Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905-003/1921)

Über das Werk

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  • Diplomatische Umschrift, Lektorat
  • Diercks, Christine
  • Huber, Christian
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Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905-003/1921). In: Andorfer, Peter; Blatow, Arkadi; Diercks, Christine; Huber, Christian; Kaufmann, Kira; Liepold, Sophie; Roedelius, Julian; Rohrwasser, Michael; Stoxreiter, Daniel (2022): Sigmund Freud Edition: Digitale Historisch-Kritische Gesamtausgabe, Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Wien. [3.4.2023], file:/home/runner/work/frd-static/frd-static/data/editions/plain/sfe-1905-003__1921.xml
§ 1

DER WITZ

§ 2

§ 3

UND SEINE BEZIEHUNG

§ 4

§ 5

ZUM UNBEWUSSTEN

§ 6

§ 7

VON

§ 8

§ 9

PROF. DR. SIGM. FREUD

§ 10

§ 11

IN WIEN

§ 12

§ 13

DRITTE AUFLAGE

§ 14

§ 15

LEIPZIG UND WIEN FRANZ DEUTICKE 1921

§ 16

§ 17

Verlage Nr. 3001,

§ 18

VERLAG VON FRANZ DEUTICKE IN LEIPZIG UND WIEN

§ 19

§ 20

Schriften zur angewandten Seelenkunde. Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm, Freud in Wien.

§ 21

§ 22

1. Heft. Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva". Von Prof.

§ 23

§ 24

Dr. Sigin. Freud in Wien, Zweite Auflage. Preis M. S-.

§ 25

§ 26

11. Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen. Eine Studie von Dr. Franz Riklin. Vergriffen. Neuauflage in Vorbereitung. III. Inhalt der Psychose. Von Dr. Jung, Zweite Auflage. Ver

§ 27

§ 28

griffen. Die dritte Auflage ist außerhalb des Rahmens der

§ 29

§ 30

Schriften zur angewandten Seelenkunde" erschienen. IV. Traum und Mythus. Eine Studie der Völkerpsychologie. Von Dr. Karl Abraham, Vergriffen. Neuauflage in Vorbereitung.

§ 31

§ 32

V Der Mythus von der Geburt des Helden. Versuch einer psycho logischen Mythendeutung. Von Otto Rank, Vergriffen.

§ 33

§ 34

VE Aus dem Liebesleben Nikolaus Lenaus. Von Dr. J. Sadger, Nervenarzt in Wien. Preis M 10

§ 35

§ 36

VII. Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. Von Prof.

§ 37

§ 38

14

§ 39

§ 40

Dr. Sigm, Freud in Wien. Zweite Auflage. Preis M 7 VIII. Die Frömmigkeit des Grafen Ludwig von Zinzendorf. Vou Dr. Oskar Pfister, Pfarrer in Zürich.

§ 41

§ 42

M. 15

§ 43

§ 44

IX. Richard Wagner im Fliegenden Hollander". Ein Beitrag , Psycho logie künstlerischen Schaffens. Von Dr. Max Graf, Vergriffen. Das Problem des Hamlet und der Ödipus-Komplex. Von Dr. E. Jones. Übersetzt von Paul Tausig. Vergriffen. Neuauflage:

§ 45

§ 46

in Vorbereitung. XI. Giovanni Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch. Von Dr.

§ 47

§ 48

Karl Abraham, Arzt in Berlin. Mit 2 Beilagen. Vergriffen. XII. Zur Sonderstellung des Vatermordes. Eine rechtsgeschichtliche u. völkerpsychologische Studie, Von A. Storfer. Preis M5

§ 49

§ 50

XIII, Die Lohengrinsage. Ein Beitrag zu ihrer Motivgestaltung und Deutung. Von Otto Rank, Preis Mc 16

§ 51

§ 52

XIV. Der Alptraum in seiner Beziehung zu gewissen Formen des

§ 53

§ 54

mittelalterlichen Aberglaubens. Von Prof. Dr. Ernest Jones.

§ 55

§ 56

Deutsch von Dr. E. H. Sachs, Preis M 16-.

§ 57

§ 58

Aus dem Seelenleben des Kindes. Eine psychoanalytische Studie.

§ 59

§ 60

Von Dr. H. Hug-Hellmuth 2. Auflage. Preis M 19

§ 61

§ 62

Über Nachtwandeln und Mondsucht. Eine medizinisch-literarische

§ 63

§ 64

Studie. Von Dr, J. Sadger, Nervenarzt in Wien. Preis M 15'

§ 65

§ 66

XV.

§ 67

§ 68

XVI.

§ 69

§ 70

XVII. Jakob Boehme. Ein pathographischer Beitrag zur Psychologie

§ 71

§ 72

der Mystik. Von Dr. A. Kielholz in Königsfelden, Preis M8 XVIII. Friedrich Hebbal. Ein psychoanalytischer Versuch, Von Dr. J. Sadger in Wien, Preis M 36

§ 73

§ 74

Steiner, Dr. Maximilian, Die psychischen Störungen der männlichen Potenz. Ihre Tragweite und ihre Behandlung. Zweite Auflage, Mit einem Vorwort van Prof. Dr. Sign. Freud, Preis M 8'

§ 75

§ 76

Swoboda, Dr. H. Studien zur Grundlegung der Psychologie, Preis M 3¹ Swoboda, Doz. Dr. Hermann, Harmonia animae. Preis M 5-..

§ 77

§ 78

Buchdruckerel Carl Frommie, G.m.b. H., Wion V.

§ 79

DER WITZ

§ 80

§ 81

UND SEINE BEZIEHUNG

§ 82

§ 83

ZUM UNBEWUSSTEN

§ 84

§ 85

VON

§ 86

§ 87

PROF. DR. SIGM. FREUD

§ 88

§ 89

IN WIEN

§ 90

§ 91

DRITTE AUFLAGE

§ 92

§ 93

LEIPZIG UND WIEN FRANZ DEUTICKE 1921

§ 94

Verlags-Nr. 2691

§ 95

§ 96

§ 97

Buchdruckorei der Manzschen Verlags- und Universitäts-Buchhandlung in Wien.

§ 98

Inhaltsverzeichnis.

§ 99

§ 100

Seite

§ 101

§ 102

A. Analytischer Teil.

§ 103

§ 104

I. Einleitung.

§ 105

§ 106

II. Die Technik des Witzes

§ 107

§ 108

III. Die Tendenzen des Witzes

§ 109

§ 110

B. Synthetischer Teil.

§ 111

§ 112

IV. Der Lustmechanismus und die Psychogenese des Witzes 100 V. Die Motive des Witzes. Der Witz als sozialer Vorgang. 120

§ 113

§ 114

C. Theoretischer Teil.

§ 115

§ 116

VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum und zum Unbewußten. 137 VII. Der Witz und die Arten des Komischen

§ 117

§ 118

157

§ 119

Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten.

§ 120

A. Analytischer Teil.

§ 121

1. Einleitung.

§ 122

Wer einmal Anlaß gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhetikern und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, daß die philosophische Bemühung dem Witz lange nicht in dem Maße zu teil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient. Man kann nur eine geringe Anzahl von Denkern nennen, die sich eingehender mit den Problemen des Witzes beschäftigt haben. Allerdings finden sich unter den Bearbeitern des Witzes die glänzenden Namen des Dichters Jean Paul (Fr. Richter) und der PhilosophenTh. Vischer, Kuno Fischer und Th. Lipps; aber auch bei diesen Autoren steht das Thema des Witzes im Hintergrunde, während das Hauptinteresse der Untersuchung dem umfassenderen und anziehenderen Probleme des Komischen zugewendet ist.

§ 123

Man gewinnt aus der Literatur zunächst den Eindruck, als sei es völlig untunlich, den Witz anders als im Zusammenhange mit dem Komischen zu behandeln.

§ 124

Nach Th. Lipps (Komik und Humor, 1898) *) ist der Witz "die durchaus subjektive Komik" “, d. h. die Komik, „ "die wir hervorbringen, die an unserem Tun als solchem haftet, zu der wir uns durchwegs als darüberstehendes Subjekt, niemals als Objekt, auch nicht als freiwilliges Objekt verhalten" “ (S. 80). Erläuternd hiezu die Bemerkung: Witz heiße überhaupt „ "jedes bewußte und geschickte Hervorrufen der Komik, sei es der Komik der Anschauung oder der Situation" “ (S. 78).

*) Beiträge zur Ästhetik, herausgegeben von Theodor Lipps und Richard Maria Werner. VI. — Ein Buch, dem ich den Mut und die Möglichkeit verdanke, diesen Versuch zu unternehmen. § 125

K. Fischer erläutert die Beziehung des Witzes zum Komischen mit Beihilfe der in seiner Darstellung zwischen beide eingeschobenen Karikatur. (Über den Witz, 1889.) Gegenstand der Komik ist das Häßliche in irgend einer seiner Erscheinungsformen: „ "Wo es verdeckt ist, muß es im Licht der komischen Betrachtung entdeckt, wo es wenig oder kaum bemerkt wird, muß es hervorgeholt und so verdeutlicht werden, daß es klar und offen am Tage liegt... So entsteht die Karikatur" “ (S. 45). — „ "Unsere ganze geistige Welt, das intellektuelle Reich unserer Gedanken und Vorstellungen, entfaltet sich nicht vor dem Blicke der äußeren Betrachtung, läßt sich nicht unmittelbar bildlich und anschaulich vorstellen und enthält doch auch seine Hemmungen, Gebrechen, Veranstaltungen, eine Fülle des Lächerlichen und der komischen Kontraste. Diese hervorzuheben und der ästhetischen Betrachtung zugänglich zu machen, wird eine Kraft nötig sein, welche im stande ist, nicht bloß Objekte unmittelbar vorzustellen, sondern auf diese Vorstellungen selbst zu reflektieren und sie zu verdeutlichen: eine gedankenerhellende Kraft. Diese Kraft ist allein das Urteil. Das Urteil, welches den komischen Kontrast erzeugt, ist der Witz, er hat im stillen schon in der Karikatur mitgespielt, aber erst im Urteil erreicht er seine eigentümliche Form und das freie Gebiet seiner Entfaltung" “ (S. 49).

§ 126

Wie man sieht, verlegt Lipps den Charakter, welcher den Witz innerhalb des Komischen auszeichnet, in die Betätigung, in das aktive Verhalten des Subjekts, während K. Fischer den Witz durch die Beziehung zu seinem Gegenstand, als welcher das verborgene Häßliche der Gedankenwelt gelten soll, kennzeichnet. Man kann diese Definitionen des Witzes nicht auf ihre Triftigkeit prüfen, ja man kann sie kaum verstehen, wenn man sie nicht in den Zusammenhang einfügt, aus dem gerissen sie hier erscheinen, und man stände so vor der Nötigung, sich durch die Darstellungen des Komischen bei den Autoren hindurch zu arbeiten, um von ihnen etwas über den Witz zu erfahren. Indes wird man an anderen Stellen gewahr, daß dieselben Autoren auch wesentliche und allgemein gültige Charaktere des Witzes anzugeben wissen, bei welchen von dessen Beziehung zum Komischen abgesehen ist.

§ 127

Die Kennzeichnung des Witzes bei K. Fischer, die den Autor selbst am besten zu befriedigen scheint, lautet: Der Witz ist ein spielendes Urteil (S. 51). Zur Erläuterung dieses Aus druckes werden wir auf die Analogie verwiesen: „ "wie die ästhetische Freiheit in der spielenden Betrachtung der Dinge bestand" (S. 50). An anderer Stelle (S. 20) wird das ästhetische Verhalten gegen ein Objekt durch die Bedingung charakterisiert, daß wir von diesem Objekt nichts verlangen, insbesondere keine Befriedigung unserer ernsten Bedürfnisse, sondern uns mit dem Genuß der Betrachtung desselben begnügen. Das ästhetische Verhalten ist spielend im Gegensatz zur Arbeit. — „ "Es könnte sein, daß aus der ästhetischen Freiheit auch eine von der gewöhnlichen Fessel und Richtschnur losgelöste Art des Urteilens entspringt, die ich um ihres Ursprungs willen „das spielende Urteil nennen will, und daß in diesem Begriff die erste Bedingung, wenn nicht die ganze Formel enthalten ist, die unsere Aufgabe löst. „Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit," “ sagt Jean Paul. "Der Witz ist ein bloßes Spiel mit Ideen" “ (S. 24).

§ 128

Von jeher liebte man es, den Witz als die Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten zu finden. Jean Paul hat diesen Gedanken selbst witzig so ausgedrückt: „ "Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut." “ Th. Vischer fügt die Fortsetzung an: "Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen." Vischer wendet aber ein, daß es Witze gebe, bei denen von Vergleichung, also auch von Auffindung von Ähnlichkeit, keine Rede sei. Er definiert also den Witz mit leiser Abweichung von Jean Paul als die Fertigkeit, mit überraschender Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind, zu einer Einheit zu verbinden. K. Fischer hebt dann hervor, daß in einer Menge von witzigen Urteilen nicht Ähnlichkeiten, sondern Unterschiede gefunden werden, und Lipps macht darauf aufmerksam, daß sich diese Definitionen auf den Witz beziehen, den der Witzige hat, und nicht, den er macht.

§ 129

Andere in gewissem Sinne miteinander verknüpfte Gesichtspunkte, die bei der Begriffsbestimmung oder Beschreibung des Witzes herangezogen wurden, sind der „Vorstellungskontrast“, „der Sinn im Unsinn“, „die Verblüffung und Erleuchtung“.

§ 130

Auf den Vorstellungskontrast legen Definitionen wie die von Kraepelin den Nachdruck. Der Witz sei „ "die willkürliche Verbindung oder Verknüpfung zweier miteinander in irgend einer Weise kontrastierender Vorstellungen, zumeist durch das Hilfsmittel der sprachlichen Assoziation." “ Es wird einem Kritiker

§ 131

Lipps nicht schwer, die völlige Unzulänglichkeit dieser Formel aufzudecken, aber er selbst schließt das Moment des Kontrastes nicht aus, sondern verschiebt es nur an eine andere Stelle. „ "Der Kontrast bleibt bestehen, aber er ist nicht so oder so gefaßter Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, sondern Kontrast oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte" “ (S. 87). Beispiele erläutern, wie letzteres verstanden werden soll. „ "Ein Kontrast entsteht erst dadurch, daß .... wir seinen Worten eine Bedeutung zugestehen, die wir ihnen dann doch wieder nicht zugestehen können" “ (S. 90).

§ 132

In der Weiterentwicklung dieser letzten Bestimmung kommt der Gegensatz von „Sinn und Unsinn“ zur Bedeutung. „ "Was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht in diesem Falle der komische Prozeß" “ (S. 85 u. ff.). „ "Witzig erscheint eine Aussage, wenn wir ihr eine Bedeutung mit psychologischer Notwendigkeit zuschreiben, und indem wir sie ihr zuschreiben, sofort auch wiederum absprechen. Dabei kann unter der Bedeutung verschiedenes verstanden sein. Wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, daß er ihr logischerweise nicht zukommen kann. Wir finden in ihr eine Wahrheit, die wir dann doch wiederum den Gesetzen der Erfahrung oder allgemeinen Gewohnheiten unseres Denkens zufolge nicht darin finden können. Wir gestehen ihr eine über ihren wahren Inhalt hinausgehende logische oder praktische Folge zu, um eben diese Folge zu verneinen, sobald wir die Beschaffenheit der Aussage für sich in’s Auge fassen. In jedem Falle besteht der psychologische Prozeß, den die witzige Aussage in uns hervorruft und auf dem das Gefühl der Komik beruht, in dem unvermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen, zum Bewußtsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit."

§ 133

So eindringlich diese Auseinandersetzung klingt, so möchte man hier doch die Frage aufwerfen, ob der Gegensatz des Sinnvollen und Sinnlosen, auf dem das Gefühl der Komik beruht, auch zur Begriffsbestimmung des Witzes, insofern er vom Komischen unterschieden ist, beiträgt.

§ 134

Auch das Moment der „Verblüffung und Erleuchtung“ führt tief in das Problem der Relation des Witzes zur Komik hinein. Kant sagt vom Komischen überhaupt, es sei eine merkwürdige Eigenschaft desselben, daß es uns nur für einen Moment täuschen könne. Heymans (Zeitschr. f. Psychologie XI, 1896) führt aus, wie die Wirkung eines Witzes durch die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung zu stande komme. Er erläutert seine Meinung an einem prächtigen Witz von Heine, der eine seiner Figuren, den armen Lotteriekollekteur Hirsch-Hyacinth, sich rühmen läßt, der große Baron Rothschild habe ihn ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär behandelt. Hier erscheine das Wort, welches der Träger des Witzes ist, zunächst einfach als eine fehlerhafte Wortbildung, als etwas Unverständliches, Unbegreifliches, Rätselhaftes. Dadurch verblüfft es. Die Komik ergebe sich aus der Lösung der Verblüffung, aus dem Verständnis des Wortes. Lipps ergänzt hiezu, daß diesem ersten Stadium der Erleuchtung, das verblüffende Wort bedeute dies und jenes, ein zweites Stadium folgt, in dem man einsehe, dies sinnlose Wort habe uns verblüfft und dann den guten Sinn ergeben. Erst diese zweite Erleuchtung, die Einsicht, daß ein nach gemeinem Sprachgebrauch sinnloses Wort das ganze verschuldet habe, diese Auflösung in Nichts, erzeuge erst die Komik (S. 95).

§ 135

Ob die eine oder die andere dieser beiden Auffassungen uns einleuchtender erscheinen möge, durch die Erörterungen über Verblüffung und Erleuchtung werden wir einer bestimmten Einsicht näher gebracht. Wenn nämlich die komische Wirkung des Heine- schen famillionär auf der Auflösung des scheinbar sinnlosen Wortes beruht, so ist wohl der „Witz“ in die Bildung dieses Wortes und in den Charakter des so gebildeten Wortes zu versetzen.

§ 136

Außer allem Zusammenhang mit den zuletzt behandelten Gesichtspunkten wird eine andere Eigentümlichkeit des Witzes als wesentlich für ihn von allen Autoren anerkannt. „ " Kürze ist der Körper und die Seele des Witzes, ja er selbst" “, sagt Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, I, § 45) und modifiziert damit nur eine Rede des alten Schwätzers Polonius in Shakespeare’s Hamlet (2. Akt, 2. Szene):

§ 137

"Weil Kürze dann des Witzes Seele ist, Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat, Fass’ ich mich kurz." (Schlegel’sche Übersetzung).

§ 138

Bedeutsam ist dann die Schilderung der Kürze des Witzes bei Lipps (S. 90). „ "Der Witz sagt, was er sagt, nicht immer in wenig, aber immer in zu wenig Worten, d. h. in Worten, die nach strenger Logik oder gemeiner Denk- und Redeweise dazu nicht genügen. Er kann es schließlich geradezu sagen, indem er es verschweigt."

§ 139

"Daß der Witz etwas Verborgenes oder Verstecktes hervorholen müsse" “ (K. Fischer, S. 51), wurde uns schon bei der Zusammenstellung des Witzes mit der Karikatur gelehrt. Ich hebe diese Bestimmung nochmals hervor, weil auch sie mehr mit dem Wesen des Witzes als mit seiner Zugehörigkeit zur Komik zu tun hat.

§ 140

Ich weiß wohl, das die vorstehenden kümmerlichen Auszüge aus den Arbeiten der Autoren über den Witz dem Werte dieser Arbeiten nicht gerecht werden können. Infolge der Schwierigkeiten, welche einer von Mißverständnis freien Wiedergabe so komplizierter und fein nuancierter Gedankengänge entgegenstehen, kann ich den Wißbegierigen die Mühe nicht ersparen, sich die gewünschte Belehrung an den ursprünglichen Quellen zu holen. Aber ich weiß nicht, ob sie von ihr voll befriedigt zurückkehren würden. Die von den Autoren angegebenen und im vorigen zusammengestellten Kriterien und Eigenschaften des Witzes — die Aktivität, die Beziehung zum Inhalt unseres Denkens, der Charakter des spielenden Urteils, die Paarung des Unähnlichen, der Vorstellungskontrast, der „Sinn im Unsinn“, die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung, das Hervorholen des Versteckten und die besondere Art von Kürze des Witzes — erscheinen uns zwar auf den ersten Blick als so sehr zutreffend und so leicht an Beispielen erweisbar, daß wir nicht in die Gefahr geraten können, den Wert solcher Einsichten zu unterschätzen, aber es sind disiecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zusammengefügt sehen möchten. Sie tragen schließlich zur Kenntnis des Witzes nicht mehr bei als etwa eine Reihe von Anekdoten zur Charakteristik einer Persönlichkeit, über welche wir eine Biographie beanspruchen dürfen. Es fehlt uns völlig die Einsicht in den vorauszusetzenden Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen, etwa was die Kürze des Witzes mit seinem Charakter als spielendes Urteil zu schaffen haben kann, und ferner die Aufklärung, ob der Witz allen diesen Bedingungen genügen muß, um ein richtiger Witz zu sein, oder nur einzelnen darunter, und welche dann durch andere vertretbar, welche unerläßlich sind. Auch eine Gruppierung und Einteilung der Witze auf Grund ihrer als wesentlich hervorgehobenen Eigenschaften würden wir wünschen. Die Einteilung, welche wir bei den Autoren finden, stützt sich einerseits auf die technischen Mittel, anderseits auf die Verwendung des Witzes in der Rede (Klangwitz, Wortspiel — karikierender, charakterisierender Witz, witzige Abfertigung).

§ 141

Wir wären also nicht in Verlegenheit, einer weiteren Bemühung zur Aufklärung des Witzes ihre Ziele zu weisen. Um auf Erfolg rechnen zu können, müßten wir entweder neue Ge sichtspunkte in die Arbeit eintragen oder durch Verstärkung unserer Aufmerksamkeit und Vertiefung unseres Interesses weiter einzudringen versuchen. Wir können uns vorsetzen, es wenigstens an dem letzteren Mittel nicht fehlen zu lassen. Es ist immerhin auffällig, wie wenig Beispiele von als solchen anerkannten Witzen den Autoren für ihre Untersuchungen genügen, und wie ein jeder die nämlichen von seinen Vorgängern übernimmt. Wir dürfen uns der Verpflichtung nicht entziehen, dieselben Beispiele zu analysieren, die bereits den klassischen Autoren über den Witz gedient haben, aber wir beabsichtigen, uns außerdem an neues Material zu wenden, um eine breitere Unterlage für unsere Schlußfolgerungen zu gewinnen. Es liegt dann nahe, daß wir solche Beispiele von Witz zu Objekten unserer Untersuchung nehmen, die uns selbst im Leben den größten Eindruck gemacht und uns am ausgiebigsten lachen gemacht haben.

§ 142

Ob das Thema des Witzes solcher Bemühung wert ist? Ich meine, daran ist nicht zu zweifeln. Wenn ich von persönlichen, während der Entwicklung dieser Studien aufzudeckenden, Motiven absehe, die mich drängen, Einsicht in die Probleme des Witzes zu gewinnen, kann ich mich auf die Tatsache des intimen Zusammenhanges alles seelischen Geschehens berufen, welche einer psychologischen Erkenntnis auch auf einem entlegenen Gebiet einen im vorhinein nicht abschätzbaren Wert für andere Gebiete zusichert. Man darf auch daran mahnen, welch eigentümlichen, geradezu faszinierenden Reiz der Witz in unserer Gesellschaft äußert. Ein neuer Witz wirkt fast wie ein Ereignis von allgemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen. Selbst bedeutende Männer, die es für mitteilenswert halten, wie sie geworden sind, welche Städte und Länder sie gesehen, und mit welchen hervorragenden Menschen sie verkehrt haben, verschmähen es nicht, in ihre Lebensbeschreibung aufzunehmen, diese und jene vortrefflichen Witze hätten sie gehört. *)

*) J. v. Falke, Lebenserinnerungen, 1897. § 143

II. Die Technik des Witzes.

§ 144

Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispiel auf, das uns im vorigen Abschnitt entgegen getreten ist.

§ 145

In dem Stück der „Reisebilder“, welches „Die Bäder von Lucca“ betitelt ist, führt H. Heine die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt: Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.

§ 146

An diesem als ausgezeichnet anerkannten und sehr lachkräftigen Beispiel haben Heymans und Lipps die Ableitung der komischen Wirkung des Witzes aus der „Verblüffung und Erleuchtung“ (s. o.) erläutert. Wir aber lassen diese Frage beiseite und stellen uns die andere: was es denn ist, was die Rede des Hirsch-Hyacinth zu einem Witze macht? Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Gedanke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden.

§ 147

Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen — in Worten also — zum Ausdruck gebracht werden, die ihn gleich zutreffend wiedergeben mögen. In der Rede des Hirsch-Hyacinth liegt uns nun eine bestimmte Ausdrucksform eines Gedankens vor und, wie uns ahnt, eine besonders eigentümliche, nicht diejenige, welche am leichtesten verständlich ist. Versuchen wir, denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken. Lipps hat dies bereits getan und damit die Fassung des Dichters gewissermaßen erläutert. Er sagt (S. 87): „Wir verstehen, daß Heine sagen will, die Aufnahme sei eine familiäre gewesen, nämlich von der bekannten Art, die durch den Beigeschmack des Millionärtums an Annehmlichkeit nicht zu gewinnen pflegt.“ Wir verändern nichts an diesem Sinn, wenn wir eine andere Fassung annehmen, die sich vielleicht besser in die Rede des Hirsch-Hyacinth einfügt: „Rothschild behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz familiär, d. h. soweit ein Millionär das zu stande bringt.“ „Die Herablassung eines reichen Mannes hat immer etwas Mißliches für den, der sie an sich erfährt,“ würden wir noch hinzusetzen.*)*)

§ 148

Ob wir nun bei dieser oder einer anderen gleichwertigen Textierung des Gedankens verbleiben, wir sehen, daß die Frage, welche wir uns vorgelegt haben, bereits entschieden ist. Der Witzcharakter haftet in diesem Beispiel nicht am Gedanken. Es ist eine richtige und scharfsinnige Bemerkung, die Heine seinem Hirsch-Hyacinth in den Mund legt, eine Bemerkung von unverkennbarer Bitterkeit, wie sie bei dem armen Manne angesichts so großen Reichtums leicht begreiflich ist, aber wir würden uns nicht getrauen, sie witzig zu heißen. Meinte nun jemand, der bei der Übertragung die Erinnerung an die Fassung des Dichters nicht los zu werden vermag, der Gedanke sei doch auch an sich witzig, so können wir ja auf ein sicheres Kriterium des bei der Übertragung verloren gegangenen Witzcharakters verweisen. Die Rede des Hirsch-Hyacinth machte uns laut lachen, die sinngetreue Übertragung derselben nach Lipps oder in unserer Fassung mag uns gefallen, zum Nachdenken anregen, aber zum Lachen bringen kann sie uns nicht.

§ 149

Wenn aber der Witzcharakter unseres Beispiels nicht dem Gedanken anhaftet, so ist er in der Form, im Wortlaut seines Ausdruckes zu suchen. Wir brauchen nur die Besonderheit dieser Ausdrucksweise zu studieren, um zu erfassen, was man als die Wort- oder Ausdruckstechnik dieses Witzes bezeichnen kann und was in inniger Beziehung zu dem Wesen des Witzes stehen muß, da Charakter und Wirkung des Witzes mit dessen Ersetzung durch anderes verschwinden. Wir befinden uns übrigens in voller Übereinstimmung mit den Autoren, wenn wir soviel Wert auf die sprachliche Form des Witzes legen. So z. B. sagt K. Fischer (S. 72): „Es ist zunächst die bloße Form, die das Urteil zum Witz macht, und man wird hier an ein Wort Jean Paul's erinnert, welches eben diese Natur des Witzes in demselben Aussprache erklärt und beweist: „So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze.“

*) Derselbe Witz wird uns noch an anderer Stelle beschäftigen, und dort werden wir Anlaß finden, an der von Lipps gegebenen Übertragung desselben, der sich die unserige anschließt, eine Korrektur vorzunehmen, welche aber die hier nachfolgenden Erörterungen nicht zu stören vermag. § 150

Worin besteht nun die „Technik“ dieses Witzes? Was ist mit dem Gedanken etwa in unserer Fassung vorgegangen, bis aus ihm der Witz wurde, über den wir so herzlich lachen? Zweierlei, wie die Vergleichung unserer Fassung mit dem Text des Dichters lehrt. Erstens hat eine erhebliche Verkürzung stattgefunden. Wir mußten, um den im Witz enthaltenen Gedanken voll auszudrücken, an die Worte „R. behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz familiär“, einen Nachsatz anfügen, der auf's kürzeste eingeengt lautete: d. h. soweit ein Millionär das zu stande bringt, und dann fühlten wir erst noch das Bedürfnis nach einem erläuternden Zusatz.*)*) Beim Dichter heißt es weit kürzer:

§ 151

„R. behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.“ Die ganze Einschränkung, die der zweite Satz an den ersten anfügt, welcher die familiäre Behandlung konstatiert, ist im Witze verloren gegangen.

§ 152

Aber doch nicht ganz ohne einen Ersatz, aus dem man sie rekonstruieren kann. Es hat auch noch eine zweite Abänderung stattgefunden. Das Wort „familiär“ im witzlosen Ausdruck des Gedankens ist im Text des Witzes zu „famillionär“ umgewandelt worden, und ohne Zweifel hängt gerade an diesem Wortgebilde der Witzcharakter und der Lacheffekt des Witzes. Das neugebildete Wort deckt sich in seinem Anfang mit dem „familiär“ des ersten, in seinen auslautenden Silben mit dem „Millionär“ des zweiten Satzes, es vertritt gleichsam den einen Bestandteil „Millionär“ aus dem zweiten Satze, infolgedessen den ganzen zweiten Satz, und setzt uns auf diese Weise in den Stand, den im Text des Witzes ausgelassenen zweiten Satz zu erraten. Es ist als ein Mischgebilde aus den zwei Komponenten „familiär“ und „Millionär“ zu beschreiben, und man wäre versucht, sich seine Entstehung aus diesen beiden Worten graphisch zu veranschaulichen.**)**)

" § 153

FAMILIÄR MILIONÄR FAMILI ON ÄR

"
*) Ganz ähnliches gilt für die Übertragung von Lipps. **) Die beiden Worten gemeinsamen Silben sind hier fett gedruckt im Gegensatz zu den verschiedenen Typen der besonderen Bestandteile beider Worte. Das zweite L, welches in der Aussprache kaum zur Geltung kommt, dürfte natürlich übergangen werden. Es ist naheliegend, daß die Übereinstimmung der beiden Worte in mehreren Silben der Witztechnik den Anlaß zur Herstellung des Mischwortes bietet. § 154

Den Vorgang aber, welcher den Gedanken in den Witz übergeführt hat, kann man sich in folgender Weise darstellen, die zunächst recht phantastisch erscheinen mag, aber nichtsdestoweniger genau das wirklich vorhandene Ergebnis liefert:

§ 155

„R. behandelte mich ganz familiär, d. h. soweit ein Millionär es zu stande bringt.“

§ 156

Nun denke man sich eine zusammendrängende Kraft auf diese Sätze einwirken und nehme an, daß der Nachsatz aus irgend einem Grunde der weniger resistente sei. Dieser wird dann zum Schwinden gebracht werden, der bedeutsame Bestandteil desselben, das Wort „Millionär“, welches sich gegen die Unterdrückung zu sträuben vermag, wird gleichsam an den ersten Satz angepreßt, mit dem ihm so sehr ähnlichen Element dieses Satzes „familiär“ verschmolzen, und gerade diese zufällig gegebene Möglichkeit, das Wesentliche des zweiten Satzes zu retten, wird den Untergang der anderen unwichtigeren Bestandteile begünstigen. So entsteht dann der Witz: „R. behandelte mich ganz famili on är.“ (mili) (är)

§ 157

Abgesehen von solcher zusammendrängenden Kraft, die uns ja unbekannt ist, dürfen wir den Hergang der Witzbildung, also die Witztechnik dieses Falles, beschreiben als eine Verdichtung mit Ersatzbildung, und zwar besteht in unserem Beispiel die Ersatzbildung in der Herstellung eines Mischwortes. Dieses Mischwort „famillionär“, an sich unverständlich, in dem Zusammenhange, in dem es steht, sofort verstanden und als sinnreich erkannt, ist nun der Träger der zum Lachen zwingenden Wirkung des Witzes, deren Mechanismus uns allerdings durch die Aufdeckung der Witztechnik in keiner Weise näher gebracht wird. Inwiefern kann ein sprachlicher Verdichtungsvorgang mit Ersatzbildung durch ein Mischwort uns Lust schaffen und zum Lachen nötigen? Wir merken, dies ist ein anderes Problem, dessen Behandlung wir aufschieben dürfen, bis wir einen Zugang zu ihm gefunden haben. Vorläufig werden wir bei der Technik des Witzes verbleiben.

§ 158

Unsere Erwartung, daß die Technik des Witzes für die Einsicht in das Wesen desselben nicht gleichgültig sein könne, veranlaßt uns zunächst zu forschen, ob es noch andere Witzbeispiele gibt, die wie Heine's „famillionär“ gebaut sind. Es gibt deren nun nicht sehr viele, aber immerhin genug, um eine kleine Gruppe, die durch die Mischwortbildung charakterisiert ist, aufzustellen. Heine selbst hat aus dem Worte Millionär einen zweiten Witz gezogen, sich gleichsam selbst kopiert, indem er von einem Millionarr“ spricht (Ideen, Kap. XIV), was eine durchsichtige Zusammenziehung von Millionär und Narr ist und ganz ähnlich wie das erste Beispiel einen unterdrückten Nebengedanken zum Ausdruck bringt.

§ 159

Andere Beispiele, die mir bekannt geworden sind: Die Berliner heißen einen gewissen Brunnen in ihrer Stadt, dessen Errichtung dem Oberbürgermeister Forckenbeck viel Ungnade zugezogen hat, das „Forckenbecken“, und dieser Bezeichnung ist der Witz nicht abzusprechen, wenngleich das Wort „Brunnen‘ erst eine Wandlung in das ungebräuchliche „Becken“ erfahren mußte, um mit dem Namen in einem Gemeinsamen zusammenzutreffen. — Der böse Witz Europas hat einen Potentaten aus Leopold in Cleopold umgetauft wegen seiner damaligen Beziehungen zu einer Dame mit dem Vornamen Cléo, eine unzweifelhafte Verdichtungsleistung, die nun mit dem Aufwand eines einzigen Buchstaben eine ärgerliche Anspielung immer frisch erhält. — Eigennamen verfallen überhaupt leicht dieser Bearbeitung der Witztechnik: In Wien gab es zwei Brüder, namens Salinger, von denen einer Börsensensal war. Das gab die Handhabe, den einen Bruder Sensalinger zu nennen, während für den anderen zur Unterscheidung die unliebenswürdige Bezeichnung Scheusalinger in Aufnahme kam. Es war bequem und gewiß witzig; ich weiß nicht, ob es berechtigt war. Der Witz pflegt darnach nicht viel zu fragen.

§ 160

Folgender Verdichtungswitz wurde mir erzählt: Ein junger Mann, der bisher in der Fremde ein heiteres Leben geführt, besucht nach längerer Abwesenheit einen hier wohnenden Freund, der nun mit Überraschung den Ehering an der Hand des Besuchers bemerkt. Was? ruft er aus, Sie sind verheiratet? Ja, lautet die Antwort: Trauring, aber wahr. Der Witz ist vortrefflich; in dem Worte „Trauring“ kommen die beiden Komponenten, das Wort: Ehering in Trauring gewandelt und der Satz: Traurig, aber wahr, zusammen.

§ 161

Es tut der Wirkung des Witzes hier keinen Eintrag, daß das Mischwort eigentlich nicht ein unverständliches, sonst nicht existenzfähiges Gebilde ist, wie „famillionär“, sondern sich vollkommen mit dem einen der beiden verdichteten Elemente deckt.

§ 162

Zu einem Witz, der wiederum dem „famillionär“ ganz analog ist, habe ich selbst im Gespräche unabsichtlich das Material geliefert. Ich erzählte einer Dame von den großen Verdiensten eines Forschers, den ich für einen mit Unrecht Verkannten halte. „Aber der Mann verdient doch ein Monument,“ meinte sie. „Mög lich, daß er es einmal bekommen wird,“ antwortete ich, „aber momentan ist sein Erfolg sehr gering.“ „Monument“ undmomentan“ sind Gegensätze.“ Die Dame vereinigt nun die Gegensätze: Also wünschen wir ihm einen monumentanen Erfolg.

§ 163

Einer vortrefflichen Bearbeitung des gleichen Themas in englischer Sprache (A. A. Brill, Freuds Theory of wit, Journal of abnormal Psychology 1911) verdanke ich einige fremdsprachige Beispiele, die den gleichen Mechanismus der Verdichtung zeigen wie unser „famillionär“.

§ 164

Der englische Autor de Quincey, erzählt Brill, hat irgendwo die Bemerkung gemacht, daß alte Leute dazu neigen, in „anecdotage“ zu verfallen. Das Wort ist zusammengeschmolzen aus den sich teilweise überdeckenden anecdote und dotage (kindisches Gefasel).

§ 165

In einer anonymen kurzen Geschichte fand Brill einmal die Weihnachtszeit bezeichnet als „the alcoholidays“. Die gleiche Verschmelzung aus alcohol und holidays (Festtage).

§ 166

Als Flaubert seinen berühmten Roman Salammbô, der im alten Kathargo spielt, veröffentlicht hatte, verspottete ihn SainteBeuve als Carthaginoiserie wegen seiner peinlichen Detailmalerei: Carthaginois chinoiserie.

§ 167

Das vorzüglichste Witzbeispiel dieser Gruppe hat einen der ersten Männer Österreichs zum Urheber, der nach bedeutsamer wissenschaftlicher und öffentlicher Tätigkeit nun ein oberstes Amt im Staate bekleidet. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Witze, die dieser Person zugeschrieben werden und in der Tat alle das gleiche Gepräge tragen, als Material für diese Untersuchungen zu verwenden,*)*) vor allem darum, weil es schwer gehalten hätte, sich ein besseres zu verschaffen.

*) Ob ich ein Recht dazu habe? Ich bin wenigstens nicht durch eine Indiskretion zur Kenntnis dieser Witze gekommen, die in dieser Stadt (Wien) allgemein bekannt sind und in jedermanns Munde gefunden werden. Eine Anzahl derselben hat Ed. Hanslick in der „Neuen freien Presse“ und in seiner Autobiographie der Öffentlichkeit übergeben. Für die bei mündlicher Tradition kaum vermeidlichen Entstellungen, die etwa die anderen betroffen hätten, bitte ich um Entschuldigung. § 168

Herr N. wird eines Tages auf die Person eines Schriftstellers aufmerksam gemacht, der durch eine Reihe von wirklich langweiligen Aufsätzen bekannt geworden ist, welche er in einer Wiener Tageszeitung veröffentlicht hat. Die Aufsätze behandeln durchweg kleine Episoden aus den Beziehungen des ersten Napoleon zu Österreich. Der Verfasser ist rothaarig. Herrr N. fragt, sobald er den Namen gehört hat: Ist das nicht der rote Fadian , der sich durch die Geschichte der Napoleoniden zieht?

§ 169

Um die Technik dieses Witzes zu finden, müssen wir auf ihn jenes Reduktionsverfahren anwenden, welches den Witz durch Änderung des Ausdruckes aufhebt und dafür den ursprünglichen vollen Sinn wieder einsetzt, wie er sich aus einem guten Witz mit Sicherheit erraten läßt. Der Witz des Herrn N. vom roten Fadian ist aus zwei Komponenten hervorgegangen, aus einem absprechenden Urteil über den Schriftsteller und aus der Reminiszenz an das berühmte Gleichnis, mit welchem Goethe die Auszüge: „Aus Ottiliens Tagebuche“ in den „Wahlverwandtschaften“ einleitet.*)*) Die unmutige Kritik mag gelautet haben: Das also ist der Mensch, der ewig und immer wieder nur langweilige Feuilletons über Napoleon in Österreich zu schreiben weiß! Diese Äußerung ist nun gar nicht witzig. Auch der schöne Vergleich Goethes ist kein witziger und ganz gewiß nicht geeignet, uns zum Lachen zu bringen. Erst wenn diese beiden in Beziehung zueinander gesetzt werden und dem eigentümlichen Verdichtungsund Verschmelzungsprozeß unterliegen, entsteht ein Witz, und zwar vom ersten Range.**)**)

§ 170

Die Verknüpfung zwischen dem schimpflichen Urteil über den langweiligen Geschichtschreiber und dem schönen Gleichnis in den Wahlverwandtschaften, muß sich aus Gründen, die ich hier noch nicht verständlich machen kann, auf weniger einfache Weise hergestellt haben als in vielen ähnlichen Fällen. Ich werde es versuchen, den vermutlichen wirklichen Hergang durch folgende Konstruktion zu ersetzen. Zunächst mag das Element der beständigen Widerkehr desselben Themas bei Herrn N. eine leise Reminiszenz an die bekannte Stelle der Wahlverwandtschaften geweckt haben, die ja zumeist fälschlich mit dem Wortlaut „es zieht sich wie ein roter Faden“ zitiert wird. Der „rote Faden“ des Gleichnisses übte nun eine verändernde Wirkung auf den Ausdruck des ersten Satzes aus, infolge des zufälligen Umstandes, daß auch der Geschmähte rot, nämlich rothaarig ist. Es mag nun gelautet haben: Also dieser rote Mensch ist es, der die langweiligen Feuilletons über Napoleon schreibt. Nun griff der Prozeß ein, der die Verdichtung beider Stücke zu einem bezweckte. Unter dem Drucke desselben, der in der Gleichheit des Elements „rot“ den ersten Stützpunkt gefunden hatte, assimilierte sich das „langweilig“ dem „Faden und verwandelte sich in „fad“, und nun konnten die beiden Komponenten verschmelzen zu dem Wortlaut des Witzes, an welchem diesmal das Zitat fast mehr Anteil hat als das gewiß ursprünglich allein vorhandene schmähende Urteil.

*) „Wir hören von einer besonderen Einrichtung in der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören. Eben so zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet.“ (20. Band der Sophien-Ausgabe, S. 212.) **) Wie wenig diese regelmäßig zu wiederholende Beobachtung mit der Behauptung stimmt, der Witz sei ein spielendes Urteil, brauche ich nur anzudeuten. § 171

„Also dieser rote Mensch ist es, der das fade Zeug über N. schreibt.

§ 172

Der rote Faden, der sich durch [alles hindurchzieht.

§ 173

Ist das nicht der rote Fadian der sich durch die Ge[schichte der N. zieht?

§ 174

Eine Rechtfertigung, aber auch eine Korrektur dieser Darstellung werde ich in einem späteren Abschnitt geben, wenn ich diesen Witz von anderen als bloß formalen Gesichtspunkten her analysieren darf. Was immer aber an ihr zweifelhaft sein möge, die Tatsache, daß hier eine Verdichtung vorgefallen ist, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Das Ergebnis der Verdichtung ist einerseits wiederum eine erhebliche Verkürzung, anderseits anstatt einer auffälligen Mischwortbildung vielmehr eine Durchdringung der Bestandteile beider Komponenten. „Roter Fadian wäre immerhin als bloßes Schimpfwort existenzfähig; es ist in unserem Falle sicherlich ein Verdichtungsprodukt.

§ 175

Wenn nun an dieser Stelle zuerst ein Leser unwillig würde über eine Betrachtungsweise, die ihm das Vergnügen am Witz zu zerstören droht, ohne ihn über die Quelle dieses Vergnügens aufklären zu können, so würde ich ihn zunächst um Geduld bitten. Wir stehen erst bei der Technik des Witzes, deren Untersuchung ja auch Aufschlüsse verspricht, wenn wir sie erst weit genug ausgedehnt haben.

§ 176

Wir sind durch die Analyse des letzten Beispiels vorbereitet darauf, daß, wenn wir dem Verdichtungsvorgang noch in anderen Beispielen begegnen, der Ersatz des Unterdrückten nicht in einer Mischwortbildung, sondern auch in einer anderen Abänderung des Ausdrucks gegeben sein könne. Worin dieser andersartige Ersatz bestehen mag, wollen wir aus anderen Witzen des Herrn N. lernen.

§ 177

Ich bin tête-à-bête mit ihm gefahren.“ Nichts leichter als diesen Witz zu reduzieren. Offenbar kann es dann nur heißen: Ich bin tête-à-tête mit dem X. gefahren, und der X. ist ein dummes Vieh.

§ 178

Keiner der beiden Sätze ist witzig. Oder in einen Satz zusammengezogen: Ich bin tête-à-tête mit dem dummen Vieh von X. gefahren, was ebensowenig witzig ist. Der Witz stellt sich erst her, wenn das „dumme Vieh“ weggelassen wird und zum Ersatz dafür das eine tête sein t in b verwandelt, mit welcher geringen Modifikation das erst unterdrückte „Vieh“ doch wieder zum Ausdruck gelangt. Man kann die Technik dieser Gruppe von Witzen beschreiben als Verdichtung mit leichter Modifikation und ahnt, daß der Witz um so besser sein wird, je geringfügiger die Ersatzmodifikation ausfällt.

§ 179

Ganz ähnlich, obwohl nicht unkompliziert, ist die Technik eines anderen Witzes. Herr N. sagt im Wechselgespräch über eine Person, an der manches zu rühmen und vieles auszusetzen ist: Ja, die Eitelkeit ist eine seiner vier Achillesfersen.*)*) Die leichte Modifikation besteht hier darin, daß anstatt der einen Achillesferse, die man ja auch beim Helden zugestehen muß, deren vier behauptet werden. Vier Fersen, also vier Füße hat aber nur das Vieh. Somit haben die beiden im Witz verdichteten Gedanken gelautet:

§ 180

Y. ist bis auf seine Eitelkeit ein hervorragender Mensch; aber ich mag ihn doch nicht, er ist doch eher ein Vieh als ein Mensch.**)**)

§ 181

Ähnlich, nur viel einfacher, ist ein anderer Witz, den ich in einem Familienkreise im statu nascendi zu hören bekam. Von zwei Brüdern, Gymnasiasten, ist der eine ein vortrefflicher, der andere ein recht mittelmäßiger Schüler. Nun passiert auch dem Musterknaben einmal ein Unfall in der Schule, den die Mutter zur Sprache bringt, um der Besorgnis Ausdruck zu geben, das Ereignis könne den Anfang einer dauernden Verschlechterung bedeuten. Der bisher durch seinen Bruder verdunkelte Knabe greift diesen Anlaß bereitwillig auf. Ja, sagt er, Karl geht auf allen Vieren zurück.

*) Dasselbe Witzwort soll schon vorher von H. Heine auf Alfred de Musset geprägt worden sein. **) Eine der Komplikationen der Technik dieses Beispiels liegt darin, daß die Modifikation, durch welche sich die ausgelassene Schmähung ersetzt, als Anspielung auf diese letztere zu bezeichnen ist, da sie erst über einen Schlußprozeß zu ihr hinführt. Über ein anderes Moment, welches hier die Technik kompliziert, s. u. § 182

Die Modifikation besteht hier in einem kleinen Zusatz zur Versicherung, daß der andere auch nach seinem Urteil zurückgeht. Diese Modifikation vertritt und ersetzt aber ein leidenschaftliches Plaidoyer für die eigene Sache: Überhaupt müßt ihr nicht glauben, daß er darum soviel gescheiter ist als ich, weil er in der Schule besseren Erfolg hat. Er ist doch nur ein dummes Vieh, d. h. viel dümmer, als ich bin.

§ 183

Ein schönes Beispiel von Verdichtung mit leichter Modifikation zeigt ein anderer sehr bekannter Witz des Herrn N., der von einer im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeit behauptete, sie habe eine große Zukunft hinter sich. Es war ein jüngerer Mann, auf den dieser Witz zielte, der durch seine Abstammung, Erziehung und seine persönlichen Eigenschaften berufen schien, dereinst die Führung einer großen Partei zu übernehmen und an ihrer Spitze zur Regierung zu gelangen. Aber die Zeiten änderten sich, die Partei wurde regierungsunfähig, und nun ließ sich vorhersehen, daß auch der zu ihrem Führer prädestinierte Mann es zu nichts bringen werde. Die kürzeste reduzierte Fassung, durch die man diesen Witz ersetzen könnte, würde lauten: Der Mann hat eine große Zukunft vor sich gehabt, mit der ist es aber jetzt aus. Anstatt desgehabt“ und des Nachsatzes die kleine Veränderung im Hauptsatze, daß das „vor“ durch ein „hinter“, sein Gegenteil, abgelöst wird.*)*)

§ 184

Fast der nämlichen Modifikation bediente sich Herr N. im Falle eines Kavaliers, der Ackerbauminister geworden war ohne anderes Anrecht, als daß er selbst Landwirtschaft betrieb. Die öffentliche Meinung hatte Gelegenheit, ihn als den mindest be gabten, der je mit diesem Amt betraut gewesen, zu erkennen. Als er aber das Amt niedergelegt und sich auf seine landwirtschaftlichen Interessen zurückgezogen hatte, sagte Herr N. von ihm:

*) An der Technik dieses Witzes wirkt noch ein anderes Moment mit, welches ich mir später anzuführen aufspare. Es betrifft den inhaltlichen Charakter der Modifikation (Darstellung durch das Gegenteil, Widersinn). Die Witztechnik ist durch nichts behindert, sich mehrerer Mittel gleichzeitig zu bedienen, die wir aber nur der Reihe nach kennen lernen können. § 185

Er ist, wie Cincinnatus, auf seinen Platz vor dem Pflug zurückgekehrt.

§ 186

Der Römer, den man auch von der Landwirtschaft weg zum Amt berufen hatte, nahm seinen Platz hinter dem Pflug wieder ein. Vor dem Pflug ging damals wie heute nur — der Ochs.

§ 187

Eine gelungene Verdichtung mit leiser Modifikation ist es auch, wenn ein witziger Schriftsteller von einem sog. Revolverjournalisten mitteilt, er sei mit dem Orienterpreßzug in eines der Balkanländer gefahren. Gewiß treffen in diesem Wort die beiden anderen „Orientexpreßzug“ und „Erpressung zusammen. Infolge des Zusammenhanges macht sich das Element „Erpressung“ nur als Modifikation des vom Verbum geforderten „Orientexpreßzuges“ geltend. Dieser Witz hat für uns, indem er einen Druckfehler vorspiegelt, noch ein anderes Interesse.

§ 188

Wir könnten die Reihe dieser Beispiele leicht um weitere vermehren, aber ich meine, wir bedürfen keiner neuen Fälle, um die Charaktere der Technik in dieser zweiten Gruppe, Verdichtung mit Modifikation, sicher zu erfassen. Vergleichen wir nun die zweite Gruppe mit der ersten, deren Technik in Verdichtung mit Mischwortbildung bestand, so sehen wir leicht ein, daß die Unterschiede nicht wesentliche und die Übergänge fließend sind. Die Mischwortbildung wie die Modifikation unterordnen sich dem Begriff der Ersatzbildung, und wenn wir wollen, können wir die Mischwortbildung auch als Modifikation des Grundwortes durch das zweite Element beschreiben.

§ 189

Wir dürfen aber hier einen ersten Halt machen und uns fragen, mit welchem aus der Literatur bekannten Moment sich unser erstes Ergebnis ganz oder teilweise deckt. Offenbar mit dem der Kürze, die Jean Paul die Seele des Witzes nennt (s. o. S. 5). Die Kürze ist nun nicht an sich witzig, sonst wäre jeder Lakonismus ein Witz. Die Kürze des Witzes muß von besonderer Art sein. Wir erinnern uns, daß Lipps versucht hat, die Besonderheit der Witzkürzung näher zu beschreiben (s. S. 5). Hier hat nun unsere Untersuchung eingesetzt und nachgewiesen, daß die Kürze des Witzes oftmals das Ergebnis eines besonderen Vorganges ist, der im Wortlaut des Witzes eine zweite Spur, die Ersatzbildung, hinterlassen hat. Bei der Anwendung des Reduktionsverfahrens, welches den eigentümlichen Verdichtungsvorgang rückgängig zu machen beabsichtigt, finden wir aber auch, daß der Witz nur an dem wörtlichen Ausdruck hängt, welcher durch den Verdichtungsvorgang hergestellt wird. Natürlich wendet sich jetzt unser volles Interesse diesem sonderbaren und bisher fast nicht gewürdigten Vorgang zu. Wir können auch noch gar nicht verstehen, wie aus ihm all das Wertvolle des Witzes, der Lustgewinn, den der Witz uns bringt, entstehen kann.

§ 190

Sind ähnliche Vorgänge, wie wir sie hier als Technik des Witzes beschrieben haben, auf irgend einem anderen Gebiete des seelischen Geschehens schon bekannt geworden? Allerdings, auf einem einzigen und scheinbar recht weit abliegenden. Im Jahre 1900 habe ich ein Buch veröffentlicht, welches, wie sein Titel („Die Traumdeutung“)*)*) besagt, den Versuch macht, das Rätselhafte des Traumes aufzuklären und ihn als Abkömmling normaler seelischer Leistung hinzustellen. Ich finde dort Anlaß, den manifesten, oft sonderbaren Trauminhalt in Gegensatz zu bringen zu den latenten, aber völlig korrekten Traumgedanken, von denen er abstammt, und gehe auf die Untersuchung der Vorgänge ein, welche aus den latenten Traumgedanken den Traum machen, sowie der psychischen Kräfte, die bei dieser Umwandlung beteiligt sind. Die Gesamtheit der umwandelnden Vorgänge nenne ich die Traumarbeit und als ein Stück dieser Traumarbeit habe ich einen Verdichtungsvorgang beschrieben, der mit dem der Witztechnik die größte Ähnlichkeit zeigt, wie dieser zur Verkürzung führt und Ersatzbildungen vom gleichen Charakter schafft. Jedem werden aus eigener Erinnerung an seine Träume die Mischgebilde von Personen und auch von Objekten bekannt sein, die in den Träumen auftreten; ja, der Traum bildet auch solche von Worten, die sich dann in der Analyse zerlegen lassen (z. B. Autodidasker = Autodidakt + Lasker“ („Die Traumdeutung“, S. 206).**)**) Andere Male, und zwar noch viel häufiger, werden von der Verdichtungsarbeit des Traumes nicht Mischgebilde erzeugt, sondern Bilder, die völlig einem Objekt oder einer Person gleichen bis auf eine Zutat oder Abänderung, die aus anderer Quelle stammt, also Modifikationen ganz wie die in den Witzen des Herrn N. Wir können nicht bezweifeln, daß wir hier wie dort den nämlichen psychischen Prozeß vor uns haben, den wir an den identischen Leistungen erkennen dürfen. Eine so weitgehende Analogie der Witztechnik mit der Traumarbeit wird gewiß unser Interesse für die erstere steigern und die Erwartung in uns rege machen, aus einem Vergleich von Witz und Traum manches zur Aufklärung des Witzes zu ziehen. Aber wir enthalten uns, auf diese Arbeit einzugehen, indem wir uns sagen, daß wir die Technik erst bei einer sehr geringen Zahl von Witzen erforscht haben, so daß wir nicht wissen können, ob die Analogie, deren Leitung wir uns überlassen wollen, auch vorhalten wird. Wir wenden uns also von dem Vergleich mit dem Traume ab und kehren zur Witztechnik zurück, lassen an dieser Stelle unserer Untersuchung gleichsam einen Faden heraushängen, den wir vielleicht später wieder aufnehmen werden.

*) 3. Aufl. 1911. **) 3. Aufl., S. 238. § 191

Das nächste, was wir erfahren wollen, ist, ob der Vorgang der Verdichtung mit Ersatzbildung bei allen Witzen nachweisbar ist, so daß er als der allgemeine Charakter der Witztechnik bezeichnet werden kann.

§ 192

Ich erinnere mich da an einen Witz, der mir infolge besonderer Umstände im Gedächtnis geblieben ist. Einer der großen Lehrer meiner jungen Jahre, den wir für unbefähigt hielten, einen Witz zu schätzen, wie wir auch nie einen eigenen Witz von ihm gehört hatten, kam eines Tages lachend in das Institut und gab bereitwilliger als sonst Bescheid über den Anlaß seiner heiteren Stimmung. „Ich habe da einen vorzüglichen Witz gelesen. In einem Pariser Salon wurde ein junger Mann eingeführt, der ein Verwandter des großen J. J. Rousseau sein sollte und auch diesen Namen trug. Er war überdies rothaarig. Er benahm sich aber so ungeschickt, daß die Dame des Hauses zu dem Herrn, der ihn eingeführt, als Kritik äußerte: „Vous m'avez fait connaître un jeune homme roux et sot, mais non pas un Rousseau.“ Und er lachte von neuem.

§ 193

Dies ist nach der Nomenklatur der Autoren ein Klangwitz, und zwar niedriger Sorte, einer, der mit dem Eigennamen spielt, etwa wie der Witz in der Kapuzinade aus Wallenstein's Lager, die bekanntlich der Manier des Abraham a Santa Clara nachgebildet ist:

" § 194

„Läßt sich nennen den Wallenstein, ja freilich ist er uns allen ein Stein des Anstoßes und Ärgernisses.“*)*)

"
*) Daß dieser Witz infolge eines anderen Moments doch einer höheren Einschätzung würdig ist, kann erst an späterer Stelle gezeigt werden. § 195

Welches ist aber die Technik dieses Witzes?

§ 196

Da zeigt es sich, daß der Charakter, welchen wir vielleicht hoffen allgemein nachzuweisen, schon bei dem ersten neuen Fall versagt. Es liegt hier keine Auslassung, kaum eine Verkürzung vor. Die Dame sagt im Witze selbst fast alles aus, was wir ihren Gedanken unterlegen können. „Sie haben mich auf einen Verwandten von J. J. Rousseau gespannt gemacht, vielleicht einen Geistesverwandten, und siehe da, es ist ein rothaariger dummer Junge, ein roux et sot.“ Ich habe da allerdings einen Zusatz, eine Einschaltung machen können, aber dieser Reduktionsversuch hebt den Witz nicht auf. Er bleibt und haftet an dem Gleichklang von Rousseau / roux sot Damit ist nun erwiesen, daß die Verdichtung mit Ersatzbildung an dem Zustandekommen dieses Witzes keinen Anteil hat.

§ 197

Was aber sonst? Neue Versuche zur Reduktion können mich belehren, daß der Witz so lange resistent bleibt, bis der Name Rousseau durch einen anderen ersetzt wird. Ich setze z. B. anstatt desselben Racine ein und sofort hat die Kritik der Dame, die ebenso möglich bleibt wie vorhin, jede Spur von Witz eingebüßt. Nun weiß ich, wo ich die Technik dieses Witzes zu suchen habe, kann aber noch über deren Formulierung schwanken; ich will folgende versuchen: Die Technik des Witzes liegt darin, daß ein und dasselbe Wort — der Name — in zweifacher Verwendung vorkommt, einmal als Ganzes und dann in seine Silben zerteilt wie in einer Scharade.

§ 198

Ich kann einige wenige Beispiele anführen, die in ihrer Technik mit diesem identisch sind.

§ 199

Mit einem auf die gleiche Technik der zweifachen Verwendung beruhenden Witz soll sich eine italienische Dame für eine taktlose Bemerkung des ersten Napoleon gerächt haben. Er sagte ihr auf einem Hofballe, auf ihre Landsleute deutend: „Tutti gli Italiani danzano si male“, und sie erwiderte schlagfertig: „Non tutti, ma buona parte.“ (Brill, l. c.)

§ 200

(Nach Th. Vischer und K. Fischer.) Als in Berlin einmal die Antigone aufgeführt wurde, fand die Kritik, daß die Aufführung des antiken Charakters entbehrt habe. Der Berliner Witz machte sich diese Kritik in folgender Weise zu eigen: Antik? Oh, nee.

§ 201

In ärztlichen Kreisen ist ein analoger Zerteilungswitz heimisch. Wenn man einen seiner jugendlichen Patienten befragte, ob er sich je mit der Masturbation befaßt habe, würde man gewiß keine andere Antwort hören als: O na, nie.

§ 202

In allen drei Beispielen, die für die Gattung genügen mögen, dieselbe Technik des Witzes. Ein Name wird in ihnen zweimal verwendet, das eine Mal ganz, das andere Mal in seine Silben zerteilt, in welcher Zerteilung seine Silben einen gewissen anderen Sinn ergeben.*)*)

§ 203

Die mehrfache Verwendung desselben Wortes einmal als eines Ganzen und dann der Silben, in die es sich zerfällen läßt, war der erste Fall einer von der Verdichtung abweichenden Technik, der uns begegnet ist. Nach kurzer Besinnung müssen wir aber aus der Fülle der uns zuströmenden Beispiele erraten, daß die neu aufgefundene Technik kaum auf dieses eine Mittel beschränkt sein dürfte. Es gibt offenbar eine zunächst noch gar nicht übersehbare Anzahl von Möglichkeiten, wie man dasselbe Wort oder dasselbe Material von Worten zur mehrfachen Verwendung in einem Satze ausnützen kann. Sollten uns alle diese Möglichkeiten als technische Mittel des Witzes entgegentreten? Es scheint so zu sein; die nachfolgenden Beispiele von Witzen werden es erweisen.

§ 204

Man kann zunächst dasselbe Material von Worten nehmen und nur etwas an der Anordnung derselben ändern. Je geringer die Abänderung ist, je eher man den Eindruck empfängt, verschiedener Sinn sei doch mit denselben Worten gesagt worden, desto besser ist in technischer Hinsicht der Witz.

*) Die Güte dieser Witze beruht darauf, daß gleichzeitig ein anderes Mittel der Technik von weit höherer Ordnung zur Anwendung gekommen ist (s. u.). — An dieser Stelle kann ich übrigens auch auf eine Beziehung des Witzes zum Rätsel aufmerksam machen. Der Philosoph Fr. Brentano hat eine Gattung von Rätseln gedichtet, in denen eine kleine Anzahl von Silben zu erraten ist, die, zu einem Worte vereinigt oder so oder anders zusammengefaßt, einen anderen Sinn ergeben, z. B.: . . . ließ mich das Platanenblatt ahnen oder: wie du dem Inder hast verschrieben, in der Hast verschrieben? Die zu erratenden Silben werden im Zusammenhang des Satzes durch das entsprechend oft zu wiederholende Füllwort dal . . ersetzt. Ein Kollege des Philosophen übte eine geistreiche Rache, als er von der Verlobung des in reiferen Jahren stehenden Mannes hörte, indem er fragte: Daldaldal daldaldal? (Brentano brennt-a-no?) Was macht den Unterschied zwischen diesen Daldal-Rätseln und den obenstehenden Witzen? Daß in ersteren die Technik als Bedingung angegeben ist und der Wortlaut erraten werden soll, während in den Witzen der Wortlaut mitgeteilt und die Technik versteckt ist. § 205

D. Spitzer (Wiener Spaziergänge, II. Bd., S. 42):

§ 206

„Das Ehepaar X. lebt auf ziemlich großem Fuße. Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben.“

§ 207

Ein geradezu diabolisch guter Witz! Und mit wie geringen Mitteln er hergestellt ist! Viel verdient — sich etwas zurückgelegt, sich etwas zurückgelegt — viel verdient; es ist eigentlich nichts als eine Umstellung dieser beiden Phrasen, wodurch sich das vom Manne Ausgesagte von dem über die Frau Angedeuteten unterscheidet. Allerdings ist dies auch hier wiederum nicht die ganze Technik dieses Witzes.*)*)

§ 208

Ein reicher Spielraum eröffnet sich der Witztechnik, wenn man die „mehrfache Verwendung des gleichen Materials“ dahin ausdehnt, daß das Wort — oder die Worte —, an denen der Witz haftet, das eine Mal unverändert, das andere Mal mit einer kleinen Modifikation gebraucht werden dürfe.

§ 209

Z. B. ein anderer Witz des Herrn N.:

§ 210

Er hört von einem Herrn, der selbst als Jude geboren ist, eine gehässige Äußerung über jüdisches Wesen. „Herr Hofrat,“ meint er, „Ihr Antesemitismus war mir bekannt, Ihr Antisemitismus ist mir neu.“

§ 211

Hier ist nur ein einziger Buchstabe verändert, dessen Modifikation bei sorgloser Aussprache kaum bemerkt wird. Das Beispiel erinnert an die anderen Modifikationswitze des Herrn N. (s. S. 15), aber zum Unterschiede von ihnen fehlt ihm die Verdichtung; es ist im Witze selbst alles gesagt, was gesagt werden soll. „Ich weiß, daß Sie früher selbst Jude waren; es wundert mich also, daß gerade Sie über Juden schimpfen.“

§ 212

Ein vortreffliches Beispiel eines solchen Modifikationswitzes ist auch der bekannte Ausruf: Traduttore — Traditore!

§ 213

Die fast bis zur Identität gehende Ähnlichkeit der beiden Worte ergibt eine sehr eindrucksvolle Darstellung der Notwendigkeit, die den Übersetzer zum Frevler an seinem Autor werden läßt.**)**)

*) Ebensowenig wie in dem vortrefflichen, bei Brill angeführten Witz von Oliver Wendell Holmes: „Put not your trust in money, but put your money in trust.“ Es wird hier ein Widerspruch angekündigt, der nicht erfolgt. Der zweite Teil des Satzes nimmt diesen Widerspruch zurück. Übrigens ein gutes Beispiel für die Unübersetzbarkeit der Witze von solcher Technik. **) Brill zitiert einen ganz analogen Modifikationswitz: Amantes amentes (Verliebte = Narren). § 214

Die Mannigfaltigkeit der möglichen leisen Modifikationen ist bei diesen Witzen so groß, daß keiner mehr ganz dem anderen gleicht.

§ 215

Hier ein Witz, der sich bei einem rechtwissenschaftlichen Examen zugetragen haben soll! Der Kandidat soll eine Stelle des Corpus juris übersetzen. „Labeo ait“ . . . Ich falle, sagt er . . . Sie fallen, sag' ich, erwidert der Prüfer und die Prüfung ist zu Ende. Wer den Namen des großen Rechtsgelehrten für eine, zudem falsch erinnerte, Vokabel verkennt, verdient freilich nichts besseres. Aber die Technik des Witzes liegt in der Verwendung fast der nämlichen Worte, welche die Unwissenheit des Geprüften bezeugen, zu seiner Bestrafung durch den Prüfer. Der Witz ist außerdem ein Beispiel von „Schlagfertigkeit“, deren Technik, wie sich zeigen lassen wird, von der hier erläuterten nicht viel absteht.

§ 216

Worte sind ein plastisches Material, mit dem sich allerlei anfangen läßt. Es gibt Worte, welche in gewissen Verwendungen die ursprüngliche volle Bedeutung eingebüßt haben, deren sie sich in anderem Zusammenhange noch erfreuen. In einem Witz von Lichtenberg sind gerade jene Verhältnisse herausgesucht, unter denen die abgeblaßten Worte ihre volle Bedeutung wieder bekommen müssen.

§ 217

„Wie geht's ?“ fragt der Blinde den Lahmen. „Wie Sie sehen,“ antwortete der Lahme dem Blinden.

§ 218

Es gibt im Deutschen auch Worte, die in anderem Sinne voll und leer genommen werden können, und zwar in mehr als nur einem. Es können nämlich zwei verschiedene Abkömmlinge desselben Stammes, das eine sich zu einem Worte mit voller Bedeutung, das andere sich zu einer abgeblaßten End- oder Anhängesilbe entwickelt haben, und beide doch vollkommen gleich lauten. Der Gleichlaut zwischen einem vollen Wort und einer abgeblaßten Silbe mag auch ein zufälliger sein. In beiden Fällen kann die Witztechnik aus solchen Verhältnissen des Sprachmaterials Nutzen ziehen.

§ 219

Schleiermacher wird z. B. ein Witz zugeschrieben, der uns als fast reines Beispiel solcher technischen Mittel wichtig ist: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.

§ 220

Dies ist unstreitig witzig, wiewohl nicht gerade kräftig als Witz. Es fallen hier eine Menge von Momenten weg, die uns bei der Analyse anderer Witze irre machen können, so lange wir jeden von ihnen vereinzelt in Untersuchung ziehen. Der im Wort laut ausgedrückte Gedanke ist wertlos; er gibt jedenfalls eine recht ungenügende Definition der Eifersucht. Von „Sinn im Unsinn“, „verborgenem Sinn“, „Verblüffung und Erleuchtung“ ist keine Rede. Einen Vorstellungskontrast wird man mit der größten Anstrengung nicht herausfinden, einen Kontrast zwischen den Worten und dem, was sie bedeuten, nur mit großem Zwang. Von einer Verkürzung ist nichts zu finden; der Wortlaut macht im Gegenteil den Eindruck der Weitschweifigkeit. Und doch ist es ein Witz, selbst ein sehr vollkommener. Sein einzig auffälliger Charakter ist gleichzeitig derjenige, mit dessen Aufhebung der Witz verschwindet, nämlich daß hier dieselben Worte eine mehrfache Verwendung erfahren. Man hat dann die Wahl, ob man diesen Witz jener Unterabteilung zurechnen will, in welcher Worte einmal ganz und das andere Mal zerteilt gebraucht werden (wie Rousseau, Antigone), oder jener anderen, in der die volle und die abgeblaßte Bedeutung von Wortbestandteilen die Mannigfaltigkeit herstellen. Außer diesem ist nur noch ein anderes Moment für die Technik des Witzes beachtenswert. Es ist hier ein ungewohnter Zusammenhang hergestellt, eine Art Unifizierung vorgenommen worden, indem die Eifersucht durch ihren eigenen Namen, gleichsam durch sich selbst definiert ist. Auch dies ist, wie wir hier hören werden, eine Technik des Witzes. Diese beiden Momente müssen also für sich hinreichend sein, einer Rede den gesuchten Charakter des Witzes zu geben.

§ 221

Wenn wir uns nun in die Mannigfaltigkeit der „mehrfachen Verwendung“ desselben Wortes noch weiter einlassen, so merken wir mit einem Male, daß wir Formen von „Doppelsinn“ oder „Wortspiel“ vor uns haben, die als Technik des Witzes längst allgemein bekannt und gewürdigt sind. Wozu haben wir uns die Mühe gegeben, etwas neu zu entdecken, was wir aus der seichtesten Abhandlung über den Witz hätten entnehmen können? Wir können zu unserer Rechtfertigung zunächst nur anführen, daß wir an den nämlichen Phänomen des sprachlichen Ausdrucks doch eine andere Seite hervorheben. Was bei den Autoren den „spielerischen“ Charakter des Witzes erweisen soll, fällt bei uns unter den Gesichtspunkt der „mehrfachen Verwendung“.

§ 222

Die weiteren Fälle von mehrfacher Verwendung, die man auch als Doppelsinn zu einer neuen, dritten Gruppe vereinigen kann, lassen sich leicht in Unterabteilungen bringen, die freilich nicht durch wesentliche Unterscheidungen von einander gesondert sind, ebensowenig wie die ganze dritte Gruppe von der zweiten. Da gibt es zunächst a) die Fälle von Doppelsinn eines Namens und seiner dinglichen Bedeutung, z. B. „Drück dich aus unserer Gesellschaft ab, Pistol“ (bei Shakespeare).

§ 223

„Mehr Hof als Freiung,“ sagte ein witziger Wiener mit Beziehung auf mehrere schöne Mädchen, die seit Jahren viel gefeiert wurden und noch immer keinen Mann gefunden hatten. „Hof“ und „Freiung“ sind zwei aneinander stoßende Plätze im Innern der Stadt Wien.

§ 224

Heine: „Hier in Hamburg herrscht nicht der schändliche Macbeth, sondern hier herrscht Banko“ (Banquo).

§ 225

Wo der unveränderte Namen nicht brauchbar — man könnte sagen: nicht mißbrauchbar — ist, kann man mittels einer der uns bekannten kleinen Modifikationen den Doppelsinn aus ihm gewinnen:

§ 226

„Weshalb haben die Franzosen den Lohengrin zurückgewiesen?“ fragte man in nun überwundenen Zeiten. Die Antwort lautete: „Elsa's (Elsaß) wegen.“

§ 227

b) Den Doppelsinn der sachlichen und metaphorischen Bedeutung eines Wortes, der eine ergiebige Quelle für die Witztechnik ist. Ich zitiere nur ein Beispiel: Ein als Witzbold bekannter ärztlicher Kollege sagte einmal zum Dichter Arthur Schnitzler: „Ich wundere mich nicht, daß du ein großer Dichter geworden bist. Hat doch schon dein Vater seinen Zeitgenossen den Spiegel vorgehalten.“ Der Spiegel, den der Vater des Dichters, der berühmte Arzt Dr. Schnitzler, gehandhabt, war der Kehlkopfspiegel; nach einem bekannten Ausspruch Hamlet's ist es der Zweck des Schauspieles, also auch des Dichters, der es schafft, „der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eigenen Züge, der Schmach ihr eigenes Bild und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen“ (III., 2. Szene).

§ 228

c) Den eigentlichen Doppelsinn oder das Wortspiel, der sozusagen ideale Fall der mehrfachen Verwendung; dem Wort wird hier nicht Gewalt angetan, es wird nicht in seine Silbenbestandteile zerrissen, es braucht sich keiner Modifikation zu unterziehen, nicht die Sphäre, der es angehört, etwa als Eigenname, mit einer anderen zu vertauschen; ganz so wie es ist und im Gefüge des Satzes steht, darf es dank der Gunst gewisser Umstände zweierlei Sinn aussagen.

§ 229

Beispiele stehen hier reichlich zur Verfügung:

§ 230

(Nach K. Fischer.) Eine der ersten Regentenhandlungen des letzten Napoleon war bekanntlich die Wegnahme der Güter der Orléans. Ein vortreffliches Wortspiel sagte damals „C'est le premier vol de l'aigle. „Vol“ heißt Flug, aber auch Raub.

§ 231

Ludwig XV. wünschte den Witz eines seiner Hofherren, von dessen Talent man ihm erzählt hatte, auf die Probe zu stellen; bei der ersten Gelegenheit befiehlt er dem Kavalier, einen Witz zu machen über ihn selbst; er selbst, der König, wolle „Sujet“ dieses Witzes sein. Der Hofmann antwortete mit dem geschickten Bonmot: „Le roi n'est pas sujet.“ „Sujet“ heißt ja auch Untertan.

§ 232

Der Arzt, der vom Krankenbett der Frau weggeht, sagt zu dem ihm begleitenden Ehemanne kopfschüttelnd: Die Frau gefällt mir nicht. Mir gefällt sie schon lange nicht, beeilt sich dieser zuzustimmen.

§ 233

Der Arzt bezieht sich natürlich auf den Zustand der Frau, er hat aber seine Besorgnis um die Kranke in solchen Worten ausgedrückt, daß der Mann in ihnen die Bestätigung seiner ehelichen Abneigung finden kann.

§ 234

Von einer satyrischen Komödie sagte Heine: „Diese Satyre wäre nicht so bissig geworden, wenn der Dichter mehr zu beißen gehabt hätte.“ Dieser Witz ist eher ein Beispiel von metaphorischem und gemeinem Doppelsinn als ein richtiges Wortspiel, aber wem läge daran, hier an scharfen Grenzen festzuhalten?

§ 235

Ein anderes gutes Wortspiel wird bei den Autoren (Heymans, Lipps) in einer Form erzählt, durch die ein Verständnis desselben verhindert wird.*)*) Die richtige Fassung und Ein kleidung fand ich unlängst in einer sonst wenig brauchbaren Sammlung von Witzen.*)*)

*) „Wenn Saphir,“ so sagt Heymans, „einem reichen Gläubiger, dem er einen Besuch abstattet, auf die Frage: Sie kommen wohl um die 300 Gulden, antwortet: Nein, Sie kommen um die 300 Gulden, so ist eben dasjenige, was er meint, in einer sprachlich vollkommen korrekten und auch keineswegs ungewöhnlichen Form ausgedrückt.“ In der Tat ist es so: Die Antwort Saphir's ist an sich betrachtet in schönster Ordnung. Wir verstehen auch, was er sagen will, nämlich, daß er seine Schuld nicht zu bezahlen beabsichtige. Aber Saphir gebraucht dieselben Worte, die vorher von seinem Gläubiger gebraucht wurden. Wir können also nicht umhin, sie auch in dem Sinne zu nehmen, in welchem sie von jenem gebraucht wurden. Und dann hat Saphir's Antwort gar keinen Sinn mehr. Der Gläubiger „kommt“ ja überhaupt nicht. Er kann ja auch nicht um die 300 Gulden kommen, d. h.: er kann nicht kommen, um 300 Gulden zu bringen. Zudem hat er als Gläubiger nicht zu bringen, sondern zu fordern. Indem die Worte Saphir's in solcher Weise zugleich als Sinn und als Unsinn erkannt werden, entsteht die Komik“ (Lipps, S. 97). Nach der oben stehenden, zur Aufklärung vollständig wiedergegebenen Fassung ist die Technik dieses Witzes weit einfacher als Lipps § 236

Saphir kam einst mit Rothschild zusammen. Sie hatten kaum ein Weilchen miteinander geplaudert, als Saphir sagte: „Hören Sie, Rothschild, meine Kasse ist dünn geworden, Sie könnten mir 100 Dukaten pumpen.“ „Je nun,“ erwiderte Rothschild, „darauf soll es mir nicht ankommen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie einen Witz machen.“ „Darauf soll's mir ebenfalls nicht ankommen,“ versetzte Saphir. „Gut, so kommen Sie morgen auf mein Bureau.“ Saphir stellte sich pünktlich ein. „Ach,“ sagte Rothschild, als er den Eintretenden gewahrte, „Sie kommen um Ihre 100 Dukaten. „Nein,“ erwiderte dieser, „Sie kommen um Ihre 100 Dukaten, da es mir bis zum jüngsten Tage nicht einfallen wird, sie wieder zu bezahlen.“

§ 237

„Was stellen diese Statuen vor?“ fragt ein Fremder einen einheimischen Berliner angesichts einer Front von Denkmälern auf einem öffentlichen Platz. „Je nu,“ antwortet dieser, entweder das rechte oder das linke Bein.“**)**)

§ 238

Heine in der Harzreise: „Auch sind mir in diesem Augenblicke nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben.“

§ 239

Wir üben uns vielleicht in der diagnostischen Differenzierung, wenn wir hier einen anderen allbekannten Professorenwitz anschließen: „Der Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Professoren besteht darin, daß die ordentlichen nichts außerordentliches und die außerordentliches nichts ordentliches leisten.“ Das ist gewiß ein Spiel mit den zwei Bedeutungen der Worte „ordentlich“ und „außerordentlich“, in und außer der Ordo (dem Stande) einerseits und tüchtig, beziehungsweise hervorragend, anderseits. Die Übereinstimmung dieses Witzes aber mit anderen uns bekannt gewordenen Beispielen mahnt uns daran, daß hier die mehrfache Verwendung weit auffälliger ist als der Doppelsinn. Man hört ja in dem Satz nichts anderes als das immer wiederkehrendeordentlich“, bald als solches, bald negativ modifiziert (vgl. S. 23). Außerdem ist hier wiederum das Kunststück vollbracht, einen Begriff durch seinen Wortlaut zu definieren (vgl. Eifersucht ist eine Leidenschaft usw.), genauer beschrieben, zwei korrelative Begriffe durch einander, wenn auch negativ, zu definieren, was eine kunstvolle Verschränkung ergibt. Endlich kann man den Gesichtspunkt der Unifizierung auch hier hervorheben, die Herstellung eines innigeren Zusammenhanges zwischen den Elementen der Aussage, als man nach deren Natur zu erwarten ein Recht hätte.

meint. Saphir kommt nicht, um die 300 Gulden zu bringen, sondern um sie erst von dem Reichen zu holen. Somit entfallen die Erörterungen über „Sinn und Unsinn“ in diesem Witz. *) Das große Buch der Witze, gesammelt und herausgegeben von Willy Hermann. Berlin 1904. **) Weiteres zur Analyse dieses Wortspiels, siehe unten. § 240

Heine in der Harzreise: „Der Pedell Sch. grüßte mich sehr kollegialisch, denn er ist ebenfalls Schriftsteller und hat meiner in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie er mich denn auch außerdem oft zitiert hat, und wenn er mich nicht zu Hause fand, immer so gütig war, die Zitation mit Kreide auf meine Stubentür zu schreiben.“

§ 241

Der „Wiener Spaziergänger“ D. Spitzer fand für einen sozialen Typus, der zur Zeit des Gründertums blühte, die lakonische, aber gewiß auch sehr witzige, biographische Charakteristik:

§ 242

Eiserne Stirne — eiserne Kasse — eiserne Krone.“ (Letzteres ein Orden, mit dessen Verleihung der Adelsstand verknüpft war.) Eine ganz ausgezeichnete Unifizierung, alles gleichsam aus Eisen! Die verschiedenen, aber nicht sehr auffällig miteinander kontrastierenden Bedeutungen des Beiwortes „eisern“ ermöglichen diese „mehrfachen Verwendungen“.

§ 243

Ein anderes Wortspiel mag uns den Übergang zu einer neuen Unterart der Doppelsinntechnik erleichtern. Der auf S. 26 erwähnte witzige Kollege ließ sich zur Zeit des Dreyfushandels den Witz zu Schulden kommen:

§ 244

„Dieses Mädchen erinnert mich an Dreyfus. Die Armee glaubt nicht an ihre Unschuld.“

§ 245

Das Wort „Unschuld“, auf dessen Doppelsinn der Witz aufgebaut ist, hat in dem einen Zusammenhang den gebräuchlichen Sinn mit dem Gegensatz: Verschulden, Verbrechen, in dem anderen aber einen sexuellen Sinn, dessen Gegensatz sexuelle Erfahrung ist. Nun gibt es sehr viele derartiger Beispiele von Doppelsinn, und in ihnen allen kommt es für die Wirkung des Witzes ganz besonders auf den sexuellen Sinn an. Man könnte für diese Gruppe etwa die Bezeichnung „Zweideutigkeit“ reservieren.

§ 246

Ein ausgezeichnetes Beispiel solch eines zweideutigen Witzes ist der auf Seite 22 mitgeteilte von D. Spitzer:

§ 247

„Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben.“

§ 248

Vergleicht man aber dieses Beispiel von Doppelsinn mit Zweideutigkeit mit anderen, so fällt ein Unterschied ins Auge, der für die Technik nicht ganz belanglos ist. In dem Witz von der „Unschuld“ liegt der eine Sinn des Wortes unserem Erfassen ebenso nahe wie der andere; man wüßte wirklich nicht zu unterscheiden, ob die sexuelle oder die nicht sexuelle Bedeutung des Wortes die gebräuchlichere und uns vertrautere ist. Anders in dem Beispiel von D. Spitzer; in diesem ist der eine, banale, Sinn der Worte „sich etwas zurückgelegt“, der bei weitem aufdringlichere, verdeckt und versteckt gleichsam den sexuellen Sinn, der einem Arglosen etwa gar entgehen könnte. Setzen wir zum scharfen Gegensatz ein anderes Beispiel von Doppelsinn hin, in dem auf solches Verstecken der sexuellen Bedeutung verzichtet ist, z. B. Heine's Charakterschilderung einer gefälligen Dame: „Sie konnte nichts abschlagen außer ihr Wasser.“ Es klingt wie eine Zote, der Eindruck des Witzes kommt kaum zur Geltung.*)*) Nun kann die Eigentümlichkeit, daß die beiden Bedeutungen des Doppelsinnes uns nicht gleich nahe liegen, auch bei Witzen ohne sexuelle Beziehung vorkommen, sei es, daß der eine Sinn der an sich gebräuchlichere ist, sei es, daß er durch den Zusammenhang mit den anderen Teilen des Satzes vorangestellt wird (z. B. c'est le premier vol de l'aigle); alle diese Fälle schlage ich vor als Doppelsinn mit Anspielung zu bezeichnen.

§ 249

Wir haben bis jetzt bereits eine so große Anzahl verschiedener Techniken des Witzes kennen gelernt, daß ich fürchten muß, wir könnten die Übersicht über dieselben verlieren. Versuchen wir darum eine Zusammenstellung derselben:

§ 250

I. Die Verdichtung: a) mit Mischwortbildung, b) mit Modifikation.

§ 251

II. Die Verwendung des nämlichen Materials: c) Ganzes und Teile, d) Umordnung, e) leichte Modifikation, f) dieselben Worte voll und leer.

*) Vergl. hiezu K. Fischer (S. 85), der für solche doppelsinnige Witze, in denen die beiden Bedeutungen nicht gleichmäßig im Vordergrunde stehen, sondern die eine hinter der anderen, den Namen „Zweideutigkeit“ beansprucht, den ich oben anders verwendet habe. Solche Namengebung ist Sache des Übereinkommens, der Sprachgebrauch hat keine sichere Entscheidung getroffen. § 252

III. Doppelsinn: g) Name und Sachbedeutung, h) metaphorische und sachliche Bedeutung, i) eigentlicher Doppelsinn (Wortspiel), k) Zweideutigkeit, l) Doppelsinn mit Anspielung.

§ 253

Diese Mannigfaltigkeit wirkt verwirrend. Sie könnte uns mißmutig werden lassen, daß wir uns gerade der Beschäftigung mit den technischen Mitteln des Witzes zugewendet haben, und könnte uns argwöhnen lassen, daß wir deren Bedeutung für eine Erkenntnis des Wesentlichen am Witze doch überschätzen. Stände dieser erleichternden Vermutung nicht die eine unabweisbare Tatsache im Wege, daß der Witz jedesmal aufgehoben ist, sobald wir die Leistung dieser Techniken im Ausdruck wegräumen! Wir werden also doch darauf hingewiesen, die Einheit in dieser Mannigfaltigkeit zu suchen. Es müßte möglich sein, alle diese Techniken unter einen Hut zu bringen. Die zweite und dritte Gruppe zu vereinigen ist nicht schwierig, wie wir uns schon gesagt haben. Der Doppelsinn, das Wortspiel ist ja nur der ideale Fall von Verwendung des nämlichen Materials. Letzterer ist dabei offenbar der umfassendere Begriff. Die Beispiele von Zerteilung, Umordnung des gleichen Materials, mehrfacher Verwendung mit leichter Modifikation (c, d, e) würden sich dem Begriff des Doppelsinnes nicht ohne Zwang unterordnen. Aber welche Gemeinsamkeit gibt es zwischen der Technik der ersten Gruppe — Verdichtung mit Ersatzbildung — und jener der beiden anderen, mehrfache Verwendung des nämlichen Materials?

§ 254

Nun, eine sehr einfache und deutliche, sollt' ich meinen. Die Verwendung des nämlichen Materials ist ja nur ein Spezialfall der Verdichtung; das Wortspiel ist nichts anderes als eine Verdichtung ohne Ersatzbildung; die Verdichtung bleibt die übergeordnete Kategorie. Eine zusammendrängende oder richtiger ersparende Tendenz beherrscht alle diese Techniken. Es scheint alles Sache der Ökonomie zu sein, wie Prinz Hamlet sagt (Thrift, Horatio, Thrift!).

§ 255

Machen wir die Probe auf diese Ersparnis an den einzelnen Beispielen. „C'est le premier vol de l'aigle.“ Das ist der erste Flug des Adlers. Ja, aber es ist ein Raubausflug. Vol bedeutet zum Glück für die Existenz dieses Witzes sowohl „Flug“ als auch „Raub“. Ist dabei nichts verdichtet und erspart worden? Gewiß der ganze zweite Gedanke, und zwar ist er ohne Ersatz fallen gelassen worden. Der Doppelsinn des Wortes vol macht solchen Ersatz überflüssig, oder eben so richtig: Das Wort vol enthält den Ersatz für den unterdrückten Gedanken, ohne daß der erste Satz darum einen Zusatz oder eine Abänderung brauchte. Das eben ist die Wohltat des Doppelsinnes.

§ 256

Ein anderes Beispiel: Eiserne Stimme — eiserne Kasse — eiserne Krone. Welch außerordentliche Ersparnis gegen eine Ausführung des Gedankens, in welcher der Ausdruck das „eisern“ nicht gefunden hätte! „Mit der nötigen Frechheit und Gewissenlosigkeit ist es nicht schwer, ein großes Vermögen zu erwerben, und zur Belohnung für solche Verdienste bleibt natürlich der Adel nicht aus.“

§ 257

Ja, in diesen Beispielen ist die Verdichtung, also die Ersparnis, unverkennbar. Sie soll aber in allen nachweisbar sein. Wo steckt nun die Ersparnis in solchen Witzen wie Rousseau — roux et sot, Antigone — antik?o-nee, in denen wir zuerst die Verdichtung vermißt haben, die uns vor allem bewogen haben, die Technik der mehrfachen Verwendung des nämlichen Materials aufzustellen? Hier würden wir allerdings mit der Verdichtung nicht durchkommen, aber wenn wir diese mit dem ihr übergeordneten Begriff der „Ersparnis“ vertauschen, geht es ohne Schwierigkeit. Was wie in den Beispielen Rousseau, Antigone usw. ersparen, ist leicht zu sagen. Wir ersparen es, eine Kritik zu äußern, ein Urteil zu bilden; beides ist im Namen selbst schon gegeben. Im Beispiel der Leidenschaft — Eifersucht ersparen wir es uns, eine Definition mühsam zusammenzustellen: Eifersucht, Leidenschaft und — Eifer sucht, Leiden schafft; die Füllworte dazu und die Definition ist fertig. Ähnliches gilt für alle anderen bisher analysierten Beispiele. Wo am wenigsten erspart wird, wie in dem Wortspiel von Saphir: „Sie kommen um Ihre 100 Dukaten,“ da wird wenigstens erspart, den Wortlaut der Antwort neu zu bilden; der Wortlaut der Anrede genügt auch zur Antwort. Es ist wenig, aber nur in diesem Wenigen liegt der Witz. Die mehrfache Verwendung der nämlichen Worte zur Anrede wie zur Antwort gehört gewiß zum „Sparen“. Ganz, wie Hamlet die rasche Aufeinanderfolge des Todes seines Vaters und der Hochzeit seiner Mutter aufgefaßt sehen will:

" § 258

„Das Gebackene Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitsschüsseln.“

"
§ 259

Ehe wir aber die „Tendenz zur Ersparnis“ als den allgemeinsten Charakter der Witztechnik annehmen und die Fragen stellen, woher sie stammt, was sie bedeutet und wieso der Lustgewinn des Witzes aus ihr entspringt, wollen wir einem Zweifel Raum gönnen, der ein Recht hat, angehört zu werden. Mag es sein, daß jede Witztechnik die Tendenz zeigt, mit dem Ausdruck zu sparen, aber die Beziehung ist nicht umkehrbar. Nicht jede Ersparung am Ausdruck, jede Kürzung, ist darum auch witzig. Wir standen schon einmal an dieser Stelle, damals als wir noch bei jedem Witz den Verdichtungsvorgang nachzuweisen hofften, und damals machten wir uns den berechtigten Einwand, ein Lakonismus sei noch kein Witz. Es müßte also eine besondere Art von Verkürzung und von Ersparnis sein, an welcher der Charakter des Witzes hinge, und solange wir diese Besonderheit nicht kennen, bringt uns die Auffindung des Gemeinsamen in der Witztechnik der Lösung unserer Aufgabe nicht näher. Außerdem finden wir den Mut zu bekennen, daß die Ersparungen, welche die Witztechnik macht, uns nicht zu imponieren vermögen. Sie erinnern vielleicht an die Art, wie manche Hausfrauen sparen, wenn sie, um einen entlegenen Markt aufzusuchen, Zeit und Geld für die Fahrt aufwenden, weil dort das Gemüse um einige Heller wohlfeiler zu haben ist. Was erspart sich der Witz durch seine Technik? Einige neue Worte zusammenzufügen, die sich meist mühelos ergeben hätten; anstatt dessen muß er sich die Mühe geben, das eine Wort aufzusuchen, welches ihm beide Gedanken deckt; ja er muß oft erst den Ausdruck des einen Gedankens in eine nicht gebräuchliche Form umwandeln, bis diese ihm den Anhalt zur Zusammenfassung mit dem zweiten Gedanken ergeben kann. Wäre es nicht einfacher, leichter und eigentlich sparsamer gewesen, die beiden Gedanken so auszudrücken wie es sich eben trifft, auch wenn dabei keine Gemeinsamkeit des Ausdruckes zu stande kommt? Wird die Ersparnis an geäußerten Worten nicht durch den Aufwand an intellektueller Leistung mehr als aufgehoben? Und wer macht dabei die Ersparung, wem kommt sie zu gute?

§ 260

Wir können diesen Zweifeln vorläufig entgehen, wenn wir den Zweifel selbst an eine andere Stelle versetzen. Kennen wir wirklich bereits alle Arten der Witztechnik? Es ist sicherlich vorsichtiger, neue Beispiele zu sammeln und der Analyse zu unterziehen.

§ 261

Wir haben in der Tat einer großen, vielleicht der zahlreichsten Gruppe von Witzen noch nicht gedacht und uns dabei vielleicht durch die Geringschätzung beeinflussen lassen, welche diesen Witzen zu teil geworden ist. Es sind die, welche gemeinhin Kalauer (Calembourgs) genannt werden und für die niedrigste Abart des Wortwitzes gelten, wahrscheinlich weil sie am „billigsten“ sind, mit leichtester Mühe gemacht werden können. Und wirklich stellen sie den mindesten Anspruch an die Technik des Ausdrucks wie das eigentliche Wortspiel den höchsten. Wenn bei letzterem die beiden Bedeutungen in dem identischen und darum meist nur einmal gesetzten Wort ihren Ausdruck finden sollen, so genügt beim Kalauer, daß die zwei Worte für die beiden Bedeutungen durch irgend eine, aber unübersehbare Ähnlichkeit aneinander erinnern, sei es durch eine allgemeine Ähnlichkeit ihrer Struktur, einen reimartigen Gleichklang, die Gemeinsamkeit einiger anlautender Buchstaben u. dgl. Eine Häufung solcher, nicht ganz treffend, „Klangwitze“ benannter Beispiele findet sich in der Predigt des Kapuziners in Wallensteins Lager:

" § 262

„Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg, Wetzt lieber den Schnabel als den Sabel,

§ 263

Frißt den Ochsen lieber als den Oxenstirn',

§ 264

Der Rheinstrom ist geworden zu einem Peinstrom, Die Klöster sind ausgenommene Nester, Die Bistümer sind verwandelt in Wüsttümer,

§ 265

Und alle die gesegneten deutschen Länder Sind verwandelt worden in Elender.

"
§ 266

Besonders gern modifiziert der Witz einen der Vokale des Wortes: z. B. Von einem kaiserfeindlichen italienischen Dichter, der dann doch genötigt war, einen deutschen Kaiser in Hexametern zu besingen, sagt Hevesi (Almanaccando, Reisen in Italien, S. 87): Da er die Caesaren nicht auszurotten vermag, merzt er wenigstens die Caesuren aus.

§ 267

Bei der Fülle von Kalauern, die uns zur Verfügung stünden, hat es vielleicht noch ein besonderes Interesse, ein wirklich schlechtes Beispiel hervorzuheben, das Heine zur Last fällt. Nachdem er sich (Buch Le Grand, Kapit. V) durch lange Zeit vor seiner Dame als „indischer Prinz“ gebärdet, wirft er dann die Maske ab und gesteht: „Madame! Ich habe Sie belogen . . . Ich war ebensowenig jemals in Kalkutta, wie der Kalkuten braten, den ich gestern Mittag gegessen.“ Offenbar liegt der Fehler dieses Witzes darin, daß die beiden ähnlichen Worte nicht mehr bloß ähnlich, sondern eigentlich identisch sind. Der Vogel, dessen Braten er gegessen, heißt so, weil er aus dem nämlichen Kalkutta stammt oder stammen soll.

§ 268

K. Fischer hat diesen Formen des Witzes große Aufmerksamkeit geschenkt und will sie von den „Wortspielen“ scharf getrennt wissen (S. 78). „Das Calembour ist das schlechte Wortspiel, denn es spielt mit dem Wort nicht als Wort, sondern als Klang.“ Das Wortspiel aber „geht von dem Klange des Wortes in das Wort selbst ein.“ Anderseits zählt er auch Witze wie „famillionär“, Antigone (antik? o nee) usw. zu den Klangwitzen. Ich sehe keine Nötigung, ihm hierin zu folgen. Auch im Wortspiel ist das Wort für uns nur ein Klangbild, mit dem sich dieser oder jener Sinn verbindet. Der Sprachgebrauch macht aber auch hier wieder keine scharfen Unterschiede, und wenn er den „Kalauer“ mit Mißachtung, das „Wortspiel“ mit einem gewissen Respekt behandelt, so scheinen diese Wertungen durch andere als technische Gesichtspunkte bedingt zu sein. Man achte einmal darauf, welcher Art die Witze sind, die man als „Kalauer“ zu hören bekommt. Es gibt Personen, welche die Gabe besitzen, wenn sie in aufgeräumter Stimmung sind, durch längere Zeit jede an sie gerichtete Rede mit einem Kalauer zu beantworten. Einer meiner Freunde, sonst das Muster der Bescheidenheit, wenn seine ernsthaften Leistungen in der Wissenschaft in Rede stehen, pflegt dergleichen auch von sich zu rühmen. Als die Gesellschaft, die er einst so in Atem erhielt, der Verwunderung über seine Ausdauer Ausdruck gab, sagte er: „Ja, ich liege hier auf der Ka-Lauer,“ und als man ihn bat endlich aufzuhören, stellte er die Bedingung, daß man ihm zum Poeta Ka-laureatus ernenne. Beides sind aber vortreffliche Verdichtungswitze mit Mischwortbildung. (Ich liege hier auf der Lauer, um Kalauer zu machen.)

§ 269

Jedenfalls aber entnehmen wir schon aus den Streitigkeiten über die Abgrenzung von Kalauer und Wortspiel, daß ersterer uns nicht zur Kenntnis einer völlig neuen Witztechnik verhelfen kann. Wenn beim Kalauer auch der Anspruch auf die mehrsinnige Verwendung des nämlichen Materials aufgegeben ist, so fällt doch der Akzent auf das Wiederfinden des Bekannten, auf die Übereinstimmung der beiden dem Kalauer dienenden Worte, und somit ist dieser nur eine Unterart der Gruppe, die im eigentlichen Wortspiel ihren Gipfel erreicht.

§ 270

Es gibt aber wirklich Witze, deren Technik fast jegliche Anknüpfung an die der bisher betrachteten Gruppen vermissen läßt.

§ 271

„Man erzählt von Heine, daß er sich eines Abends in einem Pariser Salon mit dem Dichter Soulié befunden und unterhalten habe, unterdessen tritt einer jener Pariser Geldkönige in den Saal, die man nicht bloß um des Geldes willen mit Midas vergleicht, und sieht sich bald von einer Menge umringt, die ihn mit größter Ehrerbietung behandelt. „Sehen Sie doch,“ sagt Soulié zu Heine, „wie dort das neunzehnte Jahrhundert das goldene Kalb anbetet.“ Mit einem Blick auf den Gegenstand der Verehrung antwortet Heine, gleichsam berichtigend: „O, der muß schon älter sein“ (K. Fischer, S. 82).

§ 272

Worin ist nun die Technik dieses ausgezeichneten Witzes gelegen? In einem Wortspiel, meint K. Fischer: „So kann z. B. das Wort ,goldenes Kalb‘ den Mammon und auch den Götzendienst bedeuten, im ersten Falle ist das Gold, im zweiten das Tierbild die Hauptsache; es kann auch dazu dienen, um nicht eben schmeichelhaft jemand zu bezeichnen, der sehr viel Geld und sehr wenig Verstand hat“ (S. 82). Wenn wir die Probe machen und den Ausdruck „goldenes Kalb“ wegschaffen, heben wir allerdings auch den Witz auf. Wir lassen dann Soulié sagen: „Sehen Sie doch, wie die Leute den dummen Kerl umschwärmen, bloß weil er reich ist,“ und das ist freilich gar nicht mehr witzig. Heines Antwort wird dann auch unmöglich.

§ 273

Aber wir wollen uns besinnen, daß es ja sich gar nicht um den etwa witzigen Vergleich Souliés, sondern um die Antwort Heines handelt, die gewiß weit witziger ist. Dann haben wir kein Recht an die Phrase vom goldenen Kalb zu rühren, dieselbe bleibt als Voraussetzung für die Worte Heines bestehen und die Reduktion darf nur diese letzteren betreffen. Wenn wir diese Worte: „O, der muß schon älter sein,“ ausführen, können wir sie nur etwa so ersetzen: „O, das ist kein Kalb mehr, das ist schon ein ausgewachsener Ochs.“ Für den Witz Heines erübrigte also, daß er das „goldene Kalb“ nicht mehr metaphorisch, sondern persönlich genommen, auf den Geldmenschen selbst bezogen hätte. Wenn dieser Doppelsinn nicht etwa schon in der Meinung Souliés enthalten war!

§ 274

Wie aber? Nun glauben wir zu bemerken, daß diese Reduktion den Witz Heines nicht völlig vernichtet, vielmehr dessen Wesentliches unangetastet gelassen habe. Es lautet jetzt so, daß Soulié sagt: „Sehen Sie doch, wie dort das neunzehnte Jahrhundert das goldene Kalb anbetet!“ und Heine zur Antwort gibt: „O, das ist kein Kalb mehr, das ist schon ein Ochs.“ Und in dieser reduzierten Fassung ist es noch immer ein Witz. Eine andere Reduktion der Worte Heines ist aber nicht möglich.

§ 275

Schade daß dieses schöne Beispiel so komplizierte technische Bedingungen enthält. Wir können an ihm zu keiner Klärung kommen, verlassen es darum und suchen uns ein anderes, in dem wir eine innere Verwandtschaft mit dem vorigen zu verspüren glauben.

§ 276

Es sei einer der „Badewitze“, welche die Badescheu der Juden in Galizien behandeln. Wir verlangen nämlich keinen Adelsbrief von unseren Beispielen, wir fragen nicht nach ihrer Herkunft, sondern nur nach ihrer Tüchtigkeit, ob sie uns zum Lachen zu bringen vermögen und ob sie unseres theoretischen Interesses würdig sind. Beiden diesen Anforderungen entsprechen aber gerade die Judenwitze am besten.

§ 277

„Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen.Hast du genommen ein Bad?“ fragt der eine. „Wieso? fragt der andere dagegen, „fehlt eins?

§ 278

Wenn man über einen Witz recht herzlich lacht, ist man nicht gerade in der geeignetsten Disposition, um seiner Technik nachzuforschen. Darum bereitet es einige Schwierigkeiten, sich in diese Analysen hineinzufinden. „Das ist ein komisches Mißverständnis,“ drängt sich uns auf. — Gut, aber die Technik dieses Witzes? — „Offenbar der doppelsinnige Gebrauch des Wortes nehmen. Für den einen ist „nehmen“ das farblos gewordene Hilfswort; für den anderen das Verbum mit unabgeschwächter Bedeutung. Also ein Fall von „voll“ und „leer“ nehmen desselben Wortes (Gruppe II, f.). Ersetzen wir den Ausdruck „ein Bad genommen“ durch den gleichwertigen einfacheren „gebadet“, so fällt der Witz weg. Die Antwort paßt nicht mehr. Der Witz haftet also wiederum am Ausdruck „genommen ein Bad“.

§ 279

Ganz richtig, doch scheint es, daß auch in diesem Falle die Reduktion an unrichtiger Stelle angesetzt hat. Der Witz liegt nicht in der Frage, sondern in der Antwort, in der Gegenfrage: „Wieso? Fehlt eins?“ Und diese Antwort ist ihres Witzes durch keine Erweiterung oder Veränderung, die nur ihren Sinn ungestört läßt, zu berauben. Auch haben wir den Eindruck, daß in der Antwort des zweiten Juden das Übersehen des Bades bedeutsamer ist als das Mißverständnis des Wortes „nehmen“. Aber wir sehen auch hier noch nicht klar und wollen ein drittes Beispiel suchen.

§ 280

Wiederum ein Judenwitz, an dem aber nur das Beiwerk jüdisch ist, der Kern ist allgemein menschlich. Gewiß hat auch dieses Beispiel seine unerwünschten Komplikationen, aber zum Glück nicht diejenigen, welche uns bisher klar zu sehen verhindert haben.

§ 281

„Ein Verarmter hat sich von einem wohlhabenden Bekannten unter vielen Beteuerungen seiner Notlage 25 fl. geborgt. Am selben Tage noch trifft ihn der Gönner im Restaurant vor einer Schüssel Lachs mit Mayonnaise. Er macht ihm Vorwürfe: „Wie, Sie borgen sich Geld von mir aus und dann bestellen Sie sich Lachs mit Mayonnaise. Dazu haben Sie mein Geld gebraucht?“ „Ich verstehe Sie nicht,“ antwortet der Beschuldigte, „wenn ich kein Geld habe, kann ich nicht essen Lachs mit Mayonnaise, wenn ich Geld habe, darf ich nicht essen Lachs mit Mayonnaise. Also wann soll ich eigentlich essen Lachs mit Mayonnaise?

§ 282

Hier ist endlich nichts mehr von Doppelsinn zu entdecken. Auch die Wiederholung von „Lachs mit Mayonnaise“ kann nicht die Technik des Witzes enthalten, denn sie ist nicht „mehrfache Verwendung“ desselben Materials, sondern durch den Inhalt geforderte wirkliche Wiederholung des Identischen. Wir dürfen vor dieser Analyse eine Weile ratlos bleiben, werden vielleicht zur Ausflucht greifen wollen, der Anekdote, die uns lachen machte, den Charakter des Witzes zu bestreiten.

§ 283

Was läßt sich sonst Bemerkenswertes über die Antwort des Verarmten sagen? Daß ihr in eigentlich auffälliger Weise der Charakter des Logischen verliehen ist. Mit Unrecht aber, die Antwort ist ja unlogisch. Der Mann verteidigt sich dagegen, daß er das ihm geliehene Geld für den Leckerbissen verwendet hat, und fragt mit einem Schein von Recht — wann er denn eigentlich Lachs essen darf. Aber das ist gar nicht die richtige Antwort; der Geldgeber wirft ihm nicht vor, daß er sich den Lachs gerade an dem Tage gegönnt, an dem er sich das Geld geborgt, sondern mahnt ihn daran, daß er in seinen Verhältnissen überhaupt nicht das Recht habe, an solche Leckerbissen zu denken. Diesen einzig möglichen Sinn des Vorwurfes läßt der verarmte Bonvivant unberücksichtigt, antwortet, als ob er den Vorwurf mißverstanden hätte, auf etwas anderes.

§ 284

Wenn nun gerade in dieser Ablenkung der Antwort von dem Sinn des Vorwurfes die Technik dieses Witzes gelegen wäre? Eine ähnliche Veränderung des Standpunktes, Verschiebung des psychischen Akzents wäre dann vielleicht auch in den beiden früheren Beispielen, die wir als verwandt empfunden haben, nachzuweisen.

§ 285

Siehe da, dieser Nachweis gelingt ganz leicht und deckt in der Tat die Technik dieser Beispiele auf. Soulié macht Heine darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert das „goldene Kalb“ anbetet, gerade so wie einst das Volk der Juden in der Wüste. Dazu paßte eine Antwort von Heine etwa wie: „Ja, so ist die menschliche Natur, die Jahrtausende haben an ihr nichts geändert,“ oder irgend etwas anderes Beipflichtendes. Heine lenkt aber in seiner Antwort von dem angeregten Gedanken ab, er antwortet überhaupt nicht darauf, er bedient sich des Doppelsinnes, dessen die Phrase „goldenes Kalb“ fähig ist, um einen Seitenweg einzuschlagen, greift den einen Bestandteil der Phrase, das „Kalb“, auf und antwortet, als ob auf dieses der Akzent in der Rede Souliés gefallen wäre: „O, das ist kein Kalb mehr“ usw.*)*)

§ 286

Noch deutlicher ist die Ablenkung im Badewitz. Dieses Beispiel fordert eine graphische Darstellung heraus.

§ 287

Der erste fragt: „Hast du genommen ein Bád?“ Der Akzent ruht auf dem Element Bad.

§ 288

Der zweite antwortet, als hätte die Frage gelautet: „Hast du genommen ein Bad?“

§ 289

Der Wortlaut „genommen ein Bad?“ soll nur diese Verschiebung des Akzents ermöglichen. Lautete es: „Hast du gebadet?“ so wäre ja jede Verschiebung unmöglich. Die unwitzige Antwort wäre dann: „Gebadet? Was meinst du? Ich weiß nicht, was das ist.“ Die Technik des Witzes aber liegt in der Verschiebung des Akzents von „Baden“ auf „nehmen“.**)**)

§ 290

Kehren wir zum Beispiel „Lachs mit Mayonnaise“ als dem reinsten zurück. Das Neue an demselben darf uns nach verschiedenen Richtungen beschäftigen. Zunächst müssen wir die hier aufgedeckte Technik mit einem Namen belegen. Ich schlage vor, sie als Verschiebung zu bezeichnen, weil das Wesentliche an ihr die Ablenkung des Gedankenganges, die Verschiebung des psychischen Akzents auf ein anderes als das angefangene Thema ist. Sodann obliegt uns die Untersuchung, in welchem Verhältnis die Verschiebungstechnik zum Ausdruck des Witzes steht. Unser Beispiel (Lachs mit Mayonnaise) läßt uns erkennen, daß der Verschiebungswitz im hohen Grade unabhängig vom wörtlichen Aus druck ist. Er hängt nicht am Worte, sondern am Gedankengange. Um ihn wegzuschaffen, fruchtet uns keine Ersetzung der Worte bei Festhaltung des Sinnes der Antwort. Die Reduktion ist nur möglich, wenn wir den Gedankengang abändern und den Feinschmecker auf den Vorwurf direkt antworten lassen, welchem er in der Fassung des Witzes ausgewichen ist. Die reduzierte Fassung würde dann lauten: „Was mir schmeckt, kann ich mir nicht versagen, und woher ich das Geld dafür nehme, ist mir gleichgültig. Da haben Sie die Erklärung, warum ich gerade heute Lachs mit Mayonnaise esse, nachdem Sie mir Geld geliehen haben.“ — Das wäre aber kein Witz, sondern ein Zynismus.

*) Die Antwort Heines ist eine Kombination von zwei Witztechniken, einer Ablenkung mit einer Anspielung. Er sagt ja nicht direkt: Das ist ein Ochs. **) Das Wort „nehmen“ eignet sich infolge seiner vielseitigen Gebrauchsfähigkeit sehr gut für die Herstellung von Wortspielen von denen ich ein reines Beispiel zum Gegensatz gegen den obenstehenden Verschiebungswitz mitteilen will: „Ein bekannter Börsenspekulant und Bankdirektor geht mit einem Freunde über die Ringstraße spazieren. Vor einem Kaffeehaus macht er diesem den Vorschlag: „Gehen wir hinein und nehmen wir etwas.“ Der Freund hält ihn zurück: „Aber Herr Hofrat, es sind doch Leute darin.“ § 291

Es ist lehrreich, diesen Witz mit einem ihm dem Sinne nach sehr nahestehenden zu vergleichen:

§ 292

„Ein Mann, der dem Trunk ergeben ist, ernährt sich in einer kleinen Stadt durch Lektionen geben. Sein Laster wird aber allmählich bekannt und er verliert infolgedessen die meisten seiner Schüler. Ein Freund wird beauftragt, ihn zur Besserung zu mahnen. „Sehen Sie, Sie könnten die schönsten Lektionen in der Stadt haben, wenn Sie das Trinken aufgeben wollten. Also tun Sie's doch.“ — „Wie kommen Sie mir vor?“ ist die entrüstete Antwort. „Ich geb' Lektionen, damit ich trinken kann; soll ich das Trinken aufgeben, damit ich Lektionen bekomme!

§ 293

Auch dieser Witz trägt den Anschein von Logik, der uns bei „Lachs mit Mayonnaise“ aufgefallen ist, aber er ist kein Verschiebungswitz mehr. Die Antwort ist eine direkte. Der Zynismus, der dort verhüllt ist, wird hier offen eingestanden — „Das Trinken ist mir ja die Hauptsache.“ Die Technik dieses Witzes ist eigentlich recht armselig und kann uns dessen Wirkung nicht erklären, sie liegt nur in der Umordnung des gleichen Materials, strenger genommen, in der Umkehrung der Mittel- und Zweck-Relation zwischen dem Trinken und dem Lektionengeben oder -bekommen. Sowie ich in der Reduktion dieses Moment im Ausdruck nicht mehr betone, habe ich den Witz verwischt, also etwa so: „Was ist das für unsinnige Zumutung? Mir ist doch das Trinken die Hauptsache, nicht die Lektionen. Die Lektionen sind für mich doch nur ein Mittel, um weiter trinken zu können.“ Der Witz haftete also wirklich am Ausdruck.

§ 294

Im Badewitz ist die Abhängigkeit des Witzes vom Wortlaut (Hast du genommen ein Bad?) unverkennbar, und die Abänderung desselben bringt die Aufhebung des Witzes mit sich. Die Technik ist hier nämlich eine kompliziertere, eine Verbindung von Doppel sinn (von der Unterart f.) und Verschiebung. Der Wortlaut der Frage läßt einen Doppelsinn zu, und der Witz kommt dadurch zu stande, daß die Antwort nicht an den vom Fragesteller beabsichtigten, sondern an den Nebensinn anknüpft. Wir sind demgemäß im stande, eine Reduktion zu finden, welche den Doppelsinn im Ausdruck bestehen läßt und doch den Witz aufhebt, indem wir bloß die Verschiebung rückgängig machen:

§ 295

„Hast du genommen ein Bad?“ — „Was soll ich genommen haben? Ein Bad? Was ist das?“ Das ist aber kein Witz mehr, sondern eine gehässige oder scherzhafte Übertreibung.

§ 296

Eine ganz ähnliche Rolle spielt der Doppelsinn im Heine schen Witz über das „goldene Kalb“. Er ermöglicht der Antwort die Ablenkung von dem angeregten Gedankengang, welche im Witz von Lachs mit Mayonnaise ohne solche Anlehnung an den Wortlaut geschieht. In der Reduktion würden die Rede Souliés und die Antwort Heines etwa lauten: „Es erinnert doch lebhaft an die Anbetung des goldenen Kalbes, wie die Gesellschaft hier den Mann, bloß weil er so reich ist, umschwärmt.“ Und Heine: „Daß er wegen seines Reichtums so gefeiert wird, finde ich nicht das Ärgste. Aber Sie betonen mir zu wenig, daß man ihm wegen seines Reichtums seine Dummheit verzeiht.“ Damit wäre bei Erhaltung des Doppelsinnes der Verschiebungswitz aufgehoben.

§ 297

An dieser Stelle dürfen wir uns auf den Einwand gefaßt machen, daß uns vorgehalten werde, diese heikeln Unterscheidungen suchen auseinander zu reißen, was doch zusammengehöre. Gibt nicht jeder Doppelsinn Anlaß zu einer Verschiebung, zu einer Ablenkung des Gedankenganges von dem einen Sinn zum anderen? Und wir sollten damit einverstanden sein, daß „Doppelsinn“ und „Verschiebung“ als Repräsentanten zweier ganz verschiedener Typen der Witztechnik aufgestellt werden? Nun, diese Beziehung zwischen Doppelsinn und Verschiebung besteht allerdings, aber sie hat mit unserer Unterscheidung der Witztechniken nichts zu tun. Beim Doppelsinn enthält der Witz nichts als ein mehrfacher Deutung fähiges Wort, welches dem Hörer gestattet, den Übergang von einem Gedanken zu einem anderen zu finden, den man etwa — mit einigem Zwang — einer Verschiebung gleichstellen kann. Beim Verschiebungswitz aber enthält der Witz selbst einen Gedankengang, in dem eine solche Verschiebung vollzogen ist; die Verschiebung gehört hier der Arbeit an, die den Witz hergestellt hat, nicht jener, die zu seinem Verständnis notwendig ist. Sollte uns dieser Unterschied nicht einleuchten, so haben wir an den Reduktionsversuchen ein nie versagendes Mittel, uns denselben greifbar vor Augen zu führen. Einen Wert wollen wir aber jenem Einwand nicht bestreiten. Wir werden durch ihn aufmerksam gemacht, daß wir die psychischen Vorgänge bei der Bildung des Witzes (die Witzarbeit) nicht mit den psychischen Vorgängen bei der Aufnahme des Witzes (die Verständnisarbeit) zusammenwerfen dürfen. Nur die ersteren sind der Gegenstand unserer gegenwärtigen Untersuchung.*)*) **)**)

§ 298

Gibt es noch andere Beispiele der Verschiebungstechnik? Sie sind nicht leicht aufzufinden. Ein ganz reines Beispiel, dem auch die bei unserem Vorbild so sehr überbetonte Logik abgeht, ist folgender Witz:

§ 299

„Ein Pferdehändler empfiehlt dem Kunden ein Reitpferd: „Wenn Sie dieses Pferd nehmen und sich um 4 Uhr früh aufsetzen, sind Sie um 1/2 7 Uhr in Preßburg.“ — „Was mach' ich in Preßburg um 1/2 7 Uhr früh?“

§ 300

Die Verschiebung ist hier wohl eklatant. Der Händler erwähnt die frühe Ankunft in der kleinen Stadt offenbar nur in der Absicht, die Leistungsfähigkeit des Pferdes an einer Probe zu beweisen. Der Kunde sieht von dem Leistungsvermögen des Tieres, das er weiter nicht in Zweifel zieht, ab und geht bloß auf die Daten des zur Probe gewählten Beispieles ein. Die Reduktion dieses Witzes ist dann nicht schwer zu geben.

§ 301

Mehr Schwierigkeiten bietet ein anderes, in seiner Technik recht undurchsichtiges Beispiel, welches sich aber doch als Doppelsinn mit Verschiebung auflösen läßt. Der Witz erzählt von der Ausflucht eines Schadchen (jüdischen Heiratsvermittlers), gehört also zu einer Gruppe, die uns noch mehrfach beschäftigen wird.

§ 302

Der Schadchen hat dem Bewerber versichert, daß der Vater des Mädchens nicht mehr am Leben ist. Nach der Verlobung stellt sich heraus, daß der Vater noch lebt und eine Kerkerstrafe abbüßt. Der Bewerber macht nun dem Schadchen Vorwürfe. „Nun,“ meint dieser, „was habe ich Ihnen gesagt? Ist denn das ein Leben?“

*) Über die letzteren siehe die späteren Abschnitte. **) Vielleicht sind hier einige Worte zur weiteren Klärung nicht überflüssig: Die Verschiebung findet regelmäßig statt zwischen einer Rede und einer Antwort, welche den Gedankengang nach anderer Richtung fortsetzt, als er in der Rede begonnen wurde. Die Berechtigung, Verschiebung von Doppelsinn zu sondern, geht am schönsten aus den Beispielen hervor, in denen sich beide kombinieren, wo also der Wortlaut der Rede einen Doppelsinn zuläßt, der vom Redner nicht beabsichtigt ist, aber der Antwort den Weg zur Verschiebung weist. (Siehe die Beispiele.) § 303

Der Doppelsinn liegt in dem Worte „Leben“ und die Verschiebung besteht darin, daß der Schadchen sich von dem gemeinen Sinn des Wortes, in dem es den Gegensatz zu „Tod“ bildet, auf den Sinn wirft, den das Wort in der Redensart: Das ist kein Leben, hat. Er erklärt dabei seine damalige Äußerung nachträglich für doppelsinnig, obwohl diese mehrfache Bedeutung gerade hier recht fern liegt. Soweit wäre die Technik ähnlich wie im Witz vom „goldenen Kalb“ und im „Badewitz“. Aber es ist hier noch ein anderes Moment zu beachten, welches durch seine Vordringlichkeit das Verständnis der Technik stört. Man könnte sagen, dieser Witz sei ein „charakterisierender“, er bemüht sich die für den Heiratsvermittler charakteristische Mischung von verlogener Dreistigkeit und schlagfertigem Witz durch ein Beispiel zu illustrieren. Wir werden hören, daß dies nur die Schauseite, die Fassade, des Witzes ist; sein Sinn, d. h. seine Absicht ist eine andere. Wir schieben es auch auf, eine Reduktion von ihm zu versuchen.*)*)

§ 304

Nach diesen komplizierten und schwierig zu analysierenden Beispielen wird es uns wiederum Befriedigung bereiten, wenn wir in einem Falle ein völlig reines und durchsichtiges Vorbild eines „Verschiebungswitzes“ zu erkennen vermögen. „Ein Schnorrer trägt dem reichen Baron seine Bitte um Gewährung einer Unterstützung für die Reise nach Ostende vor; die Ärzte hätten ihm Seebäder zur Herstellung seiner Gesundheit empfohlen. „Gut, ich will Ihnen etwas dazu geben,“ meint der Reiche; „aber müssen Sie gerade nach Ostende gehen, dem teuersten aller Seebäder?“ — „Herr Baron,“ lautet die zurechtweisende Antwort, „für meine Gesundheit ist mir nichts zu teuer.“ — Gewiß, ein richtiger Standpunkt, nur eben nicht richtig für den Bittsteller. Die Antwort ist gegeben vom Standpunkt eines reichen Mannes. Der Schnorrer benimmt sich, als wäre es sein eigenes Geld, das er für seine Gesundheit opfern soll, als gingen Geld und Gesundheit die nämliche Person an.

§ 305

Knüpfen wir nun von neuem an das so lehrreiche Beispiel „Lachs mit Mayonnaise“ an. Es kehrte uns gleichfalls eine Schauseite zu, an welcher ein auffälliges Aufgebot von logischer Arbeit zu bemerken war, und wir haben durch die Analyse erfahren, daß diese Logik einen Denkfehler, nämlich eine Verschiebung des Gedankenganges zu verdecken hatte. Von hier aus mögen wir, wenn auch nur auf dem Wege der Kontrastverknüpfung, an andere Witze gemahnt werden, die ganz im Gegenteil etwas Widersinniges, einen Unsinn, eine Dummheit unverhüllt zur Schau stellen. Wir werden neugierig sein, worin die Technik dieser Witze bestehen mag.

*) Siehe unten Abschnitt III. § 306

Ich stelle das stärkste und zugleich reinste Beispiel der ganzen Gruppe voran. Es ist wiederum ein Judenwitz.

§ 307

„Itzig ist zur Artillerie assentiert worden. Er ist offenbar ein intelligenter Bursche, aber ungefügig und ohne Interesse für den Dienst. Einer seiner Vorgesetzten, der ihm wohlgesinnt ist, nimmt ihn beiseite und sagt ihm: „Itzig, du taugst nicht zu uns. Ich will dir einen Rat geben: Kauf' dir eine Kanon' und mach' dich selbständig.

§ 308

Der Rat, über den man herzlich lachen kann, ist ein offenbarer Unsinn. Es gibt doch keine Kanonen zu kaufen, und ein einzelner kann sich als Wehrkraft unmöglich selbständig machen, gleichsam „etablieren“. Es kann uns aber keinen Moment zweifelhaft bleiben. daß dieser Rat kein bloßer Unsinn ist, sondern ein witziger Unsinn, ein vorzüglicher Witz. Wodurch wird also der Unsinn zum Witz?

§ 309

Wir brauchen nicht lange zu überlegen. Aus den in der Einleitung angedeuteten Erörterungen der Autoren können wir erraten, daß in solchem witzigen Unsinn ein Sinn steckt, und daß dieser Sinn im Unsinn den Unsinn zum Witz macht. Der Sinn in unserem Beispiel ist leicht zu finden. Der Offizier, welcher dem Artilleristen Itzig den unsinnigen Rat gibt, stellt sich nur dumm, um Itzig zu zeigen, wie dumm er selbst sich benimmt. Er kopiert den Itzig. „Ich will dir jetzt einen Rat geben, der genau so dumm ist wie du.“ Er geht auf Itzigs Dummheit ein und bringt sie ihm zur Einsicht, indem er sie zur Grundlage eines Vorschlags macht, der Itzigs Wünschen entsprechen muß, denn besäße Itzig eine eigene Kanone und betriebe das Kriegshandwerk auf eigene Rechnung, wie kämen ihm da seine Intelligenz und sein Ehrgeiz zu statten! Wie würde er die Kanone im stande halten und sich mit ihrem Mechanismus vertraut machen, um die Konkurrenz mit anderen Kanonenbesitzern zu bestehen!

§ 310

Ich unterbreche die Analyse dieses Beispiels, um in einem kürzeren und einfacheren, aber minder grellen Fall von Unsinnswitz den gleichen Sinn des Unsinns nachzuweisen.

§ 311

Niemals geboren zu werden, wäre das beste für die sterblichen Menschenkinder.“ „Aber, setzen die Weisen der „Fliegenden Blätter“ hinzu, „unter 100.000 Menschen passiert dies kaum einem.

§ 312

Der moderne Zusatz zum alten Weisheitsspruch ist ein klarer Unsinn, der durch das anscheinend vorsichtige „kaum“ noch dümmer wird. Aber er knüpft als unbestreitbar richtige Einschränkung an den ersten Satz an, kann uns also die Augen darüber öffnen, daß jene mit Ehrfurcht vernommene Weisheit auch nicht viel besser als ein Unsinn ist. Wer nie geboren worden ist, ist überhaupt kein Menschenkind; für den gibt es kein Gutes und kein Bestes. Der Unsinn im Witze dient also hier zur Aufdeckung und Darstellung eines anderen Unsinns wie im Beispiel vom Artilleristen Itzig.

§ 313

Ich kann hier ein drittes Beispiel anfügen, welches durch seinen Inhalt die ausführliche Mitteilung, die es erfordert, kaum verdienen würde, aber gerade wieder die Verwendung des Unsinns im Witze zur Darstellung eines anderen Unsinns besonders deutlich erläutert:

§ 314

Ein Mann, der verreisen muß, vertraut seine Tochter einem Freunde an mit der Bitte, während seiner Abwesenheit über ihre Tugend zu wachen. Er kommt nach Monaten zurück und findet sie geschwängert. Natürlich macht er dem Freund Vorwürfe. Der kann sich den Unglücksfall angeblich nicht erklären. „Wo hat sie denn geschlafen?“ fragt endlich der Vater. — „Im Zimmer mit meinem Sohn.“ — „Aber wie kannst du sie im selben Zimmer mit deinem Sohn schlafen lassen, nachdem ich dich so gebeten habe, sie zu behüten?“ — „Es war doch eine spanische Wand zwischen ihnen. Da war das Bett von deiner Tochter, da das Bett von meinem Sohn und dazwischen die spanische Wand.“ — „Und wenn er um die spanische Wand herumgegangen ist?“ —Außer das,“ meint der andere nachdenklich. „So wäre es möglich.

§ 315

Von diesem, seinen sonstigen Qualitäten nach recht geringem Witz gelangen wir am leichtesten zur Reduktion. Sie würde offenbar lauten: Du hast kein Recht, mir Vorwürfe zu machen. Wie kannst du denn so dumm sein, deine Tochter in ein Haus zu geben, in dem sie in der beständigen Gesellschaft eines jungen Mannes leben muß? Als ob es einem Fremden möglich wäre, unter solchen Umständen für die Tugend eines Mädchens einzustehen! Die scheinbare Dummheit des Freundes ist also auch hier nur die Spiegelung der Dummheit des Vaters. Durch die Reduktion haben wir die Dummheit im Witze und mit ihr den Witz selbst beseitigt. Das Element „Dummheit“ selbst sind wir nicht los geworden; es findet im Zusammenhange des auf seinen Sinn reduzierten Satzes eine andere Stelle.

§ 316

Nun können wir auch die Reduktion des Witzes von der Kanone versuchen. Der Offizier hätte zu sagen: „Itzig, ich weiß, du bist ein intelligenter Geschäftsmann. Aber ich sage dir, es ist eine große Dummheit, wenn du nicht einsiehst, daß es beim Militär unmöglich so zugehen kann wie im Geschäftsleben, wo jeder auf eigene Faust und gegen den anderen arbeitet. Beim Militär heißt es sich unterordnen und zusammenwirken.“

§ 317

Die Technik der bisherigen Unsinnswitze besteht also wirklich in der Anbringung von etwas Dummem, Unsinnigem, dessen Sinn die Veranschaulichung, Darstellung von etwas anderem Dummen und Unsinnigen ist.

§ 318

Hat die Verwendung des Widersinnes in der Witztechnik jedesmal diese Bedeutung? Hier ist noch ein Beispiel, welches im bejahenden Sinne antwortet:

§ 319

„Als dem Phokion einmal nach einer Rede Beifall geklatscht wurde, fragte er zu seinen Freunden gewendet: „Was habe ich denn Dummes gesagt?

§ 320

Diese Frage klingt widersinnig. Aber wir verstehen alsbald ihren Sinn. „Was habe ich denn gesagt, was diesem dummen Volk so gefallen konnte? Ich müßte mich ja eigentlich des Beifalls schämen; wenn es den Dummen gefallen hat, kann es selbst nicht sehr gescheit gewesen sein.“

§ 321

Andere Beispiele können uns aber darüber belehren, daß der Widersinn sehr häufig in der Witztechnik gebraucht wird, ohne dem Zwecke der Darstellung eines anderen Unsinns zu dienen.

§ 322

Einem bekannten Universitätslehrer, der sein wenig anmutendes Spezialfach reichlich mit Witzen zu würzen pflegt, wird zur Geburt seines jüngsten Kindes gratuliert, das ihm in bereits vorgerücktem Alter beschieden wurde. „Ja,“ erwidert er den Glück Wünschenden, „es ist merkwürdig, was Menschenhände zu stande bringen können.“ — Diese Antwort erscheint ganz besonders sinnlos und nicht am Platze. Kinder heißen doch ein Segen Gottes recht im Gegensatz zum Werk der Menschenhand. Aber bald fällt uns ein, daß diese Antwort doch einen Sinn hat, und zwar einen obszönen. Es ist keine Rede davon, daß der glückliche Vater sich dumm stellen will, um etwas anderes oder andere Personen als dumm zu bezeichnen. Die anscheinend sinnlose Antwort wirkt auf uns überraschend, verblüffend, wie wir mit den Autoren sagen wollen. Wir haben gehört, daß die Autoren die ganze Wirkung solcher Witze aus dem Wechsel von „Ver blüffung und Erleuchtung“ ableiten. Darüber wollen wir uns später ein Urteil zu bilden versuchen; wir begnügen uns hervorzuheben, daß die Technik dieses Witzes in der Anbringung von solchem Verblüffenden, Unsinnigen besteht.

§ 323

Eine ganz besondere Stellung unter diesen Dummheitswitzen nimmt ein Witz von Lichtenberg ein.

§ 324

„Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten.“ Sich über etwas Selbstverständliches zu wundern, etwas was eigentlich nur die Auseinandersetzung einer Identität ist, ist doch gewiß eine Dummheit. Es mahnt an einen ernsthaft gemeinten Ausruf bei Michelet (Das Weib), der nach meiner Erinnerung etwa so lautet: Wie schön ist es doch von der Natur eingerichtet, daß das Kind, sobald es zur Welt kommt, eine Mutter vorfindet, die bereit ist, sich seiner anzunehmen! Der Satz von Michelet ist eine wirkliche Dummheit, aber der Lichtenbergsche ist ein Witz, der sich der Dummheit zu irgend einem Zwecke bedient, hinter dem etwas steckt. Was? Das können wir freilich in diesem Moment nicht angeben.

§ 325

Wir haben nun bereits an zwei Gruppen von Beispielen erfahren, daß die Witzarbeit sich der Abweichungen vom normalen Denken, der Verschiebung und des Widersinnes, als technischer Mittel zur Herstellung des witzigen Ausdrucks bedient. Es ist gewiß eine berechtigte Erwartung, daß auch andere Denkfehler eine gleiche Verwendung finden können. Wirklich lassen sich einige Beispiele von dieser Art angeben:

§ 326

Ein Herr kommt in eine Konditorei und läßt sich eine Torte geben; bringt dieselbe aber bald wieder und verlangt an ihrer Statt ein Gläschen Likör. Dieses trinkt er aus und will sich entfernen, ohne gezahlt zu haben. Der Ladenbesitzer hält ihn zurück. „Was wollen Sie von mir?“ — „Sie sollen den Likör bezahlen.“ — „Für den habe ich Ihnen ja die Torte gegeben.“ — „Die haben Sie ja auch nicht bezahlt.“ — „Die habe ich ja auch nicht gegessen.

§ 327

Auch dieses Geschichtchen trägt den Schein von Logik zur Schau, den wir als geeignete Fassade für einen Denkfehler bereits kennen. Der Fehler liegt offenbar darin, daß der schlaue Kunde zwischen dem Zurückgeben der Torte und dem Dafürnehmen des Likörs eine Beziehung herstellt, die nicht besteht. Der Sachverhalt zerfällt vielmehr in zwei Vorgänge, die für den Verkäufer von einander unabhängig sind, nur in seiner eigenen Absicht im Verhältnisse des Ersatzes stehen. Er hat zuerst die Torte genommen und zurückgegeben, für die er also nichts schuldig ist, dann nimmt er den Likör und den ist er schuldig zu bezahlen. Man kann sagen, der Kunde wende die Relation „dafür“ doppelsinnig an; richtiger, er stelle vermittels eines Doppelsinnes eine Verbindung her, die sachlich nicht stichhältig ist.*)*)

§ 328

Es ist nun die Gelegenheit da, ein nicht unwichtiges Bekenntnis abzulegen. Wir beschäftigen uns hier mit der Erforschung der Technik des Witzes an Beispielen und sollten also sicher sein, daß die von uns gewählten Beispiele wirklich richtige Witze sind. Es steht aber so, daß wir in einer Reihe von Fällen ins Schwanken geraten, ob das betreffende Beispiel ein Witz genannt werden darf oder nicht. Ein Kriterium steht uns ja nicht zu Gebote, ehe die Untersuchung ein solches ergeben hat; der Sprachgebrauch ist unzuverlässig und bedarf selbst der Prüfung auf seine Berechtigung; wir können uns bei der Entscheidung auf nichts anderes stützen als auf eine gewisse „Empfindung“, welche wir dahin interpretieren dürfen, daß sich in unserem Urteilen die Entscheidung nach bestimmten Kriterien vollziehe, die unserer Erkenntnis noch nicht zugänglich sind. Für eine zureichende Begründung werden wir die Berufung auf diese „Empfindung“ nicht ausgeben dürfen. Bei dem letzterwähnten Beispiel werden wir nun zweifeln müssen, ob wir es als Witz darstellen dürfen, als einen sophistischen Witz etwa, oder als ein Sophisma schlechtweg. Wir wissen eben noch nicht, worin der Charakter des Witzes liegt.

§ 329

Hingegen ist das nächstfolgende Beispiel, welches den sozusagen komplementären Denkfehler aufweist, ein unzweifelhafter Witz. Es ist wiederum eine Heiratsvermittlergeschichte:

§ 330

Der Schadchen verteidigt das von ihm vorgeschlagene Mädchen gegen die Ausstellungen des jungen Mannes. „Die Schwiegermutter gefällt mir nicht,“ sagt dieser, „sie ist eine boshafte, dumme Person.“ — „Sie heiraten doch nicht die Schwiegermutter, Sie wollen die Tochter.“ — „Ja, aber jung ist sie nicht mehr und schön von Gesicht gerade auch nicht.“ — „Das macht nichts; ist sie nicht jung und schön, wird sie Ihnen um so eher treu bleiben. — „Geld ist auch nicht viel da.“ — Wer spricht vom Geld? Heiraten Sie denn das Geld? Sie wollen doch eine Frau. — „Aber sie hat ja auch einen Buckel!“ — Nun, was wollen Sie?Gar keinen Fehler soll sie haben!

*) Eine ähnliche Unsinnstechnik ergibt sich, wenn der Witz einen Zusammenhang aufrecht erhalten will, der durch die besonderen Bedingungen seines Inhalts aufgehoben erscheint. Dazu gehört Lichtenbergs Messer ohne Klinge, wo der Stiel fehlt. Ähnlich der von J. Falke (l. c.) erzählte Witz: „Ist das die Stelle, wo der Duke of Wellington diese Worte gesprochen hat?“ — Ja, das ist die Stelle, aber die Worte hat er nie gesprochen. § 331

Es handelt sich also in Wirklichkeit um ein nicht mehr junges, unschönes Mädchen mit geringer Mitgift, das eine abstoßende Mutter hat und außerdem mit einer argen Verunstaltung versehen ist. Gewiß keine zur Eheschließung einladenden Verhältnisse. Der Heiratsvermittler weiß bei jedem einzelnen dieser Fehler anzugeben, von welchem Gesichtspunkte man sich mit ihm versöhnen könnte; den nicht zu entschuldigenden Buckel nimmt er dann als den einen Fehler in Anspruch, den man jedem Menschen hingehen lassen müsse. Es liegt wiederum der Schein von Logik vor, welcher für das Sophisma charakteristisch ist, und der den Denkfehler verdecken soll. Das Mädchen hat offenbar lauter Fehler, mehrere, über die man hinwegsehen konnte, und einen, über den man nicht hinweg kommt; es ist nicht zu heiraten. Der Vermittler tut, als ob jeder einzelne Fehler durch seine Ausflucht beseitigt wäre, während doch von jedem ein Stück Entwertung erübrigt, das sich zum nächsten summiert. Er besteht darauf, jeden Faktor vereinzelt zu behandeln, und weigert sich, sie zur Summe zusammenzusetzen.

§ 332

Die nämliche Unterlassung ist der Kern eines anderen Sophismas, das viel belacht worden ist, dessen Berechtigung ein Witz zu heißen man aber anzweifeln könnte.

§ 333

A. hat von B. einen kupfernen Kessel entlehnt und wird nach der Rückgabe von B. verklagt, weil der Kessel nun ein großes Loch zeigt, das ihn unverwendbar macht. Seine Verteidigung lautet: „Erstens habe ich von B. überhaupt keinen Kessel entlehnt; zweitens hatte der Kessel bereits ein Loch, als ich ihn von B. übernahm; drittens habe ich den Kessel ganz zurückgegeben.“ Jede einzelne Einrede ist für sich gut, zusammengenommen aber schließen sie einander aus. A. behandelt isoliert, was im Zusammenhange betrachtet werden muß, ganz wie der Heiratsvermittler mit den Mängeln der Braut verfährt. Man kann auch sagen: A. setzt das „und“ an die Stelle, an der nur ein „entweder — oder“ möglich ist.

§ 334

Ein anderes Sophisma begegnet uns in der folgenden Heiratsvermittlergeschichte.

§ 335

Der Bewerber hat auszusetzen, daß die Braut ein kürzeres Bein hat und hinkt. Der Schadchen widerspricht ihm. „Sie haben Unrecht. Nehmen Sie an, Sie heiraten eine Frau mit gesunden, geraden Gliedern. Was haben Sie davon? Sie sind keinen Tag sicher, daß sie nicht hinfällt, ein Bein bricht und dann lahm ist fürs ganze Leben. Und dann die Schmerzen, die Aufregung, die Doktorrechnung! Wenn Sie aber die nehmen, so kann Ihnen das nicht passieren; da haben Sie eine fertige Sach'.“

§ 336

Der Schein von Logik ist hier recht dünn, und niemand wird dem bereits „fertigen Unglück“ gar noch einen Vorzug vor dem bloß möglichen zugestehen wollen. Der in dem Gedankengang enthaltene Fehler wird sich leichter an einem zweiten Beispiel aufzeigen lassen, einer Geschichte, die ich des Jargons nicht völlig entkleiden mag.

§ 337

Im Tempel zu Krakau sitzt der große Rabbi N. und betet mit seinen Schülern. Er stößt plötzlich einen Schrei aus und äußert, von den besorgten Schülern befragt: „Eben jetzt ist der große Rabbi L. in Lemberg gestorben.“ Die Gemeinde legt Trauer um den Verstorbenen an. Im Laufe der nächsten Tage werden nun die aus Lemberg Ankommenden befragt, wie der Rabbi gestorben, was ihm gefehlt, aber sie wissen nichts davon, sie haben ihn im besten Wohlbefinden verlassen. Es stellt sich endlich als ganz gesichert heraus, daß Rabbi L. in Lemberg nicht zu jener Stunde gestorben ist, in der Rabbi N. seinen Tod telepathisch verspürte, da er immer noch weiter lebt. Ein Fremder ergreift die Gelegenheit, einen Schüler des Krakauer Rabbi mit dieser Begebenheit aufzuziehen. „Es war doch eine große Blamage von Eurem Rabbi, daß er damals den Rabbi L. in Lemberg sterben gesehen hat. Der Mann lebt noch heute.“ „Macht nichts,“ erwidert der Schüler, „der Kück*)*) von Krakau bis nach Lemberg war doch großartig.“

§ 338

Hier wird der beiden letzten Beispielen gemeinsame Denkfehler unverhüllt eingestanden. Der Wert der Phantasievorstellung wird gegen die Realität ungebührlich erhoben, die Möglichkeit fast der Wirklichkeit gleichgestellt. Der Fernblick über die Krakau von Lemberg trennende Länderstrecke wäre eine imposante telepathische Leistung, wenn er etwas Wahres ergeben hätte, aber darauf kommt es dem Schüler nicht an. Es wäre doch möglich gewesen, daß der Rabbi in Krakau in jenem Moment gestorben wäre, in dem der Lemberger Rabbi seinen Tod verkündete, und dem Schüler verschiebt sich der Akzent von der Bedingung, unter der die Leistung des Lehrers bewundernswert ist, zur unbedingten Bewunderung dieser Leistung. „In magnis rebus voluisse sat est“ bezeugt einen ähnlichen Standpunkt. Ebenso wie in diesem Beispiel von der Realität abgesehen wird zu Gunsten der Möglichkeit, so mutet im vorigen der Heiratsvermittler dem Bewerber zu, die Möglichkeit, daß eine Frau durch einen Unfall lahm werden kann, als das bei weitem Bedeutsamere ins Auge zu fassen, wogegen die Frage, ob sie wirklich lahm ist oder nicht, ganz zurücktreten soll.

*) Kück von gucken, also Blick, Fernblick. § 339

Dieser Gruppe der sophistischen Denkfehler reiht sich eine interessante andere an, in welcher man den Denkfehler als einen automatischen bezeichnen kann. Es ist vielleicht nur eine Laune des Zufalls, daß alle Beispiele, die ich aus dieser neuen Gruppe anführen werde, wiederum den Schadchengeschichten angehören:

§ 340

„Ein Schadchen hat zur Besprechung über die Braut einen Gehilfen mitgebracht, der seine Mitteilungen bekräftigen soll. Sie ist gewachsen wie ein Tannenbaum, meint der Schadchen. — Wie ein Tannenbaum, wiederholt das Echo. — Und Augen hat sie, die muß man gesehen haben. — Heißt Augen, die sie hat! bekräftigt das Echo. — Und gebildet ist sie wie keine andere. — Und wie gebildet! — Aber das eine ist wahr, gesteht der Vermittler zu, sie hat einen kleinen Höcker. — Aber ein Höcker! bekräftigt wieder das Echo.“ Die anderen Geschichten sind ganz analog, obwohl sinnreicher.

§ 341

„Der Bräutigam ist bei der Vorstellung der Braut sehr unangenehm überrascht und zieht den Vermittler beiseite, um ihm flüsternd seine Ausstellungen mitzuteilen. „Wozu haben Sie mich hieher gebracht?“ fragt er ihn vorwurfsvoll. „Sie ist häßlich und alt, schielt und hat schlechte Zähne und triefende Augen . . .“ — „Sie können laut sprechen,“ wirft der Vermittler ein, „taub ist sie auch.“

§ 342

„Der Bräutigam macht mit dem Vermittler den ersten Besuch im Hause der Braut, und während sie im Salon auf das Erscheinen der Familie warten, macht der Vermittler auf einen Glasschrank aufmerksam, in welchem die schönsten Silbergeräte zur Schau gestellt sind. „Da schauen Sie hin, an diesen Sachen können Sie sehen, wie reich diese Leute sind.“ — „Aber,“ fragt der mißtrauische junge Mann, „wäre es denn nicht möglich, daß diese schönen Sachen nur für die Gelegenheit zusammengeborgt sind, um den Eindruck des Reichtums zu machen?“ — „Was fällt Ihnen ein?“ antwortet der Vermittler abweisend. „Wer wird denn den Leuten was borgen!

§ 343

In allen drei Fällen ereignet sich das nämliche. Eine Person, die mehrmals nacheinander in gleicher Weise reagiert hat, setzt diese Weise der Äußerung auch bei dem nächsten Anlasse fort, wo sie unpassend wird und den Absichten der Person zuwiderläuft. Sie versäumt es, sich den Anforderungen der Situation anzupassen, indem sie dem Automatismus der Gewöhnung nachgibt. So vergißt der Helfer in der ersten Geschichte, daß er mitgenommen wurde, um den Bewerber zu Gunsten der vorgeschlagenen Braut zu stimmen, und da er bisher seiner Aufgabe gerecht wurde, indem er die vorgebrachten Vorzüge der Braut durch seine Wiederholung unterstrich, unterstreicht er jetzt auch ihren schüchtern zugestandenen Höcker, den er hätte verkleinern sollen. Der Vermittler der zweiten Geschichte wird von der Aufzählung der Mängel und Gebrechen der Braut so fasziniert, daß er die Liste derselben aus seiner eigenen Kenntnis vervollständigt, wiewohl das gewiß nicht sein Amt und seine Absicht ist. In der dritten Geschichte endlich läßt er sich von seinem Eifer, den jungen Mann von dem Reichtum der Familie zu überzeugen, soweit hinreißen, daß er, um nur in dem einen Beweispunkte Recht zu behalten, etwas vorbringt, was seine ganze Bemühung umstoßen muß. Überall siegt der Automatismus über die zweckmäßige Abänderung des Denkens und Äußerns.

§ 344

Das ist nun leicht einzusehen, aber verwirrend muß es wirken, wenn wir aufmerksam werden, daß diese drei Geschichten mit dem gleichen Recht als „komisch“ bezeichnet werden können, wie wir sie als witzig angeführt haben. Die Aufdeckung des psychischen Automatismus gehört zur Technik des Komischen wie jede Entlarvung, jeder Selbstverrat. Wir sehen uns hier plötzlich vor das Problem der Beziehung des Witzes zur Komik gestellt, das wir zu umgehen trachteten. (Siehe Einleitung.) Sind diese Geschichten etwa nur „komisch“ und nicht auch „witzig“? Arbeitet hier die Komik mit denselben Mitteln wie der Witz? Und wiederum, worin besteht der besondere Charakter des Witzigen?

§ 345

Wir müssen daran festhalten, daß die Technik der letztuntersuchten Gruppe von Witzen in nichts anderem als in der Anbringung von „Denkfehlern“ besteht, sind aber genötigt zuzugestehen, daß deren Untersuchung uns bisher mehr ins Dunkel als zur Erkenntnis geführt hat. Wir geben jedoch die Erwartung nicht auf, durch eine vollständigere Kenntnis der Techniken des Witzes zu einem Ergebnis zu gelangen, welches der Ausgangspunkt für weitere Einsichten werden kann.

§ 346

Die nächsten Beispiele von Witz, an denen wir unsere Untersuchung fortsetzen wollen, geben leichtere Arbeit. Ihre Technik erinnert uns vor allem an Bekanntes.

§ 347

Etwa ein Witz von Lichtenberg:

§ 348

„Der Januarius ist der Monat, da man seinen guten Freunden Wünsche darbringt, und die übrigen die, worin sie nicht erfüllt werden.“

§ 349

Da diese Witze eher fein als stark zu nennen sind und mit wenig aufdringlichen Mitteln arbeiten, wollen wir uns den Eindruck von ihnen erst durch Häufung verstärken.

§ 350

„Das menschliche Leben zerfällt in zwei Hälften, in der ersten wünscht man die zweite herbei, und in der zweiten wünscht man die erste zurück.“

§ 351

„Die Erfahrung besteht darin, daß man erfährt, was man nicht zu erfahren wünscht“ (beide bei K. Fischer).

§ 352

Es ist unvermeidlich, daß wir durch diese Beispiele an eine früher behandelte Gruppe gemahnt werden, welche sich durch die „mehrfache Verwendung desselben Materials“ auszeichnet. Das letzte Beispiel besonders wird uns veranlassen, die Frage aufzuwerfen, warum wir es nicht dort angereiht haben, anstatt es hier in neuem Zusammenhange aufzuführen. Die Erfahrung wird wieder durch ihren eigenen Wortlaut beschrieben, wie an jener Stelle die Eifersucht (vgl. S. 24). Auch ich würde mich gegen diese Zuweisung nicht viel sträuben. An den beiden anderen Beispielen, meine ich aber, die ja ähnlichen Charakters sind, ist ein anderes Moment auffälliger und bedeutsamer als die mehrfache Verwendung derselben Worte, der hier alles an Doppelsinn Streifende abgeht. Und zwar möchte ich hervorheben, daß hier neue und unerwartete Einheiten hergestellt sind, Beziehungen von Vorstellungen zueinander, und Definitionen durcheinander oder durch die Beziehung auf ein gemeinsames Drittes. Ich möchte diesen Vorgang Unifizierung heißen; er ist offenbar der Verdichtung durch Zusammendrängung in die nämlichen Worte analog. So werden die zwei Hälften des menschlichen Lebens durch eine zwischen ihnen entdeckte gegenseitige Beziehung beschrieben; in der ersten wünscht man die zweite herbei, in der zweiten die erste zurück. Es sind, genauer gesagt, zwei sehr ähnliche Beziehungen zu einander, die zur Darstellung gewählt wurden. Der Ähnlichkeit der Beziehungen entspricht dann die Ähnlichkeit der Worte, welche uns eben an die mehrfache Verwendung des nämlichen Materials mahnen konnte (herbei — wünschen). In dem Witz von Lich- (zurück — wünschen). tenberg sind der Januar und die ihm gegenübergestellten Monate durch eine wiederum modifizierte Beziehung zu etwas Drittem charakterisiert; dies sind die Glückwünsche, die man in dem einen Monat empfängt, und die sich in den anderen nicht erfüllen. Der Unterschied von der mehrfachen Verwendung des gleichen Materials, die sich ja dem Doppelsinn annähert, ist hier recht deutlich.*)*)

*) Ich will mich der früher erwähnten eigentümlichen Negativrelation des Witzes zum Rätsel, daß der eine verbirgt, was das andere zur Schau stellt, bedienen, um die „Unifizierung“ besser, als obige Beispiele es gestatten, zu beschreiben. Viele der Rätsel, mit deren Produktion sich der Philosoph G. Th. Fechner die Zeit seiner Erblindung vertrieb, zeichnen sich durch einen hohen Grad von Unifizierung aus, der ihnen einen besonderen Reiz verleiht. Man nehme z. B. das schöne Rätsel Nr. 203 (Rätselbüchlein von Dr. Mises. Vierte vermehrte Auflage, Jahreszahl nicht angegeben): " „Die beiden ersten finden ihre Ruhestätte Im Paar der andern, und das Ganze macht ihr Bette.“ " Von den beiden Silbenpaaren, die zu erraten sind, ist nichts angegeben als eine Beziehung zueinander, und vom Ganzen nur eine solche zum ersten Paar. (Die Auflösung lautet: Totengräber.) Oder folgende zwei Beispiele von Beschreibung durch Relation zu dem nämlichen oder wenig modifizierten dritten: " Nr. 170. „Die erste Silb' hat Zähn' und Haare, Die zweite Zähne in den Haaren. Wer auf den Zähnen nicht hat Haare, Vom Ganzen kaufe keine Ware.“ (Roßkamm.) " " Nr. 168. „Die erste Silbe frißt, Die andere Silbe ißt, Die dritte wird gefressen, Das Ganze wird gegessen. (Sauerkraut.) " Die vollendetste Unifizierung findet sich in einem Rätsel von Schleiermacher, das man nicht anders als witzig heißen kann: " „Von der letzten umschlungen Schwebt das vollendete Ganze Zu den zwei ersten empor.“ (Galgenstrick.) " Die größte Mehrzahl aller Silbenrätsel ist der Unifizierung bar, d. h. das Merkmal, aus dem die eine Silbe erraten werden soll, ist ganz unabhängig von dem für die zweite, dritte Silbe und wiederum von dem Anhaltspunkt für's selbständige Erraten des Ganzen. § 353

Ein schönes Beispiel von Unifizierungswitz, das der Erläuterung nicht bedarf, ist folgendes:

§ 354

„Der französische Odendichter J. B. Rousseau schrieb eine Ode an die Nachwelt (à la posterité); Voltaire fand, daß der Wert des Gedichtes dasselbe keineswegs berechtige, auf die Nachwelt zu kommen, und sagte witzig: „Dieses Gedicht wird nicht an seine Adresse gelangen.“ (Nach K. Fischer.)

§ 355

Das letzte Beispiel kann uns darauf aufmerksam machen, daß es wesentlich die Unifizierung ist, welche den sogenannt schlagfertigen Witzen zu Grunde liegt. Die Schlagfertigkeit besteht ja im Eingehen der Abwehr auf die Aggression, im „Umkehren des Spießes“, im „Bezahlen mit gleicher Münze“, also in Herstellung einer unerwarteten Einheit zwischen Angriff und Gegenangriff.

§ 356

Z. B.: Bäcker zum Wirt, der einen schwärenden Finger hat:Der ist dir wohl in dein Bier hineingekommen? Wirt: „Das nicht, aber es ist mir eine von deinen Semmeln unter den Nagel geraten.“ (Nach Überhorst, Das Komische, II, 1900.)

§ 357

Serenissimus macht eine Reise durch seine Staaten und bemerkt in der Menge einen Mann, der seiner eigenen hohen Person auffällig ähnlich sieht. Er winkt ihn heran, um ihn zu fragen: „Hat seine Mutter wohl einmal in der Residenz gedient?“ — „Nein, Durchlaucht,“ lautet die Antwort,aber mein Vater.“

§ 358

Herzog Karl von Würtemberg trifft auf einem seiner Spazierritte von ungefähr einen Färber, der mit seiner Hantierung beschäftigt ist. „Kann er meinen Schimmel blau färben! ruft ihm der Herzog zu und erhält die Antwort zurück: „Jawohl, Durchlaucht, wenn er das Sieden vertragen kann!“

§ 359

Bei dieser ausgezeichneten „Retourkutsche“ — die eine unsinnige Anfrage mit einer ebenso unmöglichen Bedingung beantwortet — wirkt noch ein anderes technisches Moment mit, das ausgeblieben wäre, wenn die Antwort des Färbers gelautet hätte: „Nein, Durchlaucht; ich fürchte, der Schimmel wird das Sieden nicht vertragen.“

§ 360

Der Unifizierung steht noch ein anderes, ganz besonders interessantes technisches Mittel zu Gebote, die Anreihung durch das Bindewort und. Solche Anreihung bedeutet Zusammenhang; wir verstehen sie nicht anders. Wenn z. B. Heine in der Harzreise von der Stadt Göttingen erzählt: „Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh,“ so ver stehen wir diese Zusammenstellung genau in dem Sinne, der durch den Zusatz Heines noch unterstrichen wird: „welche vier Stände doch nichts weniger als scharf geschieden sind.“ Oder, wenn er von der Schule spricht, wo er „soviel Latein, Prügel und Geographie“ ausstehen mußte, so will diese Anreihung, die durch die Mittelstellung der Prügel zwischen den beiden Lehrgegenständen überdeutlich wird, uns sagen, daß wir die durch die Prügel unverkennbar bezeichnete Auffassung des Schulknaben gewiß auch auf Latein und Geographie ausdehnen sollen.

§ 361

Bei Lipps finden wir unter den Beispielen von „witziger Aufzählung“ („Koordination“) als nächst verwandt dem Heineschen „Studenten, Professoren, Philister und Vieh“ den Vers:

§ 362

Mit einer Gabel und mit Müh' zog ihn die Mutter aus der Brüh'“; als ob die Mühe ein Instrument wäre, wie die Gabel, setzt Lipps erläuternd hinzu. Wir empfangen aber den Eindruck, als sei dieser Vers gar nicht witzig, allerdings sehr komisch, während die Heinesche Anreihung ein unzweifelhafter Witz ist. Vielleicht werden wir uns später an diese Beispiele erinnern, wenn wir dem Problem des Verhältnisses von Komik und Witz nicht mehr auszuweichen brauchen.

§ 363

Am Beispiel vom Herzog und vom Färber haben wir bemerkt, daß es ein Witz durch Unifizierung bliebe, wenn der Färber antworten würde: Nein, ich fürchte, der Schimmel wird das Sieden nicht vertragen. Seine Antwort lautete aber: Ja, Durchlaucht, wenn er das Sieden vertragen kann. In der Ersetzung des eigentlich hingehörigen „Nein“ durch ein „Ja“ liegt ein neues technisches Mittel des Witzes, dessen Verwendung wir an anderen Beispielen verfolgen wollen.

§ 364

Ein dem eben erwähnten bei K. Fischer benachbarter Witz ist einfacher: Friedrich der Große hört von einem Prediger in Schlesien, der im Rufe steht, mit Geistern zu verkehren; er läßt den Mann kommen und empfängt ihn mit der Frage: „Er kann Geister beschwören?“ Die Antwort war: „Zu Befehl, Majestät, aber sie kommen nicht.“ Hier ist es nun ganz augenfällig, daß das Mittel des Witzes in nichts anderem bestand, als in der Ersetzung des einzig möglichen „Nein“ durch sein Gegenteil. Um diese Ersetzung durchzuführen, mußte an das „Ja“ ein „aber“ geknüpft werden, so daß „ja“ und „aber“ dem Sinne von „nein“ gleichkommen.

§ 365

Diese Darstellung durchs Gegenteil, wie wir sie nennen wollen, dient der Witzarbeit in verschiedenen Ausführungen. In folgenden zwei Beispielen tritt sie fast rein hervor: Heine:Diese Frau glich in vielen Punkten der Venus von Melos: sie ist auch außerordentlich alt, hat ebenfalls keine Zähne und auf der gelblichen Oberfläche ihres Körpers einige weiße Flecken.

§ 366

Eine Darstellung der Häßlichkeit vermittels ihrer Übereinstimmungen mit dem Schönsten; diese Übereinstimmungen können freilich nur in doppelsinnig ausgedrückten Eigenschaften oder in Nebensachen bestehen. Letzteres trifft für das zweite Beispiel zu:

§ 367

Lichtenberg: Der große Geist.

§ 368

Er hatte die Eigenschaften der größten Männer in sich vereinigt, er trug den Kopf schief wie Alexander, hatte immer etwas in den Haaren zu nesteln wie Caesar, konnte Kaffee trinken wie Leibnitz, und wenn er einmal recht in seinem Lehnstuhl saß, so vergaß er Essen und Trinken darüber wie Newton, und man mußte ihn wie diesen wecken; seine Perücke trug er wie Dr. Johnson, und ein Hosenknopf stand ihm immer offen wie dem Cervantes.“

§ 369

Ein besonders schönes Beispiel von Darstellung durch das Gegenteil, in welchem auf die Verwendung doppelsinniger Worte gänzlich verzichtet ist, hat J. v. Falke von einer Reise nach Irland heimgebracht. „Schauplatz ein Wachsfigurenkabinet, sagen wir Madame Tussaud. Auch hier ein Führer, der eine Gesellschaft von Alt und Jung von Figur zu Figur mit seinen Erläuterungen begleitet. „This is the Duke of Wellington and his horse,“ worauf ein junges Fräulein die Frage stellt „Which is the Duke of Wellington and which is his horse?Just, as you like, my pretty child,“ lautet die Antwort,you pay the money and you have the choice.“ (Welches ist der Herzog von W. und welches ist sein Pferd? — Wie es Ihnen beliebt, mein schönes Kind, Sie zahlen Ihr Geld und Sie haben die Wahl.) (Lebenserinnerungen, S. 271.)

§ 370

Die Reduktion dieses irischen Witzes würde lauten: Unverschämt, was diese Wachsfigurenleute dem Publikum zu bieten wagen! Pferd und Reiter sind nicht auseinander zu kennen. (Scherzhafte Übertreibung.) Und dafür zahlt man sein gutes Geld! Diese entrüstete Äußerung wird nun dramatisiert, in einem kleinen Vorfall begründet, an Stelle des Publikums im allgemeinen tritt eine einzelne Dame, die Reiterfigur wird individuell bestimmt, es muß der in Irland so überaus populäre Herzog von Wellington sein. Die Unverschämtheit des Besitzers oder Führers aber, der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht und ihnen nichts dafür bietet, wird durch das Gegenteil dargestellt, durch eine Rede, in welcher er sich als gewissenhaften Geschäftsmann herausstreicht, dem nichts mehr am Herzen liegt als die Achtung der Rechte, die das Publikum durch die Zahlung erworben hat. Nun merkt man auch, daß die Technik dieses Witzes keine ganz einfache ist. Indem ein Weg gefunden wurde, den Schwindler seine Gewissenhaftigkeit beteuern zu lassen, ist der Witz ein Fall von Darstellung durchs Gegenteil; indem er dies aber bei einem Anlaß tut, wo man ganz anders von ihm verlangt, so daß er mit geschäftlicher Solidität antwortet, wo man Ähnlichkeit der Figuren von ihm erwartet, ist es ein Beispiel von Verschiebung. Die Technik des Witzes liegt in der Kombination der beiden Mittel.

§ 371

Von diesem Beispiel ist es nicht weit zu einer kleinen Gruppe, die man als Überbietungswitze benennen könnte. In ihnen wird das „Ja“, welches in der Reduktion am Platze wäre, durch einNein“ ersetzt, das aber mit einem noch verstärkten „Ja“ infolge seines Inhalts gleichwertig ist, und ebenso im umgekehrten Falle. Der Widerspruch steht an Stelle einer Bestätigung mit Überbietung; so z. B. das Epigramm von Lessing:*)*)

§ 372

„Die gute Galathee! Man sagt, sie schwärz' ihr Haar; Da doch ihr Haar schon schwarz, als sie es kaufte, war.“

§ 373

Oder die boshafte Scheinverteidigung der Schulweisheit durch Lichtenberg:

§ 374

Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen läßt,“ hatte Prinz Hamlet verächtlich gesagt. Lichtenberg weiß, daß diese Verurteilung lange nicht scharf genug ist, indem sie nicht alles verwertet, was man gegen die Schulweisheit einwenden kann. Er fügt also das noch fehlende hinzu: „Aber es gibt auch vieles in der Schulweisheit, das sich weder im Himmel noch auf Erden findet.“ Seine Darstellung hebt zwar hervor, wodurch uns die Schulweisheit für den von Hamlet gerügten Mangel entschädigt, aber in dieser Entschädigung liegt ein zweiter und noch größerer Vorwurf.

§ 375

Durchsichtiger noch, weil frei von jeder Spur von Verschiebung, sind zwei Judenwitze allerdings von grobem Kaliber.

§ 376

Zwei Juden sprechen über das Baden. „Ich nehme jedes Jahr ein Bad,“ sagt der eine, „ob ich es nötig habe oder nicht.“

*) Nach einem Vorbild der „Griechischen Authologie“. § 377

Es ist klar, daß er sich durch solche prahlerische Versicherung seiner Reinlichkeit erst recht der Unreinlichkeit überführt.

§ 378

Ein Jude bemerkt Speisereste am Bart des anderen. „Ich kann dir sagen, was du gestern gegessen hast. Nun, sag'.Also Linsen.Gefehlt, vorgestern!“ —

§ 379

Ein prächtiger Überbietungswitz, der leicht auf Darstellung durchs Gegenteil zurückzuführen ist, ist auch folgender:

§ 380

Der König besucht in seiner Herablassung die chirurgische Klinik und trifft den Professor bei der Vornahme der Amputation eines Beines, deren einzelne Stadien er nun mit lauten Äußerungen seines königlichen Wohlgefallens begleitet. „Bravo, bravo, mein lieber Geheimrat.“ Nach vollendeter Operation tritt der Professor an ihn heran und fragt, sich tief verneigend: „Befehlen Majestät auch das andere Bein?

§ 381

Was der Professor sich während des königlichen Beifalls gedacht haben mag, das ließ sich gewiß nicht unverändert aussprechen: „Das muß ja den Eindruck machen, als nehme ich dem armen Teufel das kranke Bein ab im königlichen Auftrag und nur wegen des königlichen Wohlgefallens. Ich habe doch wirklich andere Gründe für diese Operation.“ Aber dann geht er vor den König hin und sagt: „Ich habe keine anderen Gründe für eine Operation als Ew. Majestät Auftrag. Der mir gespendete Beifall hat mich so beseligt, daß ich nur Ew. Majestät Befehl erwarte, um auch das gesunde Bein zu amputieren.“ Es gelingt ihm so sich verständlich zu machen, indem er das Gegenteil von dem aussagt, was er sich denkt und bei sich behalten muß. Dieses Gegenteil ist eine unglaubwürdige Überbietung.

§ 382

Die Darstellung durchs Gegenteil ist, wie wir an diesen Beispielen sehen, ein häufig gebrauchtes und kräftig wirkendes Mittel der Witztechnik. Aber wir dürfen auch etwas anderes nicht übersehen, daß diese Technik keineswegs dem Witz allein eigen ist. Wenn Marcus Antonius, nachdem er in langer Rede auf dem Forum die Stimmung der Zuhörer um Caesars Leichnam umgemodelt, endlich wieder einmal die Worte hinwirft:

" § 383

„Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann —“

"
§ 384

so weiß er, daß das Volk ihm nun den wahren Sinn seiner Worte entgegenschreien wird:

" § 385

„Sie sind Verräter: ehrenwerte Männer!“

"
§ 386

Oder wenn der „Simplizissimus“ eine Sammlung unerhörter Brutalitäten und Zynismen als Äußerungen von „Gemütsmenschen“ überschreibt, so ist das auch eine Darstellung durchs Gegenteil. Diese heißt man aber „Ironie“, nicht mehr Witz. Der Ironie ist gar keine andere Technik als die der Darstellung durchs Gegenteil eigentümlich. Überdies liest und hört man vom ironischen Witz. Es ist also nicht mehr zu bezweifeln, daß die Technik allein nicht hinreicht, den Witz zu charakterisieren. Es muß noch etwas anderes hinzukommen, das wir bis jetzt nicht aufgefunden haben. Anderseits steht aber noch immer unwidersprochen da, daß mit der Rückbildung der Technik der Witz beseitigt ist. Vorläufig mag es uns schwer fallen, die beiden festen Punkte, die wir für die Aufklärung des Witzes gewonnen haben, miteinander vereint zu denken.

§ 387

Wenn die Darstellung durchs Gegenteil zu den technischen Mitteln des Witzes gehört, so wird in uns die Erwartung rege, daß der Witz auch von deren Gegenteil, der Darstellung durch Ähnliches und Verwandtes, Gebrauch machen könne. Die Fortsetzung unserer Untersuchung kann uns in der Tat belehren, daß dies die Technik einer neuen, ganz besonders umfangreichen Gruppe von Gedankenwitzen ist. Wir beschreiben die Eigenart dieser Technik weit treffender, wenn wir anstatt Darstellung durch „Verwandtes“ setzen: durch Zusammengehöriges oder Zusammenhängendes. Wir wollen sogar mit letzterem Charakter den Anfang machen und ihn sofort durch ein Beispiel erläutern.

§ 388

Eine amerikanische Anekdote erzählt: Zwei wenig skrupulösen Geschäftsleuten war es gelungen, sich durch eine Reihe recht gewagter Unternehmungen ein großes Vermögen zu erwerben und nun ging ihr Bemühen dahin, sich der guten Gesellschaft aufzudrängen. Unter anderen erschien es ihnen als ein zweckmäßiges Mittel, sich von dem vornehmsten und teuersten Maler der Stadt, dessen Bilder als Ereignisse betrachtet wurden, malen zu lassen. Auf einer großen Soiree wurden die kostbaren Bilder zuerst gezeigt, und die beiden Hausherren führten selbst den einflußreichsten Kunstkenner und Kritiker zur Wand des Salons, auf welcher die beiden Portraits neben einander aufgehängt waren, um ihm sein bewunderndes Urteil zu entlocken. Der sah die Bilder lange Zeit an, schüttelte dann den Kopf, als ob er etwas vermissen würde, und fragte bloß, auf den freien Raum zwischen beiden Bildern deutend: „And where is the Saviour?“ (Und wo bleibt der Heiland? Oder: Ich vermisse da das Bild des Heilands.)

§ 389

Der Sinn dieser Rede ist klar. Es handelt sich wieder um die Darstellung von etwas, was direkt nicht ausgedrückt werden kann. Auf welchem Wege kommt diese „indirekte Darstellung“ zu stande? Durch eine Reihe leicht sich einstellender Assoziationen und Schlüsse verfolgen wir den Weg von der Darstellung des Witzes an nach rückwärts.

§ 390

Die Frage: Wo ist der Heilend, das Bild des Heilands? läßt uns erraten, daß der Redner durch den Anblick der beiden Bilder an einen ähnlichen, ihm wie uns vertrauten Anblick gemahnt worden ist, welcher aber als hier fehlendes Element das Bild des Erlösers in der Mitte zwischen zwei anderen Bildern zeigte. Es gibt nur einen solchen Fall: Christus hängend zwischen den beiden Schächern. Das Fehlende wird vom Witz hervorgehoben, die Ähnlichkeit haftet an den im Witz übergegangenen Bildern rechts und links vom Heiland. Sie kann nur darin bestehen, daß auch die im Salon aufgehängten die Bilder von Schächern sind. Was der Kritiker sagen wollte und nicht sagen konnte, war also: Ihr seid ein paar Hallunken; ausführlicher: Was kümmern mich eure Bilder? Ihr seid ein paar Hallunken, das weiß ich. Und er hat es schließlich über einige Assoziationen und Schlußfolgerungen auf einem Wege gesagt, den wir als den der Anspielung bezeichnen.

§ 391

Wir erinnern uns sofort, daß wir der Anspielung bereits begegnet sind. Beim Doppelsinn nämlich; wenn von den zwei Bedeutungen, die in demselben Wort ihren Ausdruck finden, die eine als die häufigere und gebräuchlichere so sehr im Vordergrunde steht, daß sie uns an erster Stelle einfallen muß, während die andere als die entlegenere zurücksteht, so wollten wir diesen Fall als Doppelsinn mit Anspielung bezeichnen. Bei einer ganzen Reihe der bisher untersuchten Beispiele hatten wir angemerkt, daß deren Technik keine einfache sei und erkennen nun die Anspielung als deren komplizierendes Moment. (Z. B. vgl. etwa den Umordnungswitz von der Frau, die sich etwas zurückgelegt und dabei viel verdient hat, oder den Widersinnswitz bei der Gratulation zum jüngsten Kind, es sei merkwürdig, was Menschenhände alles vermögen, S. 46.)

§ 392

In der amerikanischen Anekdote haben wir nun die Anspielung frei vom Doppelsinn vor uns und finden als ihren Charakter die Ersetzung durch etwas im Denkzusammenhange Verbundenes. Es ist leicht zu erraten, daß der verwertbare Zusammenhang von mehr als einer Art sein kann. Um uns nicht in der Fülle zu verlieren, werden wir nur die ausgeprägtesten Variationen und diese nur an wenigen Beispielen erörtern.

§ 393

Der zur Ersetzung verwendete Zusammenhang kann ein bloßer Anklang sein, so daß diese Unterart dem Kalauer beim Wortwitz analog wird. Es ist aber nicht der Anklang zweier Worte an einander, sonder ganzer Sätze, charakteristischer Wortverbindungen u. dgl.

§ 394

Z. B. Lichtenberg hat den Spruch geprägt: „Neue Bäder heilen gut“, der uns sofort an das Sprichwort erinnert: Neue Besen kehren gut, mit dem er die ersten anderthalb Worte, das letzte und die ganze Struktur des Satzes gemeinsam hat. Er ist auch sicherlich im Kopfe des witzigen Denkers als Nachbildung des bekannten Sprichwortes entstanden. Der Spruch Lichtenbergs wird so zur Anspielung auf das Sprichwort. Mittels dieser Anspielung wird uns etwas angedeutet, was nicht gerade heraus gesagt wird, daß an der Wirkung von Bädern auch noch anderes beteiligt ist als das in seinen Eigenschaften sich gleich bleibende Thermalwasser.

§ 395

Ähnlich ist ein anderer Scherz oder Witz von Lichtenberg technisch aufzulösen: Ein Mädchen, kaum zwölf Moden alt. Das klingt an die Zeitbestimmung „zwölf Monden (i. e. Monate) an und war vielleicht ursprünglich ein Schreibfehler für letzteren, in der Poesie zulässigen Ausdruck. Aber es hat einen guten Sinn, die wechselnde Mode anstatt des wechselnden Mondes zur Altersbestimmung für ein weibliches Wesen zu verwenden.

§ 396

Der Zusammenhang kann in der Gleichheit bis auf eine einzige leichte Modifikation bestehen. Diese Technik läuft also wiederum einer Worttechnik parallel. Beide Arten von Witzen rufen fast den gleichen Eindruck hervor, doch sind sie nach den Vorgängen bei der Witzarbeit besser voneinander zu trennen.

§ 397

Als Beispiel eines solchen Wortwitzes oder Kalauers: Die große, aber nicht nur durch den Umfang ihrer Stimme berühmte Sängerin Marie Wilt erfuhr die Kränkung, daß man den Titel eines aus dem bekannten Roman von J. Verne gezogenen Theaterstückes zu einer Anspielung auf ihre Mißgestalt verwendete:Die Reise um die Wilt in 80 Tagen.

§ 398

Oder: „Jede Klafter eine Königin,“ eine Modifikation des bekannten Shakespeareschen „Jeder Zoll ein König und eine Anspielung auf dieses Zitat, auf eine vornehme und überlebensgroße Dame bezogen. Es wäre wirklich nicht viel Ernsthaftes dagegen zu sagen, wenn jemand diesen Witz vielmehr zu den Verdichtungen mit Modifikation (S. 16) als Ersatzbildung stellen würde. (Vgl. tête-à-bête.)

§ 399

Von einer hochstrebenden, aber in der Verfolgung ihrer Ziele eigensinnigen Person sagte ein Freund: „Er hat ein Ideal vor dem Kopf.“ „Ein Brett vor dem Kopf haben,“ ist die geläufige Redensart, auf welche diese Modifikation anspielt und deren Sinn sie für sich selbst in Anspruch nimmt. Auch hier kann man die Technik als Verdichtung mit Modifikation beschreiben.

§ 400

Fast ununterscheidbar werden Anspielung durch Modifikation und Verdichtung mit Ersatzbildung, wenn sich die Modifikation auf die Veränderung von Buchstaben einschränkt, z. B. Dichteritis. Die Anspielung auf die böse Seuche der Diphtheritis stellt auch das Dichten Unberufener als gemeingefährlich hin.

§ 401

Die Negationspartikeln ermöglichen sehr schöne Anspielungen mit geringen Abänderungskosten:

§ 402

„Mein Unglaubensgenosse Spinoza“ sagt Heine. „Wir von Gottes Ungnaden Taglöhner, Leibeigene, Neger, Fronknechte“ usw. . . . beginnt bei Lichtenberg ein nicht weiter ausgeführtes Manifest dieser Unglücklichen, die jedenfalls auf solche Titulatur mehr Anrecht haben als Könige und Fürstlichkeiten auf die unmodifizierte.

§ 403

Eine Form der Anspielung ist schließlich auch die Auslassung, der Verdichtung ohne Ersatzbildung vergleichbar. Eigentlich wird bei jeder Anspielung etwas ausgelassen, nämlich die zur Anspielung hinführenden Gedankenwege. Es kommt nur darauf an, ob die Lücke das Augenfälligere ist oder der die Lücke teilweise ausfüllende Ersatz in dem Wortlaut der Anspielung. So kämen wir über eine Reihe von Beispielen von der krassen Auslassung zur eigentlichen Anspielung zurück.

§ 404

Auslassung ohne Ersatz findet sich in folgendem Beispiel: In Wien lebt ein geistreicher und kampflustiger Schriftsteller, der sich durch die Schärfe seiner Invektive wiederholt körperliche Mißhandlungen von Seiten der Angegriffenen zugezogen hat. Als einmal eine neue Missetat eines seiner habituellen Gegner beredet wurde, äußerte ein dritter: Wenn der X. das hört, bekommt er wieder eine Ohrfeige. Zur Technik dieses Witzes gehört zunächst die Verblüffung über den scheinbaren Widersinn, denn eine Ohrfeige bekommen, leuchtet uns als unmittelbare Folge davon, daß man etwas gehört hat, keineswegs ein. Der Widersinn vergeht, wenn man in die Lücke einsetzt: dann schreibt er einen so bissigen Artikel gegen den Betreffenden, daß usw. Anspielung durch Auslassung und Widersinn sind also die technischen Mittel dieses Witzes.

§ 405

Heine: „Er lobt sich so stark, daß die Räucherkerzchen im Preise steigen.“ Diese Lücke ist leicht auszufüllen. Das Ausgelassene ist durch eine Folgerung ersetzt, die nun als Anspielung auf dasselbe zurückleitet. Eigenlob stinkt.

§ 406

Nun wieder einmal die beiden Juden vor dem Badehause!

§ 407

Schon wieder ein Jahr vergangen!“ seufzt der eine.

§ 408

Diese Beispiele lassen wohl keinen Zweifel bestehen, daß die Auslassung zur Anspielung gehört.

§ 409

Eine immer noch auffällige Lücke findet sich in nachstehendem Beispiel, das doch ein echter und richtiger Anspielungswitz ist. Nach einem Künstlerfest in Wien wurde ein Scherzbuch herausgegeben, in welchem unter anderen folgender, höchst merkwürdiger Sinnspruch verzeichnet stand:

§ 410

„Eine Frau ist wie ein Regenschirm. Man nimmt sich dann doch einen Komfortabel.“

§ 411

Ein Regenschirm schützt nicht genug vor dem Regen. Das „dann doch“ kann nur heißen: wenn es tüchtig regnet, und ein Komfortabel ist ein öffentliches Fuhrwerk. Da wird es aber hier mit der Form des Gleichnisses zu tun haben, wollen wir die eingehendere Untersuchung dieses Witzes auf einen späteren Moment verschieben.

§ 412

Ein wahres Wespennest der stachligsten Anspielungen, enthalten Heines „Bäder von Lucca“, die von dieser Form des Witzes die kunstvollste Verwendung zu polemischen Zwecken (gegen den Grafen Platen) machen. Lange zuvor, ehe der Leser diese Verwendung ahnen kann, wird einem gewissen Thema, das sich zur direkten Darstellung besonders schlecht eignet, durch Anspielungen aus dem mannigfaltigsten Material präludiert, z. B. in den Wortverdrehungen des Hirsch-Hyacinth: „Sie sind zu korpulent und ich bin zu mager, Sie haben viel Einbildung und ich habe desto mehr Geschäftssinn, ich bin ein Praktikus und Sie sind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie sind ganz mein Antipodex.“ — „Venus Urinia.“ — die dicke Gudel von Dreckwall in Hamburg — u. dgl., dann nehmen die Begebenheiten, von denen der Dichter erzählt, eine Wendung, die zunächst nur von dem unartigen Mutwillen des Dichters zu zeugen scheint, bald aber ihre symbolische Beziehung zur polemischen Absicht enthüllt und sich somit gleichfalls als Anspielung kundgibt. Endlich bricht der Angriff auf Platen los und nun sprudeln und quellen die Anspielungen auf das bereits bekannt gewordene Thema der Männerliebe des Grafen aus jedem der Sätze, die Heine gegen das Talent und den Charakter seines Gegners richtet, z. B.:

§ 413

„Wenn auch die Musen ihm nicht hold sind, so hat er doch den Genius der Sprache in seiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt anzutun; denn die freie Liebe dieses Genius fehlt ihm, er muß auch diesem Jungen beharrlich nachlaufen, und er weiß nur die äußeren Formen zu erfassen, die trotz ihrer schönen Rundung sich nie edel aussprechen.“

§ 414

„Es geht ihm dann wie dem Vogel Strauß, der sich hinlänglich verborgen glaubt, wenn er den Kopf in den Sand gesteckt, so daß nur der Steiß sichtbar wird. Unser erlauchter Vogel hätte besser getan, wenn er den Steiß in den Sand versteckt und uns den Kopf gezeigt hätte.“

§ 415

Die Anspielung ist vielleicht das gebräuchlichste und am leichtesten zu handhabende Mittel des Witzes und liegt den meisten der kurzlebigen Witzproduktionen zu Grunde, die wir in unsere Unterhaltung einzuflechten gewöhnt sind, und welche eine Ablösung von diesem Mutterboden und selbständige Konservierung nicht vertragen. Gerade bei ihr werden wir aber von neuem an jenes Verhältnis gemahnt, das begonnen hat, uns an der Schätzung der Witztechnik irre zu machen. Auch die Anspielung ist nicht etwa an sich witzig, es gibt korrekt gebildete Anspielungen, die auf diesen Charakter keinen Anspruch haben. Witzig ist nur die „witzige“ Anspielung, so daß das Kennzeichen des Witzes, das wir bis in die Technik verfolgt haben, uns dort wieder entschwindet.

§ 416

Ich habe die Anspielung gelegentlich als „indirekte Darstellung“ bezeichnet und werde nun darauf aufmerksam, daß man sehr wohl die verschiedenen Arten der Anspielung mit der Darstellung durch das Gegenteil und mit den noch zu erwähnenden Techniken zu einer einzigen großen Gruppe vereinigen kann, für welche „indirekte Darstellung“ der umfassendste Namen wäre. DenkfehlerUnifizierungindirekte Darstellung heißen also die Gesichtspunkte, unter welche sich die uns bekannt gewordenen Techniken des Gedankenwitzes bringen ließen.

§ 417

Bei fortgesetzter Untersuchung unseres Materials glauben wir nun eine neue Unterart der indirekten Darstellung zu erkennen, die sich scharf charakterisieren, aber nur durch wenige Beispiele belegen läßt. Es ist dies die Darstellung durch ein Kleines oder Kleinstes, welche die Aufgabe löst, einen ganzen Charakter durch ein winziges Detail zum vollen Ausdruck zu bringen. Die Anreihung dieser Gruppe an die Anspielung wird durch die Erwägung ermöglicht, daß ja diese Winzigkeit mit dem Darzustellenden in Zusammenhang steht, sich als Folgerung aus ihm ableiten läßt, z. B.:

§ 418

„Ein galizischer Jude fährt in der Eisenbahn und hat es sich recht bequem gemacht, den Rock aufgeknöpft, die Füße auf die Bank gelegt. Da steigt ein modern gekleideter Herr ein. Sofort nimmt sich der Jude zusammen, setzt sich in bescheidene Positur. Der Fremde blättert in einem Buch, rechnet, besinnt sich und richtet plötzlich an den Juden die Frage: Ich bitte Sie, wann haben wir Jomkipur? (Versöhnungstag.) „Aesoi,“ sagt der Jude und legt die Füße wieder auf die Bank, ehe er Antwort gibt.

§ 419

Es wird nicht abzuweisen sein, daß diese Darstellung durch ein Kleines an die Tendenz zur Ersparnis anknüpft, welche wir nach der Erforschung der Wortwitztechnik als das letzte Gemeinsame übrig behalten haben.

§ 420

Ein ganz ähnliches Beispiel ist folgendes:

§ 421

Der Arzt, der gebeten worden ist, der Frau Baronin bei ihrer Entbindung beizustehen, erklärt den Moment für noch nicht gekommen und schlägt dem Baron unterdes eine Kartenpartie im Nebenzimmer vor. Nach einer Weile dringt der Wehruf der Frau Baronin an das Ohr der beiden Männer. „Ah mon dieu, que je souffre!“ Der Gemahl springt auf, aber der Arzt wehrt ab: „Es ist nichts, spielen wir weiter.“ Eine Weile später hört man die Kreißende wieder: „Mein Gott, mein Gott, was für Schmerzen!“ — „Wollen Sie nicht hineingehen, Herr Professor?“ fragt der Baron. — „Nein, nein, es ist noch nicht Zeit.“ — Endlich hört man aus dem Nebenzimmer ein unverkennbares: „Ai, waih, waih geschrien“; da wirft der Arzt die Karten weg und sagt: „Es ist Zeit.“

§ 422

Wie der Schmerz durch alle Schichtungen der Erziehung die ursprüngliche Natur durchbrechen läßt, und wie eine wichtige Entscheidung mit Recht von einer scheinbar belanglosen Äußerung abhängig gemacht wird, das zeigt beides dieser gute Witz an dem Beispiel der schrittweisen Veränderung der Klagerufe bei der gebärenden vornehmen Frau.

§ 423

Eine andere Art der indirekten Darstellung, deren sich der Witz bedient, das Gleichnis, haben wir uns so lange aufgespart, weil dessen Beurteilung auf neue Schwierigkeiten stößt, oder Schwierigkeiten, die sich schon bei anderen Gelegenheiten ergeben haben, besonders deutlich erkennen läßt. Wir haben schon vorhin eingestanden, daß wir bei manchen zur Untersuchung vorliegenden Beispielen ein Schwanken, ob sie überhaupt den Witzen zuzurechnen seien, nicht zu bannen vermögen, und haben in dieser Unsicherheit eine bedenkliche Erschütterung der Grundlagen unserer Untersuchung erkannt. Bei keinem anderen Material empfinde ich aber diese Unsicherheit stärker und häufiger als bei den Gleichniswitzen. Die Empfindung, welche mir — und wahrscheinlich einer großen Anzahl anderer unter den nämlichen Bedingungen wie mir — zu sagen pflegt: Dies ist ein Witz, dies darf man für einen Witz ausgeben, noch ehe der verborgene wesentliche Charakter des Witzes entdeckt ist; diese Empfindung läßt mich bei den witzigen Vergleichen am ehesten im Stiche. Wenn ich den Vergleich zuerst ohne Bedenken für einen Witz erklärt habe, so glaube ich einen Augenblick später zu bemerken, daß das Vergnügen, das er mir bereitet, von anderer Qualität ist, als welches ich einem Witz zu verdanken pflege, und der Umstand, daß die witzigen Vergleiche nur sehr selten das explosionsartige Lachen hervorzurufen vermögen, durch welches sich ein guter Witz bezeugt, macht es mir unmöglich, mich dem Zweifel wie sonst zu entziehen, indem ich mich auf die besten und effektvollsten Beispiele der Gattung einschränke.

§ 424

Daß es ausgezeichnet schöne und wirksame Beispiele von Gleichnissen gibt, die uns den Eindruck des Witzes keineswegs machen, ist leicht zu zeigen. Der schöne Vergleich der durchgehenden Zärtlichkeit in Ottiliens Tagebuch mit dem roten Faden der englischen Marine (s. S. 14) ist ein solcher; auch ein anderes, das zu bewundern ich noch nicht müde geworden bin, und dessen Eindruck ich nicht überwunden habe, kann ich mir nicht versagen, im gleichen Sinne anzuführen. Es ist das Gleichnis, mit welchem Ferd. Lassalle eine seiner berühmten Verteidigungsreden (Die Wissenschaft und die Arbeiter) geschlossen hat: „Ein Mann, welcher, wie ich Ihnen dies erklärt habe, sein Leben dem Wahlspruch gewidmet hat „Die Wissenschaft und die Arbeiter“, dem würde auch eine Verurteilung, die er auf seinem Wege findet, keinen anderen Eindruck machen können, als etwa das Springen einer Retorte dem in seine wissenschaftlichen Experimente vertieften Chemiker. Mit einem leisen Stirnrunzeln über den Widerstand der Materie, setzt er, sowie die Störung beseitigt ist, ruhig seine Forschungen und Arbeiten fort.

§ 425

Eine reiche Auswahl von treffenden und witzigen Gleichnissen findet man in den Schriften Lichtenbergs (II. B. der Göttinger Ausgabe, 1853); von dort will ich auch das Material für unsere Untersuchung entnehmen.

§ 426

„Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.“

§ 427

Das erscheint wohl witzig, aber bei näherem Zusehen merkt man, daß die witzige Wirkung nicht vom Vergleich selbst, sondern von einer Nebeneigenschaft desselben ausgeht. Die „Fackel der Wahrheit“ ist eigentlich kein neuer Vergleich, sondern ein längst gebräuchlicher und zur fixierten Phrase herabgesunken, wie es immer zutrifft, wenn ein Vergleich Glück hat und vom Sprachgebrauch akzeptiert wird. Während wir in der Redensart „die Fackel der Wahrheit“ den Vergleich kaum mehr bemerken, wird ihm bei Lichtenberg die ursprüngliche Vollkraft wiedergegeben, da nun auf dem Vergleich weiter gebaut, eine Folgerung aus ihm gezogen wird. Solches Vollnehmen abgeblaßter Redensarten ist uns aber als Technik des Witzes bereits bekannt, es findet seine Stelle bei der mehrfachen Verwendung des nämlichen Materials (s. S. 24). Es könnte sehr wohl sein, daß der witzige Eindruck des Lichtenbergschen Satzes nur von der Anlehnung an diese Witztechnik herrührt.

§ 428

Dieselbe Beurteilung wird gewiß auch für einen anderen witzigen Vergleich desselben Autors gelten können:

§ 429

Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer Leuchter . . . . Er war Professor der Philosophie.“

§ 430

Einen Gelehrten ein großes Licht, ein „lumen mundi“, zu heißen, ist längst kein wirksamer Vergleich mehr, mag er ursprünglich als Witz gewirkt haben oder nicht. Aber man frischt den Vergleich auf, man gibt ihm seine Vollkraft wieder, indem man eine Modifikation aus ihm ableitet und solcher Art einen zweiten, neuen, Vergleich aus ihm gewinnt. Die Art, wie der zweite Vergleich entstanden ist, scheint die Bedingung des Witzes zu enthalten, nicht die beiden Vergleiche selbst. Es wäre dies ein Fall der nämlichen Witztechnik wie im Beispiele von der Fackel.

§ 431

Aus einem anderen, aber ähnlich zu beurteilenden Grunde erscheint folgender Vergleich als witzig:

§ 432

„Ich sehe die Rezensionen als eine Art von Kinderkrankheit an, die die neugeborenen Bücher mehr oder weniger befällt. Man hat Exempel, daß die gesündesten daran sterben, und die schwächlichen oft durchkommen. Manche bekommen sie gar nicht. Man hat oft versucht, ihnen durch Amulette von Vorrede und Dedikation vorzubeugen, oder sie gar durch eigene Urteile zu makulieren; es hilft aber nicht immer.“

§ 433

Der Vergleich der Rezensionen mit den Kinderkrankheiten ist zuerst nur auf das Befallenwerden, kurz nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben, gegründet. Ob er soweit witzig ist, getraue ich mich nicht zu entscheiden. Aber dann wird er fortgeführt; es ergibt sich, daß die weiteren Schicksale der neuen Bücher innerhalb des Rahmens des nämlichen Gleichnisses oder durch angelehnte Gleichnisse dargestellt werden können. Solche Fortsetzung einer Vergleichung ist unzweifelhaft witzig, aber wir wissen bereits, dank welcher Technik sie so erscheint; es ist ein Fall von Unifizierung, Herstellung eines ungeahnten Zusammenhanges. Der Charakter der Unifizierung wird aber dadurch nicht geändert, daß dieselbe hier in der Anreihung an ein erstes Gleichnis besteht.

§ 434

Bei einer Reihe anderer Vergleichungen ist man versucht, den unleugbar vorliegenden witzigen Eindruck auf ein anderes Moment zu schieben, welches wiederum mit der Natur des Gleichnisses an sich nichts zu tun hat. Es sind dies Vergleichungen, die eine auffällige Zusammenstellung, oft eine absurd klingende Vereinigung enthalten, oder sich durch eine solche als Ergebnis des Vergleiches ersetzen. Die Mehrzahl der Lichtenbergschen Beispiele gehören dieser Gruppe an.

§ 435

„Es ist schade, daß man bei Schriftstellern die gelehrten Eingeweide nicht sehen kann, um zu erforschen, was sie gegessen haben.“ „Die gelehrten Eingeweide,“ das ist eine verblüffende, eigentlich absurde Attribuierung, die sich erst durch die Vergleichung aufklärt. Wie wäre es, wenn der witzige Eindruck dieses Vergleiches ganz und voll auf den verblüffenden Charakter dieser Zusammenstellung zurückginge? Dies entspräche einem der uns gut bekannten Mittel des Witzes, der Darstellung durch Widersinn.

§ 436

Lichtenberg hat dieselbe Vergleichung der Aufnahme von Lese- und Lernstoff mit der Aufnahme von physischer Nahrung auch zu einem anderen Witz verwendet:

§ 437

„Er hielt sehr viel vom Lernen auf der Stube und war also gänzlich für gelehrte Stallfütterung.“

§ 438

Die nämliche absurde oder mindestens auffällige Attribuierung, welche, wie wir zu merken beginnen, der eigentliche Träger des Witzes ist, zeigen andere Gleichnisse desselben Autors:

§ 439

„Das ist die Wetterseite meiner moralischen Konstitution, da kann ich etwas aushalten.“

§ 440

„Jeder Mensch hat auch seine moralische Backside, die er nicht ohne Not zeigt und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt.“

§ 441

Die „moralische Backside“, das ist die auffällige Attribuierung, die als Resultat einer Vergleichung da steht. Dazu kommt aber eine Fortführung des Vergleiches mit einem regelrechten Wortspiel („Not“) und einer zweiten noch ungewöhnlicheren Zusammenstellung („Die Hosen des guten Anstandes“), die vielleicht selbst an sich witzig ist, denn die Hosen werden dadurch, daß sie die Hosen des guten Anstandes sind, selbst gleichsam witzig. Es darf uns dann nicht Wunder nehmen, wenn wir vom Ganzen den Eindruck eines sehr witzigen Vergleiches empfangen, wir beginnen zu merken, daß wir ganz allgemein dazu neigen, einen Charakter, welcher nur an einem Teil des Ganzen haftet, in unserer Schätzung auf dieses Ganze auszudehnen. Die „Hosen des guten Anstandes“ erinnern übrigens an einen ähnlichen verblüffenden Vers von Heine:

" § 442

„Bis mir endlich alle Knöpfe rissen an der Hose der Geduld.“

"
§ 443

Es ist unverkennbar, daß diese beiden letzten Vergleichungen einen Charakter an sich tragen, den man nicht an allen guten, d. h. zutreffenden Gleichnissen wiederfinden kann. Sie sind in hohem Grade „herabziehend“, könnte man sagen, sie stellen ein Ding hoher Kategorie, ein Abstraktum (hier: den guten Anstand, die Geduld) mit einem Ding sehr konkreter Natur und selbst niedriger Art (der Hose) zusammen. Ob diese Eigentümlichkeit etwas mit dem Witz zu schaffen hat, werden wir noch in einem anderen Zusammenhange in Erwägung ziehen müssen. Versuchen wir hier ein anderes Beispiel, in dem der herabziehende Charakter ganz besonders deutlich ist, zu analysieren. Der Kommis Weinberl in Nestroys Posse „Einen Jux will er sich machen“, der sich ausmalt, wie er einmal als solider alter Handelsherr seiner Jugendtage gedenken wird, sagt: „Wenn so im traulichen Gespräch das Eis aufg'hackt wird vor dem Magazin der Erinnerung, wann die G'wölbtür der Vorzeit wieder aufg'sperrt und die Pudel der Phantasie voll ang'raumt wird mit Waren von ehemals.“ Das sind sicherlich Vergleichungen von Abstrakten mit sehr gewöhnlichen konkreten Dingen, aber der Witz hängt — aus schließlich oder nur zum Teile — an dem Umstand, daß ein Kommis sich dieser Vergleichungen bedient, die aus dem Bereiche seiner alltäglichen Tätigkeit genommen sind. Das Abstrakte aber in Beziehung zu diesem Gewöhnlichen, das ihn sonst ausfüllt, zu bringen, ist ein Akt von Unifizierung.

§ 444

Kehren wir zu den Lichtenbergschen Vergleichen zurück.

§ 445

Die Bewegungsgründe,*)*) woraus man etwas tut, könnten so wie die 32 Winde geordnet und ihre Namen auf eine ähnliche Art formiert werden, z. B. Brot—Brot—Ruhm, oder Ruhm—Ruhm—Brot.“

§ 446

Wie so häufig bei den Lichtenbergschen Witzen ist auch hier der Eindruck des Treffenden, Geistreichen, Scharfsinnigen so vorherrschend, daß unser Urteil über den Charakter des Witzigen hiedurch irre geführt wird. Wenn in einem solchen Ausspruch etwas Witz sich dem ausgezeichneten Sinn beimengt, werden wir wahrscheinlich verleitet, das Ganze für einen vortrefflichen Witz zu erklären. Ich möchte vielmehr die Behauptung wagen, daß alles, was hieran wirklich witzig ist, aus dem Befremden über die sonderbare Kombination „Brot—Brot—Ruhm“ hervorgeht. Also als Witz eine Darstellung durch Widersinn.

§ 447

Die sonderbare Zusammenstellung oder absurde Attribuierung kann als Ergebnis eines Vergleiches für sich allein hingestellt werden:

§ 448

Lichtenberg: Eine zweischläfrige FrauEin einschläfriger Kirchenstuhl. Hinter beiden steckt der Vergleich mit einem Bett, bei beiden wirkt außer der Verblüffung noch das technische Moment der Anspielung mit, das eine Mal an die einschläfernde Wirkung von Predigten, das andere Mal an das nie zu erschöpfende Thema der geschlechtlichen Beziehungen.

§ 449

Haben wir bisher gefunden, daß eine Vergleichung, so oft sie uns witzig erschien, diesen Eindruck der Beimengung einer der uns bekannten Witztechniken verdankte, so scheinen einige andere Beispiele endlich dafür zu zeugen, daß ein Vergleich auch an und für sich witzig sein kann.

§ 450

Lichtenbergs Charakteristik gewisser Oden:

§ 451

„Sie sind das in der Poesie, was Jakob Böhms unsterbliche Werke in Prose sind, eine Art von Pickenick, wobei der Verfasser die Worte, und der Leser den Sinn stellen.“

*) Wir würden heute: Beweggründe, Motive sagen. § 452

„Wenn er philosophiert, so wirft er gewöhnlich ein angenehmes Mondlicht über die Gegenstände, das im ganzen gefällt, aber nicht einen einzigen Gegenstand deutlich zeigt.“

§ 453

Oder Heine: „Ihr Gesicht glich einem Kodex palimpsestus, wo unter der neuschwarzen Mönchsschrift eines Kirchenvatertextes die halb erloschenen Verse eines altgriechischen Liebesdichters hervorlauschen.

§ 454

Oder die fortgesetzte Vergleichung mit starker herabsetzender Tendenz in den „Bädern von Lucca“.

§ 455

„Der katholische Pfaffe treibt es mehr wie ein Kommis, der in einer großen Handlung angestellt ist; die Kirche, das große Haus, dessen Chef der Papst ist, gibt ihm bestimmte Beschäftigung und dafür ein bestimmtes Salär; er arbeitet lässig, wie jeder, der nicht für eigene Rechnung arbeitet, und viele Kollegen hat, und im großen Geschäftstreiben leicht unbemerkt bleibt — nur der Kredit des Hauses liegt ihm am Herzen, und noch mehr dessen Erhaltung, da er bei einigem etwaigen Bankerott seinen Lebensunterhalt verlöre. Der protestantische Pfaffe hingegen ist überall selbst Prinzipal, und treibt die Religionsgeschäfte für eigene Rechnung. Er treibt keinen Großhandel wie sein katholischer Gewerbsgenosse, sondern nur einen Kleinhandel; und da er demselben allein vorstehen muß, darf er nicht lässig sein, er muß seine Glaubensartikel den Leuten anrühmen, die Artikel seiner Konkurrenten herabsetzen, und als echter Kleinhändler steht er in seiner Ausschnittbude, voll von Gewerbsneid gegen alle großen Häuser, absonderlich gegen das große Haus in Rom, das viele tausend Buchhalter und Packknechte besoldet und seine Faktoreien hat in allen vier Weltteilen.“

§ 456

Angesichts dieser, wie vieler anderer Beispiele können wir doch nicht mehr in Abrede stellen, daß ein Vergleich auch an sich witzig sein mag, ohne daß dieser Eindruck auf eine Komplikation mit einer der bekannten Witztechniken zu beziehen wäre. Es entgeht uns aber dann völlig, wodurch der witzige Charakter des Gleichnisses bestimmt ist, da er gewiß nicht am Gleichnis als Ausdrucksform des Gedankens oder an der Operation des Vergleichens haftet. Wir können nicht anders als das Gleichnis unter die Arten der „indirekten Darstellung“ aufnehmen, deren sich die Witztechnik bedient, und müssen das Problem unerledigt lassen, das uns beim Gleichnis weit deutlicher als bei den früher behandelten Mitteln des Witzes entgegen getreten ist. Es muß wohl auch seinen besonderen Grund haben, wenn uns die Entscheidung, ob etwas ein Witz ist oder nicht, beim Gleichnis mehr Schwierigkeiten bereitet als bei anderen Ausdrucksformen.

§ 457

Einen Grund aber, uns zu beklagen, daß diese erste Untersuchung ergebnislos verlaufen sei, bietet uns auch diese Lücke in unserem Verständnis nicht. Bei dem intimen Zusammenhang, den wir den verschiedenen Eigenschaften des Witzes zuzuschreiben bereit sein mußten, wäre es unvorsichtig gewesen zu erwarten, wir könnten eine Seite des Problems voll aufklären, ehe wir noch einen Blick auf die anderen geworfen haben. Wir werden das Problem nun wohl an anderer Stelle angreifen müssen.

§ 458

Sind wir sicher, daß keine der möglichen Techniken des Witzes unserer Untersuchung entgangen ist? Das wohl nicht, aber wir können uns bei fortgesetzter Prüfung an neuem Material überzeugen, daß wir die häufigsten und wichtigsten technischen Mittel der Witzarbeit kennen gelernt haben, zum mindesten so viel, als zur Schöpfung eines Urteils über die Natur dieses psychischen Vorganges erfordert wird. Ein solches Urteil steht gegenwärtig noch aus; hingegen sind wir in den Besitz einer wichtigen Anzeige gelangt, von welcher Richtung wir eine weitere Aufklärung des Problems zu erwarten haben. Die interessanten Vorgänge der Verdichtung mit Ersatzbildung, die wir als den Kern der Technik des Wortwitzes erkannt haben, wiesen uns auf die Traumbildung hin, in deren Mechanismus die nämlichen psychischen Vorgänge aufgedeckt worden sind. Eben dahin weisen aber auch die Techniken des Gedankenwitzes, die Verschiebung, die Denkfehler, der Widersinn, die indirekte Darstellung, die Darstellung durchs Gegenteil, die samt und sonders in der Technik der Traumarbeit wiederkehren. Der Verschiebung verdankt der Traum das befremdende Ansehen, das uns abhält, in ihm die Fortsetzung unserer Wachgedanken zu erkennen; die Verwendung von Widersinn und Absurdität im Traum hat ihn die Würde eines psychischen Produkts gekostet und hat die Autoren verleitet, Zerfall der geistigen Tätigkeiten, Sistierung von Kritik, Moral und Logik als Bedingungen der Traumbildung anzunehmen. Die Darstellung durchs Gegenteil ist im Traum so gebräuchlich, daß selbst die populären, gänzlich irre gehenden, Traumdeutungsbücher mit ihr zu rechnen pflegen; die indirekte Darstellung, der Ersatz des Traumgedankens durch eine Anspielung, ein Kleines, eine dem Gleichnis analoge Symbolik, ist gerade das, was die Ausdrucksweise des Traumes von der unseres wachen Denkens unter scheidet.*)*) Eine so weitgehende Übereinstimmung wie die zwischen den Mitteln der Witzarbeit und denen der Traumarbeit wird kaum eine zufällige sein können. Diese Übereinstimmung ausführlich nachzuweisen und ihrer Begründung nachzuspüren, wird eine unserer späteren Aufgaben werden.

*) Vgl. meine „Traumdeutung“, Abschnitt VI, Traumarbeit. § 459

III. Die Tendenzen des Witzes.

§ 460

Als ich zu Ende des vorigen Abschnittes den Heineschen Vergleich des katholischen Priesters mit einem Angestellten einer Großhandlung und des protestantischen mit einem selbständigen Kleinhändler niederschrieb, verspürte ich eine Hemmung, die mich bestimmen wollte, dieses Gleichnis nicht zu verwenden. Ich sagte mir, daß sich unter meinen Lesern wahrscheinlich einige befinden würden, denen nicht nur die Religion, sondern auch deren Regie und Personal ehrwürdig sind; diese Leser würden sich nur über den Vergleich entrüsten und in einen Affektzustand geraten, der ihnen jedes Interesse für die Unterscheidung raubt, ob das Gleichnis an sich oder nur infolge irgend welcher Zutaten witzig erscheint. Bei anderen Gleichnissen, z. B. dem benachbarten von dem angenehmen Mondlicht, welches eine gewisse Philosophie auf die Gegenstände wirft, wäre eine solche für unsere Untersuchung störende Beeinflussung eines Teiles der Leser nicht zu besorgen. Der frommgläubigste Mann bliebe in der Verfassung, sich ein Urteil über unser Problem zu bilden.

§ 461

Es ist leicht, den Charakter des Witzes zu erraten, mit welchem die Verschiedenheit der Reaktion auf den Witz beim Hörer zusammenhängt. Der Witz ist das eine Mal Selbstzweck und dient keiner besonderen Absicht, das andere Mal stellt er sich in den Dienst einer solchen Absicht; er wird tendenziös. Nur derjenige Witz, welcher eine Tendenz hat, läuft Gefahr auf Personen zu stoßen, die ihn nicht anhören wollen.

§ 462

Der nicht tendenziöse Witz ist von Th. Vischer als „abstrakter“ Witz bezeichnet worden; ich ziehe es vor, ihn „harmlosen“ Witz zu nennen.

§ 463

Da wir vorhin den Witz nach dem Material, an dem seine Technik angreift, in Wort- und Gedankenwitz unterschieden haben, obliegt es uns, die Beziehung dieser Einteilung zur neu vorgebrachten zu untersuchen. Wort- und Gedankenwitz einerseits, abstrakter und tendenziöser Witz anderseits stehen nun in keiner Relation der Beeinflussung zu einander; es sind zwei voneinander völlig unabhängige Einteilungen der witzigen Produktionen. Vielleicht könnte jemand den Eindruck empfangen haben, als seien die harmlosen Witze vorwiegend Wortwitze, während die kom pliziertere Technik des Gedankenwitzes meist von starken Tendenzen in Dienst genommen wird; allein es gibt harmlose Witze, die mit Wortspiel und Gleichklang arbeiten, und ebenso harmlose, die sich aller Mittel des Gedankenwitzes bedienen. Nicht minder leicht zu zeigen ist, daß der tendenziöse Witz der Technik nach nichts anderes als ein Wortwitz zu sein braucht. So z. B. sind Witze, die mit Eigennamen „spielen“, häufig von beleidigender, verletzender Tendenz, sie gehören selbstredend zu den Wortwitzen. Die harmlosesten aller Witze sind aber auch wieder Wortwitze, z. B. die neuerdings beliebt gewordenen Schüttelreime, in denen die mehrfache Verwendung desselben Materials mit einer ganz eigentümlichen Modifikation die Technik darstellt:

" § 464

„Und weil er Geld in Menge hatte, lag stets er in der Hängematte.“

"
§ 465

Es wird hoffentlich niemand in Abrede stellen, daß das Wohlgefallen an dieser Art von sonst anspruchslosen Reimen das nämliche ist, an dem wir den Witz erkennen.

§ 466

Gute Beispiele von abstrakten oder harmlosen Gedankenwitzen findet man reichlich unter den Lichtenbergschen Vergleichungen, von denen wir einige bereits kennen gelernt haben. Ich füge einige weitere hinzu:

§ 467

„Sie hatten ein Oktavbändchen nach Göttingen geschickt und an Leib und Seele einen Quartanten wieder bekommen.“

§ 468

„Um dieses Gebäude gehörig aufzuführen, muß vor allen Dingen ein guter Grund gelegt werden, und da weiß ich keinen festeren, als wenn man über jede Schicht pro gleich eine Schicht kontra aufträgt.“

§ 469

„Einer zeugt den Gedanken, der andere hebt ihn aus der Taufe, der dritte zeugt Kinder mit ihm, der vierte besucht ihn auf dem Sterbebette und der fünfte begräbt ihn.“ (Gleichnis mit Unifizierung.)

§ 470

„Er glaubte nicht allein keine Gespenster, sondern er fürchtete sich nicht einmal davor.“ Der Witz liegt hier ausschließlich an der widersinnigen Darstellung, die das gewöhnlich für geringer Geschätzte in den Komparativ setzt, das für bedeutsamer Gehaltene zum Positiv nimmt. Mit Verzicht auf diese witzige Einkleidung hieße es: es ist viel leichter, sich mit dem Verstand über die Gespensterfurcht hinwegzusetzen, als sich ihrer bei vorkommender Gelegenheit zu erwehren. Dies ist gar nicht mehr witzig, wohl aber eine richtige und noch zu wenig gewürdigte psychologische Erkenntnis, die nämliche, der Lessing in den bekannten Worten Ausdruck gibt:

§ 471

„Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.“

§ 472

Ich kann die Gelegenheit, die sich hier bietet, ergreifen, um ein immerhin mögliches Mißverständnis wegzuräumen. „Harmloser“ oder „abstrakter“ Witz soll nämlich keineswegs gleichbedeutend sein mit „gehaltlosem“ Witz, sondern eben nur den Gegensatz zu den später zu besprechenden „tendenziösen“ Witzen bezeichnen. Wie obiges Beispiel zeigt, kann ein harmloser, d. i. tendenzloser Witz auch sehr gehaltvoll sein, etwas Wertvolles aussagen. Der Gehalt eines Witzes ist aber vom Witz unabhängig und ist der Gehalt des Gedankens, der hier durch eine besondere Veranstaltung witzig ausgedrückt wird. Freilich so wie die Uhrmacher ein besonders gutes Werk auch mit einem kostbaren Gehäuse auszustatten pflegen, mag es auch beim Witz vorkommen, daß die besten Witzleistungen gerade zur Einkleidung der gehaltvollsten Gedanken benützt werden.

§ 473

Wenn wir nun scharf auf die Unterscheidung von Gedankengehalt und witziger Einkleidung beim Gedankenwitz achten, so gelangen wir zu einer Einsicht, welche uns viel Unsicherheit in unserem Urteil über Witze aufzuklären vermag. Es stellt sich nämlich, was doch überraschend ist, heraus, daß wir unser Wohlgefallen an einem Witz nach dem summierten Eindruck von Gehalt und Witzleistung abgeben und uns durch den einen Faktor über das Ausmaß des anderen geradezu täuschen lassen. Erst die Reduktion des Witzes klärt uns die Urteilstäuschung auf.

§ 474

Das nämliche trifft übrigens auch beim Wortwitz zu. Wenn wir hören: „Die Erfahrung besteht darin, daß man erfährt, was man nicht wünscht erfahren zu haben“; — so sind wir verblüfft, glauben eine neue Wahrheit zu vernehmen, und es dauert eine Weile, bis wir in dieser Verkleidung die Plattheit: „Durch Schaden wird man klug“ (K. Fischer) erkennen. Die treffliche Witzleistung, die „Erfahrung“ nahezu allein durch die Anwendung des Wortes „erfahren“ zu definieren, täuscht uns so, daß wir den Gehalt des Satzes überschätzen. Ebenso ergeht es uns bei dem Lichtenbergschen Unifizierungswitz vom „Januarius“ (S. 53), der uns weiter nichts zu sagen hat, als was wir längst wissen, daß Neujahrswünsche so selten in Erfüllung gehen wie andere Wünsche, und in vielen ähnlichen Fällen.

§ 475

Das Gegenteilige erfahren wir bei anderen Witzen, in denen offenbar das Treffende und Richtige des Gedankens uns gefangen nimmt, so daß wir den Satz einen glänzenden Witz heißen, während nur der Gedanke glänzend, die Witzleistung oft schwächlich ist. Gerade bei den Lichtenbergschen Witzen ist der Gedankenkern häufig weit wertvoller als die Witzeinkleidung, auf welche wir dann die Schätzung vom ersteren her unberechtigterweise ausdehnen. So ist z. B. die Bemerkung über die „Fackel der Wahrheit“ (S. 68) ein kaum witziger Vergleich, aber sie ist so treffend, daß wir den Satz als einen besonders witzigen hervorheben möchten.

§ 476

Die Lichtenbergschen Witze sind vor allem durch ihren Gedankeninhalt und ihre Treffsicherheit hervorragend. Goethe hat mit Recht von diesem Autor gesagt, daß seine witzigen und scherzhaften Einfälle geradezu Probleme verbergen, richtiger: an die Lösung von Problemen streifen. Wenn er z. B. als witzigen Einfall aufzeichnet:

§ 477

„Er las immer Agamemnon anstatt angenommen, so sehr hatte er den Homer gelesen“ (technisch: Dummheit + Wortgleichklang), so hat er damit nichts weniger als das Geheimnis des Verlesens selbst aufgedeckt.*)*) Ähnlich ist der Witz, dessen Technik (S. 47) uns wohl recht unbefriedigend erschienen ist:

§ 478

„Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten.“ Die Dummheit, die hier zur Schau getragen wird, ist nur eine scheinbare; in Wirklichkeit steckt hinter dieser einfältigen Bemerkung das große Problem der Teleologie im tierischen Aufbau; es ist gar nicht so selbstverständlich, daß die Lidspalte sich dort öffnet, wo die Hornhaut freiliegt, bis die Entwicklungsgeschichte uns dieses Zusammentreffen aufklärt.

§ 479

Wir wollen es im Gedächtnis behalten, daß wir von einem witzigen Satz einen Gesamteindruck empfangen, in dem wir den Anteil des Gedankeninhalts von dem Anteil der Witzarbeit nicht zu sondern vermögen; vielleicht findet sich später hiezu eine noch bedeutsamere Parallele.

§ 480

Für unsere theoretische Aufklärung über das Wesen des Witzes müssen uns die harmlosen Witze wertvoller sein als die tendenziösen, die gehaltlosen wertvoller als die tiefsinnigen. Harmlose und gehaltlose Wortspiele etwa werden uns das Problem des Witzes in seiner reinsten Form entgegenbringen, weil wir bei ihnen der Gefahr der Verwirrung durch die Tendenz und der Urteils täuschung durch den guten Sinn entgehen. An solchem Material kann unsere Erkenntnis einen neuen Fortschritt machen.

*) Vgl. meine „Psychopathologie des Alltagslebens“. Berlin, S. Karger, 1904. 4. Aufl., 1912. § 481

Ich wähle ein möglichst harmloses Beispiel von Wortwitz:

§ 482

„Ein Mädchen, welches während seiner Toilette die Ankündigung eines Besuches erhält, klagt: Ach wie schade, gerade wenn man am anziehendsten ist, darf man sich nicht sehen lassen.“*)*)

§ 483

Da mir aber Bedenken aufsteigen, ob ich diesen Witz für einen tendenzlosen auszugeben das Recht habe, ersetze ich ihn durch einen anderen, herzlich einfältigen, der von solcher Einwendung frei sein dürfte.

§ 484

„In einem Hause, wo ich zu Gast geladen bin, wird zum Schluß der Mahlzeit die Roulard genannte Mehlspeise gereicht, deren Herstellung einiges Geschick bei der Köchin voraussetzt. Zu Hause gemacht? fragt darum einer der Gäste, und der Hausherr antwortet: Ja gewiß, ein Home-Roulard“ (Home-Rule).

§ 485

Wir wollen diesmal nicht die Technik des Witzes untersuchen, sondern gedenken unsere Aufmerksamkeit einem anderen, dem wichtigsten Momente zwar, zuzuwenden. Das Anhören dieses improvisierten Witzes bereitete den Anwesenden ein — von mir klar erinnertes — Vergnügen und machte uns lachen. In diesem wie in ungezählten anderen Fällen kann die Lustempfindung des Hörers nicht von der Tendenz und nicht vom Gedankeninhalt des Witzes herrühren; es bleibt nichts übrig als diese Lustempfindung mit der Technik des Witzes in Zusammenhang zu bringen. Die von uns vorhin beschriebenen technischen Mittel des Witzes — die Verdichtung, Verschiebung, indirekte Darstellung usw. — haben also das Vermögen, beim Hörer eine Lustempfindung hervorzurufen, wenngleich wir noch gar nicht einsehen können, wie ihnen dies Vermögen zukommen mag. Auf so leichte Art gewinnen wir den zweiten Satz zur Aufklärung des Witzes; der erste lautete (S. 9), daß der Charakter des Witzes an der Ausdrucksform hängt. Besinnen wir uns noch, daß der zweite Satz uns eigentlich nichts Neues gelehrt hat. Er isoliert nur, was bereits in einer früher von uns gemachten Erfahrung enthalten war. Wir erinnern ja, wenn es gelang, den Witz zu reduzieren, d. h. mit sorgfältiger Erhaltung des Sinnes dessen Ausdruck durch einen anderen zu ersetzen, so war damit nicht nur der Witzcharakter, sondern auch der Lacheffekt, also das Vergnügen am Witze, aufgehoben.

*) R. Kleinpaul, Die Rätsel der Sprache, 1890. § 486

Wir können hier nicht weiter gehen, ohne uns vorerst mit unseren philosophischen Autoritäten auseinander zu setzen.

§ 487

Die Philosophen, welche den Witz dem Komischen zurechnen und das Komische selbst in der Ästhetik abhandeln, charakterisieren das ästhetische Vorstellen durch die Bedingung, daß wir dabei nichts von und mit den Dingen wollen, die Dinge nicht brauchen, um eines unserer großen Lebensbedürfnisse zu befriedigen, sondern uns mit der Betrachtung derselben und dem Genuß der Vorstellung begnügen. „Dieser Genuß, diese Vorstellungsart ist die rein ästhetische, die nur in sich beruht, nur in sich ihren Zweck hat und keine anderen Lebenszwecke erfüllt“ (K. Fischer, S. 68).

§ 488

Wir setzen uns nun kaum in Widerspruch mit diesen Worten K. Fischers, übersetzen vielleicht nur seinen Gedanken in unsere Ausdrucksweise, wenn wir hervorheben, daß die witzige Tätigkeit doch keine zweck- oder ziellose genannt werden darf, da sie sich unverkennbar das Ziel gesteckt hat, Lust beim Hörer hervorzurufen. Ich zweifle, ob wir irgend etwas zu unternehmen im stande sind, wobei eine Absicht nicht in Betracht kommt. Wenn wir unseren seelischen Apparat gerade nicht zur Erfüllung einer der unentbehrlichen Befriedigungen brauchen, lassen wir ihn selbst auf Lust arbeiten, suchen wir Lust aus seiner eigenen Tätigkeit zu ziehen. Ich vermute, daß dies überhaupt die Bedingung ist, der alles ästhetische Vorstellen unterliegt, aber ich verstehe zu wenig von der Ästhetik, um diesen Satz durchführen zu wollen; vom Witz jedoch kann ich auf Grund der beiden vorhin gewonnenen Einsichten behaupten, daß er eine Tätigkeit ist, welche darauf abzielt, Lust aus den seelischen Vorgängen — intellektuellen oder anderen — zu gewinnen. Es gibt gewiß noch andere Tätigkeiten, die dasselbe bezwecken. Vielleicht unterscheiden sie sich darin, aus welchem Gebiete seelischer Tätigkeit sie Lust schöpfen wollen, vielleicht durch die Methode, deren sie sich dabei bedienen. Wir können das gegenwärtig nicht entscheiden; wir halten aber daran fest, daß nun die Witztechnik und die sie teilweise beherrschende ersparende Tendenz (S. 33) in Beziehung gebracht sind zur Erzeugung von Lust.

§ 489

Ehe wir aber daran gehen, das Rätsel, wie die technischen Mittel der Witzarbeit Lust beim Hörer erregen können, zu lösen, wollen wir uns erinnern, daß wir zum Zwecke der Vereinfachung und besseren Durchsichtigkeit die tendenziösen Witze ganz zur Seite geschoben haben. Wir müssen doch aufzuklären suchen, welches die Tendenzen des Witzes sind, und in welcher Weise er diesen Tendenzen dient.

§ 490

Wir werden vor allem durch eine Beobachtung gemahnt, den tendenziösen Witz bei der Untersuchung nach der Herkunft der Lust am Witze nicht beiseite zu lassen. Die Lustwirkung des harmlosen Witzes ist zumeist eine mäßige; ein deutliches Wohlgefallen, ein leichtes Lächeln ist zumeist alles, was er beim Hörer zu erreichen vermag, und von diesem Effekt ist etwa noch ein Teil auf Rechnung seines Gedankeninhalts zu setzen, wie wir an geeigneten Beispielen (S. 77) bemerkt haben. Fast niemals erzielt der tendenzlose Witz jene plötzlichen Ausbrüche von Gelächter, die den tendenziösen so unwiderstehlich machen. Da die Technik bei beiden die nämliche sein kann, darf in uns die Vermutung rege werden, daß der tendenziöse Witz kraft seiner Tendenz über Quellen der Lust verfügen müsse, zu denen der harmlose Witz keinen Zugang hat.

§ 491

Die Tendenzen des Witzes sind nun leicht zu übersehen. Wo der Witz nicht Selbstzweck, d. h. harmlos ist, stellt er sich in den Dienst von nur zwei Tendenzen, die selbst eine Vereinigung unter einen Gesichtspunkt zulassen; er ist entweder feindseliger Witz (der zur Aggression, Satire, Abwehr dient) oder obszöner Witz (welcher der Entblößung dient). Von vorne herein ist wieder zu bemerken, daß die technische Art des Witzes — ob Wort- oder Gedankenwitz — keine Relation zu diesen beiden Tendenzen hat.

§ 492

Weitläufiger ist es nun, darzulegen, auf welche Weise der Witz diesen Tendenzen dient. Ich möchte bei dieser Untersuchung nicht den feindseligen, sondern den entblößenden Witz voranstellen. Dieser ist zwar weit seltener einer Untersuchung gewürdigt worden, als hätte sich hier eine Abneigung vom Stofflichen auf's Sachliche übertragen, allein wir wollen uns hiedurch nicht beirren lassen, da wir alsbald auf einen Grenzfall des Witzes stoßen werden, der uns Aufklärung über mehr als einen dunklen Punkt zu bringen verspricht.

§ 493

Man weiß, was unter der „Zote“ verstanden wird: Die beabsichtigte Hervorhebung sexueller Tatsachen und Verhältnisse durch die Rede. Indes diese Definition ist nicht stichhaltiger als andere Definitionen. Ein Vortrag über die Anatomie der Sexualorgane oder über die Physiologie der Zeugung braucht trotz dieser Definition nicht einen einzigen Berührungspunkt mit der Zote gemein zu haben. Es gehört noch dazu, daß die Zote an eine bestimmte Person gerichtet werde, von der man sexuell erregt wird, und die durch das Anhören der Zote von der Erregung des Redenden Kenntnis bekommen und dadurch selbst sexuell erregt werden soll. Anstatt dieser Erregung mag sie auch in Scham oder Verlegenheit gebracht werden, was nur eine Reaktion gegen ihre Erregung und auf diesem Umwege ein Eingeständnis derselben bedeutet. Die Zote ist also ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen. Wenn sich dann ein Mann in Männergesellschaft mit dem Erzählen oder Anhören von Zoten vergnügt, so ist die ursprüngliche Situation, die infolge sozialer Hemmnisse nicht verwirklicht werden kann, dabei mitvorgestellt. Wer über die gehörte Zote lacht, lacht wie ein Zuschauer bei einer sexuellen Aggression.

§ 494

Das Sexuelle, welches den Inhalt der Zote bildet, umfaßt mehr als das bei beiden Geschlechtern Besondere, nämlich noch überdies das beiden Geschlechtern Gemeinsame, auf das die Scham sich erstreckt, also das Exkrementelle in seinem ganzen Umfang. Dies ist aber der Umfang, den das Sexuelle im Kindesalter hat, wo für die Vorstellung gleichsam eine Kloake existiert, innerhalb deren Sexuelles und Exkrementelles schlecht oder gar nicht gesondert werden.*)*) Überall im Gedankenbereich der Neurosenpsychologie schließt das Sexuelle noch das Exkrementelle ein, wird es im alten, infantilen, Sinne verstanden.

§ 495

Die Zote ist wie eine Entblößung der sexuell differenten Person, an die sie gerichtet ist. Durch das Aussprechen der obszönen Worte zwingt sie die angegriffene Person zur Vorstellung des betreffenden Körperteiles oder der Verrichtung und zeigt ihr, daß der Angreifer selbst sich solches vorstellt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Lust, das Sexuelle entblößt zu sehen, das ursprüngliche Motiv der Zote ist.

§ 496

Es kann der Klärung nur förderlich sein, wenn wir hier bis auf die Fundamente zurückgehen. Die Neigung, das Geschlechtsbesondere entblößt zu schauen, ist eine der ursprünglichen Komponenten unserer Libido. Sie ist selbst vielleicht bereits eine Ersetzung, geht auf eine als primär zu supponierende Lust, das Sexuelle zu berühren, zurück. Wie so häufig, hat das Schauen das Tasten auch hier abgelöst.**)**) Die Schau- oder Tastlibido ist bei jedermann in zweifacher Art, aktiv und passiv, männlich und weiblich, vorhanden, und bildet sich je nach dem Überwiegen des Geschlechtscharakters nach der einen oder der anderen Richtung überwiegend aus. Bei jungen Kindern kann man die Neigung zur Selbstentblößung leicht beobachten. Wo der Keim dieser Neigung nicht das gewöhnliche Schicksal der Überlagerung und Unterdrückung erfährt, da entwickelt er sich zu der als Exhibitionsdrang bekannten Perversion erwachsener Männer. Beim Weibe wird die passive Exhibitionsneigung fast regelmäßig durch die großartige Reaktionsleistung der sexuellen Schamhaftigkeit überlagert, aber nicht ohne daß ihr in der Kleidung ein Ausfallspförtchen gespart bliebe. Wie dehnbar und nach Konvention und Umständen variabel dann das der Frau als erlaubt verbliebene Maß von Exhibition ist, brauche ich nur anzudeuten.

*) Siehe meine gleichzeitig erscheinenden „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, 1905. 2. Aufl., 1910. **) Molls Kontrektationstrieb (Untersuchungen über die Libido sexualis, 1898). § 497

Beim Manne bleibt ein hoher Grad dieser Strebung als Teilstück der Libido bestehen und dient zur Einleitung des Geschlechtsaktes. Wenn diese Strebung sich bei der ersten Annäherung an das Weib geltend macht, muß sie sich aus zwei Motiven der Rede bedienen. Erstens um sich dem Weibe anzuzeigen, und zweitens weil die Erweckung der Vorstellung durch die Rede das Weib selbst in die korrespondierende Erregung versetzen und die Neigung zur passiven Exhibition bei ihr erwecken kann. Diese werbende Rede ist noch nicht die Zote, geht aber in sie über. Wo nämlich die Bereitschaft des Weibes sich rasch einstellt, da ist die obszöne Rede kurzlebig, sie weicht alsbald der sexuellen Handlung. Anders, wenn auf die rasche Bereitschaft des Weibes nicht zu rechnen ist, sondern an deren Statt die Abwehrreaktionen desselben auftreten. Dann wird die sexuell erregende Rede als Zote Selbstzweck; da die sexuelle Aggression in ihrem Fortschreiten bis zum Akt aufgehalten ist, verweilt sie bei der Hervorrufung der Erregung und zieht Lust aus den Anzeichen derselben beim Weibe. Die Aggression ändert dabei wohl auch ihren Charakter in dem nämlichen Sinne wie jede libidinöse Regung, der sich ein Hindernis entgegenstellt; sie wird direkt feindselig, grausam, ruft also die sadistische Komponente des Geschlechtstriebes gegen das Hindernis zur Hilfe.

§ 498

Die Unnachgiebigkeit des Weibes ist also die nächste Bedingung für die Ausbildung der Zote, allerdings eine solche, die bloß einen Aufschub zu bedeuten scheint und weitere Bemühung nicht aussichtslos erscheinen läßt. Der ideale Fall eines derartigen Widerstandes beim Weibe ergibt sich bei der gleichzeitigen Anwesenheit eines anderen Mannes, eines Dritten, denn dann ist das sofortige Nachgeben des Weibes so gut wie ausgeschlossen. Dieser Dritte gelangt bald zur größten Bedeutung für die Entwicklung der Zote; zunächst ist aber von der Anwesenheit des Weibes nicht abzusehen. Beim Landvolk oder im Wirtshaus des kleinen Mannes kann man beobachten, daß erst das Hinzutreten der Kellnerin oder der Wirtin die Zote zum Vorschein bringt; auf höherer sozialer Stufe erst tritt das Gegenteil ein, macht die Anwesenheit eines weiblichen Wesens der Zote ein Ende; die Männer sparen sich diese Art der Unterhaltung, die ursprünglich ein sich schämendes Weib voraussetzt, auf, bis sie allein „unter sich“ sind. So wird allmählich anstatt des Weibes der Zuschauer, jetzt Zuhörer, die Instanz, für welche die Zote bestimmt ist, und diese nähert sich durch solche Wandlung bereits dem Charakter des Witzes.

§ 499

Unsere Aufmerksamkeit kann von dieser Stelle an von zwei Momenten in Anspruch genommen werden, von der Rolle des Dritten, des Zuhörers, und von den inhaltlichen Bedingungen der Zote selbst.

§ 500

Der tendenziöse Witz braucht im allgemeinen drei Personen, außer der, die den Witz macht, eine zweite, die zum Objekt der feindseligen oder sexuellen Aggression genommen wird, und eine dritte, an der sich die Absicht des Witzes, Lust zu erzeugen, erfüllt. Die tiefere Begründung für diese Verhältnisse werden wir später aufzusuchen haben, vorläufig halten wir uns an die Tatsache, die sich ja darin bekundet, daß nicht, wer den Witz macht, ihn auch belacht, also dessen Lustwirkung genießt, sondern der untätige Zuhörer. In der nämlichen Relation befinden sich die drei Personen bei der Zote. Man kann den Hergang so beschreiben: Der libidinöse Impuls des Ersten entfaltet, sowie er die Befriedigung durch das Weib gehemmt findet, eine gegen diese zweite Person feindselige Tendenz und ruft die ursprünglich störende dritte Person zum Bundesgenossen auf. Durch die zotige Rede des Ersten wird das Weib vor diesem Dritten entblößt, der nun als Zuhörer — durch die mühelose Befriedigung seiner eigenen Libido — bestochen wird.

§ 501

Es ist merkwürdig, daß solcher Zotenverkehr beim gemeinen Volke so überaus beliebt und eine nie fehlende Betätigung heiterer Stimmung ist. Beachtenswert ist aber auch, daß bei diesem komplizierten Vorgang, der so viele Charaktere des tendenziösen Witzes an sich trägt, an die Zote selbst keiner der formellen Ansprüche, welche den Witz kennzeichnen, gestellt wird. Die unverhüllte Nudität auszusprechen bereitet dem Ersten Vergnügen und macht den Dritten lachen.

§ 502

Erst wenn wir zu höher gebildeter Gesellschaft aufsteigen, tritt die formelle Witzbedingung hinzu. Die Zote wird witzig und wird nur geduldet, wenn sie witzig ist. Das technische Mittel, dessen sie sich zumeist bedient, ist die Anspielung, d. h. die Ersetzung durch ein Kleines, ein im entfernten Zusammenhang Befindliches, welches der Hörer in seinem Vorstellen zur vollen und direkten Obszönität rekonstruiert. Je größer das Mißverhältnis zwischen dem in der Zote direkt Gegebenen und dem von ihr im Hörer mit Notwendigkeit Angeregten ist, desto feiner wird der Witz, desto höher darf er sich dann auch in die gute Gesellschaft hinauf wagen. Außer der groben und der feinen Anspielung stehen der witzigen Zote, wie leicht an Beispielen gezeigt werden kann, alle anderen Mittel des Wort- und Gedankenwitzes zur Verfügung.

§ 503

Hier wird endlich greifbar, was der Witz im Dienste seiner Tendenz leistet. Er ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (des lüsternen und feindseligen) gegen ein im Wege stehendes Hindernis, er umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unzugänglich gewordenen Lustquelle. Das im Wege stehende Hindernis ist eigentlich nichts anderes als die der höheren Bildungs- und Gesellschaftsstufe entsprechend gesteigerte Unfähigkeit des Weibes, das unverhüllte Sexuelle zu ertragen. Das in der Ausgangssituation als anwesend gedachte Weib wird eben weiterhin als anwesend beibehalten, oder ihr Einfluß wirkt auch in ihrer Abwesenheit auf die Männer einschüchternd fort. Man kann beobachten, wie Männer höherer Stände durch die Gesellschaft niedrig stehender Mädchen sofort veranlaßt werden, die witzige Zote in die einfache zurücksinken zu lassen.

§ 504

Die Macht, welche dem Weibe und in geringerem Maße auch dem Manne den Genuß der unverhüllten Obszönität erschwert oder unmöglich macht, heißen wir die „Verdrängung“ und erkennen in ihr denselben psychischen Vorgang, der in ernsten Krankheitsfällen ganze Komplexe von Regungen mitsamt deren Abkömmlingen vom Bewußtsein fern hält, und sich als ein Hauptfaktor der Verursachung bei den sog. Psychoneurosen herausgestellt hat. Wir gestehen der Kultur und höheren Erziehung einen großen Einfluß auf die Ausbildung der Verdrängung zu und nehmen an, daß unter diesen Bedingungen eine Veränderung der psychischen Organisation zu stande kommt, die auch als ererbte Anlage mitgebracht werden kann, der zufolge sonst angenehm Empfundenes nun als unannehmbar erscheint und mit allen psychischen Kräften abgelehnt wird. Durch die Verdrängungsarbeit der Kultur gehen primäre, jetzt aber von der Zensur in uns verworfene, Genußmöglichkeiten verloren. Der Psyche des Menschen wird aber alles Verzichten so sehr schwer, und so finden wir, daß der tendenziöse Witz ein Mittel abgibt, den Verzicht rückgängig zu machen, das Verlorene wieder zu gewinnen. Wenn wir über einen feinen obszönen Witz lachen, so lachen wir über das nämliche, was den Bauer bei einer groben Zote lachen macht; die Lust stammt in beiden Fällen aus der nämlichen Quelle; über die grobe Zote zu lachen, brächten wir aber nicht zu stande, wir würden uns schämen, oder sie erschiene uns ekelhaft; wir können erst lachen, wenn uns der Witz seine Hilfe geliehen hat.

§ 505

Es scheint sich uns also zu bestätigen, was wir Eingangs vermutet haben, daß der tendenziöse Witz über andere Quellen der Lust verfügt als der harmlose, bei dem alle Lust irgendwie an die Technik geknüpft ist. Wir können auch von neuem hervorheben, daß wir beim tendenziösen Witz außer stande sind, durch unsere Empfindung zu unterscheiden, welcher Anteil der Lust aus den Quellen der Technik, welcher aus denen der Tendenz herrührt. Wir wissen also streng genommen nicht, worüber wir lachen. Bei allen obszönen Witzen unterliegen wir grellen Urteilstäuschungen über die „Güte“ des Witzes, soweit dieselbe von formalen Bedingungen abhängt; die Technik dieser Witze ist oft recht ärmlich, ihr Lacherfolg ein ungeheurer.

§ 506

Wir wollen nun untersuchen, ob die Rolle des Witzes im Dienst der feindseligen Tendenz die nämliche ist.

§ 507

Von vorne herein stoßen wir hier auf dieselben Bedingungen. Die feindseligen Impulse gegen unsere Nebenmenschen unterliegen seit unserer individuellen Kindheit wie seit den Kinderzeiten menschlicher Kultur den nämlichen Einschränkungen, der nämlichen fortschreitenden Verdrängung, wie unsere sexuellen Strebungen. Wir haben es noch nicht soweit gebracht, daß wir unsere Feinde zu lieben vermöchten oder ihnen nach dem Backenstreich auf die rechte Backe die linke hinhielten; auch tragen alle Moralvorschriften der Beschränkung im tätigen Haß noch heute die deutlichsten Anzeichen an sich, daß sie ursprünglich für eine kleine Gemeinschaft von Stammesgenossen gelten sollten. So wie wir uns alle als Angehörige eines Volkes fühlen dürfen, gestatten wir uns, von den meisten dieser Beschränkungen gegen ein fremdes Volk abzusehen. Aber innerhalb unseres eigenen Kreises haben wir doch Fortschritte in der Beherrschung feindseliger Regungen gemacht; wie es Lichtenberg drastisch ausdrückt: Wo man jetzt sagt: Entschuldigen Sie, da schlug man einem früher um's Ohr. Die gewalttätige Feindseligkeit, vom Gesetz verboten, ist durch die Invektive in Worten abgelöst worden, und die bessere Kenntnis der Verkettung menschlicher Regungen raubt uns durch ihr konsequentes „Tout comprendre c'est tout pardonner“ immer mehr von der Fähigkeit, uns gegen den Nebenmenschen, der uns in den Weg getreten ist, zu erzürnen. Mit kräftigen Anlagen zur Feindschaft noch als Kinder begabt, lehrt uns später die höhere persönliche Kultur, daß es unwürdig ist, Schimpfwörter zu gebrauchen, und selbst, wo der Kampf an sich erlaubt geblieben ist, hat die Anzahl der Dinge, die als Mittel im Kampfe nicht verwendet werden dürfen, außerordentlich zugenommen. Seitdem wir auf den Ausdruck der Feindseligkeit durch die Tat verzichten mußten — durch den leidenschaftslosen Dritten daran gehindert, in dessen Interesse die Bewahrung der persönlichen Sicherheit liegt —, haben wir ganz ähnlich wie bei der sexuellen Aggression eine neue Technik der Schmähung ausgebildet, die auf die Anwerbung dieses Dritten gegen unseren Feind abzielt. Indem wir den Feind klein, niedrig, verächtlich, komisch machen, schaffen wir uns auf einem Umwege den Genuß seiner Überwindung, den uns der Dritte, der keine Mühe aufgewendet hat, durch sein Lachen bezeugt.

§ 508

Wir sind nun auf die Rolle des Witzes bei der feindseligen Aggression vorbereitet. Der Witz wird uns gestatten, Lächerliches am Feind zu verwerten, das wir entgegenstehender Hindernisse wegen nicht laut oder nicht bewußt vorbringen durften, wird also wiederum Einschränkungen umgehen und unzugänglich gewordene Lustquellen eröffnen. Er wird ferner den Hörer durch seinen Lustgewinn bestechen, ohne strengste Prüfung unsere Partei zu nehmen, wie wir selbst andere Male, vom harmlosen Witz bestochen, den Gehalt des witzig ausgedrückten Satzes zu überschätzen pflegten. „Die Lacher auf seine Seite ziehen,“ sagt mit vollkommen zutreffendem Ausdruck unsere Sprache.

§ 509

Man fasse z. B. die über den vorigen Abschnitt zerstreuten Witze des Herrn N. in's Auge. Es sind sämtlich Schmähungen. Es ist, als wollte Herr N. laut schreien: Aber der Ackerbauminister ist ja selber ein Ochs! Laßt mich in Ruhe mit dem ***; der platzt ja vor Eitelkeit! Etwas Langweiligeres als die Aufsätze dieses Historikers über Napoleon in Österreich habe ich überhaupt noch nicht gelesen! Aber der Hochstand seiner Persönlichkeit macht es ihm unmöglich, diese seine Urteile in dieser Form von sich zu geben. Sie nehmen darum den Witz zur Hilfe, welcher ihnen eine Aufnahme beim Hörer sichert, die sie trotz ihres etwaigen Wahrheitsgehaltes in unwitziger Form niemals gefunden hätten. Einer dieser Witze ist besonders lehrreich, der vom „roten Fadian“, vielleicht der überwältigendste von allen. Was nötigt uns daran zum Lachen und lenkt unser Interesse von der Frage, ob dem armen Schriftsteller Unrecht geschehen ist oder nicht, so vollständig ab? Gewiß die witzige Form, der Witz also; aber über was lachen wir dabei? Ohne Zweifel über die Person selbst, die uns als „roter Fadian“ vorgeführt wird, und insbesondere über ihre Rothaarigkeit. Körperliche Gebrechen zu verlachen hat sich der Gebildete abgewöhnt, auch zählt für ihn die Rothaarigkeit nicht zu den lachenswürdigen Körperfehlern. Wohl aber gilt sie dafür beim Schulknaben und beim gemeinen Volk, ja auch noch auf der Bildungsstufe gewisser kommunaler und parlamentarischer Vertreter. Und nun hat dieser Witz des Herrn N. es auf die kunstvollste Weise ermöglicht, daß wir, erwachsene und feinfühlige Leute, über die roten Haare des Historikers X. lachen wie die Schulknaben. Es lag dies gewiß nicht in der Absicht des Herrn N.; aber es ist sehr zweifelhaft, ob jemand, der seinen Witz walten läßt, dessen genaue Absicht kennen muß.

§ 510

War in diesen Fällen das Hindernis für die Aggression, welches der Witz umgehen half, ein innerliches — die ästhetische Auflehnung gegen die Schmähung —, so kann es andere Male rein äußerlicher Natur sein. So in dem Beispiel, wenn Serenissimus den Fremden, dessen Ähnlichkeit mit seiner eigenen Person ihm auffällt, fragt: War seine Mutter einmal in der Residenz? und die schlagfertige Antwort darauf lautet: Nein, aber mein Vater. Der Gefragte möchte gewiß den Frechen niederschlagen, der es wagt, durch solche Anspielung dem Andenken der geliebten Mutter Schmach anzutun; aber dieser Freche ist Serenissimus, den man nicht niederschlagen, nicht einmal beleidigen darf, wenn man diese Rache nicht mit seiner ganzen Existenz erkaufen will. Es hieße also die Beleidigung schweigend herunterwürgen; aber zum Glück zeigt der Witz den Weg, sie ungefährdet zu vergelten, indem man mit dem technischen Mittel der Unifizierung die Anspielung aufnimmt und gegen den Angreifer wendet. Der Eindruck des Witzigen wird hier so sehr von der Tendenz bestimmt, daß wir angesichts der witzigen Entgegnung zu vergessen neigen, daß die Frage des Angreifers selbst durch Anspielung witzig ist.

§ 511

Die Verhinderung der Schmähung oder beleidigenden Entgegnung durch äußere Umstände ist ein so häufiger Fall, daß der tendenziöse Witz mit ganz besonderer Vorliebe zur Ermöglichung der Aggression oder der Kritik gegen Höhergestellte, die Autorität in Anspruch nehmen, verwendet wird. Der Witz stellt dann eine Auflehnung gegen solche Autorität, eine Befreiung von dem Drucke derselben dar. In diesem Moment liegt ja auch der Reiz der Karikatur, über welche wir selbst dann lachen, wenn sie schlecht geraten ist, bloß weil wir ihr die Auflehnung gegen die Autorität als Verdienst anrechnen.

§ 512

Wenn wir im Auge behalten, daß der tendenziöse Witz sich so sehr zum Angriff auf Großes, Würdiges und Mächtiges eignet, das durch innerliche Hemmungen oder äußerliche Umstände gegen direkte Herabsetzung geschützt ist, so werden wir zu einer besonderen Auffassung gewisser Gruppen von Witzen gedrängt, die sich mit minderwertigen und ohnmächtigen Personen abzugeben scheinen. Ich meine die Heiratsvermittlergeschichten, von denen wir einzelne bei der Untersuchung der mannigfaltigen Techniken des Gedankenwitzes kennen gelernt haben. In einigen derselben z. B. in den Beispielen „Taub ist sie auch“ und „Wer borgt denn den Leuten was!“ ist der Vermittler als ein unvorsichtiger und gedankenloser Mensch verlacht worden, der dadurch komisch wird, daß ihm die Wahrheit gleichsam automatisch entwischt. Aber reimt sich einerseits das, was wir von der Natur des tendenziösen Witzes erfahren haben, und anderseits die Größe unseres Wohlgefallens an diesen Geschichten mit der Armseligkeit der Personen zusammen, über die der Witz zu lachen scheint? Sind das des Witzes würdige Gegner? Geht es nicht vielmehr so zu, daß der Witz die Vermittler nur vorschiebt, um etwas Bedeutsameres zu treffen, daß er, wie das Sprichwort sagt, auf den Sack schlägt, während er den Esel meint? Diese Auffassung ist wirklich nicht abzuweisen.

§ 513

Die obige Deutung der Vermittlergeschichten läßt eine Fortsetzung zu. Es ist wahr, daß ich auf dieselbe nicht einzugehen brauche, daß ich mich begnügen kann, in diesen Geschichten „Schwänke“ zu sehen, und ihnen den Charakter des Witzes absprechen kann. Eine solche subjektive Bedingtheit des Witzes besteht also auch; wir sind jetzt auf sie aufmerksam geworden und werden sie späterhin untersuchen müssen. Sie besagt, daß nur das ein Witz ist, was ich als einen Witz gelten lasse. Was für mich ein Witz ist, kann für einen anderen bloß eine komische Geschichte sein. Gestattet aber ein Witz diesen Zweifel, so kann es nur daher rühren, daß er eine Schauseite, eine — in unseren Fällen komische — Fassade hat, an welcher sich der Blick des einen ersättigt, während ein anderer versuchen kann, hinter dieselbe zu spähen. Der Verdacht darf auch rege werden, daß diese Fassade dazu bestimmt ist, den prüfenden Blick zu blenden, daß solche Geschichten also etwas zu verbergen haben.

§ 514

Jedenfalls, wenn unsere Vermittlergeschichten Witze sind, so sind sie um so bessere Witze, weil sie dank ihrer Fassade im stande sind zu verbergen, nicht nur, was sie zu sagen haben, sondern auch daß sie etwas — Verbotenes — zu sagen haben. Die Fortsetzung der Deutung aber, welche dies Verborgene aufdeckt und diese Geschichten mit komischer Fassade als tendenziöse Witze entlarvt, wäre folgende: Jeder, der sich die Wahrheit so in einem unbewachten Moment entschlüpfen läßt, ist eigentlich froh darüber, daß er der Verstellung ledig wird. Das ist eine richtige und tief reichende psychologische Einsicht. Ohne solche innerliche Zustimmung läßt sich niemand von dem Automatismus, der hier die Wahrheit an den Tag bringt, übermannen.*)*) Hiemit wandelt sich aber die lächerliche Person des Schadchen in eine bedauernswert sympathische. Wie selig muß der Mann sein, die Last der Verstellung endlich abwerfen zu können, wenn er sofort die erste Gelegenheit benützt, um das letzte Stück der Wahrheit herauszuschreien! Sowie er merkt, daß die Sache verloren ist, daß die Braut dem jungen Manne nicht gefällt, verrät er gern, daß sie noch einen versteckten Fehler hat, der jenem nicht aufgefallen ist, oder er bedient sich des Anlasses, ein für ein Detail entscheidendes Argument anzuführen, um dabei den Leuten, in deren Dienst er arbeitet, seine Verachtung auszudrücken: Ich bitt' Sie, wer borgt denn den Leuten was! Die ganze Lächerlichkeit fällt nun auf die in der Geschichte nur gestreiften Eltern, die solchen Schwindel für gestattet halten, um nur ihre Töchter an den Mann zu bringen, auf die Erbärmlichkeit der Mädchen, die sich unter solchen Veranstaltungen verheiraten lassen, auf die Unwürdigkeit der Ehen, die nach solchen Einleitungen geschlossen werden. Der Vermittler ist der richtige Mann, der solche Kritik zum Ausdruck bringen darf, denn er weiß am meisten von diesen Mißbräuchen, er darf sie aber nicht laut verkünden, denn er ist ein armer Mann, der gerade nur von deren Ausnützung leben kann. In einem ähnlichen Konflikt befindet sich aber auch der Volksgeist, der diese und ähnliche Geschichten geschaffen hat; denn er weiß, die Heiligkeit der geschlossenen Ehen leidet arg durch den Hinweis auf die Vorgänge bei der Eheschließung.

§ 515

Erinnern wir uns auch der Bemerkung bei der Untersuchung der Witztechnik, daß Widersinn im Witz häufig Spott und Kritik in dem Gedanken hinter dem Witz ersetzen, worin es die Witzarbeit übrigens der Traumarbeit gleichtut; wir finden diesen Sachverhalt hier von neuem bestätigt. Daß Spott und Kritik nicht der Person des Vermittlers gelten, der in den vorigen Beispielen nur als der Prügelknabe des Witzes auftritt, wird durch eine andere Reihe von Witzen erwiesen, in denen der Vermittler ganz im Gegenteile als überlegene Person gezeichnet ist, deren Dialektik sich jeder Schwierigkeit gewachsen erweist. Es sind Geschichten mit logischer anstatt der komischen Fassade, sophistische Gedankenwitze. In einer derselben (S. 49) weiß der Vermittler den Fehler der Braut, daß sie hinkt, hinweg zu disputieren. Es sei wenigstens eine „fertige Sache“, eine andere Frau mit geraden Gliedern sei hingegen in beständiger Gefahr hinzufallen und sich ein Bein zu brechen, und dann käme die Krankheit, die Schmerzen, die Behandlungskosten, die man sich bei der bereits Hinkenden erspare. Oder in einer anderen Geschichte weiß er eine ganze Reihe von Ausstellungen des Bewerbers an der Braut, jede einzeln mit guten Argumenten, zurückzuweisen, um ihm dann bei der letzten, unbeschönbaren, entgegen zu halten: Was wollen Sie, gar kein' Fehler soll sie haben?, als ob von den früheren Einwendungen nicht doch ein notwendiger Rest übrig geblieben wäre. Es ist nicht schwer, bei beiden Beispielen die schwache Stelle in der Argumentation nachzuweisen; wir haben dies auch bei der Untersuchung der Technik getan. Aber nun interessiert uns etwas anderes. Wenn der Rede des Vermittlers so starker logischer Schein geliehen wird, der sich bei sorgfältiger Prüfung als Schein zu erkennen gibt, so ist die Wahrheit dahinter, daß der Witz dem Vermittler Recht gibt; der Gedanke getraut sich nicht, ihm ernsthaft Recht zu geben, ersetzt diesen Ernst durch den Schein, den der Witz vorbringt, aber der Scherz verrät hier wie so häufig den Ernst. Wir werden nicht irre gehen, wenn wir von all den Geschichten mit logischer Fassade annehmen, daß sie das wirklich meinen, was sie mit absichtlich fehlerhafter Begründung behaupten. Erst diese Verwendung des Sophismas zur versteckten Darstellung der Wahrheit verleiht ihm den Charakter des Witzes, der also hauptsächlich von der Tendenz abhängt. Was in beiden Geschichten angedeutet werden soll, ist nämlich, daß der Bewerber sich wirklich lächerlich macht, wenn er die einzelnen Vorzüge der Braut so sorgsam zusammensucht, die doch alle hinfällig sind, und wenn er dabei vergißt, daß er vorbereitet sein muß, ein Menschenkind mit unvermeidlichen Fehlern zu seinem Weibe zu machen, während doch die einzige Eigenschaft, welche die Ehe mit der mehr oder minder mangelhaften Persönlichkeit der Frau erträglich machen würde, die gegenseitige Zuneigung und Bereitwilligkeit zur liebevollen Anpassung wäre, von der bei dem ganzen Handel nicht die Rede ist.

§ 516

Die in diesen Beispielen enthaltene Verspottung des Ehewerbers, bei welcher nun der Vermittler ganz passend die Rolle des Überlegenen spielt, wird in anderen Geschichten weit deutlicher zum Ausdruck gebracht. Je deutlicher diese Geschichten sind, desto weniger von Witztechnik enthalten sie; sie sind gleichsam nur Grenzfälle des Witzes, mit dessen Technik sie nur mehr die Fassadenbildung gemeinsam haben. Infolge der gleichen Tendenz und des Versteckens derselben hinter der Fassade kommt ihnen aber die volle Wirkung des Witzes zu. Die Armut an technischen Mitteln läßt außerdem verstehen, daß viele Witze dieser Art das komische Element des Jargons, das ähnlich der Witztechnik wirkt, nicht ohne starke Einbuße entbehren können.

§ 517

Eine solche Geschichte, die bei aller Kraft des tendenziösen Witzes nichts mehr von dessen Technik erkennen läßt, ist die folgende: Der Vermittler fragt: „Was verlangen Sie von Ihrer Braut?“ — Antwort: „Schön muß sie sein, reich muß sie sein und gebildet.“ — „Gut,“ sagt der Vermittler, „aber daraus mach' ich drei Partien.“ Hier wird der Verweis dem Manne direkt erteilt, nicht mehr in der Einkleidung eines Witzes.

§ 518

In den bisherigen Beispielen richtete sich die verhüllte Aggression noch gegen Personen, in den Vermittlerwitzen gegen alle Parteien, die an dem Handel der Eheschließung beteiligt sind: Braut, Bräutigam und deren Eltern. Die Angriffsobjekte des Witzes können aber eben sowohl Institutionen sein, Personen, in soferne sie Träger derselben sind, Satzungen der Moral oder der Religion, Lebensanschauungen, die ein solches Ansehen genießen, daß der Einspruch gegen sie nicht anders als in der Maske eines Witzes, und zwar eines durch seine Fassade gedeckten Witzes auftreten kann. Mögen der Themata wenige sein, auf die dieser tendenziöse Witz abzielt, seine Formen und Einkleidungen sind äußerst mannigfaltig. Ich glaube, wir tun recht, diese Gattung von tendenziösem Witz durch einen besonderen Namen auszuzeichnen. Welcher Name der geeignete ist, wird sich ergeben, nachdem wir einige Beispiele dieser Gattung gedeutet haben.

§ 519

Ich erinnere an die beiden Geschichten vom verarmten Gourmand, der bei „Lachs mit Mayonnaise“ betroffen wird, und vom trunksüchtigen Lehrer, die wir als sophistische Verschiebungswitze kennen gelernt haben, und führe deren Deutung fort. Wir haben seitdem gehört, daß, wenn der Schein der Logik an die Fassade einer Geschichte geheftet ist, der Gedanke wohl im Ernst sagen möchte: Der Mann hat Recht, des entgegenstehenden Widerspruches wegen aber sich nicht getraut, dem Manne anders Recht zu geben als in einem Punkte, in dem sein Unrecht leicht nachzuweisen ist. Die gewählte „Pointe“ ist der richtige Kompromiß zwischen seinem Recht und seinem Unrecht, was freilich keine Entscheidung ist, aber wohl dem Konflikt in uns selbst entspricht. Die beiden Geschichten sind einfach epikuräisch, sie sagen: Ja, der Mann hat Recht, es gibt nichts Höheres als den Genuß, und es ist ziemlich gleichgültig, auf welche Art man sich ihn verschafft. Das klingt furchtbar unmoralisch und ist wohl auch nicht viel besser, aber im Grunde ist es nichts anderes als das „Carpe diem“ des Poeten, der sich auf die Unsicherheit des Lebens und auf die Unfruchtbarkeit der tugendhaften Entsagung beruft. Wenn die Idee, daß der Mann im Witz von „Lachs mit Mayonnaise“ Recht haben soll, auf uns so abstoßend wirkt, so rührt dies nur von der Illustration der Wahrheit an einem Genuß niedrigster Art, der uns sehr entbehrlich scheint, her. In Wirklichkeit hat jeder von uns Stunden und Zeiten gehabt, in denen er dieser Lebensphilosophie ihr Recht zugestanden und der Morallehre vorgehalten hat, daß sie nur zu fordern verstand, ohne zu entschädigen. Seitdem die Anweisung auf das Jenseits, in dem sich alle Entsagung durch Befriedigung lohnen soll, von uns nicht mehr geglaubt wird — es gibt übrigens sehr wenig Fromme, wenn man die Entsagung zum Kennzeichen des Glaubens macht —, seitdem wird das „Carpe diem“ zur ernsten Mahnung. Ich will die Befriedigung gern aufschieben, aber weiß ich denn, ob ich morgen noch da sein werde?

§ 520

Di doman' non c'è certezza.*)*)

§ 521

Ich will gern auf alle von der Gesellschaft verpönten Wege der Befriedigung verzichten, aber bin ich sicher, daß mir die Gesellschaft diese Entsagung lohnen wird, indem sie mir — wenn auch mit einem gewissen Aufschub — einen der erlaubten Wege öffnet? Es läßt sich laut sagen, was diese Witze flüstern, daß die Wünsche und Begierden des Menschen ein Recht haben, sich vernehmbar zu machen neben der anspruchsvollen und rücksichtslosen Moral, und es ist in unseren Tagen in nachdrücklichen und packenden Sätzen gesagt worden, daß diese Moral nur die eigennützige Vorschrift der wenigen Reichen und Mächtigen ist, welche jederzeit ohne Aufschub ihre Wünsche befriedigen können. So lange die Heilkunst es nicht weiter gebracht hat, unser Leben zu sichern, und so lange die sozialen Einrichtungen nicht mehr dazu tun, es erfreulicher zu gestalten, so lange kann die Stimme in uns, die sich gegen die Moralanforderungen auflehnt, nicht erstickt werden. Jeder ehrliche Mensch wird wenigstens bei sich dieses Zugeständnis endlich machen. Die Entscheidung in diesem Konflikt ist erst auf dem Umwege über eine neue Einsicht möglich. Man muß sein Leben so an das Anderer knüpfen, sich so innig mit Anderen identifizieren können, daß die Verkürzung der eigenen Lebensdauer überwindbar wird, und man darf die Forderungen der eigenen Bedürfnisse nicht unrechtmäßig erfüllen, sondern muß sie unerfüllt lassen, weil nur der Fortbestand so vieler unerfüllter Forderungen die Macht entwickeln kann, die gesellschaftliche Ordnung abzuändern. Aber nicht alle persönlichen Bedürfnisse lassen sich in solcher Art verschieben und auf Andere übertragen, und eine allgemein- und endgültige Lösung des Konflikts gibt es nicht.

*) Lorenzo dei Medici. § 522

Wir wissen nun, wie wir Witze wie die letztgedeuteten zu benennen haben; es sind zynische Witze, was sie verhüllen, sind Zynismen.

§ 523

Unter den Institutionen, die der zynische Witz anzugreifen pflegt, ist keine wichtiger, eindringlicher durch Moralvorschriften geschützt, aber dennoch zum Angriff einladender als das Institut der Ehe, dem also auch die meisten zynischen Witze gelten. Kein Anspruch ist ja persönlicher als der auf sexuelle Freiheit, und nirgends hat die Kultur eine stärkere Unterdrückung zu üben versucht als auf dem Gebiete der Sexualität. Für unsere Absichten mag ein einziges Beispiel genügen, die auf S. 64 erwähnte „Eintragung in das Stammbuch des Prinzen Karneval“:

§ 524

„Eine Frau ist wie ein Regenschirm; — man nimmt sich dann doch einen Komfortabel.“

§ 525

Die komplizierte Technik dieses Beispiels haben wir bereits erörtert: ein verblüffender, anscheinend unmöglicher Vergleich, der aber, wie wir jetzt sehen, an sich nicht witzig ist, ferner eine Anspielung (Komfortabel = öffentliches Fuhrwerk) und als stärkstes technisches Mittel eine die Unverständlichkeit erhöhende Auslassung. Die Vergleichung wäre in folgender Art auszuführen: Man heiratet, um sich gegen die Anfechtungen der Sinnlichkeit zu sichern, und dann stellt sich doch heraus, daß die Ehe keine Befriedigung eines etwas stärkeren Bedürfnisses gestattet, gerade so wie man einen Regenschirm mitnimmt, um sich gegen den Regen zu schützen, und dann im Regen doch naß wird. In beiden Fällen muß man sich um stärkeren Schutz umsehen, hier öffentliches Fuhrwerk, dort für Geld zugängliche Frauen nehmen. Jetzt ist der Witz fast völlig durch Zynismus ersetzt. Daß die Ehe nicht die Veranstaltung ist, die Sexualität des Mannes zu befriedigen, getraut man sich nicht laut und öffentlich zu sagen, wenn man nicht etwa von der Wahrheitsliebe und dem Reformeifer eines Christian v. Ehrenfels *)*) dazu gedrängt wird. Die Stärke dieses Witzes liegt nun darin, daß er es doch — auf allerlei Umwegen — gesagt hat.

§ 526

Ein für den tendenziösen Witz besonders günstiger Fall wird hergestellt, wenn die beabsichtigte Kritik der Auflehnung sich gegen die eigene Person richtet, vorsichtiger ausgedrückt, eine Person, an der die eigene Anteil hat, eine Sammelperson also, das eigene Volk zum Beispiel. Diese Bedingung der Selbstkritik mag uns erklären, daß gerade auf dem Boden des jüdischen Volkslebens eine Anzahl der trefflichsten Witze erwachsen sind, von denen wir ja hier reichliche Proben gegeben haben. Es sind Geschichten, die von Juden geschaffen und gegen jüdische Eigentümlichkeiten gerichtet sind. Die Witze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind zu allermeist brutale Schwänke, in denen der Witz durch die Tatsache erspart wird, daß der Jude den Fremden als komische Figur gilt. Auch die Judenwitze, die von Juden herrühren, geben dies zu, aber sie kennen ihre wirklichen Fehler wie deren Zusammenhang mit ihren Vorzügen, und der Anteil der eigenen Person an dem zu Tadelnden schafft die sonst schwierig herzustellende subjektive Bedingung der Witzarbeit. Ich weiß übrigens nicht, ob es sonst noch häufig vorkommt, daß sich ein Volk in solchem Ausmaß über sein eigenes Wesen lustig macht.

§ 527

Als Beispiel hiefür kann ich auf die S. 66 erwähnte Geschichte hinweisen, wie ein Jude in der Eisenbahn sofort alle Dezenz des Betragens aufgibt, nachdem er den Ankömmling im Coupé als Glaubensgenossen erkannt hat. Wir haben diesen Witz als Beleg für die Veranschaulichung durch ein Detail, Darstellung durch ein Kleinstes, kennen gelernt; er soll die demokratische Denkungsart der Juden schildern, die keinen Unterschied von Herren und Knechten anerkennt, aber leider auch Disziplin und Zusammenwirken stört. Eine andere, besonders interessante Reihe von Witzen schildert die Beziehungen der armen und der reichen Juden zu einander; ihre Helden sind der „Schnorrer“ und der mildtätige Hausherr oder der Baron. Der Schnorrer, der alle Sonntage in demselben Haus als Gast zugelassen wird, erscheint eines Tages in Begleitung eines unbekannten jungen Mannes, der Miene macht, sich mit zu Tische zu setzen. Wer ist das? fragt der Hausherr und erhält die Antwort: Das ist mein Schwiegersohn seit voriger Woche; ich hab' ihm die Kost versprochen das erste Jahr. Die Tendenz dieser Geschichten ist stets die nämliche; sie wird in folgender am deutlichsten hervortreten: Der Schnorrer bettelt beim Baron um das Geld für eine Badereise nach Ostende; der Arzt hat ihm wegen seiner Beschwerden ein Seebad empfohlen. Der Baron findet, Ostende sei ein besonders kostspieliger Aufenthalt; ein wohlfeilerer würde es auch tun. Aber der Schnorrer lehnt den Vorschlag mit den Worten ab: Herr Baron, für meine Gesundheit ist mir nichts zu teuer. Das ist ein prächtiger Verschiebungswitz, den wir als Muster für seine Gattung hätten nehmen können. Der Baron will offenbar sein Geld ersparen, der Schnorrer antwortet aber, als sei das Geld des Barons sein eigenes, das er dann allerdings minder hochschätzen darf als seine Gesundheit. Man wird hier aufgefordert, über die Frechheit des Anspruchs zu lachen, aber diese Witze sind ausnahmsweise nicht mit einer das Verständnis irre führenden Fassade ausgestattet. Die Wahrheit dahinter ist, daß der Schnorrer, der das Geld des Reichen in Gedanken wie eigenes behandelt, nach den heiligen Vorschriften der Juden wirklich fast das Recht zu dieser Verwechslung hat. Natürlich richtet sich die Auflehnung, die diesen Witz geschaffen hat, gegen das selbst den Frommen schwer bedrückende Gesetz.

*) Siehe dessen Aufsätze in der Politisch-anthropologischen Revue II, 1903. § 528

Eine andere Geschichte erzählt: Ein Schnorrer begegnet auf der Treppe des Reichen einen Genossen im Gewerbe, der ihm abrät, seinen Weg fortzusetzen. „Geh' heute nicht hinauf, der Baron ist heute schlecht aufgelegt, er gibt niemand mehr als einen Gulden.“ — Ich werde doch hinaufgehen, sagt der erste Schnorrer. Warum soll' ich ihm den einen Gulden schenken? Schenkt er mir 'was?

§ 529

Dieser Witz bedient sich der Technik des Widersinnes, indem er den Schnorrer in demselben Moment behaupten läßt, der Baron schenke ihm nichts, in dem er sich anschickt, um das Geschenk zu betteln. Aber der Widersinn ist nur ein scheinbarer; es ist beinahe richtig, daß ihm der Reiche nichts schenkt, da er durch das Gesetz verpflichtet ist, ihm Almosen zu geben, und ihm strenge genommen, dankbar sein muß, daß er ihm die Gelegenheit zum Wohltun schafft. Die gemeine, bürgerliche Auf fassung des Almosens liegt hier mit der religiösen im Streit; sie revoltiert offen gegen die religiöse in der Geschichte vom Baron, der, durch die Leidenserzählung des Schnorrers tief ergriffen, seinen Dienern schellt: Werft's ihn hinaus; er bricht mir das Herz! Diese offene Darlegung der Tendenz stellt wieder einen Grenzfall des Witzes her. Von der nicht mehr witzigen Klage: „Es ist wirklich kein Vorzug, ein Reicher unter Juden zu sein. Das fremde Elend läßt einen nicht zum Genuß des eigenen Glückes kommen,“ entfernen sich diese letzten Geschichten fast nur durch die Veranschaulichung in einer einzelnen Situation.

§ 530

Von einem tief pessimistischen Zynismus zeugen andere Geschichten, die technisch wiederum Grenzfälle des Witzes darstellen, wie die nachstehende: Ein Schwerhöriger konsultiert den Arzt, der die richtige Diagnose macht, der Patient trinke wahrscheinlich zuviel Branntwein und sei darum taub. Er rät ihm davon ab, der Schwerhörige verspricht den Rat zu beherzigen. Nach einer Weile trifft ihn der Arzt auf der Straße und fragt ihn laut, wie es ihm gehe. Ich danke, ist die Antwort. Sie brauchen nicht so zu schreien, Herr Doktor, ich habe das Trinken aufgegeben und hör' wieder gut. Nach einer weiteren Weile wiederholt sich die Begegnung. Der Doktor fragt mit gewöhnlicher Stimme nach seinem Befinden, merkt aber, daß er nicht verstanden wird. — Wie? Was? — Mir scheint, Sie trinken wieder Branntwein, schreit ihm der Doktor in's Ohr, und darum hören Sie wieder nichts. Sie können Recht haben, antwortet der Schwerhörige. Ich hab' wieder angefangen zu trinken Branntwein, aber ich will Ihnen sagen: warum. So lange ich nicht getrunken hab', hab' ich gehört; aber alles, was ich gehört, war nicht so gut wie der Branntwein. — Technisch ist dieser Witz nichts anderes als eine Veranschaulichung; der Jargon, die Künste der Erzählung müssen dazu dienen, das Lachen zu erwecken, aber dahinter lauert die traurige Frage: Hat der Mann mit seiner Wahl nicht recht?

§ 531

Es ist das mannigfaltige hoffnungslose Elend des Juden, auf welches diese pessimistischen Geschichten anspielen, die ich dieses Zusammenhanges wegen dem tendenziösen Witz anreihen muß.

§ 532

Andere in ähnlichem Sinne zynische Witze, und zwar nicht nur Judengeschichten, greifen religiöse Dogmen und den Gottesglauben selber an. Die Geschichte vom „Kück des Rabbi“, deren Technik in dem Denkfehler der Gleichstellung von Phantasie und Wirklichkeit bestand (auch die Auffassung als Verschiebung wäre haltbar), ist ein solcher zynischer oder kritischer Witz, der sich gegen die Wundertäter und gewiß auch gegen den Wunderglauben richtet. Einen direkt blasphemischen Witz soll Heine in der Situation des Sterbenden gemacht haben. Als der freundliche Priester ihn auf Gottes Gnade verwies und ihm Hoffnung machte, daß er bei Gott Vergebung für seine Sünden finden werde, soll er geantwortet haben: Bien sûr, qu'il me pardonnera; c'est son métier. Das ist ein herabsetzender Vergleich, technisch etwa nur vom Werte einer Anspielung, denn ein métier, Geschäft oder Beruf hat etwa ein Handwerker oder ein Arzt, und zwar hat er nur ein einziges métier. Die Stärke des Witzes liegt aber in seiner Tendenz. Er soll nichts anderes sagen als: Gewiß wird er mir verzeihen, dazu ist er ja da, zu keinem anderen Zweck habe ich ihn mir angeschafft, (wie man sich seinen Arzt, seinen Advokaten hält). Und so regt sich noch in dem machtlos daliegenden Sterbenden das Bewußtsein, daß er sich Gott erschaffen und ihn mit Macht ausgestattet hat, um sich seiner bei Gelegenheit zu bedienen. Das vermeintliche Geschöpf gibt sich noch kurz vor seiner Vernichtung als den Schöpfer zu erkennen.

§ 533

Zu den bisher behandelten Gattungen des tendenziösen Witzes,

" § 534

dem entblößenden oder obszönen, dem aggressiven (feindseligen), dem zynischen (kritischen, blasphemischen),

"
§ 535

möchte ich als vierte und seltenste eine neue anreihen, deren Charakter durch ein gutes Beispiel erläutert werden soll.

§ 536

Zwei Juden treffen sich im Eisenbahnwagen einer galizischen Station. „Wohin fahrst du?“ fragte der eine. „Nach Krakau,“ ist die Antwort. „Sieh her, was du für Lügner bist,“ braust der andere auf. „Wenn du sagst, du fahrst nach Krakau, willst du doch, daß ich glauben soll, du fahrst nach Lemberg. Nun weiß ich aber, daß du wirklich fahrst nach Krakau. Also warum lügst du?“

§ 537

Diese kostbare Geschichte, die den Eindruck übergroßer Spitzfindigkeit macht, wirkt offenbar durch die Technik des Widersinnes. Der Zweite soll sich Lüge vorwerfen lassen, weil er mitgeteilt, er fahre nach Krakau, was in Wahrheit sein Reiseziel ist! Dieses starke technische Mittel — der Widersinn — ist aber hier mit einer anderen Technik gepaart, der Darstellung durch das Gegenteil, denn nach der unwidersprochenen Behauptung des Ersten lügt der Andere, wenn er die Wahrheit sagt, und sagt die Wahrheit mit einer Lüge. Der ernstere Gehalt dieses Witzes ist aber die Frage nach den Bedingungen der Wahrheit; der Witz deutet wiederum auf ein Problem und nützt die Unsicherheit eines unserer gebräuchlichsten Begriffe aus. Ist es Wahrheit, wenn man die Dinge so beschreibt, wie sie sind, und sich nicht darum kümmert, wie der Hörer das Gesagte auffassen wird? Oder ist dies nur jesuitische Wahrheit, und besteht die echte Wahrhaftigkeit nicht viel mehr darin, auf den Zuhörer Rücksicht zu nehmen, und ihm ein getreues Abbild seines eigenen Wissens zu vermitteln? Ich halte Witze dieser Art für genug verschieden von den anderen, um ihnen eine besondere Stellung anzuweisen. Was sie angreifen, ist nicht eine Person oder eine Institution, sondern die Sicherheit unserer Erkenntnis selbst, eines unserer spekulativen Güter. Der Name „skeptische“ Witze würde also für sie der entsprechende sein.

§ 538

Wir haben im Verlaufe unserer Erörterungen über die Tendenzen des Witzes vielleicht mancherlei Aufklärungen gewonnen und gewiß reichliche Anregungen zu weiteren Untersuchungen gefunden; aber die Ergebnisse dieses Abschnittes setzen sich mit denen des vorigen zu einem schwierigen Problem zusammen. Wenn es richtig ist, daß die Lust, die der Witz bringt, einerseits an der Technik, anderseits an der Tendenz haftet, unter welchem gemeinsamen Gesichtspunkt lassen sich etwa diese zwei so verschiedenen Lustquellen des Witzes vereinen?

§ 539

B. Synthetischer Teil.

§ 540

IV. Der Lustmechanismus und die Psychogenese des Witzes.

§ 541

Aus welchen Quellen die eigentümliche Lust fließt, welche uns der Witz bereitet, das stellen wir nun als gesicherte Erkenntnis voran. Wir wissen, daß wir der Täuschung unterliegen können, unser Wohlgefallen am Gedankeninhalt des Satzes mit der eigentlichen Witzeslust zu verwechseln, daß aber diese selbst wesentlich zwei Quellen hat, die Technik und die Tendenzen des Witzes. Was wir nun erfahren möchten, ist, auf welche Weise sich die Lust aus diesen Quellen ergibt, der Mechanismus dieser Lustwirkung.

§ 542

Es scheint uns, daß sich die gesuchte Aufklärung beim tendenziösen Witz viel leichter ergibt als beim harmlosen. Mit ersterem werden wir also beginnen.

§ 543

Die Lust beim tendenziösen Witz ergibt sich daraus, daß eine Tendenz befriedigt wird, deren Befriedigung sonst unterblieben wäre. Daß solche Befriedigung eine Lustquelle ist, bedarf keiner weiteren Ausführung. Aber die Art, wie der Witz die Befriedigung herbeiführt, ist an besondere Bedingungen geknüpft, aus denen vielleicht weiterer Aufschluß zu gewinnen ist. Es sind hier zwei Fälle zu unterscheiden. Der einfachere Fall ist, daß der Befriedigung der Tendenz ein äußeres Hindernis im Wege steht, welches durch den Witz umgangen wird. So fanden wir es z. B. in der Antwort, die Serenissimus auf die Frage erhält, ob die Mutter des Angesprochenen je in der Residenz gelebt habe, oder in der Äußerung des Kunstkenners, dem die zwei reichen Gauner ihre Portraits zeigen: And where is the Saviour? Die Tendenz geht in dem einen Fall dahin, einen Schimpf mit Gleichem zu erwidern, im anderen, eine Beschimpfung an Stelle des geforderten Gutachtens von sich zu geben; was ihr entgegensteht, sind rein äußerliche Momente, die Machtverhältnisse der Personen, die von der Beschimpfung betroffen werden. Es mag uns immerhin auffallen, daß diese und analoge Witze tendenziöser Natur, so sehr sie uns auch befriedigen, doch nicht im stande sind, einen starken Lacheffekt hervorzubringen.

§ 544

Anders, wenn nicht äußere Momente, sondern ein innerliches Hindernis der direkten Verwirklichung der Tendenz im Wege steht, wenn eine innere Regung sich der Tendenz entgegenstellt. Diese Bedingung wäre nach unserer Voraussetzung etwa in den aggressiven Witzen des Herrn N. verwirklicht, in dessen Person eine starke Neigung zur Invektive durch hochentwickelte ästhetische Kultur in Schach gehalten wird. Mit Hilfe des Witzes wird der innere Widerstand für diesen speziellen Fall überwunden, die Hemmung aufgehoben. Dadurch wird wie im Falle des äußeren Hindernisses die Befriedigung der Tendenz ermöglicht, eine Unterdrückung und die mit ihr verbundene „psychische Stauung“ vermieden; der Mechanismus der Lustentwicklung wäre insoweit für beide Fälle der nämliche.

§ 545

Wir verspüren an dieser Stelle allerdings die Neigung, in die Unterschiede der psychologischen Situation für den Fall des äußeren und des inneren Hindernisses tiefer einzugehen, da uns die Möglichkeit vorschwebt, aus der Aufhebung des inneren Hindernisses könne sich ein ungleich höherer Beitrag zur Lust ergeben. Aber ich schlage vor, hier genügsam zu bleiben und uns vorläufig mit der einen Feststellung zu bescheiden, welche bei dem für uns Wesentlichen verbleibt. Die Fälle des äußerlichen und des inneren Hindernisses unterscheiden sich nur darin, daß hier eine bereits bestehende Hemmung aufgehoben, dort die Herstellung einer neuen vermieden wird. Wir nehmen dann die Spekulation nicht zu sehr in Anspruch, wenn wir behaupten, daß zur Herstellung wie zur Erhaltung einer psychischen Hemmung ein „psychischer Aufwand“ erfordert wird. Ergibt sich nun, daß in beiden Fällen der Verwendung des tendenziösen Witzes Lust erzielt wird, so liegt es nahe anzunehmen, daß solcher Lustgewinn dem ersparten psychischen Aufwand entspreche.

§ 546

Somit wären wir wiederum auf das Prinzip der Ersparung gestoßen, dem wir zuerst bei der Technik des Wortwitzes begegnet sind. Während wir aber zunächst die Ersparung in dem Gebrauch von möglichst wenig oder möglichst den gleichen Worten zu finden glaubten, ahnt uns hier der weit umfassendere Sinn einer Ersparung an psychischem Aufwand überhaupt, und wir müssen es für möglich halten, durch nähere Bestimmung des noch sehr unklaren Begriffes „psychischer Aufwand“ dem Wesen des Witzes näher zu kommen.

§ 547

Eine gewisse Unklarheit, die wir bei der Behandlung des Lustmechanismus beim tendenziösen Witze nicht überwinden konnten, nehmen wir als billige Strafe dafür, daß wir versucht haben, das Kompliziertere vor dem Einfacheren, den tendenziösen Witz vor dem harmlosen aufzuklären. Wir merken uns, daß „Ersparung an Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand“ das Geheimnis der Lustwirkung des tendenziösen Witzes zu sein schien, und wenden uns dem Mechanismus der Lust beim harmlosen Witze zu.

§ 548

Aus geeigneten Beispielen harmlosen Witzes, bei denen keine Störung unseres Urteils durch Inhalt oder Tendenz zu befürchten stand, mußten wir den Schluß ziehen, daß die Techniken des Witzes selbst Lustquellen sind, und wollen nun prüfen, ob sich diese Lust etwa auf Ersparung an psychischem Aufwand zurückführen lasse. In einer Gruppe dieser Witze (den Wortspielen) bestand die Technik darin, unsere psychische Einstellung auf den Wortklang anstatt auf den Sinn des Wortes zu richten, die (akustische) Wortverstellung selbst an Stelle ihrer durch Relationen zu den Dingvorstellungen gegebenen Bedeutung treten zu lassen. Wir dürfen wirklich vermuten, daß damit eine große Erleichterung der psychischen Arbeit gegeben ist, und daß wir uns bei der ernsthaften Verwendung der Worte durch eine gewisse Anstrengung von diesem bequemen Verfahren abhalten müssen. Wir können beobachten, daß krankhafte Zustände der Denktätigkeit, in denen die Möglichkeit, psychischen Aufwand auf eine Stelle zu konzentrieren, wahrscheinlich eingeschränkt ist, tatsächlich die Wortklangvorstellung solcher Art gegen die Wortbedeutung in den Vordergrund rücken lassen, und daß solche Kranke in ihren Reden nach den „äußeren“ anstatt nach den „inneren“ Assoziationen der Wortvorstellung, wie die Formel lautet, fortschreiten. Auch beim Kinde, welches ja die Worte noch als Dinge zu behandeln gewohnt ist, bemerken wir die Neigung, hinter gleichem oder ähnlichem Wortlaut gleichen Sinn zu suchen, die zur Quelle vieler von den Erwachsenen belachter Irrtümer wird. Wenn es uns dann im Witz ein unverkennbares Vergnügen bereitet, durch den Gebrauch des nämlichen Wortes oder eines ihm ähnlichen aus dem einen Vorstellungskreis in einen anderen entfernten zu gelangen (wie bei Home-Roulard aus dem der Küche in den der Politik), so ist dies Vergnügen wohl mit Recht auf die Ersparung an psychischem Aufwand zurückzuführen. Die Witzeslust aus solchem „Kurzschluß“ scheint auch um so größer zu sein, je fremder die beiden durch das gleiche Wort in Verbindung gebrachten Vorstellungskreise einander sind, je weiter ab sie von einander liegen, je größer also die Ersparung an Gedankenweg durch das technische Mittel des Witzes ausfällt. Merken wir übrigens an, daß sich der Witz hier eines Mittels der Verknüpfung bedient, welches vom ernsthaften Denken verworfen und sorgfältig vermieden wird.*)*)

§ 549

Eine zweite Gruppe technischer Mittel des Witzes — Unifizierung, Gleichklang, mehrfache Verwendung, Modifikation bekannter Redensarten, Anspielung auf Zitate — läßt als gemeinsamen Charakter herausheben, daß jedesmal etwas Bekanntes wiedergefunden wird, wo man anstatt dessen etwas Neues hätte erwarten können. Dieses Wiederfinden des Bekannten ist lustvoll, und es kann uns wiederum nicht schwer fallen, solche Lust als Ersparungslust zu erkennen, auf die Ersparung an psychischem Aufwand zu beziehen.

§ 550

Daß das Wiederfinden des Bekannten, das „Wiedererkennen“ lustvoll ist, scheint allgemein zugestanden zu werden. Groos **)**) sagt: (S. 153) „Das Wiedererkennen ist nun überall, wo es nicht allzusehr mechanisiert ist (wie etwa beim Ankleiden, wo . . . . . .) mit Lustgefühlen verbunden. Schon die bloße Qualität der Bekanntheit ist leicht von jenem sanften Behagen begleitet, das Faust erfüllt, wie er nach einer unheimlichen Begegnung wieder in sein Studierzimmer tritt“ . . . . „Wenn so der Akt des Wiedererkennens lusterregend ist, so werden wir erwarten dürfen, daß der Mensch darauf verfällt, diese Fähigkeit um ihrer selbst willen zu üben, also spielend mit ihr zu experimentieren. In der Tat hat Aristoteles in der Freude am Wiedererkennen die Grundlage des Kunstgenusses erblickt, und es läßt sich nicht leugnen, daß dieses Prinzip nicht übersehen werden darf, wenn es auch keine so weittragende Bedeutung hat, wie Aristoteles annimmt.“

*) Wenn ich mir hier gestatten darf, der Darstellung im Texte vorzugreifen, so kann ich an dieser Stelle ein Licht auf die Bedingung werfen, welche für den Sprachgebrauch maßgebend scheint, um einen Witz einen „guten“ oder einen „schlechten“ zu heißen. Wenn ich mittels eines doppelsinnigen oder wenig modifizierten Wortes auf kurzem Wege aus einem Vorstellungskreis in einen anderen geraten bin, während sich zwischen den beiden Vorstellungskreisen nicht auch gleichzeitig eine sinnvolle Verknüpfung ergibt, dann habe ich einen „schlechten Witz“ gemacht. In diesem schlechten Witze ist das eine Wort, die „Pointe“, die einzig vorhandene Verknüpfung zwischen den beiden disparaten Vorstellungen. Ein solcher Fall ist das oben verwendete Beispiel: Home-Roulard. Ein „guter Witz“ kommt aber zu stande, wenn die Kindererwartung Recht behält und mit der Ähnlichkeit der Worte wirklich gleichzeitig eine andere wesentliche Ähnlichkeit des Sinnes angezeigt ist, wie im Beispiel: TraduttoreTraditore. Die beiden disparaten Vorstellungen, die hier durch eine äußerliche Assoziation verknüpft sind, stehen außerdem in einem sinnreichen Zusammenhang, welcher eine Wesensverwandtschaft von ihnen aussagt. Die äußerliche Assoziation ersetzt nur den innerlichen Zusammenhang; sie dient dazu, ihn anzuzeigen oder klarzustellen. Der „Übersetzer“ heißt nicht nur ähnlich wie der Verräter; er ist auch eine Art von Verräter, er führt gleichsam mit Recht seinen Namen. Der hier entwickelte Unterschied fällt mit der später einzuführenden Scheidung von „Scherz“ und „Witz“ zusammen. Es wäre aber Unrecht, Beispiele wie Home-Roulard von der Erörterung über die Natur des Witzes auszuschließen. So wie wir die eigentümliche Lust des Witzes in Betracht ziehen, finden wir, daß die „schlechten“ Witze keineswegs als Witze schlecht, d. h. ungeeignet zur Erzeugung von Lust sind. **) Die Spiele des Menschen, 1899. § 551

Groos erörtert dann die Spiele, deren Charakter darin besteht, die Freude am Wiedererkennen dadurch zu steigern, daß man demselben Hindernisse in den Weg legt, also eine „psychische Stauung“ herbeiführt, die mit dem Akt des Erkennens beseitigt ist. Sein Erklärungsversuch verläßt aber die Annahme, daß das Erkennen an sich lustvoll sei, indem er das Vergnügen am Erkennen mit Berufung auf diese Spiele auf die Freude an der Macht, an der Überwindung einer Schwierigkeit zurückführt. Ich halte dieses letztere Moment für sekundär und sehe keinen Anlaß, von der einfacheren Auffassung abzuweichen, daß das Erkennen an sich, d. h. durch Erleichterung des psychischen Aufwands, lustvoll ist, und daß die auf diese Lust gegründeten Spiele sich eben nur des Stauungsmechanismus bedienen, um deren Betrag in die Höhe zu treiben.

§ 552

Daß Reim, Alliteration, Refrain und andere Formen der Wiederholung ähnlicher Wortklänge in der Dichtung die nämliche Lustquelle, das Wiederfinden des Bekannten, ausnützen, ist gleichfalls allgemein anerkannt. Ein „Machtgefühl“ spielt bei diesen Techniken, die mit der „mehrfachen Verwendung“ beim Witze so große Übereinstimmung zeigen, keine ersichtliche Rolle.

§ 553

Bei den nahen Beziehungen zwischen Erkennen und Erinnern ist die Annahme nicht mehr gewagt, daß es auch eine Erinnerungslust gebe, d. h. daß der Akt des Erinnerns an sich von einem Lustgefühl ähnlicher Herkunft begleitet sei. Groos scheint einer solchen Annahme nicht abgeneigt zu sein, aber er leitet die Erinnerungslust wiederum vom „Machtgefühl“ ab, in dem er den Hauptgrund des Genusses bei fast allen Spielen — wie ich meine, mit Unrecht — sucht.

§ 554

Auf dem „Wiederfinden des Bekannten“ beruht auch die Verwendung eines anderen technischen Hilfsmittels des Witzes, von dem bisher noch nicht die Rede war. Ich meine das Moment der Aktualität, das bei sehr vielen Witzen eine ausgiebige Lustquelle darstellt und einige Eigentümlichkeiten in der Lebens geschichte der Witze erklärt. Es gibt Witze, die von dieser Bedingung vollkommen frei sind, und in einer Abhandlung über den Witz sind wir genötigt, uns fast ausschließlich solcher Beispiele zu bedienen. Wir können aber nicht daran vergessen, daß wir vielleicht noch stärker als über solche perennierende Witze über andere gelacht haben, deren Verwendung uns jetzt schwer fällt, weil sie lange Kommentare erfordern und auch mit deren Nachhilfe die einstige Wirkung nicht erreichen würden. Diese letzteren Witze enthielten nun Anspielungen auf Personen und Begebenheiten, die zur Zeit „aktuell“ waren, das allgemeine Interesse wach gerufen hatten und noch in Spannung erhielten. Nach dem Erlöschen dieses Interesses, nach der Erledigung der betreffenden Affäre hatten auch diese Witze einen Teil ihrer Lustwirkung, und zwar einen recht beträchtlichen Teil, eingebüßt. So z. B. erscheint mir der Witz, den mein freundlicher Gastgeber machte, als er die herumgereichte Mehlspeise einen „Home-Roulard“ nannte, heute lange nicht so gut wie damals, als Home Rule eine ständige Rubrik in den politischen Nachrichten unserer Zeitungen war. Versuche ich jetzt das Verdienst dieses Witzes durch die Beschreibung zu würdigen, daß uns das eine Wort mit Ersparung eines großen Denkumweges aus dem Vorstellungskreis der Küche in den so ferne liegenden der Politik führe, so hätte ich diese Beschreibung damals abändern müssen, „daß uns dieses Wort aus dem Vorstellungskreis der Küche in den ihm selbst so ferne liegenden Kreis der Politik führe, der aber unseres lebhaften Interesses sicher sei, weil er uns eigentlich unausgesetzt beschäftige.“ Ein anderer Witz: „Dieses Mädchen erinnert mich an Dreyfus; die Armee glaubt nicht an ihre Unschuld“ ist heute, trotzdem alle seine technischen Mittel unverändert geblieben sein müssen, gleichfalls verblaßt. Die Verblüffung durch den Vergleich und die Zweideutigkeit des Wortes „Unschuld“ können es nicht wett machen, daß die Anspielung, die damals an eine mit frischer Erregung besetzte Angelegenheit rührte, heute an ein erledigtes Interesse erinnert. Ein noch aktueller Witz wie z. B. folgender: „Kronprinzessin Louise hatte sich an das Krematorium in Gotha mit der Anfrage gewendet, was eine Verbrennung koste. Die Verwaltung gab ihr die Antwort: Sonst 5000 Mark, ihr werde man aber nur 3000 Mark berechnen, da sie schon einmal durchgebrannt sei“; ein solcher Witz erscheint heute unwiderstehlich; in einiger Zeit wird er in unserer Schätzung sehr erheblich gesunken sein, und noch eine Weile später, wenn man ihn nicht erzählen kann, ohne in einem Kommentar hinzuzusetzen, wer die Prinzessin Louise war, und wie ihr „Durchgebranntsein" gemeint ist, wird er trotz des guten Wortspiels wirkungslos bleiben.

§ 555

Eine große Zahl der im Umlauf befindlichen Witze gelangt so zu einer gewissen Lebensdauer, eigentlich zu einem Lebenslauf, der sich aus einer Blütezeit und einer Verfallzeit zusammensetzt und in völliger Vergessenheit endigt. Das Bedürfnis der Menschen, Lust aus ihren Denkvorgängen zu gewinnen, schafft dann immer neue Witze unter Anlehnung an die neuen Interessen des Tages. Die Lebenskraft der aktuellen Witze ist keine ihnen eigene, sie wird auf dem Wege der Anspielung jenen anderen Interessen entlehnt, deren Ablauf auch das Schicksal des Witzes bestimmt. Das Moment der Aktualität, welches als eine vergängliche Lustquelle zwar, aber als besonders ergiebige zu den eigenen des Witzes hinzutritt, kann nicht einfach dem Wiederfinden des Bekannten gleichgesetzt werden. Es handelt sich vielmehr um eine besondere Qualifikation des Bekannten, dem die Eigenschaft des Frischen, Rezenten, nicht vom Vergessen Berührten zukommen muß. Auch bei der Traumbildung begegnet man einer besonderen Bevorzugung des Rezenten und kann sich der Vermutung nicht erwehren, daß die Assoziation mit dem Rezenten durch eine eigenartige Lustprämie belohnt, also erleichtert wird.

§ 556

Die Unifizierung, die ja nur die Wiederholung auf dem Gebiete des Gedankenzusammenhanges anstatt des Materials ist, hat bei G. Th. Fechner eine besondere Anerkennung als Lustquelle des Witzes gefunden. Fechner äußert (Vorschule der Ästhetik I, XVII): „Meines Erachtens spielt in dem Felde, was wir hier vor Augen haben, das Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen die Hauptrolle, bedarf aber noch unterstützender Nebenbedingungen, um das Vergnügen, was die hieher gehörigen Fälle gewähren können, mit seinem eigentümlichen Charakter über die Schwelle zu treiben.“*)*)

§ 557

In allen diesen Fällen von Wiederholung des nämlichen Zusammenhanges oder des nämlichen Materials von Worten, von Wiederfinden des Bekannten und Rezenten, die dabei verspürte Lust von der Ersparung an psychischem Aufwand abzuleiten, kann uns wohl nicht verwehrt werden, wenn dieser Gesichtspunkt sich fruchtbar zur Aufklärung von Einzelheiten und zur Gewinnung neuer Allgemeinheiten erweist. Wir wissen, daß wir noch die Art, wie die Ersparung zu stande kommt, und den Sinn des Ausdrucks „psychischer Aufwand“ deutlich zu machen haben.

*) Abschnitt XVII ist überschrieben: Von sinnreichen und witzigen Vergleichen, Wortspielen u. a. Fällen, welche den Charakter der Ergötzlichkeit, Lustigkeit, Lächerlichkeit tragen. § 558

Die dritte Gruppe der Techniken des Witzes — zumeist des Gedankenwitzes —, welche die Denkfehler, Verschiebungen, den Widersinn, die Darstellung durch das Gegenteil u. a. umfaßt, mag für den ersten Anschein ein besonderes Gepräge tragen und keine Verwandtschaft mit den Techniken des Wiederfindens des Bekannten oder des Ersatzes der Gegenstandsassoziationen durch die Wortassoziationen verraten; es ist nichts desto weniger gerade hier sehr leicht, den Gesichtspunkt der Ersparung oder Erleichterung des psychischen Aufwandes zur Geltung zu bringen.

§ 559

Daß es leichter und bequemer ist, von einem eingeschlagenen Gedankenweg abzuweichen als ihn festzuhalten, Unterschiedenes zusammenzuwerfen als es in Gegensatz zu bringen, und gar besonders bequem, von der Logik verworfene Schlußweisen gelten zu lassen, endlich bei der Zusammenfügung von Worten oder Gedanken von der Bedingung abzusehen, daß sie auch einen Sinn ergeben sollen: dies ist allerdings nicht zweifelhaft, und gerade dies tun die in Rede stehenden Techniken des Witzes. Befremden wird aber die Aufstellung erregen, daß solches Tun der Witzarbeit eine Quelle der Lust eröffnet, da wir gegen alle derartigen Minderleistungen der Denktätigkeit außerhalb des Witzes nur unlustige Abwehrgefühle verspüren können.

§ 560

Die „Lust am Unsinn“, wie wir abkürzend sagen können, ist im ernsthaften Leben allerdings bis zum Verschwinden verdeckt. Um sie nachzuweisen, müssen wir auf zwei Fälle eingehen, in denen sie noch sichtbar ist und wieder sichtbar wird, auf das Verhalten des lernenden Kindes und das des Erwachsenen in toxisch veränderter Stimmung. In der Zeit, da das Kind den Wortschatz seiner Muttersprache handhaben lernt, bereitet es ihm ein offenbares Vergnügen, mit diesem Material „spielend zu experimentieren“ (Groos), und es fügt die Worte, ohne sich an die Sinnbedingung zu binden, zusammen, um den Lusteffekt des Rhythmus oder des Reimes mit ihnen zu erzielen. Dieses Vergnügen wird ihm allmählich verwehrt, bis ihm nur die sinnreichen Wortverbindungen als gestattete erübrigen. Noch in spätere Jahre ragen dann die Bestrebungen, sich über die erlernten Einschränkungen im Gebrauche der Worte hinauszusetzen, indem man dieselben durch bestimmte Anhängsel verunstaltet, ihre Formen durch gewisse Veranstaltungen verändert (Reduplikationen, Zittersprache) oder sich sogar für den Gebrauch unter den Gespielen eine eigene Sprache zurecht macht, Bemühungen, welche dann bei den Geisteskranken gewisser Kategorien wieder auftauchen.

§ 561

Ich meine, welches immer das Motiv war, dem das Kind folgte, als es mit solchen Spielen begann, in weiterer Entwicklung gibt es sich ihnen mit dem Bewußtsein, daß sie unsinnig sind, hin und findet das Vergnügen in diesem Reiz des von der Vernunft Verbotenen. Es benützt nun das Spiel dazu, sich dem Drucke der kritischen Vernunft zu entziehen. Weit gewaltiger sind aber die Einschränkungen, die bei der Erziehung zum richtigen Denken und zur Sonderung des in der Realität Wahren vom Falschen Platz greifen müssen, und darum ist die Auflehnung gegen den Denk- und Realitätszwang eine tiefgreifende und lang anhaltende; selbst die Phänomene der Phantasiebetätigung fallen unter diesen Gesichtspunkt. Die Macht der Kritik ist in dem späteren Abschnitt der Kindheit und in der über die Pubertät hinausreichenden Periode des Lernens meist so sehr gewachsen, daß die Lust am „befreiten Unsinn“ sich nur selten direkt zu äußern wagt. Man getraut sich nicht, Widersinn auszusprechen; aber die für den Buben charakteristische Neigung zu widersinnigem, zweckwidrigem Tun scheint mir ein direkter Abkömmling der Lust am Unsinn zu sein. In pathologischen Fällen sieht man leicht diese Neigung soweit gesteigert, daß sie wieder die Reden und Antworten des Schülers beherrscht; bei einigen in Neurose verfallenen Gymnasiasten konnte ich mich überzeugen, daß die unbewußt wirkende Lust an dem von ihnen produzierten Unsinn an ihren Fehlleistungen nicht minderen Anteil hatte als ihre wirkliche Unwissenheit.

§ 562

Der Student gibt es dann nicht auf, gegen den Denk- und Realitätszwang zu demonstrieren, dessen Herrschaft er doch immer unduldsamer und uneingeschränkter werden verspürt. Ein guter Teil des studentischen Ulks gehört dieser Reaktion an. Der Mensch ist eben ein „unermüdlicher Lustsucher“, — ich weiß nicht mehr, bei welchem Autor ich diesen glücklichen Ausdruck gefunden habe — und jeder Verzicht auf eine einmal genossene Lust wird ihm sehr schwer. Mit dem heiteren Unsinn des Bierschwefels versucht der Student, sich die Lust aus der Freiheit des Denkens zu retten, die ihm durch die Schulung des Kollegs immer mehr verloren geht. Ja noch viel später, wenn er als gereifter Mann mit anderen auf dem wissenschaftlichen Kongresse zusammengetroffen ist und sich wieder als Lernender gefühlt hat, muß nach Schluß der Sitzungen die Kneipzeitung, welche die neu gewonnenen Einsichten in's Unsinnige verzerrt, ihm für die neu zugewachsene Denkhemmung Entschädigung bieten.

§ 563

„Bierschwefel“ und „Kneipzeitung“ legen in ihren Namen Zeugnis dafür ab, daß die Kritik, welche die Lust am Unsinn verdrängt hat, bereits so stark geworden ist, daß sie ohne toxische Hilfsmittel auch nicht zeitweilig beiseite geschoben werden kann. Die Veränderung der Stimmungslage ist das Wertvollste, was der Alkohol dem Menschen leistet, und weshalb dieses „Gift“ nicht für jeden gleich entbehrlich ist. Die heitere Stimmung, ob nun endogen entstanden oder toxisch erzeugt, setzt die hemmenden Kräfte, die Kritik unter ihnen, herab und macht damit Lustquellen wieder zugänglich, auf denen die Unterdrückung lastete. Es ist überaus lehrreich zu sehen, wie die Anforderungen an den Witz mit einer Hebung der Stimmungslage sinken. Die Stimmung ersetzt eben den Witz, wie der Witz sich bemühen muß, die Stimmung zu ersetzen, in welcher sich sonst gehemmte Genußmöglichkeiten, unter ihnen die Lust am Unsinn, geltend machen.

" § 564

„Mit wenig Witz und viel Behagen.“

"
§ 565

Unter dem Einfluß des Alkohols wird der Erwachsene wieder zum Kinde, dem die freie Verfügung über seinen Gedankenablauf ohne Einhaltung des logischen Zwanges Lust bereitet.

§ 566

Wir hoffen nun auch dargetan zu haben, daß die Widersinnstechniken des Witzes einer Lustquelle entsprechen. Daß diese Lust aus Ersparung an psychischem Aufwand, Erleichterung vom Zwange der Kritik, hervorgeht, brauchen wir nur zu wiederholen.

§ 567

Bei einem nochmaligen Rückblick auf die in drei Gruppen gesonderten Techniken des Witzes bemerken wir, daß die erste und dritte dieser Gruppen, die Ersetzung der Dingassoziationen durch die Wortassoziationen und die Verwendung des Widersinns als Wiederherstellungen alter Freiheiten und als Entlastungen von dem Zwang der intellektuellen Erziehung zusammengefaßt werden können; es sind psychische Erleichterungen, die man in einen gewissen Gegensatz zur Ersparung bringen kann, welche die Technik in der zweiten Gruppe ausmacht. Erleichterung des schon bestehenden und Ersparung an erst aufzubietendem psychischem Aufwand, auf diese beiden Prinzipien führt sich also alle Technik des Witzes und somit alle Lust aus diesen Techniken zurück. Die beiden Arten der Technik und der Lustgewinnung fallen übrigens — im großen und ganzen wenigstens — mit der Scheidung des Witzes in Wort- und Gedankenwitz zusammen.

§ 568

Die vorstehenden Erörterungen haben uns unversehens zur Einsicht in eine Entwicklungsgeschichte oder Psychogenese des Witzes geführt, welcher wir nun näher treten wollen. Wir haben Vorstufen des Witzes kennen gelernt, deren Entwicklung bis zum tendenziösen Witz wahrscheinlich neue Beziehungen zwischen den verschiedenen Charakteren des Witzes aufdecken kann. Vor allem Witz gibt es etwas, was wir als Spiel oder ,Scherz‘ bezeichnen können. Das Spiel — verbleiben wir bei diesem Namen — tritt beim Kinde auf, während es Worte verwenden und Gedanken an einander fügen lernt. Dieses Spiel folgt wahrscheinlich einem der Triebe, welche das Kind zur Übung seiner Fähigkeiten nötigen (Groos); es stößt dabei auf Lustwirkungen, die sich aus der Wiederholung des Ähnlichen, aus dem Wiederfinden des Bekannten, dem Gleichklang usw. ergeben und als unvermutete Ersparungen an psychischem Aufwand erklären. Es ist nicht zu verwundern, daß diese Lusteffekte das Kind zur Pflege des Spieles antreiben und es veranlassen, dieselben ohne Rücksicht auf die Bedeutung der Worte und den Zusammenhang der Sätze fortzusetzen. Spiel mit Worten und Gedanken, motiviert durch gewisse Lusteffekte der Ersparung, wäre also die erste Vorstufe des Witzes.

§ 569

Diesem Spiel macht die Erstarkung eines Moments ein Ende, das als Kritik oder Vernünftigkeit bezeichnet zu werden verdient. Das Spiel wird nun als sinnlos oder direkt widersinnig verworfen; es wird infolge der Kritik unmöglich. Es ist nun auch ausgeschlossen, anders als zufallsweise aus jenen Quellen des Wiederfindens des Bekannten usw. Lust zu beziehen, es sei denn, daß den Heranwachsenden eine lustvolle Stimmung befalle, welche der Heiterkeit des Kindes ähnlich die kritische Hemmung aufhebt. In diesem Falle allein wird das alte Spiel der Lustgewinnung wieder ermöglicht, aber auf diesen Fall mag der Mensch nicht warten und auf die ihm vertraute Lust nicht verzichten. Er sucht also nach Mitteln, welche ihn von der lustvollen Stimmung unabhängig machen; die weitere Entwicklung zum Witze wird von den beiden Bestrebungen, die Kritik zu vermeiden und die Stimmung zu ersetzen, regiert.

§ 570

Damit setzt die zweite Vorstufe des Witzes ein, der Scherz. Es gilt nun den Lustgewinn des Spieles durchzusetzen und dabei doch den Einspruch der Kritik, der das Lustgefühl nicht aufkommen ließe, zum Schweigen zu bringen. Zu diesem Ziele führt nur ein einziger Weg. Die sinnlose Zusammenstellung von Worten oder die widersinnige Anreihung von Gedanken muß doch einen Sinn haben. Die ganze Kunst der Witzarbeit wird aufgeboten, um solche Worte und solche Gedankenkonstellationen aufzufinden, bei denen diese Bedingung erfüllt ist. Alle technischen Mittel des Witzes finden hier bereits, beim Scherz, Verwendung, auch trifft der Sprachgebrauch zwischen Scherz und Witz keine konsequente Unterscheidung. Was den Scherz vom Witz unterscheidet, ist, daß der Sinn des der Kritik entzogenen Satzes kein wertvoller, kein neuer oder auch nur guter zu sein braucht; es muß sich eben nur so sagen lassen, wenngleich es ungebräuchlich, überflüssig, nutzlos ist, es so zu sagen. Beim Scherz steht die Befriedigung, das von der Kritik Verbotene ermöglicht zu haben, im Vordergrunde.

§ 571

Ein bloßer Scherz ist es z. B., wenn Schleiermacher die Eifersucht definiert als die Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Ein Scherz ist es, wenn der Professor Kästner, der im 16. Jahrhundert in Göttingen Physik lehrte — und Witze machte, — einen Studenten namens Kriegk bei der Inskription nach seinem Alter fragte und auf die Antwort, er sei dreißig Jahre alt, meinte: Ei, so habe ich ja die Ehre, den 30jährigen Krieg zu sehen.*)*) Mit einem Scherz antwortete Meister Rokitansky auf die Frage, welchen Berufen sich seine vier Söhne zugewendet hätten: „Zwei heilen und zwei heulen“ (zwei Ärzte und zwei Sänger). Die Auskunft war richtig und darum nicht weiter angreifbar; aber sie fügte nichts hinzu, was nicht in dem in Klammern stehenden Ausdruck enthalten gewesen wäre. Es ist unverkennbar, daß die Antwort die andere Form nur wegen der Lust angenommen hat, welche sich aus der Unifizierung und aus dem Gleichklang der beiden Worte ableitet.

§ 572

Ich meine, wir sehen nun endlich klar. Es hat uns in der Bewertung der Techniken des Witzes immer gestört, daß diese nicht dem Witz allein zu eigen sind, und doch schien das Wesen des Witzes an ihnen zu hängen, da mit ihrer Beseitigung durch die Reduktion Witzcharakter und Witzeslust verloren waren. Nun merken wir, was wir als die Techniken des Witzes beschrieben haben — und in gewissem Sinne fortfahren müssen so zu nennen — das sind vielmehr die Quellen, aus denen der Witz die Lust bezieht, und wir finden es nicht befremdend, daß andere Verfahren zum nämlichen Zweck aus den gleichen Quellen schöpfen. Die dem Witze eigentümliche und ihm allein zukommende Technik besteht aber in seinem Verfahren, die Anwendung dieser lustbereitenden Mittel gegen den Einspruch der Kritik sicher zu stellen, welcher die Lust aufheben würde. Wir können von diesem Verfahren wenig Allgemeines aussagen; die Witzarbeit äußert sich, wie schon erwähnt, in der Auswahl eines solchen Wortmaterials und solcher Denksituationen, welche es gestatten, daß das alte Spiel mit Worten und Gedanken die Prüfung der Kritik bestehe, und zu diesem Zwecke müssen alle Eigentümlichkeiten des Wortschatzes und alle Konstellationen des Gedankenzusammenhanges auf das Geschickteste ausgenützt werden. Vielleicht werden wir späterhin noch in die Lage kommen, die Witzarbeit durch eine bestimmte Eigenschaft zu charakterisieren; vorläufig bleibt es unerklärt, wie die dem Witze ersprießliche Auswahl getroffen werden kann. Die Tendenz und Leistung des Witzes, die lustbereitenden Wort- und Gedankenverbindungen vor der Kritik zu schützen, stellt sich aber schon beim Scherz als sein wesentliches Merkmal heraus. Von Anfang an besteht seine Leistung darin, innere Hemmungen aufzuheben und durch sie unzugänglich gewordene Lustquellen ergiebig zu machen, und wir werden finden, daß er diesem Charakter durch seine ganze Entwicklung treu bleibt.

*) Kleinpaul. Die Rätsel der Sprache, 1890. § 573

Wir sind nun auch in der Lage, dem Moment des „Sinnes im Unsinn“ (vgl. Einleitung, S. 4), welchem von den Autoren eine so große Bedeutung zur Kennzeichnung des Witzes und zur Aufklärung der Lustwirkung beigemessen wird, seine richtige Stellung anzuweisen. Die zwei festen Punkte in der Bedingtheit des Witzes, seine Tendenz, das lustvolle Spiel durchzusetzen, und seine Bemühung, es vor der Kritik der Vernunft zu schützen, erklären ohne weiteres, warum der einzelne Witz, wenn er für die eine Ansicht unsinnig erscheint, für eine andere sinnvoll oder wenigstens zulässig erscheinen muß. Wie er dies macht, das bleibt die Sache der Witzarbeit; wo es ihm nicht gelungen ist, wird er eben als „Unsinn“ verworfen. Wir haben es aber auch nicht nötig, die Lustwirkung des Witzes aus dem Widerstreit der Gefühle abzuleiten, die aus dem Sinn und gleichzeitigen Unsinn des Witzes, sei es direkt, sei es auf dem Wege der „Verblüffung und Erleuchtung“, hervorgehen. Ebensowenig besteht für uns eine Nötigung, der Frage näher zu treten, wieso Lust aus der Abwechslung des für-sinnlos-Haltens und für-sinnreich-Erkennens des Witzes hervorgehen könne. Die Psychogenese des Witzes hat uns belehrt, daß die Lust des Witzes aus dem Spiel mit Worten oder aus der Entfesselung des Unsinns stammt, und daß der Sinn des Witzes nur dazu bestimmt ist, diese Lust gegen die Aufhebung durch die Kritik zu schützen.

§ 574

Somit wäre das Problem des wesentlichen Charakters des Witzes bereits am Scherz erklärt. Wir dürfen uns der weiteren Entwicklung des Scherzes bis zu deren Höhe im tendenziösen Witz zuwenden. Der Scherz stellt noch die Tendenz voran, uns Vergnügen zu bereiten, und begnügt sich damit, daß seine Aussage nicht unsinnig oder völlig gehaltlos erscheine. Wenn diese Aussage selbst eine gehalt- und wertvolle ist, wandelt sich der Scherz zum Witz. Ein Gedanke, der unseres Interesses würdig gewesen wäre auch in schlichtester Form ausgedrückt, ist nun in eine Form gekleidet, die an und für sich unser Wohlgefallen erregen muß.*)*) Gewiß ist eine solche Vergesellschaftung nicht ohne Absicht zu stande gekommen, müssen wir denken und werden uns bemühen, die der Bildung des Witzes zu Grunde liegende Absicht zu erraten. Eine bereits früher, wie beiläufig gemachte Beobachtung wird uns auf die Spur führen. Wir haben oben bemerkt, daß ein guter Witz uns sozusagen einen Gesamteindruck von Wohlgefallen macht, ohne daß wir im stande wären, unmittelbar zu unterscheiden, welcher Anteil der Lust von der witzigen Form, welcher von dem trefflichen Gedankeninhalt herrührt (S. 77). Wir täuschen uns beständig über diese Aufteilung, überschätzen das eine Mal die Güte des Witzes infolge unserer Bewunderung für den in ihm enthaltenen Gedanken, bald umgekehrt den Wert des Gedankens wegen des Vergnügens, das uns die witzige Einkleidung bereitet. Wir wissen nicht, was uns Vergnügen macht, und worüber wir lachen. Diese als tatsächlich anzunehmende Unsicherheit unseres Urteils mag das Motiv für die Bildung des Witzes im eigentlichen Sinne abgegeben haben. Der Gedanke sucht die Witzverkleidung, weil er durch sie sich unserer Aufmerksamkeit empfiehlt, uns bedeutsamer, wertvoller erscheinen kann, vor allem aber, weil dieses Kleid unsere Kritik besticht und verwirrt. Wir haben die Neigung, dem Gedanken zu gute zu schreiben, was uns an der witzigen Form gefallen hat, sind auch nicht mehr geneigt, etwas unrichtig zu finden, was uns Vergnügen bereitet hat, um uns so die Quelle einer Lust zu verschütten. Hat der Witz uns zum Lachen gebracht, so ist übrigens die für die Kritik ungünstigste Disposition in uns hergestellt, denn dann ist uns von einem Punkte aus jene Stimmung aufgezwungen worden, der bereits das Spiel genügt hat, und die zu ersetzen der Witz mit allen Mitteln bemüht war. Wenngleich wir vorhin festgesetzt haben, daß solcher Witz als harmloser, noch nicht tendenziöser, zu bezeichnen sei, werden wir doch nicht verkennen dürfen, daß streng genommen nur der Scherz tendenzlos ist, d. h. allein der Absicht Lust zu erzeugen dient. Der Witz — mag der in ihm enthaltene Gedanke auch tendenzlos sein, also bloß theoretischem Denkinteresse dienen — ist eigentlich nie tendenzlos; er verfolgt die zweite Absicht, den Gedanken durch Vergrößerung zu fördern und ihn gegen die Kritik zu sichern. Er äußert hier wiederum seine ursprüngliche Natur, indem er sich einer hemmenden und einschränkenden Macht, nun dem kritischen Urteil, entgegenstellt.

*) Als Beispiel, welches den Unterschied von Scherz und eigentlichem Witz erkennen läßt, diene das ausgezeichnete Witzwort, mit welchem ein Mitglied des „Bürgerministeriums“ in Österreich die Frage nach der Solidarität des Kabinetts beantwortete: „Wie sollen wir für einander einstehen können, wenn wir einander nicht ausstehen können? Technik: Verwendung des nämlichen Materials mit geringer (gegensätzlicher) Modifikation; der korrekte und treffende Gedanke: Es gibt keine Solidarität ohne persönliches Einvernehmen. Die Gegensätzlichkeit der Modifikation (einstehen—ausstehen) entspricht der vom Gedanken behaupteten Unvereinbarkeit und dient ihr als Darstellung. § 575

Diese erste über die Lusterzeugung hinausgehende Verwendung des Witzes weist den weiteren den Weg. Der Witz ist nun als ein psychischer Machtfaktor erkannt, dessen Gewicht den Ausschlag geben kann, wenn es in diese oder jene Wagschale fällt. Die großen Tendenzen und Triebe des Seelenlebens nehmen ihn für ihre Zwecke in Dienst. Der ursprünglich tendenzlose Witz, der als ein Spiel begann, kommt sekundär in Beziehung zu Tendenzen, denen sich nichts, was im Seelenleben gebildet wird, auf die Dauer entziehen kann. Wir wissen bereits, was er im Dienste der entblößenden, feindseligen, zynischen, skeptischen Tendenz zu leisten vermag. Beim obszönen Witz, welcher aus der Zote hervorgegangen ist, macht er aus dem ursprünglich die sexuelle Situation störenden Dritten einen Bundesgenossen, vor dem das Weib sich schämen muß, indem er ihn durch Mitteilung seines Lustgewinnes besticht. Bei der aggressiven Tendenz verwandelt er den anfänglich indifferenten Zuhörer durch das nämliche Mittel in einen Mithasser oder Mitverächter und schafft dem Feind ein Heer von Gegnern, wo erst nur ein einziger war. Im ersten Falle überwindet er die Hemmungen der Scham und der Wohlanständigkeit durch die Lustprämie, die er bietet; im zweiten aber wirft er wiederum das kritische Urteil um, welches sonst den Streitfall geprüft hätte. Im dritten und vierten Falle, im Dienste der zynischen und skeptischen Tendenz erschüttert er den Respekt vor Institutionen und Wahrheiten, an die der Hörer geglaubt hat, einerseits indem er das Argument verstärkt, ander seits aber, indem er eine neue Art des Angriffs pflegt. Wo das Argument die Kritik des Hörers auf seine Seite zu ziehen sucht, ist der Witz bestrebt, diese Kritik zur Seite zu drängen. Es ist kein Zweifel daß der Witz den psychologisch wirksameren Weg gewählt hat.

§ 576

Bei dieser Übersicht über die Leistungen des tendenziösen Witzes hat sich uns in den Vordergrund gedrängt, was leichter zu sehen ist, die Wirkung des Witzes auf den, der ihn hört. Für das Verständnis bedeutsamer sind die Leistungen, die der Witz im Seelenleben desjenigen vollbringt, der ihn macht, oder, wie man einzig richtig sagen sollte, dem er einfällt. Wir haben schon einmal den Vorsatz gefaßt — und finden hier Anlaß ihn zu erneuern —, daß wir die psychischen Vorgänge des Witzes mit Rücksicht auf ihre Verteilung auf zwei Personen studieren wollen. Vorläufig wollen wir der Vermutung Ausdruck geben, daß der durch den Witz angeregte psychische Vorgang beim Hörer den beim Schöpfer des Witzes in den meisten Fällen nachbildet. Dem äußerlichen Hindernis, welches beim Hörer überwunden werden soll, entspricht eine innere Hemmung beim Witzigen. Zum mindesten ist beim Letzterem die Erwartung des äußerlichen Hindernisses als hemmende Vorstellung vorhanden. In einzelnen Fällen ist das innerliche Hindernis, das durch den tendenziösen Witz überwunden wird, evident; von den Witzen des Herrn N. (S. 87) dürfen wir z. B. annehmen, daß sie nicht nur den Hörern den Genuß der Aggression durch Injurien, sondern vor allem ihm die Produktion derselben ermöglichen. Unter den Arten der innerlichen Hemmung oder Unterdrückung wird eine unseres besonderen Interesses würdig sein, weil sie die weitgehendste ist; sie wird mit dem Namen der „Verdrängung“ bezeichnet und an ihrer Leistung erkannt, daß sie die ihr verfallenen Regungen sowie deren Abkömmlinge vom Bewußtwerden ausschließt. Wir werden hören, daß der tendenziöse Witz selbst aus solchen der Verdrängung unterliegenden Quellen Lust zu entbinden vermag. Läßt sich in solcher Art, wie oben angedeutet wurde, die Überwindung äußerer Hindernisse auf die innerer Hemmungen und Verdrängungen zurückführen, so darf man sagen, daß der tendenziöse Witz den Hauptcharakter der Witzarbeit, Lust frei zu machen durch Beseitigung von Hemmungen am deutlichsten von allen Entwicklungsstufen des Witzes erweist. Er verstärkt die Tendenzen, in deren Dienst er sich stellt, indem er ihnen Hilfen aus unterdrückt gehaltenen Regungen zuführt, oder er stellt sich überhaupt in den Dienst unterdrückter Tendenzen.

§ 577

Man kann gern zugeben, daß dies die Leistungen des tendenziösen Witzes sind, und wird sich doch besinnen müssen, daß man nicht versteht, auf welche Weise ihm diese Leistungen gelingen können. Seine Macht besteht in dem Lustgewinn, den er aus den Quellen des Spieles mit Worten und des befreiten Unsinnes zieht, und wenn man nach den Eindrücken urteilen soll, die man von den tendenzlosen Scherzen empfangen hat, kann man den Betrag dieser Lust unmöglich für so groß halten, daß man ihr die Kraft zur Aufhebung eingewurzelter Hemmungen und Verdrängungen zutrauen könnte. Es liegt hier in der Tat keine einfache Kraftwirkung, sondern ein verwickelteres Auslösungsverhältnis vor. Anstatt den weiten Umweg darzulegen, auf dem ich zur Einsicht in dieses Verhältnis gelangt bin, werde ich es auf kurzem synthetischem Wege darzustellen versuchen.

§ 578

G. Th. Fechner hat in seiner Vorschule der Ästhetik (I. Bd., V) das „Prinzip der ästhetischen Hilfe oder Steigerung“ aufgestellt, das er in folgenden Worten ausführt: „Aus dem widerspruchslosen Zusammentreffen von Lustbedingungen, die für sich wenig leisten, geht ein größeres, oft viel größeres Lustresultat hervor, als dem Lustwerte der einzelnen Bedingungen für sich entspricht, ein größeres, als daß es als Summe der Einzelwirkungen erklärt werden könnte; ja es kann selbst durch ein Zusammentreffen dieser Art ein positives Lustergebnis erzielt, die Schwelle der Lust überstiegen werden, wo die einzelnen Faktoren zu schwach dazu sind; nur daß sie vergleichungsweise mit anderen einen Vorteil der Wohlgefälligkeit spürbar werden lassen müssen.“ *)*) Ich meine, das Thema des Witzes gibt uns nicht viel Gelegenheit, die Richtigkeit dieses Prinzips, das sich an vielen anderen künstlerischen Bildungen erweisen läßt, zu bestätigen. Am Witz haben wir etwas anderes gelernt, was wenigstens in die Nähe dieses Prinzips gehört, daß wir beim Zusammenwirken mehrerer lusterzeugender Faktoren nicht im stande sind, jedem derselben den ihm am Ergebnis wirklich zukommenden Anteil zuzuweisen (siehe S. 77). Mann kann aber die in dem Prinzip der Hilfe angenommene Situation variieren und für diese neuen Bedingungen eine Reihe von Fragestellungen erzielen, die der Beantwortung würdig wären. Was geschieht allgemein, wenn in einer Konstellation Lustbedingungen mit Unlustbedingungen zusammentreffen? Wovon hängt dann das Ergebnis und das Vorzeichen desselben ab? Der Fall des tendenziösen Witzes ist ein spezieller unter diesen Möglichkeiten. Es ist eine Regung oder Strebung vorhanden, welche Lust aus einer bestimmten Quelle entbinden wollte und bei ungehindertem Gewähren auch entbinden würde, außerdem besteht eine andere Strebung, welche dieser Lustentwicklung entgegenwirkt, sie also hemmt oder unterdrückt. Die unterdrückende Strömung muß, wie der Erfolg zeigt, um ein Gewisses stärker sein als die unterdrückte, die darum doch nicht aufgehoben ist.

*) S. 51. Der zweiten Auflage, Leipzig 1897. — Die Hervorhebung ist die Fechner's. § 579

Nun trete eine zweite Strebung hinzu, die aus dem nämlichen Vorgang Lust entbinden würde, wenn auch von anderen Quellen her, die also der unterdrückten gleichsinnig wirkt. Welches kann in solchem Falle der Erfolg sein? Ein Beispiel wird uns besser orientieren, als diese Schematisierung es könnte. Es bestehe die Strebung, eine gewisse Person zu beschimpfen; dieser stehe aber das Anstandsgefühl, die ästhetische Kultur, so sehr im Wege, daß das Schimpfen unterbleiben muß; könnte es z. B. infolge einer veränderten Affektlage oder Stimmung durchbrechen, so würde dieser Durchbruch der schimpfenden Tendenz nachträglich mit Unlust empfunden werden. Das Schimpfen unterbleibt also. Es biete sich aber die Möglichkeit, aus dem Material der zur Beschimpfung dienenden Worte und Gedanken einen guten Witz zu ziehen, also Lust aus anderen Quellen zu entbinden, denen die nämliche Unterdrückung nicht im Wege steht. Doch müßte diese zweite Lustentwicklung unterbleiben, wenn nicht das Schimpfen zugelassen würde; sowie letzteres aber zugelassen wird, ist mit ihm noch die neue Lustentbindung verbunden. Die Erfahrung am tendenziösen Witze zeigt, daß unter solchen Umständen die unterdrückte Tendenz durch die Hilfe der Witzeslust die Stärke bekommen kann, die sonst stärkere Hemmung zu überwinden. Es wird geschimpft, weil damit der Witz ermöglicht ist. Aber das erzielte Wohlgefallen ist nicht nur das vom Witz erzeugte; es ist unvergleichlich größer, um so viel größer als die Witzeslust, daß wir annehmen müssen, es sei der vorhin unterdrückten Tendenz gelungen, sich etwa ganz ohne Abzug durchzusetzen. Unter diesen Verhältnissen wird beim tendenziösen Witz am ausgiebigsten gelacht.

§ 580

Vielleicht werden wir durch die Untersuchung der Bedingungen des Lachens dazu kommen, uns eine anschaulichere Vorstellung von dem Vorgang der Hilfe des Witzes gegen die Unterdrückung zu bilden. Wir sehen aber auch jetzt, daß der Fall des tendenziösen Witzes ein Spezialfall des Prinzips der Hilfe ist. Eine Möglichkeit der Lustentwicklung tritt zu einer Situation hinzu, in welcher eine andere Lustmöglichkeit verhindert ist, so daß diese für sich allein keine Lust ergeben würde; das Ergebnis ist eine Lustentwicklung, die weit größer ist als die der hinzugetretenen Möglichkeit. Letztere hat gleichsam als Verlockungsprämie gewirkt; mit Hilfe eines dargebotenen kleinen Betrages von Lust ist ein sehr großer, sonst schwer zu erreichender gewonnen worden. Ich habe guten Grund zu vermuten, daß dieses Prinzip einer Einrichtung entspricht, die sich auf vielen, fern von einander gelegenen Gebieten des Seelenlebens bewährt, und halte es für zweckmäßig, die zur Auslösung der großen Lustentbindung dienende Lust als Vorlust und das Prinzip als Vorlustprinzip zu bezeichnen.

§ 581

Wir können nun die Formel für die Wirkungsweise des tendenziösen Witzes aussprechen: Er stellt sich in den Dienst von Tendenzen, um vermittels der Witzeslust als Vorlust durch die Aufhebung von Unterdrückungen und Verdrängungen neue Lust zu erzeugen. Wenn wir nun seine Entwicklung überschauen, dürfen wir sagen, daß der Witz seinem Wesen von Anfang an bis zu seiner Vollendung treu geblieben ist. Er beginnt als ein Spiel, um Lust aus der freien Verwendung von Worten und Gedanken zu ziehen. Sowie das Erstarken der Vernunft ihm dieses Spiel mit Worten als sinnlos und mit Gedanken als unsinnig verwehrt, wandelt er sich zum Scherz, um diese Lustquellen festhalten und aus der Befreiung des Unsinns neue Lust gewinnen zu können. Als eigentlicher, noch tendenzloser, Witz leiht er dann Gedanken seine Hilfe und stärkt sie gegen die Anfechtung des kritischen Urteils, wobei ihm das Prinzip der Verwechslung der Lustquellen dienlich ist, und endlich tritt er großen, mit der Unterdrückung kämpfenden Tendenzen bei, um nach dem Prinzip der Vorlust innere Hemmungen aufzuheben. Die Vernunft — das kritische Urteil — die Unterdrückung, dies sind die Mächte, die er der Reihe nach bekämpft; die ursprünglichen Wortlustquellen hält er fest und eröffnet sich von der Stufe des Scherzes an neue Lustquellen durch die Aufhebung von Hemmungen. Die Lust, die er erzeugt, sei sie nun Spiellust oder Aufhebungslust, können wir alle Male von Ersparung an psychischem Aufwand ableiten, falls solche Auffassung nicht dem Wesen der Lust widerspricht und sich noch anderweitig fruchtbar erweist.*)*)

*) Eine kurze nachträgliche Berücksichtigung verdienen noch die Unsinnswitze, die in der Darstellung nicht zu ihrem vollen Recht gelangt sind. Bei der Bedeutung, die unsere Auffassung dem Moment „Sinn im Unsinn“ zugesteht, könnte man versucht sein zu fordern, daß jeder Witz ein Unsinnswitz sein müsse. Dies ist aber nicht notwendig, weil nur das Spiel mit Gedanken unvermeidlich zum Unsinn führt, die andere Quelle der Witzeslust, das Spiel mit Worten, diesen Eindruck nur gelegentlich macht und die mit ihm verbundene Kritik nicht regelmäßig aufruft. Die zweifache Wurzel der Witzeslust — aus dem Spiel mit Worten und aus dem Spiel mit Gedanken, die der wichtigsten Einteilung in Wort- und Gedankenwitzen entspricht —, tritt einer knappen Formulierung allgemeiner Sätze über den Witz als fühlbare Erschwerung entgegen. Das Spielen mit Worten ergibt offenkundige Lust infolge der oben aufgezählten Momente des Erkennens usw. und ist der Unterdrückung infolgedessen nur in geringem Maße unterlegen. Das Spiel mit Gedanken kann durch solche Lust nicht motiviert werden; es ist einer sehr energischen Unterdrückung verfallen, und die Lust, die es liefern kann, ist nur die Lust der aufgehobenen Hemmung; die Witzeslust, kann man demnach sagen, zeige einen Kern von ursprünglicher Spiellust und eine Hülle von Aufhebungslust. — Wir nehmen es natürlich nicht wahr, daß die Lust beim Unsinnswitz daher rührt, daß es uns gelungen ist, einen Unsinn der Unterdrückung zum Trotz frei zu machen, während wir ohne weiteres merken, daß das Spielen mit Worten uns Lust bereitet hat. — Der Unsinn, der im Gedankenwitz stehen geblieben ist, erwirbt sekundär die Funktion, unsere Aufmerksamkeit durch Verblüffung zu spannen, er dient als Verstärkungsmittel für die Wirkung des Witzes, aber nur dann, wenn er aufdringlich ist, so daß die Verblüffung dem Verständnis um ein deutliches Zeitteilchen voraneilen kann. Daß der Unsinn im Witze überdies zur Darstellung eines im Gedanken enthaltenen Urteils verwendet werden kann, ist an den Beispielen S. 44 gezeigt worden. Auch dies ist aber nicht die primäre Bedeutung des Unsinns im Witze. An die Unsinnswitze kann man eine Reihe von witzähnlichen Produktionen anschließen, für die es an einem passenden Namen fehlt, die aber auf die Bezeichnung „witzig scheinender Blödsinn“ Anspruch haben könnten. Es gibt deren ungezählt viele; ich will nur zwei als Proben herausheben: Ein Mann greift bei Tische, als ihm der Fisch serviert wird, zweimal mit beiden Händen in die Mayonnaise und streicht sie sich dann durch die Haare. Vom Nachbar erstaunt angesehen, scheint er seinen Irrtum zu bemerken und entschuldigt sich: Pardon, ich glaubte, es wäre Spinat. Oder: Das Leben ist eine Kettenbrück', sagt der eine. — Wieso? fragt der andere. — Weiß ich? lautet die Antwort. Diese extremen Beispiele wirken dadurch, daß sie die Erwartung des Witzes erwecken, so daß man hinter dem Unsinn den verborgenen Sinn zu finden sich bemüht. Man findet aber keinen, sie sind wirklich Unsinn. Unter jener Vorspiegelung ist es für einen Augenblick ermöglicht geworden, die Lust am Unsinn frei zu machen. Diese Witze sind nicht ganz ohne Tendenz; es sind „Aufsitzer“, sie bereiten dem Erzähler eine gewisse Lust, indem sie den Hörer irreführen und ärgern. Letzterer dämpft dann diesen Ärger durch den Vorsatz, selbst zum Erzähler zu werden. § 582

V. Die Motive des Witzes. — Der Witz als sozialer Vorgang.

§ 583

Von Motiven des Witzes zu reden, schiene überflüssig, da die Absicht Lust zu gewinnen als genügendes Motiv der Witzarbeit anerkannt werden muß. Es ist aber einerseits nicht ausgeschlossen, daß nicht noch andere Motive sich an der Produktion des Witzes beteiligen, und anderseits muß mit Hinblick auf gewisse bekannte Erfahrungen das Thema der subjektiven Bedingtheit des Witzes überhaupt aufgestellt werden.

§ 584

Zwei Tatsachen fordern vor allem dazu auf. Obwohl die Witzarbeit ein vortrefflicher Weg ist, um aus den psychischen Vorgängen Lust zu gewinnen, so sieht man doch, daß nicht alle Menschen in gleicher Weise fähig sind, sich dieses Mittels zu bedienen. Die Witzarbeit steht nicht allen zu Gebote, und in ausgiebigem Maße überhaupt nur wenigen Personen, von denen man in auszeichnender Weise aussagt, sie haben Witz. „Witz“ erscheint hier als eine besondere Fähigkeit etwa im Range der alten „Seelenvermögen“, und diese erweist sich in ihrem Auftreten als ziemlich unabhängig von den anderen: Intelligenz, Phantasie, Gedächtnis usw. Bei den witzigen Köpfen sind also besondere Anlagen oder psychische Bedingungen vorauszusetzen, welche die Witzarbeit gestatten oder begünstigen.

§ 585

Ich fürchte, daß wir es in der Ergründung dieses Themas nicht besonders weit bringen werden. Es gelingt uns nur hie und da, von dem Verständnis eines einzelnen Witzes aus zur Kenntnis der subjektiven Bedingungen in der Seele dessen, der den Witz gemacht hat, vorzudringen. Ganz zufällig trifft es sich, daß gerade das Beispiel von Witz, an welchem wir unsere Untersuchungen über die Witztechnik begonnen haben, uns auch einen Einblick in die subjektive Bedingtheit des Witzes gestattet. Ich meine den Witz von Heine, der auch bei Heymans und Lipps Aufmerksamkeit gefunden hat:

§ 586

„ . . . Ich saß neben Salomon Rothschild, und er behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.“ (Bäder von Lucca.)

§ 587

Dieses Wort hat Heine einer komischen Person in den Mund gelegt, dem Hirsch-Hyacinth, Kollekteur, Operateur und Taxator aus Hamburg, Kammerdiener bei dem vornehmen Baron Cristoforo Gumpelino (vormals Gumpel). Der Dichter empfindet offenbar großes Wohlgefallen an diesem seinem Geschöpf, denn er läßt Hirsch-Hyacinth das große Wort führen und ihn die amüsantesten und freimütigsten Äußerungen vorbringen; er leiht ihm geradezu die praktische Weisheit eines Sancho Pansa. Man muß bedauern, daß Heine, der dramatischer Gestaltung, wie es scheint, nicht zuneigte, die köstliche Figur so bald wieder fallen läßt. An nicht wenigen Stellen will es uns scheinen, als spräche aus Hirsch-Hyacinth der Dichter selbst hinter einer dünnen Maske, und bald erlangen wir die Gewißheit, daß diese Person nur eine Selbstparodie des Dichters ist. Hirsch berichtet über die Gründe, weshalb er seinen früheren Namen abgelegt und sich jetzt Hyacinth heiße. „Dazu habe ich noch den Vorteil,“ setzt er fort, „daß schon ein H. auf meinem Petschaft steht, und ich mir kein neues stechen zu lassen brauche.“ Dieselbe Ersparnis hatte aber Heine selbst, als er bei seiner Taufe seinen Vornamen „Harry“ gegen „Heinrich“ eintauschte. Nun muß jeder, dem des Dichters Lebensgeschichte bekannt ist, sich erinnern, daß Heine in Hamburg, wohin auch die Person des Hirsch-Hyacinth weist, einen Onkel des gleichen Namens besaß, der als der reiche Mann in der Familie die größte Rolle in seinem Leben spielte. Der Onkel hieß auch — Salomon, ganz wie der alte Rothschild, der den armen Hirsch so famillionär aufgenommen. Was im Munde des Hirsch-Hyacinth ein bloßer Scherz schien, zeigt bald einen Hintergrund ernsthafter Bitterkeit, wenn wir es dem Neffen Harry-Heinrich zuschieben. Er gehörte doch zur Familie, ja wir wissen, es war sein heißer Wunsch, eine Tochter dieses Onkels zu heiraten, aber die Cousine wies ihn ab, und der Onkel behandelte ihn immer etwas „famillionär“, als armen Verwandten. Die reichen Vettern in Hamburg nahmen ihn nie als voll; ich erinnere mich der Erzählung einer eigenen alten Tante, die durch Heirat in die Familie Heine gekommen war, daß sie eines Tages als schöne junge Frau einen Sitznachbar an der Familientafel fand, der ihr unappetitlich schien, und gegen den die anderen sich geringschätzig benahmen. Sie fühlte sich nicht veranlaßt, herablassender gegen ihn zu sein; erst viele Jahre später erkannte sie, daß der nachlässige und vernachlässigte Vetter der Dichter Heinrich Heine gewesen war. Wie sehr Heine unter dieser Ablehnung seiner reichen Verwandten in seiner Jugendzeit und später gelitten, dürfte aus mancherlei Zeugnissen bekannt sein. Auf dem Boden solcher subjektiven Ergriffenheit ist dann der Witz „famillionär“ erwachsen.

§ 588

Auch bei manchen anderen Witzen des großen Spötters könnte man ähnliche subjektive Bedingungen vermuten, aber ich weiß kein Beispiel mehr, an dem man solche in ähnlich überzeugender Weise klar legen könnte; und es ist darum mißlich, über die Natur dieser persönlichen Bedingungen etwas Genaueres aussagen zu wollen; auch wird man ja von vorne herein nicht geneigt sein, für jeden Witz ähnlich komplizierte Entstehungsbedingungen in Anspruch zu nehmen. An den witzigen Produktionen anderer berühmter Männer wird uns die gesuchte Einsicht eben nicht leichter zugänglich; man bekommt etwa den Eindruck, daß die subjektiven Bedingungen der Witzarbeit denen der neurotischen Erkrankung oft nicht ferne liegen, wenn man z. B. über Lichtenberg erfährt, daß er ein schwer hypochondrischer, mit allerlei Sonderbarkeiten behafteter Mensch war. Die größte Mehrzahl der Witze, besonders der immer neu bei den Anlässen des Tages produzierten, ist anonym im Umlaufe; man könnte neugierig fragen, was für Leute es sind, auf die solche Produktion sich zurückführt. Hat man als Arzt die Gelegenheit, eine der Personen kennen zu lernen, die, obwohl sonst nicht hervorragend, doch in ihrem Kreise als Witzbolde und Urheber vieler gangbarer Witze bekannt sind, so kann man von der Entdeckung überrascht werden, daß dieser witzige Kopf eine zwiespältige und zu nervösen Erkrankungen disponierte Persönlichkeit ist. Die Unzulänglichkeit der Dokumente wird uns aber sicherlich abhalten, eine solche psychoneurotische Konstitution als regelmäßige oder notwendige subjektive Bedingung der Witzbildung aufzustellen.

§ 589

Einen durchsichtigeren Fall ergeben wiederum die Judenwitze, die, wie schon erwähnt, durchwegs von Juden selbst gemacht worden sind, während die Judengeschichten anderer Herkunft sich fast nie über das Niveau des komischen Schwankes oder der brutalen Verhöhnung erheben (S. 95). Die Bedingung der Selbstbeteiligung scheint sich hier wie bei Heine's Witz „famillionär“ herauszustellen und deren Bedeutung darin zu liegen, daß der Person die Kritik oder Aggression direkt erschwert und nur auf Umwegen ermöglicht wird.

§ 590

Andere subjektive Bedingungen oder Begünstigungen der Witzarbeit sind weniger in Dunkel gehüllt. Die Triebfeder der Produktion harmloser Witze ist nicht selten der ehrgeizige Drang, seinen Geist zu zeigen, sich darzustellen, ein der Exhibition auf sexuellem Gebiete gleichzusetzender Trieb. Das Vorhandensein zahlreicher gehemmter Triebe, deren Unterdrückung einen gewissen Grad von Labilität bewahrt hat, wird für die Produktion des tendenziösen Witzes die günstigste Disposition ergeben. So können insbesondere einzelne Komponenten der sexuellen Konstitution eines Menschen als Motive der Witzbildung auftreten. Eine ganze Reihe von obszönen Witzen läßt den Schluß auf eine versteckte Exhibitionsneigung ihrer Urheber zu; die tendenziösen Witze der Aggression gelingen denen am besten, in deren Sexualität eine mächtige sadistische Komponente, im Leben mehr oder weniger gehemmt, nachweisbar ist.

§ 591

Die zweite Tatsache, die zur Untersuchung der subjektiven Bedingtheit des Witzes auffordert, ist die allgemeine bekannte Erfahrung, daß sich niemand begnügen kann, einen Witz für sich allein gemacht zu haben. Mit der Witzarbeit ist der Drang zur Mitteilung des Witzes unabtrennbar verbunden; ja dieser Drang ist so stark, daß er sich oft genug mit Hinwegsetzung über wichtige Bedenken verwirklicht. Auch beim Komischen gewährt die Mitteilung an eine andere Person Genuß; aber sie ist nicht gebieterisch, man kann das Komische, wo man darauf stößt, allein genießen. Den Witz hingegen ist man genötigt mitzuteilen; der psychische Vorgang der Witzbildung scheint mit dem Einfallen des Witzes nicht abgeschlossen; es bleibt etwas übrig, das durch die Mitteilung des Einfalls den unbekannten Vorgang der Witzbildung zum Abschlusse bringen will.

§ 592

Wir können zunächst nicht erraten, wodurch der Trieb zur Mitteilung des Witzes begründet sein mag. Aber wir bemerken am Witz eine andere Eigentümlichkeit, die ihn wiederum vom Komischen unterscheidet. Wenn mir das Komische begegnet, so kann ich selbst herzlich darüber lachen; es freut mich allerdings auch, wenn ich durch die Mitteilung desselben einen anderen zum Lachen bringe. Über den Witz, der mir eingefallen ist, den ich gemacht habe, kann ich nicht selbst lachen, trotz des unverkennbaren Wohlgefallens, das ich am Witz empfinde. Es ist möglich, daß mein Bedürfnis nach Mitteilung des Witzes an einen anderen mit diesem mit selbst versagten, beim anderen aber manifesten Lacheffekt des Witzes irgendwie zusammenhängt.

§ 593

Warum lache ich nun nicht über meinen eigenen Witz? Und welches ist dabei die Rolle des anderen?

§ 594

Wenden wir uns zuerst der letzteren Frage zu. Beim Komischen kommen im allgemeinen zwei Personen in Betracht, außer meinem Ich die Person, an der ich das Komische finde; wenn mir Gegenstände komisch erscheinen, geschieht dies durch eine in unserem Vorstellungsleben nicht seltene Art von Personifizierung. Mit diesen beiden Personen, dem Ich und der Objektperson begnügt sich der komische Vorgang; eine dritte Person kann hinzukommen, wird aber nicht erfordert. Der Witz als ein Spiel mit den eigenen Worten und Gedanken entbehrt zunächst einer Objektperson, aber schon auf der Vorstufe des Scherzes verlangt er, wenn es ihm gelungen ist, Spiel und Unsinn gegen die Einrede der Vernunft sicherzustellen, nach einer anderen Person, welcher er sein Ergebnis mitteilen kann. Diese zweite Person beim Witze entspricht aber nicht der Objektperson, sondern der dritten Person, dem Anderen bei der Komik. Es scheint, daß beim Scherz der anderen Person die Entscheidung übertragen wird, ob die Witzarbeit ihre Aufgabe erfüllt hat, als ob das Ich sich seines Urteils darüber nicht sicher wüßte. Auch der harmlose, den Gedanken verstärkende Witz bedarf des Anderen, um zu erproben, ob er seine Absicht erreicht hat. Begibt sich der Witz in den Dienst entblößender oder feindseliger Tendenzen, so kann er als psychischer Vorgang zwischen drei Personen beschrieben werden, welche die nämlichen sind wie bei der Komik, aber die Rolle der dritten Person ist eine andere dabei; der psychische Vorgang des Witzes vollendet sich zwischen der ersten, dem Ich, und der dritten, der fremden Person, nicht wie beim Komischen zwischen dem Ich und der Objektperson.

§ 595

Auch bei der dritten Person des Witzes stößt der Witz auf subjektive Bedingungen, die das Ziel der Lusterregung unerreichbar machen können. Wie Shakespeare mahnt (Love's Labour's lost, V., 2):

" § 596

„A jest's prosperity lies in the ear of him that hears it, never in the tongue of him that makes it . . .“

"
§ 597

Wen eine an ernste Gedanken geknüpfte Stimmung beherrscht, der ist ungeeignet, dem Scherz zu bestätigen, daß es ihm geglückt ist, die Wortlust zu retten. Er muß selbst in heiterer oder wenigstens in indifferenter Stimmungslage sein, um für den Scherz die dritte Person abzugeben. Dasselbe Hindernis setzt sich für den harmlosen und für den tendenziösen Witz fort; bei letzterem tritt aber als neues Hindernis der Gegensatz zur Tendenz auf, welcher der Witz dienen will. Die Bereitschaft über einen ausgezeichneten obszönen Witz zu lachen, kann sich nicht einstellen, wenn die Entblößung eine hoch gehaltene Angehörige der dritten Person betrifft; in einer Versammlung von Pfarrern und Pastoren dürfte niemand wagen, die Heine'schen Vergleiche katholischer und protestantischer Pfaffen mit Kleinhändlern und Angestellten einer Großhandlung vorzubringen, und vor einem Parterre von ergebenen Freunden meines Gegners würden die witzigsten Invektiven, die ich gegen ihn vorbringen kann, nicht als Witze sondern als Invektiven zur Geltung kommen, Entrüstung und nicht Lust bei den Hörern erzeugen. Ein Grad von Geneigtheit oder eine gewisse Indifferenz, die Abwesenheit aller Momente, welche starke, der Tendenz gegnerische Gefühle hervorrufen können, ist unerläßliche Bedingung, wenn die dritte Person zur Vollendung des Witzvorganges mitwirken soll.

§ 598

Wo solche Hindernisse für die Wirkung des Witzes entfallen, da tritt das Phänomen auf, dem nun unsere Untersuchung gilt, daß die Lust, welche der Witz bereitet hat, sich an der dritten Person deutlicher erweist als an dem Urheber des Witzes. Wir müssen uns begnügen zu sagen: deutlicher, wo wir geneigt wären zu fragen, ob die Lust des Hörers nicht intensiver ist als die des Witzbildners, weil uns wie begreiflich die Mittel zur Abmessung und Vergleichung fehlen. Wir sehen aber, daß der Hörer seine Lust durch explosives Lachen bezeugt, nachdem die erste Person den Witz meist mit ernsthaft gespannter Miene vorgebracht hat. Wenn ich einen Witz weiter erzähle, den ich selbst gehört habe, muß ich, um seine Wirkung nicht zu verderben, mich bei der Erzählung genau so benehmen wie jener, der ihn gemacht hat. Es ist nun die Frage, ob wir aus dieser Bedingtheit des Lachens über den Witz Rückschlüsse auf den psychischen Vorgang bei der Witzbildung ziehen können.

§ 599

Es kann nun nicht unsere Absicht sein, hier alles in Betracht zu ziehen, was über die Natur des Lachens behauptet und veröffentlicht worden ist. Von solchem Vorhaben mag uns der Satz abschrecken, den Dugas, ein Schüler Ribot's, an die Spitze seines Buches „Psychologie du rire“ (1902) gestellt hat. „Il n'est pas de fait plus banal et plus étudié que le rire; il n'en est pas qui ait en le don d'exciter davantage la curiosité du vulgaire et celle des philosophes; il n'en est pas sur lequel on ait recueilli plus d'observations et bâti plus de théories, et avec cela il n'en est pas qui demeure plus inexpliqué, on serait tenté de dire avec les sceptiques qu'il faut être content de rire et de ne pas chercher a savoir pourquoi on rit, d'autant que peut-être le réflexion tue le rire, et qu'il serait alors contradictoire qu'elle en découvrît les causes“ (S. 1).

§ 600

Hingegen werden wir es uns nicht entgehen lassen, eine Ansicht über den Mechanismus des Lachens für unsere Zwecke zu verwerten, die sich in unseren eigenen Gedankenkreis vortrefflich einfügt. Ich meine den Erklärungsversuch von H. Spencer in seinem Aufsatze „Physiology of Laughter“.*)*)

§ 601

Nach Spencer ist das Lachen ein Phänomen der Abfuhr seelischer Erregung und ein Beweis dafür, daß die psychische Verwendung dieser Erregung plötzlich auf ein Hindernis gestoßen ist. Die psychologische Situation, die in Lachen ausläuft, schildert er in den folgenden Worten „Laughter naturally results only when consciousness is unawares transferred from great things to small — only when there is what me may call a descending incongruity.“**)**)

§ 602

In ganz ähnlichem Sinne bezeichnen französische Autoren (Dugas) das Lachen als eine „détente“, eine Erscheinung der Entspannung, und auch die Formel A. Bain's: „Laughter a relief from restraint“ scheint mir von der Auffassung Spencer's weit weniger abzustehen, als manche Autoren uns glauben machen wollen.

§ 603

Wir empfinden allerdings das Bedürfnis, den Gedanken Spencer's zu modifizieren und die in ihm enthaltenen Vorstellungen zum Teil bestimmter zu fassen, zum Teil abzuändern. Wir würden sagen, das Lachen entstehe, wenn ein früher zur Besetzung gewisser psychischer Wege verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist, so daß er freie Abfuhr erfahren kann. Wir sind uns klar darüber, welchen „übeln Schein“ wir bei solcher Aufstellung auf uns laden, aber wir wagen es aus der Schrift von Lipps über Komik und Humor, aus welcher Aufklärung über mehr als nur über Komik und Humor zu holen ist, zu unserer Deckung den trefflichen Satz zu zitieren: „Schließlich führen psychologische Einzelprobleme immer ziemlich tief in die Psychologie hinein, so daß im Grunde kein psychologisches Problem isoliert sich behandeln läßt“ (S. 71). Die Begriffe „psychische Energie“, „Abfuhr“ und die Behandlung der psychischen Energie als einer Quantität sind mir zur Denkgewohnheit geworden, seitdem ich begonnen habe, mir die Tatsachen der Psychopathologie philosophisch zurechtzulegen, und bereits in meiner „Traumdeutung“ (1900) habe ich gleichsinnig mit Lipps die an sich unbewußten psychischen Vorgänge, und nicht die Bewußtseinsinhalte als das „eigentlich psychisch Wirkungsfähige“ hinzustellen versucht.*)*) Nur wenn ich von der „Besetzung psychischer Wege“ rede, scheine ich mich von den bei Lipps gebräuchlichen Gleichnissen zu entfernen. Die Erfahrungen über die Verschiebbarkeit der psychischen Energie längs gewisser Assoziationsbahnen und über die fast unverwüstliche Erhaltung der Spuren psychischer Vorgänge haben es mir in der Tat nahe gelegt, eine solche Verbildlichung für das Unbekannte zu versuchen. Um dem Mißverständnis auszuweichen, muß ich hinzufügen, daß ich keinen Versuch mache, Zellen und Fasern oder die heute ihre Stelle einnehmenden Neuronsysteme als diese psychischen Wege zu proklamieren, wenngleich solche Wege in noch nicht angebbarer Weise durch organische Elemente des Nervensystems darstellbar sein müßten.

*) H. Spencer, The physiology of laughter (first published in Macmillans Magazine for March 1860), Essays II. Bd., 1901. **) Verschiedene Punkte dieser Bestimmung würden bei einer Untersuchung über die komische Lust eine eingehende Prüfung verlangen, die bereits von anderen Autoren vorgenommen worden ist und jedenfalls nicht auf unserem Wege liegt. — In der Erklärung, warum die Abfuhr gerade jene Wege findet, deren Erregung das somatische Bild des Lachens ergibt, scheint mir Spencer nicht glücklich gewesen zu sein. Zu dem vor und seit Darwin ausführlich behandelten aber immer noch nicht endgültig erledigten Thema der physiologischen Aufklärung des Lachens, also der Ableitung oder Deutung der für das Lachen charakteristischen Muskelaktionen, möchte ich einen einzigen Beitrag liefern. Meines Wissens tritt die für das Lächeln bezeichnende Grimasse der Mundwinkelverziehung zuerst beim befriedigten und übersättigten Säugling auf, wenn er eingeschläfert die Brust fahren läßt. Sie ist dort eine richtige Ausdrucksbewegung, da sie dem Entschluß keine Nahrung mehr aufzunehmen entspricht, gleichsam ein „Genug“ oder vielmehr „Übergenug“ darstellt. Dieser ursprüngliche Sinn der lustvollen Übersättigung mag dem Lächeln, welches ja das Grundphänomen des Lachens bleibt, die spätere Beziehung zu den lustvollen Abfuhrvorgängen verschafft haben. § 604

Beim Lachen sind also nach unserer Annahme die Bedingungen dafür gegeben, daß eine bisher zur Besetzung verwendete Summe psychischer Energie der freien Abfuhr unterliege, und da zwar nicht jedes Lachen, aber doch gewiß das Lachen über den Witz ein Anzeichen von Lust ist, werden wir geneigt sein, diese Lust auf die Aufhebung der bisherigen Besetzung zu beziehen. Wenn wir sehen, daß der Hörer des Witzes lacht, der Schöpfer desselben nicht lachen kann, darf uns dies soviel besagen als, daß beim Hörer ein Besetzungsaufwand aufgehoben und abgeführt wird, während sich bei der Witzbildung entweder in der Aufhebung oder in der Abfuhrmöglichkeit Hemmnisse ergeben. Den psychischen Vorgang beim Hörer, bei der dritten Person des Witzes, kann man kaum treffender charakterisieren, als wenn man hervorhebt, daß er die Lust des Witzes mit sehr geringem eigenem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt. Die Worte des Witzes, die er hört, lassen in ihm notwendig jene Vorstellung oder Gedankenverbindung entstehen, deren Bildung auch bei ihm so große innere Hindernisse entgegenstanden. Er hätte eigene Bemühung anwenden müssen, um sie spontan als erste Person zu stande zu bringen, mindestens soviel psychischen Aufwand daran setzen müssen, als der Stärke der Hemmung, Unterdrückung oder Verdrängung derselben entspricht. Diesen psychischen Aufwand hat er sich erspart; nach unseren früheren Erörterungen (v. S. 101) würden wir sagen, seine Lust entspreche dieser Ersparung. Nach unserer Einsicht in den Mechanismus des Lachens werden wir vielmehr sagen, die zur Hemmung verwendete Besetzungsenergie sei nun durch die Herstellung der verpönten Vorstellung auf dem Wege der Gehörswahrnehmung plötzlich überflüssig geworden, aufgehoben und darum zur Abfuhr durch das Lachen bereit. Im wesentlichen laufen beide Darstellungen auf das gleiche hinaus, denn der ersparte Aufwand entspricht genau der überflüssig gewordenen Hemmung. Anschaulicher ist aber die letztere Darstellung, denn sie gestattet uns zu sagen, der Hörer des Witzes lache mit dem Betrag von psychischer Energie, der durch die Aufhebung der Hemmungsbesetzung frei geworden ist; er lache diesen Betrag gleichsam ab.

*) Vgl. die Abschnitte in dem zitierten Buch von Lipps, Kap. VIII. „Über die psychische Kraft“ u. s. f. (Dazu „Traumdeutung“, VIII.) — „Es gilt also der allgemeine Satz: Die Faktoren des psychischen Lebens sind nicht die Bewußtseinsinhalte, sondern die an sich unbewußten psychischen Vorgänge. Die Aufgabe der Psychologie, falls sie nicht bloß Bewußtseinsinhalte beschreiben will, muß dann darin bestehen, aus der Beschaffenheit der Bewußtseinsinhalte und ihres zeitlichen Zusammenhanges die Natur dieser unbewußten Vorgänge zu erschließen. Die Psychologie muß sein eine Theorie dieser Vorgänge. Eine solche Psychologie wird aber sehr bald finden, daß es gar mancherlei Eigenschaften dieser Vorgänge gibt, die in den entsprechenden Bewußtseinsinhalten nicht repräsentiert sind.“ (Lipps, l. c. S. 123.) § 605

Wenn die Person, bei der der Witz sich bildet, nicht lachen kann, so deute dies, sagten wir eben, auf eine Abweichung vom Vorgang bei der dritten Person, der entweder die Aufhebung der Hemmungsbesetzung oder die Abfuhrmöglichkeit derselben betrifft. Aber der erstere der beiden Fälle ist unzutreffend, wie wir sofort einsehen müssen. Die Hemmungsbesetzung muß auch bei der ersten Person aufgehoben worden sein, sonst wäre ja kein Witz geworden, dessen Bildung ja einen solchen Widerstand zu überwinden hatte. Auch wäre es unmöglich, daß die erste Person die Witzeslust empfände, die wir ja von der Aufhebung der Hemmung ableiten mußten. Es erübrigt also nur der andere Fall, daß die erste Person nicht lachen kann, obwohl sie Lust empfindet, weil die Abfuhrmöglichkeit gestört ist. Eine solche Störung in der Ermöglichung der Abfuhr, welche fürs Lachen Bedingung ist, kann sich daraus ergeben, daß die frei gewordene Besetzungsenergie sofort einer anderen endopsychischen Verwendung zugeführt wird. Es ist gut, daß wir auf diese Möglichkeit aufmerksam geworden sind; wir werden ihr alsbald weiteres Interesse zuwenden. Bei der ersten Person des Witzes kann aber eine andere Bedingung, die zum gleichen Ergebnis führt, verwirklicht sein. Es ist vielleicht überhaupt kein äußerungsfähiger Betrag von Energie frei geworden, trotz der erfolgten Aufhebung der Hemmungsbesetzung. Bei der ersten Person des Witzes geht ja die Witzarbeit vor sich, die einem gewissen Betrag von neuem psychischen Aufwand entsprechen muß. Die erste Person bringt also die Kraft selbst auf, welche die Hemmung aufhebt; daraus resultiert für sie sicherlich ein Lustgewinn, im Falle des tendenziösen Witzes sogar ein sehr erheblicher, da die durch die Witzarbeit gewonnene Vorlust selbst die weitere Hemmungsaufhebung übernimmt, aber der Aufwand der Witzarbeit zieht sich in jedem Falle von dem Gewinn bei der Aufhebung der Hemmung ab, der nämliche Aufwand, welcher beim Hörer des Witzes entfällt. Zur Unterstützung des obenstehenden kann man noch anführen, daß der Witz auch bei der dritten Person seinen Lacheffekt einbüßt, sobald derselben ein Aufwand von Denkarbeit zugemutet wird. Die Anspielungen des Witzes müssen augenfällige sein, die Auslassungen sich leicht ergänzen; mit der Erweckung des bewußten Denkinteresses ist in der Regel die Wirkung des Witzes unmöglich gemacht. Hierin liegt ein wichtiger Unterschied von Witz und Rätsel. Vielleicht, daß die psychische Konstellation während der Witzarbeit der freien Abfuhr des Gewonnenen überhaupt nicht günstig ist. Wir sind hier wohl nicht in der Lage tiefere Einsicht zu gewinnen; wir haben den einen Teil unseres Problems, warum die dritte Person lacht, besser aufklären können als dessen anderen Teil, warum die erste Person nicht lacht.

§ 606

Immerhin sind wir nun, wenn wir diese Anschauungen über die Bedingungen des Lachens und über den psychischen Vorgang bei der dritten Person fest halten, in die Lage versetzt, uns eine ganze Reihe von Eigentümlichkeiten, die vom Witze bekannt, aber nicht verstanden worden sind, befriedigend aufzuklären. Wenn bei der dritten Person ein der Abfuhr fähiger Betrag von Be setzungsenergie frei gemacht werden soll, so sind mehrere Bedingungen zu erfüllen oder als Begünstigungen erwünscht. 1. Es muß gesichert sein, daß die dritte Person diesen Besetzungsaufwand wirklich macht. 2. Es muß verhütet werden, daß derselbe, wenn frei geworden, eine andere psychische Verwendung finde, anstatt sich zur motorischen Abfuhr zu bieten. 3. Es kann nur von Vorteil sein, wenn die frei zu machende Besetzung bei der dritten Person zuvor noch verstärkt, in die Höhe getrieben wird. Allen diesen Absichten dienen gewisse Mittel der Witzarbeit, die wir etwa als sekundäre oder Hilfstechniken zusammenfassen können.

§ 607

Die erste dieser Bedingungen legt eine der Eignungen der dritten Person als Hörer des Witzes fest. Sie muß durchaus soviel psychische Übereinstimmung mit der ersten Person besitzen, daß sie über die nämlichen inneren Hemmungen verfügt, welche die Witzarbeit bei der ersten überwunden hat. Wer auf Zoten eingestellt ist, der wird von geistreichen, entblößenden Witzen keine Lust ableiten können; die Aggressionen des Herrn N. werden bei Ungebildeten, die gewohnt sind, ihrer Schimpflust freien Lauf zu lassen, kein Verständnis finden. Jeder Witz verlangt so sein eigenes Publikum, und über die gleichen Witze zu lachen ist ein Beweis weitgehender psychischer Übereinstimmung. Wir sind hier übrigens an einem Punkte angelangt, der uns gestattet, den Vorgang bei der dritten Person noch genauer zu erraten. Dieselbe muß die nämliche Hemmung, welche der Witz bei der ersten Person überwunden hat, gewohnheitsmäßig in sich herstellen können, so daß, sobald sie den Witz hört, in ihr die Bereitschaft zu dieser Hemmung zwangsartig oder automatisch erwacht. Diese Hemmungsbereitschaft, die ich als einen wirklichen Aufwand analog einer Mobilmachung im Armeewesen fassen muß, wird gleichzeitig als überflüssig oder als verspätet erkannt und somit in statu nascendi durch Lachen abgeführt.*)*)

§ 608

Die zweite Bedingung für die Herstellung der freien Abfuhr, daß eine andersartige Verwendung der frei gewordenen Energie hintangehalten werde, erscheint als die weitaus wichtigere. Sie gibt die theoretische Aufklärung für die Unsicherheit der Witzwirkung, wenn bei dem Hörer durch den im Witze ausgedrückten Gedanken stark erregende Vorstellungen wachgerufen werden, wobei es dann von der Übereinstimmung oder dem Widerspruch zwischen den Tendenzen des Witzes und der den Hörer beherrschenden Gedankenreihe abhängt, ob dem Witzvorgang die Aufmerksamkeit belassen oder entzogen wird. Von noch größerem theoretischem Interesse sind aber eine Reihe von Hilfstechniken des Witzes, welche offenbar der Absicht dienen, die Aufmerksamkeit des Hörers überhaupt vom Witzvorgang abzuziehen, den letzteren automatisch verlaufen zu lassen. Ich sage absichtlich: automatisch und nicht: unbewußt, weil letztere Bezeichnung irreführend wäre. Es handelt sich hier nur darum, die Mehrbesetzung der Aufmerksamkeit von dem psychischen Vorgang beim Anhören des Witzes fern zu halten, und die Brauchbarkeit dieser Hilfstechniken läßt uns mit Recht vermuten, daß gerade die Aufmerksamkeitsbesetzung an der Überwachung und Neuverwendung von frei gewordener Besetzungsenergie einen großen Anteil hat.

*) Der Gesichtspunkt des Status nascendi ist von Heymans (Zeitschrift für Psychol., XI) in etwas anderem Zusammenhange geltend gemacht worden. § 609

Es scheint überhaupt nicht leicht zu sein, die endopsychische Verwendung entbehrlich gewordener Besetzung zu vermeiden, denn wir sind ja bei unseren Denkvorgängen beständig in der Übung, solche Besetzungen von einem Weg auf den anderen zu verschieben, ohne von deren Energie etwas durch Abfuhr zu verlieren. Der Witz bedient sich hiezu folgender Mittel. Erstens strebt er einen möglichst kurzen Ausdruck an, um der Aufmerksamkeit weniger Angriffspunkte zu bieten. Zweitens hält er die Bedingung der leichten Verständlichkeit ein (vgl. oben); sowie er Denkarbeit in Anspruch nehmen, eine Auswahl unter verschiedenen Gedankenwegen erfordern würde, müßte er die Wirkung nicht nur durch den unvermeidlichen Denkaufwand, sondern auch durch die Erweckung der Aufmerksamkeit gefährden. Außerdem aber bedient er sich des Kunstgriffs, die Aufmerksamkeit abzulenken, indem er ihr im Ausdruck des Witzes etwas darbietet, was sie fesselt, so daß sich unterdes die Befreiung der Hemmungsbesetzung und deren Abfuhr ungestört durch sie vollziehen kann. Bereits die Auslassungen im Wortlaut des Witzes erfüllen diese Absicht; sie regen zur Ausfüllung der Lücken an und bringen es auf diese Weise zu stande, den Witzvorgang von der Aufmerksamkeit zu befreien. Hier wird gleichsam die Technik des Rätsels, welches die Aufmerksamkeit anzieht, in den Dienst der Witzarbeit gestellt. Noch viel wirksamer sind die Fassadenbildungen, die wir zumal bei manchen Gruppen von tendenziösen Witzen gefunden haben (vgl. S. 89). Die syllogistischen Fassaden erfüllen den Zweck, die Aufmerksamkeit durch eine ihr gestellte Aufgabe festzuhalten, in ausgezeichneter Weise. Während wir nachzudenken beginnen, worin wohl diese Antwort gefehlt haben mag, lachen wir bereits; unsere Aufmerksamkeit ist überrumpelt worden, die Abfuhr der frei gewordenen Hemmungsbesetzung ist vollzogen. Das nämliche gilt für die Witze mit komischer Fassade, bei denen die Komik der Witztechnik Hilfsdienste leistet. Eine komische Fassade fördert die Wirkung des Witzes auf mehr als eine Weise, sie ermöglicht nicht nur den Automatismus des Witzvorganges durch die Fesselung der Aufmerksamkeit, sondern erleichtert auch die Abfuhr vom Witz her, indem sie eine Abfuhr vom Komischen her vorausschickt. Die Komik wirkt hier ganz wie eine bestechende Vorlust, und so mögen wir es verstehen, daß manche Witze auf die durch die sonstigen Mittel des Witzes hergestellte Vorlust ganz zu verzichten vermögen und sich nur des Komischen als Vorlust bedienen. Unter den eigentlichen Techniken des Witzes sind es insbesondere die Verschiebung und die Darstellung durch Absurdes, welche außer ihrer sonstigen Eignung auch die für den automatischen Ablauf des Witzvorganges wünschenswerte Ablenkung der Aufmerksamkeit entfalten.*)*)

§ 610

Wir ahnen bereits und werden es späterhin noch besser einsehen können, daß wir mit der Bedingung der Ablenkung der Aufmerksamkeit keinen unwesentlichen Zug des psychischen Vorganges beim Hörer des Witzes aufgedeckt haben. Im Zusammenhange mit diesem können wir noch anderes verstehen. Erstens, wie es kommt, daß wir beim Witz fast niemals wissen, worüber wir lachen, obwohl wir es durch eine analytische Untersuchung feststellen können. Dieses Lachen ist eben das Ergebnis eines automatischen Vorganges, der erst durch die Fernhaltung unserer bewußten Aufmerksamkeit ermöglicht wurde. Zweitens gewinnen wir das Verständnis für die Eigentümlichkeit des Witzes, seine volle Wirkung auf den Hörer nur zu äußern, wenn er ihm neu ist, ihm als Überraschung entgegentritt. Diese Eigenschaft des Witzes, die seine Kurzlebigkeit bedingt und zur Produktion immer neuer Witze auffordert, leitet sich offenbar davon ab, daß es im Wesen einer Überraschung oder Überrumpelung liegt, kein zweites Mal zu gelingen. Bei einer Wiederholung des Witzes wird die Aufmerksamkeit durch die aufsteigende Erinnerung an das erste Mal geleitet. Von hier aus eröffnet sich dann das Verständnis für den Drang, den gehörten Witz anderen, die ihn noch nicht kennen, zu erzählen. Wahrscheinlich holt man sich ein Stück der infolge mangelnder Neuheit entfallenden Genußmöglichkeit aus dem Eindruck wieder, den der Witz auf den Neuling macht. Und ein analoges Motiv mag den Schöpfer des Witzes getrieben zu haben, ihn überhaupt dem anderen mitzuteilen.

*) An einem Beispiel von Verschiebungswitz möchte ich noch einen anderen interessanten Charakter der Witztechnik erörtern. Die geniale Schauspielerin Gallmeyer soll einmal auf die unerwünschte Frage „Wie alt?“, „im Gretchenton und mit verschämtem Augenniederschlag“ geantwortet haben: „In Brünn“. Das ist nun das Muster einer Verschiebung; nach dem Alter gefragt, antwortet sie mit der Angabe ihres Geburtsortes, antizipiert also die nächste Frage und gibt zu verstehen: Diese eine Frage möchte ich übergangen wissen. Und doch fühlen wir, daß der Charakter des Witzes hier nicht ungetrübt zum Ausdruck kommt. Das Abspringen von der Frage ist zu klar, die Verschiebung allzu augenfällig. Unsere Aufmerksamkeit versteht sofort, daß es sich um eine beabsichtigte Verschiebung handelt. Bei den anderen Verschiebungswitzen ist die Verschiebung verhüllt, unsere Aufmerksamkeit wird durch das Bemühen sie festzustellen gefesselt. In einem der Verschiebungswitze (S. 42) „Was mache ich um 1/2 7 Uhr in Preßburg?“ als Antwort auf die Empfehlung des Reitpferdes ist die Verschiebung gleichfalls eine vordringliche, aber zum Ersatz dafür wirkt sie als unsinnig verwirrend auf die Aufmerksamkeit, während wir beim Verhör der Schauspielerin ihre Verschiebungsantwort sofort unterzubringen wissen. — In anderer Richtung weichen vom Witz die sogenannten „Scherzfragen“ ab, die sich sonst der besten Techniken bedienen mögen. Ein Beispiel einer Scherzfrage mit Verschiebungstechnik ist folgendes: Was ist ein Kannibale, der seinen Vater und seine Mutter aufgefressen hat? — Antwort: Waise. — Und wenn er alle seine anderen Verwandten mit dazu gefressen hat? — Universalerbe. — Und wo findet solch ein Scheusal noch Sympathie? — Im Konversationslexikon unter S. Die Scherzfragen sind darum keine vollen Witze, weil die geforderten witzigen Antworten nicht wie die Anspielungen, Auslassungen u. s. w. des Witzes erraten werden können. § 611

Als Begünstigungen, wenn auch nicht mehr als Bedingungen, des Witzvorganges führe ich zu dritt jene technischen Hilfsmittel der Witzarbeit an, welche dazu bestimmt sind, den zur Abfuhr gelangenden Betrag zu erhöhen, und die auf solche Art die Wirkung des Witzes steigern. Dieselben steigern zwar zumeist auch die dem Witz zugewandte Aufmerksamkeit, machen aber deren Einfluß wieder unschädlich, indem sie die Aufmerksamkeit gleichzeitig fesseln und in ihrer Beweglichkeit hemmen. Alles, was Interesse und Verblüffung hervorruft, wirkt nach diesen beiden Richtungen, also vor allem das Unsinnige, der Gegensatz vor allem, der „Vorstellungskontrast“, den manche Autoren zum wesentlichen Charakter des Witzes machen wollten, in dem ich aber nichts anderes als ein Verstärkungsmittel der Wirkung desselben erblicken kann. Alles Verblüffende ruft beim Hörer jenen Zustand der Energieverteilung hervor, den Lipps als „psychische Stauung“ bezeichnet hat, und er hat wohl auch Recht anzunehmen, daß die „Entladung“ um so stärker ausfällt, je höher die vorherige Stauung war. Die Darstellung von Lipps bezieht sich zwar nicht ausdrücklich auf den Witz, sondern auf das Komische überhaupt; aber es kann uns sehr wahrscheinlich vorkommen, daß die Abfuhr beim Witze, welche eine Hemmungsbesetzung entladet, in gleicher Weise durch die Stauung in die Höhe gebracht wird.

§ 612

Es leuchtet uns nun ein, daß die Technik des Witzes überhaupt von zweierlei Tendenzen bestimmt wird, solchen, welche die Bildung des Witzes bei der ersten Person ermöglichen, und anderen, welche dem Witz eine möglichst große Lustwirkung bei der dritten Person gewährleisten sollen. Die Janus-artige Doppelgesichtigkeit des Witzes, welche dessen ursprünglichen Lustgewinn gegen die Anfechtung der kritischen Vernünftigkeit sicher stellt, und der Vorlustmechanismus gehören der ersteren Tendenz an; die weitere Komplikation der Technik durch die in diesem Abschnitt ausgeführten Bedingungen ergeben sich aus der Rücksicht auf die dritte Person des Witzes. Der Witz ist so ein an sich doppelzüngiger Schelm, der gleichzeitig zweien Herren dient. Alles, was auf Lustgewinnung abzielt, ist beim Witz auf die dritte Person berechnet, als ob innere, nicht zu überwindende Hindernisse bei der ersten Person einer solchen im Wege stünden. Man bekommt so den vollen Eindruck von der Unentbehrlichkeit dieser dritten Person für die Vollendung des Witzvorganges. Während wir aber ziemlich guten Einblick in die Natur dieses Vorganges bei der dritten Person gewinnen konnten, verspüren wir, daß der entsprechende Vorgang bei der ersten Person uns noch durch ein Dunkel verhüllt wird. Von den beiden Fragen: Warum können wir über den selbstgemachten Witz nicht lachen? und: Warum sind wir getrieben, den eigenen Witz dem anderen zu erzählen? hat sich die erste bisher unserer Beantwortung entzogen. Wir können nur vermuten, daß zwischen den beiden aufzuklärenden Tatsachen ein inniger Zusammenhang besteht, daß wir darum genötigt sind, unseren Witz dem Anderen mitzuteilen, weil wir selbst über ihn nicht zu lachen vermögen. Aus unseren Einsichten in die Bedingungen der Lustgewinnung und -Abfuhr bei der dritten Person können wir für die erste den Rückschluß ziehen, daß bei ihr die Bedingungen für die Abfuhr fehlen, die für die Lustgewinnung etwa erst unvollständig erfüllt sind. Es ist dann nicht abzuweisen, daß wir unsere Lust ergänzen, indem wir das uns unmögliche Lachen auf dem Umweg über den Eindruck der zum Lachen gebrachten Person erreichen. Wir lachen so gleichsam „par ricochet“, wie Dugas es ausdrückt. Das Lachen gehört zu den im hohen Grade ansteckenden Äußerungen psychischer Zustände; wenn ich den anderen durch die Mitteilung meines Witzes zum Lachen bringe, bediene ich mich seiner eigentlich, um mein eigenes Lachen zu erwecken, und man kann wirklich beobachten, daß, wer zuerst mit ernster Miene den Witz erzählt hat, dann in das Gelächter des anderen mit einer gemäßigten Lache einstimmt. Die Mitteilung meines Witzes an den anderen dürfte also mehreren Absichten dienen, erstens mir die objektive Gewißheit von dem Gelingen der Witzarbeit zu geben, zweitens meine eigene Lust durch die Rückwirkung von diesem anderen auf mich zu ergänzen, drittens — bei der Wiederholung eines nicht selbstproduzierten Witzes — der Lusteinbuße durch Wegfall der Neuheit abzuhelfen.

§ 613

Am Ende dieser Erörterungen über die psychischen Vorgänge des Witzes, insofern sie sich zwischen zwei Personen abspielen, können wir einen Rückblick auf das Moment der Ersparung werfen, welches uns als bedeutsam für die psychologische Auffassung des Witzes seit der ersten Aufklärung über die Technik desselben vorschwebt. Von der nächstliegenden, aber auch einfältigsten Auffassung dieser Ersparung, es handle sich bei ihr um die Vermeidung von psychischem Aufwand überhaupt, wie ihn die möglichste Einschränkung im Gebrauche von Worten und in der Herstellung von Gedankenzusammenhängen mit sich brächte, sind wir längst abgekommen. Wir sagten uns schon damals: Knapp, lakonisch, ist noch nicht witzig. Die Kürze des Witzes ist eine besondere, eben die „witzige“ Kürze. Der ursprüngliche Lustgewinn, den das Spiel mit Worten und Gedanken brachte, rührte allerdings von bloßer Ersparnis an Aufwand her, aber mit der Entwicklung des Spieles zum Witze mußte auch die Spartendenz ihre Ziele verlegen, denn gegen den riesigen Aufwand unserer Denktätigkeit käme, was durch Gebrauch der nämlichen Worte oder Vermeidung einer neuen Gedankenfügung erspart würde, sicherlich nicht in Betracht. Wir dürfen uns wohl den Vergleich der psychischen Ökonomie mit einem Geschäftsbetrieb gestatten. Solange in diesem der Umsatz sehr klein ist, kommt es allerdings darauf an, daß im ganzen wenig verbraucht, die Kosten der Regie auf's äußerste eingeschränkt werden. Die Sparsamkeit geht noch auf die absolute Höhe des Aufwandes. Späterhin, wenn sich der Betrieb vergrößert hat, tritt die Bedeutung der Regiekosten zurück; es liegt nichts mehr daran, zu welcher Höhe sich der Betrag des Aufwandes erhebt, wenn nur Umsatz und Ertrag groß genug gesteigert werden können. Zurückhaltung im Aufwande für den Geschäftsbetrieb wäre kleinlich, ja direkt verlustbringend. Dennoch wäre es unrichtig anzunehmen, bei dem absolut großen Aufwande gäbe es keinen Raum mehr für die Spartendenz. Der zur Ersparung neigende Sinn des Chefs wird sich nun der Sparsamkeit im Einzelnen zuwenden und sich befriedigt fühlen, wenn dieselbe Veranstaltung nun mit geringeren Kosten besorgt werden kann, die vorher größere Kosten zu verursachen pflegte, so gering auch die Ersparnis zur Höhe des Gesamtaufwandes erscheinen mag. In ganz analoger Weise bleibt auch in unserem komplizierten psychischen Betrieb die detaillierte Ersparung eine Quelle der Lust, wie alltägliche Vorkommnisse uns zeigen können. Wer früher in seinem Zimmer eine Gaslampe brennen hatte und sich nun auf elektrisches Licht eingerichtet hat, der wird eine ganze Zeit lang ein deutliches Lustgefühl verspüren, wenn er den elektrischen Hahn umlegt, so lange nämlich, als in jenem Moment die Erinnerung in ihm lebendig wird an die komplizierten Verrichtungen, die zur Entzündung der Gaslampe erforderlich waren. Ebenso werden die im Vergleich zum psychischen Gesamtaufwand geringfügigen Ersparungen an psychischem Hemmungsaufwand, die der Witz zu stande bringt, eine Quelle der Lust für uns bleiben, weil durch sie ein einzelner Aufwand erspart wird, den wir zu machen gewohnt sind, und den wir auch diesmal zu machen schon in Bereitschaft waren. Das Moment, daß der Aufwand ein erwarteter, vorbereiteter ist, tritt unverkennbar in den Vordergrund.

§ 614

Eine lokalisierte Ersparung, wie die eben betrachtete, wird nicht verfehlen uns momentane Lust zu bereiten, aber eine dauernde Erleichterung wird durch sie nicht herbeigeführt, solange das hier Ersparte an anderer Stelle zur Verwendung kommen kann. Erst wenn diese anderweitige Verfügung vermieden werden kann, wandelt sich die spezielle Ersparung wieder in eine allgemeine Erleichterung des psychischen Aufwandes um. So tritt für uns mit besserer Einsicht in die psychischen Vorgänge des Witzes das Moment der Erleichterung an die Stelle der Ersparung. Erstere ergibt offenbar das größere Lustgefühl. Der Vorgang bei der ersten Person des Witzes erzeugt Lust durch Aufhebung von Hemmung, Verringerung des lokalen Aufwandes; er scheint nun nicht eher zur Ruhe zu kommen, als bis er durch die Vermittlung der eingeschobenen dritten Person die allgemeine Erleichterung durch die Abfuhr erzielt hat.

§ 615

C. Theoretischer Teil.

§ 616

VI. Die Beziehung des Witzes zum Traum und zum Unbewußten.

§ 617

Zu Ende des Abschnittes, der sich mit der Aufdeckung der Witztechnik beschäftigte, haben wir (S. 73) ausgesprochen, daß die Vorgänge der Verdichtung mit und ohne Ersatzbildung, der Verschiebung, der Darstellung durch Widersinn, durch das Gegenteil, der indirekten Darstellung u. a., welche wir an der Herstellung des Witzes beteiligt fanden, eine sehr weitgehende Übereinstimmung mit den Vorgängen der „Traumarbeit“ zeigen, und haben uns vorbehalten, einerseits diese Ähnlichkeiten sorgfältiger zu studieren, anderseits das Gemeinsame von Witz und Traum, welches sich solcher Art anzudeuten scheint, zu erforschen. Die Ausführung dieser Vergleichung wäre uns sehr erleichtert, wenn wir das eine der Verglichenen — die „Traumarbeit“ — als bekannt annehmen dürften. Wir tun aber wahrscheinlich besser daran, diese Annahme nicht zu machen; ich habe den Eindruck empfangen, als ob meine im Jahre 1900 veröffentlichte „Traumdeutung“ mehr „Verblüffung“ als „Erleuchtung“ bei den Fachgenossen hervorgerufen hätte, und weiß, daß weitere Leserkreise sich damit begnügt haben, den Inhalt des Buches auf ein Schlagwort („Wunscherfüllung“) zu reduzieren, das sich leicht behalten und bequem mißbrauchen läßt.

§ 618

In der fortgesetzten Beschäftigung mit den dort behandelten Problemen, zu der mir meine ärztliche Tätigkeit als Psychotherapeut reichlich Anlaß gibt, bin ich aber auf nichts gestoßen, was eine Veränderung oder Verbesserung meiner Gedankengänge von mir gefordert hätte, und kann darum in Ruhe abwarten, bis das Verständnis der Leser mir nachgekommen ist, oder bis eine einsichtige Kritik mir die Grundirrtümer meiner Auffassung nachgewiesen hat. Zum Zwecke der Vergleichung mit dem Witze werde ich hier das Notwendigste über den Traum und die Traumarbeit in gedrängter Kürze wiederholen.

§ 619

Wir kennen den Traum aus der uns meist fragmentarisch scheinenden Erinnerung, die sich nach dem Erwachen an ihn einstellt. Er ist dann ein Gefüge von meist visuellen (aber auch andersartigen) Sinneseindrücken, die uns ein Erleben vorgetäuscht haben, und unter welche Denkvorgänge (das „Wissen“ im Traum) und Affektäußerungen gemengt sein mögen. Was wir so als Traum erinnern, das heiße ich den „manifesten Trauminhalt“. Derselbe ist häufig völlig absurd und verworren, andere Male nur das Eine oder das Andere; aber auch wenn er ganz kohärent ist wie in manchen Angstträumen steht er unserem Seelenleben als etwas Fremdes gegenüber, von dessen Herkunft man sich keine Rechenschaft zu geben vermag. Die Aufklärung für diese Charaktere des Traumes wurde bisher in ihm selbst gesucht, indem man dieselben als Anzeichen einer unordentlichen, dissoziierten und sozusagen „verschlafenen“ Tätigkeit der nervösen Elemente ansah.

§ 620

Dagegen habe ich gezeigt, daß der so sonderbare „manifeste“ Trauminhalt regelmäßig verständlich gemacht werden kann als die verstümmelte und abgeänderte Umschrift gewisser korrekter psychischer Bildungen, die den Namen „latente Traumgedanken“ verdienen. Man verschafft sich die Kenntnis derselben, indem man den manifesten Trauminhalt ohne Rücksicht auf seinen etwaigen scheinbaren Sinn in seine Bestandteile zerlegt, und dann die Assoziationsfäden verfolgt, die von jedem der nun isolierten Elemente ausgehen. Diese verflechten sich miteinander und leiten endlich zu einem Gefüge von Gedanken, welche nicht nur völlig korrekt sind, sondern auch leicht in den uns bekannten Zusammenhang unserer seelischen Vorgänge eingereiht werden. Auf dem Wege dieser „Analyse“ hat der Trauminhalt all seine uns befremdenden Sonderbarkeiten abgestreift; wenn uns aber die Analyse gelingen soll, müssen wir während derselben die kritischen Einwendungen, die sich unausgesetzt gegen die Reproduktion der einzelnen vermittelnden Assoziationen erheben, standhaft zurückweisen.

§ 621

Aus der Vergleichung des erinnerten manifesten Trauminhalts mit den so gefundenen latenten Traumgedanken ergibt sich der Begriff der „Traumarbeit“. Als Traumarbeit wird die ganze Summe der umwandelnden Vorgänge zu bezeichnen sein, welche die latenten Traumgedanken in den manifesten Traum überführt haben. An der Traumarbeit haftet nun das Befremden, welches vorhin der Traum in uns erregt hatte.

§ 622

Die Leistung der Traumarbeit kann aber folgender Art beschrieben werden: Ein meist sehr kompliziertes Gefüge von Gedanken, welches während des Tages aufgebaut worden ist und nicht zur Erledigung geführt wurde, — ein Tagesrest — hält auch während der Nacht den von ihm in Anspruch genommenen Energiebetrag — das Interesse — fest und droht eine Störung des Schlafes. Dieser Tagesrest wird durch die Traumarbeit in einen Traum verwandelt und für den Schlaf unschädlich gemacht. Um der Traumarbeit einen Angriffspunkt zu bieten, muß der Tagesrest wunschbildungsfähig sein, eine nicht eben schwer zu erfüllende Bedingung. Der aus den Traumgedanken hervorgehende Wunsch bildet die Vorstufe und später den Kern des Traumes. Die aus den Analysen stammende Erfahrung — nicht die Theorie des Traumes — sagt uns, daß beim Kinde ein beliebiger vom Wachleben erübrigter Wunsch hinreicht, einen Traum hervorzurufen, der dann zusammenhängend und sinnreich, meist aber kurz ausfällt und leicht als „Wunscherfüllung“ erkannt wird. Beim Erwachsenen scheint es allgemein gültige Bedingung für den traumschaffenden Wunsch, daß er dem bewußten Denken fremd, also ein verdrängter Wunsch sei, oder doch, daß er dem Bewußtsein unbekannte Verstärkungen haben könne. Ohne Annahme des Unbewußten in dem oben dargelegten Sinne wüßte ich die Theorie des Traumes nicht weiter zu entwickeln und das Erfahrungsmaterial der Traumanalysen nicht zu deuten. Die Einwirkung dieses unbewußten Wunsches auf das bewußtseinskorrekte Material der Traumgedanken ergibt nun den Traum. Letzteres wird dabei gleichsam ins Unbewußte herabgezogen, genauer gesagt, einer Behandlung ausgesetzt, wie sie auf der Stufe der unbewußten Denkvorgänge vorkömmlich und für diese Stufe charakteristisch ist. Wir kennen die Charaktere des unbewußten Denkens und dessen Unterschiede vom bewußtseinsfähigen „vorbewußten“ bisher nur aus den Ergebnissen eben der „Traumarbeit“.

§ 623

Eine neuartige, nicht einfache und den Denkgewohnheiten widersprechende Lehre kann bei gedrängter Darstellung an Klarheit kaum gewinnen. Ich kann mit diesen Auseinandersetzungen also nichts anderes bezwecken, als auf die ausführlichere Behandlung des Unbewußten in meiner „Traumdeutung“ und auf die mir höchst bedeutungsvoll erscheinenden Arbeiten von Lipps zu verweisen. Ich weiß, daß wer im Banne einer guten philosophischen Schulbildung steht oder entfernt von einem sog. philosophischen System abhängt, der Annahme des „Unbewußt Psychischen“ in Lipps' und meinem Sinne widerstrebt und dessen Unmöglichkeit am liebsten aus der Definition des Psychischen beweisen möchte. Aber Definitionen sind konventionell und lassen sich abändern. Ich habe häufig die Erfahrung gemacht, daß Personen, welche das Unbewußte als absurd oder unmöglich bestreiten, ihre Ein drücke nicht an den Quellen geholt hatten, aus denen wenigstens für mich die Nötigung zur Anerkennung desselben geflossen ist. Diese Gegner des Unbewußten hatten nie den Effekt einer posthypnotischen Suggestion mitangesehen, und was ich ihnen als Probe aus meinen Analysen bei nicht hypnotisierten Neurotikern mitteilte, versetzte sie in das größte Erstaunen. Sie hatten nie den Gedanken realisiert, daß das Unbewußte etwas ist, was man wirklich nicht weiß, während man durch zwingende Schlüsse genötigt wird, es zu ergänzen, sondern etwas Bewußtseinsfähiges darunter verstanden, an was man gerade nicht gedacht hatte, was nicht im „Blickpunkt der Aufmerksamkeit“ stand. Sie hatten auch nie versucht, sich von der Existenz solcher unbewußter Gedanken in ihrem eigenen Seelenleben durch eine Analyse eines eigenen Traumes zu überzeugen, und wenn ich eine solche mit ihnen versuchte, konnten sie ihre eigenen Einfälle nur mit Verwunderung und Verwirrtheit aufnehmen. Ich habe auch den Eindruck bekommen, daß der Annahme des „Unbewußten“ wesentlich Affektwiderstände im Wege stehen, darin begründet, daß niemand sein Unbewußtes kennen lernen will, wo es dann am bequemsten ist, dessen Möglichkeit überhaupt zu leugnen.

§ 624

Die Traumarbeit also, zu der ich nach dieser Abschweifung zurückkehre, setzt das in den Optativ gebrachte Gedankenmaterial einer ganz eigentümlichen Bearbeitung aus. Zunächst macht sie den Schritt vom Optativ zum Präsens, ersetzt das: „O möchte doch“ — durch ein: Es ist. Dies „Es ist“ ist zur halluzinatorischen Darstellung bestimmt, was ich als die „Regression“ der Traumarbeit bezeichnet habe; der Weg von den Gedanken zu den Wahrnehmungsbildern, oder wenn man mit Bezug auf die noch unbekannte — nicht anatomisch zu verstehende — Topik des seelischen Apparats sprechen will, von der Gegend der Denkbildungen zu der der sinnlichen Wahrnehmungen. Auf diesem Wege, welcher der Entwicklungsrichtung der seelischen Komplikationen entgegengesetzt ist, gewinnen die Traumgedanken Anschaulichkeit; es stellt sich schließlich eine plastische Situation heraus als Kern des manifesten „Traumbildes“. Um solche sinnliche Darstellbarkeit zu erreichen, haben die Traumgedanken eingreifende Umgestaltungen ihres Ausdrucks erfahren müssen. Aber während der Rückverwandlung der Gedanken in Sinnesbilder treten noch weitere Veränderungen an ihnen auf, die zum Teil als notwendige begreiflich, zum anderen Teil überraschend sind. Als notwendigen Nebenerfolg der Regression begreift man, daß fast alle Relationen innerhalb der Gedanken, welche die selben gegliedert haben, für den manifesten Traum verloren gehen. Die Traumarbeit übernimmt sozusagen nur das Rohmaterial der Vorstellungen zur Darstellung, nicht auch die Denkbeziehungen, die sie gegen einander einhielten, oder sie wahrt sich wenigstens die Freiheit, von diesen letzteren abzusehen. Hingegen können wir ein anderes Stück der Traumarbeit nicht von der Regression, der Rückverwandlung in Sinnesbilder, ableiten, gerade jenes, welches uns für die Analogie mit der Witzbildung bedeutsam ist. Das Material der Traumgedanken erfährt während der Traumarbeit eine ganz außerordentliche Zusammendrängung oder Verdichtung. Ausgangspunkte derselben sind die Gemeinsamkeiten, die sich zufällig oder dem Inhalt gemäß innerhalb der Traumgedanken vorfinden; da dieselben für eine ausgiebige Verdichtung in der Regel nicht hinreichen, werden in der Traumarbeit neue, künstliche und flüchtige, Gemeinsamkeiten geschaffen, und zu diesem Zwecke werden mit Vorliebe selbst Worte benützt, in deren Laut verschiedene Bedeutungen zusammentreffen. Die neugeschaffenen Verdichtungsgemeinsamen gehen wie Repräsentanten der Traumgedanken in den manifesten Trauminhalt ein, so daß ein Element des Traumes einem Knoten- und Kreuzungspunkt für die Traumgedanken entspricht und mit Rücksicht auf die letzteren ganz allgemein „überdeterminiert“ genannt werden muß. Die Tatsache der Verdichtung ist dasjenige Stück der Traumarbeit, welches sich am leichtesten erkennen läßt; es genügt, den aufgeschriebenen Wortlaut eines Traumes mit der Niederschrift der durch Analyse gewonnener Traumgedanken zu vergleichen, um sich von der Ausgiebigkeit der Traumverdichtung einen guten Eindruck zu holen.

§ 625

Minder bequem ist es, sich von der zweiten großen Veränderung, welche durch die Traumarbeit an den Traumgedanken bewirkt wird, zu überzeugen, von jenem Vorgang, den ich die Traum verschiebung genannt habe. Dieselbe äußert sich darin, daß im manifesten Traum zentral steht und mit großer sinnlicher Intensität auftritt, was in den Traumgedanken peripherisch lag und nebensächlich war; und ebenso umgekehrt. Der Traum erscheint dadurch gegen die Traumgedanken verschoben, und gerade durch diese Verschiebung wird erreicht, daß er dem wachen Seelenleben fremd und unverständlich entgegentritt. Damit solche Verschiebung zu stande kam, mußte es möglich sein, daß die Besetzungsenergie von den wichtigen Vorstellungen ungehemmt auf die unwichtigen übergehe, was im normalen bewußtseinsfähigen Denken nur den Eindruck eines „Denkfehlers“ hervorrufen kann.

§ 626

Umwandlung zur Darstellungsfähigkeit, Verdichtung und Verschiebung sind die drei großen Leistungen, die wir der Traumarbeit zuschreiben dürfen. Eine vierte, in der Traumdeutung vielleicht zu kurz gewürdigte, kommt für unsere Zwecke hier nicht in Betracht. Bei einer konsequenten Ausführung der Ideen von der „Topik des seelischen Apparats“ und der „Regression“ — und nur eine solche würde diese Arbeitshypothesen wertvoll machen — müßte man zu bestimmen versuchen, an welchen Stationen der Regression die verschiedenen Umwandlungen der Traumgedanken vor sich gehen. Dieser Versuch ist noch nicht ernsthaft unternommen worden; es läßt sich aber wenigstens von der Verschiebung mit Sicherheit angeben, daß sie an dem Gedankenmaterial erfolgen muß, während es sich auf der Stufe der unbewußten Vorgänge befindet. Die Verdichtung wird man sich wahrscheinlich als einen über den ganzen Verlauf sich erstreckenden Vorgang bis zum Anlangen in der Wahrnehmungsregion vorzustellen haben, im allgemeinen aber sich mit der Annahme einer gleichzeitig erfolgenden Wirkung aller bei der Traumbildung beteiligten Kräfte begnügen. Bei der Zurückhaltung, die man verständigerweise in der Behandlung solcher Probleme bewahren muß, und mit Rücksicht auf die hier nicht zu erörternden prinzipiellen Bedenken solcher Fragestellung, möchte ich mich etwa der Aufstellung getrauen, daß der den Traum vorbereitende Vorgang der Traumarbeit in die Region des Unbewußten zu verlegen ist. Im ganzen wären also bei der Traumbildung, grob genommen, drei Stadien zu unterscheiden: erstens die Versetzung der vorbewußten Tagesreste ins Unbewußte, woran die Bedingungen des Schlafzustandes mitbeteiligt sein müßten, sodann die eigentliche Traumarbeit im Unbewußten, und drittens die Regression des so bearbeiteten Traummaterials auf die Wahrnehmung, als welche der Traum bewußt wird.

§ 627

Als Kräfte, welche bei der Traumbildung beteiligt sind, lassen sich erkennen: Der Wunsch zu schlafen, die den Tagesresten nach der Erniedrigung durch den Schlafzustand noch verbliebene Energiebesetzung, die psychische Energie des traumbildenden unbewußten Wunsches und die widerstrebende Kraft der im Wachleben herrschenden, während des Schlafes nicht völlig aufgehobenen, „Zensur“. Aufgabe der Traumbildung ist es vor allem, die Hemmung der Zensur zu überwinden, und gerade diese Aufgabe wird durch die Verschiebungen der psychischen Energie innerhalb des Materials der Traumgedanken gelöst.

§ 628

Nun erinnern wir uns, welchen Anlaß wir hatten, bei der Untersuchung des Witzes an den Traum zu denken. Wir fanden, daß Charakter und Wirkung des Witzes an gewisse Ausdrucksformen, technische Mittel, gebunden sind, unter denen die verschiedenen Arten der Verdichtung, Verschiebung und indirekten Darstellung am auffälligsten sind. Vorgänge, die zu den nämlichen Ergebnissen, Verdichtung, Verschiebung und indirekter Darstellung führen, sind uns aber als Eigentümlichkeiten der Traumarbeit bekannt geworden. Wird uns durch diese Übereinstimmung nicht der Schluß nahe gelegt, daß Witzarbeit und Traumarbeit in wenigstens einem wesentlichen Punkte identisch sein müssen? Die Traumarbeit liegt, wie ich meine, in ihren wichtigsten Charakteren entschleiert vor uns; von den psychischen Vorgängen beim Witze ist uns gerade jenes Stück verhüllt, welches wir der Traumarbeit vergleichen dürfen, der Vorgang der Witzbildung bei der ersten Person. Sollen wir nicht der Versuchung nachgeben, diesen Vorgang nach der Analogie der Traumbildung zu konstruieren? Einige der Züge des Traumes sind dem Witze so fremd, daß wir auch das ihnen entsprechende Stück der Traumarbeit nicht auf die Witzbildung übertragen dürfen. Die Regression des Gedankenganges zur Wahrnehmung fällt für den Witz sicherlich weg; die beiden anderen Stadien der Traumbildung aber, das Herabsinken eines vorbewußten Gedankens zum Unbewußten und die unbewußte Bearbeitung würden uns, wenn wir sie für die Witzbildung supponieren, gerade das Ergebnis liefern, das wir am Witze beobachten können. Entschließen wir uns also zur Annahme, daß dies der Hergang der Witzbildung bei der ersten Person ist. Ein vorbewußter Gedanke wird für einen Moment der unbewußten Bearbeitung überlassen, und deren Ergebnis alsbald von der bewußten Wahrnehmung erfaßt.

§ 629

Ehe wir aber diese Aufstellung im Einzelnen prüfen, wollen wir eines Einwandes gedenken, welcher unserer Voraussetzung bedrohlich werden kann. Wir gehen von der Tatsache aus, daß die Techniken des Witzes auf dieselben Vorgänge hindeuten, welche uns als Eigentümlichkeiten der Traumarbeit bekannt sind. Nun ist es leicht dawider zu sagen, daß wir die Techniken des Witzes nicht als Verdichtung, Verschiebung usw. beschrieben hätten und nicht zu so weit gehenden Übereinstimmungen in den Darstellungsmitteln von Witz und Traum gelangt wären, wenn nicht die vorherige Kenntnis der Traumarbeit unsere Auffassung für die Witztechnik bestochen hätte, so daß wir im Grunde am Witz nur die Erwartungen bestätigt finden, mit denen wir vom Traum her an ihn herangetreten sind. Eine solche Genese der Übereinstimmung wäre keine sichere Gewähr für ihren Bestand außerhalb unseres Vorurteils. Die Gesichtspunkte der Verdichtung, Verschiebung, indirekten Darstellung sind auch wirklich von keinem anderen Autor für die Ausdrucksformen des Witzes geltend gemacht worden. Das wäre ein möglicher Einwand, aber darum noch kein berechtigter. Es kann ebensowohl sein, daß die Schärfung unserer Auffassung durch die Kenntnis der Traumarbeit unentbehrlich wäre, um die reale Übereinstimmung zu erkennen. Die Entscheidung wird doch nur davon abhängen, ob die prüfende Kritik solche Auffassung der Witztechnik an den einzelnen Beispielen als eine aufgezwungene nachweisen kann, zu deren Gunsten andere näher liegende und tiefer reichende Auffassungen unterdrückt worden sind, oder ob sie zugeben muß, daß die Erwartungen vom Traum her sich am Witz wirklich bestätigen lassen. Ich bin der Meinung, daß wir solche Kritik nicht zu fürchten haben und daß unser Reduktionsverfahren (siehe S. 14) uns verläßlich angezeigt hat, in welchen Ausdrucksformen die Techniken des Witzes zu suchen waren. Daß wir diesen Techniken Namen gegeben hatten, welche das Ergebnis der Übereinstimmung von Witztechnik und Traumarbeit bereits antizipierten, dies war unser gutes Recht, eigentlich nichts anderes als eine leicht zu rechtfertigende Vereinfachung.

§ 630

Ein anderer Einwand träfe unsere Sache nicht so schwer, wäre aber auch nicht so gründlich zu widerlegen. Man könnte meinen, daß die zu unseren Absichten so gut stimmenden Techniken des Witzes zwar Anerkennung verdienen, aber doch nicht alle möglichen oder in der Praxis verwendeten Techniken des Witzes wären. Wir hätten eben von dem Vorbild der Traumarbeit beeinflußt nur die zu ihr passenden Witztechniken herausgesucht, während andere, von uns übersehene, eine solche Übereinstimmung als nicht allgemein vorhanden erwiesen hätten. Ich getraue mich nun wirklich nicht der Behauptung, daß es mir gelungen ist, alle im Umlauf befindlichen Witze in bezug auf ihre Technik aufzuklären, und lasse darum die Möglichkeit offen, daß meine Aufzählung der Witztechniken manche Unvollständigkeit erkennen lassen wird, aber ich habe keine Art der Technik, die mir durchsichtig wurde, absichtlich von der Erörterung ausgeschlossen und kann die Behauptung vertreten, daß die häufigsten, wichtigsten, am meisten charakteristischen technischen Mittel des Witzes sich meiner Aufmerksamkeit nicht entzogen haben.

§ 631

Der Witz besitzt noch einen anderen Charakter, welcher sich unserer vom Traum herstammenden Auffassung der Witzarbeit befriedigend fügt. Man sagt zwar, daß man den Witz „macht“, aber man verspürt, daß man sich dabei anders benimmt, als wenn man ein Urteil fällt, einen Einwand macht. Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten „Einfalls“. Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird, den man dann nur in Worte zu kleiden braucht. Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten einer Absenz, einem plötzlichen Auslassen der intellektuellen Spannung vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist gleichzeitig mit seiner Einkleidung. Manche der Mittel des Witzes finden auch außerhalb desselben im Gedankenausdruck Verwendung, z. B. das Gleichnis und die Anspielung. Ich kann eine Anspielung absichtlich machen wollen. Dabei habe ich zuerst den direkten Ausdruck meines Gedankens im Sinne (im inneren Hören), ich hemme mich in der Äußerung desselben durch ein der Situation entsprechendes Bedenken, nehme mir beinahe vor, den direkten Ausdruck durch eine Form des indirekten Ausdrucks zu ersetzen und bringe dann eine Anspielung hervor; aber die so entstandene, unter meiner fortlaufenden Kontrolle gebildete Anspielung ist niemals witzig, so brauchbar sie auch sonst sein mag; die witzige Anspielung hingegen erscheint, ohne daß ich diese vorbereitenden Stadien in meinem Denken verfolgen konnte. Ich will nicht zuviel Wert auf dies Verhalten legen; es ist kaum entscheidend, aber es stimmt doch gut zu unserer Annahme, daß man bei der Witzbildung einen Gedankengang für einen Moment fallen läßt, der dann plötzlich als Witz aus dem Unbewußten auftaucht.

§ 632

Witze zeigen auch assoziativ ein besonderes Benehmen. Sie stehen unserem Gedächtnis häufig nicht zur Verfügung, wenn wir sie wollen, stellen sich dafür andere Male wie ungewollt ein, und zwar an Stellen unseres Gedankenganges, wo wir ihre Einflechtung nicht verstehen. Es sind dies wiederum nur kleine Züge, aber immerhin Hinweise auf ihre Abkunft aus dem Unbewußten.

§ 633

Suchen wir nun die Charaktere des Witzes zusammen, die sich auf seine Bildung im Unbewußten beziehen lassen. Da ist vor allem die eigentümliche Kürze des Witzes, ein zwar nicht unerläßliches, aber ungemein bezeichnendes Merkmal desselben. Als wir ihr zuerst begegneten, waren wir geneigt, einen Ausdruck sparender Tendenzen in ihr zu sehen, entwerteten aber diese Auffassung selbst durch nahe liegende Einwendungen. Sie erscheint uns jetzt vielmehr als ein Zeichen der unbewußten Bearbeitung, welche der Witzgedanke erfahren hat. Das ihr beim Traum entsprechende, die Verdichtung, können wir nämlich mit keinem anderen Moment als mit der Lokalisation im Unbewußten zusammenbringen und müssen annehmen, daß im unbewußten Denkvorgang die im Vorbewußten fehlenden Bedingungen für solche Verdichtungen gegeben sind.*)*) Es steht zu erwarten, daß beim Verdichtungsvorgang einige der ihm unterworfenen Elemente verloren gehen, während andere, welche deren Besetzungsenergie übernehmen, durch die Verdichtung erstarken oder überstark aufgebaut werden. Die Kürze des Witzes wäre also wie die des Traumes eine notwendige Begleiterscheinung der in beiden vorkommenden Verdichtungen, beide Male ein Ergebnis des Verdichtungsvorganges. Dieser Herkunft verdankte auch die Kürze des Witzes ihren besonderen, nicht weiter angebbaren, aber der Empfindung auffälligen Charakter.

§ 634

Wir haben vorhin (S. 106) das eine Ergebnis der Verdichtung, die mehrfache Verwendung desselben Materials, das Wortspiel, den Gleichklang, als lokalisierte Ersparung aufgefaßt und die Lust, die der (harmlose) Witz schafft, aus solcher Ersparung abgeleitet; späterhin haben wir die ursprünglichste Absicht des Witzes darin gefunden, derartigen Lustgewinn an Worten zu machen, was ihm auf der Stufe des Spieles unverwehrt war, im Verlaufe der intellektuellen Entwicklung aber durch die vernünftige Kritik eingedämmt wurde. Nun haben wir uns zu der Annahme entschlossen, daß derartige Verdichtungen, wie sie der Technik des Witzes dienen, automatisch, ohne besondere Absicht, während des Denkvorganges im Unbewußten entstehen. Liegen da nicht zwei verschiedene Auffassungen derselben Tatsache vor, die mit einander unverträglich scheinen. Ich glaube nicht; es sind allerdings zwei verschiedene Auffassungen, und sie verlangen miteinander in Einklang gebracht zu werden, aber sie widersprechen einander nicht. Die eine ist bloß der anderen fremd, und wenn wir eine Beziehung zwischen ihnen hergestellt haben, werden wir wahrscheinlich um ein Stück Erkenntnis weiter gekommen sein. Daß solche Verdichtungen Quellen von Lustgewinn sind, verträgt sich sehr wohl mit der Voraussetzung, daß sie im Unbewußten leicht die Bedingungen zu ihrer Entstehung finden; wir sehen im Gegenteile die Motivierung für das Eintauchen ins Unbewußte in dem Umstande, daß dort die lustbringende Verdichtung, welcher der Witz bedarf, sich leicht ergibt. Auch zwei andere Momente, welche für die erste Betrachtung einander völlig fremd scheinen und wie durch einen unerwünschten Zufall zusammentreffen, werden sich bei tieferem Eingehen als innig verknüpft, ja wesenseinig erkennen lassen. Ich meine die beiden Aufstellungen, daß der Witz einerseits während seiner Entwicklung auf der Stufe des Spieles, also im Kindesalter der Vernunft, solche lustbringende Verdichtungen hervorbringen konnte, und daß er anderseits auf höheren Stufen dieselbe Leistung durch das Eintauchen des Gedankens ins Unbewußte vollbringt. Das Infantile ist nämlich die Quelle des Unbewußten, die unbewußten Denkvorgänge sind keine anderen, als welche im Kindesalter einzig und allein hergestellt werden. Der Gedanke, der zum Zwecke der Witzbildung ins Unbewußte eintaucht, sucht dort nur die alte Heimstätte des einstigen Spieles mit Worten auf. Das Denken wird für einen Moment auf die kindliche Stufe zurückversetzt, um so der kindlichen Lustquelle wieder habhaft zu werden. Wüßte man es nicht bereits aus der Erforschung der Neurosenpsychologie, so müßte man beim Witz auf die Ahnung geraten, daß die sonderbare unbewußte Bearbeitung nichts anderes als der infantile Typus der Denkarbeit ist. Es ist bloß nicht sehr leicht, dieses infantile Denken mit seinen im Unbewußten des Erwachsenen erhaltenen Eigentümlichkeiten beim Kinde zu erhaschen, weil es meist sozusagen in statu nascendi korrigiert wird. In einer Reihe von Fällen gelingt es aber doch, und dann lachen wir jedesmal über die „Kinderdummheit“. Jede Aufdeckung eines solchen Unbewußten wirkt auf uns überhaupt als „komisch“.*)*)

*) Die Verdichtung als regelmäßigen und bedeutungsvollen Vorgang habe ich außer bei der Traumarbeit und Witztechnik noch in einem anderen seelischen Geschehen nachweisen können, beim Mechanismus des normalen (nicht tendenziösen) Vergessens. Singuläre Eindrücke setzen dem Vergessen Schwierigkeiten entgegen; irgendwie analoge werden vergessen, indem sie von ihren Berührungspunkten aus verdichtet werden. Die Verwechslung analoger Eindrücke ist eine der Vorstufen des Vergessens. § 635

Leichter zu fassen sind die Charaktere dieser unbewußten Denkvorgänge in den Äußerungen der Kranken bei manchen psychischen Störungen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir nach des alten Griesinger Vermutung im stande wären, die Delirien der Geisteskranken zu verstehen und als Mitteilungen zu verwerten, wenn wir nicht die Anforderungen des bewußten Denkens an sie stellen, sondern sie mit unserer Deutungskunst behandeln würden wie etwa die Träume.*)*) Auch für den Traum haben wir ja seinerzeit die „Rückkehr des Seelenlebens auf den embryonalen Standpunkt“ zur Geltung gebracht.**)**)

*) Viele meiner neurotischen, in psychoanalytischer Behandlung stehenden Patienten pflegen regelmäßig durch ein Lachen zu bezeugen, daß es gelungen ist, ihrer bewußten Wahrnehmung das verhüllte Unbewußte getreulich zu zeigen, und sie lachen auch dann, wenn der Inhalt des Enthüllten es keineswegs rechtfertigen würde. Bedingung dafür ist allerdings, daß sie diesem Unbewußten nahe genug gekommen sind, um es zu erfassen, wenn der Arzt es erraten und ihnen vorgeführt hat. § 636

Wir haben an den Verdichtungsvorgängen die Bedeutung der Analogie von Witz und Traum so eingehend erörtert, daß wir uns im folgenden kürzer fassen dürfen. Wir wissen, daß die Verschiebungen bei der Traumarbeit auf die Einwirkung der Zensur des bewußten Denkens hindeuten, und werden demgemäß, wenn wir die Verschiebung unter den Techniken des Witzes begegnen, geneigt sein anzunehmen, daß auch bei der Witzbildung eine hemmende Macht eine Rolle spielt. Wir wissen auch bereits, daß dies ganz allgemein der Fall ist; das Bestreben des Witzes, die alte Lust am Unsinn oder die alte Wortlust zu gewinnen, findet bei normaler Stimmung an dem Einspruch der kritischen Vernunft eine Hemmung, die für jeden Einzelfall überwunden werden muß. Aber in der Art und Weise, wie die Witzarbeit diese Aufgabe löst, zeigt sich ein durchgreifender Unterschied zwischen dem Witz und dem Traum. In der Traumarbeit geschieht die Lösung dieser Aufgabe regelmäßig durch Verschiebungen, durch die Auswahl von Vorstellungen, welche weit genug entfernt von den beanstandeten sind, um Durchlaß bei der Zensur zu finden, und doch Abkömmlinge dieser sind, deren psychische Besetzung sie durch volle Übertragung auf sich übernommen haben. Die Verschiebungen fehlen darum bei keinem Traum und sind weit umfassender; nicht nur die Ablenkungen vom Gedankengang, sondern auch alle Arten der indirekten Darstellung sind zu den Verschiebungen zu rechnen, insbesondere der Ersatz eines bedeutsamen aber anstößigen Elements durch ein indifferentes, aber der Zensur harmlos erscheinendes, welches wie eine entfernteste Anspielung an das erstere steht, der Ersatz durch eine Symbolik, ein Gleichnis, ein Kleines. Es ist nicht abzuweisen, daß Stücke dieser indirekten Darstellung bereits in den vorbewußten Gedanken des Traumes zu stande kommen, so z. B. die symbolische und die Gleichnisdarstellung, weil sonst der Gedanke es überhaupt nicht zur Stufe des vorbewußten Ausdrucks gebracht hätte. Indirekte Darstellungen dieser Art und Anspielungen, deren Beziehung zum Eigentlichen leicht auffindbar ist, sind ja zulässige und vielgebrauchte Ausdrucksmittel auch in unserem bewußten Denken. Die Traumarbeit übertreibt aber die Anwendung dieser Mittel der indirekten Darstellung ins Schrankenlose. Jede Art von Zusammenhang wird unter dem Drucke der Zensur zum Ersatz durch Anspielung gut genug, die Verschiebung von einem Element her ist auf jedes andere gestattet. Ganz besonders auffällig und für die Traumarbeit charakteristisch ist die Ersetzung der inneren Assoziationen (Ähnlichkeit, Kausalzusammenhang usw.) durch die sog. äußeren (Gleichzeitigkeit, Kontiguität im Raum, Gleichklang).

*) Dabei dürften wir nicht vergessen, der Entstellung infolge der auch in der Psychose noch wirksamen Zensur Rechnung zu tragen. **) Traumdeutung. § 637

Alle diese Verschiebungsmittel kommen auch als Techniken des Witzes vor, aber wenn sie vorkommen, halten sie zumeist die Grenzen ein, die ihrer Anwendung im bewußten Denken gezogen sind, und sie können überhaupt fehlen, obwohl ja auch der Witz regelmäßig eine Hemmungsaufgabe zu erledigen hat. Man versteht dies Zurücktreten der Verschiebungen bei der Witzarbeit, wenn man sich erinnert, daß dem Witz ganz allgemein eine andere Technik zu Gebote steht, mit welcher er sich der Hemmung erwehrt, ja daß wir nichts gefunden haben, was charakteristischer für ihn wäre als gerade diese Technik. Der Witz schafft nämlich nicht Kompromisse wie der Traum, er weicht der Hemmung nicht aus, sondern er besteht darauf, das Spiel mit dem Wort oder dem Unsinn unverändert zu erhalten, beschränkt sich aber auf die Auswahl von Fällen, in denen dieses Spiel oder dieser Unsinn doch gleichzeitig zulässig (Scherz) oder sinnreich (Witz) erscheinen kann, Dank der Vieldeutigkeit der Worte und der Mannigfaltigkeit der Denkrelationen. Nichts scheidet den Witz besser von allen anderen psychischen Bildungen als diese seine Doppelseitigkeit und Doppelzüngigkeit, und wenigstens von dieser Seite haben sich die Autoren durch die Betonung des „Sinnes im Unsinn“ der Erkenntnis des Witzes am meisten genähert.

§ 638

Bei der ausnahmslosen Vorherrschaft dieser dem Witz besonderen Technik zur Überwindung seiner Hemmungen könnte man es überflüssig finden, daß er sich überhaupt noch in einzelnen Fällen der Verschiebungstechnik bedient, allein einerseits bleiben gewisse Arten dieser Technik als Ziele und Lustquellen für den Witz wertvoll, wie z. B. die eigentliche Verschiebung (Gedankenablenkung), die ja die Natur des Unsinns teilt, anderseits darf man nicht vergessen, daß die höchste Stufe des Witzes, der tendenziöse Witz, häufig zweierlei Hemmungen zu überwinden hat, die ihm selbst und die seiner Tendenz entgegenstehenden, (S. 85) und daß die Anspielungen und Verschiebungen ihm die letztere Aufgabe zu ermöglichen geeignet sind.

§ 639

Die reichliche und zügellose Anwendung der indirekten Darstellung, der Verschiebungen und insbesondere Anspielungen in der Traumarbeit hat eine Folge, die ich nicht ihrer eigenen Bedeutung wegen erwähne, sondern weil sie der subjektive Anlaß für mich wurde, mich mit dem Problem des Witzes zu beschäftigen. Wenn man einem Unkundigen oder Ungewöhnten eine Traumanalyse mitteilt, in welcher also die sonderbaren, dem Wachdenken anstößigen Wege der Anspielungen und Verschiebungen dargelegt werden, deren sich die Traumarbeit bedient hat, so unterliegt der Leser einem ihm unbehaglichen Eindruck, erklärt diese Deutungen für „witzig“, erblickt aber in ihnen offenbar nicht gelungene Witze, sondern gezwungene und irgendwie gegen die Regeln des Witzes verstoßende. Dieser Eindruck ist nun leicht aufzuklären; er rührt daher, daß die Traumarbeit mit denselben Mitteln arbeitet wie der Witz, aber in der Anwendung derselben die Grenzen überschreitet, welche der Witz einhält. Wir werden auch alsbald hören, daß der Witz infolge der Rolle der dritten Person an eine gewisse Bedingung gebunden ist, welche den Traum nicht berührt.

§ 640

Ein gewisses Interesse nehmen unter den Techniken, die Witz und Traum gemeinsam sind, die Darstellung durch das Gegenteil und die Verwendung des Widersinnes in Anspruch. Die erstere gehört zu den kräftig wirkenden Mitteln des Witzes, wie wir unter anderen an den Beispielen von „Überbietungswitz“ ersehen konnten (S. 59). Die Darstellung durchs Gegenteil vermochte sich übrigens der bewußten Aufmerksamkeit nicht wie die meisten anderen Witztechniken zu entziehen; wer den Mechanismus der Witzarbeit bei sich möglichst absichtlich in Tätigkeit zu bringen sucht, der habituelle Witzling, pflegt bald herauszufinden, daß man auf eine Behauptung am leichtesten mit einem Witz erwidert, wenn man deren Gegenteil festhält und es dem Einfall überläßt, den gegen dies Gegenteil zu befürchtenden Einspruch durch eine Umdeutung zu beseitigen. Vielleicht verdankt die Darstellung durchs Gegenteil solche Bevorzugung dem Umstande, daß sie den Kern einer anderen lustbringenden Ausdrucksweise des Gedankens bildet, für deren Verständnis wir das Unbewußte nicht zu bemühen brauchen. Ich meine die Ironie, die sich dem Witze sehr annähert und zu den Unterarten der Komik gerechnet wird. Ihr Wesen besteht darin, das Gegenteil von dem, was man dem Anderen mitzuteilen beabsichtigt, auszusagen, diesem aber den Widerspruch dadurch zu ersparen, daß man im Tonfall, in den begleitenden Gesten, in kleinen stilistischen Anzeichen — wenn es sich um schriftliche Darstellung handelt — zu verstehen gibt, man meine selbst das Gegenteil seiner Aussage. Die Ironie ist nur dort anwendbar, wo der Andere das Gegenteil zu hören vorbereitet ist, so daß seine Neigung zum Widerspruch nicht ausbleiben kann. Infolge dieser Bedingtheit ist die Ironie der Gefahr, nicht verstanden zu werden, besonders leicht ausgesetzt. Sie bringt der sie anwendenden Person den Vorteil, daß sie die Schwierigkeiten direkter Äußerungen, z. B. bei Invektiven, leicht umgehen läßt; bei dem Hörer erzeugt sie komische Lust, wahrscheinlich, indem sie ihn zu einem Widerspruchsaufwand bewegt, der sofort als überflüssig erkannt wird. Ein solcher Vergleich des Witzes mit einer ihm nahe stehenden Gattung des Komischen mag uns in der Annahme bestärken, daß die Beziehung zum Unbewußten das dem Witz Besondere ist, das ihn vielleicht auch von der Komik scheidet.*)*)

§ 641

In der Traumarbeit fällt der Darstellung durchs Gegenteil eine noch weit größere Rolle zu als beim Witz. Der Traum liebt es nicht nur, zwei Gegensätze durch ein und dasselbe Mischgebilde darzustellen; er verwandelt auch so häufig ein Ding aus den Traumgedanken in sein Gegenteil, daß hieraus der Deutungsarbeit eine große Schwierigkeit erwächst. „Man weiß zunächst von keinem eines Gegenteils fähigen Elemente, ob es in den Traumgedanken positiv oder negativ enthalten ist.**)**)

§ 642

Ich muß hervorheben, daß diese Tatsache noch keineswegs Verständnis gefunden hat. Sie scheint aber einen wichtigen Charakter des unbewußten Denkens anzudeuten, dem aller Wahrscheinlichkeit nach ein dem „Urteilen“ vergleichbarer Vorgang abgeht. An Stelle der Urteilsverwerfung findet man im Unbewußten die „Verdrängung“. Die Verdrängung kann wohl richtig als die Zwischenstufe zwischen dem Abwehrreflex und der Verurteilung beschrieben werden.***)***)

*) Auf der Scheidung von Aussage und begleitenden Gebärden (im weitesten Sinne) beruht auch der Charakter der Komik, der als ihre „Trockenheit“ bezeichnet wird. **) Traumdeutung, S. 218, (3. Auflage S. 251). ***) Dies höchst merkwürdige und immer noch ungenügend erkannte Verhalten der Gegensatzrelation im Unbewußten ist wohl nicht ohne Wert für das Verständnis des „Negativismus“ bei Neurotikern und Geisteskranken. (Vgl. die beiden letzten Arbeiten darüber: Bleuler, Über die negative Suggestibilität, Psych.-Neurol. Wochenschrift, 1904, und Otto Groß, Zur Differentialdiagnostik negativistischer Phänomene, ebda, ferner mein Referat über den „Gegensinn der Urworte“, Jahrb. f. Psychoanalyse II, 1910.) § 643

Der Unsinn, die Absurdität, die so häufig im Traum vorkommt und ihm soviel unverdiente Verachtung zugezogen hat, ist doch niemals zufällig durch die Zusammenwürfelung von Vorstellungselementen entstanden, sondern jedesmal als von der Traumarbeit absichtlich zugelassen nachzuweisen und zur Darstellung von erbitterter Kritik und verächtlichem Widerspruch innerhalb der Traumgedanken bestimmt. Die Absurdität des Trauminhalts ersetzt also das Urteil: Es ist ein Unsinn, in den Traumgedanken. Ich habe, in meiner „Traumdeutung“ großen Nachdruck auf diesen Nachweis gelegt, weil ich den Irrtum, der Traum sei überhaupt kein psychisches Phänomen, der den Weg zur Erkenntnis des Unbewußten versperrt, auf diese Weise am eindringlichsten zu bekämpfen gedachte. Wir haben nun erfahren (bei der Auflösung gewisser tendenziöser Witze, S. 44), daß der Unsinn im Witze den gleichen Zwecken der Darstellung dienstbar gemacht wird. Wir wissen auch, daß eine unsinnige Fassade des Witzes ganz besonders geeignet ist, den psychischen Aufwand bei dem Hörer zu steigern und somit auch den zur Abfuhr durch Lachen frei werdenden Betrag zu erhöhen. Außerdem aber wollen wir nicht daran vergessen, daß der Unsinn im Witz Selbstzweck ist, da die Absicht, die alte Lust am Unsinn wiederzugewinnen, zu den Motiven der Witzarbeit gehört. Es gibt andere Wege, um den Unsinn wiederzugewinnen und Lust aus ihm zu ziehen; Karikatur, Übertreibung, Parodie und Travestie bedienen sich derselben und schaffen so den „komischen Unsinn“. Unterwerfen wir diese Ausdrucksformen einer ähnlichen Analyse, wie wir sie am Witz geübt haben, so werden wir finden, daß sich bei ihnen allen kein Anlaß ergibt, unbewußte Vorgänge in unserem Sinne zur Erklärung heranzuziehen. Wir verstehen nun auch, warum der Charakter des „Witzigen“ zur Karikatur, Übertreibung, Parodie als Zutat hinzukommen kann; es ist die Verschiedenheit des „psychischen Schauplatzes“, die dies ermöglicht.*)*)

§ 644

Ich meine, die Verlegung der Witzarbeit in das System des Unbewußten ist uns um ein ganzes Stück wertvoller geworden, seitdem sie uns das Verständnis für die Tatsache eröffnet hat, daß die Techniken, an denen der Witz doch haftet, anderseits nicht sein ausschließliches Gut sind. Manche Zweifel, die wir während unserer anfänglichen Untersuchung dieser Techniken fürs nächste zurückstellen mußten, finden nun ihre bequeme Lösung. Um so mehr verdient unsere Würdigung ein Bedenken, welches uns sagen möchte, daß die unleugbar vorhandene Beziehung des Witzes zum Unbewußten nur für gewisse Kategorien des tendenziösen Witzes richtig ist, während wir bereit sind, dieselbe auf alle Arten und Entwicklungsstufen des Witzes auszudehnen. Wir dürfen uns der Prüfung dieses Einwandes nicht entziehen.

*) Ein für meine Auffassung bedeutsam gewordener Ausdruck von G. Th. Fechner. § 645

Der sichere Fall der Witzbildung im Unbewußten ist anzunehmen, wenn es sich um Witze im Dienste unbewußter oder durchs Unbewußte verstärkter Tendenzen handelt, also bei den meisten „zynischen“ Witzen. Dann zieht nämlich die unbewußte Tendenz den vorbewußten Gedanken zu sich herab ins Unbewußte, um ihn dort umzuformen, ein Vorgang, zu welchem das Studium der Neurosenpsychologie zahlreiche Analogien kennen gelehrt hat. Bei den tendenziösen Witzen anderer Art, beim harmlosen Witz und beim Scherz scheint aber diese herabziehende Kraft wegzufallen, steht also die Beziehung des Witzes zum Unbewußten in Frage.

§ 646

Fassen wir aber nun den Fall des witzigen Ausdrucks eines an sich nicht wertlosen, im Zusammenhange der Denkvorgänge auftauchenden Gedankens ins Auge. Um diesen Gedanken zum Witz werden zu lassen, bedarf es offenbar einer Auswahl unter den möglichen Ausdrucksformen, damit gerade jene gefunden werde, welche den Wortlustgewinn mit sich bringt. Wir wissen aus unserer Selbstbeobachtung, daß nicht die bewußte Aufmerksamkeit diese Auswahl trifft; es wird derselben aber gewiß zu gute kommen, wenn die Besetzung des vorbewußten Gedankens zur unbewußten erniedrigt wird, denn im Unbewußten werden die vom Wort ausgehenden Verbindungswege, wie wir aus der Traumarbeit erfahren haben, den Sachverbindungen gleichartig behandelt. Die unbewußte Besetzung bietet der Auswahl des Ausdrucks die weitaus günstigeren Bedingungen. Wir können übrigens ohne weiteres annehmen, daß die Ausdrucksmöglichkeit, welche den Wortlustgewinn enthält, in ähnlicher Weise herabziehend auf die noch schwankende Fassung des vorbewußten Gedankens wirkt wie im ersteren Falle die unbewußte Tendenz. Für den simpleren Fall des Scherzes dürfen wir uns vorstellen, daß eine allzeit lauernde Absicht, den Wortlustgewinn zu erreichen, sich des Anlasses, der gerade im Vorbewußten gegeben ist, bemächtigt, um wiederum nach dem bekannten Schema den Besetzungsvorgang ins Unbewußte zu ziehen.

§ 647

Ich wünschte gern, daß es mir möglich wäre, diesen einen entscheidenden Punkt in meiner Auffassung des Witzes einerseits klarer darzulegen, anderseits mit zwingenden Argumenten zu verstärken. Aber es handelt sich hier in Wahrheit nicht um ein zweifaches sondern um ein und das nämliche Mißlingen. Ich kann eine klarere Darstellung nicht geben, weil ich keine weiteren Beweise für meine Auffassung habe. Dieselbe ist mir aus dem Studium der Technik und aus dem Vergleich mit der Traumarbeit erwachsen, und zwar nur von dieser einen Seite her; ich kann dann finden, daß sie den Eigentümlichkeiten des Witzes im ganzen vortrefflich angepaßt ist. Diese Auffassung ist nun eine erschlossene; gelangt man mit solchem Schluß nicht auf ein bekanntes, sondern vielmehr auf ein fremdes, dem Denken neuartiges Gebiet, so nennt man den Schluß eine „Hypothese“ und läßt mit Recht die Beziehung der Hypothese zu dem Material, aus dem sie erschlossen ist, nicht als „Beweis“ gelten. Als „bewiesen“ gilt diese erst dann, wenn man auch auf anderem Wege zu ihr gelangen, sie als den Knotenpunkt auch anderer Zusammenhänge aufzeigen kann. Solcher Beweis ist aber bei unserer kaum erst beginnenden Kenntnis der unbewußten Vorgänge nicht zu haben. In der Erkenntnis, daß wir auf einem überhaupt noch nicht betretenen Boden stehen, begnügen wir uns also damit, von unserem Standpunkt der Beobachtung ein einziges, schmales und schwankes, Brett ins Unergründete hinaus zu schieben.

§ 648

Wir werden nicht viel auf dieser Grundlage aufbauen. Bringen wir die verschiedenen Stufen des Witzes in Beziehung zu den für sie günstigen seelischen Dispositionen, so können wir etwa sagen: Der Scherz entspringt aus der heiteren Stimmung, der eine Neigung zur Herabminderung der seelischen Besetzungen eigentümlich scheint. Er bedient sich bereits aller charakteristischen Techniken des Witzes und erfüllt bereits die Grundbedingung desselben durch die Auswahl eines solchen Wortmaterials oder einer solchen Gedankenverknüpfung, wie sie sowohl den Anforderungen der Lustgewinnung als auch denen der verständigen Kritik genügen. Wir werden schließen, daß das Herabsinken der Gedankenbesetzung zur unbewußten Stufe, durch die heitere Stimmung erleichtert, schon beim Scherz zutreffe. Für den harmlosen, aber mit dem Ausdruck eines wertvollen Gedankens verknüpften Witz fällt diese Förderung durch die Stimmung weg; wir bedürfen hier der Annahme einer besonderen persönlichen Eignung, die in der Leichtigkeit zum Ausdruck kommt, mit welcher die vorbewußte Besetzung fallen gelassen und für einen Moment mit der unbewußten vertauscht wird. Eine stets lauernde Tendenz, den ursprünglichen Lustgewinn des Witzes zu erneuern, wirkt hiebei herab ziehend auf den noch schwankenden vorbewußten Ausdruck des Gedankens. In heiterer Stimmung sind wohl die meisten Menschen fähig, Scherze zu produzieren; die Eignung zum Witz ist nur bei wenigen Personen unabhängig von der Stimmung vorhanden. Endlich wirkt als kräftigste Anregung zur Witzarbeit das Vorhandensein starker, bis ins Unbewußte reichender Tendenzen, die eine besondere Eignung zur witzigen Produktion darstellen und uns erklären mögen, daß die subjektiven Bedingungen des Witzes so häufig bei neurotischen Personen erfüllt sind. Unter dem Einfluß starker Tendenzen kann auch der sonst Ungeeignete witzig werden.

§ 649

Mit diesem letzten Beitrag, der wenn auch hypothetisch gebliebenen Aufklärung der Witzarbeit bei der ersten Person, ist aber unser Interesse am Witz streng genommen erledigt. Es erübrigt uns etwa noch eine kurze Vergleichung des Witzes mit dem besser bekannten Traum, der wir die Erwartung vorausschicken werden, daß zwei so verschiedenartige seelische Leistungen neben der einen bereits gewürdigten Übereinstimmung nur noch Unterschiede erkennen lassen dürften. Der wichtigste Unterschied liegt in ihrem sozialen Verhalten. Der Traum ist ein vollkommen asoziales seelisches Produkt; er hat einem Anderen nichts mitzuteilen; innerhalb einer Person als Kompromiß der in ihr ringenden seelischen Kräfte entstanden, bleibt er dieser Person selbst unverständlich und ist darum für eine andere völlig uninteressant. Nicht nur, daß er keinen Wert auf Verständlichkeit zu legen braucht, er muß sich sogar hüten verstanden zu werden, da er sonst zerstört würde; er kann nur in der Vermummung bestehen. Er darf sich darum ungehindert des Mechanismus, der die unbewußten Denkvorgänge beherrscht, bis zu einer nicht mehr redressierbaren Entstellung bedienen. Der Witz dagegen ist die sozialste aller auf Lustgewinn zielenden seelischen Leistungen. Er benötigt oftmals dreier Personen und verlangt seine Vollendung durch die Teilnahme eines anderen an dem von ihm angeregten seelischen Vorgange. Er muß sich also an die Bedingung der Verständlichkeit binden, darf die im Unbewußten mögliche Entstellung durch Verdichtung und Verschiebung in keinem weiteren Ausmaße in Anspruch nehmen, als soweit dieselbe durch das Verständnis der dritten Person redressierbar ist. Im übrigen sind die beiden, Witz und Traum, auf ganz verschiedenen Gebieten des Seelenlebens erwachsen und an weit von einander entlegenen Stellen des psychologischen Systems unterzubringen. Der Traum ist immer noch ein, wiewohl unkenntlich gemachter, Wunsch; der Witz ist ein entwickeltes Spiel. Der Traum behält trotz all seiner praktischen Nichtigkeit die Beziehung zu den großen Interessen des Lebens bei; er sucht die Bedürfnisse auf dem regressiven Umwege der Halluzination zu erfüllen, und er verdankt seine Zulassung dem einzig während des Nachtzustandes regen Bedürfnis zu schlafen. Der Witz hingegen sucht einen kleinen Lustgewinn aus der bloßen, bedürfnisfreien, Tätigkeit unseres seelischen Apparats zu ziehen, später einen solchen als Nebengewinn während der Tätigkeit desselben zu erhaschen, und gelangt so sekundär zu nicht unwichtigen, der Außenwelt zugewendeten Funktionen. Der Traum dient vorwiegend der Unlustersparnis, der Witz dem Lusterwerb; in diesen beiden Zielen treffen aber alle unsere seelischen Tätigkeiten zusammen.

§ 650

VII. Der Witz und die Arten des Komischen.

§ 651

Wir haben uns den Problemen des Komischen auf eine ungewöhnliche Weise genähert. Es schien uns, daß der Witz, der sonst als eine Unterart der Komik betrachtet wird, genug der Eigentümlichkeiten biete, um direkt in Angriff genommen zu werden, und so sind wir seiner Beziehung zu der umfassenderen Kategorie des Komischen, solange es uns möglich war, ausgewichen, nicht ohne unterwegs einige fürs Komische verwertbare Hinweise aufzugreifen. Wir haben ohne Schwierigkeiten gefunden, daß das Komische sich sozial anders verhält als der Witz. Es kann sich mit nur zwei Personen begnügen, der einen, die das Komische findet, und der zweiten, an der es gefunden wird. Die dritte Person, der das Komische mitgeteilt wird, verstärkt den komischen Vorgang, fügt aber nichts Neues zu ihm hinzu. Beim Witz ist diese dritte Person zur Vollendung des lustbringenden Vorganges unentbehrlich; dagegen kann die zweite wegfallen, wo es sich nicht um tendenziösen, aggressiven Witz handelt. Der Witz wird gemacht, die Komik wird gefunden, und zwar zu allererst an Personen, erst in weiterer Übertragung auch an Objekten, Situationen u. dergl. Vom Witz wissen wir, daß nicht fremde Personen, sondern die eigenen Denkvorgänge die Quellen der zu fördernden Lust in sich bergen. Wir haben ferner gehört, daß der Witz gelegentlich unzugänglich gewordene Quellen der Komik wieder zu eröffnen weiß, und daß das Komische häufig dem Witz als Fassade dient und ihm die sonst durch die bekannte Technik herzustellende Vorlust ersetzt (S. 132). Es deutet dies alles gerade nicht auf sehr einfache Beziehungen zwischen Witz und Komik hin. Anderseits haben sich die Probleme des Komischen als so komplizierte erwiesen, allen Lösungsbestrebungen der Philosophen bisher so erfolgreich getrotzt, daß wir die Erwartung nicht aufrecht erhalten können, wir würden ihrer gleichsam durch einen Handstreich Meister werden, wenn wir von der Seite des Witzes her an sie herankommen. Auch brachten wir für die Erforschung des Witzes ein Instrument mit, welches Anderen noch nicht gedient hatte, die Kenntnis der Traumarbeit; zur Erkenntnis des Komischen steht uns kein ähnlicher Vorteil zu Gebote, und wir dürfen daher gewärtig sein, daß wir vom Wesen der Komik nichts anderes erkennen werden, als was sich uns bereits im Witz gezeigt hat, insofern derselbe dem Komischen zugehört und gewisse Züge desselben unverändert oder modifiziert in seinem eigenen Wesen führt.

§ 652

Diejenige Gattung des Komischen, welche dem Witze am nächsten steht, ist das Naive. Das Naive wird wie das Komische im allgemeinen gefunden, nicht wie der Witz gemacht, und zwar kann das Naive überhaupt nicht gemacht werden, während beim rein Komischen auch ein Komischmachen, ein Hervorrufen der Komik in Betracht kommt. Das Naive muß sich ohne unser Dazutun ergeben an den Reden und Handlungen anderer Personen, die an der Stelle der zweiten Person beim Komischen oder beim Witze stehen. Das Naive entsteht, wenn sich jemand über eine Hemmung voll hinaussetzt, weil eine solche bei ihm nicht vorhanden ist, wenn er sie also mühelos zu überwinden scheint. Bedingung für die Wirkung des Naiven ist, daß uns bekannt sei, er besitze diese Hemmung nicht, sonst heißen wir ihn nicht naiv, sondern frech, lachen nicht über ihn, sondern sind über ihn entrüstet. Die Wirkung des Naiven ist unwiderstehlich und scheint dem Verständnis einfach. Ein von uns gewohnheitsmäßig gemachter Hemmungsaufwand wird durch das Anhören der naiven Rede plötzlich unverwendbar und durch Lachen abgeführt; eine Ablenkung der Aufmerksamkeit braucht es dabei nicht, wahrscheinlich, weil die Aufhebung der Hemmung direkt und nicht durch Vermittlung einer angeregten Operation erfolgt. Wir verhalten uns dabei analog der dritten Person des Witzes, welcher die Hemmungsersparung ohne eigene Bemühung geschenkt wird.

§ 653

Nach den Einblicken in die Genese der Hemmungen, welche wir bei der Verfolgung der Entwicklung vom Spiel zum Witz gewonnen haben, wird es uns nicht wundern, daß das Naive zu allermeist am Kind gefunden wird, in weiterer Übertragung dann beim ungebildeten Erwachsenen, den wir als kindlich betreffs seiner intellektuellen Ausbildung auffassen können. Zum Vergleiche mit dem Witze bieten sich naive Reden natürlich besser als naive Handlungen, da Reden und nicht Handlungen die gewöhnlichen Äußerungsformen des Witzes sind. Es ist nun bezeichnend, daß man naive Reden wie die der Kinder ohne Zwang auch als „naive Witze“ benennen kann. Die Übereinstimmung und die Begründung der Verschiedenheit zwischen Witz und Naivität wird uns an einigen Beispielen leicht ersichtlich werden.

§ 654

Ein 3 1/2 jähriges Mädchen warnt seinen Bruder: Du, iß nicht soviel von dieser Speise, sonst wirst du krank werden und mußt Bubizin nehmen. „Bubizin?“ fragt die Mutter, „was ist denn das?“ Wie ich krank war, rechtfertigt sich das Kind, habe ich ja auch Medizin nehmen müssen. Das Kind ist der Meinung, daß das vom Arzt verschriebene Mittel Mädi—zin heißt, wenn es für das Mädi bestimmt ist, und schließt, daß es Bubi—zin heißen wird, wenn das Bubi es nehmen soll. Dies ist nun gemacht wie ein Wortwitz, der mit der Technik des Gleichklangs arbeitet, und könnte sich ja auch als wirklicher Witz zugetragen haben, in welchem Falle wir ihm halb widerwillig ein Lächeln geschenkt hätten. Als Beispiel einer Naivität scheint es uns ganz ausgezeichnet und macht uns laut lachen. Was stellt aber hier den Unterschied zwischen dem Witz und dem Naiven her? Offenbar nicht der Wortlaut oder die Technik, die für beide Möglichkeiten die gleichen sind, sondern ein für den ersten Anblick von beiden recht ferne ab liegendes Moment. Es handelt sich nur darum, ob wir annehmen, daß der Sprecher einen Witz beabsichtigt habe, oder daß er — das Kind — im guten Glauben auf Grund seiner unkorrigierten Unwissenheit einen ernsthaften Schluß habe ziehen wollen. Nur der letztere Fall ist einer der Naivität. Auf ein solches Sichhineinversetzen der anderen Person in den psychischen Vorgang bei der produzierenden Person werden wir hier zuerst aufmerksam gemacht.

§ 655

Die Untersuchung eines zweiten Beispieles wird diese Auffassung bestätigen. Ein Geschwisterpaar, ein 12jähriges Mädchen und ein 10jähriger Knabe führen ein von ihnen selbst komponiertes Theaterstück vor einem Parterre von Onkeln und Tanten auf. Die Szene stellt eine Hütte am Meeresstrande dar. Im ersten Akt klagen die beiden Dichter-Schauspieler, ein armer Fischer und sein braves Weib, über die harten Zeiten und den schlechten Erwerb. Der Mann beschließt auf seinem Boot über das weite Meer zu fahren, um anderswo den Reichtum zu suchen, und nach einem zärtlichen Abschied der Beiden wird der Vorhang zugezogen. Der zweite Akt spielt einige Jahre später. Der Fischer ist als reicher Mann mit einem großen Geldbeutel zurückgekehrt und erzählt der Frau, die er vor der Hütte wartend antrifft, wie schön es ihm draußen geglückt ist. Die Frau unterbricht ihn stolz: Ich war aber auch nicht faul unterdessen, und öffnet seinen Blicken die Hütte, auf deren Boden man zwölf große Puppen als Kinder schlafen sieht . . . An dieser Stelle des Schauspieles wurden die Darsteller durch ein sturmartiges Lachen der Zuschauer unterbrochen, welches sie sich nicht erklären konnten. Sie starrten verduzt auf die lieben Verwandten hin, die sich soweit anständig benommen und gespannt zugehört hatten. Die Voraussetzung, unter der dieses Lachen sich erklärt, ist die Annahme der Zuschauer, daß die jungen Dichter noch nichts von den Bedingungen der Entstehung der Kinder wissen und darum glauben können, eine Frau würde sich der in längerer Abwesenheit des Mannes geborenen Nachkommenschaft rühmen und ein Mann sich mit ihr freuen dürfen. Was die Dichter auf Grund solcher Unwissenheit produzierten, kann man aber als Unsinn, als Absurdität bezeichnen.

§ 656

Ein drittes Beispiel wird uns eine noch andere Technik, die wir beim Witze kennen gelernt haben, im Dienste des Naiven zeigen. Für ein kleines Mädchen wird eine „Französin“ als Gouvernante aufgenommen, deren Person aber nicht ihren Beifall findet. Kaum daß die neu Engagierte sich entfernt hat, läßt die Kleine ihre Kritik verlauten: Das soll eine Französin sein! Vielleicht heißt sie sich so, weil sie einmal bei einem Franzosen gelegen ist! Dies könnte ein sogar erträglicher Witz sein — Doppelsinn mit Zweideutigkeit oder zweideutiger Anspielung, wenn das Kind von der Möglichkeit des Doppelsinnes eine Ahnung gehabt hätte. In Wirklichkeit hatte sie nur eine oft gehörte scherzhafte Behauptung der Unechtheit auf die ihr unsympathische Fremde übertragen. („Das soll echtes Gold sein? Das ist vielleicht einmal bei Gold gelegen!“) Wegen dieser Unkenntnis des Kindes, die den psychischen Vorgang bei den verstehenden Zuhörern so gründlich abändert, wird seine Rede eine naive. Infolge dieser Bedingung gibt es aber auch ein mißverständlich Naives; man kann beim Kind eine Unwissenheit annehmen, die nicht mehr besteht, und Kinder pflegen sich häufig naiv zu stellen, um sich einer Freiheit zu bedienen, die ihnen sonst nicht zugestanden würde.

§ 657

An diesen Beispielen kann man die Stellung des Naiven zwischen dem Witz und dem Komischen erläutern. Mit dem Witz stimmt das Naive (der Rede) im Wortlaut und im Inhalt überein, es bringt einen Wortmißbrauch, einen Unsinn oder eine Zote zu stande. Aber der psychische Vorgang in der ersten produzierenden Person, der uns beim Witze so viel des Interessanten und Rätselhaften bot, entfällt hier völlig. Die naive Person vermeint sich ihrer Ausdrucksmittel und Denkwege in normaler und einfacher Weise bedient zu haben und weiß nichts von einer Nebenabsicht; sie zieht aus der Produktion des Naiven auch keinen Lustgewinn. Alle Charaktere des Naiven bestehen nur in der Auffassung der anhörenden Person, die mit der dritten Person des Witzes zusammenfällt. Die produzierende Person erzeugt ferner das Naive mühelos; die komplizierte Technik, die beim Witz dazu bestimmt ist, die Hemmung durch die verständige Kritik zu lähmen, entfällt bei ihr, weil sie diese Hemmung noch nicht besitzt, so daß sie Unsinn und Zote unmittelbar und ohne Kompromiß von sich geben kann. Insofern ist das Naive der Grenzfall des Witzes, der sich herausstellt, wenn man in der Formel der Witzbildung die Größe dieser Zensur auf Null heruntersetzt.

§ 658

War es für die Wirksamkeit des Witzes Bedingung, daß beide Personen unter ungefähr gleichen Hemmungen oder inneren Widerständen stehen, so läßt sich also als Bedingung des Naiven erkennen, daß die eine Person Hemmungen besitze, deren die andere entbehrt. Bei der mit Hemmungen versehenen Person liegt die Auffassung des Naiven, ausschließlich bei ihr kommt der Lustgewinn, den das Naive bringt, zu stande, und wir sind nahe daran zu erraten, daß diese Lust durch Hemmungsaufhebung entsteht. Da die Lust des Witzes der nämlichen Herkunft ist, — ein Kern von Wort- und Unsinnslust und eine Hülle von Aufhebungs- und Erleichterungslust, — so begründet diese ähnliche Beziehung zur Hemmung die innere Verwandtschaft des Naiven mit dem Witze. Bei beiden entsteht die Lust durch Aufhebung von innerer Hemmung. Der psychische Vorgang bei der rezeptiven Person (mit der beim Naiven unser Ich regelmäßig zusammenfällt, während wir uns beim Witz auch an die Stelle der produktiven setzen können) ist aber im Falle des Naiven um so viel komplizierter, als der bei der produktiven Person im Vergleich mit dem Witze vereinfacht ist. Auf die rezeptive Person muß das gehörte Naive einerseits wirken wie ein Witz, wofür gerade unsere Beispiele Zeugnis ablegen können, denn ihr ist wie beim Witz die Aufhebung der Zensur durch die bloße Mühe des Anhörens ermöglicht worden. Aber nur ein Teil der Lust, die das Naive schafft, läßt diese Erklärung zu, ja selbst dieser wäre in anderen Fällen des Naiven, z. B. beim Anhören von naiven Zoten gefährdet. Man könnte auf eine naive Zote ohne weiteres mit der nämlichen Entrüstung reagieren, die sich etwa gegen die wirkliche Zote erhebt, wenn nicht ein anderes Moment uns diese Entrüstung ersparen und gleichzeitig den bedeutsameren Anteil der Lust am Naiven liefern würde.

§ 659

Dieses andere Moment ist uns durch die vorhin erwähnte Bedingung gegeben, daß uns, um das Naive anzuerkennen, das Fehlen der inneren Hemmung bei der produzierenden Person bekannt sein müsse. Nur wenn dies gesichert ist, lachen wir anstatt uns zu entrüsten. Wir ziehen also den psychischen Zustand der produzierenden Person in Betracht, versetzen uns in denselben, suchen ihn zu verstehen, indem wir ihn mit dem unserigen vergleichen. Aus solchem Sichhineinversetzen und Vergleichen resultiert eine Ersparung von Aufwand, die wir durch Lachen abführen.

§ 660

Man könnte die einfachere Darstellung bevorzugen, durch die Überlegung, daß die Person keine Hemmung zu überwinden brauchte, werde unsere Entrüstung überflüssig; das Lachen geschehe also auf Kosten der ersparten Entrüstung. Um diese im allgemeinen irreführende Auffassung ferne zu halten, will ich zwei Fälle schärfer sondern, die ich in obiger Darstellung vereinigt hatte. Das Naive, das vor uns hintritt, kann entweder von der Natur des Witzes sein wie in unseren Beispielen, oder von der Natur der Zote, des Anstößigen überhaupt, was dann besonders zutreffen wird, wenn es sich nicht als Rede, sondern als Handlung äußert. Dieser letztere Fall ist wirklich irreführend; man könnte für ihn annehmen, die Lust entstehe aus der ersparten und umgewandelten Entrüstung. Aber der erstere Fall ist der aufklärende. Die naive Rede z. B. vom Bubizin, kann an sich wirken wie ein geringer Witz und zur Entrüstung keinen Anlaß geben; es ist dies gewiß der seltenere aber der reinere und bei Weitem lehrreichere Fall. Sowie wir nun daran denken, daß das Kind die Silben „Medi“ in „Medizin“ ernsthaft und ohne Nebenansicht für identisch mit seinem eigenen Namen „Mädi“ gehalten hat, erfährt die Lust am Gehörten eine Steigerung, die nichts mehr mit der Witzeslust zu tun hat. Wir betrachten jetzt das Gesagte von zweierlei Standpunkten, einmal so, wie es sich beim Kind ergeben hat, und dann so, wie sich es für uns ergeben würde, finden bei diesem Vergleich, daß das Kind eine Identität gefunden, eine Schranke überwunden hat, die für uns besteht, und dann geht es etwa so weiter, als ob wir uns sagen würden: Wenn du das Gehörte verstehen willst, kannst du dir den Aufwand für die Einhaltung dieser Schranke ersparen. Der bei solchem Vergleich frei gewordene Aufwand ist die Quelle der Lust am Naiven und wird durch Lachen abgeführt; es ist allerdings der nämliche, den wir sonst in Entrüstung verwandelt hätten, wenn das Verständnis der produzierenden Person und hier auch die Natur des Gesagten eine solche nicht ausschlößen. Nehmen wir aber den Fall des naiven Witzes als vorbildlich für den anderen Fall des naiv Anstößigen, so sehen wir, daß auch hier die Ersparung an Hemmung direkt aus der Vergleichung hervorgehen kann, daß wir nicht notwendig haben, eine beginnende und dann erstickte Entrüstung anzunehmen und daß die letztere nur einer anderweitigen Verwendung des frei gewordenen Aufwandes entspricht, gegen welche beim Witze komplizierte Schutzeinrichtungen erforderlich waren.

§ 661

Dieser Vergleich, diese Ersparung an Aufwand beim Sichhineinversetzen in den seelischen Vorgang der produzierenden Person, können für das Naive nur dann eine Bedeutung beanspruchen, wenn sie nicht ihm allein zukommen. In der Tat entsteht bei uns die Vermutung, daß dieser dem Witz völlig fremde Mechanismus, ein Stück, vielleicht das wesentliche Stück des psychischen Vorganges beim Komischen ist. Von dieser Seite — es ist gewiß die wichtigste Ansicht des Naiven — stellt sich das Naive also als eine Art des Komischen dar. Was bei unseren Beispielen von naiven Reden zur Witzeslust dazukommt, ist „komische“ Lust. Von dieser wären wir geneigt ganz allgemein anzunehmen, daß sie durch ersparten Aufwand bei Vergleichung der Äußerungen eines Anderen mit den unserigen entstehe. Da wir aber hier vor weit ausgreifenden Anschauungen stehen, wollen wir vorerst die Würdigung des Naiven abschließen. Das Naive wäre also eine Art des Komischen, insofern seine Lust aus der Aufwanddifferenz entspringt, die sich beim Verstehenwollen des Anderen ergibt, und es näherte sich dem Witz durch die Bedingung, daß der bei der Vergleichung ersparte Aufwand ein Hemmungsaufwand sein muß.*)*)

§ 662

Stellen wir noch rasch einige Übereinstimmungen und Unterscheidungen fest zwischen den Begriffen, zu denen wir zuletzt gelangt sind, und jenen, die seit Langem in der Psychologie der Komik genannt werden. Das Sichhineinversetzen, Verstehenwollen ist offenbar nichts Anderes als das „komische Leihen“, das seit Jean Paul in der Analyse des Komischen eine Rolle spielt; das „Vergleichen“ des seelischen Vorganges beim Anderen mit dem eigenen entspricht dem „psychologischen Kontrast“, für den wir hier endlich eine Stelle finden, nachdem wir beim Witze mit ihm nichts anzufangen wußten. In der Erklärung der komischen Lust weichen wir aber von vielen Autoren ab, bei denen die Lust durch das Hin- und Herschwanken der Aufmerksamkeit zwischen den kontrastierenden Vorstellungen entstehen soll. Wir wüßten einen solchen Mechanismus der Lust nicht zu begreifen, wir weisen darauf hin, daß bei der Vergleichung der Kontraste sich eine Aufwanddifferenz herausstellt, welche, wenn sie keine andere Verwendung erfährt, abfuhrfähig und dadurch Lustquelle wird.*)*)

*) Ich habe hier überall das Naive mit dem Naivkomischen identifiziert, was gewiß nicht allgemein zulässig ist. Aber es genügt unseren Absichten, die Charaktere des Naiven am „naiven Witz“ und an der „naiven Zote“ zu studieren. Ein weiteres Eingehen würde die Absicht voraussetzen, von hier aus das Wesen des Komischen zu ergründen. § 663

An das Problem des Komischen selbst wagen wir uns nur mit Bangen heran. Es wäre vermessen zu erwarten, daß unsere Bemühungen etwas Entscheidendes zu dessen Lösung beitragen könnten, nachdem die Arbeiten einer großen Reihe von ausgezeichneten Denkern eine allseitig befriedigende Aufklärung nicht ergeben haben. Wir beabsichtigen wirklich nichts anderes als jene Gesichtspunkte, die sich uns als wertvoll für den Witz erwiesen haben, eine Strecke weit ins Gebiet des Komischen zu verfolgen.

§ 664

Das Komische ergibt sich zunächst als ein unbeabsichtigter Fund aus den sozialen Beziehungen der Menschen. Es wird an Personen gefunden, und zwar an deren Bewegungen, Formen, Handlungen und Charakterzügen, wahrscheinlich ursprünglich nur an den körperlichen, später auch an den seelischen Eigenschaften derselben, beziehungsweise an deren Äußerungen. Durch eine sehr gebräuchliche Art von Personifizierung werden dann auch Tiere und unbelebte Objekte komisch. Das Komische ist indes der Ablösung von den Personen fähig, indem die Bedingung erkannt wird, unter welcher eine Person komisch erscheint. So entsteht das Komische der Situation, und mit solcher Erkenntnis ist die Möglichkeit vorhanden, eine Person nach Belieben komisch zu machen, indem man sie in Situationen versetzt, in denen ihrem Tun diese Bedingungen des Komischen anhängen. Die Entdeckung, daß man es in seiner Macht hat, einen Anderen komisch zu machen, eröffnet den Zugang zu ungeahntem Gewinn an komischer Lust und gibt einer hochausgebildeten Technik den Ursprung. Man kann auch sich selbst ebensowohl komisch machen wie andere. Die Mittel, die zum Komischmachen dienen, sind: die Versetzung in komische Situationen, die Nachahmung, Verkleidung, Entlarvung, Karikatur, Parodie und Travestie u. a. Wie selbstverständlich können diese Techniken in den Dienst feindseliger und aggressiver Tendenzen treten. Man kann eine Person komisch machen, um sie verächtlich werden zu lassen, um ihr den Anspruch auf Würde und Autorität zu benehmen. Aber selbst wenn solche Absicht dem Komischmachen regelmäßig zu Grunde läge, brauchte dies nicht der Sinn des spontan Komischen zu sein.

*) Auch Bergson (Le rire, 1904) weist (S. 99) eine solche Ableitung der komischen Lust, die unverkennbar durch das Bestreben beeinflußt worden ist, eine Analogie mit dem Lachen des Gekitzelten zu schaffen, mit guten Argumenten ab. — Auf einem ganz anderen Niveau steht die Erklärung der komischen Lust bei Lipps, die im Zusammenhange mit seiner Auffassung des Komischen als eines „unerwarteten Kleinen“ darzustellen wäre. § 665

Aus dieser ungeordneten Übersicht über das Vorkommen des Komischen ersehen wir bereits, daß ihm ein sehr ausgedehntes Ursprungsgebiet zugesprochen werden muß, und daß so spezialisierte Bedingungen wie z. B. beim Naiven beim Komischen nicht zu erwarten sind. Um der für das Komische gültigen Bedingung auf die Spur zu kommen, ist die Wahl eines Ausgangsfalles das Bedeutsamste; wir wählen die Komik der Bewegungen, weil wir uns erinnern, daß die primitivste Bühnendarstellung, die der Pantomime, sich dieses Mittels bedient, um uns lachen zu machen. Die Antwort, warum wir über die Bewegungen der Clowns lachen, würde lauten, weil sie uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir lachen über einen allzu großen Aufwand. Suchen wir die Bedingung außerhalb der künstlich gemachten Komik, also dort, wo sie sich unabsichtlich finden läßt. Die Bewegungen des Kindes erscheinen uns nicht komisch, obwohl das Kind zappelt und springt. Komisch ist es dagegen, wenn das Kind beim Schreibenlernen die herausgestreckte Zunge die Bewegungen des Federstils mitmachen läßt; wir sehen in diesen Mitbewegungen einen überflüssigen Bewegungsaufwand, den wir uns bei der gleichen Tätigkeit ersparen würden. In gleicher Weise sind uns andere Mitbewegungen oder auch bloß übermäßig gesteigerte Ausdrucksbewegungen komisch auch bei Erwachsenen. So sind ganz reine Fälle dieser Art von Komik die Bewegungen, die der Kegelschieber ausführt, nachdem er die Kugel entlassen hat, solange er ihren Lauf verfolgt, als könnte er diesen noch nachträglich regulieren; so sind alle Grimassen komisch, welche den normalen Ausdruck der Gemütsbewegungen übertreiben, auch dann, wenn sie unwillkürlich erfolgen wie bei an Veitstanz (Chorea St. Viti) leidenden Personen; so werden die leidenschaftlichen Bewegungen eines modernen Dirigenten jedem Unmusikalischen komisch erscheinen, der ihre Notwendigkeit nicht zu verstehen weiß. Ja, von dieser Komik der Bewegungen zweigt das Komische der Körperformen und Gesichtszüge ab, indem diese aufgefaßt werden, als seien sie das Ergebnis einer zu weit getriebenen und zwecklosen Bewegung. Aufgerissene Augen, eine hakenförmig zum Mund abgebogenen Nase, abstehende Ohren, ein Buckel, all dergleichen wirkt wahrscheinlich nur komisch, insofern die Bewegungen vorgestellt werden, die zum Zustandekommen dieser Züge notwendig wären, wobei Nase, Ohren und andere Körper teile der Vorstellung beweglicher gelten, als sie es in Wirklichkeit sind. Es ist ohne Zweifel komisch, wenn jemand „mit den Ohren wackeln“ kann, und es wäre ganz gewiß noch komischer, wenn er die Nase heben oder senken könnte. Ein gutes Stück der komischen Wirkung, welche die Tiere auf uns äußern, kommt von der Wahrnehmung solcher Bewegungen an ihnen, die wir nicht nachahmen können.

§ 666

Auf welche Weise gelangen wir aber zum Lachen, wenn wir die Bewegungen eines anderen als übermäßig und unzweckmäßig erkannt haben? Auf dem Wege der Vergleichung, meine ich, zwischen der am anderen beobachteten Bewegung und jener, die ich selbst an ihrer statt ausgeführt hätte. Die beiden Verglichenen müssen natürlich auf gleiches Maß gesetzt werden, und dieses Maß ist mein, mit der Vorstellung der Bewegung in dem einen wie im anderen Falle verbundener, Innervationsaufwand. Diese Behauptung bedarf der Erläuterung und weiterer Ausführung.

§ 667

Was wir hier in Beziehung zueinander setzen, ist einerseits der psychische Aufwand bei einem gewissen Vorstellen und anderseits der Inhalt dieses Vorgestellten. Unsere Behauptung geht dahin, daß der erstere nicht allgemein und prinzipiell unabhängig sei vom letzteren, vom Vorstellungsinhalt, insbesondere daß die Vorstellung eines Großen einen Mehraufwand gegen die eines Kleinen erfordere. Solange es sich nur um die Vorstellung verschieden großer Bewegungen handelt, dürfte uns die theoretische Begründung unseres Satzes und sein Erweis durch die Beobachtung keine Schwierigkeiten bereiten. Es wird sich zeigen, daß in diesem Falle eine Eigenschaft der Vorstellung tatsächlich mit einer Eigenschaft des Vorgestellten zusammenfällt, obwohl die Psychologie uns sonst vor solcher Verwechslung warnt.

§ 668

Die Vorstellung von einer bestimmt großen Bewegung habe ich erworben, indem ich diese Bewegung ausführte oder nachahmte, und bei dieser Aktion habe ich in meinen Innervationsempfindungen ein Maß für diese Bewegung kennen gelernt.*)*)

§ 669

Wenn ich nun eine ähnliche, mehr oder minder große Bewegung bei einem anderen wahrnehme, wird der sicherste Weg zum Verständnis — zur Apperzeption — derselben sein, daß ich sie nachahmend ausführe, und dann kann ich durch den Vergleich entscheiden, bei welcher Bewegung mein Aufwand größer war. Ein solcher Drang zur Nachahmung tritt gewiß beim Wahrnehmen von Bewegungen auf. In Wirklichkeit aber führe ich die Nachahmung nicht durch, so wenig wie ich noch buchstabiere, wenn ich durch das Buchstabieren das Lesen erlernt habe. An Stelle der Nachahmung der Bewegung durch meine Muskeln setze ich das Vorstellen derselben vermittels meiner Erinnerungsspuren an die Aufwände bei ähnlichen Bewegungen. Das Vorstellen oder „Denken“ unterscheidet sich vom Handeln oder Ausführen vor allem dadurch, daß es sehr viel geringere Besetzungsenergien in Verschiebung bringt und den Hauptaufwand vom Abfluß zurückhält. Auf welche Weise wird aber das quantitative Moment — das mehr oder minder Große — der wahrgenommenen Bewegung in der Vorstellung zu Ausdruck gebracht? Und wenn eine Darstellung der Quantität in der aus Qualitäten zusammengesetzten Vorstellung wegfällt, wie kann ich dann die Vorstellungen verschieden großer Bewegungen unterscheiden, den Vergleich anstellen, auf den es hier ankommt?

*) Die Erinnerung an diesen Innervationsaufwand wird das wesentliche Stück der Vorstellung von dieser Bewegung bleiben, und es wird immer Denkweisen in meinem Seelenleben geben, bei welchen die Vorstellung durch nichts anderes als diesen Aufwand repräsentiert wird. In anderen Zusammenhängen mag ja ein Ersatz dieses Elements durch andere, z. B. durch die visuellen Vorstellungen des Bewegungszieles, durch die Wortvorstellung, eintreten, und bei gewissen Arten des abstrakten Denkens wird ein Zeichen anstatt des vollen Inhalts der Vorstellung genügen. § 670

Hier weist uns die Physiologie den Weg, indem sie uns lehrt, daß auch während des Vorstellens Innervationen zu den Muskeln ablaufen, die freilich nur einem bescheidenen Aufwand entsprechen. Es liegt aber jetzt sehr nahe anzunehmen, daß dieser das Vorstellen begleitende Innervationsaufwand zur Darstellung des quantitativen Faktors der Vorstellung verwendet wird, daß er größer ist, wenn eine große Bewegung vorgestellt wird, als wenn es sich um eine kleine handelt. Die Vorstellung der größeren Bewegung wäre also hier wirklich die größere, d. h. von größerem Aufwand begleitete Vorstellung.

§ 671

Die Beobachtung zeigt nun unmittelbar, daß die Menschen gewöhnt sind, das Groß und Klein in ihren Vorstellungsinhalten durch mannigfachen Aufwand in einer Art von Vorstellungsmimik zum Ausdruck zu bringen.

§ 672

Wenn ein Kind oder ein Mann aus dem Volke oder ein Angehöriger gewisser Rassen etwas mitteilt oder schildert, so kann man leicht sehen, daß er sich nicht damit begnügt, seine Vorstellung durch die Wahl klarer Worte dem Hörer deutlich zu machen, sondern daß er auch den Inhalt derselben in seinen Ausdrucksbewegungen darstellt; er verbindet die mimische mit der wörtlichen Darstellung. Er bezeichnet zumal die Quantitäten und Intensitäten. „Ein hoher Berg“, dabei hebt er die Hand über seinen Kopf; „ein kleiner Zwerg“, dabei hält er sie nahe an den Boden. Er mag es sich abgewöhnt haben, mit den Händen zu malen, so wird es darum doch mit der Stimme tun, und wenn er sich auch darin beherrscht, so mag man wetten, daß er bei der Schilderung von etwas Großem die Augen aufreißt und bei der Darstellung von etwas Kleinem die Augen zusammendrückt. Es sind nicht seine Affekte, die er so äußert, sondern wirklich der Inhalt des von ihm Vorgestellten.

§ 673

Soll man nun annehmen, daß dies Bedürfnis nach Mimik erst durch die Anforderung der Mitteilung geweckt wird, während doch ein gutes Stück dieser Darstellungsweise der Aufmerksamkeit des Hörers überhaupt entgeht? Ich glaube vielmehr, daß diese Mimik, wenn auch minder lebhaft, abgesehen von jeder Mitteilung besteht, daß sie auch zu stande kommt, wenn die Person für sich allein vorstellt, etwas anschaulich denkt; daß diese Person dann das Groß und Klein an ihrem Körper ebenso wie während der Rede zum Ausdruck bringt, durch veränderte Innervation an ihren Gesichtszügen und Sinnesorganen wenigstens. Ja ich kann mir denken, daß die dem Inhalt des Vorgestellten konsensuelle Körperinnervation der Beginn und Ursprung der Mimik zu Mitteilungszwecken war; sie brauchte ja nur gesteigert, dem anderen auffällig gemacht zu werden, um dieser Absicht dienen zu können. Wenn ich so die Ansicht vertrete, daß zu dem „Ausdruck der Gemütsbewegungen“, der als körperliche Nebenwirkung seelischer Vorgänge bekannt ist, dieser „Ausdruck des Vorstellungsinhalts“ hinzugefügt werden sollte, so ist mir gewiß klar, daß meine auf die Kategorie des Großen und Kleinen bezüglichen Bemerkungen das Thema nicht erschöpfen. Ich wüßte selbst noch mancherlei dazu zu tun, noch ehe man zu den Spannungsphänomenen gelangt, durch welche eine Person die Sammlung ihrer Aufmerksamkeit und das Niveau der Abstraktion, auf dem ihr Denken eben verweilt, körperlich anzeigt. Ich halte den Gegenstand für recht bedeutsam und glaube, daß die Verfolgung der Vorstellungsmimik auf anderen Gebieten der Ästhetik ähnlich nützlich sein dürfte wie hier für das Verständnis des Komischen.

§ 674

Um nun zur Komik der Bewegung zurückzukehren, wiederhole ich, daß mit der Wahrnehmung einer bestimmten Bewegung der Impuls zu ihrer Vorstellung durch einen gewissen Aufwand gegeben sein wird. Ich mache also beim „Verstehenwollen“, bei der Apperzeption dieser Bewegung einen gewissen Aufwand, verhalte mich bei diesem Stück des seelischen Vorganges ganz so, als ob ich mich an die Stelle der beobachteten Person versetzte. Wahrscheinlich gleichzeitig fasse ich aber das Ziel dieser Bewegung ins Auge und kann durch frühere Erfahrung das Maß von Aufwand abschätzen, welches zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Ich sehe dabei von der beobachteten Person ab und benehme mich so, als ob ich selbst das Ziel der Bewegung erreichen wollte. Diese beiden Vorstellungstätigkeiten kommen auf einen Vergleich der beobachteten mit meiner eigenen Bewegung hinaus. Bei einer übermäßigen und unzweckmäßigen Bewegung des anderen wird mein Mehraufwand fürs Verständnis in statu nascendi, gleichsam in der Mobilmachung gehemmt, als überflüssig erklärt und ist für weitere Verwendung, eventuell für die Abfuhr durch Lachen, frei. Dieser Art wäre, wenn andere günstige Bedingungen hinzutreten, die Entstehung der Lust an der komischen Bewegung, ein bei der Vergleichung mit der eigenen Bewegung als Überschuß unverwendbar gewordener Innervationsaufwand.

§ 675

Wir merken nun, daß wir unsere Erörterungen nach zwei verschiedenen Richtungen fortzusetzen haben, erstens, um die Bedingungen für die Abfuhr des Überschusses festzustellen, zweitens um zu prüfen, ob die anderen Fälle des Komischen sich ähnlich fassen lassen wie das Komische der Bewegung.

§ 676

Wir wenden uns der letzteren Aufgabe zuerst zu und ziehen nach dem Komischen der Bewegung und Handlung das Komische in Betracht, das an den geistigen Leistungen und Charakterzügen des anderen gefunden wird.

§ 677

Wir können den komischen Unsinn, wie er von unwissenden Kandidaten im Examen produziert wird, zum Muster der Gattung nehmen; schwieriger ist es wohl, von den Charakterzügen ein einfaches Beispiel zu geben. Es darf uns nicht irre machen, daß Unsinn und Dummheit, die so häufig komisch wirken, doch nicht in allen Fällen als komisch empfunden werden, ebenso wie die nämlichen Charaktere, über die wir das eine Mal als komisch lachen, andere Male uns als verächtlich oder hassenswert erscheinen können. Diese Tatsache, der Rechnung zu tragen wir nicht vergessen dürfen, deutet doch nur darauf hin, daß für die komische Wirkung noch andere Verhältnisse als die der uns bekannten Vergleichung in Betracht kommen, Bedingungen, denen wir in anderem Zusammenhange nachspüren können.

§ 678

Das Komische, das an geistigen und seelischen Eigenschaften eines anderen gefunden wird, ist offenbar wiederum Ergebnis einer Vergleichung zwischen ihm und meinem Ich, aber merkwürdigerweise einer Vergleichung, die zumeist das entgegengesetzte Resultat geliefert hat wie im Falle der komischen Bewegung oder Handlung. In diesem letzteren Falle war es komisch, wenn der andere sich mehr Aufwand auferlegt hatte, als ich zu gebrauhcen glaubte; im Falle der seelischen Leistung wird es hingegen komisch, wenn der andere sich Aufwand erspart hat, den ich für unerläßlich halte, denn Unsinn und Dummheit sind ja Minderleistungen. Im ersteren Falle lache ich, weil er es sich zu schwer, im letzteren, weil ers sich zu leicht gemacht hat. Es kommt also scheinbar für die komische Wirkung nur auf die Differenz zwischen den beiden Besetzungsaufwänden — dem der „Einfühlung“ und dem des Ichs — an und nicht darauf, zu wessen Gunsten diese Differenz aussagt. Diese unser Urteil zunächst verwirrende Sonderbarkeit schwindet aber, wenn man in Erwägung zieht, daß es in der Richtung unserer persönlichen Entwicklung zu einer höheren Kulturstufe liegt, unsere Muskelarbeit einzuschränken und unsere Gedankenarbeit zu steigern. Durch Erhöhung unseres Denkaufwandes erzielen wir eine Verringerung unseres Bewegungsaufwandes für die nämliche Leistung, von welchem Kulturerfolg ja unsere Maschinen Zeugnis ablegen.*)*)

§ 679

Es fügt sich also einem einheitlichen Verständnis, wenn derjenige uns komisch erscheint, der für seine körperlichen Leistungen zuviel und für seine seelischen Leistungen zu wenig Aufwand im Vergleich mit uns treibt, und es ist nicht abzuweisen, daß unser Lachen in diesen beiden Fällen der Ausdruck der lustvoll empfundenen Überlegenheit ist, die wir uns ihm gegenüber zusprechen. Wenn das Verhältnis sich in beiden Fällen umkehrt, der somatische Aufwand des anderen geringer und sein seelischer größer gefunden wird als der unserige, dann lachen wir nicht mehr, dann staunen und bewundern wir.**)**)

§ 680

Der hier erörterte Ursprung der komischen Lust aus der Vergleichung der anderen Person mit dem eigenen Ich — aus der Differenz zwischen dem Einfühlungsaufwand und dem eigenen — ist wahrscheinlich der genetisch bedeutsamste. Sicher steht aber, daß er nicht der einzige geblieben ist. Wir haben irgend einmal gelernt, von solcher Vergleichung zwischen dem anderen und dem Ich abzusehen und die lustbringende Differenz uns von nur einer Seite her zu holen, sei es von der Einfühlung her, sei es aus den Vorgängen im eigenen Ich, womit der Beweis erbracht ist, daß das Gefühl der Überlegenheit keine wesentliche Beziehung zur komischen Lust hat. Eine Vergleichung ist für die Entstehung dieser Lust unentbehrlich; wir finden, daß diese Vergleichung statt hat zwischen zwei rasch aufeinander folgenden und auf dieselbe Leistung bezüglichen Besetzungsaufwänden, die wir entweder auf dem Wege der Einfühlung in den anderen bei uns herstellen oder ohne solche Beziehung in unseren eigenen seelischen Vorgängen finden. Der erste Fall, bei dem die andere Person also noch eine Rolle spielt, nur nicht ihr Vergleich mit unserem Ich, ergibt sich, wenn die lustbringende Differenz der Besetzungsaufwände hergestellt wird durch äußere Einflüsse, die wir als „Situation“ zusammenfassen können, weshalb diese Art Komik auch Situationskomik genannt wird. Die Eigenschaften der Person, welche das Komische liefert, kommen dabei nicht hauptsächlich in Betracht; wir lachen, auch wenn wir uns sagen müssen, daß wir in derselben Situation das nämliche hätten tun müssen. Wir ziehen hier die Komik aus dem Verhältnis des Menschen zur oft übermächtigen Außenwelt, als welche sich für die seelischen Vorgänge im Menschen auch die Konventionen und Notwendigkeiten der Gesellschaft, ja selbst seine eigenen leiblichen Bedürfnisse darstellen. Ein typischer Fall der letzten Art ist es, wenn jemand in einer Tätigkeit, die seine seelischen Kräfte in Anspruch nimmt, plötzlich gestört wird durch einen Schmerz oder ein exkrementelles Bedürfnis. Der Gegensatz, welcher uns bei der Einfühlung die komische Differenz liefert, ist der zwischen dem hohen Interesse vor der Störung und dem minimalen, welches er nach Eintritt der Störung noch für seine seelische Tätigkeit übrig hat. Die Person, die uns diese Differenz liefert, wird uns wiederum als eine unterlegene komisch; sie ist aber nur unterlegen im Vergleiche mit ihrem früheren Ich und nicht im Vergleiche zu uns, da wir wissen, daß wir uns im gleichen Fallen nicht anders benehmen könnten. Es ist aber bemerkenswert, daß wir dieses Unterliegen des Menschen nur im Falle der Einfühlung, also beim anderen, komisch finden können, während wir selbst im Falle solcher und ähnlicher Verlegenheiten uns nur peinlicher Gefühle bewußt würden. Wahrscheinlich ermöglicht uns erst dieses Fernhalten des Peinlichen von unserer Person, die aus der Vergleichung der wechselnden Besetzungen sich ergebende Differenz als eine lustvolle zu genießen.

*) „Was man nicht im Kopfe hat,“ sagt das Sprichwort, „muß man in den Beinen haben.“ **) Diese durchgehende Gegensätzlichkeit in den Bedingungen des Komischen, daß bald ein Zuviel, bald ein Zuwenig als die Quelle der komischen Lust erscheint, hat zur Verwirrung des Problems nicht wenig beigetragen. Vgl. Lipps (l. c., S. 47). § 681

Die andere Quelle des Komischen, die wir in unseren eigenen Besetzungswandlungen finden, liegt in unseren Beziehungen zum Zukünftigen, welches wir gewöhnt sind durch unsere Erwartungsvorstellungen zu antizipieren. Ich nehme an, daß ein quantitativ bestimmter Aufwand unserer jedesmaligen Erwartungsvorstellung zu Grunde liegt, der sich also im Falle der Enttäuschung um eine bestimmte Differenz vermindert, und berufe mich hier wiederum auf die vorhin gemachten Bemerkungen über „Vorstellungsmimik“. Es scheint mir aber leichter, den wirklich mobil gemachten Besetzungsaufwand für die Fälle der Erwartung zu erweisen. Es ist für eine Reihe von Fällen ganz offenkundig, daß motorische Vorbereitungen den Ausdruck der Erwartung bilden, zunächst für alle Fälle, in denen das erwartete Ereignis Ansprüche an meine Motilität stellt, und diese Vorbereitungen sind ohne weiteres quantitativ bestimmbar. Wenn ich einen Ball aufzufangen erwarte, der mir zugeworfen wird, so versetze ich meinen Körper in Spannungen, die ihn befähigen sollen, dem Anprall des Balls Stand zu halten, und die überschüssigen Bewegungen, die ich mache, wenn sich der aufgefangene Ball als zu leicht erweist, machen mich den Zuschauern komisch. Ich habe mich durch die Erwartung zu einem übermäßigen Bewegungsaufwand verführen lassen. Desgleichen, wenn ich z. B. eine für schwer gehaltene Frucht aus einem Korb hebe, die aber zu meiner Täuschung hohl, aus Wachs nachgeahmt ist. Meine Hand verrät durch ihr Emporschnellen, daß ich eine für den Zweck übergroße Innervation vorbereitet hatte, und ich werde dafür verlacht. Ja es gibt wenigstens einen Fall, in welchem der Erwartungsaufwand durch das physiologische Experiment am Tier unmittelbar meßbar aufgezeigt werden kann. In den Pawlofschen Versuchen über Speichelsekretion werden Hunden, denen eine Speichelfistel angelegt worden ist, verschiedene Nahrungsmittel vorgezeigt, und die abgesonderten Mengen Speichel schwanken dann, je nachdem die Versuchsbedingungen die Erwartung des Hundes, mit dem Vorgezeigten gefüttert zu werden, bestärkt oder getäuscht haben.

§ 682

Auch wo das Erwartete bloß Ansprüche an meine Sinnesorgane und nicht an meine Motilität stellt, darf ich annehmen, daß die Erwartung sich in einer gewissen motorischen Verausgabung zur Spannung der Sinne, zur Abhaltung anderer nicht erwarteter Eindrücke äußert, und darf überhaupt die Einstellung der Aufmerksamkeit als eine motorische Leistung, die einem gewissen Aufwand gleichkommt, auffassen. Ich darf ferner voraussetzen, daß die vorbereitende Tätigkeit der Erwartung nicht unabhängig sein wird von der Größe des erwarteten Eindrucks, sondern daß ich das Groß oder Klein derselben mimisch durch einen größeren oder kleineren Vorbereitungsaufwand darstellen werde wie im Falle der Mitteilung und im Falle des Denkens ohne zu erwarten. Der Erwartungsaufwand wird sich allerdings aus mehreren Komponenten zusammensetzen, und auch für meine Enttäuschung wird verschiedenes in Betracht kommen, nicht nur ob das Eingetroffene sinnlich größer oder kleiner ist als das Erwartete, sondern auch, ob es des großen Interesses würdig ist, welches ich für die Erwartung aufgeboten hatte. Ich werde auf diese Weise etwa dazu angeleitet, außer dem Aufwand für die Darstellung von Groß und Klein (der Vorstellungsmimik), den Aufwand für die Spannung der Aufmerksamkeit (Erwartungsaufwand) und bei anderen Fällen überdies den Abstraktionsaufwand in Betracht zu ziehen. Aber diese anderen Arten von Aufwand lassen sich leicht auf den für Groß und Klein zurückführen, da ja das Interessantere, das Erhabenere und selbst das Abstraktere nur besonders qualifizierte Spezialfälle des Größeren sind. Nehmen wir hinzu, daß nach Lipps u. a. der quantitative — und nicht der qualitative — Kontrast in erster Linie als Quelle der komischen Lust angesehen wird, so werden wir im ganzen damit zufrieden sein, daß wir das Komische der Bewegung zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung gewählt haben.

§ 683

In Ausführung des Kantschen Satzes, „das Komische sei eine in nichts zergangene Erwartung“, hat Lipps in seinem hier wiederholt zitierten Buche den Versuch gemacht, die komische Lust ganz allgemein aus der Erwartung abzuleiten. Trotz der vielen lehrreichen und wertvollen Ergebnisse, welche dieser Versuch zu Tage gefördert hat, möchte ich aber der von anderen Autoren geäußerten Kritik beipflichten, daß Lipps das Ursprungsgebiet des Komischen um vieles zu eng gefaßt hat und dessen Phänomene seiner Formel nicht ohne großen Zwang unterwerfen konnte.

§ 684

Die Menschen haben sich nicht damit begnügt, das Komische zu genießen, wo sie im Erleben darauf stoßen, sondern darnach gestrebt es absichtlich herzustellen, und man erfährt mehr vom Wesen des Komischen, wenn man die Mittel studiert, welche zum Komischmachen dienen. Man kann vor allem das Komische an seiner eigenen Person zur Erheiterung anderer hervorrufen, z. B. indem man sich ungeschickt oder dumm stellt. Man erzeugt dann die Komik genau so, als ob man es wirklich wäre, indem man die Bedingung der Vergleichung, die zur Aufwanddifferenz führt, erfüllt; man macht sich selbst aber nicht lächerlich oder verächtlich dadurch, sondern kann unter Umständen sogar Bewunderung erzielen. Das Gefühl der Überlegenheit kommt beim anderen nicht zu stande, wenn er weiß, daß man sich bloß verstellt hat, und dies gibt einen guten neuerlichen Beweis für die prinzipielle Unabhängigkeit der Komik vom Überlegenheitsgefühl.

§ 685

Als Mittel, einen anderen komisch zu machen, dient vor allem die Versetzung in Situationen, in denen man infolge der menschlichen Abhängigkeit von äußeren Verhältnissen, insbesondere sozialen Momenten komisch wird, ohne Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften des Betroffenen, also die Ausnützung der Situationskomik. Diese Versetzung in eine komische Situation mag eine reale sein (a practical joke), indem man jemandem ein Bein stellt, so daß er wie ein Ungeschickter hinfällt, ihn dumm erscheinen läßt, dadurch daß man seine Gläubigkeit ausnützt, ihm etwas Unsinniges einzureden sucht u. dgl., oder sie kann durch Rede oder Spiel fingiert werden. Es ist ein gutes Hilfsmittel der Aggression, in deren Dienst sich das Komischmachen zu stellen pflegt, daß die komische Lust unabhängig ist von der Realität der komischen Situation, so daß jeder eigentlich wehrlos dem Komischgemachtwerden ausgesetzt ist.

§ 686

Es gibt aber noch andere Mittel zum Komischmachen, die eine besondere Würdigung verdienen und zum Teil auch neue Ursprünge der komischen Lust aufzeigen. Hieher gehört z. B. die Nachahmung, die dem Hörer eine ganz außerordentliche Lust gewährt und ihren Gegenstand komisch macht, auch wenn sie sich von der karikierenden Übertreibung noch ferne hält. Es ist viel leichter, die komische Wirkung der Karikatur als die der bloßen Nachahmung zu ergründen. Karikatur, Parodie und Travestie, sowie deren praktisches Gegenstück: die Entlarvung, richten sich gegen Personen und Objekte, die Autorität und Respekt beanspruchen, in irgend einem Sinne erhaben sind. Es sind Verfahren zur Herabsetzung, wie der glückliche Ausdruck der deutschen Sprache besagt.*)*) Das Erhabene ist ein Großes im übertragenen, im psychischen Sinne, und ich möchte die Annahme machen oder vielmehr erneuern, daß dasselbe wie das somatisch Große durch einen Mehraufwand dargestellt wird. Es gehört wenig Beobachtung dazu um festzustellen, daß ich, wenn ich vom Erhabenen rede, meine Stimme anders innerviere, andere Mienen mache und meine ganze Körperhaltung gleichsam in Einklang mit der Würde dessen zu bringen suche, was ich vorstelle. Ich lege mir einen feierlichen Zwang auf, nicht viel anders, als wenn ich mich in die Gegenwart einer erhabenen Persönlichkeit, eines Monarchen, eines Fürsten der Wissenschaft begeben soll. Ich werde kaum irre gehen, wenn ich annehme, daß diese andere Innervation der Vorstellungsmimik einem Mehraufwand entspricht. Den dritten Fall eines solchen Mehraufwandes finde ich wohl, wenn ich mich in abstrakten Gedankengängen anstatt in den gewohnten konkreten und plastischen Vorstellungen ergehe. Wenn nun die besprochenen Verfahren zur Herabsetzung des Erhabenen mich dieses wie ein Gewöhnliches vorstellen lassen, bei dem ich mich nicht zusammennehmen muß, in dessen idealer Gegenwart ich es mir „kommod“ machen kann, wie die militärische Formel lautet, erspart sie mir den Mehraufwand des feierlichen Zwanges, und der Vergleich dieser durch die Einfühlung angeregten Vorstellungsweise mit der bisher gewohnten, die sich gleichzeitig herzustellen sucht, schafft wiederum die Aufwandsdifferenz, die durch Lachen abgeführt werden kann.

*) Degradation. A. Bain (The emotions and the will, 2. edit. 1865, sagt: The occasion of the Ludicrous is the degradation of some person or interest, possessing dignity, in circumstances that excite no other strong emotion.“ (S. 248). § 687

Die Karikatur stellt die Herabsetzung bekanntlich her, indem sie aus dem Gesamtausdrucke des erhabenen Objekts einen einzelnen an sich komischen Zug heraushebt, welcher übersehen werden mußte, solange er nur im Gesamtbilde wahrnehmbar war. Durch dessen Isolierung kann nun ein komischer Effekt erzielt werden, der sich auf das Ganze in unserer Erinnerung erstreckt. Bedingung ist dabei, daß nicht die Anwesenheit des Erhabenen selbst uns in der Disposition der Ehrerbietung festhalte. Wo ein solcher übersehener komischer Zug in Wirklichkeit fehlt, da schafft ihn die Karikatur unbedenklich durch die Übertreibung eines an sich nicht komischen. Es ist wiederum kennzeichnend für den Ursprung der komischen Lust, daß der Effekt der Karikatur durch solche Verfälschung der Wirklichkeit nicht wesentlich beeinträchtigt wird.

§ 688

Parodie und Travestie erreichen die Herabsetzung des Erhabenen auf andere Weise, indem sie die Einheitlichkeit zwischen den uns bekannten Charakteren von Personen und deren Reden und Handlungen zerstören, entweder die erhabenen Personen oder deren Äußerungen durch niedrige ersetzen. Darin unterscheiden sie sich von der Karikatur, nicht aber durch den Mechanismus der Produktion von komischer Lust. Der nämliche Mechanismus gilt auch noch für die Entlarvung, die nur dort in Betracht kommt, wo jemand Würde und Autorität durch einen Trug an sich gerissen hat, die ihm in der Wirklichkeit abgenommen werden müssen. Den komischen Effekt der Entlarvung haben wir durch einige Beispiele beim Witze kennen gelernt, z. B. in jener Geschichte von der vornehmen Dame, die in den ersten Geburtswehen: Ah, mon dieu ruft, welcher der Arzt aber nicht eher Beistand leisten will, als bis sie Ai, waih geschrien hat. Nachdem wir nun die Charaktere des Komischen kennen gelernt haben, können wir nicht mehr bestreiten, daß diese Geschichte eigentlich ein Beispiel von komischer Entlarvung ist und keinen berechtigten Anspruch hat, ein Witz geheißen zu werden. An den Witz erinnert sie bloß durch die Inszenierung, durch das technische Mittel der „Darstellung durch ein Kleinstes“, hier also den Schrei, der zur Indikationsstellung ausreichend gefunden wird. Es bleibt indes bestehen, daß unser Sprachgefühl, wenn wir es zur Entscheidung anrufen, sich nicht dagegen sträubt, eine solche Geschichte einen Witz zu heißen. Wir mögen die Erklärung hiefür in der Überlegung finden, daß der Sprachgebrauch nicht von der wissenschaftlichen Einsicht in das Wesen des Witzes ausgeht, welche wir uns in dieser mühseligen Untersuchung erworben haben. Da es zu den Leistungen des Witzes gehört, verdeckte Quellen der komischen Lust wieder zugänglich zu machen (S. 87), kann in lockerer Analogie jeder Kunstgriff, der nicht offenkundige Komik an den Tag bringt, ein Witz genannt werden. Dies letztere trifft aber vorzugsweise für die Entlarvung zu, wie auch sonst für andere Methoden des Komischmachens.*)*)

§ 689

Zur „Entlarvung“ kann man auch jene uns schon bekannten Verfahren zum Komischmachen rechnen, welche die Würde des einzelnen Menschen herabsetzen, indem sie auf seine allgemein menschliche Gebrechlichkeit, besonders aber auf die Abhängigkeit seiner seelischen Leistungen von körperlichen Bedürfnissen aufmerksam machen. Die Entlarvung wird dann gleichbedeutend mit der Mahnung: Dieser und jener gleich einem Halbgott Bewunderte ist doch auch nur ein Mensch wie ich und du. Ferner gehören alle Bemühungen hieher, hinter dem Reichtum und der scheinbaren Freiheit der psychischen Leistungen den monotonen psychischen Automatismus bloßzulegen. Wir haben Beispiele von solchen „Entlarvungen“ bei den Heiratsvermittlerwitzen kennen gelernt und wohl damals den Zweifel gefühlt, ob wir diese Ge schichten mit Recht zu den Witzen rechnen. Wir können nun mit größerer Sicherheit entscheiden, daß die Anekdote von dem Echo, welches alle Behauptungen des Heiratsvermittlers bekräftigt und zuletzt auch dessen Zugeständnis, die Braut habe einen Höcker, mit dem Ausrufe verstärkt: Aber, was für einen Höcker! im wesentlichen eine komische Geschichte ist, ein Beispiel von Entlarvung des psychischen Automatismus. Die komische Geschichte dient aber hier doch nur als Fassade; für jedermann, der auf den verborgenen Sinn der Heiratsvermittleranekdoten achten will, bleibt das Ganze ein vortrefflich inszenierter Witz. Wer nicht soweit eindringt, bleibt bei der komischen Geschichte stehen. Ähnliches gilt für den anderen Witz vom Heiratsvermittler, der, um einen Einwand zu widerlegen, schließlich durch den Ausruf: Aber ich bitte Sie, wer wird denn solchen Leuten etwas leihen! die Wahrheit zugesteht; eine komische Entlarvung als Fassade für einen Witz. Doch ist der Charakter des Witzes hier weit unverkennbarer, denn die Rede des Vermittlers ist gleichzeitig eine Darstellung durchs Gegenteil. Indem er beweisen will, daß die Leute reich sind, beweist er zugleich, daß sie nicht reich, sondern sehr arm sind. Witz und Komik kombinieren sich hier und lehren uns, daß die nämliche Aussage zugleich witzig und komisch sein kann.

*) „So heißt überhaupt Witz jedes bewußte und geschickte Hervorrufen der Komik, sei es der Komik der Anschauung oder der Situation. Natürlich können wir auch diesen Begriff des Witzes hier nicht brauchen.“ Lipps, l. c. S. 78. § 690

Wir ergreifen gern die Gelegenheit von der Komik der Entlarvung auf den Witz zurückzugehen, da ja die Klärung des Verhältnisses zwischen Witz und Komik, nicht die Wesensbestimmung des Komischen unsere eigentliche Aufgabe ist. Wir reihen darum dem Falle der Aufdeckung des psychischen Automatismus, für den uns das Gefühl, ob etwas komisch oder witzig sei, im Stiche gelassen hat, einen anderen an, in dem gleichfalls Witz und Komik sich miteinander verwirren, den Fall der Unsinnswitze. Unsere Untersuchung wird uns aber schließlich zeigen, daß für diesen zweiten Fall das Zusammentreffen von Witz und Komik theoretisch ableitbar ist.

§ 691

Wir haben bei der Erörterung der Witztechniken gefunden, daß das Gewährenlassen solcher Denkweisen, wie sie im Unbewußten üblich sind, und die im Bewußten nur als „Denkfehler“ beurteilt werden können, das technische Mittel sehr vieler Witze ist, über deren Witzcharakter wir dann doch wieder zweifeln konnten, so daß wir geneigt waren, sie einfach als komische Geschichten zu klassifizieren. Wir konnten zu keiner Entscheidung über unseren Zweifel gelangen, weil uns zunächst der wesentliche Charakter des Witzes nicht bekannt war. Später fanden wir diesen, durch die Analogie mit der Traumarbeit geleitet, in der Kompromiß leistung der Witzarbeit zwischen den Anforderungen der vernünftigen Kritik und dem Trieb, auf die alte Wort- und Unsinnslust nicht zu verzichten. Was so als Kompromiß zu stande kam, wenn der vorbewußte Ansatz des Gedankens für einen Moment der unbewußten Bearbeitung überlassen wurde, genügte in allen Fällen beiderlei Ansprüchen, präsentierte sich aber der Kritik in verschiedenen Formen und mußte sich verschiedene Beurteilungen von ihr gefallen lassen. Es war dem Witz das eine Mal gelungen, sich die Form eines bedeutungslosen aber immerhin zulässigen Satzes zu erschleichen, das andere Mal sich im Ausdruck eines wertvollen Gedankens einzuschmuggeln; im Grenzfalle der Kompromißleistung aber hatte er auf die Befriedigung der Kritik verzichtet und war trotzend auf die Lustquellen, über die er verfügte, als barer Unsinn vor ihr erschienen, hatte sich nicht gescheut, ihren Widerspruch wachzurufen, weil er darauf rechnen konnte, daß der Hörer die Verunstaltung seines Ausdrucks durch die unbewußte Bearbeitung redressieren und ihm so seinen Sinn wiedergeben würde.

§ 692

In welchem Falle wird nun der Witz vor der Kritik als Unsinn erscheinen? Besonders dann, wenn er sich jener Denkweisen bedient, die im Unbewußten üblich, im bewußten Denken verpönt sind, also der Denkfehler. Gewisse der Denkweisen des Unbewußten sind nämlich auch für das Bewußte erhalten geblieben, z. B. manche Arten der indirekten Darstellung, die Anspielung usw., wenngleich deren bewußter Gebrauch größeren Beschränkungen unterliegt. Mit diesen Techniken wird der Witz bei der Kritik keinen oder geringen Anstoß erregen; dieser Erfolg tritt erst ein, wenn er sich auch jener Mittel als Technik bedient, von denen das bewußte Denken nichts mehr wissen will. Der Witz kann den Anstoß immer noch vermeiden, wenn er den angewandten Denkfehler verhüllt, ihn mit einem Schein von Logik verkleidet wie in der Geschichte von Torte und Likör, Lachs mit Mayonnaise und ähnlichen. Bringt er den Denkfehler aber unverhüllt, so ist der Einspruch der Kritik gewiß.

§ 693

In diesem Falle kommt dem Witz nun etwas anderes zu gute. Die Denkfehler, die er als Denkweisen des Unbewußten für seine Technik benützt, erscheinen der Kritik — wenn auch nicht regelmäßig so — als komisch. Das bewußte Gewährenlassen der unbewußten und als fehlerhaft verworfenen Denkweisen ist ein Mittel zur Erzeugung der komischen Lust, und dies ist leicht zu verstehen, denn zur Herstellung der vorbewußten Besetzung bedarf es gewiß eines größeren Aufwandes als zum Gewähren lassen der unbewußten. Indem wir beim Anhören des wie im Unbewußten gebildeten Gedankens diesen mit seiner Korrektur vergleichen, ergibt sich für uns die Aufwanddifferenz, aus welcher die komische Lust hervorgeht. Ein Witz, der sich solcher Denkfehler als Technik bedient und darum unsinnig erscheint, kann also gleichzeitig komisch wirken. Kommen wir dem Witze nicht auf die Spur, so erübrigt uns wiederum nur die komische Geschichte, der Schwank.

§ 694

Die Geschichte vom geborgten Kessel, der bei der Zurückstellung ein Loch hatte, wobei sich der Entlehner verantwortete, erstens habe er überhaupt keinen Kessel geborgt, zweitens sei dieser schon bei der Entlehnung durchlöchert gewesen, und drittens habe er ihn unversehrt, ohne Loch, zurückgestellt (S. 48), ist ein vortreffliches Beispiel einer rein komischen Wirkung durch Gewährenlassen unbewußter Denkweise. Gerade dieses einander Aufheben von mehreren Gedanken, von denen jeder für sich gut motiviert ist, fällt im Unbewußten weg. Der Traum, an dem ja die Denkweisen des Unbewußten manifest werden, kennt dem entsprechend auch kein Entweder — oder,*)*) nur ein gleichzeitiges Nebeneinander. In jenem Traumbeispiel meiner Traumdeutung, das ich trotz seiner Komplikation zum Muster für die Deutungsarbeit gewählt habe,**)**) suche ich mich von dem Vorwurf zu entlasten, daß ich die Schmerzen einer Patientin nicht durch psychische Kur zum Verschwinden gebracht habe. Meine Begründungen lauten: 1. sie sei selbst an ihrem Kranksein schuld, weil sie meine Lösung nicht annehmen wolle, 2. ihre Schmerzen seien organischer Herkunft, gehen mich also gar nichts an, 3. ihre Schmerzen hängen mit ihrer Witwenschaft zusammen, an der ich ja nicht schuld bin, 4. ihre Schmerzen rühren von einer Injektion mit verunreinigter Spritze her, die ihr ein anderer gegeben hat. Alle diese Gründe stehen nun so nebeneinander, als schlöße nicht der eine den anderen aus. Ich müßte für das „Und“ des Traumes ein „Entweder — oder“ einsetzen, um dem Vorwurf des Unsinns zu entgehen.

§ 695

Eine ähnliche komische Geschichte wäre die, daß sich in einem ungarischen Dorf der Schmied ein todwürdiges Verbrechen habe zu Schulden kommen lassen, der Bürgermeister aber habe beschlossen zur Sühne nicht den Schmied, sondern einen Schneider aufhängen zu lassen, denn es wären zwei Schneider im Dorfe ansässig, aber kein anderer Schmied, und Sühne müßte sein. Eine solche Verschiebung von der Person des Schuldigen auf einen anderen widerspricht natürlich allen Gesetzen bewußter Logik, keineswegs aber der Denkweise des Unbewußten. Ich stehe nicht an, diese Geschichte komisch zu heißen, und doch habe die vom Kessel unter den Witzen angeführt. Ich gebe nun zu, daß auch letztere viel richtiger als „komisch“ denn als witzig zu bezeichnen ist. Ich verstehe aber nun, wie es zugeht, daß mein sonst so sicheres Gefühl mich im Zweifel lassen kann, ob diese Geschichte komisch oder witzig ist. Es ist dies der Fall, in dem ich nach dem Gefühl die Entscheidung nicht treffen kann, wenn nämlich die Komik durch Aufdeckung der dem Unbewußten ausschließlich eigenen Denkweisen entsteht. Eine derartige Geschichte kann komisch und witzig zugleich sein; sie wird mir aber den Eindruck des Witzigen machen, auch wenn sie bloß komisch ist, weil die Verwendung der Denkfehler des Unbewußten mich an den Witz mahnt, ebenso wie vorhin (S. 176) die Veranstaltungen zur Aufdeckung verborgener Komik.

*) Dies wird höchstens vom Erzähler als Deutung eingesetzt. **) L. c. S. 83. (3. Aufl. S. 87). § 696

Ich muß Wert darauf legen, diesen heikelsten Punkt meiner Auseinandersetzungen, das Verhältnis des Witzes zur Komik, klar zu stellen, und will darum das Gesagte durch einige negative Sätze ergänzen. Zunächst kann ich darauf aufmerksam machen, daß der hier behandelte Fall des Zusammentreffens von Witz und Komik mit dem vorigen (S. 177) nicht identisch ist. Es ist dies zwar eine feinere Unterscheidung, aber sie ist mit Sicherheit zu machen. Im vorigen Falle rührte die Komik von der Aufdeckung des psychischen Automatismus her. Dieser ist nun keineswegs dem Unbewußten allein eigentümlich und spielt auch keine auffällige Rolle unter den Techniken des Witzes. Die Entlarvung tritt nur zufällig zum Witze in Beziehung, indem sie einer anderen Technik des Witzes, z. B. der Darstellung durch das Gegenteil dient. Im Falle des Gewährenlassens unbewußter Denkweisen ist aber das Zusammentreffen von Witz und Komik ein notwendiges, weil dasselbe Mittel, das bei der ersten Person des Witzes zur Technik der Lustentbindung verwendet wird, seiner Natur nach bei der dritten Person komische Lust erzeugt.

§ 697

Man könnte in die Versuchung geraten, diesen letzten Fall zu verallgemeinern, und die Beziehung des Witzes zur Komik darin suchen, daß die Wirkung des Witzes auf die dritte Person nach dem Mechanismus der komischen Lust erfolgt. Aber davon ist keine Rede, die Berührung mit dem Komischen trifft keineswegs für alle oder auch nur die meisten Witze zu; in den meisten Fällen sind Witz und Komik vielmehr reinlich zu scheiden. So oft es dem Witz gelingt, dem Anschein des Unsinnigen zu entgehen, also bei den meisten Doppelsinn- und Anspielungswitzen ist von einer dem Komischen ähnlichen Wirkung beim Hörer nichts zu entdecken. Man mache die Probe an den früher mitgeteilten Beispielen oder an einigen neuen, die ich anführen kann.

§ 698

Glückwunschtelegramm zum 70. Geburtstag eines Spielers:Trente et quarante.“ (Wortzerteilung mit Anspielung.)

§ 699

Hevesi beschreibt einmal den Prozeß der Tabakfabrikation: „Die hellgelben Blätter . . . wurden da in eine Beize getunkt und in dieser Tunke gebeizt.“ (Mehrfache Verwendung des nämlichen Materials.)

§ 700

Madame de Maintenon wurde Mme. de Maintenant genannt. (Namensmodifikation.)

§ 701

Prof. Kästner sagt zu einem Prinzen, der sich während einer Demonstration vor das Fernrohr gestellt: Mein Prinz, ich weiß wohl, daß Sie durchläuchtig sind, aber Sie sind nicht durchsichtig.

§ 702

Graf Andrassy wurde der Minister des schönen Äußeren genannt.

§ 703

Man könnte ferner glauben, daß wenigstens alle Witze mit Unsinnsfassade komisch erscheinen und so wirken müssen. Allein ich erinnere hier daran, daß solche Witze sehr oft eine andere Wirkung auf den Hörer haben, Verblüffung und Neigung zur Ablehnung hervorrufen (siehe S. 119). Es kommt also offenbar darauf an, ob der Unsinn des Witzes als komischer oder als gemeiner, barer Unsinn erscheint, wofür wir die Bedingung noch nicht erforscht haben. Wir verbleiben demnach bei dem Schlusse, daß der Witz seiner Natur nach vom Komischen zu sondern ist und nur einerseits in gewissen speziellen Fällen, anderseits in der Tendenz, Lust aus intellektuellen Quellen zu gewinnen, mit ihm zusammentrifft.

§ 704

Während dieser Untersuchungen über die Beziehungen von Witz und Komik enthüllt sich uns nun jener Unterschied, den wir als den bedeutsamsten betonen müssen, und der gleichzeitig auf einen psychologischen Hauptcharakter der Komik hinweist. Die Quelle der Lust des Witzes mußten wir in das Unbewußte verlegen; keine Veranlassung zur gleichen Lokalisation ist für das Komische erfindlich. Vielmehr deuten alle Analysen, die wir bisher angestellt haben, darauf hin, daß die Quelle der komischen Lust die Vergleichung zweier Aufwände ist, die wir beide dem Vorbewußten zuordnen müssen. Witz und Komik unterscheiden sich vor allem in der psychischen Lokalisation; der Witz ist sozusagen der Beitrag zur Komik aus dem Bereich des Unbewußten.

§ 705

Wir brauchen uns nicht zu beschuldigen, daß wir uns in eine Abschweifung eingelassen haben, da ja das Verhältnis des Witzes zur Komik der Anlaß ist, welcher uns zur Untersuchung des Komischen gedrängt hat. Es ist aber wohl an der Zeit, daß wir zu unserem dermaligen Thema zurückkehren, zur Behandlung der Mittel, welche dem Komischmachen dienen. Wir haben die Erörterung der Karikatur und der Entlarvung vorausgeschickt, weil wir aus ihnen beiden einige Anknüpfungen für die Analyse der Komik der Nachahmung entnehmen können. Die Nachahmung ist wohl zumeist mit Karikatur, Übertreibung einiger sonst nicht auffälliger Züge versetzt und trägt auch den Charakter der Herabsetzung an sich. Doch scheint ihr Wesen hiemit nicht erschöpft; es ist unleugbar, daß sie an sich eine außerordentlich ergiebige Quelle der komischen Lust darstellt, indem wir gerade über die Treue der Nachahmung besonders lachen. Es ist nicht leicht, hiefür eine befriedigende Aufklärung zu geben, wenn man sich nicht der Ansicht von Bergson *)*) anschließen will, durch welche die Komik der Nachahmung nahe an die durch Aufdeckung des psychischen Automatismus herangerückt wird. Bergson meint, daß alles dasjenige komisch wirkt, was bei einer lebenden Person an einen unbelebten Mechanismus denken läßt. Seine Formel hiefür lautet: „Mécanisation de la vie“. Er erklärt die Komik der Nachahmung, indem er an ein Problem anknüpft, welches Pascal in seinen „Pensées“ aufgestellt, warum man bei der Vergleichung zweier ähnlicher Gesichter lache, von denen keines an sich komisch wirke. „Das Lebende soll sich nach unserer Erwartung niemals völlig ähnlich wiederholen. Wo wir solche Wiederholung finden, vermuten wir jedesmal einen Mechanismus, der hinter diesem Lebenden steckt.“ Wenn man zwei Gesichter von zu weitgehender Ähnlichkeit sieht, denkt man an zwei Abdrücke aus derselben Form oder an ein ähnliches Verfahren der mechanischen Herstellung. Kurz die Ursache des Lachens wäre in diesen Fällen die Abweichung des Lebenden gegen das Leblose hin; wir können sagen, die Degradierung des Lebenden zum Leblosen (l. c., S. 35). Wenn wir diese einschmeichelnden Ausführungen Bergsons gelten lassen, fällt es uns übrigens nicht schwer, seine Ansicht unserer eigenen Formel zu unterwerfen. Durch die Erfahrung belehrt, daß jedes Lebende ein anderes ist und eine Art von Aufwand von unserem Verständnis fordert, finden wir uns enttäuscht, wenn wir infolge vollkommener Übereinstimmung oder täuschender Nachahmung keines neuen Aufwandes bedürfen. Wir sind aber enttäuscht im Sinne der Erleichterung, und der überflüssig gewordene Erwartungsaufwand wird durch Lachen abgeführt. Die nämliche Formel würde auch alle bei Bergson gewürdigten Fälle der komischen Erstarrung (raideur), der professionellen Gewohnheiten, fixen Ideen und bei jedem Anlaß wiederholten Redensarten decken. Alle diese Fälle würden auf den Vergleich des Erwartungsaufwandes mit dem zum Verständnis des sich gleich Gebliebenen erforderlichen ausgehen, wobei die größere Erwartung sich auf die Beobachtung der individuellen Mannigfaltigkeit und Plastizität des Lebenden stützt. Bei der Nachahmung wäre also nicht die Situations-, sondern die Erwartungskomik die Quelle der komischen Lust.

*) Bergson, Le rire, essai sur la signification du comique. 3me édition, Paris 1904. § 706

Da wir die komische Lust allgemein von einer Vergleichung ableiten, obliegt es uns, auch das Komische des Vergleichs selbst zu untersuchen, welcher ja gleichfalls als Mittel zum Komischmachen dient. Unser Interesse für diese Frage wird eine Steigerung erfahren, wenn wir uns erinnern, daß uns oft auch im Falle des Gleichnisses das „Gefühl“, ob etwas ein Witz oder bloß komisch zu nennen sei, im Stiche zu lassen pflegt (s. S. 67).

§ 707

Das Thema verdiente freilich mehr Sorgfalt, als wir ihm von unserem Interesse her zu teil werden lassen können. Die Haupteigenschaft, nach welcher wir beim Gleichnis fragen, ist, ob dasselbe treffend ist, d. h. ob es auf eine wirklich vorhandene Übereinstimmung zweier verschiedener Objekte aufmerksam macht. Die ursprüngliche Lust am Wiederfinden des Gleichen (Groos, S. 103) ist nicht das einzige Motiv, welches den Gebrauch der Vergleichung begünstigt; es kommt hinzu, daß das Gleichnis einer Verwendung fähig ist, welche eine Erleichterung der intellektuellen Arbeit mit sich bringt, wenn man nämlich, wie zumeist üblich, das Unbekanntere mit dem Bekannteren, das Abstrakte mit dem Konkreten vergleicht und durch diesen Vergleich das Fremdere und Schwierigere erläutert. Mit jeder solchen Vergleichung speziell des Abstrakten mit dem Sachlichen ist eine gewisse Herabsetzung und eine gewisse Ersparung an Abstraktionsaufwand (im Sinne einer Vorstellungsmimik) verbunden, doch reicht dieselbe natürlich nicht hin, um den Charakter des Komischen deutlich hervortreten zu lassen. Dieser taucht nicht plötzlich, sondern allmählich aus der Erleichterungslust der Vergleichung auf; es gibt reichlich Fälle, die bloß ans Komische streifen, bei denen man zweifeln könnte, ob sie den komischen Charakter zeigen. Unzweifelhaft komisch wird die Vergleichung, wenn der Niveauunterschied des Abstraktionsaufwandes zwischen beiden Verglichenen sich steigert, wenn etwas Ernstes und Fremdes, insbesondere intellektueller oder moralischer Natur, in den Vergleich mit etwas Banalem und Niedrigem gezogen wird. Die vorherige Erleichterungslust und der Beitrag aus den Bedingungen der Vorstellungsmimik mögen etwa den allmählichen durch quantitative Verhältnisse bestimmten Übergang des allgemein Lustvollen in das Komische bei der Vergleichung erklären. Ich gehe wohl Mißverständnissen aus dem Wege, indem ich hervorhebe, daß ich die komische Lust beim Gleichnis nicht aus dem Kontrast der beiden Verglichenen, sondern aus der Differenz der beiden Abstraktionsaufwände ableite. Das schwer zu fassende Fremde, Abstrakte, eigentlich intellektuell Erhabene wird nun durch die behauptete Übereinstimmung mit einem vertrauten Niedrigen, bei dessen Vorstellung jeder Abstraktionsaufwand wegfällt, selbst als etwas ebenso Niedriges entlarvt. Die Komik der Vergleichung reduziert sich also auf einen Fall von Degradierung.

§ 708

Der Vergleich kann nun, wie wir früher gesehen haben, witzig sein ohne die Spur von komischer Beimengung, dann nämlich, wenn er gerade der Herabsetzung ausweicht. So ist der Vergleich der Wahrheit mit einer Fackel, die man nicht durch ein Gedränge tragen kann, ohne jemandem den Bart zu versengen, rein witzig, weil er eine erloschene Redensart („Die Fackel der Wahrheit“) vollwertig nimmt, und gar nicht komisch, weil die Fackel als Objekt einer gewissen Vornehmheit, obwohl sie ein konkreter Gegenstand ist, nicht entbehrt. Ein Vergleich kann aber leicht ebensowohl witzig sein als auch komisch, und zwar das eine unabhängig vom anderen, indem die Vergleichung ein Behelf für gewisse Techniken des Witzes, z. B. die Unifizierung oder die Anspielung wird. So ist der Nestroysche Vergleich der Erinnerung mit einem „Magazin“ (S. 70) gleichzeitig komisch und witzig, ersteres wegen der außerordentlichen Herabsetzung, die sich der psychologische Begriff im Vergleich mit einem „Magazin“ gefallen lassen muß, das andere aber, weil der, welcher den Vergleich gebraucht, ein Kommis ist, in dieser Vergleichung also eine ganz unerwartete Unifizierung zwischen der Psychologie und seiner Berufstätigkeit herstellt. Die Heinesche Zeile „Bis mir endlich alle Knöpfe rissen an der Hose der Geduld“ erscheint zunächst bloß als ein ausgezeichnetes Beispiel eines komisch erniedrigenden Vergleichs; bei näherer Überlegung muß man ihr aber auch den Charakter des Witzigen zugestehen, da der Vergleich als Mittel der Anspielung ins Bereich des Obszönen einschlägt und es so zu stande bringt, die Lust am Obszönen frei zu machen. Aus dem nämlichen Material entsteht für uns durch ein freilich nicht ganz zufälliges Zusammentreffen gleichzeitig komischer und witziger Lustgewinn; mögen die Bedingungen des einen auch die Entstehung des anderen fördern, für das „Gefühl“, welches uns angeben soll, ob hier Witz oder Komik vorliegt, ist solche Vereinigung ein verwirrender Einfluß, und erst eine von der Lustdisposition unabhängig gewordene aufmerksame Untersuchung kann die Entscheidung bringen.

§ 709

So verlockend es wäre, diesen intimeren Bedingtheiten des komischen Lustgewinnes nachzuspüren, so muß doch der Autor sich vorhalten, daß weder seine Vorbildung noch sein täglicher Beruf ihn berechtigen, seine Untersuchungen weit hinaus über die Sphäre des Witzes zu erstrecken, und darf eingestehen, daß gerade das Thema der komischen Vergleichung ihm seine Inkompetenz fühlbar macht.

§ 710

Wir lassen uns also gern daran mahnen, daß viele Autoren die scharfe begriffliche und sachliche Scheidung zwischen Witz und Komik nicht anerkennen, zu der wir uns veranlaßt sahen, und daß diese den Witz einfach als das „Komische der Rede“ oder „der Worte“ hinstellen. Zur Prüfung dieser Ansicht wollen wir uns je ein Beispiel von absichtlicher und von unfreiwilliger Komik der Rede für den Vergleich mit dem Witze auswählen. Wir haben bereits an einer früheren Stelle bemerkt, daß wir uns sehr wohl im stande glauben, komische Rede von witziger Rede zu unterscheiden.

" § 711

„Mit einer Gabel und mit Müh' zog ihn die Mutter aus der Brüh'“,

"
§ 712

ist bloß komisch; Heines Satz von den vier Kasten der Bevölkerung Göttingens:

" § 713

Professoren, Studenten, Philister und Vieh

"
§ 714

ist aber exquisit witzig.

§ 715

Für die absichtliche Komik der Rede nehme ich Stettenheims „Wippchen“ als Muster. Man nennt Stettenheim witzig, weil er in besonderem Grade die Geschicklichkeit besitzt, das Komische hervorzurufen. Der Witz, den man „hat“, im Gegensatz zu dem, den man „macht“, ist in der Tat durch diese Fähigkeit zutreffend bestimmt. Es ist unleugbar, daß die Briefe des Bernauer Korrespondenten Wippchen auch witzig sind, in soferne sie reichlich Witze jeder Art, darunter ernsthaft gelungene („festlich entkleidet“ von einer Parade bei Wilden) eingestreut enthalten; was diesen Produktionen aber ihren eigentümlichen Charakter verleiht, sind nicht diese vereinzelten Witze, sondern das in ihnen fast überreichlich quellende Komische der Rede. „Wippchen“ ist gewiß eine ursprünglich satirisch gemeinte Figur, eine Modifikation des G. Freytagschen Schmock, einer jener Ungebildeten, die mit dem Bildungsschatz der Nation Handel und Mißbrauch treiben, aber das Behagen an den bei ihrer Darstellung erzielten komischen Effekten hat beim Autor offenbar die satirische Tendenz allmählich in den Hintergrund gedrängt. Die Produktionen Wippchens sind zum großen Teil „komischer Unsinn“; der durch Häufung solcher Leistungen erzielten Luststimmung hat sich der Autor — übrigens mit Recht — bedient, um neben durchaus Zulässigem allerlei Abgeschmacktes vorzubringen, was für sich allein nicht zu vertragen wäre. Der Unsinn Wippchens erscheint nun als ein spezifischer infolge einer besonderen Technik. Faßt man diese „Witze“ näher ins Auge, so fallen einige Gattungen besonders auf, die der ganzen Produktion ihr Gepräge geben. Wippchen bedient sich vorwiegend der Zusammensetzungen (Verschmelzungen), der Modifikationen bekannter Redensarten und Zitate und der Ersetzungen einzelner banaler Elemente in diesen durch meist anspruchsvollere, höherwertige Ausdrucksmittel. Das geht allerdings nahe an die Techniken des Witzes heran.

§ 716

Verschmelzungen sind z. B. (aus der Vorrede und den ersten Seiten der ganzen Reihe ausgesucht):

§ 717

„Die Türkei hat Geld wie Heu am Meere“; was aus den beiden Redensarten:

§ 718

„Geld wie Heu“ „Geld wie Sand am Meere“ zusammengeflickt ist. Oder: „Ich bin nichts mehr als eine entlaubte Säule, die von entschwundener Pracht zeugt“, verdichtet aus „entlaubter Stamm“ und „eine Säule, die usw.“ Oder: „Wo ist der Ariadnefaden, der aus der Skylla dieses Augiasstalles herausleitet?“, wozu dreierlei griechische Sagen je ein Element beigesteuert haben.

§ 719

Die Modifikationen und Ersetzungen kann man ohne viel Zwang zusammenfassen; ihr Charakter ergibt sich aus nachstehenden Wippchen eigentümlichen Beispielen, in denen regelmäßig ein anderer, geläufiger, meist banaler, zum Gemeinplatz herabgesunkener Wortlaut durchschimmert:

§ 720

„Mir Papier und Tinte höher zu hängen.“ Man sagt: einem den Brotkorb höher hängen bildlich für: einen unter erschwerende Bedingungen versetzen. Warum sollte man dieses Bild also nicht auf anderes Material erstrecken dürfen?

§ 721

„Schlachten, in denen die Russen einmal den Kürzeren, einmal den Längeren ziehen.“ Nur die erstere Redensart ist bekanntlich im Gebrauche; nach der Ableitung derselben wäre es sogar nicht unsinnig, auch die andere in Aufnahme zu bringen.

§ 722

„Schon früh regte sich in mir der Pegasus.“ Mit dem Rückersatz „der Dichter“ ist dies eine durch häufigen Gebrauch bereits entwertete selbstbiographische Wendung. „Pegasus“ eignet sich zwar nicht zum Ersatz für „Dichter“, steht aber in Gedankenrelation zu ihm und ist ein hochklingendes Wort.

" § 723

„So durchlebte ich dornenvolle Kinderschuhe.“

"
§ 724

Durchaus ein Bildnis anstatt eines einfachen Wortes. „Die Kinderschuhe austreten“ ist eines der Bilder, die mit dem Begriff Kindheit zusammenhängen.

§ 725

Aus der Fülle anderer Produktionen Wippchens kann man manches als Beispiele reiner Komik hervorheben, z. B. als komische Enttäuschung: Stundenlang wogte das Gefecht, endlich blieb es unentschieden, oder als komische Entlarvung (der Unwissenheit): Klio, die Meduse der Geschichte; Zitate wie Habent sua fata morgana. Unser Interesse wecken aber eher die Verschmelzungen und Modifikationen, weil sie bekannte Techniken des Witzes wiederbringen. Man vergleiche z. B. zu den Modifikationen Witze wie: Er hat eine große Zukunft hinter sich, — Er hat ein Ideal vor dem Kopf —, die Lichtenbergschen Modifikationswitze: Neue Bäder heilen gut u. dgl. Sind die Produktionen Wippchens mit der gleichen Technik nun Witze zu heißen, oder wodurch unterscheiden sie sich von solchen?

§ 726

Es ist gewiß nicht schwierig, darauf zu antworten. Erinnern wir uns daran, daß der Witz dem Hörer ein Doppelgesicht zeigt, ihn zu zwei verschiedenen Auffassungen zwingt. Bei den Unsinnswitzen, wie die letzterwähnten, lautet die eine Auffassung, die nur den Wortlaut berücksichtigt, er sei ein Unsinn; die andere, die den Andeutungen folgend beim Hörer den Weg durch das Unbewußte zurücklegt, findet den ausgezeichneten Sinn. Bei den witzähnlichen Produktionen Wippchens ist das eine der Angesichte des Witzes leer, wie verkümmert; ein Januskopf, aber nur ein Angesicht ausgebildet. Man gerät auf nichts, wenn man sich von der Technik ins Unbewußte verlocken läßt. Aus den Verschmelzungen wird man zu keinem Fall geführt, in dem die beiden Verschmolzenen wirklich einen neuen Sinn ergeben; diese fallen bei einen Versuch der Analyse gänzlich aus einander. Die Modifikationen und Ersetzungen führen wie beim Witz auf einen gebräuchlichen und bekannten Wortlaut, aber die Modifikation oder Ersetzung sagt selbst nichts anderes und in der Regel auch nichts Mögliches oder Brauchbares. Es bleibt also für diese „Witze“ nur die eine Auffassung als Unsinn übrig. Man kann nun nach Belieben darüber entscheiden, ob man solche Produktionen, die sich von einem der wesentlichsten Charaktere des Witzes frei gemacht haben, „schlechte“ Witze oder überhaupt nicht Witze heißen will.

§ 727

Unzweifelhaft machen solche verkümmerte Witze einen komischen Effekt, den wir uns auf mehr als eine Weise zurecht legen können. Entweder entsteht die Komik aus der Aufdeckung der Denkweisen des Unbewußten wie in früher betrachteten Fällen, oder es ist der Vergleich mit dem vollkommenen Witz, aus dem die Lust hervorgeht. Es hindert uns nichts anzunehmen, daß beiderlei Entstehungsweisen der komischen Lust hier zusammentreffen. Es ist nicht abzuweisen, daß gerade die unzulängliche Anlehnung an den Witz den Unsinn hier zu einem komischen Unsinn macht.

§ 728

Es gibt nämlich andere leicht zu durchschauende Fälle, in denen solche Unzulänglichkeit durch den Vergleich mit dem zu Leistenden den Unsinn unwiderstehlich komisch werden läßt. Das Gegenstück des Witzes, das Rätsel, kann uns hiefür vielleicht bessere Beispiele als der Witz selbst geben. Eine Scherzfrage lautet z. B.: Was ist das: Es hängt an der Wand und man kann sich an ihm die Hände abtrocknen? Es wäre ein dummes Rätsel, wenn die Antwort lauten würde: Ein Handtuch. Diese Antwort wird vielmehr zurückgewiesen. — Nein, ein Hering. — Aber um Gotteswillen, heißt dann der entsetzte Einwand, ein Hering hängt doch nicht an der Wand. — Du kannst ihn ja hinhängen. — Aber wer wird sich denn an einem Hering die Hände abtrocknen? — Nun, sagt die beschwichtigende Antwort, du mußt ja nicht. — Diese durch zwei typische Verschiebungen gegebene Aufklärung zeigt, wieviel dieser Frage zu einem wirklichen Rätsel fehlt, und wegen dieser absoluten Unzulänglichkeit erscheint sie anstatt bloß unsinnig dumm — unwiderstehlich komisch. Auf solche Weise, durch Nichteinhaltung wesentlicher Bedingungen können also Witz, Rätsel und anderes, die an sich komische Lust nicht ergeben, zu Quellen komischer Lust gemacht werden.

§ 729

Noch geringere Schwierigkeiten bereitet dem Verständnis der Fall der unfreiwilligen Komik der Rede, den wir etwa in den Gedichten der Friederike Kempner *)*) in uns beliebender Häufigkeit verwirklicht finden können.

" § 730

Gegen die Vivisektion. Ein unbekanntes Band der Seelen kettet Den Menschen an das arme Tier. Das Tier hat einen Willen — ergo Seele — Wenn auch 'ne kleinere als wir.

"
§ 731

Oder ein Gespräch zwischen zärtlichen Ehegatten: („Der Kontrast“)

" § 732

„Wie glücklich bin ich,“ ruft sie leise, „Auch ich,“ sagt lauter ihr Gemahl, „Es macht mich deine Art und Weise Sehr stolz auf meine gute Wahl!“

"
§ 733

Hier ist nun nichts, was an den Witz erinnert. Ohne Zweifel ist es aber die Unzulänglichkeit dieser „Dichtungen“, die sie komisch macht, die ganz außerordentliche Plumpheit ihrer Ausdrucksweise, die an die alltäglichsten oder dem Zeitungsstil entnommenen Redensarten gebunden ist, die einfältige Beschränktheit ihrer Gedanken, das Fehlen jeder Spur von poetischer Denkoder Redeweise. Bei alledem ist es nicht selbstverständlich, daß wir die Gedichte der Kempner komisch finden; viele ähnliche Produktionen finden wir bloß herzlich schlecht, belachen sie nicht, sondern ärgern uns über sie. Gerade die Größe des Abstandes von unseren Anforderungen an ein Gedicht drängt aber zur komischen Auffassung; wo diese Differenz geringer ausfiele, wären wir eher zur Kritik als zum Lachen geneigt. Ferner wird die komische Wirkung bei den Gedichten der Kempner durch andere Nebenumstände gesichert, durch die unverkennbare gute Absicht der Verfasserin, und durch eine gewisse unseren Spott oder unseren Ärger entwaffnende Gefühlsinnigkeit, die wir hinter ihren hilflosen Phrasen verspüren. Wir werden hier an ein Problem gemahnt, dessen Würdigung wir uns aufgeschoben haben. Die Aufwandsdifferenz ist gewiß die Grundbedingung der komischen Lust, aber die Beobachtung zeigt, daß aus solcher Differenz nicht jedesmal Lust hervorgeht. Welche Bedingungen müssen hinzukommen oder welche Störungen hintangehalten werden, damit die komische Lust sich aus der Aufwandsdifferenz wirklich ergeben könne? Ehe wir uns aber der Beantwortung dieser Frage zuwenden, wollen wir als Abschluß der vorigen Erörterungen feststellen, daß das Komische der Rede nicht zusammenfällt mit dem Witz, der Witz also etwas anderes sein muß als das Komische der Rede.

*) Sechste Auflage, Berlin 1891. § 734

Im Begriffe, nun an die Beantwortung der letztgestellten Frage, nach den Bedingungen der Entstehung komischer Lust aus der Aufwandsdifferenz heranzutreten, dürfen wir uns eine Erleichterung gestatten, die uns selbst nicht anders als zur Lust gereichen kann. Die genaue Beantwortung dieser Frage wäre identisch mit einer erschöpfenden Darstellung der Natur des Komischen, zu der wir uns weder die Fähigkeit noch die Befugnis zusprechen können. Wir werden uns wiederum damit begnügen, das Problem des Komischen nur so weit zu beleuchten, bis es sich deutlich von dem des Witzes abhebt.

§ 735

Allen Theorien des Komischen ist von ihren Kritikern der Einwurf gemacht worden, daß ihre Definition das für die Komik Wesentliche übersieht. Das Komische beruht auf einem Vorstellungskontrast; ja, insofern dieser Kontrast komisch und nicht anders wirkt. Das Gefühl der Komik rührt vom Zergehen einer Erwartung her; ja, wenn diese Enttäuschung nicht gerade peinlich ist. Die Einwürfe sind ohne Zweifel berechtigt, aber man überschätzt sie, wenn man aus ihnen schließt, daß das wesentliche Kennzeichen des Komischen bisher der Auffassung entschlüpft ist. Was die Allgemeingiltigkeit jener Definitionen beeinträchtigt, sind Bedingungen, die für die Entstehung der komischen Lust unerläßlich sind, ohne daß man das Wesen der Komik in ihnen suchen müßte. Die Abweisung der Einwendungen und die Aufklärung der Widersprüche gegen die Definitionen des Komischen wird uns allerdings erst leicht, wenn wir die komische Lust aus der Vergleichsdifferenz zweier Aufwände hervorgehen lassen. Die komische Lust und der Effekt, an dem sie erkannt wird, das Lachen, können erst dann entstehen, wenn diese Differenz unverwendbar und abfuhrfähig wird. Wir gewinnen keinen Lusteffekt, sondern höchstens ein flüchtiges Lustgefühl, an dem der komische Charakter nicht hervortritt, wenn die Differenz, sobald sie erkannt wird, eine andere Verwendung erfährt. Wie beim Witz besondere Veranstaltung getroffen sein müssen, um die anderweitige Verwendung des als überflüssig erkannten Aufwandes zu verhüten, so kann auch die komische Lust nur unter Verhältnissen entstehen, welche diese letztere Bedingung erfüllen. Die Fälle, in denen in unserem Vorstellungsleben solche Aufwandsdifferenzen entstehen, sind daher ungemein zahlreich; die Fälle, in denen das Komische aus ihnen hervorgeht, vergleichsweise recht selten.

§ 736

Zwei Bemerkungen drängen sich dem Beobachter auf, der die Bedingungen für die Entstehung des Komischen aus der Aufwandsdifferenz auch nur flüchtig überblickt, erstens daß es Fälle gibt, in denen sich die Komik regelmäßig und wie notwendig einstellt, und im Gegensatze zu ihnen andere, in denen es durchaus von den Bedingungen des Falles und dem Standpunkt des Beobachters abhängig erscheint; zweitens aber, daß ungewöhnlich große Differenzen sehr häufig ungünstige Bedingungen durchbrechen, so daß das komische Gefühl diesen zum Trotz entsteht. Man könnte mit Bezug auf den ersten Punkt zwei Klassen aufstellen, die des unabweisbar Komischen und die des gelegentlich Komischen, obwohl man von vorneherein darauf verzichten müßte, in der ersten Klasse die Unabweisbarkeit des Komischen frei von Aufnahmen zu finden. Es wäre verlockend, den für beide Klassen maßgebenden Bedingungen nachzugehen.

§ 737

Wesentlich für die zweite Klasse gelten die Bedingungen, von denen man einen Teil als die „Isolierung“ des komischen Falles zusammengefaßt hat. Eine nähere Zerlegung macht etwa folgende Verhältnisse kenntlich:

§ 738

a) Die günstigste Bedingung für die Entstehung der komischen Lust ergibt die allgemein heitere Stimmung, in welcher man „zum Lachen aufgelegt“ ist. Bei toxischer Heiterstimmung erscheint fast alles komisch, wahrscheinlich durch Vergleich mit dem Aufwande in normaler Verfassung. Witz, Komik und alle ähnlichen Methoden des Lustgewinnes aus seelischer Tätigkeit sind ja weiter nichts als Wege, um diese heitere Stimmung — Euphorie —, wenn sie nicht als allgemeine Disposition der Psyche vorhanden ist, von einem einzelnen Punkte aus wiederzugewinnen.

§ 739

b) Ähnlich begünstigend wirkt die Erwartung des Komischen, die Einstellung auf die komische Lust. Daher reichen bei der Absicht komisch zu machen, wenn sie vom anderen geteilt wird, Differenzen von so geringer Höhe aus, daß sie wahrscheinlich übersehen worden wären, wenn sie sich im absichtslosen Erleben ereignet hätten. Wer eine komische Lektüre vornimmt oder zu einer Posse ins Theater geht, dankt es dieser Absicht, daß er dann über Dinge lacht, die in seinem gewöhnlichen Leben kaum einen Fall des Komischen für ihn ergeben hätten. Er lacht zuletzt bei der Erinnerung gelacht zu haben, bei der Erwartung zu lachen, wenn er den komischen Darsteller erst auftreten sieht, ehe dieser den Versuch unternehmen konnte, ihn zum Lachen zu bringen. Man gesteht darum auch zu, daß man sich nachträglich schämt, worüber man im Theater lachen konnte.

§ 740

c) Ungünstige Bedingungen für die Komik ergeben sich aus der Art der seelischen Tätigkeit, welche das Individuum im Moment beschäftigt. Vorstellungs- oder Denkarbeit, welche ernste Ziele verfolgt, stört die Abfuhrfähigkeit der Besetzungen, deren sie ja für ihre Verschiebungen bedarf, so daß nur unerwartet große Aufwandsdifferenzen zur komischen Lust durchbrechen können. Der Komik ungünstig sind ganz besonders alle Weisen des Denkvorganges, die sich vom Anschaulichen weit genug entfernen, um die Vorstellungsmimik aufhören zu lassen; bei abstraktem Nachdenken ist für die Komik überhaupt kein Raum mehr, außer wenn diese Denkweise plötzlich unterbrochen wird.

§ 741

d) Die Gelegenheit zur Entbindung komischer Lust schwindet auch, wenn die Aufmerksamkeit gerade auf die Vergleichung eingestellt ist, aus welcher die Komik hervorgehen kann. Unter solchen Umständen verliert seine komische Kraft, was sonst am sichersten komisch wirkt. Eine Bewegung oder eine geistige Leistung kann nicht komisch für den werden, dessen Interesse eben darauf gerichtet ist, sie mit einem ihm klar vorschwebenden Maße zu vergleichen. So findet der Prüfer den Unsinn nicht komisch, den der Examinierte in seiner Unwissenheit produziert; er ärgert sich über ihn, während die Kollegen des Geprüften, die sich weit mehr dafür interessieren, welches Geschick dieser haben wird, als wieviel er weiß, denselben Unsinn herzlich belachen. Der Turn- oder Tanzlehrer hat nur selten ein Auge für das Komische der Bewegungen bei seinen Schülern, und dem Prediger entgeht durchaus das Komische an den Charakterfehlern der Menschen, das der Lustspieldichter so wirksam herauszufinden weiß. Der komische Prozeß verträgt nicht die Überbesetzung durch die Aufmerksamkeit, er muß durchaus unbeachtet vor sich gehen können, übrigens darin dem Witze ganz ähnlich. Es widerspräche aber der Nomenklatur der „Bewußtseinsvorgänge“, deren ich mich in der „Traumdeutung“ mit gutem Grunde bedient habe, wollte man ihn einen notwendigerweise unbewußten nennen. Er gehört vielmehr dem Vorbewußten an, und man kann für solche Vorgänge, die sich im Vorbewußten abspielen und der Aufmerksamkeitsbesetzung, mit welcher Bewußtsein verbunden ist, entbehren, passend den Namen „automatische“ verwenden. Der Prozeß der Vergleichung der Aufwände muß automatisch bleiben, wenn er komische Lust erzeugen soll.

§ 742

e) Es ist überaus störend für die Komik, wenn der Fall, aus dem sie entstehen soll, gleichzeitig zu starker Affektentbindung Anlaß gibt. Die Abfuhr der wirksamen Differenz ist dann in der Regel ausgeschlossen. Affekte, Disposition und Einstellung des Individuums im jeweiligen Falle lassen es verständlich werden, daß das Komische mit dem Standpunkt der einzelnen Person auf taucht oder schwindet, daß es ein absolut Komisches nur in Ausnahmsfällen gibt. Die Abhängigkeit oder Relativität des Komischen ist darum weit größer als die des Witzes, der sich niemals ergibt, der regelmäßig gemacht wird, und bei dessen Herstellung bereits auf die Bedingungen, unter denen er Annahme findet, geachtet werden kann. Die Affektentwicklung ist aber die intensivste unter den die Komik störenden Bedingungen und wird in dieser Bedeutung von keiner Seite verkannt.*)*) Man sagt darum, das komische Gefühl käme am ehesten in halbwegs indifferenten Fällen ohne stärkere Gefühls- oder Interessenbeteiligung zu stande. Doch kann man gerade in Fällen mit Affektentbindung eine besonders starke Aufwandsdifferenz den Automatismus der Abfuhr herstellen sehen. Wenn der Oberst Butler die Mahnungen Ottavios bitter lachend“ mit dem Ausruf beantwortet:

" § 743

„Dank vom Haus Österreich!“,

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§ 744

so hat seine Erbitterung das Lachen nicht verhindert, welches der Erinnerung an die Enttäuschung gilt, die er erfahren zu haben glaubt, und anderseits kann die Größe dieser Enttäuschung vom Dichter nicht eindrucksvoller geschildert werden, als indem er sie fähig zeigt, mitten im Sturm der entfesselten Affekte ein Lachen zu erzwingen. Ich würde meinen, daß diese Erklärung für alle Fälle anwendbar ist, in denen das Lachen bei anderen als lustvollen Gelegenheiten und mit intensiven peinlichen oder gespannten Affekten gemeinsam vorkommt.

§ 745

f) Wenn wir noch hinzufügen, daß die Entwicklung der komischen Lust durch jede andere lustvolle Zutat zum Falle wie durch eine Art von Kontaktwirkung gefördert werden kann (nach Art des Vorlustprinzipes beim tendenziösen Witze), so haben wir die Bedingungen der komischen Lust gewiß nicht vollständig, aber doch für unsere Absicht hinreichend erörtert. Wir sehen dann, daß diesen Bedingungen sowie der Inkonstanz und Abhängigkeit des komischen Effekts keine andere Annahme so leicht genügt wie die Ableitung der komischen Lust von der Abfuhr einer Differenz, welche unter den wechselndsten Verhältnissen einer anderen Verwendung als der Abfuhr unterliegen kann.

§ 746

Eine eingehendere Würdigung verdiente noch das Komische des Sexuellen und Obszönen, das wir hier aber nur mit wenigen Bemerkungen streifen wollen. Den Ausgangspunkt würde auch hier die Entblößung bilden. Eine zufällige Entblößung wirkt auf uns komisch, weil wir die Leichtigkeit, mit welcher wir den Anblick genießen, mit dem großen Aufwand vergleichen, der sonst zur Erreichung dieses Zieles erforderlich wäre. Der Fall nähert sich so dem des Naiv-komischen, ist aber einfacher als dieser. Jede Entblößung, zu deren Zuschauer — oder Zuhörer im Falle der Zote — wir von Seite eines Dritten gemacht werden, gilt gleich einem Komischmachen der entblößten Person. Wir haben gehört, daß es Aufgabe des Witzes wird, die Zote zu ersetzen und so eine verloren gegangene Quelle komischer Lust wieder zu eröffnen. Hingegen ist das Belauschen einer Entblößung für den Lauschenden kein Fall von Komik, weil die eigene Anstrengung dabei die Bedingung der komischen Lust aufhebt; es bleibt hier nur die sexuelle Lust am Erschauten übrig. In der Erzählung des Lauschers an einen anderen wird die belauschte Person wiederum komisch, weil der Gesichtspunkt vorwiegt, daß sie den Aufwand unterlassen hat, der zur Verhüllung ihres Geheimen am Platze gewesen wäre. Sonst ergeben sich aus dem Bereiche des Sexuellen und Obszönen die reichlichsten Gelegenheiten zum Gewinne komischer Lust neben der lustvollen sexuellen Erregtheit, insofern der Mensch in seiner Abhängigkeit von körperlichen Bedürfnissen gezeigt (Herabsetzung) oder hinter dem Anspruch der seelischen Liebe die leibliche Anforderung aufgedeckt werden kann (Entlarvung).

*) „Du hast leicht lachen, dich geht es nicht weiter an.“ § 747

Eine Aufforderung, auch das Verständnis des Komischen in seiner Psychogenese zu suchen, hat sich überraschender Weise aus dem schönen und lebensfrischen Buche von Bergson (Le rire) ergeben. Bergson, dessen Formeln zur Erfassung des komischen Charakters uns bereits bekannt geworden sind — „mécanisation de la vie“, „substitution quelconque de l'artificiel au naturel“ — gerät durch nahe liegende Gedankenverbindung vom Automatismus auf den Automaten und sucht eine Reihe von komischen Effekten auf die verblaßte Erinnerung an ein Kinderspielzeug zurückzuführen. In diesem Zusammenhange erhebt er sich einmal zu einem Standpunkt, den er allerdings bald wieder verläßt; er sucht das Komische von der Nachwirkung der Kinderfreuden abzuleiten. „Peut-être même devrions-nous pousser la simplification plus loin encore, remonter à nos souvenirs les plus anciens, chercher dans les jeux qui amusèrent l'enfant, la première ébauche des combinaisons qui font rire l'homme . . . Trop souvent surtout nous méconnaissons ce qu'il y a d'encore enfantin, pour ainsi dire, dans la plupart de nos émotions joyeuses“ (S. 68 u. ff.). Da wir nun den Witz bis auf ein durch die verständige Kritik versagtes Kinderspiel mit Worten und Gedanken zurückverfolgt haben, muß es uns verlocken, auch diesen von Bergson vermuteten infantilen Wurzeln des Komischen nachzuspüren.

§ 748

Wirklich stoßen wir auf eine ganze Reihe von Beziehungen, die uns vielversprechend erscheinen, wenn wir das Verhältnis der Komik zum Kinde untersuchen. Das Kind selbst erscheint uns keineswegs komisch, obwohl sein Wesen alle die Bedingungen erfüllt, die beim Vergleiche mit dem unserigen eine komische Differenz ergeben: Den übermäßigen Bewegungs- wie den geringen geistigen Aufwand, die Beherrschung der seelischen Leistungen durch die körperlichen Funktionen und andere Züge. Das Kind wirkt auf uns nur dann komisch, wenn es sich nicht als Kind, sondern als ernsthafter Erwachsener gebärdet, und dann in der gleichen Weise wie andere sich verkleidende Personen; solange es aber das Wesen des Kindes beibehält, bereitet uns seine Wahrnehmung eine reine, vielleicht ans Komische anklingende Lust. Wir heißen es naiv, insofern es uns seine Hemmungslosigkeit zeigt, und naiv-komisch jene seiner Äußerungen, die wir bei einem anderen als obszön oder als witzig beurteilt hätten.

§ 749

Anderseits geht dem Kinde das Gefühl für Komik ab. Dieser Satz scheint nicht mehr zu besagen, als daß das komische Gefühl sich erst im Laufe der seelischen Entwicklung irgend einmal einstellt wie so manches andere, und das wäre nun keineswegs merkwürdig, zumal da man zugestehen muß, daß es in Jahren, die man dem Kindesalter zurechnen muß, bereits deutlich hervortritt. Aber es läßt sich doch zeigen, daß die Behauptung, dem Kinde fehle das Gefühl des Komischen, mehr enthält als eine Selbstverständlichkeit. Zunächst wird es leicht einzusehen, daß es nicht anders sein kann, wenn unsere Auffassung richtig ist, welche das komische Gefühl von einer beim Verstehen des anderen sich ergebenden Aufwanddifferenz ableitet. Wählen wir wiederum das Komische der Bewegung als Beispiel. Der Vergleich, der die Differenz liefert, lautet in bewußte Formeln gebracht: So macht es der, und: So würde ich es machen, so habe ich es gemacht. Dem Kinde fehlt aber der im zweiten Satze enthaltene Maßstab, es versteht einfach durch Nachahmung, es macht es ebenso. Die Erziehung des Kindes beschenkt dasselbe mit dem Standard: So sollst du es machen; bedient es sich desselben nun bei der Vergleichung, so liegt ihm der Schluß nahe: Der hat es nicht recht gemacht, und: Ich kann es besser. In diesem Falle lacht es den anderen aus, es verlacht ihn im Gefühle seiner Überlegenheit. Es steht nichts im Wege, auch dieses Lachen von der Aufwandsdifferenz abzuleiten, aber nach der Analogie mit den bei uns sich ereignenden Fällen von Verlachen dürfen wir schließen, daß beim Überlegenheitslachen des Kindes das komische Gefühl nicht verspürt wird. Es ist ein Lachen reiner Lust. Wo bei uns das Urteil der eigenen Überlegenheit sich deutlich einstellt, da lächeln wir bloß anstatt zu lachen, oder wenn wir lachen, können wir dies Bewußtwerden unserer Überlegenheit doch vom Komischen, das uns lachen macht, deutlich unterscheiden.

§ 750

Es ist wahrscheinlich richtig zu sagen, das Kind lache aus reiner Lust unter verschiedenen Umständen, die wir als „komisch“ empfinden und nicht zu motivieren verstehen, während die Motive des Kindes klare und angebbare sind. Wenn z. B. jemand auf der Straße ausgleitet und hinfällt, so lachen wir, weil dieser Eindruck — unbekannt warum — komisch ist. Das Kind lacht im gleichen Falle aus Überlegenheitsgefühl oder aus Schadenfreude: Du bist gefallen, und ich nicht. Gewisse Lustmotive des Kindes scheinen uns Erwachsenen verloren zu gehen, dafür verspüren wir unter den gleichen Bedingungen das „komische“ Gefühl als Ersatz für das Verlorene.

§ 751

Dürfte man verallgemeinern, so erschiene es recht verlockend, den gesuchten spezifischen Charakter des Komischen in die Erweckung des Infantilen zu verlegen, das Komische als das wiedergewonnene „verlorene Kinderlachen“ zu erfassen. Man könnte dann sagen, ich lache jedesmal über eine Aufwandsdifferenz zwischen dem anderen und mir, wenn ich in dem anderen das Kind wiederfinde. Oder genauer ausgedrückt, der vollständige Vergleich, der zum Komischen führt, würde lauten:

" § 752

So macht es der — Ich mache es anders — Der macht es so, wie ich es als Kind gemacht habe.

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§ 753

Dieses Lachen gälte also jedesmal dem Vergleich zwischen dem Ich des Erwachsenen und dem Ich als Kind. Selbst die Ungleichsinnigkeit der komischen Differenz, daß mir bald das Mehr, bald das Minder des Aufwandes komisch erscheint, würde mit der infantilen Bedingung stimmen; das Komische ist dabei tatsächlich stets auf der Seite des Infantilen.

§ 754

Es widerspricht dem nicht, daß das Kind selbst als Objekt der Vergleichung mir keinen komischen, sondern einen rein lustvollen Eindruck macht; auch nicht, daß dieser Vergleich mit dem Infantilen nur dann komisch wirkt, wenn eine andere Verwendung der Differenz vermieden wird. Denn dabei kommen die Bedingun gen der Abfuhr in Betracht. Alles was einen psychischen Vorgang in einen Zusammenhang einschließt, wirkt der Abfuhr der überschüssigen Besetzung entgegen und führt diese eine anderen Verwendung zu; was einen psychischen Akt isoliert, begünstigt die Abfuhr. Die bewußte Einstellung auf das Kind als Vergleichsperson macht daher die Abfuhr unmöglich, die zur komischen Lust erforderlich ist; nur bei vorbewußter Besetzung ergibt sich eine ähnliche Annäherung an die Isolierung, wie wir sie übrigens auch den seelischen Vorgängen im Kinde zuschreiben dürfen. Der Zusatz zum Vergleiche: So hab' ich es als Kind auch gemacht, von dem die komische Wirkung ausginge, käme also für mittlere Differenzen erst dann in Betracht, wenn kein anderer Zusammenhang sich des frei gewordenen Überschusses bemächtigen könnte.

§ 755

Verweilen wir noch bei dem Versuch, das Wesen des Komischen in der vorbewußten Anknüpfung an das Infantile zu finden, so müssen wir einen Schritt über Bergson hinaus tun und zugeben, daß der das Komische ergebende Vergleich nicht etwa alte Kinderlust und Kinderspiel erwecken müsse, sondern daß es hinreiche, wenn er an kindliches Wesen überhaupt, vielleicht selbst an Kinderleid rühre. Wir entfernen uns hierin von Bergson, bleiben aber im Einklang mit uns selbst, wenn wir die komische Lust nicht auf erinnerte Lust, sondern immer wieder auf einen Vergleich beziehen. Vielleicht, daß die Fälle der ersteren Art das regelmäßig und unwiderstehlich Komische einigermaßen decken. Ziehen wir hier das vorhin angeführte Schema der komischen Möglichkeiten heran. Wir sagten, die komische Differenz würde gefunden entweder

§ 756

a) durch einen Vergleich zwischen dem anderen und dem Ich, oder b) durch einen Vergleich ganz innerhalb des anderen, oder c) durch einen Vergleich ganz innerhalb des Ichs.

§ 757

Im ersteren Falle erschiene der andere mir als Kind, im zweiten ließe er sich selbst zum Kind herab, im dritten fände ich das Kind in mir selbst. Zum ersten Falle gehören das Komische der Bewegung und der Formen, der geistigen Leistung und des Charakters; das entsprechende Infantile wären der Bewegungsdrang und die geistige und sittliche Minderentwicklung des Kindes, so daß etwa der Dumme mir komisch würde, insofern er mich an ein faules, der Böse, insofern er an ein schlimmes Kind mahnt. Von einer dem Erwachsenen verloren gegangenen Kinderlust könnte man nur das eine Mal reden, wo die dem Kind eigene Bewegungsfreudigkeit in Betracht kommt.

§ 758

Der zweite Fall, bei welchem die Komik ganz auf „Einfühlung“ beruht, umfaßt die zahlreichsten Möglichkeiten, die Komik der Situation, der Übertreibung (Karikatur), der Nachahmung, der Herabsetzung und der Entlarvung. Es ist derjenige Fall, dem die Einführung des infantilen Gesichtspunktes am meisten zu statten kommt. Denn die Situationskomik gründet sich zumeist auf Verlegenheiten, in denen wir die Hilflosigkeit des Kindes wiederfinden; die ärgste dieser Verlegenheiten, die Störung anderer Leistungen durch die gebieterischen Anforderungen der natürlichen Bedürfnisse entspricht der dem Kinde noch mangelnden Beherrschung der leiblichen Funktionen. Wo die Situationskomik durch Wiederholungen wirkt, stützt sie sich auf die dem Kinde eigentümliche Lust an fortgesetzter Wiederholung (Fragen, Geschichten erzählen), durch die es dem Erwachsenen zur Plage wird. Die Übertreibung, welche auch dem Erwachsenen noch Lust bereitet, insofern sie eine Rechtfertigung vor dessen Kritik zu finden weiß, hängt mit der eigentümlichen Maßlosigkeit des Kindes, mit dessen Unkenntnis aller quantitativen Beziehungen zusammen, die es ja später kennen lernt als die qualitativen. Maßhalten, Ermäßigung auch der erlaubten Regungen ist eine späte Frucht der Erziehung und wird durch gegenseitige Hemmung der in einen Zusammenhang aufgenommenen seelischen Tätigkeiten gewonnen. Wo dieser Zusammenhang geschwächt wird, im Unbewußten des Traumes, beim Monoideismus der Psychoneurosen tritt die Unmäßigkeit des Kindes wieder hervor.

§ 759

Die Komik der Nachahmung hatte unserem Verständnis relativ große Schwierigkeiten bereitet, solange wir das infantile Moment dabei außer Acht ließen. Die Nachahmung ist aber die beste Kunst des Kindes und das treibende Motiv der meisten seiner Spiele. Der Ehrgeiz des Kindes zielt weit weniger auf die Auszeichnung unter seinesgleichen als auf die Nachahmung der Großen. Von dem Verhältnis des Kindes zu den Erwachsenen hängt auch die Komik der Herabsetzung ab, der die Herablassung des Erwachsenen im Kinderleben entspricht. Wenig anderes kann dem Kinde größere Lust bereiten, als wenn der Große sich zu ihm herabläßt, auf seine drückende Überlegenheit verzichtet und wie seinesgleichen mit ihm spielt. Die Erleichterung, die dem Kinde reine Lust schafft, wird beim Erwachsenen als Herabsetzung zu einem Mittel des Komischmachens und zu einer Quelle komischer Lust. Von der Entlarvung wissen wir, daß sie auf die Herabsetzung zurückgeht.

§ 760

Am meisten stößt auf Schwierigkeiten die infantile Begrün dung des dritten Falles, der Komik der Erwartung, was wohl erklärt, daß jene Autoren, welche diesen Fall in ihrer Auffassung des Komischen vorangestellt haben, keinen Anlaß fanden, das infantile Moment für die Komik in Betracht zu ziehen. Das Komische der Erwartung liegt dem Kinde wohl am fernsten, die Fähigkeit, dieses zu erfassen, tritt bei ihm am spätesten auf. Das Kind wird in den meisten derartigen Fällen, die dem Erwachsenen komisch dünken, wahrscheinlich nur Enttäuschung empfinden. Man könnte aber an die Erwartungsseligkeit und Leichtgläubigkeit des Kindes anknüpfen, um zu verstehen, daß man sich „als Kind“ komisch vorkommt, wenn man der komischen Enttäuschung unterliegt.

§ 761

Ergäbe sich nun auch aus dem Vorstehenden eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Übersetzung des komischen Gefühls die etwa lauten könnte: Komisch ist das, was sich für den Erwachsenen nicht schickt, so fühle ich mich doch, vermöge meiner ganzen Stellung zum komischen Problem, nicht kühn genug, diesen letzten Satz mit ähnlichem Ernst wie die vorhin aufgestellten zu verteidigen. Ich mag nicht entscheiden, ob die Herabsetzung zum Kinde nur ein Spezialfall der komischen Herabsetzung ist, oder ob alle Komik im Grunde auf einer Herabsetzung zum Kinde beruht.*)*)

§ 762

Eine Untersuchung, die das Komische noch so flüchtig behandelt, wäre in arger Weise unvollständig, wenn sie nicht wenigstens einige Bemerkungen für den Humor übrig hätte. Die Wesensverwandtschaft zwischen beiden ist so wenig zweifelhaft, daß ein Erklärungsversuch des Komischen mindestens eine Komponente zum Verständnis des Humors abgeben muß. Soviel des Treffenden und Erhebenden auch zur Wertschätzung des Humors vorgebracht worden ist, der, selbst eine der höchsten psychischen Leistungen, auch die besondere Gunst der Denker genießt, so können wir doch dem Versuche nicht ausweichen, sein Wesen durch eine Annäherung an die Formeln für den Witz und für das Komische auszudrücken.

§ 763

Wir haben gehört, daß die Entbindung peinlicher Affekte das stärkste Hindernis der komischen Wirkung ist. Sowie die zweck lose Bewegung Schaden stiftet, die Dummheit zum Unheil führt, die Enttäuschung Schmerz bereitet, ist es mit der Möglichkeit eines komischen Effekts zu Ende, für den wenigstens, der sich solcher Unlust nicht erwehren kann, selbst von ihr betroffen wird oder an ihr Anteil nehmen muß, während der Unbeteiligte durch sein Verhalten bezeugt, daß in der Situation des betreffenden Falles alles enthalten ist, was für eine komische Wirkung erfordert wird. Der Humor ist nun ein Mittel, um die Lust trotz der sie störenden peinlichen Affekte zu gewinnen; er tritt für diese Affektentwicklung ein, setzt sich an die Stelle derselben. Seine Bedingung ist gegeben, wenn eine Situation vorliegt, in welcher wir unseren Gewohnheiten gemäß versucht sind, peinlichen Affekt zu entbinden, und wenn nun Motive auf uns einwirken, um diesen Affekt in statu nascendi zu unterdrücken. In den eben angeführten Fällen könnte also die vom Schaden, Schmerz usw. betroffene Person humoristische Lust gewinnen, während die unbeteiligte aus komischer Lust lacht. Die Lust des Humors entsteht dann, wir können nicht anders sagen, auf Kosten dieser unterbliebenen Affektentbindung, sie geht aus erspartem Affektaufwand hervor.

*) Daß die komische Lust ihre Quelle im „quantitativen Kontrast“ im Vergleich von Klein und Groß hat, welcher schließlich auch die wesentliche Relation des Kindes zum Erwachsenen ausdrückt, dies wäre in der Tat ein seltsames Zusammentreffen, wenn das Komische weiter nichts mit dem Infantilen zu tun hätte. § 764

Der Humor ist die genügsamste unter den Arten des Komischen; sein Vorgang vollendet sich bereits in einer einzigen Person, die Teilnahme einer anderen fügt nichts Neues zu ihm hinzu. Ich kann den Genuß der in mir entstandenen humoristischen Lust für mich behalten, ohne mich zur Mitteilung gedrängt zu fühlen. Es ist nicht leicht zu sagen, was bei der Erzeugung der humoristischen Lust in der einen Person vorgeht; man gewinnt aber eine gewisse Einsicht, wenn man die Fälle des mitgeteilten oder nachgefühlten Humors untersucht, in denen ich durch das Verständnis der humoristischen Person zur gleichen Lust wie sie gelange. Der gröbste Fall des Humors, der sogenannte Galgenhumor mag uns darüber belehren. Der Spitzbube, der am Montag zur Exekution geführt wird, äußert: „Na, diese Woche fängt gut an.“ Das ist eigentlich ein Witz, denn die Bemerkung ist an sich ganz zutreffend, anderseits in ganz unsinniger Weise deplaciert, da es weitere Ereignisse in dieser Woche für ihn nicht geben wird. Es gehört aber Humor dazu, einen solchen Witz zu machen, d. h. über alles hinwegzusehen, was diesen Wochenbeginn vor anderen auszeichnet, den Unterschied zu Ieugnen, aus dem sich Motive zu ganz besonderen Gefühlsregungen ergeben könnten. Derselbe Fall, wenn er sich auf dem Wege zur Hinrichtung ein Halstuch für seinen bloßen Hals ausbittet, um sich nicht zu verkühlen, eine Vorsicht, die sonst ganz lobenswert wäre, bei dem nahe bevorstehenden Schicksal dieses Halses aber ungeheuer überflüssig und gleichgiltig ist. Man muß sagen, es steckt etwas wie Seelengröße in dieser „Blague“, in solchem Festhalten seines gewohnten Wesens und Abwenden von dem, was dieses Wesen umwerfen und zur Verzweiflung treiben sollte. Diese Art von Großartigkeit des Humors tritt dann unverkennbar in Fällen hervor, in denen unsere Bewunderung keine Hemmung an den Umständen der humoristischen Person findet.

§ 765

In V. Hugos Hernani ist der Bandit, der sich in eine Verschwörung gegen seinen König, Karl I. von Spanien und Karl V. als deutscher Kaiser, eingelassen hat, in die Hände dieses seines großmächtigen Feindes gefallen; er sieht sein Schicksal als überführter Hochverräter voraus, sein Kopf wird fallen. Aber diese Voraussicht hält ihn nicht ab, sich als erbberechtigten Grande von Spanien erkennen zu geben und zu erklären, daß er auf kein Vorrecht eines solchen zu verzichten gedenke. Ein Grande von Spanien durfte in Gegenwart seines königlichen Herrn sein Haupt bedecken. Nun gut:

" § 766

„Nos têtes ont le droit De tomber couvertes devant de toi.“

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§ 767

Dies ist großartiger Humor, und wenn wir als Hörer dabei nicht lachen, so geschieht es, weil unsere Bewunderung die humoristische Lust deckt. Im Falle des Spitzbuben, der sich auf dem Wege zum Galgen nicht verkühlen will, lachen wir aus vollem Halse. Die Situation, die den Delinquenten zur Verzweiflung treiben sollte, könnte bei uns intensives Mitleid erregen; aber dies Mitleid wird gehemmt, weil wir verstehen, daß er, der näher Betroffene, sich aus der Situation nichts macht. Infolge dieses Verständnisses wird der Aufwand zum Mitleid, der schon in uns bereit war, unverwendbar, und wir lachen ihn ab. Die Gleichgiltigkeit des Spitzbuben, von der wir aber merken, daß sie ihn einen großen Aufwand von psychischer Arbeit gekostet hat, steckt uns gleichsam an.

§ 768

Erspartes Mitleid ist eine der häufigsten Quellen der humoristischen Lust. Der Humor Mark Twains arbeitet gewöhnlich mit diesem Mechanismus. Wenn er uns aus dem Leben seines Bruders erzählt, wie dieser als Angestellter einer großen Wegbauunternehmung durch die vorzeitige Explosion einer Mine in die Luft zu fliegen kam, um weit entfernt von seinem Arbeitsorte wieder zur Erde zu kommen, so werden unvermeidlich Regungen des Mitgefühls für den Verunglückten in uns wach; wir möchten fragen, ob ihm bei diesem Unfall kein Schaden geschehen ist; aber die Fortsetzung der Geschichte, daß dem Bruder ein halber Tag Arbeitslohn abgezogen wurde „wegen Entfernung vom Arbeitsorte“ lenkt uns vollständig vom Mitleid ab und macht uns beinahe ebenso hartherzig wie jene Unternehmer, ebenso gleichgiltig gegen die etwaige Gesundheitsschädigung des Bruders. Ein andermal legt uns Mark Twain seinen Stammbaum vor, den er etwa bis auf einen Gefährten des Kolumbus zurückführt. Nachdem uns aber der Charakter dieses Ahnen geschildert wurde, dessen ganzes Gepäck aus mehreren Wäschestücken besteht, von denen jedes eine andere Märke trägt, können wir nicht anders als auf Kosten der ersparten Pietät lachen, in welche wir uns zu Beginn dieser Familiengeschichte zu versetzen gedachten. Der Mechanismus der humoristischen Lust wird dabei nicht durch unser Wissen gestört, daß diese Ahnengeschichte eine fingierte ist, und daß diese Fiktion der satirischen Tendenz dient, die Schönfärberei, die sich in solchen Mitteilungen anderer kundgibt, bloßzustellen; er ist ebenso unabhängig von der Realitätsbedingung wie im Falle des Komischmachens. Eine andere Geschichte von Mark Twain, die berichtet, wie sein Bruder sich ein unterirdisches Quartier herstellte, in das er Bett, Tisch und Lampe brachte, und das als Dach ein großes, in der Mitte durchlöchertes Stück Segeltuch bekam, wie aber in der Nacht, nachdem die Stube fertig geworden, eine heimgetriebene Kuh durch die Öffnung der Decke auf den Tisch herabfiel und die Lampe auslöschte, wie der Bruder geduldig mithalf, das Tier hinaufzubefördern und die Einrichtung wiederherzustellen, wie er das gleiche tat, als sich die gleiche Störung in der nächsten Nacht wiederholte und dann jede weitere Nacht; eine solche Geschichte wird durch ihre Wiederholung komisch. Mark Twain beschließt sie aber mit der Mitteilung, der Bruder habe endlich in der 46sten Nacht, als wiederum die Kuh herabfiel, bemerkt: Die Sache fange an, monoton zu werden, und da können wir unsere humoristische Lust nicht zurückhalten, denn wir hätten längst zu hören erwartet, wie sich der Bruder über dies hartnäckige Malheur — geärgert. Den kleinen Humor, den wir etwa selbst in unserem Leben aufbringen, produzieren wir in der Regel auf Kosten des Ärgers, anstatt uns zu ärgern.*)*)

*) Die großartige humoristische Wirkung einer Figur wie des dicken Ritters Sir John Falstaff beruht auf ersparter Verachtung und Entrüstung. Wir erkennen zwar in ihm den unwürdigen Schlemmer und Hochstapler, aber unsere Verurteilung wird durch eine ganze Reihe von Momenten entwaffnet. Wir verstehen, daß er sich genau so kennt, wie wir ihn beurteilen; er imponiert uns durch seinen Witz, und außerdem übt seine körperliche Mißgestalt eine Kontaktwirkung zu Gunsten einer komi § 769

Die Arten des Humors sind außerordentlich mannigfach je nach der Natur der Gefühlserregung, die zu Gunsten des Humors erspart wird: Mitleid, Ärger, Schmerz, Rührung usw. Die Reihe derselben erscheint auch unabgeschlossen, weil das Reich des Humors immer weitere Ausdehnung erfährt, wenn es dem Künstler oder Schriftsteller gelingt, bisher noch unbezwungene Gefühlsregungen humoristisch zu bändigen, sie durch ähnliche Kunstgriffe wie in den vorigen Beispielen zur Quelle humoristischer Lust zu machen. Die Künstler des „Simplizissimus“, z. B. haben Erstaunliches darin geleistet, den Humor auf Kosten von Grausen und Ekel zu gewinnen. Die Erscheinungsformen des Humors werden übrigens durch zwei Eigentümlichkeiten bestimmt, die mit den Bedingungen seiner Entstehung zusammenhängen. Der Humor kann erstens mit dem Witz oder einer anderen Art des Komischen verschmolzen auftreten, wobei ihm die Aufgabe zufällt, eine in der Situation enthaltene Möglichkeit von Affektentwicklung, die ein Hindernis für die Lustwirkung wäre, zu beseitigen. Er kann zweitens diese Affektentwicklung gänzlich aufheben oder bloß par tiell, was sogar der häufigere Fall ist, weil die leichtere Leistung, und die verschiedenen Formen des „gebrochenen“*)*) Humors, den Humor, der unter Tränen lächelt, ergibt. Er entzieht dem Affekt einen Teil seiner Energie und gibt ihm dafür den humoristischen Beiklang.

schen Auffassung seiner Person anstatt einer ernsthaften aus, als ob unsere Anforderungen von Moral und Ehre von einem so dicken Bauch abprallen müßten. Sein Treiben ist im ganzen harmlos und wird durch die komische Niedrigkeit der von ihm Betrogenen fast entschuldigt. Wir geben zu, daß der Arme bemüht sein darf zu leben und zu genießen wie ein anderer, und bemitleiden ihn fast, weil wir ihn in den Hauptsituationen als Spielzeug in den Händen eines ihm weit Überlegenen finden. Darum können wir ihm nicht gram werden und schlagen alles, was wir bei ihm an Entrüstung ersparen, zur komischen Lust, die er sonst bereitet, hinzu. Sir John's eigener Humor geht eigentlich aus der Überlegenheit eines Ich's hervor, dem weder seine leiblichen noch seine moralischen Defekte die Heiterkeit und Sicherheit rauben können. Der geistreiche Ritter Don Quijote de la Mancha ist hingegen eine Gestalt, die selbst keinen Humor besitzt und uns in ihrem Ernst eine Lust bereitet, die man eine humoristische nennen könnte, obwohl deren Mechanismus eine wichtige Abweichung von dem des Humors erkennen läßt. Don Quijote ist ursprünglich eine rein komische Figur, ein großes Kind, dem die Phantasien seiner Ritterbücher zu Kopfe gestiegen sind. Es ist bekannt, daß der Dichter anfangs nichts anderes mit ihm wollte, und daß das Geschöpf allmählich weit über die ersten Absichten des Schöpfers hinauswuchs. Nachdem aber der Dichter diese lächerliche Person mit der tiefsten Weisheit und den edelsten Absichten ausgestattet und sie zum symbolischen Vertreter eines Idealismus gemacht hat, der an die Verwirklichung seiner Ziele glaubt, Pflichten ernst und Versprechen wörtlich nimmt, hört diese Person auf komisch zu wirken. Ähnlich wie sonst die humoristische Lust durch Verhinderung einer Gefühlserregung entsteht sie hier durch Störung der komischen Lust. Doch entfernen wir uns mit diesen Beispielen bereits merklich von den einfachen Fällen des Humors. § 770

Die durch Nachfühlen gewonnene humoristische Lust entspringt, wie man an obigen Beispielen merken konnte, einer besonderen, der Verschiebung vergleichbaren Technik, durch welche die bereit gehaltene Affektentbindung enttäuscht und die Besetzung auf anderes, nicht selten auf Nebensächliches gelenkt wird. Für das Verständnis des Vorganges, durch welchen in der humoristischen Person selbst die Verschiebung von der Affektentwicklung weg vor sich geht, ist aber hiemit nichts gewonnen. Wir sehen, daß der Empfänger den Schöpfer des Humors in seinen seelischen Vorgängen nachahmt, erfahren aber nichts dabei über die Kräfte, welche diesen Vorgang bei letzterem ermöglichen.

§ 771

Man kann nur sagen, wenn es jemandem gelingt, sich z. B. über einen schmerzlichen Affekt hinwegzusetzen, indem er sich die Größe der Weltinteressen als Gegensatz zur eigenen Kleinheit vorhält, so sehen wir darin keine Leistung des Humors, sondern des philosophischen Denkens und haben auch keinen Lustgewinn, wenn wir uns in seinen Gedankengang hineinversetzen. Die humoristische Verschiebung ist also in der Beleuchtung der bewußten Aufmerksamkeit ebenso unmöglich wie die komische Vergleichung; sie ist wie diese an die Bedingung, vorbewußt oder automatisch zu bleiben, gebunden.

§ 772

Zu einigem Aufschluß über die humoristische Verschiebung gelangt man, wenn man sie im Lichte eines Abwehrvorganges betrachtet. Die Abwehrvorgänge sind die psychischen Korrelate des Fluchtreflexes und verfolgen die Aufgabe, die Entstehung von Unlust aus inneren Quellen zu verhüten; in der Erfüllung dieser Aufgabe dienen sie dem seelischen Geschehen als eine automatische Regulierung, die sich schließlich allerdings als schädlich herausstellt und darum der Beherrschung durch das bewußte Denken unterworfen werden muß. Eine bestimmte Art dieser Abwehr, die mißglückte Verdrängung, habe ich als den wirkenden Mechanismus für die Entstehung der Psychoneurosen nachgewiesen. Der Humor kann nun als die höchststehende dieser Abwehrleistungen aufgefaßt werden. Er verschmäht es, den mit dem peinlichen Affekt verknüpften Vorstellungsinhalt der bewußten Aufmerksam keit zu entziehen, wie es die Verdrängung tut, und überwindet somit den Abwehrautomatismus; er bringt dies zu stande, indem er die Mittel findet, der bereit gehaltenen Unlustentbindung ihre Energie zu entziehen und diese durch Abfuhr in Lust zu verwandeln. Es ist selbst denkbar, daß wiederum der Zusammenhang mit dem Infantilen ihm die Mittel zu dieser Leistung zur Verfügung stellt. Im Kinderleben allein hat es intensive peinliche Affekte gegeben, über welche der Erwachsene heute lächeln würde, wie er als Humorist über seine gegenwärtigen peinlichen Affekte lacht. Die Erhebung seines Ichs, von welcher die humoristische Verschiebung Zeugnis ablegt — deren Übersetzung doch lauten würde: Ich bin zu groß(artig), als daß diese Anlässe mich peinlich berühren sollten —, könnte er wohl aus der Vergleichung seines gegenwärtigen Ichs mit seinem kindlichen entnehmen. Einigermaßen unterstützt wird diese Auffassung durch die Rolle, die dem Infantilen bei den neurotischen Verdrängungsvorgängen zufällt.

*) Ein Terminus, der in der Ästhetik von Fr. Th. Vischer in ganz anderem Sinne verwendet wird. § 773

Im ganzen steht der Humor dem Komischen näher als dem Witz. Er hat mit jenem auch die psychische Lokalisation im Vorbewußten gemeinsam, während der Witz, wie wir annehmen mußten, als Kompromiß zwischen Unbewußtem und Vorbewußtem gebildet wird. Dafür hat er keinen Anteil an einem eigentümlichen Charakter, in welchem Witz und Komik sich treffen, den wir vielleicht bisher nicht scharf genug hervorgehoben haben. Es ist Bedingung für die Entstehung des Komischen, daß wir veranlaßt werden, gleichzeitig oder in rascher Aufeinanderfolge für die nämliche Vorstellungsleistung zweierlei verschiedene Vorstellungsweisen anzuwenden, zwischen denen dann die „Vergleichung“ statt hat, und die komische Differenz sich ergibt. Solche Aufwandsdifferenzen entstehen zwischen dem Fremden und dem Eigenen, dem Gewohnten und dem Veränderten, dem Erwarteten und dem Eingetroffenen.*)*)

§ 774

Beim Witz kommt die Differenz zwischen zwei sich gleichzeitig ergebenden Auffassungsweisen, die mit verschiedenem Aufwand arbeiten, für den Vorgang beim Witzhörer in Betracht. Die eine dieser beiden Auffassungen macht, den im Witze enthaltenen Andeutungen folgend, den Weg des Gedankens durch das Unbewußte nach, die andere verbleibt an der Oberfläche und stellt den Witz wie einen sonstigen aus dem Vorbewußten bewußt gewordenen Wortlaut vor. Es wäre vielleicht keine unberechtigte Darstellung, wenn man die Lust des angehörten Witzes aus der Differenz dieser beiden Vorstellungsweisen ableiten würde.*)*)

*) Wenn man sich nicht scheut, dem Begriff Erwartung einigen Zwang anzutun, kann man nach dem Vorgange von Lipps ein sehr großes Gebiet des Komischen der Erwartungskomik zurechnen, aber gerade die wahrscheinlich ursprünglichsten Fälle der Komik, die aus der Vergleichung eines fremden Aufwandes mit dem eigenen hervorgehen, würden sich dieser Zusammenfassung am wenigsten fügen. § 775

Wir sagen hier vom Witze das nämliche aus, was wir als seine Janusköpfigkeit beschrieben haben, solange uns die Beziehung zwischen Witz und Komik noch unerledigt erschien.**)**)

§ 776

Beim Humor verwischt sich der hier in den Vordergrund gerückte Charakter. Wir verspüren zwar die humoristische Lust, wo eine Gefühlsregung vermieden wird, die wir als eine der Situation gewohnheitsmäßig zugeordnete erwartet hätten, und insofern fällt auch der Humor unter den erweiterten Begriff der Erwartungskomik. Aber es handelt sich beim Humor nicht mehr um zwei verschiedene Vorstellungsweisen desselben Inhalts; daß die Situation durch die zu vermeidende Gefühlserregung mit Unlustcharakter beherrscht wird, macht der Vergleichbarkeit mit dem Charakter beim Komischen und beim Witze ein Ende. Die humoristische Verschiebung ist eigentlich ein Fall jener andersartigen Verwendung eines frei gewordenen Aufwandes, der sich als so gefährlich für die komische Wirkung herausgestellt hat.

§ 777

Wir stehen nun am Ende unserer Aufgabe, nachdem wir den Mechanismus der humoristischen Lust auf eine analoge Formel zurückgeführt haben wie für die komische Lust und den Witz. Die Lust des Witzes schien uns aus erspartem Hemmungs- aufwand hervorzugehen, die der Komik aus erspartem Vorstellungs-(Besetzungs-)aufwand, und die des Humors aus er- spartem Gefühlsaufwand. In allen drei Arbeitsweisen unseres seelischen Apparats stammt die Lust von einer Ersparung; alle drei kommen darin überein, daß sie Methoden darstellen, um aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verloren gegangen ist. Denn die Euphorie, welche wir auf diesen Wegen zu erreichen streben, ist nichts anderes als die Stimmung einer Lebenszeit, in welcher wir unsere psychische Arbeit überhaupt mit geringem Aufwand zu bestreiten pflegten, die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen.

*) Man kann an dieser Formel ohne weiteres festhalten, denn sie lauft auf nichts heraus, was im Widerspruch zu früheren Erörterungen stünde. Die Differenz zwischen den beiden Aufwänden muß sich im wesentlichen auf den ersparten Hemmungsaufwand reduzieren. Das Fehlen dieser Hemmungsersparung beim Komischen und der Wegfall des quantitativen Kontrastes beim Witze würden, bei aller Übereinstimmung im Charakter der zweierlei Vorstellungsarbeit für die nämliche Auffassung, den Unterschied des komischen Gefühls vom Eindruck des Witzes bedingen. **) Die Eigentümlichkeit der „Double face“ ist den Autoren natürlich nicht entgangen. Mélinaud, dem ich obigen Ausdruck entnahm (Pourquoi rit-on? Revue des deux mondes, Februar, 1895), faßt die Bedingung für das Lachen in folgende Formel: Ce qui fait rire, c'est ce qui est à la fois, d'un côté, absurde et de l'autre, familier. Die Formel paßt auf den Witz besser als aufs Komische, deckt aber auch den ersteren nicht ganz. — Bergson (l. c., S. 98) definiert die komische Situation durch die „interférence des séries“: „Une situation est toujours comique quand elle appartient en même temps à deux séries d'événements absolument indépendantes, et qu'elle peut s'interpréter à la fois dans deux sens tout différents.“ — Für Lipps ist die Komik „die Größe und Kleinheit desselben“.