng noch eine weitere, ungleich tie fere und wichtigere, symbolische Determinierung; ist doch Vase ein unzweifelhaftm‘s Symbol der Frau.§ 759Der Held dieser kleinen Geschichte hatte seine schöne,
junge rund heißgeliehte Frau auf tragische Weise verloren; er verfiel in eine Nenr05e, deren Grunante war, er sei an dem Unglück schuld (,er habe eine schöne Vase zerhrochen‘).§ 760Aueh fand er kein Verhältnis mehr zu den Frauen und hatte
Abneigung vor der Ehe und vor dauernden Liebesbeziehungen, die im Unbewußten als Untreue gegen seine verstorbene Frau§ 761gewertet, im Bewußten aber damit mtionnlisif‘rt wurde, er bringe
§ 762§ 763
206 VIII. DAS VERGREIFEN,
§ 764den Frauen Unglück. es könnle sich eine seinetwegeu töten usw.
(Da. durfte er natürlich die Vase nicht dauernd behalten!)§ 765Bei seiner starken Libido ist es nun nicht verwunderlich,
daß ihm als die acläqua.testen die ihrer Natur nach doch passageren Beziehungen zu verheirateten Frauen versehwebten (daher -Zuriicklmlten der Vase eines anderen).§ 766Eine schöne Bestätigung für diese Symbolik findet sich in
naehslehenden zwei Momenten: Infolge der Neurose unterzeg er sich der psychoanalytischen Behandlung.§ 767Im Verlaufe der Sitzung. in der er von dem Zcrbrcchen der
,irdenen‘ Vase erzählte, kam er viel später wieder einmal auf sein Verhältnis zu den Frauen zu sprechen und meinte, er sei bis zur Unsinnigkeit anspruchsvoll; so verlange er z. B. von den Frauen ,unirdische Schönheit‘. Doch eine sehr deutliche Be— tonung, daß er noch an seiner (verstorbenen i. e. unirdischen) Frau hänge und von ,irdischer Schönheit‘ nichts Wissen wolle; daher das Zerbrechen der ,irdenen‘ (irdischen) Vase.§ 768Und genau zur Zeit, als er in der Übertragung die Phantasie
bildete, die Tochter seines Arztes zu heiraten, — da. verehrte er demselben eine — Vase. quasi als Andeutung, nach welcher Richtung ihm die Revnnche erwünscht wäre.§ 769Voraussichtlich läßt sich die symbolische Bedeutung der
Fehlleistung noch munnigfnltig yariier‘en, z.B. die Vase nicht füllen wollen usw. Interessanter erscheint mir jedoch die Er wiigung7 daß das Vorhandensein von mehreren, mindestens zweien. wahrscheinlile nun]: getrennt uns dem Vor- und Unbe» Wußten wirksamen Motiven. sich in der Doppelung der Fehl— _1eistung! „, Umstnßen und ldntgleiten der Vase _, widerspiegelt.“§ 770e) Das Fullenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlngen
derselben scheint sehr häufig zum Ausdruck unbewußter Ge— dankengänge verwendet zu werden, wir- man gelegentlich durch§ 771§ 772
VIII. DAS VERGR menu. 207
§ 773Analyse beweisen kann, häufiger aber aus den ebergläubiseh
oder scherzha,ft daran geknüpften Deutungen im Volksmunde erraten möchte. Es ist bekannt, welche Deutungen sich an das Ausschütien von Salz, Umwerfen eines \Veinglases, Stecken bleiben eines zu Boden gefallenen Messers 11.dgl, knüpfen. Welches Anrecht auf Beachtung solche abergläubisehr‘ Den tungen haben7 werde ich erst an späterer Stelle erörtern; hieher gehört nur die Bemerkung, daß die einzelne unge schickte Verriehtung keineswegs einen konstanten Sinn hat, sondern je nach Umständen sich dieser oder jener Absicht als Darstellungsmittel bietet.§ 774Vor kurzem gab es in meinem Hause eine Zeit, in der un
gewöhnlich viel Glas und Porzellaugeschirr zerbrochen wurde; ich selbst trug mehreres zum Schaden bei. Allein die kleine psychische Endemie war leicht aufzukléiren; es waren die Tage vor der Vermählung meiner ältesten Tochter. Bei solchen Feiern pflegte man sonst mit Absicht ein Gerät zu zerbrechen und ein glüekbringendes Wort dazu zu sagen. Diese Sitte mag die Bedeutung eines Opfers und noch anderen symboli—' schen Sinn haben.§ 775Wenn dienende Personen zerbreehliche Gegenstände durch
Fallenlasseu vernichten. so wird man an eine psychologische Erklärung hiefür gewiß nicht in erster Linie denken7 doch ist auch dabei ein Beitrag dunkler Motive nicht unwahrschein— lich. Nichts liegt dem Ungebildeten ferner als die Schätzung der Kunst und der Kunstwerke. Eine dumpfe Feiudseligkeit gegen deren Erzeugnisse beherrscht unser dienendes Volk, zu mal wenn (lie Gegenstände, deren Wert sie nicht einsehen, eine Quelle von Arbeitsanforderung für sie werden. Leute von derselben Bildungsstufe und Herkunft zeichnen sich dagegen in \\‘issenscha.ftlichen Instituten oft durch große Geschick§ 776.
§ 777§ 778
208 VIH. DAS VERGREIFEN.
lichkeit und VF—rläßliehkeit in der Handhabung heikler Objekte aus, wenn sie erst begonnen haben, sich mit ihrem Herrn zu identifizieren und sich zum wesentlichen Personal des Insti— tuts zu rechnen. .§ 779Ich schalte hier die Mitteilung eines jungen Teehnikers
ein, welche Einblick in den Mechanismuseiner Sachbeschä digung gestattet, ‘§ 780„Vor einiger Zeit arbeitete ich mit. mehreren Kollegen im
Laboratorium der Hochschule an. einer Reihe komplizierter lfllastizitiitsversuehe, eine Arbeit, die wir freiwillig übernom— men hatten, die aber begann, mehr Zeit zu beanspruchen, als wir erwartet hatten. Als ich eines Tages Wieder mit. meinem Kollegen F, ins Laboratorium ging, äußerte dieser, wie 1111— angenehm es ihm gerade heute sei, so viel Zeit zu verlieren, er hätte—zu Hause so viel anderes zu tun; ich konnte ihm nur beistimmen und äußerte noch halb seherzha.ft, auf einen V orfa.ll der vergangenen Woche anspielend: ,Hoffentlich wird wieder die Maschine versagen, so daß wir die Arbeit abbrechen und früher weggehen könnenl‘§ 781Bei der Arbeitsteilung trifft es sich, daß Kollege F. das
Ventil der Presse zu steuern bekommt, &. h. er hat; die Druck— flüssigkeit aus dern Akkumulator durch versichtiges Öffnen des Ventils langsam in den Zylinder der hydraulischen Presse einzulessen; > der Leiter des Versuches steht beim Manometer und ruft, wenn der richtige Druck erreicht ist, ein lautes ,Halt‘. Auf dieses Kommando fußf F. das Ventil und dreht es mit aller Kraft —— nach links (alle Ventile werden ausnahmslos nach rechts gesehlossenl). Dadurch wird plötzlich der volle Druck des Akkumulators in der Presse wirksam, worauf die Rohr— leitung nicht eingerichtet ist, so rlziß sefort eine Rohrverbin dung platzt A ein ganz harmloser Maschinendefekt, der uns§ 782§ 783
VIH. DAS VERGREIFEN. 209
§ 784jedoch zwingt, für heute die Arbeit einzustellen und nach
Hause zu gehen§ 785('Jhumkter'istiseh ist übrigens, daß einige Zeit nachher, als
wir diesen Vorfall bespraehen, Freund F. sich an meine von mir mit Sicherheit erinnerte Äußerung absolut nicht erinnern wollte.“§ 786Sich selbst fallen lassen, einen Fehltritt machen, aus—
gleiten, braucht gleichfalls nicht immer als rein zufälliges Fehlschlagen motorischer Aktinn gedeutet zu werden. Der sprachliche Doppelsinn dieser Ausdrücke weist bereits zur[ die Art -von verhaltenen Phantasien hin, die sich durch solches Aufgeben des l(örperglnichgewiehtc$ darstellen können. Ich erinnere mich an eine Anzahl von leichteren nervösen ]“.rkran kungen bei Frauen und Mädchen, die nach einem Falle ohne Verletzung aufgetreten waren und als trauma.tische Hysterie zufolge des Schreeks beim Falle aufgelaßt wurden. ich bekam schon damals deninnrlruck, als ob die Dinge anders zusammen hingcn, als wäre das Fallen bereits eine Veranstaltung der Neumse und ein Ausdruck derselben unhewußten Phantasien sexuellen Inhalts gewesen, die man als die bewegenden Kräfte hinter den Symptomen vermuten darf. Sollte dasselbe nicht auch ein Sprichwort sagen wollen, welches lautet: „Wenn eine Jungfrau fällt, fällt sie auf den Rücken?“§ 787Zum Vcrgreifen kann man auch den Fall rechnen, daß
jemand einem Bettler anstatt- einer Kupfer— oder kleinen Silber nu'inze ein Goldstück gibt. Die Auflösung solcher Fehlgriffe ist. leicht; es sind 0pferha-ndlungeu, bestimmt, das Schicksal zu erweichen, Unheil abznwehrcn u, dgl. Hat man die zärt— liche Mutter oder Tante unmittelbar vor dem Spaziergung, auf dem sie sich so widerwillig großmütig erzeigt, eine Besorgnis§ 788Freud, Plychupllhnlogie del Alling>lebenl. VIH. Aufl. 14
§ 789§ 790
210 VIH. ms VERGREIF'EN.
§ 791über (lin Gesundheit eines Kindes äußern gehört. so kann man
un dem Sinne de.—; angeblich unliehsmneu lefillih' nicht mehr zwvit'vlu. Auf solche Art, ermögliuhon unsere Fuhllcisb1n1geu (lie Ausübung aller jener frummvn 1n1cl almrglii.uhisnlmn Gr hriiucho, die \vegm des Skräubens unserer unglänbig ge wordenen Vernunft das Licht des Be\\'ußtseins scheuen miissen.§ 792f) Daß zufällige Aktionen eigentlich absichtlich sind, wird
anf keinem anderen Gebiete eher Glauben finden als auf dem der sexuellmi Betätigung, wo die heuzn zwischen hciderlei Arten sich Wirklich zu Vverwisehen scheint. Daß eine scheinbar ungeschicktn Bewegung höchst raffiniert. zu sexuellen Zwek— ken ausgcnützt- werden kann, davon habe ich vor einigen Jahren an mir selbst ein schönes Beispiel erlebt. Ich traf in einem befreundeten Hanse ein als Gast augelangtes junges Mädchen, welches ein längst fiir erloschen gehaltenes Vi'uhl§ 793gvfa-llcn bei mir erregte und mich darum heiter, gesprächig
§ 794und zuvm‘konnnend stimmte. ich habe damals auch nachge
fnrsnht, auf welchen Bahnen dies zugiug; ein Jahr vorher hatte dasselbe Mädchen mich kühl gelassen. Als nun der Onkel des Mädchens, ein sehr alter Herr, ins Zimmer trat, sprengen wir beide auf, um ihm einen in der Ecke stehenden Stuhl zu bringen. Sie war behender als ich, wohl auch dem Objekt näher; so hatte sie sich zuerst des Sessels bemächtigt und trug ihn mit; der Lehne nach rückwärts, beide Hände auf die. Sesselränder gelegt, vor sich hin. Indem ich später hinzutrat, und den Anspruch. den Sessel zu tragen, doch nicht; aufgab, stand ich plötzlich dicht hinter ihr, hatte beide Arme von rückwärts um sie geschlungen, und die Hände trafen sich einen Moment lang vor ihrem Schoß. Ich löste natürlich die Situation ebenso rasch. als sie entstanden war. Es schien auch§ 795§ 796
VIII. DAS VERGREIFE'N. 211
§ 797keinem n,ufznfa.lluu, wie geschickt ich diese 1u1gosehiektc ,ic-wu
gung ausgebeutet hatte.§ 798(it-legontlioh habe ich mir nur-h sagen müssen, daß <l:ue
ärgerliehe, ungeschiekte Auswvielmn auf der Stru.l.iv, wobei man durch einige Sekunden hin und her7 aber doch stets nach der männlichen Seite wie der oder die auderu, Schritte macht, bis endlich beide vor einander stehen bleiben, daß auch dieses „den Weg Vertreten“ ein unartig provozierendes Benehmen früherer Jahre wiederholt und sexuelle Absichten unter der Maske der Ungesehicklichkeit verfolgt. Aus meinen Psycho— :mnlysen Neurotiseher weiß ich, daß die sogenannte Nnivitäl; junger Leute und Kinder häufig nur solch eine Maske ist., um das Unanständig\e unheith durch Genieren aussprechen oder tun zu können.§ 799Ganz ähnliche Beobachtungen hat W, Stckel von seiner
eigenen Person mitgeteilt: „Ich trete in ein Haus ein und weiche der Dame des Hauses meine Rechte. Merkwürdigerweisc löse ich dabei die Schleife, die ihr loses Morgenkleid zusammen hält. Ich bin mir keiner unehrbarcn Absicht bewußt, und doch habe ich diese umgeschiekte Bewegung mit der Geschick lichkeit eines Eskamoteurs vollbraeht.“§ 800Ich habe schon wiederholt Proben dafiir geben können, daß
die Dichter Fehlleistungen ebenso als sinnvoll und motiviert auffassen, wie wir es hier vertretenf Es wird uns darum nicht. verwundern, an einem neuen Beispiel zu ersehen, wie ein Dichter auch eine nngeschickte Bewegung bedeutungsvoll macht und zum Vorzeichen späterer Begebenheiten werden läßt.§ 801In Theodor Fontanes Roman: „L’Adultera,“ heißt es
(Bd. II7 S. 64 der gesammelten Werke, Verlag S, Fischer): „,..und Melanie sprang auf und warf ihrem Gatten, wie zur Begrüßung, einen der großen Bälle zu. Aber sie hatte nicht;§ 802”*
§ 803§ 804
212 VIII. DAS VERGR.EIFEN.
§ 8051'inhlig gezielt, der Ball ging seitwä.rts und Rubehn fing-; ihn
auf." llvi der Heimkehr von dem Ausllngo, der diese kleine Episode gubmchl hat, fiii(lnl, win ('lespräch zwischen Mal.-min und Rubohn statt, dns die erste Andeutuug «inet keimnudcu Neigung verrät. Diese Neigung nächst zur Leidenschaft, so (laß Melanie schließlich ihren Gatten verläßt um dem geliebten Minnie ganz anzugehören. (Mitgeteilt von H. Sachs.)§ 806g} 'Die Effekte, die durch das Fehlgreifen normaler Men—
schen zu Stande kommen sind in der Regel von lm,r1nlosester Art. Garmin darum wird sich ein besonderes Interesse an die Frzig9 knüpfen, ob Fehl_qriffe von erhohlicher Tragweite, die, von bedeutsamen Folgen begleitt‘t sein können, wie z. B. die (les Arztes oder Aprofhcknrs, nach irgend einer Richtung unfm‘ unsere Gesichtspunkte fallen.§ 807Da, ich sehr selten in die Lage komme, ärztliche Eingriff o
vorzunehmen, habe ich nur ühor ein Beispiel von ärztlichmn Vergreifen aus eigener Erfahrung zu berichten. Bei einer sehr alten Dame: die ich seit Jahren zweimal täglich besuche, be— schränkt sich meine ärztliche Tätigkeit beim l\lorgcnbcsueh [ml zwei Akte: ich trii.nfle ihr ein paar Tropfen Augemvasscr ins Augn und gebe ihr eine Morphiuminjr‘ktion, ani Fliischchen, ein blaues fiir das Kollyi'inm und ein weißes fiir (lie M'nrphin— lösung, sind regelmäßig vorbereitet. lVährond der beiden Ver— richtungen beschäftigen sich meine Gedanken wohl meist mit, etwas anderem; das hat sich ehr-n schon sn oil; wiederholt, daß clio Aufmerksamkeit sich wie frei benimmt, Eines Morgens bu,— merkl.e ich, (laß der Automat falsch gearbeitet, hatte, das Tropf— röhrnhcn halte ins wviße anstatt ins blaue Fläschchen einig:- taucht und. nicht Kollyrinnr. Sondern Morphin ins Auge gp— lränl'olt Tr=h nrschmk heftig und heruhiglt‘ mich :lnun durch§ 808die Üherlvgnng, Clil.l.i einige Tropfen einer zi\'(‘lprozeutigvn
§ 809§ 810
VIII. DAS vnnanmmu 213
§ 811Morphinlösuug um,-h irn lT-indehautsack kein Unheil anzurichten
vermögen. Die Scln‘eckmnpfind-ung war offenbar anderswoher nl)zulviien. —§ 812]äui den1Versuchc, den kleinen Fehlgriff zu analysieren, fiel
mir zunächst, die Pln‘ä,sc ein: „sich an der Alten vergroifcn“, die den kurzen Weg zur Lösung weisen konnte. Ich stand unter dem Eindruck eines Traumcs, den mit am Abend vorher ein junger Mann erzählt; hatte, dessen Inhalt. sich nur auf den soxucllen Verkehr unit der eigenen Mutter deuten ].ieß*. Die Sonderbarkeit, daß die Sage keinen Anst an dem Alter der Königin Jokastc nimmt, schien mir gut zu dem Ergebnis zu stimmen, daß es sich bei der Verliebtheit. in die eigene Mutter niemals um deren gegenwärtige Person handelt, sondern um ihr jugendliches Erinnerungsbild aus den Kinderjzihrnu. Solche In kongnn-nzen stellen sich immer heraus, WO eine zwischen zwei Zeit-en schwankende Phantasie bewußt gemacht und dadurch an eine bestimmte Zeit gebu.tiden wird. In Gedanken solcher Art vorsunken, kam ich zu meiner über neunzigjiihrigen Patientin, und ich muß wohl auf dem “'cge gewesen sein, den allgemein menschlichen Clmrukter der Ödipusfnbel als das Korrela.t des Verliäingiii35i-357 das sich in den Orakeln äußert, zu erfn «in, denn ich vergriff mich dann „bei oder an der Allen“, Indes dies Vurgreifen war wiederum harmlos; ich hatte von den beiden möglichen Irrtümern, die Morphinlösung fürs Auge zu verwenden oder das Augenwusser zur Injektion zu nehmen, den bei weime harmloseren gvi\‘iihll„, Es bleibt immer noch die Frage, ob man bei Fehlgriffen, die schweren Schaden§ 813* Des 0rlipustrnumes, wie ich ihn zu nrnnen pflf‘gr‘, weil er
den Schlüssel zum Verständnis der Sage Voll König Odipus enthält. Im Text des Sophoklcs ist. die Beziehung auf einen solchen Traum der Jokaste in den Mund gelegt (\‘gL „’l'mumdeutung", S. 182, V, Aufl., S. 183.)§ 814§ 815
214 VIII. DAS VERGRELFEN.
§ 816stiftcn können, in ähnlicher Weise wie bei den hier behan
delten eine unbewußt.e Absicht in Erwägung ziehen darf,§ 817Hier läßt mich denn, wie zu erwarten steht, das Material im
Stiche, und ieh bleibe auf Vermutungen und Annäherungen an— gewiesen. Es ist bekannt, dn,ß bei den schwereren Fällen von l’sychoncurnsr: Selbstbeschäidigungen gelegentlich als Krank heitssynrptnnre auftreten, und (la-ß der Ausgzrng des psychischen Konflikts in Selbshnord bei ihnen niemals auszuschließen ist, Ich habe nun erfahren und werde es eines Tages durch gut unfgeklz'irte Beispiele belegen, daß viele scheinbar zufällige Schädigungen, die solche Kranke treffen, eigentlich Selbst beschädigungen sind, indem eine beständig lauornde Tendenz zur Sr‘lbstbes‘nmfung‘, die sich sonst als Selbstvorwurt' äußert, oder ihren Beitrag zur Symptenlbildung stellt7 eine zulällig gebotenc äußere Situation geschickt ausnützt, oder ihr etwa. noch bis zur Erreichung des gewünschten srhäd„igenden [Ci'fnkis nachhilft. Solche Vorkommnisse sind auch bei mittelsehweren Fällen keineswegs sollen, und sie verraten den Anteil der un bewnßten Absicht durch eine Reihe von besonderen Zügen, z, B. durch die auffällige Fassung, welche die Kranken bei dem angeblichen Unglücksfulle bewuhren*.§ 818Aus meiner ärztlichen Erfahrung Will ich anstatt; vieler nur
ein einziges Beispiel ausführlich hcriohß‘en: Eine junge Frau bricht sich bei einem lVagenunfa-ll die Knochen des einen Unter schenkels, so daß sie für W'echen bett-lägerig wird, fällt dabei§ 819* Die Selbsthesehiidjgung, die nicht auf volle Selbstvcrniehtung hin
zielt, hat in unser-nn gegenwärtigen Knlturzustand überhaupt keine andere Wahl, als sich hinter der Zufülligkeil zu verbergen, oder sich durch Simu lation einer spontanen Erkrankung durchzusetzen, Früher einmal war sie ein gebräuchliches Zeichen der Trauer; zu anderen Zeiten konnte sie Ideen§ 820der l<‘römmigkeil. und Wolteanngung Ausdrueli geben
§ 821§ 822
VIII. DAS VERGREIFEN. 215
§ 823durch den Mangel an Schumrzensilußerungen unrl dic Huhu auf,
mil; der sie ihr Ungemmzlr erträgl.. Dieser Unfall leitet eine lange und schwere ueurotisnhe Erkrankung ein, von der sie end« lich durch Psychoanalyse hergestellt wird. in der Behandlung erfahre ich die Nebenurnstiinde des Unfalls sowie gewisse Ein driické, die ihm voransgegzrngen sind, Die junge Fl‘;lll befand sich mit ihrem sehr eifcrsiichtigen Hanne auf dem Gute einer verheirateten Schwester in Gesellschaft ihrer zahlreichen iibrigen Geschwister und deren Männer und Frauen. Eime Abends gab sie in diesem intimeu Kreise eine Vorstellung in einer ihrer Künste, sie ta.nztc kunshgf‘rccht Carmen unter großem Beifall der Verwandten, aber zur geringen Befriedi— gung ihres Mannes, der ihr nachher zuzischclte: Du hast dich wieder benommen wie eine Birne. Das Wort traf; wir wollen cs da.hingestcllt sein lassen, ob gemde wegen der Tanzproduk— tion, Sie schlief die Nacht unruhig, am nächsten Vormittag begehrte sie eine Ausfahrt zu machen. Aber sie wählte die Pferde selbst, refüsierte das eine Paar und verlangte ein anderes. Die jüngste Schwester wollte ihren Säugling mit seiner Amine im Wagen mitfahren lassen; dem widersetzte sie sich energisch. Auf der Fahrt zeigte sie sich nervös. mahnte den Kutscher, daß die Pferde schen würden, und als die un ruhigen Tiere wirklich einen Augenblick Schwierigkeiten; machten, sprang sie im Schrecken aus dem Wagen und brach sich den Fuß, während die im Wagen Verbliebenen heil davon kamen. Kann man nach der Aufdeckung dieser Einzelheiten kaum mehr bezweifeln, daß dieser Unfull eigentlich eine Ver anstaltung wnr. so wollen wir (loch nicht versiiumcn, die Ge schickliehkeil zu bewundern. welche den Zufall nötigte, die Strafe so passend für die Schuld a—uszuteilen. Denn nun war ihr das (,‘-anca—ntanzen für längere Zeit unmöglich gemacht.§ 824§ 825
216 Wir. DAS VERGREIFEN.
§ 826Von eigenen Selhelheschädignngen weiß ich in ruhigen
Zeiten wenig zu berichten, aber ich finde mich solcher unter außerol‘dcntliclmn valingungen nicht unfähig. Wenn eines dor Mitglieer meiner Familie sich beklagt, jetzt habe es sich auf die Zunge gebissen. die Finger geqnet.scht usw., so erfolgt an statt der erhofften Teilnahme von meiner Seite die Frage: Wozu hast du das getan? Aber ich habe mir selbst; aufs schmerzhafteste den Daumen eingcklr:rnmt nachdem ein jugendlichor Patient in der l’mhandlungsstunrle die (natürlich nicht ernsihaft zu nohmende) Absicht bekannt hatte. moinn älteste Tochter zu hnim-ten. während ich wußte, daß sie sich gerade im Sanatorium in iiul.‘wrster Lebensgefahr befand.§ 827Einer meiner Knaben. dossen lebhafizes Tompera,ment der
Krankenpflvg'e Schwierigkcilcn zu bereiten pflegte. hatte eines Morgens einen Zornanf'nll gehabt, weil man ihm zugnlnutnt hatte, den Vormittag im Betie zuzubringen, und gerlrnh'ß sich umzuhring4-n. wie es ihm aus der 7mitnnp; bekannt geworden war. Abends zeigte er mir eine l‘muln, die er sich durch An stoßen an die Tiirkliuke an der Seite des Bmsfknrbs zugezogen hat1rx Auf meine ironische Frage, wozu er das getan und was er damit gewollt habe, antwortete das ]lj5ihrige Kind wie erlouchl'et: Das war mein Selbstmordvorsuch. mit dem ich in dcr Früh gedreht bahn. Ich glaube übrigens nicht. daß meine Anschauunan über die Selbsthpsnhärligung meinen Kin dPrn damals zugänglich waren.§ 828“'N' an das Vorlmmnn‘n von halb absichtlicher S'ßlbst—
hoschiifliguug — worin der ungesvhicktc Ausdruck gestattet ist , glaubt, der wird dadurch vorbereitet, anzunehmen. daß es außer dem bewußt a-hsichtlinhen Sx-lbsh'nord auch halb absicht— liohe Sc-lbstvernichtuug , mit unhe\vußter Absicht — gibt, die eine Lebensbedrohung geschickt auszunützen und sie als zu—§ 829§ 830
VIII. ms VF.RGREIFEN. 217
§ 831fällige Verunglückung zu nmskjorcn weiß, Eine solche braucht
* keineswegs selten zu sein. Denn die Tendenz zur Selbstvernich— tung ist bei sehr viel methenschen in einer gewissen Stärke vorhanden, als bei denen sie sich clurchsetazt; die Svlbstbeschii digungen sind. in der Regel ein Kompromiß zwischen <licsnm Trieb und den ihm noch entgegcnwirkenden Kräften, und auch wo es wirklich zum Selbstmord kommt, da ist die Neigung dazu eine lange Zeit. vorher in geringerer Stärke oder als un— bewußbe und untcrclriicktc Tendenz vorhanden gewesen. Auch die bewußte Selbstmordabsicht Wählt ihre Zeit, Mittel und Gelegenheit; es ist ganz im Einklang damit, wenn die unbewuß’oe einen Anlaß abwartct, der einen Trail (ler Ver ursachung auf sich nehmen und sie durch Inanspruchnahme der Abwehrkräfte der Person von ihrer Berlriiukung frei machen kann *_ Es sind keineswegs müßigc Erwägungen, die ich da§ 832vorbringv; mir ist mehr als ein Fall von anscheinend zufäl—
§ 833* Der Fall ist dann schließlich kein andcror als der des sexuellen
Altenbats auf eine Frau, bei dem der Angriff des Mannes nicht durch die volle ][uskelkrnit- des Weibes abgewehrt werden kann, Weil ihm ein Teil der nnbewußten 'Regungen der Angon'riffuhcn förrlern<l entgegenkonnnh Man sagt ja. wohl, eine solche Situabion lähme die Kräfte der Frau; man braucht dann nur noch die Gründe für diese Lähmung hinzuzufügen. Insofern ist, der gr.-istreiche Richterspruoh des Sunuho Pansa„ den er als Gouverneur auf seiner Insel fälll, psychologisch ungerecht (Don Qui_iotc, ll. Teil. Kap. XLV), Eine Frau zsrrb einen Mann vor den Richter, der sie angeblich gs$valtsurn ihrer Ehre beraubt hat. Sancho entschädigt sie durch die volle Geldbörse, die er dem Angekluglen abnimml, und gibt diesem nach dem Abgange der Frau die Erlaubnis, ihr mohzucilen und ihr 1li<: Börse wimler zu entreißen. Sie kommen beide ringend wieder, und die Frau rühmt sich, daß der Böscwichß nichß im stunde gewesen sei, sich der Börse zu hsmiichtigen. Darauf Sancho: „llä.tbesb du deine Ehre halb so ernsthaft \‘erfnidigt, wie diese Börse, so hiißte sie dir der Mann nicht rauhen können."§ 834§ 835
213 vm. ms VERGBEIFEN.
ligrrm Vcrung'liinkon (zu Pferde oder aus dem W'ngen) bekannt guwordnn, dessen nähere Umstände den Verdacht auf unbe— wnßt zugelassnxen Selbstmord. rechtfertigen. Da, stürzt z.B. während eines Of[izierswettrennens ein Offizier vom Pferde und verletzt sich so schwer, daß er mehrere Tage nachher er— liegt. Sein Bonehnwn. nachdem er zu sich gekommen, ist in manchen Stücken auffällig. Noch bemerkenswerter ist sein Benehmen vorher gewesen. Er ist tief verstimmt durch den Tod seiner geliebten Mutter; wird von Weinkrämpt'en in der Gesellschaft seiner K:,uutu‘amlen befallen, er äußert Lobensüber— druß gegen svine vertrauten Freunde, will den Dienst, quit— tieren, um an einem Kriege in Afrika. Anteil zu nehmen, der ihn sonst nicht borührt*; früher ein sohneidigcr Reiter, weicht vr jetzt dem Reiten uns, wo es nur möglich ist. Vor dem Wett rennen endlich, dem er sich nicht entziehen kaim, äußert er eine trübe Ahnung; wir werden uns bei unserer Auffassung nicht mehr verwundem, daß diese Ahnung Recht behielt. Man wird mir entgegeifimlten, es sei ja. ohne weiteres verständlich, daß ein Mensch in solch norvöser Depression das Tier nicht zu meistmn versteht wie in gesinlden Tagen. Ich bin ganz ein— verstanden; nur möchte ich den Mechanismus dieser moto rischen Hemmung durch die „Nervosität “ in der hier betonten Sclbstvernichtungsabsicht suchen.§ 836S. Ferenczi in Budapest hat mir (lie Analyse eines
Falles von angeblich zufälliger Sohußverletzung, den er für einen unbewußten Selbstmordversuch erklärt, zur Veröffent§ 837* Daß die Situation des Schluchtfcldes eine solche ist, wie sie der
benußten Selbstmorda-bsicht entgegenkommt, die doch den direkten_Weg§ 838Schein: ist einlnuchtend. Vgl. im „Wallenstoin“ die Worte des schwe
(fischen Hauptmannes über den Tod des Max l’iecolomini: „Man sagt,§ 839er wall h=. sterben."
§ 840§ 841
VIII. DAS VERGREIFEN. 219
§ 842Hebung überlassen. Ich kann mir-h mit. seiner Auffassung
nur einverstanden erklären:§ 843„J. Ad., 22jälii‘igei' Tischlerecsellu, suchie mich am 18_ Jän
ner 1908 auf. Er wollte von mir erfuhren, ob die Kugel, die ihm um 20. März 1907 in die linke Seh]ii.fe vindi‘nng. npernl,iv ent.[ernt werden könne oder müsse. Yen zeitweise auftretenden, nieht allzu heftigen Kopfschmerzen abgesehen, fühlt er sich ganz gesund, auch die objektive Untersuehung ergibt außer der charakteristischeu, pnlvergr-schwärz(en Schußnni‘be an der linken Schläfe gar nichts, so (laß ich die Operation \viderrate. Über die. Umstände des Falles befragt., erklä.rL er, sich zn[5illig verlrlzß zu haben. Er spielte mit. dem Revolver des Bruders, glaubte, daß er nicht geladen ist, drückte, ihn Inil', vier linken Hand an die linke Schliife (er ist nicht Linkshänder), legte den Finger an den Hahn, und. der Schuß ging los. Drei Patronen waren in der sochslänfigen Schußwa,ifn_ Ich frage ihn: wie er auf die Idee kam, den Revolver zu sich zu nehmen. Er erwidert„ daß es zur Zeit. seiner Assentierung war; den Abend zuvor nahm er die Waffe ins Wirtshaus mit, weil er Schlägcrcien befürchbcte. Bei der Musterung wurde er wegen Krampfadern fiir unta.uglich erklärt. worüber er sich sehr schä„intß Er ging nach Hause, spielte mit dem Revolver, hatte aber nicht die Absicht, sich weile zu tun; da kam es zum Unfall. Auf die weitere Frage, wie er sonst mit seinem Schicksal zufrieden gewesen sei, antwortete er mit einem Seufzer und erzählte seine Liebesgeschichte mit einem Mäd chen. das ihn auch liebm und ihn trotzdem verließ; sie wan— (lr-rbe rein aus (j‘rt-lclginr nach Amerika zum. Er wolan ihr nach, doch die Eltern hinderten ihn daran. Seine Geliebte reiste am 20_ Jänner 1907, also zwei Muna,be vor diem Ungliieksfzrlle, ab. Trotz all dieser Verduchtsmunxente beharrte der Patient da.§ 844§ 845
220 VDI. DAS VERGRE‘IFEN.
§ 846bei, [laß der Schuß ein ,Unfall‘ war. Ich aber bin fest über
zeugt, daß die Nachlässigkcit, sich von der Ladung der Waffe vor dem Spielen nicht. überzeugt zu haben, wie aueh die Selbst bcschädig'ung psychisch bestimmt. war. Er war noch ganz unter dem dc\primierpuderi Eindruck der unglücklichen Liebschaft und wollte offenbar beim Militär ,vergessen‘. Als ihm auch diese Hoffnung genommen wurde, kam es zum Spiele mit. der Schußwaffe, &. h. zum unbevvußten. Selbstmordvorsnch. Daß er den Revolver nicht in der rechten, sondern in der linken Hand hielt, spricht entschieden dafür, daß er wirklich nur ,spicl‘oe‘, d. h. bewußt keinen Selbstmord begehen wollte,"§ 847Eine andere, mir vom Beobachter iiberlassene Analyse
einer anscheinend zufälligen Selbstbeschädigung bringt das Sprichwort in Erinnerung: „Wer anderen eine Grube grä,bt, fällt, selbst hinein“*_§ 848,Fran X aus gutem bürgerlichen Milieu ist verheiratet und
hat drei Kinder. Sie ist; zwar nervös, aber brauchte nie eine mwrgische Behandlung, da sie dem Leben doch genügend ge w'nchsen ist. Eines Tages zog sie sich in folgender Weise eine momentan ziemlich iniponierende, aber vorübergehende Ent sl,ellnng ihres Gesichtes zu.§ 849In einer Straße, welche zurecht gemacht wurde7 stolperte
sie über einen Steinhaufen und kam mit dem Gesichte in Be rührung mit einer Hansmauer. Das ganze Gesicht vi'ar ge schrammt—, die Augenlisler wurden blau und ödeuiatös, und da sie Angsl bekam, es möchte mit ihren Augen etwas passieren, ließ sie den Arzt rufen. Nachdem sie deswean beruhigt, war, fragte ich: ,Aber warum sind Sie eigentlich so gefallen?‘ Sie§ 850‘ SelbstbcaLrai'ung wegen .Aboi‘Lus von Dr, J. E. G. vun Emden,
Hung (Holland), Zunim.lblabt für Psychoanalyse, II, 12.§ 851§ 852
VIII. DAS VERGREIFEN. 221
§ 853erwiderte, daß sie gerade zuvor ihren Mann, der snit einigen
Monaten (‘llltl (inlunksflfkation hntle, wodurch cl“ sch1vchl zu Fuß war, gewarnt hatte, in dieser Straße gut a.nl'zupassen, und sie hatte ja, schon öt'tcrs die Erfahrung gemacht, daß in dor artigcn Fällen merkwürdigerweise ihr selber dasjenig'c pas sierte, wogegen sie eine andere Person gewarnt hatte.§ 854Ich war mit dieser Determinierung ihres Unfalls nicht zu—
frischen und fragte, ob sie nicht vielleicht etwas mehr zu er zählen wußte. Ja., gerade vor dem Unfall hatte sie in einem Luden von der entgegengesetzten Snite der Straße ein hübsches Bild gesehen, das sie sich ganz plötzlich als Schmuck für die l(imlerstubs wünschte und darum sofort kaufen wollte: da. ging sie geradeaus auf den Laden zu1 ohne auf die Straße zu m-,hten, stolpcrte über den Stcinhaufcu und fiel mit. ihrem Gesichte gegen die Hunsmzmer, ohne auch nur den lciseston Versuch zu machnn, sich mit den Händen zu schützen. Der Vorsatz, das Bild zu kaufen, war gleich vergessen, und sie ging ciligst nach Hause.§ 855.Abcr warum haben Sie nicht besser zugeschaut‘l‘
fragte ich.§ 856,Ja; antwortete sie, ,es war vielleicht doch eine Strafe!
W0ng der Geschichte, welche ich Ihnen schon im Vertrauen erzählt habe} .Hat diese Geschichte Sie dann noch immer so gcquiiltl‘§ 857.Ja —— nachher habe ich es sehr bedauert7 mich selbst bos
hnft, \‘erbrccheri50h und unmoralisch gefunden aber ich war clamn]s fast verrückt vor )}0rvosität.‘§ 858Es hatte sich um einen Abortus gnhandelt, welchen sie mit
Einverständnis ihres Mannes, da. sie beide wegen ihrer pekn—§ 859niä,rcn Verhältnisse von mehr I(indersngen versuhont bleibnu
§ 860§ 861
222 VIII. DAS VERGREIFEN.
§ 862wollten, von einer lün‘p‘i'nsnhorin hatte einleil,mi und von
n-imnn Hpexiulurzb lmttc zu Ende bringen lassen.§ 863,Uli ers mache ich mir (If-u Vorwurf: FLl‘N‘I' du hast (hu-h rluin
liincL töten hassen. und ich hu.l.tn Augsb, daß so ci was doch nicht ohne Stra.l'e bleiben könan Jetzt, da Sie mir versichert haben, (ill—,ß niit, den Augen nichts Schlimmes vorliegt, bin ich ganz be ruhigt: ich bin nun smvioso schon gen iigcncl gostra.ft.‘§ 864Dieser Unfall war also eine Selbstbestm-fmrg einerseits, um
für ihre Unfn„t zu ln'ißnn7 anderseits aber, um einer vielleicht Viol größeren unbekannten Strafe, vor welcher sie monatelang fortwährend Angst hatte, zu entgehen.§ 865In dem Augenblick1 als sie auf den Laden losstürzte, um
sich das Bild zu kaufen, war (lie Erinnerung an die ganze Ge, sc‘hichbe mit all ihren Befiirchtungen, welche sich schon wäh«§ 866rend der Warnung '-hro.s Mannes in ihrem Unbewußfen ziemlich
§ 867stark regte, überwältigond geworden und hätte vielleicht in
§ 868einem etwa cle1‘a.rbigen VVortlnut Ausdruck finden können:
§ 869Ahr‘r wofür brauchst du einen Schmuck für die Kinder—
stube, du hast- dein Kind umbringen lassen! Du bist eine Mörderin! Die große Strafe naht ganz gewiß!§ 870Dieser Gedanke wurde nicht, bewußt, aber statt dessen bc
nüizte sie in rliosnni7 ich möchte sagen psychologischen Mo— ment. die Situation, um den Steinlia.ufmi, der ihr dafiir geeignet schien, in unanffälliger Weise für die 'Selbstbesti'irfimg zu ver wenden; deswegen streckto sie beim Fallen auch nicht, einmal die Hände aus und darum kam es auch nicht zu einem heftigen Erschreoken. Die zweite, wahrscheinlich geringere Determinie rung ihres Unla,lls ist wohl die Selbstbestrnhmg wegefi des unbcwnßten Bescitigungsw-unsches gegen ihren, allerdings in dieser Affäre miischulcligen Mann; Dieser Wunsch hatte sich durch die vollkommen überflüssige W'n-rnnng verra-ten, in der§ 871§ 872
.
§ 873&
vm. DAS VERGREIEEN, 223§ 874Straße mit dem Stainlmul'en ja. gut rml'znpnssen, da. der Mann,
eben weil nr sch]ncht zu [Fuß war, svhr vorsirhtig giug*."§ 875Wenn man die näheren Umstände des l“:ullrv>: erwähnt,
wird mim auch gnneig‘t sein, J. Stärke (L c,.) recht zu geben, wenn er eine anscheinend zufällig! Selbstbesohz'irlig'ung durch Verbrennung als „Opferhazndluug“ a,uffallt.§ 876,Eine Dame, deren Schwinfi@rsohll nach Deutschland ab
reisen mußte, um dort in I\’Tili ä.rdienst zu gehen, verbrühtu sich den Fuß unter folgenden Umstii.mlen_ Ihre Tochter er wartete bu ld die Niederkunlt, und die Gedanken an die, Kriegs gefahren stimmten selbstverstéindlich die ganzu Familie nicht sehr munter. Am Tage vor der Abrcise hatte sie ihren Schwiegersohn und ihre ‘«nr-htcrium Essen eingeladen. Sie bereitete selber in der Küche das Essen., naehc'lem sie zuerst, sonderbar genug, ihm hohen Schnürslicl'el niit Plattfußsohleu, auf denen sie bequem gehen kann und die sie auch zu Hause gewöhnlich trägt, mit- einem Paar zu großer, oben offenél‘ Pan toffcln ihres Mannes vcl'tausqlit hatte. Als sie eine große Pfanne knohcndcr Suppn vom Feuer nahm, ließ sie diese fallen und vnrb1‘iihfv sich thulu1‘ch ziemlich ernst einen Fuß7 zumal den Fußriicken, der vom offenen Pantol‘fcl nicht geschützt wurde. — Sellrstversfiindlich wurde diuser Unfall von jeder mann auf Rechnung ihrer begreiflicheu ,Nervositz'it‘ geschrie ben. Die ersten Tage nach diesem B1‘andopfer war sie mit heißen Gegenständen sehr vnrsichtig, wodurch sie aber nicht§ 877* Ein Korrespondent schreibt zum Thema der „Sclbstbestrafung durch
Fehllcismugen“: Wenn man darauf achtet, wie sich die Leute auf dcr Straße benehmen, hat man Gelegenheit; zu konstatieren, wie oft den Män— nern, die _, wie schon üblich —— den vorübergehenden Frauen nachschauen, ein kleiner Unfall passiert. Bald verstaucht einer , :mf ebener Erde — den Fuß, bald rennt er eine Laterne an oder verletzt sich auf andere Art..§ 878§ 879
224 vw. DAS VERGREIFEN.
§ 880gehindert. wurde. sich wenige Tage spülen den einen Puls mit
heißer Brühe zu verbri'ihen.“§ 881Wenn ,m ein Wüien gegen dio_eigene Integriiiit und dns
eigene Leben hinter anscheinend zufälliger Ungesuhicklichkeit und motorischer Unzulänglichkeit vérborgen sein kann, so braucht- man keinen großen Schritt mehr zu tun, um die Über tragung der nämlichen Auffassungr auf 1“elilgi‘iff€ möglich zu finden., welche Leben und Gesundheit anderer emstlich in Gefahr bringen. Was ich an Belegen für die Triftigkeit dieser Auffassung verbringen kann, ist der Erfahrung am Neurotikcrn entnommen. deckt sich also nicht völlig mit dem Erfordernis. Ich werde über einen Fall berichten, in dem mich nicht eigentlich ein Fehlgriff, sondern, was man eher eine Symptom oder Zufallsha.ndlung nennen kann, auf die Spur brachte, welche dem) die, Lösung des Konflikts bei dem Patienten cr— müglichi-e. Ich übernahm es einmal, die Ehe eines sehr intelligenten Mannes zu bessern, dessen ,ll'ißholligkeiten mit seiner ihn zärtlich liebenden jungen Frau sich gewiß auf reale .lcgründungen berufen konnten, aber, wie er selbst zugub, durch diese nicht voll erklärt wurden. Er beschäftigte sich unab— lässig mir. dem Gedanken der Scheidung, den er dann wieder ver-warf, weil er seine beiden kleinen Kinder zärtlich liebte. 'l‘rotzdem kann er immer Wieder auf den Vorsatz zurück und ver— suchte dabei kein Mittel., um sich die Situation verträglich zu gesialben. Solches Nichtferfigwerden mit einem Konflikt gilt, mir als Beweis dafiir, daß sich nnbewußte und verdrängße Mo— tive zur Verstärkung der n'iiizeinander sixreitcnden bewußten be— reit gefunden haben, und ich unternehme es in solchen Fällen, den Konflikt durch psychische Analyse zu beenden. Der Mann erzählte mir eines Tages von einem kleinen '\'70rfa,ll, der ihn aufs äußerste erschreckt hatte. Er „hethc“ mit seinem älteren§ 882§ 883
vrn, DAS VERGREIPEN, 225
§ 884Kinde, dem weitaus geliebteren, hob es lmr,:h und ließ es nieder
und einmal an solcher Stelle und su hoch, daß das Kind mit. (lr‘m Scheitel. fast. an (len schwer.hernlihä.ngvnden G:hslli$t,er angestoßon wäre. Fa.s I:, aber doch eigentlich nicht, oder gerade eben noch! Dein Kinde war nicht-s geschehen, aber es wurde vor Schreck snhwindlig. Der Vater bliv-b entsetzt mit dem Rinde im Arme stehen, die Mutter bekam einen hyfilerisché:n Anfall. Die besondere Geschicklichkeit dieser nnvorsichtigcn Bewegung, die Hoftiglmit der Reaktion bei den Eltern legten es mir nahe, in dieser Zn[ii,lligkeih eine Symptnmhznnllung zu suchen, welche eine böse Ahsicht gegmi das geliebte Kind zum Ausdruck bringen sollte. Den Widerspruch gegen die n.ktunllo Zärtlichkeit dieses Vaters zu seinem Rinde konnte ich auf heben, wenn ich den [111131113 zur Schädigung in (lie Zeit zurück— Vcrlegte, (ln. diesvs Kind das einzige und so klein gewesen war, daß sich der Va.fer noch nicht zärtlich fiir dasselbe zu inter essieren brauchte. Dann hatte ich es leicht anzunehmen, (laß rlvr von seiner Frau wen'ig helricnligtc Mann durnals den (fre— danken gehabt oder «len Vnrszif.z gefaßtz Wenn dieses kleine Wesen, an dem mir gar nichts liegt, stirbt, dann bin ich frei und kann mich von der Frau scheiden lassen. Ein W1u.isch nam-h (le-rn Tode dieses jetzt so geliebten \Vosons mußte also nnhewußl; weiterbestelwn. Von hier ab war der W rg zur unbmvnßteu Fi xierung diesesWuusches leicht; zu finden. Eine rnächtign Debor— 1niniernng ergab sich wirklich uns «ler Kind]ieitsr-rinncrung des l‘aLicnir-n, daß der Tod eines kleinen Bruders. (len (lie Mutter (ler Naehlii.ssigkeih des, Vaters zur Last legte, zu hef1,igvn Aus» uinandersctmurgen zwischen (len Eltern mit Scheidung»§ 885androhung geführt hatte, Der weitere Ver]sz drr Ehe meines
§ 886Patienten bus ,gie nwine Kombinnlion auch durch den
ihorapeulisc-ln-u ]-)rl‘„lg.§ 887Fran-l, l-‘flyrhnp.nklmlngie du r\.lmgllehens, VIII. Aufl. 15
§ 888§ 889
226
§ 890«T, Stärcl<n (L C.) hat ein Beispiel (]il.fiil' gegeben, {laß
Dichter kein Bedenken tragen, ein "ergreifen ia.n die Stelle einer ;thir'hilit‘heii Handlung,: zu setzen und es somit zur§ 891wersien Knusuqucnymi zu machen:
§ 892Quelle tler
§ 893„Th einer der Skizzen von Hoyermens* konunt ein Bei
spiel von Vergneifen oder, genauer gesagt, Fehlgreifen vor, das vom Autor als dramatiscth Motiv angewandt wird.§ 894Es ist clio Skizze ,Tom und ’l‘nclclic‘. « Von eincm'lfzuzchm-—
pnnr das in einem sziulitz'itenthcztter auftritt, längere Zeit unterm Wasser bleibt und dort Kims*tsüicke n,usfiihrt in einem eisernen l3assin rnit gläsernen Wänden — hält (lie Frau es seit kurzem mil einem anderen Mann, einem Dresseur. Der Mann— ’l‘nuclmr hat; sie gerade vor der Vorstellung zusammen im An— klnidnzimnier or‘rztppt. Stille Szene, drohench Blicke und tier Taucher sagt: _.N:mhhcrl‘ „ Die Vorstellung fängt nn. ,„ Der" 'l'nuclmr wird das schwierigste Kunststücl; machen, er bleibt ,zwei und eine halbe Minute in einer hv1'mntisch geschlossenen Kiste unterm \Vnsser‘. , Sie im,tten°dieées Kunststiink Schon Öfters gemacht, die Kiste wurde dann geschlossen. und ,'l‘udrlie zeigt (lem Publikum. (las auf" seinen Uhren rlie Zeit kontrollierte, ließ auch absichtlich den Schlüssel ein paarmal ins Ba, in [allen und tauchte denn eilig danach, um nicht zu spät zu sein, wenn der Koffer geöffnet werden mußte.§ 895An diesem Abend des 31. Jänner wurde Tom win gewöhn—
§ 896lich von Lil'll kleinen Fingern des munter-frischen Weihclivns
§ 897den Solilii sel‘.
§ 898' holte hinter dem Guokloch — sie spielte mit
§ 899<-ingvspm‘rl„ Er I;
dem Suhliis‘sol mid wartete :|.nf sein wiirnoncles Zeichen. Zwi schen den Kulissen stand der Dressem‘ mit seinem tadelloson Fraick. s=oincr weißen Krawatte, seiner Reitpeitschrr. Um ihre§ 900* Hermann Heym'mnns, Srhciscn vun Samuel „Falkland, 18. Thun»
§ 901del, Amsterdam, ll, J, “". Recht, 1914.
§ 902§ 903
VIII, DAS VERGREIFEN. 227
§ 904Aufmerksaniknit auf sich zu ziehen, pfiff er ganz kurz, dor
)l'll'bf'. Sie schaute hin, lachte und milL (ler nnguschiuktvn Gre hé'u'dß von jemand, rlessm-n Aufninrksanikflii. :i,hgrelvnkfi wird, \\ n,rl‘ sie den Schlüssel so wild in die Höhn7 (laß (-1' genau 7.\\'vi Mi nuten zwanzig Sekunden, gut gezählt, ncbvn (las Bu,ssin, zwi schen dem das Fußgesl.ell verdeckenden Flaggenmeh fiel. Keiner hatte es gesehnn. Keiner konnte es sehen. Vnni Saul aus gesehen, war die optische Täuschung so, daß jedermann den Schlüssel ins Wasser gleiten sah — und keiner der ’l‘ln-nßer hclfer merkte es„ weil das Flaggcntncli dr‘n Laut milderto.§ 905Lachend7 ohne zu zaud0m, kletterte Ted(lie über don Rand
des Bassins. Lachend — er hielt, es wohl aus — kann sie die Leiter herunter. Lachoncl verschwand sie unter (lem Fußgcstnll. um dort zu suchen. und n.ls sie den Schlüssel nicht sofort fund, hiiukbe sie sich mit einer Mimik zum Stohlen, mit einem Ans (lruck anf iin-cm Gasichte, als ob sie sagte: ,O jomino, wie das (loch lästig ist!“ an (ler Vorderseite des Flaggcntnchcs.§ 906Unterdessen machte Tom seine dmlligcn Grimafssen hinter
(lem Gucklooh, wie wenn auch er unruhig würde. Man sah das Weiß seines falschen Gebisses, das Kamen sviner Lippen unter dem Flachasclm1u‘rbart, die komischen Atcml)lnsen, die man auch beim Apfelesson gesehen halte. Man sah das (irn-bscn und \Vühlen seiner l)lk*i(7llOll Knö0helfinger und man lachte, so wie man diesen Ahnnd schon öfter gelacht hattv.§ 907Zwei Minuten und achtundfiinfzig Sekunden . .:
§ 908Drri Minuten sieben Sekunden... zwölf Sekunden...
§ 909Bravo! Bravo! Bravo I . . _ 7
§ 910Da. entstand nine Bestürzung im Saale und ein Schnrron
mit den Füßen, weil auch div. Knnchl,n und der ])rossmu' zu suchen cmfingon und der Vorhang fiel, bm'oi' der Deckel unf gr-hubcn \\‘ui'. ,§ 911lü'
§ 912§ 913
228 vm. DAS VERGREIFEN.
§ 914S4‘chs englische Tänzerinnen traten auf" _ dann der Mann
mit den Ponys, Hunden und Affen. Und so weiter.§ 915Erst am nächsten Morgen verua.hm (las Publikum7 daß ein
Unglück geschehen war, daß 'l‘edtlie als Witwe auf der Welt zurifmkblieb . .§ 916Aus dem Zitiertcn geht hervor, wie vorzüglich dieser
Künstler selber das Wesen der Symptomhnndlnng verstanden lu\l>—-u muß, um uns so treffend (lin tiefere Ursache der§ 9171i'n ! l i<:]u‘u Ungeschicklir‘hkeit vorzufülu‘cu.“
§ 918§ 919
IX.
§ 920SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 921Die bisher beschriebenen Handlungen, in denen wir dieunauffällig und ihre Effekte müssen geringfügig sein.
Ausführung einer unbewußten Absicht erkannten, traten als Störungen anderer beabsichtigter Handlungen auf und deckten sich mit dem Vorwand der Ungeschicklichkeit. Die Zufalls handlungen, von denen jetzt die Rede sein soll, unterscheiden sich von denen des Vergreifens nur dadurch, daß sie die An lehnung an eine bewußte Intention verschmähen und also des Vorwandes nicht bedürfen. Sie treten für sich auf und werden zugelassen, weil man Zweck und Absicht bei ihnen nicht ver mutet. Man führt sie aus, „ohne sich etwas bei ihnen zu denken“, nur „rein zufällig“, „wie um die Hände zu beschäf tigen“, und man rechnet darauf, daß solche Auskunft der Nach forschung nach der Bedeutung der Handlung ein Ende be reiten wird. Um sich dieser Ausnahmsstellung erfreuen zu können, müssen diese Handlungen, die nicht mehr die Ent schuldigung der Ungeschicklichkeit in Anspruch nehmen, be stimmte Bedingungen erfüllen; sie müssen § 922Ich habe eine große Anzahl solcher Zufallshandlungen beiSymptomhandlungen verdienen. Sie bringen etwas zum
mir und anderen gesammelt, und meine nach gründlicher Unter suchung der einzelnen Beispiele, daß sie eher den Namen von § 923230 IX. SYMPTOM» UND ZUFALIBHANDLUNGEN.
§ 924Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen vermutet und
was er in der Regel nicht, mitzuteilen, sondern für sich zu be— halten lwnhsiohtigtx, Sie spielen also ganz so wie alle anderen§ 925bisher betia.chteten Phänomene die Rolle von Symptomen.
§ 926Die reichste Ausbeute an solchen Zufalls— oder Symptom
handlungen erhält Dann allerdings bei der psychounalytischen Behandlung der l\'eurotiker. Ich kann es mir nicht versageu, an zwei Beispielen dieser Herkunft zu zeigen’ wie weit und wie [ein die Detcrminierung dieser nuscheiubnren Vorkomm— nisse durch unbewußbe Gedanken getrieben ist, Die Grenze der Symptom;handlungun gegen das Vergroifen ist; so wenig scharf. daß ich diese Beispiele auch im vorigen Abschnitt§ 927hätte unterbringen können.
§ 928a) Eine junge Fran erzählt als Einfall Während (il'l‘ Sitzung.
daß sie sich gestern beim Nägelschneiden „ins Fleisch ge— schnitten, während sie das feine lliiutchcn im Nagnlbcbb abzu tra.gen bemüht war“. Das, ist so wenig interessant, (laß man) sich verwundert fragt, wozu es überhaupt; erinnert; und (‘r— Wähnt wird, und auf die Vermutung gerät, man habe es mit einer Symptomhandlung zu tun. Es war auch wirklich der Ringfingcr, an dem das kleine Ungeschick verfiel, der Finger, an dem man den l<]hering trägt. Es war überdies ihr Hoch— zeitstag, was der Verletzung des feinen Hüutchvns einen ganz bestimmten, leicht zu crm.tendcn Sinn verleiht. Sie erzählt auch gleichzeitig einen Traum, der auf die Ungeschicklich keit. ihres Mannes und auf ihre Anästhesie als Frau mrspielt. Warum war es aber der Ringfingor der linken Hand, an dem sie sich vorletzte, da man doch den Eher-ing an der rechten Hand trägt-'! Ihr Mann ist Jurist, „Doktor der Rechte", und§ 929ihre geheime Neigung hallo nis Mädchen einem Arzt; (Scherz
§ 930§ 931
IX. SYMPTOM- UNI) ZUFALLSIIANDLUNGEN. 231
§ 932haft: „Doktor der Linke“) gehört. Eine Ehe zur linken Hemd
hat auch ihre bestimmte Bedeutung.§ 933b) Eine unverheira,i,ete junge Dame erzählt: „Ich habe ge
stern ganz nnabsichtlicli eine Hundertguldennote in zwei Stücke gerissen und die Hälfte davon einer mich besuchenden Dame gegeben. Soll, das auch eine Symptomhandlung sein ?“ Die genauere Erforschung deckt folgende Einzelheiten auf. Die Hundertgulrlennote: Sie widmet, einen Teil ihrer Zeit und ihres Vermögens wohltätigen \Vui‘ken. Gemeinsam mit einer anderen Dame sorgt sie für die Erziehung eines verwalsten Kindes. Die 100 Gulden sind der ihr zugeschickte Beitrag jener Dame, den sie in ein Kuveri, einschlcß und vorläufig auf ihren Schreibtisch nicdcrlegte.§ 934Die Besucherin war eine migesehenn Dame, tler ,sie bei einer
anderen Woliltätigkeitsa.ktion beistehi. Diese Dame wollte eine Reihe Namen von Personen notieren, an die man sich um Unter stützung wenden könnte. Es fehlte an Papier, da, grilf meine Patientin nach dem Kuvert auf ihrem Schreibtisch und riß es. ohne sich an seinen Inhalt zu besinnen, in zwei Stücke, von denen sie eines selbst behielt, um ein Duplika,t der Namen liste zu haben, das andere ihrer Besucherin übergab. Man bemerke die Harmlosigkeit dieses unzweekmiißigen Vorgehens. Eine Hinrdertguldeiniott: erleich lmkaurrtlich keine Einl>nße an ihrem Werte, wenn sie zcrrissen wird, falls sie sich uns den Ril$sliickeii vollständig zusammensetzen läßt. Daß die Dan das Stück Papier nicht wegwerfe'n würde, war durch die Wich tigkeit der darauf stehenden Namen verbürgt, und ebensowenig litt. es einen Zweifel, daß sie den wertvollen Inhalt zurück stellen wiirde, sobald sie ihn bemerkt hätte.§ 935Welchcm unbewußl,en Gedanken sollte aber diese Zufalls—
§ 936hzmdlung, die sich durch ein Yergesecn ermöglichte, Ausdruck
§ 937§ 938
232 IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHA‘IDLUNGEN.
§ 939gc-br—n? Die bosnohende Dame hatte eine ganz bestimmfo B::
'/.iclnuig zu unserer [iur. Es war dieselbe, die mich soincrzeit dmn leiqlomlen Mädchen als Arzt; empfohlen, und wvnn ich nicht irre7 hält- Hl('ll meine Patientin zum Danke für divscn Rai. verpflicliiwb. Soll «lie halbiert.o l'l’unflorigulrlminotn oi,\':r ein Honorar für dimo Viri'lniüzhihg darstellen? Das bliebe noch recht bcfrcmrllioh.§ 940.lil.—a komm! r1bm' :mdvrws Material hinzu. ldiiws Tages vorher
hatte eine \'m'mitlln-riii gnnz n.nderor Ari. l)('l oiuer Verwandten ungoi‘rngt, ob dus g_>jiiä(lige Fräulein wohl dir: Bekanntschaft; eines gewissen Ilm-rn machen wolle, und nur Morgen, einige Sinndmn vor (lem l’wsnchu der Dame, \\‘n,r (ll‘l‘ “'orbebriof (it‘s l"reiers ()ingiclroffon, [ler viel Anlaß zur iloitvrkeit gegeben hatte. Als nun (lin Dame das Gespräch mit einer Erknndigung nach dem Bn[inrlen moinur l’uliontin eröffnete, konnte diese wohl go<lnchi‘. haben: „Den richtigen Arzt hast (in mir zwn,r enipl'olilcn, \\r‘nn du mir aber zum richtigen Marine (und (lar hinter: zu einem Rinde) mrhr—lfen klinntm„st„ Wäre ich Clir doch daulibziror.“ Von divsem verdrängt gehaltenen Gedanken auf; flossen ihr die beiden Vel‘llliillel‘inlll'll in eins zu.s:rurmvn, und sin übnrroichtc dor liesnclwrin das Honorar, das ihre Phantasie der anderen zu geben bereit war. Völlig verbindlich wird :liese Lösung, wenn ich hinzufüge, daß ich ihr erst am Abend vorhor von solchen ana.lls— oder Syinptonihnnr'llungcn erzählt hatte. Sie berliuuhc >ich dann rlnr nlir:hslr-n Gr.-legonln-ib, um etwas Analogrs zu produzierun.§ 941Kine Gruppierung der so überaus häufigon lefillls— und
b'_vmpbomhundlungcn l;ömitn man vornolunon, je nachdem sin gmvulinlueitsmiißig, regelmäßig unter gewissen Umständen. oder vereinzelt erfolgen. Die ersteren (wie (las Spielen mit. der Uhrkutte, (las Zwirbcln am Barte usw.), die fast; zur Ohn—§ 942§ 943
IX. SYMP'I‘OM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. 233
ra.ktoristik der betreffenden Personen dienen können, streifen an die mamnigfall-igen Tikbeweg_rnngen und verdienen wohl im Zusammenhang?) mit letzteren behandelt zu werden, Zur zweißcn Gruppe rechne ich das Spielen7 wenn man einen Shock, das Kritmln, wenn man einen Bleistift, in der Hand liä„ll, dns Klimpern mit Münzen in der TuSehe, das Knetnn von T‘r‘ig‘ und anderen plaelischen SLul'l'«-n, allerlei Huntieruugen an seiner Gewandung u. dgl. mehr. Unter diesen epinlcndcn llesehiil'ti— gungcri verbergen sich während der psychischen Behandlung rl-gelmäßig Sinn untl Bedeutung, denen ein anderer Ausdruck versagt ist. Gewöhnlich weiß die beL1el'fende .l'ersnu nic:llfi$§ 944Llavon, daß sie dergleichen tut, oder «laß sie gewisse l\’[()(il[liflilr
§ 945tionen ;le ihrem gewöhnliuhcu Tändcln vor" nommen hat
und sie. übersicht und iib(rrliörb auch die Effekte dieser Ha,ncl« lungen. Sie hört, z. B. das Geräusch nicht, das Sie beim§ 946Klimpern mit; Gelflstücken hci‘vorläringt, und lienimmt sich wie
§ 947erstannk und unglüuhig, wenn man sie darauf aufmerksam
macht. Ebenso ist alles, was man, oft uhne es zu merken, mit seinen lilcir;lern vol‘nilnint, bedeutungsvoll und (ler Beachtung des Arzt4‘s wort. Jede Veränderung des gewohnten Aufzug-s, j€(lt‘ kleine Nziclilässiglieit, wie etwa, (rin nicht schließenrlcr linnpl', jede Spur von Enlblößung will etwas besa.gen, was der liige-ulilnnn‘ der Kleidung nicht direkt sagen will, meist gur nich\ zu sagen weiß. Die Deutungen dieser kleinen 7,nfnlls hand lungen sowie die, Beweise für diese Deutungen ergeben sich jedesmal mil. zurciehender Sicherheit; aus den Beglci'buuiß iin— [icli \\“ähl'i‘lld der Sitzung, uns dem chen ln?lm.ndelhcn Tlme untl aus den i‘:illfil.ilöll, \ilU sich einstellen. wenn man die Auf 1nerksumlicit nui' LiiL' anseheim‘ude Zufülligkcil lenkt. \chen Llit*ses.Znsmnmenhangns nulnrlasse ich es, meine Behauptun—§ 948gen durch Mitteilung von Beispielen mit, Analyse zu untoi'
§ 949§ 950
234 ' 1x. SYMPTOM— UNI) ZUFALLSHANDLUNGE
§ 951stützen; ich erwähne diese Dinge aber. weil ich glaube, daß
sie bei normalen Menschen dieselbe Bedeutung haben wie bei meinen Patienten.§ 952Ich kann es mir nicht, versagen, an wenigstens einem Bei«
spiel zu zeigen, wie innig‘ eine gewehnheitsgemäß ausgeführte Sy'mbolhandlung rnit dem Intinist0n und W'iehLigstcn im Le ben eines Gesunden verknüpft sein k;nin*z§ 953„Wie T’rofessnr Freud uns gelehrt. hat, spielt die Sym—
bolik im kindlichen Leben des Nni‘malen eine größere Rolle, als man nach l'rüheren psychozmalytischen Erfahrungen er— wartete: irn Hinblick darauf mug die folgende kurze Analyse von einigem Interesse sein, insbesninlere wegen ihrer medizi— nischen Ausblicke.§ 954Ein Arzt stieß bei der Wiedereinriehtung seiner Möbel in
einem neuen Heim auf ein .einfnchos‘ hölmrnes Stethuskap. Nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, wo er es rlenn oigenrlich uniorhringen solle, fühlte er sich gedrängt, es seitlich auf seinen Schreibtisch zu stellen, und zwar so. daß es genau zwischen seinem Stuhl und dem, worin seine Patienten zu sitzen pflegten, zu stehen kann. Die Handlung als solche w r aus zwei Gründen ein wenig seltsam. Erstens braucht er übcrhan1‘wt nicht oft ein Stethoskop (er ist nämlich Xourologv), und sobald er eines nötig" hat, beniifzt er ein doppeltes fiir beide Ohren. Zweitens waren alle seine iin-([ixinisolwn Apparate und l'nstrunmnte in Schubki'i<lfln untergebracht, init ;1]leiniger Aus nahme dieses einen Gleichwohl dnchte er nicle mehr an die Sache. bis ihn eines Tages eine Patientin, die noch nie ein ,einfnehes' ,Stethoskop gesehen hatte, fra.gt,e, was das sei. Er§ 955‘<‘* Beil ig zur Symbolik im Alltag von Ernest Jnnes, Toronto. Aus
ilclll Englischen übersetzt von 0110 Nun k, Wien, Zentralblatt. für Psycho—§ 956zinuly5&, ], 3 um.
§ 957§ 958
IX. SYMPTOM— UNI) ZUFALL°HANDLUNHEN. 235
§ 959sagte es ihr, und sie fragte7 warum er es gerade hivher gestellt,
habe, worauf er schlagfertig erwiderte, daß dieser Platz ebensm gut Wäre wie jeder ändern, Dies muchteihn jedoch stutzig und er begann nachzudenken, ob dieser Handlung nicht irgend eine unbewußbe Motivierung zu Grunde liege, und vertraut mit der psyclioanalytischcn Methode beschlnß er, die Suche zu erforschen.§ 960Als.crste Erinnerung fiel ihm die ’.l‘zili‘snche ein, daß als
Student. der Medizin die Gewohnheit seines Spit.ala.rztes LLH[ ihn Eindruck gemacht hatte, der immerwährend ein einfaches Stethuskop bei seinen Bosnchen in den Krankensälcn in der Hand gehalten hatte, obgloich er es niemals l)eniitztc. Er hatte diesen Arzt; sehr bewundert. und war ihm :n1ßerordcnllicli zu gelnn. Später, als er selbst die Spitalpra„xis ansübtc, nahm er die gleiche Gewohnheit an und hätte sich nnbehaglich gefühlt, wenn er durch ein Versehen sein Zimmer verlassen hätte, ohne das Instrument in der Han(i zu schwingen. Die Nutzlosigkcit dieser Gewohnheit zeigte sich jedoch nicht nur in der 'lfa.t snche, daß das einzige Stethcskop, welches er in Wirklichkeit benutzte, eines für beide Ohren war, das er in der Tasche trug, sondern auch darin, daß sie fortgesetzt wurde, als er auf dcr chirurgischc‘n Abteilung war und iiberhaupt kvin Stethoskop mehr brauchte. Die Bedeutung dieser Beobachtungen wird ,»sngloich klar, wenn wir auf die phallisehe Natur dieser sym— bolischen Handlung hinweisen.§ 961Als nächst-cs erinnerte er die Tatsache, daß ihn als kleinen
Jungen die Gewohnheit soinc‘s Hansarztes fmppicrt hatte, ein einfaches Sluthoskop im Innern seines iIulzes zu fragen; er fand es inl‘urvssant. (laß der Doktor win Hanptinstrnnicni itnnicrznr Hand habe. Wenn er Patienten lu‘suchen ging, und (1:1.ß (ir nur§ 962den Hut, (cl. i, uina‘n Teil SL‘illßl' Kleidung) ahzunclnncn und ,es:
§ 963§ 964
2336 IX. SYMP'I‘OM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 965heranszuziehen‘ hatte. Er war als kleines Kind diesem Arzi;e
überall—s anhänglioh gewesen und konnte kürzlich durch Selbst analyse nufclecken, daß er im Alter von dreieinhalb Jahren eine doppelte Phantasie in hei-,reif der Geburt einer jüngeren Schwe ster gehabt hatte: nämlich, daß sie das Kind war erstens von ihm selbst und seiner Mutter, zweitens vorn Doktor und ihm selbst. In dieser Phantasie spielte er also sowohl die männliche Wie die Weibliche Rolle, Er erinnerte ferner, im Alter von sechs Jahren von demselben Arzt- nntersucht werden zu sein, und entsinnt sich deutlich der wollüsitigen Empfindung, als er den Kopf des Dolcbors, der ihm das Stethoskop an die Brust drückte, in seiner Nähe fühlte;sowic der rhythmisch hin- und her-gehenden Atmungshewegung. Im Alter von drei Jahren hatte er ein chronisches Brustiibel gehabt und mußte wiederholt untersucht werden sein, wenn er das auch tal, sä.chlich nicht mehr erinnern konnte.§ 966Im Alter von acht Jahren machte die Mitteilung eines
älteren Knaben Eindruck auf ihn, der ihm sagte, es sei Sitte (les Arztes, mit: seinen Patientinnen zu Bette zu gehen. Es gab Sicherlich in Wahrheit einen Grund zu diesem Gerüchte, und auf alle Fälle waren (lie Frauen (ler Nachbarschaft, einschließ lich seiner eigenen Mutter, dem jungen und netten Arme sehr zugetan. Der Analysierte selbst hatte bei verschiedenen Ge legenheiten sexuelle Versuchungen in bezug auf seine Patien tinnen erfahren, hatte sich zweimal in solche Verliebt und schließlich line geheiratet. Es ist, kaum mveil’elhnft, daß seine nnbewußte Identifizierung mit; dern Doktor der hauptsäch liohst,e Grund war, der ihn be\vog, den Beruf des Mediziners zu ergreifen, Aus anderen Analysen läßt sich vermuten, daß dies sinhcrliuh dus häufigste Motiv ist; (obgleich es schwer ist§ 967zu. bestimmen, wie häufig). Im vorliegenden Falle war es
§ 968§ 969
1x. SYMP'I‘OM- UND zuruanmNnmnenu. 237
§ 970zweifach bedingt: erstens durch die bei mehreren Gelegen
heiten erwiesene Überlegenheit des Arztes dem Vater gegen über, auf den der Selm sehr eifersürzhtig war. und zweitens durch des T)0kbors Kenntnis verbotener Dinge und Gelegen— heiten zu sexueller Befriedigung.§ 971Dann kam ein bereits anclerwä,rts veröffentlichtcr Traum*
von deutlich homosexuell-musochist.ischer N:i,t.ur, in welchem ein Mann, der eine Ersatzfig°ur des Arztes ist, den Trii,mner mit. einem ,Schwert‘ a-ngrifi. Das Schwert erinnerte ihn an eine Gosohiehtegin der Völsung-Nibe1ungcn—Sagc, wo Sigurd ein bloßes Schwert zwischen sich und die schlafende Briinhilde legt. Die, gleiche Geschichte kommt in der Arthusßuge vor, die unser Mann ebenfalls genau kennt.§ 972Der Sinn der Symptomhancllung wird nun klar. Der Arzt
hatte das (‘infachn Stethoskop zwischen sich und seine Patien tinnen gestnllt_ genau so wie Sigurd sein Schwert zwischen-sieh und die, Frau legte, die er nicht berühren durfte Die Handlung wari>ine Knmpunnißbildung; sie diente zweierlei Regungen: in eeiner Einbildung dem unterdriiokinen Wunsche nachzugelnen, mit irgend einer reizenclen Patientin in sexuelle Beziehungen zu inet-,en, ihn aber zugleich zu erinnern, daß dieser l/Vunsch nicht, verwirklicht werden konnte. Es war sozusagen ein Zauber gegen die Anfechtungen der Versuchung.§ 973Ich möchte hinzufügen, (laß auf den Knaben die Stelle uns
Lord L yttons Richclieu großen Eindruck machte:§ 974,Bencath the rule of men eutirely great
§ 975The pen is mightier than the sword'**,
§ 976* „Freuri‘s Theory o[ Dreams“, American Journ. of Psyclml„ Aprii
imo, p 301, Nr 7.§ 977** Vgl. Oll.llliLlfls „) wear my pen as others (lo their swm'cl".
§ 978§ 979
238 [X. SYMPI‘OM- UND ZUE‘ALLSHANDLUNGEN.
§ 980daß er ein fruchtbaror Schriftsteller geworden ist und eine
a.ußcrguwölnilioh große Fiillferler heniitzb. Als ich ihn fragte, wozu nr dies nötig ha,he_ crwirlerte er charaktm:istisuhcrwcisc: ,Ich habe sovinl anszndrilt‘kun.‘§ 981Diese Analyst) mahnt, uns \vitxjh-,T einmal daran, wr-10h weit
reichende Einblicke in das Seelenleben uns die ,harmlosen‘ und ,sinnlosen‘ Handlungen gewähren, und wie frühzeitig im Leben die Tend<=nz zur Symbolisierung entwickelt ist.“§ 982Ich kann noch etwa aus meiner psyclrothempcutisehon Er
fahrung einen Fall erzählen, in dem die mit. einem Klnmpcn Brotkrmno spielende Hand eine bercdte Aussage ablegtc. Mein Patient war ein noch nicht 13jä,hrigcr, seit fast zwei Jahren schwer hysterisclrer Knabe, «len ich endlich in psychoa.naly i,ischr.x Behandlung nahm, nachdem ein längerer Aufenthalt. in cinr‘r Wasserheilanstalh sich erfolglos erwiesen hatte. Er mußte nach meiner Voraussetzung sexuelle Erfahrungen gemacht. haben und seiner Altersstufe entsprechend von sexuvllon Fra— gmi goqnält. sein: ich hütr—m mich aber, ihm mit Aufklärungen zu Hilfe zu kommen, weil ich Wieder einmal eine Probe auf . meine. \?nrausseiznngen anstellen wollte. Ich durfte also neu» givrig sein, auf welchem Wege sich das Gesuchte bei ihm an rlcntrn Würde. Da fiel es mir auf, daß er cinos Tages irgend etwas zwischen den Fingern der rechten Hand rollLe, damit, in die Tasche fuhr, dort \veitnr spielte, es windnr hurvorzng usw. Ich fragte nicht, was er in dor Hand habe; er zeigte es mir aber, indem er plötzlich die Hand öffnete. Es war Brot.krume, die zu oinmn Klumme zusammnngcknctel- war, In der nächsten Sitzung brachte er wieder einen solchen Klumpen mit, formte almr aus ihm, während wir das Gespräch führten, mit unglaub licher Rnschheit und bei gnschlnssenen Augen Figuron, die mein Interesse crregtvn. Es waren nnzwcifclhafl .\'Iä.nnchun§ 983§ 984
[X. SYMPTOM- UND ZU'FAILSHANDLUNGEN. 239
§ 985mit, Kopf; zwei Armen, zwei Beinen, wie die rohesten priihisfio
rischen l]<lole, und einem Fit)l‘tSiltZ zwischen beiden Beinen, den er in eine lange Spitm n,nszng_ Kaum daß dieser gefertigt war, kn-ntebe er das Männchen wieder iuszunnlon; später ließ er es bestehen, zog aber einen ebensnlchcn Fortsatz an der Riickcnflächn ,und an anderen Stellen :ms, um die Bedeutung des, ersten 7,11 verliiillcn. Ich wollte ihm zeigen, wie, ich ihn verstanden hatte, ihm aber dabei die Aus[lunht benehnwn, rlnti er sich bei dieser menschenförmnndcn Tätigkeit nichts gedacht habe In dieser Absicht, fragte ich ihn plötzlich, ob er sich un die Geschichte jenes römischen Königs erinnere, der dem Ab gesaudben seines Sohnes eine panbornimische Antwort: im Garten gegeben. Der Knabe wollte sich nicht an das erinnern7 was er doch vor so viel kürzerer Zeit als: ich gelernt haben mußte, El‘.fl‘élgßfl, ob das die Gesehichin von dem Sklaven sui, auf dessen glabtrn.sierteli Schädel man die. Antwort geschrieben habe. Nein7 das gehört in die griechische Geschichte, sagte ich und erzählte: Der König Ta.rqninins Superhan hatte seinen Sohn Sextns veranla.ßt, sich in eine feindliche ln,t.inische Stadt einzuschleinhen, Der Sohn, der sich unlerdes Anhang in dieser Stadt verschafft hatte, schickte einen Boten an (Inn König mit der. Frage. was nun Weiter geschehen solle, Der König gn.b keine Antwort, sondern ging in seinen Gnrten, ließ sich dort die Frage wiederholen und schlug snhweigcnrl die größten und schönsten Mohnköpfe ab. Dein Boten blieb nichts übrig als dieses (,lern Sextus zu berichten, der den Vater verstand untl es sich angelegen sein ließ, die a,ngnsnhmiston Bürger der Stadt durch Mord zu beseitigen.§ 986Während ich rndßtc, hielt der Knabe in seinem Knoten inne,
und als ich mich anschicklr: zu erzählen, was der König in§ 987seinem Garten tat, sehon bei den Worten „schlug schweigend“,
§ 988§ 989
240 IX SYMI‘TOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 990hatte er mit einer blitzsclinellen Bewegung seinem Männchen
den Kopf abgerissen. Er hatte mich also verstanden und ge— merkt, (lnß er von niir verstanden werden war. Ich konnte ihn nun direkt befragen, gab ihm fiie Ausk1"1nfte7 um die es ihm zu tun war, und wir hatten binnen kurzem der Neuruse ein Ende gemacht.§ 991Die Symptomhancllungen, die man in fast unersohöpflicher
Roic:hhaltigkeit bei Gesunden wie bei Kranken beobachten kann, verdienen unser Interesse aus mehr als einem Grunde. Dem Arzte dienen sie alt als wertvolle VVinke zur Orientierung in neuen oder ihm wenig bekannten Verhältnissen, dem Men— schenbeoba,chter vermth sie oft alles und mitunter selbst mehr, als er zu wissen wünscht. Wer“ mit ihrer Würdigung var-traut ist, darf sich gelegentlich wie der König Salome vor kommen7 der nach der orientalischen Sage die Sprache der Tiere verstand. Eines Tages sollte ich einen mir fremden jungen Mann im Hause seiner Mutter ärztlich untersuchen. Als er mir entgegcnt.rat, fiel mir ein großer Eiweißflock, kennt— lich an seinen eigentülnlich sin.rren Rändern, auf seiner llnse auf. Der junge Mann entschuldigte sich nach kurzer Verlegen— heit, er habe sich heiser gefühlt und*dzmun ein rohes Ei gn— trunken. von dem \\‘iihl‘schßluliöil etwas schlüpfriges Einieiß auf seine Kleidung herabgcronnen sei, und konnte zur Restii» tigung auf die l‘liorschalr: hinweisen, die noch au[ einem Tel» lerchen im Zimmer zu sehen war. Somit war der suspekbe Fleck in harmloser “’eise aufgeklärt; als aber die Mutter uns allein gelassen hatte, dankte ich ihm, daß er mir die Diagnnse so sehr erloichiert habe, und nahm ohne weiteres sein Geständnis, daß er unter den Beschwerden der l\Iusturbation leide, zur Grundlage unserer Unterhaltung. Ein anderes Mal machte ich§ 992einen Besuch bei einer ebenso reichen wie geizigen und nür—
§ 993§ 994
IX. SYMPTOM- UND ZUFALT.SHANDLUNGEN. 241
§ 995rischen Dame, die dem Arzte die Aufgabe zu stellen pflegte,
sich durch ein Heer von Klagen durchzuarbeiizen, ehe man zur sinipeln Begründung ihrer Zustände gelangte. Als ich eintra,t, saß sie bei einem Tischchen damit beschäftigb, Silhergulden in Häufchcn zu schichtcn, und während sin sich erhob, warf sie einige der Geldstüeke zu Boden, Ich half ihr beim Auf: kla.uben derselben, unterbrach sie bald in der Schilderung ihres Blende und. fragte: Hat Sie also der vornehmn Schwiegersohn um soviel Geld gebracht? Sie antwortete mit erbiizterber Ver ncinung. um die kürzeste Zeit nachher die kliigliche Geschichte von dor Aufregung über die Verschwendung des Schwieger sohnes zu erzählen, hat mich aber allerdings seither nicht. wieder gerufen. ich kann nicht. behaupten, daß man sich immer Freundfl unter denen wirbt, denen man die Bedeutung ihrer Syrnpi;omhandlungen mitteilt.§ 996Ein anderes „Eingeständnis durch Fehlhrrndlung“ berichtet
Dr. J. E. G. van Emden (Haag): „Beim Zahlen in einem kleinen Restaurant in Berlin behauptete der Kellner, daß der" Preis einer bestimmten Speise — des Krieges wegen « um 10 Pfennig erhöht werden war; meine Bemerkung, warum das auf der Preisliste nicht angezeigt worden war, beantwortebe er mit der Erwiderung'. daß dies offenbar eine Unterlassung sein müßte, daß es abhr gewiß so wall .l’miin Einstecken des Be trages war er ungeschickt und ließ ein Zehnpfemligstiick gerade für mich auf den Tisch nieder'fallenll§ 997,Jetzt weiß ich aber sicher, daß Sie mir zuviel gerechnet
haben, wollen Sie, daß ich mich an der Kasse erkundigel‘§ 998,Bitte, gestachn Sie... einen Moment...‘ und fort war
er schon.§ 999Selbstverständlich gönnfe ich ihm den Rückzug und7 nach
rle:in er zwei Minuten später sich entschuldigtr, unbegreiflicher§ 1000Freud, ruychopmoiogie des Allngslehenu. VIII. Aufl. 16
§ 1001§ 1002
242 1x. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 1003weise mit einer anderen Speise im Irrtum gewesen zu sein, die
zehn l’fennige als Belohnung für seinen Beitrag zur Psyche— pathologie des Alltagslebensf‘§ 1004Wer scine Nebenmenschen Während des Essens beohneliteii
Will, wird die schönsten und lehrreiehsten Symptmnha.nrllungen an ihnen feststellen können.§ 1005So erzählt Dr. Hanns Sur-,hs:
§ 1006„th war zufällig zugegen1 als ein älteres Ehepaar meiner
Verwandtschaft das Abendessen einnahm. Die Dame war iiiagenleidend und mußte sehr strenge Diät halten. Dorn Mamma war eben ein Braten vorgesetzt werden, und er hat seine Fran, die Sich an dieser Speise nicht beteiligen durfte, um den Senf. Die Frau öffnete den Schrank1 griff hinein und stellte vor ihren Mann das Fläschchen mit ihren Mag +ntropfen auf den Tisch. Zwischen dem faßlönnigwen Senfglase und dem kleinen Tropf fläsehchen bestand natürlich keine Ähnlichkeit, uns der der Mißgriff erklärt werden konnte; trotzdem bemerkte die Frau ihre Verwechslung erst, als der Gatte sie lachend darauf auf merksam macht/&.§ 1007Der Sinn der Symptomhzmdlung bedarf keiner Erklärung.“
§ 1008Ein köstlichcs Beispiel dieser Art, das vom Beobachter
sehr geschickt ausgebeulet wurde, verdanke ich Dr. Bernh. Dat-tue r (Wien):§ 10094 „Ich sitze mit; meinem Kollegen von der Philosophie,
Dr, H„ im Restaurant beim Mittagessen. Er erzählt von den Unbilden der Probekandiclatur, erwähnt nebenbei, daß er vor der Beendigung seiner Studien beim Gesandten resp. hevoll— mächtigten nnßerordentliehen Minister von Chile als Sekretär untergekommen war, ,Dann wurde aber der Minister versetzt und dem neu antretemlen habe ich mich nicht vorgestellt.‘ Und wiihrend er diesen letzten Satz nusspriohl„ fiihrt; er ein§ 1010§ 1011
IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. 243
§ 1012Stück Torte zum Munde, läßt es aber, wie aus Ungeschickiinh
keit, vom Messer herabfallen. Ich erfasse sofort den geheimen Sinn dieser Symptomhandlung und werie dem mit der Psycho analyse nicht vertrauten Kollegen wie von ungefähr ein: ,Da. haben Sie aber einen fetten Bissen fallen lassen.“ Er aber merkt nicht daß sich meine “"orte ebensogut auf seine Symptom handlung beziehen können, und wiederholt mit einer smiclcrbar anmutenden überraschenden Lebhnftigkoit, so als hätte ieh ihm förmlich das “’ort aus dem Munde genommen, gerade div selben Worte, die ich ausgesprochen: ,Ju„ das war wirklich ein fetter Bisscn, den ich fallen gelassen habe‘ und erleichtert sich dann durch eine erschöpfemle Darstellung seiner Ungeschick lichkeit. die ihn um diese gut bezahlte Stellung gebracht hat.§ 1013Der Sinn der symbolischen Symptomhandlung erleuehtct
sich, wenn man ins Auge fußt, daß der Kollege Skrupel emp fand, mir, der ihm ziemlich ferne steht, von seiner prckiiren materiellen Situation zu erzählen., daß sich dann der verdrän— gende Gedanke in eine Syrnptonrhandiung kleidete, die sym bolisch ausdriiekt, was hätte verborgen werden sollen, und so mit dem Sprecher aus dem Unbewußten Erleichterung schuf.“§ 1014Wie sinnreioh sich ein scheinbar nicht bea-bsichtigtes VVeg—
nehmen oder Mitnehmen herausstellen kann, mögen folgende Beispiele zeigen. _§ 10151. Dr. B. Dattner: „Ein Kollege stattet seiner verehrten
Jugendfrcunclin das erstemal nach ihrer Eheschließung einen Besuch ab. Er erzählt mir von dieser Visite und drückt mir sein Erstaunen dariiber aus, daß es ihm nicht gelungen sei, sich nur ganz kurze Zeit, wie er es vor hatte, bei ihr zu ver— weilen. Dann aber berichtet er von einer sonderbaren Fehl— leistung, die ihm dort zugestoßen sei.§ 1016Der Mann seiner Freundin, der um Gespräche teilgenom
§ 101715*
§ 1018§ 1019
244 IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. '
§ 1020mon habe, hätte eine Zün<lhölzohenschachtel gesucht, die ganz
bestimmt bei seiner Ankunft auf (ler Tischplatte gelegen sei. Auch der Kollege habe seine Taschen durchsucht, ob er ,sie‘ nicht zufällig ,eingesteekt‘ habe, doch vergebens, Geranmc Zeit danach habe er ,sie‘ tatsächlich in seiner Tasche ent deckt, wobei ihm aufgefallen sei, dal?» nur ein einziges Zünd hölzchen in der Schachtel gelegen war.§ 1021Ein paar Tage später bestätigt ein Traum, der die
Schachtelsymbolik mrfdringh'ch zeigt und sich mit der Jugend freundin beschäftigt, meine Erklärung, daß der Kollege mit seiner Symptomhzrncllung Prioritäfsrechtc reklamieren und die Aussehließliphkeit seines Besitzes (nur ein Ziindhölzchen_drin nen) darstellen wollte.“§ 10222, Dr. Hanns Sachs:
§ 1023„Unser Mädchen ißt eine bestimmte Torte besonders gern.
An dieser Tatsache ist kein Zweifel möglich, denn es ist die einzige Speise, die sie ausnahmslos gut zubereitet.. Eines Sonn— tags brachte sie uns eben diese Torte, stellte sie auf der Kre denz al), nahm die beim vorigen Gang berriitzten Teller und Bestecke und häuft-e sie auf die Tasse, auf der sie die Torte heroingetragen hatte; auf die Spitze dieses Haufens placiorte sie dann wieder die Torte, anstatt Sie uns vorzusetzen, und ver— schwand damit in die Küche, Wir meinten zuerst, sie habe an der Torte irgend etwas zu verbessern gefunden, da sie aber nicht Wieder erschien, läutete meine Frau und fragte: ,Betty, was ist denn mit; der Torte los 7‘ Darauf das Mädchen ohne Verständnis: ,Wieso '." Wir mußten sie erst darüber aufklären, daß sie die Torte wieder mitgenommen habe; sie hatte sie aufgeladen, hinausgetra,gen und wieder abgestellt, ,ohne es zu bemerken‘.§ 1024Am nächsten Tage, als Wir uns daran machten, den Rest
§ 1025§ 1026
lX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLL‘NGEN. 245
§ 1027dieser Torte zu verzehren1 bemerkte meine Frau, daß nicht
weniger vorhanden war, als wir am Vortag übrig gelassen hatten, daß also das Mädchen das ihr gobülnende Stück der Lieblingsspeise verschmäht hatte, Auf die Frage, warum sie nichts von der Torte gegessen habe, antwortete sie leicht ver legen, sie habe keine Lust gehabt,§ 1028Die infnntile Einstellung ist, beide Male sehr deutlich; erst
die kindliche Maßlosigkeit, die das Ziel der Wünsche mit niemandem teilen Will, dann die ebenso kindliche Reaktion mit Trotz; wenn ihr es mir nicht gönnt, so behaltet es für euch, ich will jetzt gar nichts haben.“§ 1029Die Zufalls- oder Symptomhandlungen, die sich in Ehn—
snchen ereignen, haben oft die ernsteste Bedeutung und könn— ten den, der sich um die Psychologie des Unbewußtcn nicht bekiimmern will, zum Glauben an Vorzeichen nötigen. Es ist kein guter Anfang, wenn eine junge Frau auf der Hoehzeitsreise ihren Eher-ing verliert, doch war er meist nur verlegt und wird bald wieclergefunclen. —— Ich kenne eine jetzt von ihrem Marine goschinrlcne Dame, die bei der Verwaltung ihres Vermögens Dokumente “häufig mit ihrem Mädchennamen unterzeichnet hat, viele Jahre vorher, ehe sie diesen wirklich wieder annahm. — Einst war ich als (last bei einem jung verheirateten Paare und hörte die junge Frau luchend ihr letztes Erlebnis erzählen, wie sie am Tage nach der Rückkehr von der Reise Wieder ihre ledige Schwester aufgesucht hätte, um mit ihr, wie in früheren Zeiten, Einkäufe zu machen, während der Ehemann seinen Geschäften nachging. Plötzlich sei ihr ein Herr auf der anderen Seite der Straße aufgefallen, und sie habe ihn- Suhwester an st013cnd gerufen: Schau, dort geht ja, der Herr L. Sie, hatte vergessen, daß dieser Herr seit einigen Wochen ihr Ehegema.hl war, Mich iiberlief es kalt bei dieser Erzählung, eher ich ge§ 1030§ 1031
246 [X. SYMP'1'OM- UNI) ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 1032trautc mich der Folgerung nicht. Die kleine Geschichte fiel
mir erst Jahm später Wieder ein, nachdem diese Ehe den un gliicklichsbcn „Ausgang genommen hatte. .§ 1033Den Ihe:nehiaenswcrtcn, in französischer Sprache veröffent
lichten Arbeiten von A Maßder* in Zürich entnehmc ich folgende Benlnmhtnng die chonsowohl einen Platz beim „Vor gessen“ verdient hätte:§ 1034„Uno daran nous ra.contait récemment qu’ullc a.vait onblié
(l’essziyer sa rohe de 11000 et s’en souvint la, veilln du mariage ;] huit heures du ,wir, lacouturiére dés»espéru,it de voii" sa cliente. Ce détail suffit ä. n‘mntrer que la, finncée ne se senta.it pas trös heurouse do port-cr mm robc d’épouse, elle cher-chuit ;‘1. bilhlier cette repräsentatinn pénible. Elle ost aujourd’hni . . . . clivorcée,“§ 1035Von der großen Schauspielerin Eleonor:l Duse erzählte
mir ein Freund, der auf Zeichen achten gelernt hat, sie bringe in einer ihrer Rollen eine Sympton1hauclluug an, die so recht zeige, aus welcher Tiefe sie ihr Spiel hcraufhole. Es ist ein Ehebruchsdramu; sie hat; eben eine Aiisoinfl„ndersetzung mit ihrem Hanne gehabt und steht nun in Gedanken abseits, ehe sichihr der Vorsucher nähert. In diesem kurzen Intervall spielt 'sie mit; dem Ehering an ihrem Finger, zieht ihn ab, um ihn wieder anzustecken, und zieht ihn wieder ab. Sie ist; nun reif für den anderen.§ 1036Hier schließt am, was Th. Reik (Internat. Zeit-schrift für
Psychoanalyse, III, 1915) von anderen Symptomhandlungen mit. Ringen erzählt.§ 1037„Wir kennen die Symptomhandlungc-,n, welche Eheleute
ausführen, indem sie den Trauring abziehen und Wieder an—§ 1038* Alph. l\lueder, Cnniributivns ä. la psychupzttlmlogic de la vie
quoLidienuc, Archives des Psychologie, T VI, 1806.§ 1039§ 1040
[X. SYMPTOM— UND ZUFALLSHANDLUNGEN. V 247
stecken. Eine Reihe ähnlicher Symptom_handlnngen produzierte mein Kollege M. Er hatte von einem von ihm geliebten Mäd chen einen Ring zum Geschenk erhalten, mit dem Bernerken, er dürfe ihn nicht verlieren, sonst wisse sie, clnti er sie, nicht mehr lieb habe. Er nntfnltete in der Folgezeit eine erhöhte Be— sorgnis. er könnte «len Ring verlieren. Hatte er ihn zeitweilig, z. B". beim Waschen abgelegt, so war er regelmäithe,r verlegt, so daß es oft langen Suchens bedurfte, um ihn wieder zu er— langen. Wenn er einen Brief in den Postkasten warf, konnte. er die leise Angst nicht unterdrücken, der Ring könnte von den Rändern des Briefkastens abgezogen werden. Einmal }mntiertc er wirklich so ungeschickt, daß der Ring in den Kasten fiel. Der Brief, den er bei dieser Gelegenheit absandte, war ein Ab schiedssehreiben an eine l'rühere Geliebte von ihm gewesen, und er fühlte sich ihr gegenüber schuldig-. Gleichzeitig er wachbe in ihm Sehnsucht nach dieser Frau, welche mit seiner Neigung zu seinem jetzigen Liebesobjekt in Konflikt kam.“ An dem Thema des „Ringes“ kann man sich wieder einmal den Eindruck holen, wie schwer es für den Psychoanalytiker ist, etwas Neues zu finden. Was nicht ein Dichter vor ihm gevvußt hätte. In Fontanes Roman „Vor dem Sturm" sagt Justizrat Tu rgany während. eines Pfänderspieles: „Wollen Sie es glau ben, meine Damen, daß sich die tiefsten Geheimnisse der Natur in der Abgabe der Pfänder effenbaren.“ Unter den Beispielen, mit denen er seine Behauptung erhärtet, verdient eines unser besonderes Interesse: Ich entsinne mich einer im Embonpoint alter stehenden Professoronfrzm, die mal auf mal ihren Trau ring als Pfand vom Finger zog, Erlassen Sie mir, Ihnen das eheliche Glück des Hauses zu schildern.“ Er setzt dann fort: „In derselben Gesellschaft befand sich ein Herr, der nicht, müde wurde, sein englisches Taschenmesser, zehn Klingen§ 1041§ 1042
245 IX. SYMPTOM- UND ZL‘FALLSHANDLUNGEN.
mit Korkzieher und Feuerstuhl. in den Schoß der Dame zu deponienen, bis das Klingenmonstrum, nach Zerreißnng meh rerer Seidenhleider, endlich vor dem allgemeinen Entrüshlngs Schrei verschwand,"§ 1043Es wird uns nicht wundernehmen, daß ein Objekt von so
reicher symbolischer Bedeutung wie ein Ring auch dann zu sinnreichen Fehlhandlungen verwendet wird, wenn es nicht als Ehe- oder Verlobungsring die erotische Bindung bezeichnet. Dr. M. Kardos hat, mir nachstehendes Beispiel eines der art-ian Vorknon1rnnisses zur Verfügung gestellt:§ 1044„Eine Fehlhnndlung als Bekenntnis.
§ 1045Vor mehreren Jahren hat, sich mir ein um vieles jüngerer
Mann angeschlossen1 der meine geistigen Bestrebungen teilt und zu mir etwa. im Verhältnis eines Schülers zu seinem Lehrer steht. Ich habe ihm zu einer bestimmten Gelegenheit einen Ring geschenkt, und dieser hat ihm schon mehrerennul Gelegenheit zu Symptom— resp. Fehlhnncllungcn gegeben, so— bald in unseren Beziehungen irgend etwas seine Mißbilligung gefunden “hatte Vor kurzem wußte er mit folgenden, besonders hübschen und durchsichtigen Fall zu berichten: Er war von einer einmal \\‘öohentlich stattfindenden Zusammenkunft, bei der er mich regelmäßig zu sehen und zu sprechen pflegte, unter irgend einem Vorwand ausgebliehen, da, ihm eine Ver abreclung mit einer jungen Dame wünsehenswerter erschienen war. Am darauffolgenden Vormittag bemerkte er, aber erst als er schon längst das Haus verlassen hatte, daß er den Ring nicht am Finger trage, Er beunruhigte sich darüber nicht weiter, da, er anna-hm, er habe ihn daheim auf dem’ Nachtküst— chen, wo er ihn jeden Abend hinlegto, vergessen und werde ihn beim Nachhansekornmen dort finden. Er sah auch gleich nach§ 1046§ 1047
IX. SYMPTOM- UNI) ZUFALLSHAN'DLUNGEN. 249
§ 1048der Heimkehr nach ihm, aber vergeblich, und begann nun,
ebenso erfelglos, das Zimmer zu durchsuchen. Endlich fiel ihm ein1 daß der Ring »— wie übrigens schon seit mehr als einem Jahre , . auf dem Nachtlcästchen neben einem kleinen Messer— chen gelegen sei, das er in der \Vestentasohe zu tragen gewohnt war; 'so verfiel er auf die Vermutung er könnte ,aus Zerstreut heit‘ der: Ring mit dem Messer eingesteckt haben. Er griff also in die Tasche und fand dort wirklich den gesuchten Ring.§ 1049,Der‘Ehering in der Wostentnsche‘ ist die sprichwörtlicho
Auibewahrungsart. für den Ring, wenn der Mann die Frau„ von der er ihn empfangen hat, zu betrügen beabsichtigt. Sein Schuldg\cfühl hat ihn also zunächst zur Selbstbestrafung (,Du verdienst es nicht mehr, diesen Ring zu. tragen‘), in zweiter Linie an dem Ehigestiindnis; seiner Untreue veranlaßt, aller— dings bloß in der Form einer Fehlhandlung, die keinen Zeugen hatte. Erst auf dem Umweg über den Bericht davon — der allerdings voraussehbnr war — kam es zum Eing-estänclnis der begangenen kleinen ,Untreue‘.“ _§ 1050Ich weiß auch von einem älteren Herrn1 der ein sehr junges
Mädchen zur Frau nahm und die Hochzeitsnacht anstatt ab zuroisen in einem Hotel der Großstadt zuzubringen gedachte. Kann) im Hotel angelangt, merkte er mit Schrecken, daß er seine Bi'ieftascbe, iu (ll'l' sich die ganze für die Houhzeitsreise bestimmte Geldsnn.rme befand, vermisse, also verlegt oder ver 'loren habe. Es gelang noch, den Dinner telephonisch zu er reichen, der das Vermißte in dem abgelegten Rock des Hoch zeiters auffancl und dem Harrenclen7 der so ohne Vermögen in die: Ehe gegangen war, ins Hotel brachte. Er konnte also am nächsten Morgen die Reise mit seiner jungen Frau an— treten; in der Nacht selbst war er, wie seine Befürchtnng vorausgesehen hatte, „unvcrmögencl“ geblieben. —§ 1051§ 1052
250 IX. SYM'PTOM— UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 1053Es ist 'tröstlich zu denken, daß das „Verlie ren“ der Men
schen in ungeahnber Ausdehnung Symptomha,ndlung und. so mit wenigstens einer geheimen Absicht des Verlustträgers will kommen ist. Es ist oft nur ein Ausdruck der geringen Schät— zung des' verlorenen Gegenstandes ‘Dd01' einer geheimen Ab neigung gegen denselben oder gegen die Person, von der er herslammt, oder die Verlustneig‘ung hat sich auf diesen Uc gw‘.ustancl durch symbolische Gerlankenverbiuclung von anderen und bedeutsa.rneren Objekten her; übertragen. Das Verlieren \v<rtvoller Dinge dient manmigfaohcn Regungen zum Ausdruck, es soll entweder einen verdräné‘oen Gedanken symbolisch dar— stellen, „also eine Mahnung wiederholen, die man gern über hörnn möchte, oder es soll — und. (lies vor allem anderen —— den dunklen Schicksalsrnäehten — Opfer bringen, deren Dienst auch unter uns noch nicht erloschen ist*. _§ 1054* Hier nach eine kleine Sammlung mannigfaltigcr Symptomha.ndlun
gen bei Gesunden und Neurotikern: Ein älterer Kollege, der nicht gern im Kartenspiel verliert, hat eines Abends eine größere Verlustsurmne klag los, aber in eigenl,ümlich verhaltener Stimmung ausgemhlt, Nach seinem Weggehen wird entdeckt, daß er so ziemlich alles, was er bei sich trägt, auf seinem Platz zurückgclassen hat: Brille, Zigarrenl.usche und Snektuch. Das Iordert wohl die Übersetzung: Ihr Räuber, ihr habt mich da schön ausgepliindert. — Ein Mann, der an gelegentlich auflmtender sexueller Impotenz leidet, welche in der Innigkeil._ seiner Kinderbozielmngen zur Mutter begründet ist, berichtet, da-B er gewohnt ist, Schriften und Auf zeichnungen mit einem S, dem Anfangsbuchstaben des Numens seiner' Mutter, zu verzieren, E: verträgt es nicht, daß Briefe vom Hause aul seinem Schreibtisch in Berührung mit, anderen unheil.igen Briefsehuften geraten, und ist; darum genötigt, erstere gesondert aufzubewuhren. — Eine junge Dame reißt plötzlich die Tür des Behandlungszimmers auf, in dem sich noch ihre Vorgängerin befindet. Sie entschuldigt sich mit? „Gedankenlosigkeit“; es ergibt sich bald, daß sie die Neugierde demon striert hat, welche sie seinerzeit ins Schlafzimmer der Eltern dringen§ 1055§ 1056
IX. SYMPTOM— UND ZUFALLSHANDLUNGEN. , 251
§ 1057Zur Erläuterung dieser Sätze über das Verlicren nur einige
Beispiele:§ 1058Dr. B. Dattner. „Ein Knllege berichtet. mir, daß er seinen
Penkalastift, den er bereits über zwei “Jahre besessen habe und§ 1059ließ. —— Mädchen, die. null ihre schönen Haare stolz sind, wissen so ge
schickt mit Kamm und Haarnwdeln umzugehen, daß sich ihnen mitten im Gespräch die Haare lösen. „_ Manche Männer zerstreuen wiihrend der Behandlung (in liegender Stellung) Kleingeld aus der Hosentasche und honorieren so die Arbeit der Behandlungsstunde je nach ihrer Schätzung. — Wer beim Amt einen mitgebrachten Gegenstand wie Zwicker, Hand— schuhe, Täschchen vergillt, rle‘utot damit an, daß er sich nicht losreißen kann und gern bald wiederkommen möchte, E. Jones sagt: One can almost measure the success with which & phy:,icinn is practising psyuhcr therapy, for instance by the size of the collection of umbmllns, hand kerchiefs, purses, and so on, that he could make in a month. — Die kleinsten gewohnheitsmäßigen und mit minimaler Aufmerksamkeit aus gaiiihrtcn Verrichtungcn, wie. das Aufziehen der Uhr vor dem Schlafen gehen, den Auslöschen des Lichtes vor dem Verlassen des Zimmers u. in., sind. gelegentlich Störungen unterworfen, welche den Einfluß der unbe wußteu Komplexe auf die angeblich stärksten „Gewohnheiten“ unverkenn bu-r demonstrieren. Maeder erzählt in der Zeitschrift „Coenobium“ von einem Spitalarzte, der sich eines Abends einer wichtigen Angelegenheit wegen entschloß, in die Stadt zu gehen, obwohl er Dienst hatte und das Spital nicht hätte verlassemsollen. Als er zurückkam, bemerkte er zu seinem Erstaunen Licht in seinem Zimmer. Er hatte, was ihm früher nie geschehen war, vergessen, bei seinem Weggehen dunkel zu machen. Er hesnnn sich aber bald auf das Motiv dieses Vergesscns. Der im Hause wohneth Spitaldirektor mußts ja aus dem Licht im Zimmer seines In terne den Schluß ziehen, daß dieser im Hause sei. —— Ein mit Sorgen iiberbürdeter und gelegentlich Verstimmungen unterworfener Mann vor sicherte mir, daß er regelmäßig am Morgen seine Uhr abgelaufen finde, wenn ihm am Abend vorher das Leben gar zu hart und unfreundlich cr— suhienen sei. Er drückt also durch die Unterlassung, die Uhr aufzu zjehen, symbolisch aus, daß ihm nichts daran gelegen sei, den häßhstcn Tag zu erleben. — Ein ander-or, mir persönlich unbeluunit, schreibt: „Von§ 1060§ 1061
252 1x. smpron UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 1062der ihm seiner Vorzüge wegen sehr wertvoll geworden sei, un
vorxnutet verloren habe. Die Analyse ergab folgenden Tat— bestand: Am Tage vorher hatte der Kollege von seinem Schwa— ger einen empfindlich unangenehnien Brief erhalten, dessen Schlußsa.tz folgendermaßen lautete: ,ich habe vorläufig weder§ 1063einem hauen Schicksalsschlage betroffen, erschien mir das Leben so ha.i*t
und unfreundlioh, daß ich mit einhildete, keine genügende Kraft zu fin den, um den nächs{en Tag durchzuleben, und da. bemerkte ich, daß ich fast täglich meine Uhr nufzuziehen vergn.ß, was ich früher niemals unter ließ und es vor dem Niederlagen regelmäßig fast mechanisch unbewußt tet. Nur selten erinnerte ich mich daran, wenn ich am folgenden Tage etwas Wichtiges oder mein Interesse besonders Fesselndes vor hatte Sollte auch dies eine Symptomhandlung sein? Ich konnte mir dies gar nicht erklären,“ W'cr sich, wie Jungr (Uber die Psychologie der ])emnnfia. praecox, 1907, S, 62) oder Ma,e:,ler (Une voie nauvelle en psychologif— , Freud et son école, „Coenohium“, Lugano 1909) die Mühe nehmen will, auf die Melodien zu achten, Welche man, ohne es zu beab sichtigen. oft. ohne es zu merken, vor sich hin trä.llert, wird die Beziehung des Tches zu einem die Person besehäftigenden Thema wohl regelmäßig ;ml'dcekcn können.§ 1064Auch die feinem Dumrminierung des Gedankennusdruckcs in Rede
oder Sehr-ih verdiente eine sorgfältige Beachtung. Man glaubt doch im allgemeinen die Wahl zu haben, in welche Worte man seine Gedanken einkleidcn oder durch welches Bild man sie_verkleiden soll. Nähere Beob achtung zeigt, dell andere Rücksichten über diese Wahl entscheiden, untl daß in lief Form des Gedankens ein tiefer-er, oft nicht benbsichtigtcr Sinn durchsehimmcrt, Die Bilder und Redensarten, deren sich eine Person vorzugsweise bedient-, sind für ihre Beurteilung mcisL nicht gleichgültig, und andere erweisen sich oft als. Anspielung zur! ein Thema, welches der zeit im Hintergründe gehalten wird, aber den Sprecher mächtig ergriffen hat. Ich hörte jemand zu einer gewissen Zell: wiederholt in theoretischen Gesprächen die Redensart gebrauchen: „Wenn einem plötzlich etwas durch den Kopf schießt“, aber ich wußte, daß er vor kurzem die Nachricht er halten hatte, seinem Sohn sei die Feldkeppe, die er auf dem Kopfe trug, von vorn nach hinten durch ein russisches Projeklil durchechossen werden.§ 1065§ 1066
IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. 253
§ 1067Lust noch Zeit, Deinen Leichtsinn und Deine Fanlheit zu
unterstützen} Der Afiekt, der sich an diesen Brief. knüpfte, war so mächtig, daß der Kollege prompt am nächsten Tage den Penka.la„ ein Geschenk dieses Schwagers, opferte, um durch dessen Gnade nicht allzusehr beschwert zu sein.“§ 1068Eine mir bekannte Dame hat sich, wie begrei [lich, Während
der Trauer um ihre alte Mutter des Thea,berbesuches enthalten. Es fehlen jetzt nur noch wenige Tage bis zum Ablauf des Trau-erjahres, und sie läßt sich durch das Zureden ihrer Be kannten bewegen, eine Theaberkarbo für eine besonders inter essante Vorstellung zu nehmen, Ver dem Theater angelangt, macht sie die Entdeckung, daß sie die Karte verloren hat. Sie meint- später, daß sie dieselbe mit der ’l‘ramwaykarbe weg geworfen hat, als sie aus dem Wagen ausstieg, Dieselbe Dame rühmt sich, nie etwas aus Unachtsamkcit zu verlieren.§ 1069Man dar—£ also annehmen, daß auch ein anderer
Fall von Verlieren, den sie erlebte, nicht. ohne gute Motivic rung war.§ 1070In einem Kurortc angekommen, entschließt sie sich, eine
Pension zu besuchen., in der sie ein früheres Mal gewohnt, hat-be. Sie wird dort als alle Bekannte aufgenommen, bc wirl;et und erfährt, als. sie bezahlen Will, daß sie sich als Gast zu betrachten habe, was ihr nicht ganz recht ist, Es wird ihr zugestanden, daß sie etwas für das sorvierende Mäd— <-lren zuriinklassen darf, und sie öffnet ihre Börse, um einen )Iarkschcin auf den Tisch zu legen. Am Abend bringt ihr der Diener der Pension einen Fünl‘markschcin, der sich unter dem Tisch 'gefuncll-n und nach der Meinung der Pensiousinhaberin dem Fräulein gehören diirfte. Den hatte sie also aus der Börse fallen lassen, als sie ihr das Trinkgeld für das Mäd§ 1071§ 1072
254 IX. SYMPTOM- UND ZUFALLSIIANDLUNGEN.
§ 1073chen entna-hm. “"ahrscheinlinh wollte sie doch ihre Zeche
bezahlen,§ 1074Otto Rank hat in einer längeren Mitteilung (Das Verlieren
als Symptomhandlung, Zentralbl. für Psychoanalyse, I. 10/11) die diesem Akte zu Grunde liegende Opferstimmung und dessen tiefer reichende Motivierungeh mit Hilfe von Traumanalyscn durchsichtig gemacht. (Andere Mitteilungen desselben Inhalts im Zentralblatt für Psychoanalyse, II, und Internat. Zeit schrift Iür Psychoanalyse, I, 1913.) Interessant ist es dann, wenn er hinzufügt, daß manchinal nicht nur das Verlieren, sondern auch das Finden von Gegenständen determiniert er scheint. In welchem Sinne dies zu verstehen ist, mag aus seiner Beobachtung. die ich hiohcr satte, hervorgehen_ Es ist klar, daß beim Verlicrcn das Objekt bereits gegeben ist, das beim Finden erst gesucht werden muß (Internat. Zeitschr. für Psychoanalyse, III, 1915).§ 1075„Ein materiell von seinen Eltern abhängigcs junges Mäd
chen Will sich ein billiges Schmuckstück kaufen. Sie, fragt im Laden nach dem Preise des ihr znsagenden Objekts, erfährt aber zu ihrem Betrüben, daß es mehr kostet, als ihre Erspar nisse betragen. Und doch sind es nur zwei Kronen, deren Fehlen ihr diese kleine Freude verwehrt. In gerlriickter Stirn— mu.ng schlcildert sie durch die abendlich belebten Straßen der Stadt nach Hause. Auf einem der stärkst frequentierten Plätze wird sie plötzlich — obwohl sie ihrer Angabe nach tief in Ge danken versunkcn war ,_ auf ein am Boden liegendes kleines Blättchcn aufmerksam, das sie eben achth passiert hatte. Sie wendet sich um, hebt es* auf und bemerkt zu ihrem Er staunen, daß es ein zusammengefalteter Zweikroucnschein ist. Sic: denkt sich: das hat mir das Schicksal zugeschickt, damit ich mir den Schmuck kaufen kann, und macht erfreut Kehrt,§ 1076§ 1077
IX. SYMP'I‘OM- UND ZUFALISI‘IANDLUNGEN. 25
§ 1078um diesem Winke zu folgen. Im selben Moment aber sagt
sie sich, sie dürfe das doch nicht tun, weil das gefundene Geld ein Gliicksgelcl ist, das man nicht ausgeben darf.§ 1079Das Stückchen Analyse, des zum Verständnis dieser ,Zu—
fallshzmdlung‘ gehört, darf man Wohl auch ohne persönliche Auskunft der Betroffenen aus der gegebenen Situation er schließen. Unter den Gedanken, die das Mädchen beim Nach lmusegchen beschäftigten, wird sich wohl der ihrer Armut und materiellen Einschränkung irn Vordergrunde befunden haben, und zwar, wie wir vermuten dürfen, im Sinne der wunscherliillenden Aufhebung ihrer drückenden Verhältnisse. Die Idee, wie man auf leichteste Weise zu diesem fehlenden Geldbetrag kommen könnte, wird ihrem auf Befriedigung ihres bescheidenen Wunsehes gerichteten Interesse kaum fernge blieben sein und ihr die einfachste Lösung des Findens nahe gebraeht haben. Solchernrt war ihr Unbewußtes (oder Vor— bewußtcs) auf ,Finden‘ eingestellt, selbst wenn der Gedanke daran ihr _ wegen anderweitiger Inanspruchnahme ihrer Auf— merksamkeit (,in Gedanken versunken‘) * nicht voll bewußt geworden sein sollte Ja., wir dürfen auf Grund ähnlicher analysicrber Fälle geradezu behaupten, daß die unbewußte .Snch-Bereitschnit‘ viel eher zum Erfolg zu führen vermag als die bewußt gelenkt-e Aufmerksamkeit. Sonst wäre es auch kaum erklä1'lich, Wieso gerade diese eine Person von den vielen Hunderten Voriibergehen<len, noch dazu unter den erschwe renden Umständen der ungünstigen Abendbelenchtung und der (lichtgedrängten Menge, den für sie selbst überraschenden Fund machen konnte. In welch starkem Ausmaß diese un odcr vorbewußte Bereitschaft tatsächlich bestand, zeigt die sonderler Tatsache, daß das Mädchen noch nach diesem Funde, also nachdem die Einstellung bereits überflüssig ge§ 1080§ 1081
255 1x. SYMPTOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 1082werden und gewiß schon der bewußten Aufmerksamkeit ent
zogen war. auf ihrem weiteren Heimweg an einer dunklen und einsamen Stelle einer Vorstndtstmße ein ’l‘asehentuch fand.“§ 1083Man muß sagen, daß gerade solche Symptomhandlungen
oft den besten Zugang zur Erkenntnis des intimen Seelen _lebens der Menschen gestatten.§ 1084Von den vereinzelten anallshzmdlungen will ich ein Bei
spiel mitteilen, welches auch ohne Analyse eine tiefere Deu tung 7,uließ7 das die Bedingungen trefflich erläutert, unter denen solche Symptome vollkommen unauffällig produziert werden können, und an das sich eine praktisch bedeutsame Bemerkung anlmüpi'en läßt. Auf einer Sommerrr‘ise traf es sich, (laß ich einige Tage an einem gewissen Orte auf die An kunft meines Rüisegefährtfli zu warten hatte. Ich machte nntercles die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sich gleichfalls einsam zu fühlen schien und sich bereitwillig mir ansehloß. Da wir in dein—selben Hotel \\'ohnten7 fügte es sich leiehl„ daß wir alle Mahlzeiten gemeinsam einnehmen und Spaziergänge miteinander machten. Am Nachmittag des dritten Tages teilte er mir plötzlich mit, (laß er heute abends seine mit dem Eilznge einlangende Fran erwarte. Mein psycho logisches Inieresse wurde nun rege, denn es war mir an meinem Gr‘srllsoha,ftßlf bereits am Vormittag aufgefallen, daß er meinen Vorschlag zu einer größeren Partie zurückgewiesen und auf unserem kleinen Spaziergang einen gewissen Weg als zu steil und gefährlich nicht hatte begehen wollen. Auf (lem Nach mittagsspaziorgangr behauptete er plötzlich, ich müßte doch hungrig sein, ich sollte doch ja, nicht seinetwegen die Abend— mahlzeit a,ufschieben, er werde erst nach der Ankunft seiner Frau mit ihr zu Abend essen. Ich verstand den Wink und setzte mich an den Tisch, während er auf den Bahnhof ging.§ 1085§ 1086
IX. SYMI‘TOM- UND ZUFALLSHANDLUNGEN. 257
Am nächsten Morgen trafen wir uns in tler Vorhnlle «les Ho tels. Er stellte mich seiner Frau vor und fügte hinzu: Sie werden (louh mit, uns das Frühstück nehmen? Ich hatte noch eine. kleine Erz—sorg1mg in der nächsten Straße vor und vor sichcrte. ich würde bald nn,chlmmmcn_ Als ich dann in den§ 1087Frühsti kssaa,l trat, sah ich, [laß das Paar nu einem kleinen
Fenstcrtisch Platz genoman hatte, auf dessen einer Svit,e sie breidc snßvn. Auf der Gegenseite befand sich nur ein Sessel, aber über dessen Lohne hing der große untl schwere Lüden— mantel des Mannes herab, den Platz verdeckuncl Ich verstand sehr wohl den Sinn dieser gnw'iß nicht. ahsichtlichcn, aber darum um so ansdrucksvolleren Lagerung. Es hieß: Fiir dich ist hier kein Platz, du bist jetzt überflüssig. Der Mann be nmrlite es nicht, dnß ich vor dem Tischn suchen blieb, ohne mich _zu setzen, wohl aber die Dame, die ihren Mann sofort nnstieß und ihm zuflüst<irte: Du hast, ja. dem Herrn den Platz verlegt.§ 1088Bei dieseru4 wie bei anderr-n ähnlichen Ergnhnisson habe ich
mir gesagt, daß die nnnl>sichtlich ausgeführten Handlungen unvcrrneidliuh zur Quelle von Mißvcrstänzlnissen im mensch lichen l'crkehr werden müssen. Der Täter, der von einer mit; ihnen verknüpften Absicht nichts weiß, rechnet sich dieselbnn uic1u.ia.n und hält sich nicht verantwortlich für sie. Der an(h»rc hingegen erkennt, indem vr regelmäßig auch solche Handlungen seines Partners zu Schlüsseniiber dessen Absichten und. Gesinnungen verwerluh, mehr von den psychischen Vor— günan des Frmnden, als dieser selbst zuzngebvn bereit ist. und mitgutpilt zu haben glaubt Lr\tzLL-rer abvr cnlriislct sich,§ 1089wenn ihm diese aus seinen Sym]vtnmhaurllungen gezogenen
§ 1090Schlüssv vorm-halten \\‘Gl‘tll‘ll. crk L sin für grunrllns, rla ihm
das Bewußtsein liir die Absicht bei der Ausführung fehlt7 und§ 1091Brand, p.;-c1mpnfimiogin .:.; Allg„gnlnbuu„ vm. Anti , 17
§ 1092§ 1093
25% IX SYMPTOM— UND ZUFALLSHANDLUNGEN.
klagt über l\‘llß\'cl‘5ßälldlli$ von seiten des; anderen lena,u be— sehen beruht ein solches Mißvei'stänclnis auf einem anein» und Zuvielrerstchen. Je „nervöser‘“ zwr‘i Menschen sind, desto eher werden sie einander Anlaß zu Entzweinngen bieten, deren Be« _g-riindung jeder Iür seine eigene Person ebenso bestimmt leng— neb, wir: er sie fiir die Person dns anderen als gesichert nn— nimmt. Und dies ist wohl die Strafe für die innere Unaufrich— tigl;eit, daß die Menschen unter den Vorw£inden des Vor gessens, \'ergreil'ens mid der Una,bsiehtliehkeil Regungcn den Ausdruck gestalten, die sie besser sich und anderen Ginge stehen würden. wenn sie sie. gehen nicht beherrschen können. Man kann in der Ta. ganz allgemein belaupfen, daß jedermann fortwährend psychische Analyse an seinen Nebenrnensuhen be 1reil)t und diese inlolgedessen besser kennen lernt; als jeder ein zelne sich selbst. Der Weg zur Befolgung der Mahnung 7växflv. aaauröv führt durch das Studium seiner eigenen, scheinbar zn l'iilligen medlnngen und Unterlassungen.§ 1094Von all den Dichtern, die sich gelegentlich über die kleinen
Symptomhandlnngen nnd Fehlli‘istnngen geäußert oder sich ihrer bedient, haben, hai? keiner deren geheime Natur mit solcher Klarheit erkannt und dem Sachverhalt eine so nn— heixnlichc Belebung gegeben wie Strindbc rg, desssn Genie bei solcher Erkenntnis allerdings durch tiefgehemlc psychische Abnorrnität unterstützt wurde.§ 1095Dr, Karl \Voiß (Wien) hat auf folgende Stelle aus einem
seiner Werke aufmerksam gemacht (lnlernat. Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913, S. 268):§ 1096„Nach einer Weile kann der Graf wirklich und er trat ruhig
an Esther heran, als habe er sie zu einem Sbelldichein bestellt§ 1097— Hast (ln lange gewartet? fragte er mit, seiner-‘ ge—
§ 1098dämpftcn Stimme.
§ 1099§ 1100
IX. SYMI'TOM— UND ZUFALLSIIANDLUNGEN. 259
§ 1101—- Sechs Monate, wie du weißt, antwortete Esthf‘r; .'Lbnr
du hast mich heute gesehen?§ 1102— Ja, eben im Straßenbahuwngen; und ich sah dir in die
Augen, daß ich mit dir zu sprechen glaubte,§ 1103« Es ist viel ,geschehen‘ seit dem 1etztcnrnn].
§ 1104„ Ja, untl ich glaubte, es sei zwischen uns aus.
§ 1105„ Wieso?
§ 1106—— Alle Kleinigkeitcn, dic ich von dir bekommen huhu,
gingen entzwei, und zwar auf eine okkulte Weise. Aber das ist eine alte Wahrnehmung.§ 1107‘— \Vn.s du sagst! Jetzt erinnere ich mich an eine ganze
Menge Fälle, die ich für Zufälle hinlt, Ich bekam einmal ein Pinccuez von meiner Großmutter, während wir gute Freunde waren. Es war aus gcschliffenem' Bergkristall untl ausge— zeichnet bei den Obduktionon, ein wahr(m \Vunderwork, dus ich sorgfältig hütetc. Eines Tages br ach ich mit, der Alten, und sie wurde auf mich böse.§ 1108Da geschah es bei der nächsten Obduktion, daß die Gläser
ohne Ursache herausfielcu. Ich glaubte, es sei ganz einfach ent'zwei; schickte es zur Reparatur, Nein. ns fuhr fort, seinen Dienst zu verweigern; wurde in eine Schublade gelegt und ist fortgekommcn,§ 1109——Was du sagst! Wie ein-nutiimlich. daß das, was (lie
Augen betrifft, am empfindlicheth ist. Ich hatte ein Doppel glas von einem Freunde bekommen; das paßto für meine Augen so gut, daß der Gebrauch ein Genuß für mich war. Der Freund und ich wurden Unfrcuude. Du weißt, duzu kommt es, ohne sichtbare Ursache; es Schwint einem, als rliirfr‘ man nicht, einig sein, Als ich (las Opernglns (las nächste Mal be nutzen wollte, kmth ich nicht klar sehen. Der Schnnkcl war zu kurz und ich sah 7.Wci Bildnr. Ich brauche dir nicht zu§ 111017*
§ 1111§ 1112
2Ü() IT\'. SYMP'1‘ÜM- UNI) ZUFALLSHANDLUNGEN.
§ 1113Sagen, daß sich W(>(hn‘ der Schenkel verkürzt noch der Ab
stand der Augen vergrößert hatte! Es war ein Wunder, das 8110 Tage geschieht und das schlechte Beobachter nicht mer ken. Die Erklärung? Die psychische Kraft des Hasses ist; wohl größer als wir glauben. , , Übrigens der Ring, den ich von dir bekommmr ha.be, hat. den Stein verloren * und läßt sich nicht reparieren, läßt sich nicht, Willst, du dich jetzt von mir trennen?.„ (,Die gotischen Zimmer“, S. 258 f.)"§ 1114Auch auf dem Gebiete (lnr Sympfmnhn.ndlungen muß die
psychoanulylische Bcolutchtuug den l)iehtern die Priorität zzljtrcton. Sie kann nur Wiederholen, was diese längst gesagt haben. Herr Willi. 81 rnß macht; mich auf narhslehcndn Slelle in dem bekannten lmmnristischeu Roman '1‘ristruin' Sh a.ndy von Lawrence Sterne aufmerksam (VI,. Teil, \". Kapitel): '§ 1115„und es wundert, mich keineswegs, (laß (irvgorius vum
aniunzum, als er am Julian die schnellen und unsboteu G(‘ hiir(len Wil.lll‘Ilillllll, voraus sagte, daß er eines Tages abtrünnig werden würde; * oder daß St. Amln‘osius sviuen Amzmuensenm wegen einer uuanstéindigon Bewegung mit dem Kopie, der ihm wie ein Dreschflngel hin und her giug, \vegnggt,e, —— Oder daß Democritus gleich merkte, daß I’mtagoms ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel Reisholz binden und die diinnsfen Reiser in die Mitte legen sah. —? Es gibt tausend unbemerktv Öffnungen, [uhr nu=in Vater fort, durch welche ein scharfes Auge auf einmal die Sohle entdecken kann; und ich belra.upte, fügte er hinzu, daß ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut nieclcrlcgen kann, wenn er in ein Zimmer kommt, —— oder aufnehmen, wenn or hinaus geht, oder es vut\vischt ihm§ 1116etwas, das ihn verrät."
§ 1117§ 1118
X.
§ 1119IRRTÜMER.
§ 1120Die Irrtümer des Gedächtnisses sind vom Vergessen mit
Fehlerinnern nur durch den einen Zug unterschieden, daß der Irrtum (das Fehlerinnern) nicht als solcher erkannt wird, sondern Glauben findet. Der Gebrauch des Ausdrucks „lrr tum“ scheint aber noch an einer anderen Bedingung zu hängen. Wir sprechen von „Irren“ anstatt von „falsch Erinnern“, wo in dem zu reproduzierenden psychischen Material der Cha rakter der objektiven Realität hervorgehoben werden soll, wo also etwas anderes erinnert werden soll als eine Tatsache unseres eigenen psychischen Lebens, vielmehr etwas, was der Bestätigung oder Widerlegung durch die Erinnerung anderer zugänglich ist. Den Gegensatz zum Gedächtnisirrtum in diesem Sinne bildet die Unwissenheit.§ 1121In meinem Buche „Die Traumdeutung“ (1900)** habe ich mich einer Reihe von Verfälschungen an geschichtlichem und überhaupt tatsächlichem Material schuldig gemacht, auf die ich nach dem Erscheinen des Buches mit Verwunderung auf merksam geworden bin. Ich habe bei näherer Prüfung der selben gefunden, daß sie nicht meiner Unwissenheit ent sprungen sind, sondern sich auf Irrtümer des Gedächtnisses zurückleiten, welche sich durch Analyse aufklären lassen.
* 5. Aufl. 1919. § 1122282 x. IRRTÜMER.
§ 112311) Auf S. 266 bezeichno ich als den Geburtsort Schillers
die Stadt Marburg, deren Name in der Steiermark wieder kehrb. Der Irrtum findet sich in der Analyse eines Traumes Während einer Naehtreise, uns dem ich durch den vom Kon 4.luki,eur ausgemfenen Sta.tionsnmnen Marburg geweckt; wurde. Im Trauminhult wird nach einem Buche von Schiller gefragt. Nun ist. Schiller nicht in der Universitätsstadt Marburg, sondern in dem schwäbischen Marbach geboren. [eh hehuupte auch, daß ich dies immer gewußt habe.§ 1124I)) Auf." S. 135 wird Hannibals Vater Hirsdrubal ge
nannt, Dieser Irrtum war mir besonders ärgerlich, hat mich aber in der Auffassung solcher Irrtümer am meisten bestiirkt. In der Geschichte der Barki den dürften wenige der Leser des Buches besser Bescheid Wissen als der Verfasser, der diesen Fehler niederschrieb und ihn bei drei Korrekturen iibersah. Der Vater Hunnibals hieß Hainilluu' Barka,s, Husdru— ha.l war der Name von Hannibals Bruder, übrigens auch der seines Schwagers und Vorgängers im_ Kommando.§ 1125€) Auf S, 177 und S. 370 behaupte ieh, (laß Zeus seinen
Vater Kronos entma.nnt und. ihn vom Throue stürzt. Diesen Greuel habe ich aber irrtümlich um eine Generation verge— schoben; die griechische Mythologie läßt ihn von Krones am seinem Vater Uranus ver-üben*.§ 1126“"ie ist: es nun zu erklären, daß mein Gedächtnis in diesen
Punkten Ungetreues lieferte, während es mir sonst, wie sich Leser des Buches überzeugen können, das entlegcnste und unge— h1'änßhlißhst€ Material zur Verfügung stellte? Und ferner, daߧ 1127' Kein voller Irrtum! Die orphisehe Version des I\Iythus iieß die
lüulmannung' an Kronos von seinem Sahne Zeus wiederholt. werden. (Ro«§ 1128.< .» h e r, Lexikon der Mythologie.)
§ 1129§ 1130
X. IRRTÜMER. gfi;;
§ 1131ich bei drei sorgfältig durchgeführten Korrekturen wie, ,mit
Blindheit geschlagen an diesen Irrtümern vorbeiging‘l§ 1132Goethe hat; von Lichtenberg gesagt: Wo er einen
Spaß macht, liegt ein Problem verborgen. Ähnlich kann man über die hier angeführten Stellen meines Buches behaupten: Wo ein Irrtum vorliegt, da. steckt eine Verdrängung dahinter. Richtiger gesagt: eine Unnufrichtigkeit7 eine Enrsfcllung, die schließlich auf Verdräiigtem fußt, Ich bin bei der Analyse der dort mitgeteilten Träume durch die bloße Natur der ’l‘henuntu, auf welche sich die Traumgedanken beziehen, genöLi—3t ge wesen, einerseits die Analyse irgendwo vor ihrer Abrundnng ab zubrechen, anderseits einer intliskreten Einzelheit durch leise Entstehung die Schärfe zu benehmen. Ich konnte nicht anders und hat-te auch keine andere Wahl, wenn ich überhaupt Bei— spiele 'und Belege }“orbringen wollte; meine Zwangsluge leitete sich mit Notwendigkeit. aus der Eigenschaft der Träume ab, Verdrängtem, d.h. Bewußtseinsunf'érhigcm Ausdruck zu geben. Es dürfte trotzdem genug übrig geblieben sein, woran emp findlichere Seelen Anstoß genommen haben. Die Entstehung oder Versehweigung der mir selbst noch bekannten fortsetzen den Gedanken hat, sich nun nicht spurlos durchführen lassen. Was ich nnterdriieken wollte, hat sich oftmals wider meinen Willen den Zugang in das“ von mir Aufgenommene erkämpr und ist; darin als von mir unbemerkter lrrtnm zum Vorschein gekommen. In allen drei hervorgehobenen Beispielen liegt übrigens das nämliche Thema zu Grunde; die Irrtümer sind Abkömmlinge ver-drängter Gedanken, die sich mit, meinem ver storbenen Vater beschäftigen,§ 1133ad a. Wer den auf S. 266 analysierten Traum durchliest,
wird teils unverhiillt erfahren, teils aus Andeutungen erraten können, daß ich bei Gedanken abgebrochen habe, die eine un—§ 1134§ 1135
264 x. IRRTÜMER.
frnundlichn Kritik zum Vater enthalten hätten. In der Fort setzung dieses Zuges von Gedzmkr‘n und Erinnerungen lii‘gb nun cine ärgu‘lichc Gesuhicht.e, in wol<7her Bücher eine Rolle spielen, und ein Geschäftsfrvund des Va1.vrs, der den Namen Marburg führt.. denselben Namen, durch dessen Ausrnf in der gleichnamigen Südbahnstation ich aus dem Schluß» geweckt wurde. Diesen Herrn Mar h u rg \\'nllt0 ich bei der Analyse mir und (ii—'n Lesern unterschlugvn; er rächto sich dadurch. daß er sich dort einmengte, wo er nicht; hingehiirt, und dcn Namen des Geburtsol‘tes Schillers aus Marbach in Marburg vr-rändcrte. ’§ 1136ad 1). Der ll'l‘llllll llasdrnbnl anstatt Hu milkar, der
Name des Bruders an Stelle des Namens des Vaters, ereignete sich gerade in einem Zusauninonhzingc. der von den Hannibal phantasion meiner Gymnnsiash‘njahre und von meiner Unzu— friedenheit mit dem Benehmen des Vaters gvgen die „Folndc unseres Volkes“ handelt. Ich hätte fortsetzen und vr7,iihlmi können, wie mein Verhältnis zum Vater durch Ollan Bvsuch in England vni‘änclert wurde, der mich die Bekanntschaft meines dort-, lebenden Halhbnulers aus früherer Ehe des Vaters machen ließ. Mein Bruder hat einen ältesten Sohn, der mir g]nichnltrig ist; die Phantasien, wie anders es geworden Wäre, wenn ich nicht als Sohn des Vaters, sondern des Bruders zur Welt, ge kommen Wäre, fandon also kein Hindernis im den Aliersrclnfio— nen. Diese unterdrücktcn Phantasien fälschtun nun an der Stelle, wo ich in der Analyse ahbrach, den Text meines Bu chcs, indem sie mich nötigten, den Namen des Bruders für den des Vatcrs zu setzen.§ 1137ad 0. DED} Einfluß der Erinnerung an diesen selhr-n Bruder
schrnibe ich es zu, daß ich die mythologischcn Gronvl der grie—§ 1138chischen Götbcrwell, um eine Generation vorgeschoben habs.
§ 1139§ 1140
x. IRRTÜMER. 265
§ 1141Von den Mahnungen des Bruders ist mir lange Zeit eine im Ge—
dächtnis geblieben: „Vergiß nicht in bezug auf Lebensführung eines,“ hatte er mir gesagt, „daß du nicht der zweiten, sondern eigentlich der dritten Generadinn vom Vater aus angehörst,“ Unser Vater hatte sieh in späteren Jahren wieder verheiratet und war um so vieles älter als seine Kinder zweiter Ehe. Ich heg‘ehe den besprochenen [rrlunr im Bunhn gerade dort, wo ieh von der Pietiit» zwischen Eltern und Kindern handle.§ 1142Es ist auch einigernal vorgekommen. dnß Freunde und Par—
tienten, deren Träume ich berichtete, oder auf die ich in den Traumanalysen unspieltc, mich aufmerksam machten, die Unr stände der gemeinsam erlebten Begrhenhcit seien von mir un gennu erzählt werden, Das wären nun wiederum historische Irrtümer. Ich habe die einzelnen Fälle nach der Riehiigstellung nachgcpriift und mich gleichfalls überzeugt, daß meine Erinne rung des Sachlichen nur dort ungetreu war, wo ich in der Arm,— lyse etwas mit; Absicht entstellt oder verhehlt. hatte. Auch hier wieder ein unbenierktcr Irrtum als Ersatz für eine :rbsichtliche \‘erschweigung oder Verdrängung.§ 1143Von diesen Irrtümern, die der Verdrängung entspringen,
heben sich scharf andere ab, die auf wirklicher Unwissenheit beruhen. So war es z.B. Unwissenheit, wenn ich auf einem Ausflug in der Wachau den Aufenthalt des Revolutionärs Fischlmf berührt zu haben glaubte. Die beiden Orte haben nur den Namen gemein; das Emmersdorf Fisehhefs liegt in Kärnten. Ich wußte es aber nicht anders.§ 1144Noch ein beschämender und lehrroichcr Irrtum, ein ,Beispiel
von tenuaorärer lgnomnz, wenn man so sagen darf. Ein Fa, timt mahnte mich eines Tages, ihm die zwei versprochenen Bücher iiber Venedig rnitzugeben, uns denen er sich für seine§ 1145Ostcrreise vorbereiten wollte. Ich habe sie bereit gelegt, er
§ 1146§ 1147
266 x. IRRTÜM'ER.
§ 1148widcrte ich, und ging in das Bibliothekszimrner, um sie zu
holen. In Wahrheit hatte ich aber vergessen, sie herauszu suchen, denn ich war mit der Reise meines Patienten, in der ich eine unnötige Störung der Behandlung und eine materielle Schädigung des Arztes erbliekte, nicht recht einverstanden. Ich halte also in der Bibliothek rasche Umschau nach den beiden Büchern, die ich ins Auge gefnßt hatte. „Venedig als Kunststätte“ ist das eine; außerdem aber muß ich noch ein historisches Werk in einer ähnlichen Sammlung besitzen. Richtig7 de. ist; es: „Die Mediceer“, ich nehme es und bringe es dem Wartenden, um dann besehämt den Irrtum einzugestehen. Ich weiß doch wirklich, daß die Medici nichts mit Venedig zu tun haben, aber es erschien mir für eine kurze Weile gar nicht unrichtig. Nun muß ich Gerechtigkeit üben; da ich dem Pa. tienten so häufig seine eigenen Symptomhandlungen vorge hal’oen habe, kann ich meine Autorität vor ihm nur retten, wenn ich ehrlich werde und ihm die geheim gehaltenen Mo— tive meiner Abneigung gegen seine Reise kundgebe.§ 1149Man darf ganz allgemein erstaunt sein1 daß der Wahrheite
dra.ng der Menschen soviel stärker ist, als man ihn für gewöhn lich einsehätzt. Vielleicht ist es übrigens eine Folge meiner Beschäftigung mit der Psychoanalyse, daß ich kaum mehr lügen kann. So oft ich eine Entstehung versuche, Lmterliege ich einer Irrung oder anderen Fehlleistung, durch die sich meine Unaufriehtigkeit wie in diesem und den vorstehenden Beispielen verrät. ‘§ 1150Der Mechanismus des Irrtums scheint der lockerste unter
allen Feblleistnngen, d.h. das Vorkommen des Irrtums zeigt ganz allgemein ein, daß die betreffende seelische Tätigkeit mit irgend einem störenden Einfluß zu kämpfen hatte, ohne daß die Art des Irrtums durch die Qualität der im Dunkeln ge—§ 1151§ 1152
bliebenen störenden Idee determiniert Wäre. Wir tragen indes
an dieser Stelle nach, daß bei vielen einfachen Fällen von Ver— sprechen und Verschreiben derselbe Tatbestand anzunehmen ist. J'edesmal, wenn wir uns versprechen oder verschreiben, dürfen wir eine Störung durch seelische Vorgänge außerhalb der Intention erschließen, aber es ist zuzugeben, daß das Ver— sprechen und Verscl‘rreiben o[tnials den. Gesetzen der Ähnlich— koit, der Bequemlichkeit oder der Neigung zur Beschleunigung folgt, ohne daß es dem Störcnden gelungen wäre, ein Stück seines eigenen Charakters in dem beim Versprechen oder Ver schreiben resultierenden Fehler durchzusetzen. Das Entgegen kommen des sprachlichen Materials ermöglicht erst die Deter minirerung des Fehlers und setzt derselben auch die Grenze.§ 1153Um nicht ausschließlich eigene Irrtümer anzuführcn, Will
ich noch einige Beispiele mitteilen., die allerdings ebensowohl beim Versprechen und Vergreifcn hätten eingereiht werden können, was aber bei der Gleichwertigkeit all dieser Weisen von Fehlleistung bedeutungslos zu nennen ist.§ 1154a) Ich habe einem Patienten untersagt, die Geliebte, mit
der er selbst brechen möchte, telephonisch anzurufcn, da, jedes Gespräch den Abgewöhnungskainpf von neuem eutfa,cht, Er soll ihr seine letzte Meinung schreiben, wiewohl es Schwierig— keiten hat, ihr Briefe zuzustellen. Er besucht mich nun um 1 Uhr, um mir zu sagen, daß er einen Weg gefunden hat, der diese Schwierigkeiten unigeht, fragt auch unter anderem, ob er sich auf meine ärztliche Autorität berufen darf. Um 2 Uhr ist er mit der Abfassung des Absagebliefcs beschäftigt, unter bricht sicl] plötzlich, sagt der dabei anwesenden Mutter: Jetzt habe ich vergessen, den Professor zu fragen, ob ich in dem Briefe seinen Namen nennen darf7 eilt zum Telephcn, läßt sich verbinden und ruft die Frage ins Rohr: Bitte, ist der Herr§ 1155§ 1156
268 x. IRRTÜMER.
§ 1157Professor schon nach dem Speisen zu sprechen? Als Antwort
tönt ihm ein erst,n.untes „Adolf, bist du verrückt, geworden?“ entgegen, und zwar von der niirnliehen Stimme, die er nach meinem Gebote nicht mehr hätte hören sollen. Er hatte sich bloß „geirrt“ untl anstatt der Nummer des Arztes die der Geliebten angegeben.§ 1158b) Eine junge Dame soll einen liesneh bei einer kürzlich
verheirateten Freundin in der Hu bst rge rga.sse machen. Sie§ 1159spricht davon während des anilientisehes, sagt aber irrtüm
§ 1160licherweise, sie mii. e in die 3:rhenbergergasse gehen. An
§ 1161dere bei Tische Anwesende. machen sie laehend e.ut' den von ihr
§ 1162nicht bemerkten Irrtum — oder Versprechen, wenn man so
lieber Will —— aufmerksam, Zwei Tage vorher ist nämlich in§ 1163Wien die Republik ausgerufen werden, das Schwanger ist ver
§ 1164schwunden und hat den Farben der alten Ostmzn rot,—-—weilj «
rot Platz gemacht. die Habsburger sind abgetan; die Sprecherin hat diese l‘7rsetznnr„r in (lie Adresse flerFrenndin eingetragen. u‘s gibt. übrigens in Wien eine sehr bekannte Buhenbergers traß (>, aber kein Wiener würde von ihr als „Gasse“ reden.§ 1165e} In einer Sommerfrisehe hat der Schullehrcr, ein ganz
armer, aber stettlicher junger Mann, der Tochter eines Villen besitzers aus der Großstadt so lange den Hof gemacht, bis das Mädchen sich leidenschaftlich in ihn verliebt und auch ihre Familie bewogen hat, die Heirat trotz tler bestehenden Standes— nnd Rassennnterschicde gutznln-ißen. l):1 schreibt der Lehrer eines Tages seinem Bruder einen Brief, in dem es heißt: Schön§ 1166ist; das Dirndl ja gar niclit;, aber recht lieb und soweit wii ’s gut.
Ob ich mich aber werd’ entschließen können, eine .Tüdin zu heiraten, das kann ich dir noch nicht sagen, Dieser Brief gerät in die Hände der Braut und macht dem Verlöbnis ein Ende, während der Bruder sich gleichzeitig über die an_ihn gerich§ 1167§ 1168
x. IRRTÜMER. 269
§ 1169teten Liebesbeteuernngen zu ver-wundern hat, Mein Gewährs
mann versicherte mir, daß hier Irrtum und nicht eine schlau!) Veranstaltung vorlag. Mir ist auch ein a-ndcrér Fall bekannt geworden, in dem eine Dame, die, mit ihrem alten Arzt unzu frieden, ihm doch nicht offen absngon wollte, diesen Zweck mittels einer Bricfverwechslung erreichte, und wenigstens hier kann ich dafiir cinstehen, daß der lrrtuni und nicht die be wußte List sich des bekannten Lustspielnrotivs bedient hat.§ 1170[I) Brill erzählt von einer Dame, die sich bei ihm nach
(ihm Befinden einer gemeinsamen Bekannten erkundigte, wobei sie dieselbe irrtümlich bei ihrem Mädchennamen nannte. Anf 1ncrksanr gemacht, mußte sie zugestehen, daß sie den Mann dieser Dame nicht möge und mit der Heirat derselben sehr unzufrieden gewesen sei§ 11716) Ein Fall von Irrtum, der mich als „Vor-sprechen“ be
schrieben werdeu kann: Ein junger Vater begibt sich zum Standesbea‘mten, um seine zweitgeborene Tochter mmumclden. Befragt„ wie das Kind heißen soll, antwortete er: Hanna, muß sich :ll'1t'l‘ von dem Beamten sagen lassen: Sie haben ja. schon ein Kind dieses Namens. Wir werden den Schluß ziehen, daß diese zweite Tochter nicht so ganz Willkommen war wie seiner zeit die erste.§ 1172f) Ich füge hier einige andere Beobachtungen von Nennen—
vorwechslungen an, die natürlich mit ebensnviel Recht in anderen Abschnitten dieses Buches untergebracht worden wären.§ 1173Eine Dame ist Mutter von drei Töchtern, von denen zwei
längst verheiratet sind. während dir‘ jüngste noch ihr Schick sal erwartet}, "Eine hefrcundete Dame halt bei den beiden Hochzeiten das männliche Geschenk gemacht, eine kostbare silberne 'l‘eegnrnitur. b‘u oft nun von diesem Gerät die Sprache§ 1174§ 1175
270 X. IRRTÜMER.
§ 1176ist, nennt die Mutter irrtürnlir-herweise die dritte Tochter als
Besitzerin. Es ist offenbar, (laß dieser Irrtum den Wunsch der Mutter a.usspricht, auch die letzte Tochter verheiratet, zu wissen, Sie setzt dabei voraus, daß sie dasselbe Hochzeits geschenk erhalten würde,§ 1177Ebenso leicht deutbar sind die häufigen Fälle, in denen .
eine Mutter die Namen ihrer Töchter, Söhne oder Schwieger— söhne verwechselt.§ 1178Ein hübsches Beispiel von hartnäckiger Namensvertztu—
schung, das sich leicht erklärt, entnehme ich der Selbst beobaehtung eines Herrn J. G. während seines Aufenthaltes in einer Heilanstalt:§ 1179„An der Table d’hote (des Sanatm‘iurns) gehra.uehe ich im
Laufe eines mich wenig interessierenden und. in ganz konven— t.ionelleni Ton geführten Gesprächs mit meiner Tischnaeh— barin eine Phrase von besonderer Liebenswürdigkcit. Das etwas ältliohe Mädchen konnte nicht umhin zu berherkcn, daß es sonst nicht meine Art sei, ihr gegenüber so liebenswürdig und gala,nt zu sein * eine Entgegnung, die einerseits ein gewisses Bedauern und. mehr noch eine deutliche Spitze gegen ein uns beiden bekanntes Fräulein enthielt, dem ich größere Aufmerksamkeit zu schenken pflegte.§ 1180Ich verstehe natürlich augenblicklich. Im Laufe unseres
Weiteren Gespräches muß ich mich nun, was mir ungemein pein lich ist, von meiner Nachbarin wiederholt darauf aufmerksam machen lassen, daß ich sie mit, dem Namen jenes Fräuleins angesprochen habe, das sie nicht mit Unrecht als ihre glück lichere Nebenbuhlerin ansah.“§ 11819) Als „Irrtum“ will ich auch eine Begebenheit mit ernst—
ha:ftem Hintergrund erzählen, die mir von einem nahe betei ligten Zc ugen berichtet wurde. Eine Dame hat den Abend mit§ 1182\
§ 1183§ 1184
X. IRRTÜME.IL 271
§ 1185ihrem Manne und in Gesellschaft von zwei Fremden im Freien
zugebracht. Einer dieser beiden Fremden ist. ihr intirner Freund, wovon aber die anderen nichts wissen und nichts wissen dürfen. Die Freunde begleiten das Eheer bis vor die Haustür. Während man auf das Öffnen der Tür wartet7 wird Abschied genommen. Die Dame verneigt sich gegen den Frem den, reicht ihm die Hand und spricht einige verbindliche Worte. Dann greift sie nach dem Arm ihres heimlich Geliebten, wendet sich zu ihrem Marine und will ihn in gleicher Weise verab« schieden, Der Man geht auf die Situation ein, zieht den Hut und sagt überhöflieh: Küss’ die'Hn.nd, gnii<lige Frau. Die erschreckene Fran läßt den Arm des Geliebten fahren und hat noch Zeit, ehe der Hausmeister erscheint, zu seu[zenz Nein, so etwas 5011 einem passieren! Der Mann gehörte zu jenen Eheherren, die eine Untreue ihrer Frau außerhalb jeder Möglichkeit verlegen wollen. Er hatte wiederholt geschworen, in einem solchen Falle würde mehr als ein Leben in Gefahr sein. Er hatte also die stärksten inneren Abhaltungen, um die Herausforderung, die in dieser Irrung lag, zu bemerken. 71) Eine Irrnng eines meiner Patienten, die durch eine \\‘iederholung zum Gegensinn besonders lehrreich wird: Der iiberbudenkliche junge Mann hat sich nach langwierigen in neren Kämpfen dazu gebracht, dem Mädchen, das ihn seit langem liebt wie er sie, die Zusage der Ehe zu geben. Er be gleitet die ihm Verlobte nach Hause, verabschiedet sich von ihr, steigt übergliieklich in einen Tra.rnwaywa,gen und verlangt von der Schaffnerin — zwei Fahrkarten. Etwa ein halbes Jahr später ist er bereits verheiratet, kann sich aber noch nicht recht in sein Ehegliick finden. Er zweifelt7 ob er recht gelzm hat. zu heiraten, vermißt frühere freundschaftliche Beziehun gen, hat an den Scluvicgereltcrn allerlei ausznsetzen. Eines§ 1186§ 1187
m
—! NJ§ 1188X. IRR'1‘ÜMER.
§ 1189Abends holt er seine junge Frau vum Hause ihrer Eltern u.b,
steigt mit ihr in den Wagen der Straßenbahn und hegnügt sich damit, der Schafinerin eine einzige Karte abzuverlaugen.§ 1190[) Wie man einen ungern unterdrückten Wunsch vormittels
eines „Iri‘tunis“ befriedigen kann, davon er ä.hlt Maeder (No volles eontributions etc, Arch. dc Psyeh.7 VI, 1908) ein hüb sches Beispiel. Ein Kollege möchte einen dicnstfreien Ting so recht ungestört“, genießen; er soll aber einen Besuch in Luzern machen. auf den er sich nicht freuen kann und beschließt nach längerer Überlegung, doeh hinzufa.hren_ Um sich zu zer streuen, liest er auf der Fahrt Zürich—Arth-Gnld:ui die Tages zeitungen, wechseln in letzterer Station den Zug und setzt seine Lektüre fort. In der Fortsetzung der Fahrt entdeckt ihm dann der kontrollierende Schaffner, daß er in einen falsuhcu Zug eingestiegen ist, nämlich in den, der von Goldzlu nach Zürich zuriiokfz'ihrt, \\=ii.hr6nd er ein Billet nach Luzern ge— nommen hatte.§ 1191j) Einen analogen, wenngleich nicht voll gegliickten Ver
such, einem unterclrücktcn Wunsch durch den nämliehen Me chanismus der Irrung zum Ausdruck zu verhelfen, berichtet 1)1'.V,Tansk unter der Überschrift „Falsche Fahrtrich tung“ (Intern, Zeitschr, für ürztl, Psychoanalyse, 1V, 191(3,“17)_§ 1192„Ich war aus dem Felde auf Urlaub nach Wien gekommen.
Ein alter Patient hatte von meiner Anwesenheit Kenntnis be kommen und. ließ mich bitten daß ich ihn besuche, da, er krank zu Beine lag-_ ich leistete der Bitte ]v‘olge und ver— brachte zwei Stunden bei ihm. heim Abschied fragte der Kranke, was er schuldig sei.§ 1193,Ich hin auf Urlaub hier und ordiniere jetzt nieht,‘ aut—
\\'urßete ich. ,Nehmen Sie meinen Besuch als einen Freund§ 1194selizii'tsdieiia‘t.‘
§ 1195§ 1196
x. IRRTÜMER. 273
§ 1197Der Kranke stutzte, da- er wohl das Empfinden hatte, er
habe kein Recht, eine berufliche Leistung als unentgeltlichen Fronndschnftsrlienst. in Anspruch zu nehmen. Aber er ließ sich meine Antwort schließlich gefallen, in der von der Lust an der Geldersparung dikticrtcn respektvollen Meinung, daß ich als 1’sychcnnalytiker sicher richtig handeln werde.§ 1198Mir selbst stiegen schon wenige Augenblicke später Rn
clenkcn über die Aufrichtigkcit meiner N obh‘sse auf, und, von Zweifeln A die kaum eine zweideut-ige Lösung zuließen —— er— füllt, bestieg ich die elektrische Straßenbahnlinie X. Nach einer kurzen Fahrt hatte ich auf die Linie Y umzusteigcn. Wiih» rend ich an der Umsteigestelle wartete, vergaiß ich die Honorar angclegcnheit und beschäftigte mich mit den Krankheits— symptomeu meines Patienten. Indem kam der von mir erwar tete Wagen und ich stieg ein. Aber bei der nächsten Halte stelle mußte ich wieder aussteigen. Ich war nämlich statt in einen Y-Wagcn versehentlich und ohne es zu merken in einen X-Wagcn eingcstiegcu 'und fuhr in der Richtung, aus der ich eben gekommen war. wieder zurück, in der Richtung zum Pn tionten. von dem ich kein Honorar annehmen wollte. Mein lfnlwwußles aber wollte sich das Honorar h 010 n."§ 1199k) Ein sehr ähnliches Kunsisiiicl; wie im Beispieli ist mir
selbst einmal gelungen. Ich hatte' meinem gestrcngen ältesten Bruder zugesagt. ihm in diesem Sommer den längst fälligen Besuch in einem englischen Seebad a.bzustatten, und dabei die Verpflichtung übernommen, da die Zeit drängte, auf dem kür zesten Wege ohne Aufenthalt zu reisen. Ich bat um einen Tag Aufschul; fiir Holland, aber er meinte, das könnte ich für die Rückreise ziuisparcn, Ich fuhr also von München über Köln nach Rotterdam—Hook of Holland, von wo das Schiff um§ 1200Fn‘uiL PsychnpathnL-giv den Alltagsleben; vl“. Ami. 18
§ 1201§ 1202
274 X. IRRTÜMER.
§ 1203Mitternacht nach Harwich übersetzt. In Köln hattn ich Wagen
chhsel; ich verließ mcincn Zug, um in den Eilzng nach Rotterdam umzusteigcn. aber der war nicht, zu cnidw-lurn. Ich fragte verschiedene Bahnhedinnstcte, wurde von einem Bahn steig uni" den anderen geschickt geriet in eine iiber—trichcnc§ 1204Verzweiflung und konnte mir bald berechnen, daß ich wiihrend
§ 1205dieses erfolglosen Suchcns den Anschluß vor i.mnt haben
dürfte. Nachdem mir dieses bestätigt werden war, überlegtc ich7 ob ich in Köln übernachten sollte, wofür unter anderem auch die Pielät sprach, da nach einer alten Faniilicntrmlition meine Ahnen einst bei einer JudenVerfolgungr aus dieser Stadt geflüchtet waren Ich entschloß mich aber anders, [Uhr mit einem späteren Zug nach Rotterdam, wo ich in tiefer Nacht zeit anka,ni, und war nun genötigt, einen Tag in Holland zu zubringen. Dieser Tag brachte mir die Erfüllung eines längst gehegten Wunschcs; ich konnte die herrlichen chibrnndt bilder im Haag und im Reichsniuseutn zu Amsterdam sehen. Erst am nächsten Vormittag. als ich während dcr Eisenbahn i'ahrt in Englä.nd meine Eindrücke samnwln konnte, tauchte mir die unzweifclhnfte Erinnerung auf, daß ich auf dem Balin— hofe in Köln wenige Schritte von der Stelle, wo ich ausge stiegen war, auf“ dem niimlichen Bahnsteig eine große ’l‘a.fcl Rotterdam—Hook of Holland gesehen hatte. Dort wartete der Zug, in dem ich die Reise hätte fortsetzen sollen. Man müßte es als unbegreifliche „Verblendung“ bezeichnen, daß ich trotz dieser guten Anleitung wcggceilt und den Zug- anderswo go. sucht hattc, wenn man nicht annehmen wollte, daß es eben mein Vol-satz war, gegen die Vorschrift meines Brudch die Reinbi‘ziiidtbildcr schon auf der Hinrnisc zu bewundern. Alles übrige, meine gut gespielte Rntlosigkeit, das Auftauchcn der pietätvollen Absicht, in Köln zu übernachten. war nur Ver§ 1206§ 1207
x. IRR'I‘ÜMER. 275
§ 1208' anstaltnng um- mir meinen Vorsatz zu verbergen7 bis er sich
§ 1209vollkommen durchgesetzt hatte.
§ 1210l) Eine ebensolche, durch ,.\’ei'geßlichkcit“ hergestellte
Veranstaltung, um einen Wunsch zu erfüllen, ‘auf den man an geblich verzichtet hat, berichtet J. S tü.rcke von seiner eigenen Person. (1. o.)§ 1211„Ich mußte einmal in einem Dorfe einen Vortrag mit Licht
bildern halten. Dieser Vortrag war aber um eine Woche vor schobcn. Ich hatte den Brief hinsichtlich dieses Aufsclmbs be antwortet und das geänderte Datum in meinem Notizbuch notiert. Ich wäre gern schon nachmittags nach diesem l)orfe gegangen1 damit ich die Zeit hätte, um einem mir bekannten Schriftsteller, der dort wohnt, einen Besuch abzustatten. Zu meinem Berla.uern konnte ich aber zurzeit keinen Nachmittag dafür frei machen. Nur ungern gab ich diesen Besuch auf.§ 1212Als nun der Abend des Vortrags da. war, machte ich mich,
mit einer Tasche voll Laternenbilder, in größter Eile zum Bahn hof anf. Ich mußte einen Taxi nehmen., um den Zug noch zu er— reichen (es passiert mir öfters. (laß ich so lange zögere, (laß ich einen Taxi nehmen muß. um den Zug noch zu erreichen i). An Ort und Stelle gekommen. war ich einigermaßen erstaunt, daß keiner am Bahnhof war, um mich alnuholen (wie es bei Vor— trägen in kleineren Orten Genulmheit ist). Plötzlich fiel mir ein, daß der Vortrag um eine Woche verschoben war, und daß ich jetzt am ursprünglich festgestellten Datum eine vergeb Iiche Reise gemacht hatte. Nachdem ich meine Vergeßlich keit hcrzinnig verwünscht hatte7 überlegte ich, ob ich mit dem nächstfolgenden Zug wieder nach Hause zurückkehren sollte. Bei näherer Überlegung dachte ich aber daran, daß ich jetzt eine schöne Gelegenheit hatte, um den gewünschten Besuch zu machen, was ich denn auch tat. Erst unterwegs fiel mir§ 121318*
§ 1214§ 1215
276 x IRRTÜMFR.
ein, daß mein unerfüllier Wunsch, für diesen Besuch gehörig Zeit zu haben. das Komplett hübsch vorhm'citi-t hatte. Das Schluppen mit dnr schweren Tasche voll Lzutcrnmlliildel‘ und das Eilen, um dvu Zug zu erreichen, konnten ausgezeichnet dazu dienen, die unbewußtv Ahsicht desto besser zu verbergen.“ Man wird vielleicht nicht genügt sein, die Klnssn von Irr tümern, für die ich hier die Aufklärung gehn. für sehr zahlreich oder besonders bedeutuugsvoll zu halten, Ich gebe aber zu be— denken, ob man nicht, Grund hat, die gleichen Gesichtspunkte auch auf die Beurteilung der ungleich WichtigvrMi Urteil:;— irrtüm er der Menschen im Leben und in der “"issnuschnl‘t auszudehnen, Nur den auserlesenst,en und ausgeglichcnston Geistern scheint es möglich zu sein, das Bild (lm' wahrgenom— menen äußeren Realität vor der Verzcrrung zu bewahren, die es sonst; beim Durchgang durch die psychische individualität des “’ahrnehmenden erfährt.§ 1216§ 1217
XI.
§ 1218KOMBINIERTE FEHLLEISTUNGEN.
§ 1219Zwei der letzterwähnten Beispiele, mein Irrtum, der die
Mediceer nach Venedig bringt, und der des jungen Mannes, der ein telephonisches Gespräch mit seiner Geliebten dem Ver bote abzutrotzen weiß, haben eigentlich eine ungenaue Be schreibung gefunden und stellen sich bei sorgfältiger Be trachtung als Vereinigung eines Vergessens mit einem Irrtum dar. Dieselbe Vereinigung kann ich noch deutlicher an einigen anderen Beispielen aufzeigen.§ 1220a) Ein Freund teilt mir folgendes Erlebnis mit: „Ich habe vor einigen Jahren die Wahl in den Ausschuß einer bestimmten literarischen Vereinigung angenommen, weil ich vermutete, die Gesellschaft könnte mir einmal behilflich sein, eine Auffüh rung meines Dramas durchzusetzen, und nahm regelmäßig, wenn auch ohne viel Interesse, an den jeden Freitag stattfin denden Sitzungen teil. Vor einigen Monaten erhielt ich nun die Zusicherung einer Aufführung am Theater in F., und seit her passierte es mir regelmäßig, daß ich an die Sitzungen jenes Vereines vergaß. Als ich Ihre Schrift über diese Dinge las, schämte ich mich meines Vergessens, machte mir Vorwürfe, es sei doch eine Gemeinheit, daß ich jetzt ausbleibe, nach dem ich die Leute nicht mehr brauche, und beschloß, nächsten Freitag gewiß nicht zu vergessen. Ich erinnerte mich an diesen Vorsatz immer wieder, bis ich ihn ausführte und vor der Tür des Sitzungssaales stand. Zu meinem Erstaunen war sie ge schlossen, die Sitzung war schon vorüber; ich hatte mich nämlich im Tage geirrt; es war schon Samstag!“
§ 1221b) Das nächste Beispiel ist eine Kombination einer Sym ptomhandlung mit einem Verlegen; es ist auf entfernteren Umwegen, aber aus guter Quelle zu mir gelangt.
§ 1222Eine Dame reist mit ihrem Schwager, einem berühmten
Künstler, nach Rom. Der Besucher wird von den in Rom leben den Deutschen sehr gefeiert und erhält unter anderem eine gol dene Medaille antiker Herkunft zum Geschenke. Die Dame kränkt sich darüber, daß ihr Schwager das schöne Stück nicht genug zu schätzen weiß. Nachdem sie, von ihrer Schwester ab gelöst, wieder zu Hause angelangt ist, entdeckt sie beim Aus packen, daß sie die Medaille — sie weiß nicht wie — mitge nommen hat. Sie teilt es sofort dem Schwager brieflich mit und kündigt ihm an, daß sie das Entführte am nächsten Tage nach Rom zurückschicken wird. Am nächsten Tage aber ist die Medaille so geschickt verlegt, daß sie unauffindbar und unabsendbar ist, und dann dämmert der Dame, was ihre „Zer streutheit“ bedeute, nämlich, daß sie das Stück für sich selbst behalten wolle.§ 1223c) Einige Fälle, in denen sich die Fehlhandlung hartnäckig wiederholt und dabei auch ihre Mittel wechselt:
§ 1224Jones (l. c. S. 483): Aus ihm unbekannten Motiven hatte er einst einen Brief mehrere Tage auf seinem Schreibtisch liegen lassen, ohne ihn aufzugeben. Endlich entschloß er sich dazu, aber er erhielt ihn vom „Dead letter office“ zurück, denn er hatte vergessen, die Adresse zu schreiben. Nachdem er ihn adressiert hatte, brachte er ihn wieder zur Post, aber diesmal ohne Briefmarke. Die Abneigung dagegen, den Brief über haupt abzusenden, konnte er dann nicht mehr übersehen.
§ 1225Sehr eindrucksvoll schildert die vergeblichen Bemühungen,Weiß (Wien) über einen Fall von Vergessen. (Zentralbl. für Psychoanalyse, II, 9.) „ "Wie konsequent sich das Unbewußte durchzusetzen weiß, wenn es ein Motiv hat, einen Vorsatz nicht zur Ausführung gelangen zu lassen, und wie schwer es ist, sich gegen diese Tendenz zu sichern, dafür bietet der folgende Vorfall einen Beleg. Ein Bekannter ersucht mich, ihm ein Buch zu leihen und es ihm am nächsten Tage mitzubringen. Ich sage sogleich zu, empfinde aber ein lebhaftes Unlustgefühl, das ich mir zunächst nicht erklären kann. Später wird es mir klar: der Betreffende schuldet mir seit Jahren eine Summe Geldes, an deren Be zahlung er anscheinend nicht denkt. Ich denke nicht weiter an die Sache, erinnere mich ihrer aber am nächsten Vormittag mit dem gleichen Unlustgefühl und sage mir sofort: ,Dein Unbewußtes wird darauf hinarbeiten, daß du das Buch ver gißt. Du willst aber nicht ungefällig sein und wirst deshalb alles tun, um nicht zu vergessen.‘ Ich komme nach Hause, packe das Buch in Papier und lege es neben mich auf den Schreibtisch, an dem ich Briefe schreibe."
eine Handlung gegen einen inneren Widerstand durchzusetzen, eine kleine Mitteilung von Dr. Karl § 1226"Nach einiger Zeit gehe ich fort; nach wenigen Schritten er innere ich mich, daß ich die Briefe, die ich zur Post mitnehmen wollte, auf dem Schreibtisch liegen gelassen habe. (Beiläufig bemerkt war einer darunter, in dem ich einer Person, die mich in einer bestimmten Angelegenheit fördern sollte, etwas Un angenehmes schreiben mußte.) Ich kehre um, hole die Briefe und gehe wieder weg. In der Elektrischen fällt mir ein, daß ich meiner Frau versprochen habe, ihr einen Einkauf zu be sorgen, und ich bin recht befriedigt bei dem Gedanken, daß es nur ein kleines Päckchen sein wird. Hier stellt sich plötzlich" "die Assoziation Päckchen — Buch her und jetzt merke ich, daß“ ich das Buch nicht bei mir habe. Ich hatte es also nicht nur das erstemal, als ich fortging, vergessen, sondern auch kon sequent übersehen, als ich die Briefe holte, neben denen es Iag."
§ 1227Das Nämliche in einer eingehend analysierten BeobachRank (Zentralbl. für Psychoanalyse, II, 5):
tung von Otto § 1228„ "Ein peinlich ordentlicher und pedantisch genauer Mann berichtet das folgende, für ihn ganz außergewöhnliche Er lebnis. Einen Nachmittags, als er auf der Straße nach der Zeit sehen will, bemerkt er, daß er seine Uhr zu Hause vergessen hat, was seiner Erinnerung nach noch nie vorgekommen war. Da er für den Abend eine pünktliche Verabredung hat und nicht mehr die Zeit findet, vorher seine Uhr zu holen, benützte er den Besuch bei einer befreundeten Dame, um sich ihre Uhr für den Abend auszuleihen; dies war um so eher angängig, als er die Dame infolge einer früheren Verabredung am nächsten Vormittag zu besuchen hatte und bei dieser Gelegenheit die Uhr zurückzustellen versprach. Zu seinem Erstaunen merkt er aber, als er tags darauf der Besitzerin die entlehnte Uhr über reichen will, daß er nun diese zu Hause vergaß; seine eigene Uhr hatte er diesmal zu sich gesteckt. Er nahm sich nun fest vor, die Damenuhr noch am Nachmittag zurückzustellen, und führte den Vorsatz auch aus. Als er aber beim Weggehen nach der Zeit sehen will, hat er zu seinem maßlosen Ärger und Er staunen wieder die eigene Uhr vergessen. Diese Wiederholung der Fehlleistung kam dem sonst so ordnungsliebenden Manne derart pathologisch vor, daß er gern ihre psychologische Mo tivierung gekannt hätte, die sich auch prompt auf die psycho analytische Fragestellung ergab, ob er an dem kritischen Tage des ersten Vergessens irgend etwas Unangenehmes erlebt habe, und in welchem Zusammenhange dies geschehen sei. Er er-" "zählt darauf sogleich, daß er nach dem Mittagessen, kurz bevor**. Daß dann das gleiche Schick sal einmal auch die entlehnte Damenuhr betrifft, wird uns nach dieser Einstellung des Unbewußten nicht wundernehmen. Doch begünstigen vielleicht noch spezielle Motive diese Über-" er wegging und die Uhr vergaß, ein Gespräch mit seiner Mutter gehabt hatte, die ihm erzählte, ein leichtsinniger Verwandter, der ihm schon viel Kummer und Geldopfer verursacht hatte, hätte seine Uhr versetzt; da sie aber zu Hause gebraucht werde, ließe er ihn bitten, ihm das Geld zur Auslösung zu geben. Diese fast erzwungene Art des Geldleihens hatte unseren Mann sehr peinlich berührt und ihm all die Unannehmlichkeiten wieder in Erinnerung gebracht, die ihm dieser Verwandte seit vielen Jahren bereitet hatte. Seine Symptomhandlung erweist sich demnach als mehrfach determiniert: erstens gibt sie einem Gedankengange Ausdruck, der etwa besagt, ich lasse mir das Geld nicht auf diese Weise abpressen, und wenn eine Uhr ge braucht wird, so lasse ich eben meine eigene zu Hause; da er sie jedoch abends zur Einhaltung eines Rendezvous braucht, kann sich diese Absicht nur auf unbewußtem Wege, in Form einer Symptomhandlung, durchsetzen; zweitens besagt das Vergessen soviel als: die ewigen Geldopfer für diesen Tauge nichts werden mich noch gänzlich zu Grunde richten, so daß ich alles werde hergeben müssen. Obwohl nun der Ärger über diese Mitteilung nach Angabe des Mannes nur ein momentaner ge wesen war, zeigt doch die Wiederholung der gleichen Sym ptomhandlung, daß er im Unbewußten intensiv weiterwirkt, etwa wie wenn das Bewußtsein sagen würde: Diese Geschichte geht mir nicht aus dem Kopfe
* Dieses Weiterwirken im Unbewußten äußert sich einmal in Form eines Traumes, welcher der Fehlhandlung folgt, ein andermal in der Wie derholung derselben oder in der Unterlassung einer Korrektur. § 1229Einige Beobachtungen von J. Stärcke (l. c.).
§ 1230XI. KOMBINIER'I‘E FEH LLEIS'I‘UNGEN,
§ 1231,___, „ „2.8.3
§ 1232l. Verlegen _ Zerbrechen — Vorgesseu als
Ausdruck eines zurückgeclrängtcn Gegenwillens,§ 1233„ Von einer Sammlung Illustrationen für eine wissenschaft
liche Arbeit sollte ich eines Tages meinem Bruder einige leihen, welche er als Lichtbilder bei einem Vortrag benutzen wollte, Obgleich ich einen Augenblick den Gedanken verspiirtc, (laß ich die llepmduktionen, die ich mit vieler Mühe gesammelt hatte, lieber in keiner Weise vorgeführt oder publiziert sah, bevor ich das selbst machen konnte, versprach ich ihm, die Negative der gewünschten Bilder aufzusuchen und Laternenbilder davon an— zufcrtigou. ,„ Diese Negative konnte ich aber nicht finden. Den ganzen Stapel Schachteln voll Negative, die sich auf diesen Gegenstand bezogen, sah ich durch, gut zvveihundcrt Negative nahm ich eines nach dem anderen in die Hand, aber die Negative, die ich suchte, waren nicht dabei, Ich vermutete Wohl, (laß ich meinem Bruder diese Bilder eigentlich nicht zu gönnen schien. Nachdem ich mir diesen abgiinstigen Gedan ken bewußt gemacht und bestritten hatte, bemerkte ich, daß ich die oberste Schachtel des Stapels zur Seite gesetzt untl diese nicht durchsucht hatte, und diese Schachtel enthielt die gesuchten Negative. Auf dem Deckel dieser Schachtel stand eine kurze Aufzeichnung betroffs des Inhalts, und wahrschein lich hatte ich das mit einem flüchtigen Blick gesehen, bevor ich diese Schachtel zur Seite setzte.§ 1234Der abgünstige Gedanke schien indessen noch nicht ganz
besiegt, denn es geschah noch allerlei, bevor die Lichtbilder verschickt waren. Eine von den Latornenplzrtten drückte ich kaputt, während ich diese in der Hand hatte und die Glasseite rninputzte (so zerhrechc ich sonst nie eine Laternenplatte). Als ich von dieser Platte ein neues Exemplar angefertigt hatte, fiel es mir aus der Hund, und nur dadurch, daß ich den Fuߧ 1235§ 1236
254 XI, I(OMBINIERTE FEHLLEISTUNGEN.
§ 1237vorstz‘ockte und es darauf auffing, zerbraeh es nicht. Als ich
die Laternenplatten montierte, fiel der ganze Haufen noch ein mal auf den Boden, glücklicherweise ohne daß dabei etwas zerbrneh. Und schließlich dauerte es noch mehrere Tage7 bevor ich sie wirklich emballiert-e und vorsnndte, da ich mir dieses jeden Tag von neuem vornahm und dieses Vornehnien jedesmal wieder vei‘ga.ßf' _§ 12382. Winclerholies Vergessen —— Vergreil'en bei
der endlichen Ausführung.§ 1239„Eines Tages mußte. ich einem Belczuinten eine Postkarte
senden, aber verschob es Während mehrerer Tage immer wieder, wobei ich ein starst Vermutcu hmm, daß folgendes die Ur sache davon war: In einem Briefe hatte .er mir mitgeteilt, daß im Laufe jener Woche mich jemand besuchen wollte, auf dessen Besuch ich nicht sehr erpieht war. Als diese Woche vorüber war und die _Aussieht, des tuigewünschten Besuches sehr gering geworden war, schrieb ieh endlich die Postkarte, worin ich mitteilte, wann ich zu sprechen sein würde. Als ich diese Postkarte schrieb, wollte ich anfangs hinzufügen= daß ich wegen ,druk werk“ (=] emsige, migcstrcngbe oder üherhäque Arbeit) am Schreiben behindert gewesen war7 aber ich schrieb das am Ende nicht, weil diese gewöhnliche Ausrede doch von keinem vernünftigen Menschen mehr geglaubt; wird. Ob diese kleine Umvahrheit sich doch äußern mußte, weiß ich nicht, aber als ich die Postkarte in den Briefkasten warf, warf ich sie irrtümlieherweise in die untere Öffnung des Kästen-s: ,D r u k W e r k‘ : Drucksachen)"§ 1240& Vergessen und lrrtum.
§ 1241„Ein Mädchen geht eines Morgens, da das Wetter sehr
schön ist, nach dem ,Ryksmuseum‘, um dort Gipsabgiisse zu zeichnen. Obgleich sie bei diesem schönen Wetter lieber spa§ 1242§ 1243
XI. KOMBINIERTE FEHLLEISTU NGEN 285
§ 1244zieren gehen möchte, entsehloß sie sich, doch mal emsig zu
sein und zu zeichnen. Sie muß zuerst Zeichenpa.pier kaufen. Sie geht- zum'Ladcn (ungefähr zehn Minuten vom Museum). kauft Bleistifte und andere Zeichengcrä.te, aber vergißt eben das Zeichenpa,pier zu kaufen, geht dann zum Museum, und als sie auf ihrem Stühlchen sitzt, fertig, um anzufangen, da hat sie noch kein Papier, so (laß sie von neuem zu dem Laden gehen muß. Nachdem sie Papier geholt hat, fängt sie wirklich an zu zeichnen, geht mit der Arbeit gut vorwärts und hört nach einiger Zeit vom Turme des Museums eine große Zahl Glocken schläge. Sie denkt: ,Das wird sehen 12 Uhr sein‘, arbeitet noch fort, bis die Turmgloekc Viertelstunde spielt (,das ist Viertel nach zwölf, denkt sie), packt jetzt ihre Zeichengeriite ein und ent-schließt sich, durch den ,Vondelpark‘ zum Hause ihrer Schwester zu spazieren. um dort Kaffee zu trinken (: hell. zweite Mahlzeit). Beim Suns -Museuxn sieht sie zu ihrem Staunen, daß es statt halb eins erst zwölf Uhr ist! —— Das lockende schöne Wetter hatte ihren Fleiß hintere Licht geführt und dadurch hatte sie. als die Turmglocke um halb 12 zwölf schlug. nicht daran gedacht, daß eine Turmglocke auch mit der halben Stunde schlägt."§ 1245Wie schon einige der vorstehenden Beobachtungen zeigen,
kann die unbewußt störende Tendenz ihre Absicht auch er— reichen, indem sie dieselbe Art der Evhllvisiung hartnäckig,r nieder-holt. Ich entnehme ein *.1miisantes Beispiel hiul‘iir einem Büchlein „Frank Wedekind und das Theater“, das im Münchener Drei Masken-Verlag erschienen ist, muß aber die Verantwortung für das in Mark Twainscher Manier er— zählte Geschichichen den) Autor des Buches überlassen.§ 1246„In:. W'cdokinds'Einakier ,Die Zensur“ füllt an der ernste
sten Stelle des Stückes der Ausspruch: ,Die Furcht vor§ 1247§ 1248
285 XI. KOMBINIERTE rnnansrurrenn,
§ 1249dem Tode ist ein Denkfehler.‘ Der Autor, dem die Stelle
am Herzen lag, hat auf der Probe den Darsteller, vor dem Worte ,Denkfelrler‘ eine kleine Pause zu machen. Am Abend — der Darsteller ging ganz in seiner Rolle auf, beobachtete auch die Pause genau, sagte aber nnwillkürlich in feierliehstem. Tone: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein Druckfehler.‘ Der Autor versicherte dem Künstler nach Schluß der Vorstellung auf seine Frage, daß er nicht das geringste auszusetzen habe, nur heiße es an der betreffenden Stelle nicht: die Furcht vor dem Tode sei ein Druckfehler, sondern ein Denk[ehler,§ 1250Als ,Die Zensur" am folgenden Abend wiederholt wurde,
sagte der Darsteller an der bewußten Stelle, und zwar wieder in feierliohstein Tone: ,Die Furcht vor dem Tode ist ein Denkzettelf Wedekind spendete dem Schauspieler wieder uneingeschränktes Lob, aber bemerkte nur nebenbei, daß es nicht heiße, die Furcht vor dem Tode eei ein Darnkzettel, son dern ein Denl;fehler.§ 1251Am nächsten Abend wurde wieder ,Die Zensur“ gespielt und
der Darsteller7 mit (lern sich der Autor inzwischen befreundet und Kunstanschanungen ausgetauscht hatte, sagte, als die Stelle kam, mit der fcierlichsten Miene von der Welt: ‘Die Furcht vor dem Tode ist ein , Drnekzcttel.‘§ 1252Der Künstler erhielt des Autors rücldmltlose Anerken
nung. der Einakter wurde auch noch oft wiederholt, aber den Begriff .Denkfehlcr‘ hielt der Autor nun ein für allemal für endgültig erledigt."§ 1253Rank hat auch den sehr interessanten Beziehungen iron
„Fehlloistung und Traum“ (Zentra-lbl. für PsychoanaL ebenda. Internat. Zeitschr. für Psychoanal., III, 1915) Aufmerksamkeit geschenkt, denen man aber nicht ohne eingehende Analyse des Traumes folgen kann, welcher sich an die Fehlhnndlung mr§ 1254§ 1255
XI. KOMBINIER'I‘E FEHT;LEISTUXGEN. 28 ']
§ 1256schließt. Ich träumte einmal in einem längeren Zuszunnmn
hange, daß ich mein Portemonnaie verloren, Am Morgen ver mißte ich es wirklich beim Ankleiden; ieh hatte vergessen., es beim Auskleiden vor der Tramnnauht aus der Hosentasche zu nehmen und an seinen gewohnten Platz zu legen, Dieses Vergessen war niit also nicht unbekannt, es sollte wahrschein lich einem unbewußten Gedanken Ausdruck gehen7 der fiir das Auftreten im Trauminhnlt vorbereitet war.§ 1257Ich Will nicht behaupten, daß selehe „Fälle von kombinierten
Fehlleistungen etwas Neues lehren können, was nicht schon aus «len Einzelfällen zu ersehen wäre, aber dieser Formenwechsnl der Fehlleistung bei Erhaltung desselben Erfolges gibt doch den plastiséhen Eindruck eines Willens, der nach einem be— stimmten Ziele strebt, und widerspricht in ungleich energi schch Weise der Auffassung, daß die Fehlleistnng etwns Zufälliges und der Deutung nicht Bedürftiges sei. Es darf uns auch auffallen, daß es in diesen Beispielen einem bewußth Vorsatz so gründlich mißlingt, den Erfolg der Fehlleistung hinfanzuhnlten. Mein Freund setzt es doch nicht durch, die Vereinssitzung zu besuchen, und die Dame findet sich außer stancle. sich van der Medaille zu trennen. Jenes Unbekannte, das sich gegen diese Vorsiitze sträubt, findet einen anderen Ausweg, nachdem ihm der erste Weg versperrt wird. Zur Überwindung des unbekannten Motivs ist nämlich noch etwas anderes als der bewußte Gegenvorsatz erforderlich ; es brauchte eine psychische Arbeit, welche das Unbekannte dem Bewußt sein bekannt macht.§ 1258§ 1259
XII.
§ 1260DETERMINISMUS. — ZUFALLS- UND ABERGLAUBEN.
— GESICHTSPUNKTE.§ 1261Als das allgemeine Ergebnis der vorstehenden EinzelerörteGewisse Unzulänglichkeiten unserer psychischen Leistungen — deren gemeinsamer Charakter sogleich näher bestimmt werden soll — und gewisse absichtslos erscheinende Verrichtungen erweisen sich, wenn man das Verfahren der psychoanalytischen Untersuchung auf. sie anwendet, als wohlmotiviert und durch dem Bewußtsein unbekannte Motive determiniert
rungen kann man folgende Einsicht hinstellen: § 1262Um in die Klasse der so zu erklärenden Phänomene ein
gereiht zu werden, muß eine psychische Fehlleistung fol genden Bedingungen genügen.§ 1263a) Sie darf nicht über ein gewisses Maß hinausgehen, wel ches von unserer Schätzung festgesetzt ist und durch den Aus druck „innerhalb der Breite des Normalen“ bezeichnet wird.
§ 1264b) Sie muß den Charakter der momentanen und zeitwei ligen Störung an sich tragen. Wir müssen die nämliche Lei stung vorher korrekter ausgeführt haben oder uns jederzeit zutrauen, sie korrekter auszuführen. Wenn wir von anderer Seite korrigiert werden, müssen wir die Richtigkeit der Kor rektur und die Unrichtigkeit unseres eigenen psychischen Vor ganges sofort erkennen.
§ 1265c) Wenn wir die Fehlleistung überhaupt wahrnehmen, dürfen wir von einer Motivierung derselben nichts in uns ver spüren, sondern müssen versucht sein, sie durch „Unaufmerk samkeit“ zu erklären oder als „Zufälligkeit“ hinzustellen.
§ 1266Es verbleiben somit in dieser Gruppe die Fälle von Ver
gessen und die lrrtümer bei besserem Wissen, das Verspre chen, Verlesen, Verschreiben, Vergreifen und die sogenannten Zufallshandlungen.§ 1267Die gleiche Zusammensetzung mit der Vorsilbe ver deutet für die meisten dieser Phänomene die innere Gleichartigkeit sprachlich an. An die Aufklärung dieser so bestimmten psychi schen Vorgänge knüpft aber eine Reihe von Bemerkungen an, die zum Teile ein weitergehendes Interesse erwecken dürfen.
§ 12681. Indem wir einen Teil unserer psychischen Leistungen alsMeyer in der „Zeit“ ausgeführt und an Beispielen erläutert gefunden, daß es unmöglich ist, absichtlich und willkürlich einen Unsinn zu komponieren. Seit längerer Zeit weiß ich, daß man es nicht zu stande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebenso wenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Ich will nun zunächst ein Beispiel eines willkürlich gewählten Vornamens kurz erörtern und dann ein analoges Beispiel einer „gedankenlos hingeworfenen“ Zahl ausführlicher analysieren.
unaufklärbar durch Zielvorstellungen preisgeben, verkennen wir den Umfang der Determinierung im Seelenleben. Dieselbe reicht hier und noch auf anderen Gebieten weiter, als wir es vermuten. Ich habe im Jahre 1900 in einem Aufsatz des Literaturhistorikers R. M. § 1269α) Im Begriffe, die Krankengeschichte einer meiner PaDora. Ich frage nach seiner Determinierung, Wer heißt denn nur sonst Dora? Ungläubig möchte ich den nächsten Einfall zurückweisen, der lautet, daß das Kindermädchen meiner Schwester so heißt. Aber ich besitze so viel Selbstzucht oder Übung im Analysieren, daß ich den Einfall festhalte und weiterspinne. Da fällt mir auch sofort eine kleine Begebenheit des vorigen Abends ein, welche die gesuchte Determinierung bringt. Ich sah auf dem Tische im Speisezimmer meiner Schwester einen Brief liegen mit der Aufschrift: „An Fräulein Rosa W.“ Erstaunt frage ich, wer so heißt, und werde be lehrt, daß die vermeintliche Dora eigentlich Rosa heißt und diesen ihren Namen beim Eintritt ins Haus ablegen mußte, weil meine Schwester den Ruf „Rosa“ auch auf ihre eigene Person beziehen kann. Ich sagte bedauernd: Die armen Leute, nicht einmal ihren Namen können sie beibehalten! Wie ich mich jetzt besinne, wurde ich dann für einen Moment still und be gann an allerlei ernsthafte Dinge zu denken, die ins Unklare verliefen, die ich mir jetzt aber leicht bewußt machen könnte. Als ich dann am nächsten Tag nach einem Namen für eine Person suchte, die ihren eigenen nicht beibehalten, fiel mir kein anderer als „Dora“ ein. Die Ausschließ durfte lichkeit beruht hier auf fester inhaltlicher Verknüpfung, denn in der Geschichte meiner Patientin rührte ein auch für den Verlauf der Kur entscheidender Einfluß von der im fremden Haus dienenden Person, von einer Gouvernante, her.
tientinnen für die Publikation herzurichten, erwäge ich, welchen Vornamen ich ihr in der Arbeit geben soll. Die Aus wahl scheint sehr groß; gewiß schließen sich einige Namen von vornherein aus, in erster Linie der echte Name, sodann die Namen meiner eigenen Familienangehörigen, an denen ich An stoß nehmen würde, etwa noch andere Frauennamen von be sonders seltsamem Klang; im übrigen aber brauchte ich um einen solchen Namen nicht verlegen zu sein. Man sollte er warten und ich erwarte selbst, daß sich mir eine ganze Schar weiblicher Namen zur Verfügung stellen wird. Anstatt dessen taucht ein einzelner auf, kein zweiter neben ihm, der Name § 1270Diese kleine Begebenheit fand Jahre später eine unerwarDora der Name Erna einfiel, dessen ich mich nun im Vortrag bediente. Nach der Vorlesung fragte ich mich, woher wohl der Name Erna, stammen möge, und mußte lachen, als ich merkte, daß die gefürchtete Möglichkeit sich bei der Wahl des Ersatznamens dennoch, wenigstens teilweise, durch gesetzt hatte. Die andere Dame hieß mit ihrem Familiennamen Lucerna, wovon Erna ein Stück ist.
tete Fortsetzung. Als ich einmal die längst veröffentlichte Krankengeschichte des nun Dora genannten Mädchens in meiner Vorlesung besprach, fiel mir ein, daß ja eine meiner beiden Hörerinnen den gleichen Namen Dora, den ich in den verschiedensten Verknüpfungen so oft auszusprechen hatte, trage, und ich wandte mich an die junge Kollegin, die mir auch persönlich bekannt war, mit der Entschuldigung, ich hätte wirklich nicht daran gedacht, daß sie auch so heiße, sei aber gern bereit, den Namen in der Vorlesung durch einen anderen zu ersetzen. Ich hatte nun die Aufgabe, rasch einen anderen zu wählen, und überlegte dabei, jetzt dürfe ich nur nicht auf den Vornamen der anderen Hörerin kommen und so den psychoanalytisch bereits geschulten Kollegen ein schlech tes Beispiel geben. Ich war also sehr zufrieden, als mir zum Ersatze für § 1271β) In einem Briefe an einen Freund kündigte ich ihm an,2467 Fehler enthalten“. Ich versuche sofort, mir diese Zahl aufzuklären und füge die kleine Analyse noch als Nach schrift dem Briefe an. Am besten zitiere ich jetzt, wie ich damals geschrieben, als ich mich auf frischer Tat ertappte:
daß ich jetzt die Korrekturen der Traumdeutung abgeschlossen habe und nichts mehr an dem Werke ändern will, „möge es auch § 1272„Noch rasch einen Beitrag zur Psychopathologie des All24. Geburtstag also, habe ich im Militärarrest gefeiert (weil ich mich eigenmächtig absentiert hatte). Das war also 1880; es sind 19 Jahre her. Da hast Du nun die Zahl 24 in 2467! Nimm nun meine Alters zahl 43 und gib 24 Jahre hinzu, so bekommst Du die 67! Das heißt auf die Frage, ob ich auch in den Ruhestand treten will, habe ich mir im Wunsche noch 24 Jahre Arbeit zugelegt. Offenbar bin ich gekränkt darüber, daß ich es in dem Intervall, durch das ich den Oberst M. verfolgt, selbst nicht weit gebracht habe, und doch wie in einer Art von Triumph darüber, daß er jetzt schon fertig ist, während ich noch alles vor mir habe. Da darf man mit Recht sagen, daß nicht einmal die absichts los hingeworfene Zahl 2467 ihrer Determinierung aus dem Un bewußten entbehrt.“
tagslebens. Du findest im Briefe die Zahl 2467 als übermütige Willkürschätzung der Fehler, die sich im Traumbuch finden werden. Es soll heißen: irgend eine große Zahl, und da stellt sich diese ein. Nun gibt es aber nichts Willkürliches, Un determiniertes im Psychischen. Du wirst also auch mit Recht erwarten, daß das Unbewußte sich beeilt hat, die Zahl zu determinieren, die von dem Bewußten freigelassen wurde. Nun hatte ich gerade vorher in der Zeitung gelesen, daß ein General E. M. als Feldzeugmeister in den Ruhestand getreten ist. Du mußt wissen, der Mann interessiert mich. Während ich als militärärztlicher Eleve diente, kam er einmal, damals Oberst, in den Krankenstand und sagte zum Arzte: ,Sie müssen mich aber in acht Tagen gesund machen, denn ich habe etwas zu arbeiten, worauf der Kaiser wartet.‘ Damals nahm ich mir vor, die Laufbahn des Mannes zu verfolgen, und siehe da, heute (1899) ist er am Ende derselben, Feldzugmeister und schon im Ruhestande. Ich wollte ausrechnen, in welcher Zeit er diesen Weg zurückgelegt, und nahm an, daß ich ihn 1882 im Spital gesehen. Das wären also 17 Jahre. Ich erzähle meiner Frau davon und sie bemerkt: ,Da müßtest du also auch schon im Ruhestand sein?‘ Und ich protestiere: Davor be wahre mich Gott. Nach diesem Gespräche setze ich mich an den Tisch, um Dir zu schreiben. Der frühere Gedankengang setzt sich aber fort und mit gutem Recht. Es war falsch ge rechnet; ich habe einen festen Punkt dafür in meiner Er innerung. Meine Großjährigkeit, meinen § 1273Seit diesem ersten Beispiel von Aufklärung einer scheinbar
willkürlich gewählten Zahl habe ich den gleichen Versuch vielmals mit dem nämlichen Erfolge wiederholt; aber die meisten Fälle sind so sehr intimen Inhalts, daß sie sich der Mitteilung entziehen.§ 1274Gerade darum aber will ich es nicht versäumen, eine sehrAdler (Wien) von einem ihm bekannten „durchaus gesunden“ Gewährsmann erhielt**: A. schreibt mir: „Gestern abends habe ich mich über die ,Psychopathologie des Alltags‘ hergemacht und ich hätte das Buch gleich ausgelesen, wenn mich nicht ein merkwürdiger Zwischenfall gehindert hätte. Als ich nämlich las, daß jede Zahl, die wir scheinbar ganz willkürlich ins Bewußtsein rufen, einen bestimmten Sinn hat, beschloß ich, einen Versuch zu machen. Es fiel mir die Zahl 1734 ein. Nun überstürzten sich folgende Einfälle: 1734:17=102; 102:17=6. Dann zerreiße ich die Zahl in 17 und 34. Ich bin 34 Jahre alt. Ich betrachte, wie ich Ihnen, glaube ich, einmal gesagt habe, das 34. Jahr als das letzte Jugendjahr, und ich habe mich darum an meinem letzten Geburtstag sehr miserabel gefühlt. Am Ende meines 17. Jahres begann für mich eine sehr schöne und interessante Periode meiner Entwicklung. Ich teile mein Leben in Abschnitte von 17 Jahren. Was haben nun die Divisionen zu bedeuten? Es fällt mir zu der Zahl 102 ein, daß die Nummer 102 der Reclamschen Universalbibliothek das Kotzebuesche Stück ,Menschenhaß und Reue‘ enthält.“
interessante Analyse eines „Zahleneinfalls“ hier anzufügen, welche Dr. Alfred * Alfr. Adler, Drei Psychoanalysen von Zahleneinfällen und obse dierenden Zahlen. Psych.-Neur. Wochenschr., Nr. 28, 1905. § 1275„Mein gegenwärtiger psychischer Zustand ist MenschenMüllners ,Schuld‘. Mich quält in einem fort der Gedanke, daß ich durch meine Schuld nicht geworden bin, was ich nach meinen Fähigkeiten hätte werden können. Weiter fällt mir ein, daß Nr. 34 der U.-B. eine Er zählung desselben Müllner, betitelt ,Der Kaliber‘, enthält. Ich zerreiße das Wort in ,Ka-liber‘; weiters fällt mir ein, daß es die Worte ,Ali‘ und ,Kali‘ enthält. Das erinnert mich daran, daß ich einmal mit meinem (sechsjährigen) Sohne Ali Reime machte. Ich forderte ihn auf, einen Reim auf Ali zu suchen. Es fiel ihm keiner ein und ich sagte ihm, als er einen von mir wollte: ,Ali reinigt den Mund mit hypermangansaurem Kali‘. Wir lachten viel und Ali war sehr lieb. In den letzten Tagen mußte ich mit Verdruß konstatieren, daß er ,ka (kein) lieber Ali sei‘.“
haß und Reue. Nr. 6 der U.-B. (ich weiß eine ganze Menge Nummern auswendig) ist § 1276„Ich fragte mich nun: Was ist Nr. 17 der U.-B.?, konnte
es aber nicht herausbringen. Ich habe es aber früher ganz be stimmt gewußt, nehme also an, daß ich diese Zahl vergessen wollte. Alles Nachsinnen blieb umsonst. Ich wollte weiter lesen, las aber nur mechanisch, ohne ein Wort zu verstehen, da mich die 17 quälte. Ich löschte das Licht aus und suchte weiter. Schließlich fiel mir ein, daß Nr. 17 ein Stück von Shakespeare sein muß. Welches aber? Es fällt mir ein: Hero und Leander. Offenbar ein blödsinniger Versuch meines Wil lens, mich abzulenken. Ich stehe endlich auf und suche den Katalog der U.-B. Nr. 17 ist ,Macbeth‘. Zu meiner Verblüf fung muß ich konstatieren, daß ich von dem Stücke fast gar nichts weiß, trotzdem es mich nicht weniger beschäftigt hat als andere Dramen Shakespeares. Es fällt mir nur ein: Mörder, Lady Macbeth, Hexen, ,Schön ist häßlich‘, und daß ich seiner zeit Schillers Macbethbearbeitung sehr schön gefunden habe. Zweifellos habe ich also das Stück vergessen wollen. Noch fällt mir ein, daß 17 und 34 durch 17 dividiert 1 und 2 ergibt. Nr. 1 und 2 der U.-B. ist Goethes ,Faust‘. Ich habe früher sehr viel Faustisches in mir gefunden.“§ 1277Wir müssen bedauern, daß die Diskretion des Arztes unsAdler bemerkt, daß dem Manne die Synthese seiner Auseinandersetzungen nicht gelungen ist. Dieselben würden uns auch kaum mitteilenswert erschienen sein, wenn in deren Fortsetzung nicht etwas aufträte, was uns den Schlüssel zum Verständnis der Zahl 1734 und der ganzen Ein fallsreihe in die Hand spielte.
keinen Einblick in die Bedeutung dieser Reihe von Einfällen ge gönnt hat. § 1278„Heute früh hatte ich freilich ein Erlebnis, das sehr für dieFreudschen Auffassung spricht. Meine Frau, die ich beim Aufstehen des Nachts aufgeweckt hatte, fragte mich, was ich denn mit dem Katalog der U.-B. gewollt hätte. Ich erzählte ihr die Geschichte. Sie fand, daß alles Rabulistik
Richtigkeit der § 1279sei, nur — sehr interessant — den Macbeth, gegen den ich mich
so sehr gewehrt hatte, ließ sie gelten. Sie sagte, ihr falle gar nichts ein, wenn sie sich eine Zahl denke. Ich antwortete: ,Machen wir eine Probe.‘ Sie nannte die Zahl 117. Ich er widerte darauf sofort: ,17 ist eine Beziehung auf das, was ich dir erzählt habe, ferner habe ich dir gestern gesagt: wenn eine Frau im 82. Jahre steht und ein Mann im 35., so ist das ein arges Mißverhältnis.‘ Ich frozzle seit ein paar Tagen meine Frau mit der Behauptung, daß sie ein altes Mütterchen von 82 Jahren sei. 82+35=117.“§ 1280Der Mann, der seine eigene Zahl nicht zu determinierenAdler andeutet, einen unterdrückten Wunsch des Mannes aus, der voll entwickelt lauten würde: „Zu einem Manne von 34 Jahren, wie ich einer bin, paßt nur eine Frau von 17 Jahren.“
wußte, fand also sofort die Auflösung, als seine Frau ihm eine angeblich willkürlich gewählte Zahl nannte. In Wirklichkeit hatte die Frau sehr wohl aufgefaßt, aus welchem Komplex die Zahl ihres Mannes stammte, und wählte die eigene Zahl aus dem nämlichen Komplex, der gewiß beiden Personen gemein sam war, da es sich in ihm um das Altersverhältnis der beiden handelte. Wir haben es nun leicht, den Zahleneinfall des Mannes zu übersetzen. Er spricht, wie § 1281Damit man nicht allzu geringschätzig von solchen „SpieleAdler erfahren habe, daß ein Jahr nach Veröffentlichung dieser Analyse der Mann von seiner Frau geschieden war**.
reien“ denken möge, will ich hinzufügen, was ich kürzlich von Dr. * Zur Aufklärung des „Macbeth“ in Nr. 17 der U.-B. teilt mir Adler mit, daß der Betreffende in seinem 17. Lebensjahr einer anarchistischen Gesellschaft beigetreten war, die sich den Königsmord zum Ziel gesetzt hatte. Darum verfiel wohl der Inhalt des Macbeth dem Vergessen. Zu jener Zeit erfand die nämliche Person eine Geheimschrift, in der die Buchstaben durch Zahlen ersetzt waren. § 1282Ähnliche Aufklärungen gibt Adler für die Entstehung obsedierender Zahlen. Auch die Wahl sogenannter „Lieblings zahlen“ ist nicht ohne Beziehung auf das Leben der betreffenden Person und entbehrt nicht eines gewissen psychologischen Interesses. Ein Herr, der sich zu der besonderen Vorliebe für die Zahlen 17 und 19 bekannte, wußte nach kurzem Besinnen anzugeben, daß er mit 17 Jahren in die langersehnte akade mische Freiheit, auf die Universität, gekommen, und daß er mit 19 Jahren seine erste große Reise und bald darauf seinen ersten wissenschaftlichen Fund gemacht. Die Fixierung dieser Vorliebe erfolgte aber zwei Lustren später, als die gleichen Zahlen zur Bedeutung für sein Liebesleben gelangten. — Ja, selbst Zahlen, die man anscheinend willkürlich in ge wissem Zusammenhange besonders häufig gebraucht, lassen sich durch die Analyse auf unerwarteten Sinn zurückführen. So fiel es einem meiner Patienten eines Tages auf, daß er im Unmut besonders gern zu sagen pflegte: Das habe ich dir schon 17- bis 36mal gesagt, und er fragte sich, ob es auch dafür eine Motivierung gebe. Es fiel ihm alsbald ein, daß er an einem 27. Monatstag geboren sei, sein jüngerer Bruder aber an einem 26., und daß er Grund habe, darüber zu klagen, daß das Schick sal ihm so viel von den Gütern des Lebens geraubt, um sie diesem jüngeren Bruder zuzuwenden. Diese Parteilichkeit des Schicksals stellte er also dar, indem er von seinem Geburts datum zehn abzog und diese zum Datum des Bruders hinzu fügte. „Ich bin der Ältere und dennoch so verkürzt worden.“
§ 1283Ich will bei den Analysen von Zahleinfällen länger ver
weilen, denn ich kenne keine anderen Einzelbeobachtungen, die so schlagend die Existenz von hoch zusammengesetzten Denk vorgängen erweisen würden, von denen das Bewußtsein doch keine Kunde hat, und anderseits kein besseres Beispiel von § 1284298 XKI, DETEHMINISMUS'. — ZUFALLS- U. ABERGLAUREN ETC.
§ 1285Anulysen, hei dr.-um die häufig angeschnlcligt;c Mitarbeit des
Arztes (dir Suggosnion) so sicher außer Betracht kommt. Ich wordc rl:|l10)‘ die Analyse eines Znhlnnninfalles eines meiner Patienten (mit seiner Zustinuuunp‘) him" mitteilen, von dem ich nur anzugeben br;mche, daß er dns jüngste Kind einer lungen Kimlerreihe ist, und (laß er den l,)ewunderten Vater in jungen Jahren verloren hat. In besonders lreitmrer Stimmung läßt er sich die Zahl 426718 einfallen und “vllt sich die Fragt: „Alsu was fällt mir dazu ein? Zunächst ein Witz, den ich gehört habe: ,Wenn man einen Schnupfen ärztlich behandelt, dauert er 42 Tage, wenn man ihn aber unbolmndelt läßt — 6 \‘Vouhcn,‘ Das entspricht. den ersten Ziffern der Zahl 42:6)(7. in der Stop-kung, die sich bei ihm nach dieser ersten Lösung einstwllt7 mache ich ihn Aufmerksum, daß die von ihm gewäth sechsstellige Zahl alle ersten Ziffern ent ha-lt,c bis auf 3 und 5. Nun findet (er sofort die Fortsetzung§ 1286der Deutung. „Wir sind ! Geschwister. ich der jüngsh:
3 entsprichl in der Kimlerrr-ilw der Schwester A., 5 dem Bruder T.;, das waren meine beiden Feinde, Ich pflegte nls Kind jeden Abend zu Gott zu beten, daß er diese meine beiden Quälgeister aus dem Leben abberufen solle. Es scheint mir nun, daß ich mir hier diesen Wunsch selbst erfüllo; 3 und 5, der böse Bruder und die gehaßte Schwester sind übergangen, „_ Wenn die Zahl also Ihre Geschwisterreihv l>e<h-utet., wa. snll das 18 am Ende? Sie waren doch nur 7, — „Ich habe oft gr:§ 1287dacht, wenn der Vater noch länger gelebt 1151110, so w”re ich
§ 1288nicht; das jüngste Kind geblieben. Wenn noch 1 gekommen
wäre, so wären wir 8 gewesen, und ich hätte ein kleineres Kind hinter mir gehabt, gegen das ich den Älteren gespielt, hätte.“§ 1289Somit war die Zahl aufgeklärt, aber es lag uns noch ob,
den Zusammenhang zwischen dem ersLen Stück der Deutung§ 1290§ 1291
XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLi—% L'. ABERGLAUBEN ETC. 299
§ 1292und «ich. folgenden herzustellen Das ergab sich sohr leicht aus
der fiir die letzten Zahlen benötigten Bedingung: Wunn der Vater noch länger geh-bt hätt-Lo. 42 =6 X 7 bcdcubcte den Hohn g(‘_2‘('ll dir: Ärzte. «lie dem Van-r nicht hatten lielfon können, driicklr- also in dlcser Form den Wunsch nach dom E‘ortlelien (ln-,< Vaters aus, Tlie ganze Zahl entsprach eigentlich der 'Er füllnng schw-r bci<lrn inl'nnlilon \\“ünsx-ln) in lwrrr-ff winns Fur milivnkreiscS. die beiden ln'isvn Geschwister sollten sterben, und n-in lil1‘l‘mxx Hrschwisbemhen hinter ihnen nnuhkommcn, odvr auf den kürzesten Ausdruck gebracht: “"unn doch liobnr div ln:idr‘n gostorhr-n wären anstatt, dns gnliwhi'mi V;itnrs!*§ 1293' Ein kleines lä<'ifipitll aus mrlinßr KOI‘I‘CSPOIIClK'LLZ. Ein Tele
gr;lpin--lnlirwl<im‘ in L. schr=*lbt. sein ls‘,_fl§ 1294Niger thn, der
Mx-«li2in sluc|i(‘rnn wolln, bESrhiil'nigc sich schon jetzt mit der l’s_\'cliripaflinlogic dos Alltags und snclm seine Elici‘n von (im Richtigkeit; meiner Anfslvllnng‘on zu iiberzpngvn. [(‘ll gwbe] vinm. der von ihm 1xngvstvlllcn Versuche wieder, ohne mich Lila-r (litt Murau; geknüpftw Diskussion zu Sinßm‘n.§ 1295„Mein Sohn unll‘i‘hiili si:‘h mil IILL'lUBI‘ Fran über den so
gflnanntcn annll und orlä.uh‘rt ihr, (laß sie kein Lied, keine Zahl nennen könne. die ihr wirklich nur ,zufällig ninficlr:n. Es vntspinnt sich folgende Unterhaltung:§ 1296Sohn: .\"vnnc mir irgvncl eine Zahl.
§ 1297.\l\lll,bl‘l 79.
§ 1298Sulin: \\'us IällL dir dabei ein"!
§ 1299.\llIl-L(!IZ Ich dvnkn an den schönen Hut, (len ich gestern
brg<ir4hiigf(1 '§ 1300f\‘uhn: \\'ns kostt‘to er!
§ 1301Multi-r: 15-* M.
§ 1302* Zur Vereinfachung habe ich einige nicht minder gut passende
§ 1303Zwischeneinfälle des Patienten weggelassen.
§ 1304§ 1305
300 XII. DETERMINISWIUS. * ZUFALLS- II. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1306Suhl]: l):i hnlwn wir ns: 15832f79. l)il' war der Hut
zu t(-unr und du hast. gewiß 5_fndnchl,: ,Wu-nn ur halb soviel kost-nte, “‘Ül'(l“ ich ihn kn.ufvn,‘§ 1307Gegen diesv Ausfiihrungnn “mim-5 .\‘nhnvs nrhnh ich zu
nächst den Einwand, rlnl,l "Damen im n.llgnmwinnn nicht hc sondcrs rochnctcn und daß sich auch Mutter gmviß nicht klar g(-zuacht habe. 79 s('i div Hälfte wm ISS, Als” sofzo spine Thr‘orio die immerhin un\\‘ällll‘fil'h(‘lllll0ll(‘ 'J‘a,lsm-hn voraus, (]:).B das Unter-hmvußtsoin besser rechnn als. das normale Bewußt sein ,l)urclnlus nicht} nrhielt ich zur Antwort; ,zugr-gcbcn, daߧ 1308Mutter die Rechnung [58 _79 nicht gmnncht hat, sin; kann
§ 1309aber recht gut: diese Gleichung gelegentlich gesehen haben;
'it'tigt und§ 1310ja sie kann im Trauma sich mit. dern Hufe hose
dabei sich klar gemauhß haben, wie teuer er \\r'lii‘t), wenn er nur die Häwa kostete.”§ 1311Eine andere Zahlonanulysn entnohnm ich .Ton05 (L 04,
p. 478). Ein Herr sviner ll<\kannßschu.fb lioß sich (lin Zahl 986 einfallen und forderte ihn dann humns, sie mit irgend PfWfl€, was er sirh denke. in Zusammenhang zu bringen, „Die in .hste Assoziation (ler Vorsuchspcrson war die Erinnerung an einen längst vorgossvnnn Scherz. Ani heißesten Tage d„5 Jahres vor§ 1312sechs Jahren hatte eine Zeitung die Notiz gebracht; (his
Thermometer z<\ig€ 9860 Fahrenheit, offenbar cine gl‘ulr\'liC Übel‘treibung von 98'6, déin wirklichen 'I'hvrnrmnrtiorsln.nd! Wir saßen wiihrend dinsor Unterhaltungr vor einem starken Feuer im Kamin, von d<‘lll or sich wr:grückto, und er bonn»rkt,o unhrscheinlich mit Recht, daß die große Hitze ihn auf diese Erinnerung gebracht habe. Ich gab mich aber nicht so [nicht zufrieden und verlangte zu wissen. wieso gz-rade diese Erinne rung bei ihm so fest gehnft.et llabP. Er «‘rzäihltc. er hahu illu:l'§ 1313diesen Scherz so fürchterlich gehn-ht und sich jedesmal von
§ 1314§ 1315
XII. DETEKMINISMUS. — ZITALLS- U. AI$ERGLAUBEN E C, 301
§ 1316ncnwnn über ihn amüsiert, so oh er ihm Wir:dcr eingefallen sei.
Da ich aber den Scherz nicht besonders gut finden konnte, wurdv meine Erwartung eines guin‘lllllt'ill Sinnrss dahinter nur noch verstärkt. Sein nächst-„nr Gedanke war, daß die. Vnrstel lung der Wärme ihm immer soviel bedeutet habe, Wärme sei (ln-s Wichtigste in der Welt. die Quelle alles wauns usw. Eim- snlchf- Sehwiirmorcli ninvs sonst. recht nüchternen jungen Mannes mußte nachdi=nklich stimmen; ich hat ihn, mit seinen Assoziationen fortzufu.hrun Sein nächster Einfall ging auf. <h»n Rauchfnng einer Faln°ik, den er von seinem Schlafzimmer aus schon koninn Er pflpgtn oft des Abends auf den [Lauch und das Feuer zu starwn„ der aus ihm hervorging, und dabei über die beklagunswnrtc V(‘i'gßur,lnlig von Energie nachzu El(-nlun W'änue, Ft-nwr§ 1317(lie Qur‘llx‘ alles Loheus‘. die Vorgou
dung von Energiv uns eiuor hohen hohlen Röhm „ vs war nicht schwer, uns diesen Assoziationen zu 01T£Ltén, daß die Vorsh-llung “Arme und Feuer bei ihm mit der Vorslcllung von Liebe verknüpft waren. wie es im syinbolischon Denken gmvi'rhnlich ist. und daß ein starker M:1sturbationskmnph-,x§ 1318seinen Z:1hleneinfall 1nol.ivinrt hubc, Es blinh ihm nichts übrig,
§ 1319als meine Vermuiung zu bestätigen,“
§ 1320Wer sich von (im“ Art, wie das Material (lm‘ Zn.hlm im nn
bc\vußt,en Denken \‘vl'ui'lmilet wird. einen guten Eindruck holen will, den verweisn ich auf C. (L Jungs Aufsatz „Ein Beitrag zur Kenntnis des Zahlentrzmmos“ (Zentralhl. für Psychoanalyse. I, 1912) und auf einen andcrvn von E, Jone's „Unconsciou‘s manipulnlions of nulnl>0rs" (ihrl. II. 1 19l‘2).§ 1321ln eigvnen Analysen dies—i Art ish mir zweierlr—i hr-sonders
uul'lfiillig: Erst_ons div geradezu somnnmlwnle Sicherheit, mit dvr ich auf das mir unbekannte Ziel losgehe, mich in einen rcchnendnn Gedankn-ngang versr*nke, der dann plötzlich bei§ 1322§ 1323
302 XII. DE'I‘ENMINISMUS. , Z[?I<‘ALLS- ll. AHERGLAUBEN ETC.
§ 1324dor gesnclitnn Zahl zmgvlu.ngt i. .. mnl die Rusvh'n-ih mit (lnr
sich die ganze Na.charbr‘it vollzieht; zweitens aber Jn1' I'm sta„ucL daß rlie Zahlen meinr‘ni unbewußlr:n Denken SU l)r-I'Pit—§ 1325h»
§ 1326willig; zur Vm‘fiig'ung' sl(‘hf‘n. wiihrend ich Pin sr'hlnvhinr Rr
§ 1327>'I<.-itnn habe. mir J:1hrns
§ 1328ner bin und die größten thwior
znhlg=n. Hausnummm‘n und (,lcrglniflhün bewußt zu nun-ken. Ich finde iibrigons in diesen unhcwnßicn (.)—odaukcnnpornrinnen mit Zahlcn vin(\ Neigung zum ,\lwi‘g‘lunlmn, dm'nn Horknnl’l mir§ 1329:.k).
§ 1330‘* Herr lunloli' Sl'linci«lcr in ,\llluClmn hat eine inleress;mta fiiinwn
§ 1331lnng'n Znit fremd grshlivlmn is
§ 1332(lung gegen din, Beweiskraft salr‘.her ’/.uhlenzmalysen erhoben. (R, Schnei
der, Zu ]l‘rcurls analytischcr Untersuchung das Z:xhlenoinfnlls. Iniernn.t. Zoiiscln'. für Psychoanalyse, 1920. Heft 1.) Er griff gegebene I’.nhlun wii, z. B, Pine solche} die ihm in einem aufgeschlugvucn (icls‘v'hichlswerkn 7n Frfit in die Augewi fiel, oder er legte einer anderen Person eine mu ihm ausgewählte Zahl vor und sah nun zu, ob sich auch zu dia-ser :un‘qmlrihmwn Zahl anscheinend delerminierendr Einfä.lle einstelllen. Das war nun wirk lich der Fall; in dem einen ihn selbst. betreffenden Beispiel, das er mit Lsilt, crgabci: die Einfiille eine ebenso rvichliche und sinnvolle Untermi nicrnng wie in unsun-n Analysen von spontan aufgetauchlen Zahlen. wäh rend (ioch (lin Zahl im Versuche Svhuei.lvw als von außen gegeben Pinr—r Deterinißierung nicht, bedürfte. In eiuclll zweiten Versuch mil nincr fremden Person machte er sich die Aufgabe offvnhnr zu ieh—ht, dmni er gab ihr die Zahl 2 auf, deren Delerminimnng durle irgond welches Material bei jedermann gelingen muß.§ 1333R. Schneider schli<sßl mm aus winen Erfahrungen zweisrlei.
erstens „das Psychische besitze zu Zahl(-n dieselben Assozinl,ionsmöglißlz keiten wie zu Begriffen", zweitens, das Aul'tmxchen delenninicronder Ein [iille zu spontanen Zu.hleneinfällen heweiso nichts für die Herkunft dieser Zahlen aus den in ihror „Anulysc“ gefundenen. Gedanken. Die (rrsfßrß Folgerung ist nun unzweil'ellmft richtig. Man kann zu einer gegebenen Zahl ebenso leicht etwas Passendes assoziiuren wie zu einem zugcrufenen Wort, ja. vielleicht noch leichter, da. die Verknüpfbnrkeib der wenigen§ 1334Zahlzeichen eine besonders große ist. Mal] befindet sich dann einfach in der
§ 1335§ 1336
XII. DETERMINISMUS. , ZUFALLS— L‘. ABERGLAUBEN ET
§ 1337Es wird uns nicht iili«arra.snhcn zu finden,- daß nicht mir
Zahlen, sondern auch Worteiiifiille anderer Art} sich der analytischen Untersuchung rogx-lmiißig illb gut, clctenniuim‘t erweisen,§ 1338.luiu liübsßht:i Beisyicl von Herl<—itung eines obsedierenden,
§ 1339d.h. verfolgeuden Wortes findet sich bei J ung (Diagnost. A 0—
§ 1340ziaiinussiudieu. IV, S_215), „Eine Dame erzählte mir, dul‘v ihr
§ 1341Situation des sogenannten Assoziationsexperiments, das von der Bleu.
ler-Jungschen Schule nach den mannigfu.ltigsteu Richtungen studiert werden ist. In dieser Situation wird der Einfall (Reaktion) durch das gegehenp Watt (Reimurb) deierininicrt. Diese Reaktion könnte aber noch von sehr versuhiudcner Art sein und die Jungschen Versuche haben gezeigl. daß auch die weitere Unterscheidung nicht; dem „Zulall“ iiber lassen isi, sondern dal} unbnwußte „Komplexc“ sich an der Doterminicrung beiniligpn, wenn sie durch das Reizu'ort nngcrührt werden sind.§ 1342Die zweite Folgeng Schneiders geht zu weit. Aus <lm' Tatsache,
daß zu gegebenen Zahlen (oder Worten) passende Einfiilln auftauchen ergibt sich nichts für die Ableitung spontan auftauchender Zahlen (oder Worte), WSS nicht schon vor Kenntnis dieser Tatsache in Betracht zu ziehen war. Diese liinfll.lle (Worte oder Zahlen) könnten undeterminiert sein oder durch die Gedanken detenuiuicrt, die sich in dcr Aimly$c ergehen, edel" durch andere Gedanken, die sich in der Analyse nicht vun-mon haben, in welchem Falle uns die Analyse irregeführt hiiitc, Man muß sich nur von dem Eindruck frei machen, daß dies Problem für Zahlen anders liege als für Worte'xnfälle. Eine kritische Untersuchung des Problems und so mit cine Rechtfertigung der psychoztnnlytischen Einfnllsicchnik liegt nicht in der Absicht dieses Buches. In der analytischen meis geht man von der Vormwfietzung aus, daß die zweite der erwähnten Möglichkeiten zun-«fk'end und in tler Mehrzahl der Fälle verwcrl.hur ist. Die l?ntpr suchungen eines Experimentalpsychologen haben geh-hm dal; sie die bei weitem wahrscheinlichstc ist, (Poppelreuter.) (Vgl. übrigens hic7.u die henchtenswerten Ausführungen Bleulers in seinem Buch: Das uutistisch-undisziplinierte Denken usw., 1915), Abschnitt 9: Von den \\'ahrscheinlichkciieu der psychologischen Erkenntnis.)§ 1343§ 1344
3011, XII. DETEKMINISMUS. — ZUFALLS- ll. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1345seit einigen 'J'ugen beständig (las Werl. .'l‘ngzrnrug' im Munde
§ 1346ohne, daß sie eine Idee habe., woher «ins knmme, ich fragte
§ 1347liege
die Dame nach (len :iffektlnetonten i‘h‘eig‘niss-en und Verdriingfen Wünschen der Jiingst-vergnngenheit. Nach einigem Zögern er ziihlie sie mir, (kill sie ,sehr gern einen ,Morgunruck‘ hätte.§ 1348ihr Mann aber nicht das gewünschte Interesse dafiir Illli)L'.
§ 1349,Morgenrocl; . T:m'-nn-rock‘, man sieht die partielle Sinn- und
§ 1350Klangver\vnii('it5chfilt, Die l)eterminntion der russnschen Fern)
§ 1351kommt daher, cln.ß ungefähr zu gleicher Zeit; die “zum: eine
1’ersönlir'hlmit uns Ta,gum'og kennen gelernt. hmm," Dr. ' llitschmu,nn verninnkc ich die Auflösung eines§ 1352anderen Falles, in dem sich ein Vers wiederholt in einer be.
§ 1353stimmten (")rtlichlmil. nis Eininll nui'drängte, ohne (|:iß dessen
Herkunft und Beziehungen ersichtlich gewesen wären.§ 1354„Erzählung des Dr, jur. E.: Ich fuhr vor sechs Jahren
von Bini‘ritz nach San Sebastian. Die Eisenbahnstra-<;ku führt iiber den Bidnsm:ifluß, der hier (lie Grenze zwischen Frank reich und Spanien bildet. Auf der liriin-ke hab man einen schünvn Blick, auf der einen Seite über ein \\ eit;es Tal und dic Pyrenäen, auf der anderen Seite weithin über das ,\lvcr. Es war ein schöner. heller Sonnnertag. alles war erlfilli von Sonne und Lichi. ich war auf einer Ferienreise, freut—: mich nach Spanien zu kommen — da fielen mir die Verse einr ,Aber frei ist schon die Seele. sclm'cbct» in dem Mvrfr von Licht!§ 1355Ich erinnere mich, daß ich damals dariiber nuchdnchte,
Woher diese Verse seien. [Ulli mich dessen nicht mitsinnen konnte; nach dem Rhythmus mußten die Worte aus einem Gedichte stammen. welches aber meiner Erinnerung vollständig entfallen war, Ich glaube später, (iiL mir (lie Verse Wieder holt in den Sinn kamen, noch mehrere Leute danach gefi‘agl zu haben, ohne etwas erfahren zu können.§ 1356§ 1357
XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 305
§ 1358lm Vorjahre fuhr ich, von einer spanischen Reise zurück
kehrend, auf derselben Bahnstrecke. Es war stocl;finsterc Nacht und es regnntc, ich sah zum Fenster hinaus, um zu sehen, ob wir schon in der Grenzstatiron ankämnn, und be merkte, daß wir auf der Bidirssoabriirkn waren. Sofort kamen mir die oben angeführten Verse wieder ins Gedächtnis, und. wieder konnte ich mich ihrer Herkunft nicht erinnern.§ 1359Mehrere Monate nachher kamen mir zu Hause die Uhlanrl
schen Gedichte in die Hand, Ich öffnete den Band und mein Blick fiel auf die Verse: ,Aber frei ist schon die Seele, schwebet in dem Meer von Licht‘, die den Schluß eines Gedichtes: ,Der Waller-‘ hilclen_ Ich Ins (las Gedicht und erinnerte mich nun ganz dunkel7 es einnnrl vor vielen Jahren gekanmt zu haben. Der Schauplatz der Handlung ist in Spanien, und dies schien mir die einzige Beziehung (ler zitierten Verse zu der von mir§ 1360' beschriebenen Stelle der Eisenbahnstrecke zu bilden. Ich war
von meiner Entdeckung nur halb lxel'riedigt und blätterte mechanisch in dem Buche weiter. Die Verse ,Aber frei ist schon usw! standen als die letzten auf einer Seite. Beim Um blätt-ern fand ich auf der nächsten Seite ein Gedicht mit der Überschrift: ,Die Bidassoabrücke.‘§ 1361Ich heincrke noch. daß mir (ler Inhalt dieses letzteren Gre
dichtes fast noch fremder schien als der des ersten„ und daߧ 1362seine ersten Verse lauten: ,Auf der Bid. eahrucke steht ein
§ 1363Heiliger altersgran. segnet rechts die spanischen Berge, segnet
links den fräuk'scheu Gau.”§ 1364Il. Diese Einsicht in die Deterrninierung scheinbar will
kürlich gewählter Namen und Zahlen kann vielleicht zur Klä— rung eines anderen Problems beitragen. Gegen die Annahme eines durchgehenden psychischen Deberminismus berufen sich bekanntlich viele Personen auf ein besonderes Überzeugunge—§ 1365Freud, Plychopalholngle den Alltagsleben. Vin. Ami. 20
§ 1366§ 1367
306 XII, DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAL'BEN ETC.
§ 1368gefühl fiir die Existenz eines freien Willens. Dieses Üben
zeug'ungsgefiihl besteht, und weicht. auch dem Glauben an den Determinismns nicht. Es muß wie alle normalen Gefühle durch irgend etwas berechtigt sein. Es äußert sich aber, soviel ich beobachten kann, nicht, bei den gmßen und wich! igen 'Willens» entscheidungen; bei diesen Gelegenheiten I’m-t man vielmehr die. Empfindung des psychischen Zwanges und beruft, sich gern auf sie („Hier stehe ich, ich kann nicht anders“), Hingegen möchte man gerade bei den bclanglosen, indiiferonbcn Ent» schließungcn versichern, daß man ebensowohl anders hätte handeln können, daß man aus freiem, nicht motivierlem Willen gehandelt hat. Nach unseren Analysen braucht. man nun das Recht des Überzeugungsgefiihles vom freien VVi'llen nicht zu bestreiten. Führt man die, Unterscheidung der Motivierung aus dem Bewußten von der Motivierun.g aus dem Unbewnßten ein, so berichtet uns das Überzeugungsgefiihl, daß die bewußte Motivierung sich nicht auf alle unsere motorischen Entschei— dungen erstreckt. Minima. non enr:1t praetor. Was aber so von der einen Seite frei gelassen wird, das empfängt seine I\Iotivierung von anderer Seite, aus dem Unbmvußben, und so ist die Determiniernng im Psychischen doch lückenlos durch geführt*.§ 1369T
§ 1370willkürlicher psychischer Aktionen haben bereits reiche Früchte für die
§ 1371Psychologie « vielleicht auch für die Rechtspflege —— getragen. Bleuler
und J ung haben in diesem Sinne die Reaktionen beim sogenannten§ 1372Anschauungen über die strenge I)ctenuinicrung anscheinend
§ 1373Assoziationsexperiment. verständlich gemacht, bei dem die untersuchte
Person auf ein ihr zugerut'ones Wort mit einem ihr dazu einfallendcn amt« wartet (Reizwort»Reziktion), und die. dabei verlaufene Zeit gemessen wird (Reaktionszeit). Jung hat in seinen „l)iagnostischen Assoziationsstudien 1906“ gezeigt, welch feines Ron;zens fiir psychische Zustände wir in dem so gedeutet-en Assoziationsexperiment besitzen. Zwei Schüler des Straf§ 1374§ 1375
XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLS- Il ABERGLAUBEN ETC. 307
§ 1376III. Wenngleich dem bewußtzen Denken die Kenntnis von
der 3Iutivierung der besprochenen Fehlleistungen nach der ganzen Sachlage abgehen muß, so wäre es doch erwünscht-. einen psychologischen Beweis für deren Existenz anfzufinden; ja es ist aus Gründe:; die sich bei näherer Kenntnis des Un bewußben ergeben, wahrscheinlich, daß solche Beweise irgend wo anffindbar sind. Es lassen sich wirklich auf zwei Gebiebcn Phänomene nachweisen, welche einer unbewußben und darum verschobenen Kenntnis von dieser Motiviei'lnig zu entsprechen scheinen: .§ 1377a) Es ist ein a.uffälliger und allgemein bemerkter Zug im
Verhalten der Paranoiker. daß sie den kleinen, sonst von uns vornachlä,ssigten Details im Benehmen der anderen die größte Bedeutung beilegen7 dieselben ausdeuten und zur Grundlage weitgehender Schlüsse machen. Der letzte Paranoiker z. B., den ich gesehen habe, schloß auf ein allgemeines Einverständnis in seiner Umgebung, weil die Leute bei seiner Abreise auf dem Bahnhof eine gewisse Bewegung mit, der einen Hand gemacht hatten. Ein anderer hat die Art, notiert, Wie die Leute a.uf der Straße gehen, mit. den Spazierstöckcn fuchteln u. dgl.*_§ 1378Die Kategorie des Zufälligen1 der Motivierung nicht Be—
dürftigen, welche der Normale für einen Teil seiner eigenen psychischen Leistungen und Fehllcis'nungen gelten läßt, ver wirl't der Paranoiker also in der Anwendung auf die psychi§ 1379rechtslehrers: H. Groß in Prag. “"erthz‘imer und Klein, haben aus
diesen Experimenten eine Technik zur ,,Tatbestands-Diagnoußik” in shaf rcchtlichcn Fällen entwickelt, deren Prüfung gegenwärtig Psychologen und .lurislen lmschäfLigt.§ 1380“ Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat man diese Beur
leilung unwesentliaher und. Zufälliger Äußerungen bei anderen zum „Be ziehungswahn“ gerechnet..§ 138120*
§ 1382§ 1383
308 XII. DETERMINISML‘S. — ZL’FALLS- L'. ABERGLAUBEN ETC
§ 1384schen Äußerunan der anderen. Alles, was er an (len anderen
bemerkt, ist heclrutungsvoll, alles ist deutbar, Wir- kommt; er nur dazu? Er projiziert. wahrscheinlich in das Seelenlebcn der anderen, was im eigenen unl_yewußt vorhanden ist-, hier wie in so vinlcn ähnlichen F:"illr—n, In der Paranoia drängt sich Ohren so vielerlei zum Bcwul.ltsrin durch, was wir bei Nm‘ma,lvn und Neurotilti‘rn erst durch die Psychoanalyse als im Unlwwußten vorhanden nnchweisen*_ 'Der Pa,ranoikcr hat also hierin in gewissem Sinne Recht. er erkennt etwas7 was dem Norm:nlvn entgeht, or sir‘ht schärfor als das normale Denkvermilgcn, aber die Vers(‘,hiclmn.gr des so erkannten Sachverhalts; auf andern macht seine Erkenntnis wortlos. Die Rechtfertigung dor ein zelnen parmmischen Deutungen wird man dann hoffentlich von mir Diehl erwarten. Das Stück Bererzhligung aber. welches wir der Paranoia bei dieser Auffassungr der anallshnnzilungnn zugestehen. wird uns das psychologische Verständnis der Uber zeugung erleichtern. welche sich beim Pn.ranniker an alle diese Deutungen geknüpft hat, Es ist eben etwas “"ahre5 daran; auch unsere nicht als krankhaft zu bczoichnnnrlen Urteilsirrtünier erweran das ihnen zugehörige Überzeugunge gefiihl auf keine andere Art.. Dies Gefühl ist fiir ein gewisses Stück des irrtiimlichen Gedankengmrges oder für die Quelle, aus clnr er stammt, berechtigt und wird dann von uns auf den iibrigen Zusammenhang ausgedehnt.§ 1385b) Ein anderer Hinweis auf die unbcwußtfl und verschobvne
§ 1386* Die durch Analyse bewußt zu muchemlzm Phantasien der Hyste
riker von sexuellen und grausamen Illißhaudlungen rchken sich z.B. ge legentlich bis ins Einzelne mit den Klagen vorfol,fztnr Paranoikor. Es ist bemerkenswert, aber nicht unverständlich, wenn der irlvntischc Inhalt uns auch als Realität in den Vera-nslaltungen Perverser zur Befriedigung ihrer Gelüste entgegentritt.§ 1387§ 1388
XII. DETERMINISMUS. « ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 309
§ 1389Kenntnis dcr Mct,ivierung bei Zufalls— und Fehlleistungen findet
sich in den Phänomenen des Aberglanbcns. Ich will meine Mei— nung durch die Diskussion des kleinen Erlebnissos klm‘lcgen, welches für mich der Ausgangspunkt. diesel-Überlegungen war. Von den Ferien zurückgekehrt, n'ehten sich meine Ge— danken alsbald auf die Kranken, die mich in dem neu. begin— nenden Arbeitsjahre beschäftigen sollen. Mein crstcr “fi-g gilt einer sehr alten Dame, bei der ich (siehe oben) seit Jahren die nämlichon ärztlichen Manipulationen zweimal täglich vor nehme, Wegen dieser Gleichförmigkcib haben sich unbewußtc Gedanken schr häufig nni.' dem Wege zu der Kranken und wäh— rend dcr Beschäftigung mil, ihr Ausdruck verschafft. Sie ist über 90 Jahre alt; es liegt also nahe, sich bei Beginn eines jwlnn .J'nlires zu fl‘ngnn. win lange sie ivohl noch zu leben hat. An dem Tage. wovon ich erzähle, habe ich Eile, nehme also einen Wagr-n. der mich vor ihr Haus fiihren soll, Jeder der Kntscher an!“ LlL'll.l Wagenstandplatz vor meinem Hanse kennt die Adresse der alten Frau. denn jeder hat mich schon oftmals dahin gofiihrr. lleutc eroignete es sich nun, daß der Kutscher nicht, vor ihrem Hanse. sondern vor dem gleichbczil'iertcn in einer nahegelegenen und wirklich ähnlich a.usschen(len Parallel siraße Halt macht. Ich merke (len Irrtum und wer£c ihn dem Kutschcr vor. der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten. (hi!). ich vor ein Haus geführt werde, in (,ll‘lll ich die alte Dame nicht variindc‘l Für mich gewiß nicht. aber wenn ich abcrglänhisch Wäre, wiirde ich in dieser Begebenheib ein Vorzeichen erblick«-n, einen Fingm‘zeig des Sehicksals, daß dies Jahr das, letzte fiir dic alte Fran sein wird. Recht viele Vorzeichen, welche die Geschichte aufbewahrt hat, sind in keiner besseren Symbolik begründet gei\‘esen. Ich erkläre aller dings den Vorfall fiir eine Zufälligkeit ohne weiteren Sinn.§ 1390§ 1391
2-510 XH. DETERMINISMUS. _ ZUFALLS— Y. ABERGLAU‘BEN ETC,
§ 1392Ganz anders läge der Fall, wenn ich den Weg zu Fuß ge
macht und dann in „Gedanken“, in der „Zerstreutheit',“ vor das Haus der Furnllelstra„ße anstatt Van richtige gekommen wäre. Das Wül‘dC ich für keinen Zufall erklären, sondern [in eine der Deutung bedürftige Handlung mit unbewußter Absicht, Diesem .,Vergehen“ müßte ich wahrscheinlich die Deutung geben, daß ich die alte Dame bald nicht mehr anzutreffen erwarte.§ 1393Ich unterscheide mich also von einem Aborgläubischen in
folgendem :§ 1394Ich glaube nicht daß ein Ereignis, an dessen Zustande
kommen 1nein Seelenleben unbeteiligt ist, mir etwas Verborgenes über die zukünftige Gestaltung der Realität lehren kann; ich glaube aber, daß eine unheabsichtigte Äußerung meiner eigenen Seelentätiglieit mir allerdings etwas Verborgenes enthüllt, was wiederum nur meinem Seelenleben angehört; ich glaube zwar am äußeren (realen) Zula„ll, aber nicht an innere (psychische) Zu fälligkcit. Der Aberglä.ubische umgekehrt: er weiß nichts von der l\loti\ ierung seiner zufälligen Handlungen und Fehllvistun gen, er glaubt, daß es psychische Zui'älliglmiten gibt; dafür ist er geneigt, dem äußeren Zufall eine Bedeutung zuzuschreiben, die sich im realen Geschehen äußern wird, im Zufall ein Aus drucksmittcl für etwas draußen ihm Verborgenes zu sehen. Die Unterschiede zwischen mir und. dem Aber-gliiubisehen sind zwei: erstens projiziert er eine Motivierung nach außen, die ich innen suche; zweitens deutet er den Zufall durch ein (in sehehen, den ich auf einen Gedanken lerüt‘lifülll‘ü Aber das Verborgene bei ihm entspricht dem Unbewußten bei mir, und der Zwang. den Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, son dern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.§ 1395[ch nehme nun an, daß diese bewußbe Unkenntnis und un
bewußte Kenntnis von der Motivierung der psychischen Zu—§ 1396§ 1397
XII. DETERMINISMUS — ZUFALLS- U. AHERGLAUBEX ETC. 311
§ 1398fälligkeiten eine der psychischen anrzcln des Abcrgla,ubcns
ist. Weil der Abergliinbische von der Motivicrung der eigenen zufälligen Handlungen nichts weiß, und weil die Tatsache dieser Motivierung nach einem Plätze in seiner Anerkennung drängt, ist er gonötigt, sie durch Verschiebung in der Außen welt nnterznbringen. Besteht ein solchsr Zusammenhang, so wird er kaum auf diesen einzelnen F:le beschränkt; sein. Ich glaube in der Tat, daß ein großes Stück der mythologischen Wreltnuffn.ssnng. die weit bis in die modernsten Religionnn hinein reicht, nichts anderes ist als in die Außenwelt projizierte Psychologie, Dir- dunkle Erkenntnis (sozu— sagen: endopsychische Wahrnehmung) psychischer Faktoren und Vorhältnissc* des Unbewu.ßten spiegelt sich — es ist schwer. es anders zu sngnn, die Analogie mit der Paranoia, muß hier zu Hilfe genommen werden * in der KonsßrnliLinn einer übersinnlichvn Realität, welche von der Wissensth in Psychologi: des Unbownßten znrückverwandelt wer den soll. .Man könnte sich getrauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfnll, von Gott. vom Guten und Bösnn, von der Un— sicrblichkeit u. dgl. in solcher Weise aufzulöscn, die Metab physik in Motapsychologic umzusetzen. Die Kluft zwi schcn der Verschiebung des Paranoiliers und der dns Aberglä.u bischen ist minder groß, als sie auf den ersten Blick erscheint. Als die Menschen zu denken begannen, wann sie bekanntlich gunötigt, die Außenwelt nnthropornorphisch in eine V ielheit von I’vrsönlichkeitcn nach ihrem Gloichnis aufzulösen; die aniilligkr-il'en, die sie abergläubisch deutcben, waren also Handlungt‘n. Äußerungen von Personen, und sie haben sich demnach genau so henommen wie die Paranoiker, welche aus den unscheinba.ren Anzeichen, die ihnen die anderen geben,§ 1399* Die natürlich nichts vom Charakter einer Erkenntnis hat.
§ 1400§ 1401
312 XII. DETERI\IINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC}
§ 1402Schlüsse ziehen, und wie die Gesunden alle, welche mit Recht
die zufälligen und unbeahsichtigten Handlungen ihrer Neben menschen zur Gr1nldlage der Schiltmu1g ihres Charakters machen. 'Der Aberglu.ube ersuhvinl- nur so sehr (l0pl:l(zi(>ll in Unserer modernen, nn.turwissenschaftlichen, aber noch keines— wegs abgenmdeton Weltanschauung; in der Weltanscluruung vorwissenschaftlicher Zeiten und Völker war er berechtigt und konsequent.§ 1403Der Römer. der eine wichtige Unberntzlnuuug aufgull, wenn
ihm ein \vidriger Vogelflug begegnete. mu“ also relativ im Recht; er handelte konsequent nach seinen Voraussetzungen. Wenn er aber von der Unternehmung abstemd, weil er an der Schwelle seiner Tür gcsbolpert war („Un Romain retmrrru‘ruiß“), so war er uns [fugliiubigen auch :rbsnlnt; überlegen, cin bos§ 1404serer Seelenlmndiger, als wir uns zu sein benn‘ihvn. Denn dies
§ 1405S
Stolpern mußte ihm die Existenz eines Zweifels. einer (iog-nn— st-römung in seinem Innern beweisen7 deren Kraft; sich im Moment der Ausführung von der Kraft seiner Intention :Lh— ziehen konn'oe. Des vollen Erfolges ist man nämlich nur dann sicher, wenn alle Seelenkräfte einig dem go\\'üuschten Ziel ent gegenstrebcn. Wie antwortet Schillr‘rs Tell, der so lange gc« zaudert—, den Apfel vom Harier seines Knaben zu schießen, an!" die Frage des Vogt.s. wozu er den zweiten Pfeil oingosteclrt!§ 1406' 7,Mit diesem Pfeil durchbohrt’ ich Euch,
Wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte, Und Euer — wahrlich * hätt' ich nieht gefehlt."§ 1407IV. Wer die Gelegenheit gehabt hat, die verborgenen
Seelenregungnn der Menschen mit dem Mittel der Psycho— analyse zu studieren, der kann auch über die Qualität der un bmvußt,en Motive, die sich im Abcrglauben ausdrücken, einiges§ 1408§ 1409
XII. DETERMINISMUS. « ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 313
§ 1410Neue sngßn. Ain deutlichstou erkennt man bei den oft sehr
intelligenten, mit Zwangsdenken und Zwangszustäuden he lmft,eten Nervösen, daß der Aberglaube aus unterdrückten§ 1411feindseligen und grn.nsnmen Re
§ 1412numgen hervorgeht. Ahr-rgluube
ist zum großen Teile Unheilserwurtnng, und wer anderen häufig Böses gewiinsehh aber infolge der Erziehung zur Güte solche Wünsche ins Unbewußte verdrängt hat, dem wird es beson— dvrs nahe liegen, die Strafe für sulchtss unbewnßte Böse als ein ihm drohendes Unheil von außen zu erwarten.§ 1413Wenn wir zugeben, daß wir die Psychologie des Aber—
glanhens mit diesen Bemerkungen keineswegs erschöpft haben, so werden wir auf der anderen Seite die Frage wenigstens streifen müssen., ob drum reale Wurzeln des Abergla.ubens durchaus zu bestreiten seien, ob es gewiß keine Ahnungon, pro phctische Träume, teh‘pathische Erfahrungon, Äußerungen iibersinnlicher Kräfte u_dgl. gebe. Ich bin nun weit davon <-rrt[er‘nt, diese Phänomene überall so kurzer Hand aburtuilen zu wollen, über welche so viele eingehende Beobachtungen selbst intellektuell hervorragender Männer vorliegen, und die um besten die Objekte weiterer Unter-s.nchrurgen bilden sollen. Es ist dann sogar zu hoffen daß ein Teil dieser Beobachtungen durch unsere hcginnunde Erkenntnis der unbewußton seelischen Vorgänge zur Aufklärung gelangen wird, ohne uns zu grund siür enden Abänderungon unserer heutigen Anschauungen zu nötigen Wenn noch andere, wie 1. l‘». die von don tipiritiston )u,-hanptetcn Phänomene, erweisba,r werden sollten7 so werden wir eben die von der neuen Erfahrung geforderten Modifiken tionen unsorer „Gesetze“ vornehmen, ohne an (19111 Zusammen hang d»r Dinge in der Welt irre zu werden.§ 1414Im Ruhnn‘n dieser Auseinandersetzungen kann ich die nun
aufgeworfrnn-n Fragen nicht anders als subjektiv, d. 1'. nach§ 1415§ 1416
314 XII. DETERMINISMUS. , ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1417meiner persönlichen Erfahrung, beantworten. Ich muß leider
bekennen, daß ich zu jenen uuwürdigen Individuen gehöre, vor denen die Geister ihre Tätigkeit einstellen und das Übersinn liche entweicht7 so daß ich niemals in die Lage gekommen bin, selbst etwas zum Wunderglauben Anregendes zu erleben. Ich habe wie alle Menschen Ahnungen gehabt und Unheil er fahren, aber die beiden Wichen einander aus, so daß anf die Ahnungen nichts folgte, und das Unheil unnngeküncligt über mich kam. Zur Zeit-. als ich. ein junger Mann., allein in einer fremden Stadt lebte, habe ich oft genug meinen Namen plötz lich von einer unverkennbnrcn, teuren Stimme r'uien hören, und mir dann den Zeitmoment der Halluzination notiert, um mich besorgt bei den Daheimgehliebenen zu erkundigen, was um jene Zeit vor-gefallen, Es war nichts. Zum Ersatz dafür habe ich später ungerührt und abnungslos mit meinen Kranken ge arbeitet, wiihrend mein Kind einer Verblutung' zu (,Tür.-geil drohte. Es hat auch keine der Ahnungen, von dem-n mir Pa tienten berichtet haben, meine Anerkennung als reales Phä nomen erwerben können.§ 1418Der Glaube an prophetische Träume zählt viele Anhängen-,
weil er sich darauf stützen kann, daß manches sich wirklich in tier Zukth so gestaltet, wie es der Wunsch im Trauma vor her konstruiert; hat. Allein daran ist, wenig zu verwundern, und zwischen dem Traum und der Erfüllung lassen sich in der Rk‘gel noch weitgehende Abweichungen nachweisen, welche die Gläubigkeit- der Träumer zu vernachlässigen liebt. Ein schönes Beispiel eines mit Recht prophetisch zu nennenden Tre-1113105 bot mir einmle eine intelligente und wahrheitsliebende Patientin zur genauen Analyse. Sie erzählte, daß sie einmal ge träumt, sie treffe ihren friiheren Freund und. Hausarzt vor einem bestimmten Laden einer gewissen Straße, und als sie§ 1419§ 1420
XII. DETERMINISMUS. — ZUFALLS« U, ABERGLAUBEN ETC. 3];')
am nächsten Morgen in die innere Stadt ging, traf sie ihn wirk lich an der im Traume genannten Stelle, Ich boninrku, daß dieses wunderbare Zusammentreffen seine Bedeutung durch kein nachfolgendes Erlebnis erwies, also nicht aus dem Zu künftigen zu rechtfertigen war.§ 1421Das sorgfältige Examen stellte fest, (hiß kein Beweis dafiir
vor-liege, die Dame habe den Traum bereits am Morgen nach der Tranmnaeht, also vor dem Spa zierga,ng und der Begegnung er innert. Sie konnte nichts gegen eine Darstellung des Such verha.ltes einwenden, die der Begebenln-it alles Wunderbare nimmt und nur ein interessantes psychologisehes Problem übrig läßt. Sie ist eines Vorrnitu crs durch die gewisse Straße gn gangen, hat vor dem einen Laden ihren alten Hausarzt he gegnet und nun bei seinem Anblick (lie l‘lb(ai‘zeiiguiig,r bekommen, daß sie die letzte Nacht von diesem Zusammentreffen an der nämliehen Stelle geträumt habe. Die Analyse komm: dann mit großer Wahrscheinlichkeit. andeuten, wie sie zu dieser Überzeugung gekommen war, welcher man ja nach allgemeinen Engeln ein gewisses Anrecht auf Glaubwürdigkeit nicht ver sagen darf, Ein Zusammentreffen am bestimmten Orte nach vorheriger Erwartung, das ist ja, (ler Tatbestand eines Rendez vous. Der alte Hausarzt rief die Erinnerung an alte Zeiten in ihr wach, in denen Zusannncnkiinftr; mit einer dritten, auch dem Arzt befreundeten Person für sie bedcutnngsvoll ge wesen waren. Mit diesem Herrn war sie seitdem in Verkehr geblir ben und hatte am Tage vor dem angcblichen Traum ver geblich auf ihn gewartet. Könnte ich die hier vorliegenden. Beziehungen ausführlicher mitteilen, so wäre es mir leicht zu zeigen, daß die illusion des prophetisehcn Truuiucs beim Anblick des Freundes aus früherer Zeit ä.quivalnnt ist etwa folgender Kerle: „Ach. Herr Doktor, Sie erinnern mich jetzt§ 1422§ 1423
316 KU. DETERMINNMUS, — ZUFALLS- [I.AHERGI.AUBEN ETC.
§ 1424an vergangene Zeiten, in denen ich niemals vergeblich auf
N. zu warten brauchte, wenn wir eine, Zusammenkunft bestellt hatten.“§ 1425Von jenem bekannten „merkwürdigen Zusnnnuentre[fen“,
daß man, einer Person begegnet, mit welcher man sich gerade in Gedanken beschäftigt hat7 habe ich bei mir selbst ein einfaches und leicht zu deutendes Beispiel beobachtet, welches “wahr scheinlich ein gutes Vorbild für ähnliche Vorfälle ist, Wenige Tage. nachdem mir der Titel eines Professors verliehen wurden war, der in monzirchisrzh eingerichteten Staaten selbst viel Autorität verleiht, lenliten Während eines Spazierganges durch§ 1426die innere Stadt meine Gedanken plötzlich in eine kindische
§ 1427Rachepha„ntusie ein, die sich „mu ein gewisses Eltr-rupnar
richtete. Diese hatten mich einige Monate vorher zu ihrem§ 1428Töchterclmn gerufen, bei dein sich eine interessante Zwangs—
§ 1429”€,
§ 1430erscheinuug im Anschluß an einen Traum eingestellt hatte,
Ich brachte dem Falle, dessen Genese ich zu durchsclmunr§ 1431glaubte, ein großes intern entgegen; nuiuo Behandlung
wurde aber von den Eltern abgelehnt und mir zu verstehen gegeben, duß man sich an eine ausländische Autorität, die mittels Hypuotisnlns heile. zu wenden gedenke. Ich plläull’ll sierte nun, daß die Eltern nach (lem völligen Mißgliicken dieses Versuches mich büten, mit meiner Behandlung einzusetzen, sie hätten jetzt volles,Vertra,ucn zu mir usw. Ich aber nut wortete: Ja, jetzt, nachdem ich auch Professor geworden bin, haben Sie Vertrauen. Der Titel hat an meinen Fähigkeiten weiter nichts geändert; wenn Sie mich als, Dozenten nicht brauchen konnten, können Sie mich auch als Professor ent— behreu. — An dieser Stelle wurde meine Phantasie durch (ir-n lauten Gruß „Habe die Ehre, Herr Professor“ unterbrochen, und als ich uu[schaute, ging das nämliche Elternpanr an mir§ 1432§ 1433
XII. DETERMJNISMUS. »- ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC. 317
§ 1434voriil5er, an dem ich soeben durch die Abweisung' ihres Aner
bietens Rache genommen hatte. Die nächste Überlegung zer störte den Anschein des Wunderbaren. Ich ging auf einer geraden und breiten, fast menschenlcercn Straße jenem Paar entgegen, hatte bei einem flüchtigen Aufsc'haiien, vielleicht zwanzig Schritte von ihnen entfernt, ihre stattlichen Persön— lichkeiten erblickt und erkannt. diese '\Vahrnelnnnng aber —— nach dem Muster einer negativen Halluzinzition ., aus jenen Gefühlsrnotiven beseitigt, die sich dann in der anscheinend spontan auflauchenden Phantasie zur Geltung brachten. Eine andere „Auflösung einer scheinbaren Vorahnnng“ he— richte ich nach Otto Rank (Zentralbl. f.?sychoanal., II. 5): „Vor einiger Zeit erlebte ich selbst eine seltsame Variation jenes ,merkwürdigen Znsammontreifens‘, wobei man einer Per son begegnet, mit welcher man sich gerade in Gedanken be schäftigt hat (Alltag, 2, S. 120). Ich gehe unmittelbar vor Weihnachten in die Österreichisch-Ungarische Bank, um mir zehn neue Silberkronen zu Ges'chenkzwecken einznw,echseln. In ehrgeizigen Phantasien versunken, die an den Gegensatz meiner geringen Barscha,ft zu den im Bankgebäude anigestapel— ten (;olclrnassen anknüpfen. biegc ich in die schmale Bankga„sse ein. wo die Bank gelegen ist. Vor dem Tor sehe ich ein Auto niohil stehen und viele Leute aus— und eingehen. Ich denke mir. die Beamten werden gerade für meine paar Kronen Zeit haben; ich Werde es jedenfalls rasch abmachen, die zu wech— selnde Goldnote hinlogen und sagen: Bitte,v geben Sie mit Gold! , Sogleich bemerkt: ich meinen Irrtum — ich sollte ja Silber verlangen — und erwacht: aus meinen Phantasien. Ich befinde mich nur noch wenige Schritte vom Eingang ent fernt und sehe einen jungen Mann mir entgegenkomrnen, der mir bekarn1t, vorkommt, den ich jedoch wegen meiner Kurz§ 1435§ 1436
318 XII. DETERMINISMUS. 7 ZL‘FALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1437siehtigkeit noch nieht mit Sicherheit zu erkennen vermag
Wie er näher kommt, erkenne ich in ihm einen Schulkollegen meines Bruders. namens Gold, von dessen Bruder, einem bekannten Schriftsteller, ich zu Beginn meiner literarischen Lauflxnhn weitgehende Förderung erwartet halte. Sie, blieb jedoch aus und mit, ihr auch der erhoffte materielle Erfolg-, mit dem sich meine Phantasie auf dein “'ege zur Bank beschäftigt hatte. Ich muß also. in meine Phantasien \'ersunk6n, das Her unnnhen des Herrn Gold unbewnßt apperzipiert haben, uns sieh meinem von materiellen Erfolgen träumenan Bewußtsein in der Form darstellte. rluß ich beschloß, am Kassensvhnlter Gold * statt des minderwertigen Silbers — zu verlangen. Ander seits scheint aber auch die paradoxe Tatsache, daß mein Unv bewnßtes ein Objekt wahrzunehmen im Stande ist, welches meinem Auge erst später erkennbar wird1 zum Teil aus der Komplexbereitsehnft- (Blenler) erk.liirlich, die ja aufs Mate— rielle eingestellt war und meine Schritte gegen mein besseres Wissen von Anfang an nach jene-m Gebäude gelenkt hatte, wo nur die Gold- und Papiergeldvenreehslung stattfindet.“§ 1438In die Kategorie des Wunderbaren und Unheiinlichen ge
hört auch jene eignntiimliehe Empfindung, die man in manchen Momenten und Situationen verspürt, als ob man genau das nämliche schon einmal erlebt hätte, sich in derselben Lebe schon einmal befunden hätte, ohne daß es je dem Bemühen ge— lingt. das frühere, das sich so anzeigt, deutlich zu erinnern. Ich weiß, daß ich bloß dem lockeren Sprachgebrauch folge, wenn ich das, was sich in solchen Momenten in einem regt, eine Empfindung heiße; es handelt sich wohl um ein Urteil, und zwar ein Erkennungsnrteil, aber diese Fälle haben doch einen ganz eigentiimliehen Charakter. und daß man sich nie mals an das Gesuchte erinnert, dar—[ nicht beiseite gelassen§ 1439§ 1440
XII. DETERMINISMUS, -— ZCFALLS> U. ABERGLAUBEN ETC. 319
§ 1441werden. Ich weiß nieht„ ob dies Phänomen des „Déjä vu“ im
Ernst. zum Erwcis einer früheren psychischen Existenz des Einzelwesens herangezogen werden ist; wohl aber haben die Psychologen ihm ihr Interesse zugewendet und die Lösung des Iiätsels auf den mannigfaltigsten spcknlativen Wegen ange strebt. Keiner der beigebrachten Erklärungsversuche scheint mir richtig zu sein, weil in keinem etwas anderes als die Be— gleiterscheinungen und begünstigenden Bedingungen des Phä nomens in Betracht gezogen wird. Jene psychischen Vor gänge, welche nach meinen Beobachtungen allein für die Er klärung des „Déjii vn“ verantwortlich sind, die nnbewnßten. Phantasien nämlich, werden ja. heute noch von den Psychologen allgemein vernachlässigt.§ 1442Ich meine, man tut Unrecht, die Empfindung des schon ein—
Ina] Erlebt-habens als eine Illusion zu bezeichnen. Es wird vielmehr in solchen Momenten Wirklich an etwas gerührt, was man bereits einmal erlebt hat, nur kann dies letztere nicht |mwußi erinnert werden. weil es niemals bewußt war. Die l‘hnpl'iüdung des „Déjkl \n“ entspricht, kurz gesagt, der Erinne rung an eine unbcwußte Phantasie. Es gibt unhewußte Phan [asien (oder Tagh‘äunre), wie es bewußte solche Schöpfungen gibt. die ein jeder aus seiner eigenen Erfahrung kennt.§ 1443Ich weiß, daß der Gegenstand der eingehenrlsten Behand
lung würdig Wäre, will aber hier nur die Analyse eines einzigen Falles von „Déjä- vu“ anführcn, in dem sich die Empfindung durch besondere Intensität und Ausdauer auszeichnete. Eine jetzt 37jährige Dame behauptet, daß sie sich aufs schärfstc erinnere, im Alter von zwölfeinhalb Jahren habe sie einen ersten Besuch bei Schulfreundinnen auf dem Lnnde gemacht, und als sie in den Garten eintrat, sofort die Empfindung ge habt, hier sei sie schon einmal gewesen; diese Empfindung§ 1444§ 1445
320 XII, DETERMINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1446habe sich, als sie. die \Vohnriiunle betrat, wiederholt. so daß
sie, vorher zu wissen glaubte, welcher Raum der nächste sein würde7 welche Aussicht man von ihm aus haben werde usw. Es ist aber ganz ausgeschlossen und durch ihre Erkundigung bei den Eltern widerlegt, daß dieses Bekanntheitsgefühl in einem früheren Besuch des Hauses und Gartens, etwa. in ihrer ersten Kindheit, seine Quelle haben könnte Die Dame, die das berichtete, suchte nach keiner psychologischen Erklärung, son dern sah in dem Auftreten dieser Empfindung einen prophe tischen Hinweis auf die Bedeutung, welche eben diese Freun dinnen später für ihr Gefühlsleben gu\\':iniicii, Dir Erwägung der Umstände, unter denen das Phänomen bei ihr auftrat, zeigt uns aber den Weg zu. einer anderen Auffassung. Als sie den lesuch unternahm, wußte sie, daß diese Mädchen einen ein zigen, schwerkranken Bruder hatten. Sie bekam ihn bei dem Besuch auch zu Gesichte, fand ihn sehr schlecht nussehend und dachte sich, (laß er bald sterben werde. Nun war ihr eigener einziger Bruder einige Monate vorher an Diphtherie gefährlich erkrankt gewesen; während seiner Krankheit hatte sie vom Elternhause entfernt wochenlang bei einer Verwandten ge— wohnt. Sie glaubt. daß der Bruder diesen Landbcsuch mil nmchte, meint sogar, es sei sein erster größerer Ausflug nach der Krankheit gewesen; doch ist ihre Erinnerung in diesen Punkten merkwürdig unbestimmt, während alle anderen De» teils, und besonders das Kleid, das sie an jenem Tag trug, ihr iiberdeutlieh vor Augen stehen. Dem Kundian wird es nicht schwer fallen. aus diesen Anzeichen zu schließen, daß die Er wartung, ihr Bruder werde sterben, bei dem Mädchen damals eine große Rolle gespielt hatte und entweder nie bewußt ge worden ocler nach dem glücklichen Ausgang der Krankheit energischer Verdrängung verfallen war, Im anderen Falle§ 1447§ 1448
XII. DETERMI‘XISMUS. ——- ZUFALLS— U. ABERGLAUBF.N ETC. 321
§ 1449hätte sie ein anderes Kleid, nämlich Trauerkleitlung. trugen
müssen. Bei den Freundinnen fund sie nun die ;nmloge Siluzi tion vor, den einzigen Bruder in Gefahr bald zu sterben. \Vit' es auch kurz darauf wirklieh eintmt', Sie hätte bewußt er innern sollen7 daß sie diese Situation vor wenigen Monaten selbst durchlel)t hatte; anstatt cl les zu erinnern. was durch die Verd'ängung verhindert war, übertrug sie das 'l'3rinnerungs— gefühl n.uf die Lokalitéiten. Garten und Haus, und verfiel «ler ,.flltlsst reconnaisszurce", daß sie das: alles genau Qi)Pnso sehon einmal gesehen habe, Aus der 'l‘atitache (ler Verdrängung dürfen wir schließen, daß die seinerzeit,ige Erwartung, ihr Bruder werde sterben, nicht weit entfernt vom Charakter einer \\'nnschphnntasie gewesen Wir. Sie. wäre. dann das einzige Kind geblieben. In ihrer späteren Neumse litt sie in inten» si\'ster Weise unter der Angst, ihre Eltern zu verlieren. hinter welcher die Analyse wie gewöhnlich den unbewnßten Wunsch des gleichen Inhalts aufdecken konnte.§ 1450l\f9il)t‘ eigenen flüchtigen Erlebnisse von „Déjii vu“ habe
ich mir in ähnlicher Weise aus der Gefühlskonstollation des Moments ableiten können. „Das wäre wieder ein Aulziß, jene (unlmwnßte und unbekannte) Phantasie zu wecken, die eich damals und damals als Wunsch zur Verbe.§ 1451e.rung der Situa
tion in mir gebildet hat"*. \', Als ich unlängst Gelegenheit hatten einem pliilosnyhiseh ’ DiES\ Erklärung de= „Dr‘jii vu“ ist bisher nur von einem einzigen Ecolmt'hler gewürdigt \\ul‘tlt'll. Dr, Ferenc“. dem die dritte Auflage dieses Bm‘hc> so viel wertvolle Beiträge verdankt. schreibt mir hierüber: „Ich habe mich sowohl bei mir nis auch hl'i anderen davon überzeugt.§ 1452da:} ti —‘ unerkliirliehe “i‘küllllill('il$;zt'iiliil nu[ \lll!18“'llßitä Phantasien zur
§ 1453;}.,ren ist, un die man in einer aktuellen Situation uni-uwußt cr
inncrt wird '.ei einem meiner Patienten ging e< nn=clminenvl umles,§ 1454Freud. Psycliopzlthalngie des Alllngslebi‘ni. vm. Ann ‘31
§ 1455§ 1456
322 XII, DE’I‘ERMINISMUS, — ZUFALLS. U. AHF.RGLAUBEN ETC.
§ 1457gebildeten Kollegen einige Beispiele von Na.menvergessen mit
Analyse vorzutragen, beeilte er sich zu erwidern: Das ist sehr schön, aber bei mir geht das Namenvergesgnn anders zu, So leicht darf man es sich offenbar nicht. mar-hen; ich glaube nicht. daß mein Kollege je vorher an eine Analyse, bei Namen— \'erge=sen gedacht hatte; er konnte auch nicht, sagen, wie anders es bei ihm zugehe, Aber seine Bemerkung beriihrb doch ein Problem7 welches viele in den Vordergrund zu stellen {:e— neigb sein werden. Trifft die hier gegebene Auflösung der 1—‘ehl- und Zufallshunrllungen allgemein zu oder nur vereinzelt, und wenn letzteres, welches sind die Bedingn.ngen, unter denen sie zur Erklärung der auch anderswie ermöglichten Phänomene herangezogen werden darf? Bei der Beantwortung dieser Frage 1: _ en mich meine Erfahrungen im Stiche. Ich kann nur dii von abmahnen den nul‘gezeigten Zusammenhang fiir selten zu halten, denn so oft ich bei mir selbst und bei meinen l’a tinnten die Probe angestellt., hat er sich wie in (,len mitgeteilten§ 1458Beispielen sicher nachweisen lassen, oder haben sich \\‘elligsi0n8
gute Gründe, ihn zu vermuten, ergeben. ,Es ist, nicht zu ver wundern, wenn es nicht alle Male gelingt, den verborgenen Sinn der Symptomhamdlung zu finden, da. die Grüße der inneren Widerstände die sich der Lösung widerseßzen, als entscheiden der Faktor in ,Betracht kommt. Man ist auch nicht im sLnnde, bei sich selbst oder bei den Patienten jeden einzelnen Traum in Wirklichkeit aher ganz analog zu. Dieses Gefühl kchrbe bei ihm sehr oft nieder, erwies sich aber regelmäßig als von einem vergessenen§ 1459ngten) ’l'raumstiicl; der: vergangenen Nacht herriihrend. Es
§ 1460(ven
scheint also. daß das ,Déij vu‘ nicht nur von Tag(räumen, sondern auch§ 1461von nächtlichen Träumen abstnrnmen kann — (Ich habe später erfahren,
daß Grasseß 1904 eine Erklärung des Phanomens gegeben hat, welche§ 1462der meinigen sehr nahe kommt)
§ 1463§ 1464
XII. GESICHTSPUNK’I‘E. 323
§ 1465zu deuten; es genügt., um die Allgemeingült—igkeit der Thmrie
zu bestätigen, wenn man nur ein Stück weit, in den verdeckten Zusannnonhang ninanringen vermag. Der Traum, der sich beim Versuche, ihn am Tage nachher zu lösen, rel'rakßär zeigt, läßt sich oft eine Woche oder einen Monat später sein Geheim nis entreißen, wenn eine unterdes erfolgte reale Veränderung die miteinander streitenden psychischen W'Prtigkeiten herab— gesetzt hat; Das niimlichc gilt für die Lösung der Fohl- und Syniptnmhzuidlnfigen; das Beispiel von Verlesen „lm Faß durch Europa“ auf Seite 126 hat mir die Gelegnnlioil; gegeben zu 7.i=,ignn1 wie ein anfänglich nnlösbarns Symptom der Analyse§ 1466zugänglich wird, wenn das realr- Intern se an den ver
§ 1467drängten Gedanken nachgelassen hat. Solange die Möglich
kvit bestand1 daß mein Bruder den beneideten '.l‘itvl vor mir erhalte, WidGl'Sf-8I1d das genannte Verlesen allen wiederholten Bernülnmgen der Analysv; nachdem es sich hcrausgcsl.ollb hatt»9. daß diese Bevorzugung unwahrscheinlich_sei, klärne sich mir plötzlich der Weg, der zur Auflösung desselben führte. Es \\'ärc also unrichtig. von all den Fällen, welche der Analyse widprsr,ehen, zu behaupten, sie soinn durch einen anderen als (Inn hier aufgerleckten psychischen Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme noch andere als negative ,Be \\'ci$ß. Auch die bei Gesunden wahrscheinlich allgemein vor handene Bereitwilligkeit, an ciim andnrrc Erklärung der _I:‘nhl und Synnmomhnndlungon zu glauben, ist jeder ]lcwqiskralft har: sin ist. wie snlbstvelstiimllich, eine Äußurung derselben§ 1468scclischen K ni'tc, din das Geheimnis hergusL-vlll'. haben und
§ 1469“
§ 1470die sich darum auch für dessen Bewahrung einsetzen, 5,
§ 1471n
o§ 1472(hs ; ;\ul'lir‘lluiig alu-r 5L1‘i'tubefl.
§ 1473Ani drr anderen Huirn dürfen \\ir nicht übersehen, daß die
\‘crdl‘ängton Gerlnnkvn und “(gungen sich ihn Ausdruck in§ 147401-v
§ 1475§ 1476
324 XII. DE'I‘ERMINISML'S. — ZL'FALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1477Symptoni— und Fehlhundlungßn jn nirhl solhsr mdif; schnl‘fen,
[ii—« technische Möglichkeit für solches Ausgleiten der Inner rmionun muß unabhängig von ihnen gegeben sein: diese wird dann von der Absicht des Verdrängtcn, zur bewußton Geltung zu kommen. gm'n ansgr‘nützt. Welche Struktur— und Funktions rulntionnn es sind, die sich solcher Absicht zur Verfügung slellun. das haben fiir den Fall der sprachlichen Folilh‘i5tilhg (eingehende Untersuchungen der Philosophen und Philoloan 1’1-sixusfr-llnn sich bomühi, If1’itvi‘sclif=idon wir so an den läc ding'niigvn der l<‘chl- und Syrnpt0mhamllung dns nnbewuläln )loiiv von don ihm entgegonkonnncnrlcn physiologisohvn und psychophysisclm| Rcln.ti0nnn, so l>lnil>t dir. Frag-e offmn ob ns innvrhnlh der Breite der Gesundh<rit noch nndan _\lrnnunln giln. weluhc. wie das unhe\\‘ußtc Motiv und an Stellv dusselhr—n. auf den] “’n-go (liosor Relationl-n die Jf'elil- und Symptom hnndlnngen zu crzt\ugen \‘prmögeu, 135 (ist nicht 1n<*iuo Anf gube. diese Frage zu beantworten,§ 1478Es liogt iihl'igi'hS auch nicht in mvi1mr Absicht“. clio "vr
.<<‘hirclnnheilen zwischen der“ psychon.nnlytine-ht-n und der land liiul'igen Auffassung der Fohllcistungnn, dir ja groß genug sind, noch zu übm‘trcihen. Ich möchte vielmehr auf Fälle hinweisen, in dvnen diese Unterschiede viel von ihrchchiirfi- einhiißon_ Zu den einfachsten und nnnuffiilligston Beispielr—n des: Vorspru§ 1479chens und Verschl'eibens, bei denen etvn nur Worte zusznnmcn
§ 1480,gezogen odvr Worte und Buchstnlmn aus. lnsgen werdon, onl
§ 1481l'nllen die konipliziurtei‘uli Deutungen. \'mn Standpunkt der
Psychoanalysv muß man behaupten, daß in diesen Fällen sich irgend eine Störung der Intention zlngozrigt hai, kann über nicht, angeben, woher die Störung stammte und was sie beab— sichtigte. Sie hrnchtn oben nichts anderes zu stunde, als ihr§ 1482Vorhandensein zu Imkunden_ ln dvnsolhcn Füllen sieht man
§ 1483§ 1484
X1L GESICIITSPUNKTE. 3 25
§ 1485dann auch die von uns nie bestritt-«men Begiinstigungen der
l“ehlleistung durch luutliche. \Vcrtverhältnisse und nahe— liegende psychologische Assoziationen in \«Virksamkeii treten, Es ist aher eine billige wissensclraftliclm Forderung, daß man solche rudiinentärc Fülle von Versprechen oder Verschreihnn nach den besser ausgeprägten benrteile, deren Untersuchung so unzwcideuiige Aufschliisse über die Verursachung,r der Fehl lt-istung ergibt.§ 1486VI. Seit denErörterungen über das Versprechen haben wir
uns begnügt zu beweisen, daß die Fehlleistungen eine ver borgene Motivierung haben und uns mit, dem Hilfsmittel der Psychoanalyse den Weg zur Kenntnis dieser Motivwrung ge— lmhnt„ Die allgemeine Natur und die Besonderheiten der in den Fohllcistungcn zum Ausdruck gvhrachten psychischen Fak— toren haben wir bisher fast ohne Berücksichtigung gelassen, jedenfalls noch nicht versucht., dieselben näher zu bestimmen und auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen. Wir werden auch jf'l’XL keine gründliche Erledigung des Gegenstandes versuchen, denn die ersten Schritte werden uns bald belehrt haben, daß man in dieses Gebiet besser von anderer Seite einzuclring_en vermag. Man kann sich hier mehrere Fragen vorlegen, die ich wenig sims nnh'ihron und in ihrem Umfang umschreiben will. 1. “’el ches Inhalts und welcher Herkunft, sind die. Gedanken und Re ,qungen, die sich durch die Fehl- und Zufallshandluugon an— deuten? 2. Welches sind die Bedingungen dafiir, daß ein Ge. danke oder eine Regng genötigt und in den Stand gesetzt; werde, sich dieser Vorfälle als Ausdrucksmittel zu bedienen? 3. Lassen sich konstante und eindeutige Beziehungen zwischen der Art; der Fehlleistungen und den Qualitäten des durch sie zum Ausdruck Gebrachteu nachweisen?§ 1487Ich beginne damit, einiges Material zur Beantwortung der
§ 1488§ 1489
526 XII. DETERÄIINISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1490lmzten frage zusznnmenzutmgrn, Bei der l?‘örtcrnng der Bei—
spiele von Versprechen liubmi wir ns für nötig gefunden, über (,iL‘Il Inhalt der intondicrtnn Ruin hinnuszug(-lnrii, und haben die Ursache der Rock‘stiirung ;Llißm‘liulb der Intention suchen§ 1491in ü
§ 1492-n, Dinsnlbc 1ng dann in wine; Reihe von Fällon nan und
war den) Bewußtsvin dns Sprunhenden bekannt, In den schein— bar einfachsten und durchsichtigstcn Beispielen war (‘5 eine gleichberechtigt klingende, andern Fassung desselben Gedan knnrs. die dessen Au.<drnrk stih‘h‘, ohnn daß mnn hätte ung-bon können. warum die mine unterlegvn, die andere durchgedrnngcn ‘zn' (Kontaminntiont-n von Moringe1‘ und Mayer), In Diner zweiten Gruppe von Fiillun \\“m‘ das LTI:t(-1*lingen der vinnn l*‘ns=— sung inolivi0rt durch cine Riiuksif‘ht. die sich aber nichL stark ,gt-ung zur völligen Zurückhaltung erwies („zum Vurschn‘cin gnknnnnon“). Auch div zurückgehnllc-nce Fassung war k1nr hr!» \\‘llßi, Von der dritten Gruppn urst kann man ohne J‘linsrhriin— kung bchanpivn. (laß hi9r der störende Gedanke von (hun inten (lic‘1‘in-n \‘ei'schiwlen war7 und kann hier eine, wie cs scheint. \\(‘5L‘nlliuliß Unterscheidung aufstellvn. Der störende Gedanke§ 1493ist entweder min den) gestörten durch Gedankenassnziationen
§ 1494vm'bun(an (Störung durch inneren “'i(l, pruch), &)dor nr ist
ihm \\‘csensfremd, und durch eine befrmndcnclo äußerlich e Assoziation ist gerade das gestörre Wort mit dem sliirvmh‘n G(‘> danken, der oft unbewußl ish, vorkniipft, In den Beispirslnn.§ 1495die ich uns lm‘inen Psy<zlumnn1)‘st\n guhr:icht habe, stehL dir!
§ 1496gnnm- Rede 1111H*1' (lem Einfluß gleichzuitig aktiv j'«‘\\'01‘ilciitji:
aber völlig unhcwvußLer Gudanken. die sich entwudvr durch die Störung selbst vorratun (Klnppm'schlfliig0 — Kleupntrn) oder einen indirekten Einfluß äußern, indian sie 4-1‘Inöglichon, daß die oiiizclhrii Teile der bowuß\ intendicrLen Rede einander§ 1497stören (Asa natzm:nz \\‘0 Ilnuscnuucrsßrnßo, Reminiszcn
§ 1498§ 1499
xu GESICII'1'SPUNKTE. 327
§ 1500neu an eine Franzi) in duhinterstehen), Die zurückgehalluuen
oder unbewußten Gedanken. von denen die Sprechstörung uns— geht, sind von der nmnnigfaltigstcu Ilci'kiniit. Eine Allgemein— heit enthüllt uns diese Ubersehnu also nach keiner Richtung.§ 1501Die vergleichende Prüfung der Beispiele von Vorlesen mr]
Verschrciheu fiihrt zu den nämlichen Ergebnissen, Einzelne Fälle scheinen wie beim Versprechen einer weiter nicht mali \'ierben Verdiclüungszirbcit ihr Entstehen zu danken (z. B. : der Apfe). Man möchte aber gern erfahren., ob nicht doch beson dere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit einv solche \"nr— dichhmg. die in der Traumarbeit- regelreehi, in. unserem wachen Denken fehlerhaft ist, Platz greife, und bukmnmi, hir (1Cn Beispielen selbst keinen Aufsehluß. Ich würde es nl)flr ah§ 1502ühcr aus
§ 1503lehnen. hieraus den Schluß zu ziehen, es gehe Ruine solchen Be
dingungen als etwa den l'achl:iß der bowußieu Aufmerksam— keit. da ich. von auderswoher weiß, daß sich gerade nulmu:r— tische Yvrrichtungen durch Korrektheit und Yerläßlichkeit aus— zeichnen. Ich möchte eher betonen, daß hier, wie so häufig in der Binlngie, die normalen oder dem Normalen angcnäherten \'crhällui<so ungiinsiigcre Objekte der ].*‘orsolfirriig_r sind als die pathologischen. “".-is bei der Erklärung dieser leichtesten Stö rungen dunkel bleibt, wird nach meiner Er\\'zirtungr durch die§ 1504Aufklärung schwererer äiöruugen Licht empfangen.
§ 1505lßfirch lwiin Verlesen und Verschreibcn fl‘lllt es nicht an Bei
spielen. welche eine entierntere und konrpliziertepre Motivicrung erkennen lassen, .,Im Fall durch Europa." ist eine Lesestörung, die sich durch (hen Einfluß eines nntlegenen, wesonsfremdon Ge— dankens nufklärt, welcher einer verdrängteu Regung von Eifer sucht und Ehrgeiz entspringt. und den Vechsul" des “'orles „Beförderung“ zur Verknüpfung mit dem gleiehgiilligen§ 1506§ 1507
328 XII. DETERMIÄ q\1'Ufi, — ZUFALLÜ- U. ABEHGLAUBEN ETC.
§ 1508nnd liai'inlnson Thema. das gulosnn wurde. bcnülxl. Im Falle
§ 1509Burckhnrd ist (lm-1“ Nzunn selbst win Solchvr „\Vr—z-hsßl“. .
Es iS! nnvn‘rknnnbfu'. rl:iß dir) Siörungvn der Sprm‘hl'unl—§ 15101irmr‘n luichtor zn .*:de kmnlncn und wonigm‘ Ailf()i‘di‘l‘llllgl‘ü
§ 1511nn die störnnclon lil‘üftc slx-llcn nis die andern“ p—yühiscln‘l'
§ 1512Lr-islnngnn.
§ 1513Auf anderem linden sicht man bci rlvr Prüfung «in; Vm‘
§ 1514rentlichen Sinne. & h. dos \'rrgcsscns \‘nn Vt‘l‘g‘uil—
§ 1515gcssens im t-'
gr-ncn Erlohnigsrn (das Vorgcsst-n vun lCigmm:unnn um! I“rt‘nnl Wurtmn Wit in dnn ,\hsr-hnitmvn I und ll, könnte man als „Eni lellen“, das: von Vm'5ätzcn als __17ntnrlzissm“ von die.—mm Vl‘1‘»§ 1516_u‘wscn sen.—311 strictiori &hsnndm‘n), Din (irnndhodiny_ningnn (ll-,<
§ 1517normalen Vorgangs 1wini Vergvssvn sind unbekannt Man wird
§ 1518„ahnt. (1518 nicht alles vorg gun ist. \\:|>; man dri—
§ 1519nn(‘h daran g
für hält, l'nscrv Erklärung hat os hinr nur mit, jvncn Fiillrvn zu tun. in denen das Vm‘;1wssnn bei uns ein ]lvfi‘mndnn nrwock'r,§ 1520insofvrn es dir? Hügel \‘m‘lf3tzi. (laß {Tim‘ichiigns \‘nrgossun.
§ 1521\\“iclilig'm aber vom (]Pcliich‘rnis hv\\;1hi't wird. Dim- \nnl_vsn dor
Beispich von Vergessen. ([in uns nach ('ilil‘l' hrsmulnrcn Anf—§ 1522* Über (ihn )looll:\nisnms (In: i-ignmlinhnn \"m‘z‘ swn,< kann iv-h etwa.
fnlgmidc Andeutungen geben: J):ß lirinnomngxmu(mini untm‘liv-g'l im „li§ 1523:mneinL-n zwei Einflü<.—cn, tler \‘vn'nlichhmg und <lrr Enhlellnng. Die lin!»
§ 1524slrllnng ist. Lh' Work Al<‘,r im Soolmilohnn hr=r vhnnrlnn 'i‘nnrh-nzon nnu1
§ 1525wendv‘. sich vor allem gegen din llffl"k'\\'irkfiilln g'chliebonen Erinnerung—<.
\l>\lrljili din sich gn;u„ dir: \'prdichfunq' rvsi—Lnntor verhalten. Die indifo rr—nt gewordenen Spuren vorfnilpn dem Verdichtungsvorgang ohne (legen—§ 1526\\'«\1113 doch kann man Ii4robnclll(‘li, Alu-": ühm‘dies ]vlnf<lellungslnndvnznn sich
§ 1527im dem indit't'ernnlnn Material si Ligen, weiche dort. wo sie ,sich äußern
§ 1528wollten, nnheiriedigt geblieben sind. Da diese Prozesz «ler Vurd
§ 1529:htung
§ 1530und Enistcllnng: sich ü!mr lange Z, ,en liinzichcn. \\‘ähl‘clld welcher alle
§ 1531fr'<chvn Erlebnisse auf din Umgestaltung des [;odiichlnisinhallu einwirken,
§ 1532innifm.i \\7ir, es sei die Zeit, welche die Erinnm‘nngcn unsicher und un
§ 1533§ 1534
XII. GESIÜHTSPI'XKTE. 329
§ 1535klärung zu \“crlnngnn scheinen, nrgibt als .\lntiv dns VrrgnsfionS
jedesmal eine I'nlnst, ntwrm zu orinnm‘n, va,s puinlichc .l<)nipfiu dungen erwecan kann, Wir gelangen zur Vennul,ung, 1lnß dieses Motiv im psychiscln=n Leben sich ganz nllgmncin zu Einßvrn slrnht, aber durch andern gngonwirkondn Kriiflu vorhin— Allrl‘t wird, sich irgt-xu|lwic 1‘ngt‘lmi'lßig durchzusetzen. Umfang uml Bvrloutung dieser 'Flrinnermm‘snnlnst gegen prinlinlué Ein (lrii('k<' schoincn dor snrgfiiltigston psychnlogischen Prüfung§ 1536wurl' zu sein: auch die Frage, welche l)nsondercn lh‘dingunguu
§ 1537(la; n]lgmncin n.ugosirflbtn Vergessvn in viuzclnen E'Tllvn ermög—
lichen. ist aus diesem weit.urcn Zusa.nnncnhzmge nicht zu lösnn§ 1538Beim Vorgussuu von \'orsä,tzcn tritt ein andrrus Moment in
<lnn \'nr(h-rgrnnd; der beim Vorrh‘ängcn dos peinlich zu Er— innm‘nden nur \"vrinutete Konflikt wird hinr grnit'hnr. und man erki-nut hol der Analyse der Beispiele regelmäßig (einen Gegen Willen. der sich dem Vorsatz widersntzt, ohne ihn n,ul‘zuheben. Win- hoi früher besprochenen Fehlleistungen erkvnnt man auch hiwr zwei Typen des psychischen Vorgangs; der Gogvnwille l;u,hrl sich f‘lll\\'(‘tlfrl‘ dirokt gegen den Vo’rsalz(lwi Absichten «lvnllivh macht. Sehr wahrscheinlich ist heim Vergesmn von einer direkten\ Funktion dor Zeit ülwrlmnpl. nicht die Rede, — ,\n den verdrängten 1—1rimm-umg„spurun kann nmn lumslnlivrrn. rlnl’; sin :lun‘h die längste Zeit— dauer kein» Veriimlernng_mn vrl‘ulnw‘n haben. Das I‘nhowußlr i<l nherhmxpt znilln—. Der wichting und auch l)ul'rmnllmulsln (‘lmruktu-r vlvr ]l>_\‘('lliscllßn I“i.\iuruuf; i>l tl(‘r, (lul‘. fllln Eindrücke uiucrsnii.» in dcr ni'unlicllen .\rt m‘lmllen sind, wie sie aufpmmnnnvn wurden. undrübnrrlies noch in .'111 den l-‘nrmon„ (lin sin ln-i nlt‘n \\‘L‘ill‘l'vn El!h\\’ivklnngen :ingcnmuumn haben, ein \\—r „iltnis, welches sich \llll'i‘li krincn Vergleich uns einer a.mlnrnn Sphäre vrliinlnrn läßt. Der 'l'ln-uric zufolge Iiutlu sich also jeder früh—wc Zustand des (imläc:lnnisinh:lllvs wieder für alle Erinnerung herstellt‘n, „uch wenn dessr—n Elc-menu- :|]le urspri'lngliulmn llozißlumgi‘ll längst gegen nuuer9§ 1539cingclnuschl. haben.
§ 1540§ 1541
30 XII. DE'I‘ERMINISMUS, — ZUFALLS— U. AIH‘JRGLAUBEN ETQ
§ 1542von einigem l'lelaug). oder er ist dein Vorsatz selbst wcsen.s
frrvmcl und stellt Seine Verbindung mit ihm durch eine äußer liclxe r\ssnzi;ni„n her (bei fast indil'i‘erenien V0rséitzcu) Durselbe Konflikt beherrscht die l‘lii't-Iifnnüliü des \"i‘i' gruii'uris. Der Impuls, der sich in der Störung der Handlung! äußert, ist häufig ein Gegenimpuls, doch noch öfter ein über haupt fremder, der nur die Gelegenheifibeuiiizt, sich bei der Ausführung der Handlung durch (‘inü Störun;„r derselben zum Au;rlruck zu bringen. Die Fälle, in denen die Störung durch einen inneren “'irlnrsprucli erfolgt, sind die bedeutsameren und betreffen auch die wichtigeren Verrichtungcu. Der innere Konflikt tritt dann bei den Zufulls— m mplomhandlungen immer mehr zurück. Diese vom Bewnßm§ 1543sein gering geschätzten odergzmz übersehenen 1notnrisclmn
Äußerungen dienen so mannigfuchcn unbewußleu oder zurück gehaltenen liegungen zum Ausdruck; sie six-Heu meist I’lmu Union oder Wünsche symbolisch dar.§ 1544Zur ersten Frag ,: welcher Herkunft die Gedanken und Re—
§ 1545gungen seien, die ICh in den Fohlleistungeu zum Ausdruck
bringen läßt sich sagen, daß in einer Reihe von Fällen die Herkunft der störenden Gedanken von unterdriick'ren Rr,-;zungnn des Seelenlcbons leicht nachzuweisen ist}. ')goistisclie, eifer— sücluige, f<‘indselige Gefühle und Impulse, auf denen <lPr Druck der moralischen Erziehungr lastutl bedienen sin;h bei Gesunden nicht selten des “"eges der Fehllcistungen, um ihre§ 1546uuleughar vorhandene, aber von höheren seelischen Instanzen
§ 1547nicht anerkannte Macht irgendwie zu äußern. Das ( \vähron»
lassen dieser Fehl- und Zufallshanrllungen entspricht zum guten Teile einer bequemen Duldung des Unnmrnlischou. Unter diesen unterdrückt/en Regungeu spielen die iu:iunig'fachcn§ 1548sexuellen Strömungen keine geringfügige Rolle. Es ist ein
§ 1549§ 1550
XII. G ESICH’I‘SPUNKTE. 331
§ 1551Zufall des Materials. wenn gerade sie so selben unter Lil‘u durch
die Analyse a,ufgedeckton Gedanken in meinen Bäspiclcn orv scheinen, Da ich vorwiogentl Beispiele aus meinvm t‘igoncn Scnlenleben (ler Analyse uulvrzngmr habe, so war die Ausvahl von vornherein partoiisch und auf den Ausschluß (has Snxnnlh‘n gurichtc-t. Andere Main schninr-u es höchst harmlose Einwen dungen und Rücksichten zu sein, aus denen die störenden G4 dunlu—n entsyringeu.§ 1552Wir stehen nun vor dor Beantworfung (ler zwniton Frage,
welche psychologischen Bedingungen dafür gelten. (laß cin (ie (lfliike seinen Ausdruck nicht in vullvr Form. sondurn in gleich§ 1553sam pumsitiirur, als Mndifikation und S'örung oinus zuulrun‘n
§ 1554surhr‘u müsse. Es livf_ft nach (1011 auffällig l‘t‘n Beispielen von
F4'lllhflll(llllflg nahe. diese Bedingungen in einer Bozichnng zur ’,uwußts«insfiihigkcit zu suchon, in dem mehr mlc'i‘ mindr‘z‘ (“ut schieden ausgeprägten Charakter des „Venlriingtcn". Aber die er[olgnng durch die Reihe. der Beispiele löst (liest-n Charakter in humor mehr vcrschwommene Andeutungen auf. Die Nei— f_fnn,u', übt-1 etwas als zeitrnnbeml hinwogzukommnu, — die Er “'51g‘1111g, daß dcr boireffeude Gedanke nicht eigentlich zur§ 1555inu-ndinrron Sncho gehört ., scheinen als Motive für die
§ 1556Zurückdriingung einvs (iudnnkens, dl‘l‘ dann ;iuI den Ausdruck
durch Si§ 1557spirlvn wie die moralische Verurteilung vincr unlmt,miil.iigen
§ 1558rung ninos anderen nngnuivsnn ist, dieselbe Rolle zu
§ 1559(iii'iihlsrognng ‘bder die Ahkunft von völlig inibewußi<:u G1;—
(lzlnln nzügux, Eine Einsicht in die allgemeine Natur (ler lic tilllglilt'ji; von Fohl— und Zufzillsleistungcn liißh sich auf diese Weiss nicht gewinnen. Einer einzigen be(l(‘lltsfhlllßn Tatsache“ wird man bei diesen l'ntersuchungcn habhuft; je harmlosnr (lie I\lotivicrnngr der Fehllcistung ist, je weniger nuslüßig und§ 1560darum wenignr hewnßtseinsnnfähig der Gedanke ist, der sich
§ 1561§ 1562
332 XII. DETERMINISMUS. — ZIIP‘ALLS U. ABERGLAUHEN ETC.
in ihr zum Anmlrnck bringt, desto "leichter wird auch die Auf L§ 1563zuguwe-,nrlci hat-; die leichtesten Fülle dus \‘(J1‘SIJI‘SCILCHS werden
§ 1564'\nl;_r df‘s Phii,nuinnns, wenn Inun ihm seine Aul'1ncrksainki‘it
§ 1565sofort bemerkt- und spontan korrigim‘t„ Wo es sich urn )h'nivirs
rung durch Wirklich vordrängte chnngcu handelt, du. lmd;u*l' es zur Lösung einer sorgfältigen Analyse, die sellst zeitweise auf Schwierigkoilen stoßen oder mißlingcn kann.§ 1566Re ist also wohl hc1‘r‘chi’ig‘r, das Ergebnis dieser lcizlrn
['ntm'suchung als. (\invn Hinweis darauf zu nehmen, xlnl.’u die b(‘fl‘li‘digiänlifl Aufklärung für die pas) chologischen Bodingungon rlr-r Fuhl- und Zul'ulislmndlungcn auf einem anderun “'rg;v und von anderer Seite her zu gnwinucn ist. "Der nachsich— Ligu Leser mögo daher in diesen Auscinandersei,zun_<_g(;n den Nachweis dvr %ruchi'liichen sehen. an denen diesu5 Thema zi<-mlich künstlich uns (‘ilit‘l'll größeren Zusammenhangn hnrnusv gelöst \vurdv.§ 1567\'IT_ Einige Worte sollmi zum inindvsten die Richtungr nurh
divsmn weilercn Zusammenhang“ ;indnutnn. Dor .\fnchnnislnus der Fehl» und Zufallshnndlungun. wie wir ihn durch div. An wendung dor Annlvse, kennen ;relui'ni. haben, zeigt. in d(‘1l \\‘(35mit— lichslun Punkten eine Übereinsti1nmung init dem Mechanismus [lvr ’l“uumbildung, den ich in dem Abschnitt; „’l‘ruunmrbcit" nu:in(-s Buches über die Traumdeutung auseinu.ndorgv.<vf7.1, haha. Din Verdichtungcn und Kompromißbilduug,rcn (Koma minniiunou) findet; man hier wie dort; die Situation ist die niimliche, dui.i unhcwußte Godunkensich auf ungewöhnlichnu Weg-«zn. über äußch Assoziationen, als Modifikation von 'nndr-rcn Gedanken zum Ausdruck bringen Die Ungéreiint— heiten7 Absurditäton und Irrtümer dcs Trmnninhults, denen zu folge. der Traum kaum als Produkt psychischer Leistung an—§ 1568erkannt wird, entstehen auf dieselbe Weise, freilich init freien—3x
§ 1569§ 1570
XH. GESICHTSPUNKTE. 333
§ 1571]“,mmtzung der vorhandenen Mittel, wie din} gnmcincn Fehler
unseres Alltagslebens; hier wie dort löst sich der An schoin inkorrckter Funktion durch die r\,igentiirn li Che Inierfvrrnz zwviv r orlvr nivhreror korrekt @ r Lt- i s L ungen, Aus diesem Zusatmmenbrci'l‘cn ist (ein Wich— tignr Schluß zu ziehen: Die eigentiimliche Arbeitsweise, down unf[iilli;_v‘stv Luist.ung Wir im Tranminhnlt erkennen, darf nicht auf (ir-n Schlufzustnntl des Seelenlebens zurückgeführt werden, m-nn wir in den Fchlhaudlungcn so rcichliche Zeugnisse für ihre “"irksmnkeit Während des wachen Lebens besitzen. Dor§ 1572svlbt‘ Zusammenhang verbietet uns auch.. hit. reifßnclen Zer
§ 1573fall (lvr S4,eloufäiigk(‘it. k‘ankhafle Zustände der Funktion als
«lin Bedingung dieser uns abnorin und frcmdnrtig erscheinenden psychischen Vorgänge. anzusehen".§ 1574Dir richtige Beurteilung der soliderl.»arun psychischen Ar
lwit, \\“ulchö, die Fohlleisbung wie die T]‘;Lllnlbilfit‘r Chisteln-n liiLh. wird uns erst ermöglicht, wenn wir erfahren haben7 (lil|i din- psychononrut ischnn Symptome. speziell die psychischen Bil dung-vn (|<—r Iiyslcriv und der Zrnngsneurosc, in ihrem Mecha nisnins ;iliu \\'esnntlichon Züge dieser Arbeit.swc-iso wiederholen. An dir.—w ."‘lt‘ll[‘ schlö§ 1575sich also din Fnrrsetznng unserer
I7uLn-rx—nwlnrngon nn. Für uns hat es aber noch ein besonderes lntere>s<-. (lin li'uhl-, ’/,ul'nlls- und S_vmptomlnun‘llnngon in (10111 Li('hlfi‘ (liläsur lMxir:n Anzrlog‘ir‘ zu lmimchtvn. Wenn \\"ll' sin rlwn Leistungen der l’s\'r‘honr-urosen, den nrmrotisclnm S3np ptuini‘n. g'l(*ichst<-llnii. gm\'ilinen zwei nit WieLlL‘l‘lit‘ill‘t‘lldfl lic hmiplnngrn. daß div (irnnzc zwi>chc-n nervöscr Norm und§ 1576Ahnnrini-1äl oinv flicßendv, und (laß wir nllo ein wc-nig' nervös
§ 1577soiPn, Sinn nur] Untr-rlelgc. Man kann sich vor nller ; nliclwn
§ 1578Erfahrung \“Gßchit‘il0hn Typen vnn solcher bloß angult.‘utntcl‘
§ 1579* Vgl. hinzu „Traumdeutung: S. 362. (i], Aufl.. 5 il‘J.)
§ 1580§ 1581
334 XII. DETERMJNISMUS. — ZUFALLS- U. ABERGLAUBEN ETC.
§ 1582N<‘r\'05ilii,t — von [ornxos frustes der Neurom-n — konstruieren:
Fälle, in denen nur wenige Symptome, oder diese selten oder nicht heftig auftreten, die. Alyschwäclum.g also in die. Zahl, in die Intensität, in die zeitliche Ausbreitung der krankh:tftcn Erscheinungen verlegen; vielleicht würde man aber gerade den Typus nicht errnten7 welcher als der häufigste den Über gang zwischen Gesundheit und Krankheit zu vermitteln scheint. Der uns vorliegende Typus. dessen Krankheitsitußerungen die Fehl- und Syniptomhäncllungtän sind„ zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß die Symptome in die _1nindest wichtigen psychischen Leistungen verlegt sind, wiihrend alles, was höheren psychischen Wert beanspruchen kann, frei von Stö rung vor sich geht. Die gegenteilig'c Unterbringung der Sym ptt)n.uv, ihr Hervnrtretnn an den wichtigsten individuellen und sozialen Leistungen, so daß sie Nahrungsaufnahme und Sexual vvrkehr, Berufsarbeit und Geselligkeit zu stören vermögen, kommt den schweren Fällen von Neurose zu und. eh;u‘nkierisiert diese besser als etwa die Manuigfa-lt—igkeit oder die Lebha[tig— keit der Krankheitsä,ußerungen§ 1583Der gemeinsame Charakter aber dr.-r leichtesten wie der
schwersten Fälle, an dem auch die, Fehl- und Zulallshandlun (gr-n Anteil haben1 liegt in der Rü 0 k f üh 1' b ar k ei t d e r Phänomene auf unvollkonlmen unterdrücktes psychisches Material, das, vom Bewußtsein ah gc(l ré'tngt, doch nicht jeder Fähigkeit, sich zu§ 1584äußern, beraubt werden ist.
§ 1585