DREI ABHANDLUNGEN ZUR
SEXUALTHEORIE § 2VON
§ 3PROF. DR. SIGM. FREUD
§ 4IN WIEN
§ 5LEIPZIG UND WIEN
FRANZ DEUTICKE 1905 § 6DREI ABHANDLUNGEN ZUR
SEXUALTHEORIE § 7VON
§ 8PROF. DR. SIGM. FREUD
§ 9IN WIEN
§ 10LEIPZIG UND WIEN
FRANZ DEUTICKE 1905 § 11Verlags-Nr. 1124.
§ 12K. und K. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska in Teschen.
§ 13I.
§ 14Die sexuellen Abirrungen. 1)
§ 15Die Tatsache geschlechtlicher Bedürfnisse bei Mensch undLibido“.
Tier drückt man in der Biologie durch die Annahme eines „Geschlechtstriebes“ aus. Man folgt dabei der Analogie mit dem Trieb nach Nahrungsaufnahme, dem Hunger. Eine dem Worte „Hunger“ entsprechende Bezeichnung fehlt der Volks sprache; die Wissenschaft gebraucht als solche „§ 16Die populäre Meinung macht sich ganz bestimmte Vorstel
lungen von der Natur und den Eigenschaften dieses Geschlechts triebes. Er soll der Kindheit fehlen, sich um die Zeit und im Zusammenhang mit dem Reifungsvorgang der Pubertät ein stellen, sich in den Erscheinungen unwiderstehlicher Anziehung äußern, die das eine Geschlecht auf das andere ausübt, und sein Ziel soll die geschlechtliche Vereinigung sein oder wenig stens solche Handlungen, welche auf dem Wege zu dieser liegen. § 17Wir haben aber allen Grund, in diesen Angaben ein sehr
ungetreues Abbild der Wirklichkeit zu erblicken; faßt man sie schärfer in’s Auge, so erweisen sie sich überreich an Irr tümern, Ungenauigkeiten und Voreiligkeiten. § 18Führen wir zwei Termini ein: heißen wir die Person, vonSexual objekt, die Handlung, nach welcher der Trieb drängt, das Sexualziel, so weist uns die wissenschaftlich gesichtete Erfahrung zahlreiche Abweichungen in Bezug auf beide, Sexual objekt und Sexualziel, nach, deren Verhältnis zur angenommenen Norm eingehende Untersuchung fordert.
welcher die geschlechtliche Anziehung ausgeht, das § 191. Abweichungen in Bezug auf das Sexualobjekt.
§ 20Der populären Theorie des Geschlechtstriebes entspricht amInversion. Die Zahl solcher Personen ist sehr er heblich, wiewohl deren sichere Ermittelung Schwierigkeiten unterliegt. 2)
schönsten die poetische Fabel von der Teilung des Menschen in zwei Hälften — Mann und Weib —, die sich in der Liebe wieder zu vereinigen streben. Es wirkt darum wie eine große Überraschung zu hören, daß es Männer gibt, für die nicht das Weib, sondern der Mann, Weiber, für die nicht der Mann, sondern das Weib das Sexualobjekt darstellt. Man heißt solche Personen Konträrsexuale oder besser Invertierte, die Tatsache die der § 21A. Die Inversion.
§ 22Verhalten der
Invertierten. § 23Die betreffenden Personen verhalten sich nach verschiede
nen Richtungen ganz verschieden. § 24a) Sie sind absolut invertiert, d. h. ihr Sexualobjekt kann nur gleichgeschlechtlich sein, während das gegensätzliche Geschlecht für sie niemals Gegenstand der geschlechtlichen Sehnsucht ist, sondern sie kühl läßt oder selbst sexuelle Ab neigung bei ihnen hervorruft. Als Männer sind sie dann durch Abneigung unfähig, den normalen Geschlechtsakt auszuführen, oder vermissen bei dessen Ausführung jeden Genuß.
§ 25b) Sie sind amphigen invertiert (psychosexuell-her maphroditisch), d. h. ihr Sexualobjekt kann ebensowohl dem gleichen wie dem anderen Geschlecht angehören; der Inversion fehlt also der Charakter der Ausschließlichkeit.
§ 26c) Sie sind okkasionell invertiert, d. h. unter gewissen äußeren Bedingungen, von denen die Unzugänglichkeit des normalen Sexualobjekts und die Nachahmung obenan stehen, können sie eine Person des gleichen Geschlechtes zum Sexual objekt nehmen und im Sexualakt mit ihr Befriedigung empfinden.
§ 27Die Invertierten zeigen ferner ein mannigfaltiges Ver 3)
halten in ihrem Urteil über die Besonderheit ihres Geschlechts triebes. Die Einen nehmen die Inversion als selbstverständlich hin wie der Normale die Richtung seiner Libido und vertreten mit Schärfe deren Gleichberechtigung mit der normalen. Andere aber lehnen sich gegen die Tatsache ihrer Inversion auf und empfinden dieselbe als krankhaften Zwang.§ 28Weitere Variationen betreffen die zeitlichen Verhältnisse. 4) Der Charak ter bleibt entweder durch’s ganze Leben erhalten, oder tritt zeitweise zurück oder stellt eine Episode auf dem Wege zur normalen Entwicklung dar. Auch ein periodisches Schwanken zwischen dem normalen und dem invertierten Sexualobjekt ist beobachtet worden. Besonders interessant sind Fälle, in denen sich die Libido im Sinne der Inversion ändert, nachdem eine peinliche Erfahrung mit dem normalen Sexualobjekt gemacht worden ist.
Die Eigentümlichkeit der Inversion datiert bei dem Individuum entweder von jeher, soweit seine Erinnerung zurückreicht, oder dieselbe hat sich ihm erst zu einer bestimmten Zeit vor oder nach der Pubertät bemerkbar gemacht.§ 29Diese verschiedenen Reihen von Variationen bestehen im
allgemeinen unabhängig neben einander. Von der extremsten Form kann man etwa regelmäßig annehmen, daß die Inversion seit jeher bestanden hat, und daß die Person sich mit ihrer Eigentümlichkeit einig fühlt. § 30Viele Autoren würden sich weigern, die hier aufgezählten
Fälle zu einer Einheit zusammenzufassen, und ziehen es vor, die Unterschiede anstatt der Gemeinsamen dieser Gruppen zu betonen, was mit der von ihnen beliebten Beurteilung der Inversion zusammenhängt. Allein so berechtigt Sonderungen sein mögen, so ist doch nicht zu verkennen, daß alle Zwischen stufen reichlich aufzufinden sind, so daß die Reihenbildung sich gleichsam von selbst aufdrängt. § 31Auffassung
der Inversion. § 32Die erste Würdigung der Inversion bestand in der Auf
fassung, sie sei ein angeborenes Zeichen nervöser Degeneration und war im Einklange mit der Tatsache, daß die ärztlichen Beobachter zuerst bei Nervenkranken oder Personen, die solchen Eindruck machten, auf sie gestoßen waren. In dieser Charak teristik sind zwei Angaben enthalten, die unabhängig von ein ander beurteilt werden wollen: Das Angeborensein und die Degeneration. § 33Degeneration.
§ 34Die Degeneration unterliegt den Einwänden, die sich gegenMagnan’sche Einteilung der Degenerierten hat es selbst ermöglicht, daß die vorzüglichste Allgemeingestaltung der Nervenleistung die Anwendbarkeit des Begriffes Degeneration nicht auszuschließen braucht. Unter solchen Umständen darf man fragen, welchen Nutzen und welchen neuen Inhalt das Urteil „Degeneration“ überhaupt noch besitzt. Es scheint zweckmäßiger, von Degeneration nicht zu sprechen,
die wahllose Verwendung des Wortes überhaupt erheben. Es ist doch Sitte geworden, jede Art von Krankheitsäußerung, die nicht gerade traumatischen oder infektiösen Ursprungs ist, der Degeneration zuzurechnen. Die § 351. wo nicht mehrere schwere Abweichungen von der Norm 5)
zusammentreffen; 2. wo nicht Leistungs- und Existenzfähigkeit im allgemeinen schwer geschädigt erscheinen.§ 36Daß die Invertierten nicht Degenerierte in diesem berech
tigten Sinne sind, geht aus mehreren Tatsachen hervor: § 371. Man findet die Inversion bei Personen, die keine son
stigen schweren Abweichungen von der Norm zeigen. § 382. Desgleichen bei Personen, deren Leistungsfähigkeit nicht 6)
gestört ist, ja die sich durch besonders hohe intellektuelle Ent wicklung, und ethische Kultur auszeichnen.§ 393. Wenn man von den Patienten seiner ärztlichen Erfah
rung absieht und einen weiteren Gesichtskreis zu umfassen strebt, stößt man nach zwei Richtungen auf Tatsachen, welche die Inversion als Degenerationszeichen aufzufassen verbieten. § 40a) Man muß Wert darauf legen, daß die Inversion eine häufige Erscheinung, fast eine mit wichtigen Funktionen be traute Institution bei den alten Völkern auf der Höhe ihrer Kultur war; b) man findet sie ungemein verbreitet bei vielen wilden und primitiven Völkern, während man den Begriff der Degeneration auf die hohe Zivilisation zu beschränken gewohnt ist. (J. Bloch). Selbst unter den zivilisierten Völkern Europas haben Klima und Rasse auf die Verbreitung und die Beurteilung der Inversion den mächtigsten Einfluß. 7)
§ 41Angeborensein.
§ 42Das Angeborensein ist, wie begreiflich, nur für die erste,
extremste, Klasse der Invertierten behauptet worden, und zwar auf Grund der Versicherung dieser Personen, daß sich bei ihnen zu keiner Zeit des Lebens eine andere Richtung des Sexualtriebes gezeigt habe. Schon das Vorkommen der beiden anderen Klassen, speziell der dritten, ist schwer mit der Auffassung eines an geborenen Charakters zu vereinen. Daher die Neigung der Ver treter dieser Ansicht, die Gruppe der absolut Invertierten von allen anderen abzulösen, was den Verzicht auf eine allgemein giltige Auffassung der Inversion zur Folge hat. Die Inversion wäre demnach in einer Reihe von Fällen ein angeborener Charakter; in anderen könnte sie auf andere Art entstanden sein. § 43Den Gegensatz zu dieser Auffassung bildet die andere,erworbener Charakter des Geschlechts triebes sei. Sie stützt sich darauf, daß 1. bei vielen (auch ab solut) Invertierten ein frühzeitig im Leben einwirkender sexueller Eindruck nachweisbar ist, als dessen fortdauernde Folge sich die homosexuelle Neigung darstellt, 2. daß bei vielen Anderen sich die äußeren begünstigenden und hemmen den Einflüsse des Lebens aufzeigen lassen, die zu einer früheren oder späteren Zeit zur Fixierung der Inversion geführt haben (ausschließlicher Verkehr mit dem gleichen Geschlecht, Ge meinschaft im Kriege, Detention in Gefängnissen, Gefahren des heterosexuellen Verkehrs, Zölibat, geschlechtliche Schwäche usw.); 3. daß die Inversion durch hypnotische Suggestion auf gehoben werden kann, was bei einem angeborenen Charakter Wunder nehmen würde.
daß die Inversion ein § 44Vom Standpunkt dieser Anschauung kann man die SicherHavelock Ellis), daß ein genaueres Examen der für angeborene Inversion in An spruch genommenen Fälle wahrscheinlich gleichfalls ein für die Richtung der Libido bestimmendes Erlebnis der frühen Kindheit zu Tage fördern würde, welches bloß im bewußten Gedächtnis der Person nicht bewahrt worden ist, aber durch geeignete Beeinflussung zur Erinnerung gebracht werden könnte. Die Inversion könnte man nach diesen Autoren nur als eine häufige Variation des Geschlechtstriebes bezeichnen, die durch eine Anzahl äußerer Lebensumstände bestimmt werden kann.
heit des Vorkommens einer angeborenen Inversion überhaupt bestreiten. Man kann einwenden ( § 45Der scheinbar so gewonnenen Sicherheit macht aber die
Gegenbemerkung ein Ende, daß nachweisbar viele Personen die nämlichen sexuellen Beeinflussungen (auch in früher Jugend: Verführung, mutuelle Onanie) erfahren, ohne durch sie inver tiert zu werden oder dauernd so zu bleiben. So wird man zur Vermutung gedrängt, daß die Alternative angeboren — er worben entweder unvollständig ist oder die bei der Inversion vorliegenden Verhältnisse nicht deckt. § 46Erklärung
der Inversion. § 47Weder mit der Annahme, die Inversion sei angeboren, noch
mit der anderen, sie werde erworben, ist das Wesen der Inversion erklärt. Im ersten Falle muß man sich äußern, was an ihr angeboren ist, wenn man sich nicht der rohesten Erklärung anschließt, daß eine Person die Verknüpfung des Sexualtriebes mit einem bestimmten Sexualobjekt angeboren mitbringt. Im anderen Falle fragt es sich, ob die mannigfachen akzidentellen Einflüsse hinreichen, die Erwerbung zu erklären, ohne daß ihnen etwas an dem Individuum entgegenkommen müsse. Die Verneinung dieses letzten Momentes ist nach unseren früheren Ausführungen unstatthaft. § 48Heranziehung
der Bisexualität. § 49Zur Erklärung der Möglichkeit einer sexuellen InversionFrank Lydstone, Kiernan und Chevalier eine Gedankenreihe herangezogen worden, welche einen neuen Wider spruch gegen die populäre Meinung enthält. Dieser gilt ein Mensch entweder als Mann oder als Weib. Die Wissenschaft kennt aber Fälle, in denen die Geschlechtscharaktere verwischt erscheinen und somit die Geschlechtsbestimmung erschwert wird; zunächst auf anatomischem Gebiet. Die Genitalien dieser Per sonen vereinigen männliche und weibliche Charaktere (Her maphroditismus). In seltenen Fällen sind neben einander bei derlei Geschlechtsapparate ausgebildet (wahrer Hermaphroditis mus); zu allermeist findet man beiderseitige Verkümmerung. 8)
ist seit § 50Das Bedeutsame an diesen Abnormitäten ist aber, daß sie
in unerwarteter Weise das Verständnis der normalen Bildung erleichtern. Ein gewisser Grad von anatomischem Hermaphro ditismus gehört nämlich der Norm an; bei keinem normal ge bildeten männlichen oder weiblichen Individuum werden die Spuren vom Apparat des anderen Geschlechts vermißt, die entweder funktionslos als rudimentäre Organe fortbestehen oder selbst zur Übernahme anderer Funktionen umgebildet worden sind. § 51Die Auffassung, die sich aus diesen lange bekannten
anatomischen Tatsachen ergibt, ist die einer ursprünglich bisexuellen Veranlagung, die sich im Laufe der Entwicklung bis zur Monosexualität mit geringen Resten des verkümmerten Geschlechtes verändert. § 52Es lag nahe, diese Auffassung auf’s psychische Gebiet zu
übertragen und die Inversion in ihren Abarten als Ausdruck eines psychischen Hermaphroditismus zu verstehen. Um die Frage zu entscheiden, bedurfte es nur noch eines regelmäßigen Zusammentreffens der Inversion mit den seelischen und soma tischen Zeichen des Hermaphroditismus. § 53Allein diese nächste Erwartung schlägt fehl. So naheHavelock Ellis) und leichte anatomische Verkümmerung der Organe. Häufig, aber keineswegs regelmäßig oder auch nur überwiegend. Somit muß man erkennen, daß Inversion und somatischer Hermaphroditismus im ganzen unabhängig von einander sind.
darf man sich die Beziehungen zwischen dem angenommenen psychischen und dem nachweisbaren anatomischen Zwittertum nicht vorstellen. Was man bei den Invertierten findet, ist häufig eine Herabsetzung des Geschlechtstriebes überhaupt (§ 54Man hat ferner großen Wert auf die sogenannten sekunH. Ellis.) Auch daran ist vieles zutreffend, aber man darf nicht ver gessen, daß die sekundären und tertiären Geschlechtscharaktere überhaupt recht häufig beim anderen Geschlecht auftreten und so Andeutungen von Zwittertum herstellen, ohne daß dabei das Sexualobjekt sich im Sinne einer Inversion abgeändert zeigte.
dären und tertiären Geschlechtscharaktere gelegt und deren gehäuftes Vorkommen bei den Invertierten betont. (§ 55Der psychische Hermaphroditismus würde an LeibhaftigHalban 9) sind auch die einzelnen Organverkümmerungen und sekundären Geschlechts charaktere in ihrem Auftreten ziemlich unabhängig von ein ander.
keit gewinnen, wenn mit der Inversion des Sexualobjekts wenigstens ein Umschlag der sonstigen seelischen Eigenschaften, Triebe und Charakterzüge in die für’s andere Geschlecht be zeichnende Abänderung parallel liefe. Allein eine solche Charakterinversion darf man mit einiger Regelmäßigkeit nur bei den invertierten Frauen erwarten, bei den Männern ist die vollste seelische Männlichkeit mit der Inversion vereinbar. Hält man an der Aufstellung eines seelischen Hermaphroditis mus fest, so muß man hinzufügen, daß dessen Äußerungen auf verschiedenen Gebieten eine nur geringe, gegenseitige Be dingtheit erkennen lassen. Das gleiche gilt übrigens auch für das somatische Zwittertum; nach § 56Die Bisexualitätslehre ist in ihrer rohesten Form von einemv. Krafft Ebing’s scheint exakter gefaßt als der Ulrichs’, ist aber im Wesen von ihm nicht verschieden. v. Krafft-Ebing meint, daß die bisexuelle Anlage dem Individuum ebenso männ liche und weibliche Hirnzentren mitgibt wie somatische Ge schlechtsorgane. Diese Zentren entwickeln sich erst zur Zeit der Pubertät, zumeist unter dem Einflusse der von ihnen in der Anlage unabhängigen Geschlechtsdrüse. Von den männ lichen und weiblichen „Zentren“ gilt aber dasselbe wie vom männlichen und weiblichen Gehirn, und nebenbei wissen wir nicht einmal, ob wir für die Geschlechtsfunktionen abgegrenzte Gehirnstellen („Zentren“) wie etwa für die Sprache annehmen dürfen.
Wortführer der männlichen Invertierten ausgesprochen worden: Weibliches Gehirn im männlichen Körper. Allein wir kennen die Charaktere eines „weiblichen Gehirns“ nicht. Der Ersatz des psychologischen Problems durch das anatomische ist ebenso müßig wie unberechtigt. Der Erklärungsversuch § 57Zwei Gedanken bleiben nach diesen Erörterungen gleichsam 10)
bestehen: daß auch für die Inversion eine bisexuelle Veranlagung in Betracht kommt, nur daß wir nicht wissen, worin diese Anlage über die anatomische Gestaltung hinaus besteht, und daß es sich um Störungen handelt, welche der Geschlechtstrieb in seiner Entwicklung erfährt.§ 58Sexualobjekt
der Invertierten. § 59Die Theorie des psychischen Hermaphroditismus setzt vor
aus, daß das Sexualobjekt des Invertierten das dem normalen entgegengesetzte sei. Der invertierte Mann unterliege wie das Weib dem Zauber, der von den männlichen Eigenschaften des Körpers und der Seele ausgeht, er fühle sich selbst als Weib und suche den Mann. § 60Aber wiewohl dies für eine ganze Reihe von Invertierten
zutrifft, so ist es doch weit entfernt, einen allgemeinen Charak ter der Inversion zu verraten. Es ist kein Zweifel, daß ein großer Teil der männlichen Invertierten den psychischen Charakter der Männlichkeit bewahrt hat, verhältnismäßig wenig sekundäre Charaktere des anderen Geschlechtes an sich trägt und in seinem Sexualobjekt eigentlich weibliche psychische Züge sucht. Wäre dies anders, so bliebe es unverständlich, wozu die männliche Prostitution, die sich den Invertierten anbietet, — heute wie im Altertum — in allen Äußerlichkeiten der Kleidung und Haltung die Weiber kopiert; diese Nachahmung müßte ja sonst das Ideal der Invertierten beleidigen. Bei den Griechen, wo die männlichsten Männer unter den Invertierten erscheinen, ist es klar, daß nicht der männliche Charakter des Knaben, sondern seine körperliche Annäherung an das Weib sowie seine weiblichen seelischen Eigenschaften, Schüchternheit, Zurückhaltung, Lern- und Hilfsbedürftigkeit die Liebe des Mannes entzündeten. Sobald der Knabe ein Mann wurde, hörte er auf, ein Sexualobjekt für den Mann zu sein, und wurde etwa selbst ein Knabenliebhaber. Das Sexualobjekt ist also in diesem Falle, wie in vielen anderen, nicht das gleiche Ge schlecht, sondern die Vereinigung beider Geschlechtscharaktere, das Kompromiß etwa zwischen einer Regung, die nach dem Manne und einer, die nach dem Weibe verlangt, mit der fest gehaltenen Bedingung der Männlichkeit des Körpers (der Genitalien). § 61Eindeutiger sind die Verhältnisse beim Weibe, wo die
aktiv Invertierten besonders häufig somatische und seelische Charaktere des Mannes an sich tragen und das Weibliche von ihrem Sexualobjekt verlangen, wiewohl auch hier sich bei näherer Kenntnisnahme größere Buntheit herausstellen dürfte. § 62Sexualziel
der Invertierten. § 63Die wichtige festzuhaltende Tatsache ist, daß das Sexualziel
bei der Inversion keineswegs einheitlich genannt werden kann. Bei Männern fällt Verkehr per anum durchaus nicht mit In version zusammen; Masturbation ist ebenso häufig das aus schließliche Ziel, und Einschränkungen des Sexualzieles — bis zur bloßen Gefühlsergießung — sind hier sogar häufiger als bei der heterosexuellen Liebe. Auch bei Frauen sind die Sexual ziele der Invertierten mannigfaltig; darunter scheint die Be rührung mit der Mundschleimhaut bevorzugt. § 64Schluß
folgerung. § 65Wir sehen uns zwar außer stande, die Entstehung
der Inversion aus dem bisher vorliegenden Material be friedigend aufzuklären, können aber merken, daß wir bei dieser Untersuchung zu einer Einsicht gelangt sind, die uns bedeutsamer werden kann als die Lösung der obigen Aufgabe. Wir werden aufmerksam gemacht, daß wir uns die Verknüpfung des Sexualtriebes mit dem Sexualobjekt als eine zu innige vorgestellt haben. Die Erfahrung an den für abnorm gehaltenen Fällen lehrt uns, daß hier zwischen Sexualtrieb und Sexualobjekt eine Verlötung vorliegt, die wir bei der Gleich förmigkeit der normalen Gestaltung, wo der Trieb das Objekt mitzubringen scheint, in Gefahr sind zu übersehen. Wir werden so angewiesen, die Verknüpfung zwischen Trieb und Objekt in unseren Gedanken zu lockern. Der Geschlechtstrieb ist wahr scheinlich zunächst unabhängig von seinem Objekt und verdankt wohl auch nicht den Reizen desselben seine Entstehung. § 66B. Geschlechtsunreife und Tiere als Sexualobjekte.
§ 67Während die Personen, deren Sexualobjekt nicht dem
normalerweise dazu geeigneten Geschlechte angehören, die Invertierten also, dem Beobachter als eine gesammelte Anzahl von sonst vielleicht vollwertigen Individuen entgegentreten, erscheinen die Fälle, in denen geschlechtsunreife Personen (Kinder) zu Sexualobjekten erkoren werden, von vorneherein als vereinzelte Verirrungen. Nur ausnahmsweise sind Kinder die ausschließlichen Sexualobjekte; zumeist gelangen sie zu dieser Rolle, wenn ein feige und impotent gewordenes Indivi duum sieh zu solchem Surrogat versteht, oder ein impulsiver (unaufschiebbarer) Trieb sich zur Zeit keines geeigneteren Ob jekts bemächtigen kann. Immerhin wirft es ein Licht auf die Natur des Geschlechtstriebes, daß er soviel Variation und solche Herabsetzung seines Objekts zuläßt, was der Hunger, der sein Objekt weit energischer festhält, nur im äußersten Falle gestatten würde. Eine ähnliche Bemerkung gilt für den besonders unter dem Landvolke gar nicht seltenen sexuellen Verkehr mit Tieren, wobei sich etwa die Geschlechtsanziehung über die Artschranke hinwegsetzt. § 68Aus ästhetischen Gründen möchte man gerne diese wie
andere schwere Verirrungen des Geschlechtstriebes den Geistes kranken zuweisen, aber dies geht nicht an. Die Erfahrung lehrt, daß man bei diesen letzteren keine anderen Störungen des Geschlechtstriebes beobachtet als bei Gesunden, ganzen Rassen und Ständen. So findet sich sexueller Mißbrauch von Kindern mit unheimlicher Häufigkeit bei Lehrern- und Warte personen, bloß weil sich diesen die beste Gelegenheit dazu bietet. Die Geisteskranken zeigen die betreffende Verirrung nur etwa gesteigert, oder, was besonders bedeutsam ist, zur Ausschließ lichkeit erhoben und an Stelle der normalen Sexualbefriedigung gerückt. § 69Dieses sehr merkwürdige Verhältnis der sexuellen Varia
tionen zur Stufenleiter von der Gesundheit bis zur Geistes störung gibt zu denken. Ich würde meinen, die zu erklärende Tatsache wäre ein Hinweis darauf, daß die Regungen des Ge schlechtslebens zu jenen gehören, die auch normalerweise von den höheren Seelentätigkeiten am schlechtesten beherrscht wer den. Wer in sonst irgend einer Beziehung geistig abnorm ist, in sozialer, ethischer Hinsicht, der ist es nach meiner Er fahrung regelmäßig in seinem Sexualleben. Aber viele sind abnorm im Sexualleben, die in allen anderen Punkten dem Durchschnitt entsprechen, die menschliche Kulturentwicklung, deren schwacher Punkt die Sexualität bleibt, an ihrer Person durchgemacht haben. § 70Als allgemeinstes Ergebnis dieser Erörterungen würden wir
aber die Einsicht herausgreifen, daß unter einer großen Anzahl von Bedingungen und bei überraschend viel Individuen die Art und der Wert des Sexualobjekts in den Hintergrund treten. Et was Anderes ist am Sexualtrieb das Wesentliche und Konstante. § 712. Abweichungen in Bezug auf das Sexualziel.
§ 72Als normales Sexualziel gilt die Vereinigung der GeniPerversionen beschrieben hat. Es wer den nämlich gewisse intermediäre (auf dem Wege zur Begattung liegende) Beziehungen zum Sezualobjekt, wie das Betasten und Beschauen desselben, als vorläufige Sexualziele anerkannt. Diese Betätigungen sind einerseits selbst mit Lust verbunden, ander seits steigern sie die Erregung, welche bis zur Erreichung des endgiltigen Sexualzieles andauern soll. Eine bestimmte dieser Berührungen, die der beiderseitigen Lippenschleimhaut hat ferner als Kuß bei vielen Völkern (die höchst zivilisierten dar unter) einen hohen sexuellen Wert erhalten, obwohl die dabei in Betracht kommenden Körperteile nicht dem Geschlechts apparat angehören, sondern den Eingang zum Verdauungs kanal bilden. Hiemit sind also die Momente gegeben, welche die Perversionen an das normale Sexualleben anknüpfen lassen und auch zur Einteilung derselben verwendbar sind. Die Per versionen sind entweder a) anatomische Überschreitungen der für die geschlechtliche Vereinigung bestimmten Körpergebiete oder b) Verweilungen bei den intermediären Relationen zum Sexualobjekt, die normalerweise auf dem Wege zum end giltigen Sexualziel rasch durchschritten werden sollen.
talien in dem als Begattung bezeichneten Akte, der zur Lösung der sexuellen Spannung und zum zeitweiligen Erlöschen des Sexualtriebes führt (Befriedigung analog der Sättigung beim Hunger). Doch sind bereits am normalsten Sexualvorgang jene Ansätze kenntlich, deren Ausbildung zu den Abirrungen führt, die man als § 73a) Anatomische Überschreitungen.
§ 74Überschätzung
des Sexualobjekts. § 75Die psychische Wertschätzung, deren das Sexualobjekt als 11)
Wunschziel des Sexualtriebes teilhaftig wird, beschränkt sich in den seltensten Fällen auf dessen Genitalien, sondern greift auf den ganzen Körper desselben über und hat die Tendenz, alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen miteinzubeziehen. Die gleiche Überschätzung strahlt auf das psychische Gebiet aus und zeigt sich als logische Verblendung (Urteilsschwäche) angesichts der seelischen Leistungen und Vollkommenheiten des Sexualobjekts sowie als gläubige Gefügigkeit gegen die von letzterem ausgehenden Urteile. Die Gläubigkeit der Liebe wird so zu einer wichtigen, wenn nicht zur uranfänglichsten Quelle der Autorität.§ 76Diese Sexualüberschätzung ist es nun, welche sich mit derHoche als Reizhunger bezeichnet hat. 12)
Einschränkung des Sezualzieles auf die Vereinigung der eigent lichen Genitalien so schlecht verträgt und Vornahmen an anderen Körperteilen zu Sexualzielen erheben hilft. Bei der Ausbildung dieser höchst mannigfaltigen anatomischen Über schreitungen ist ein Bedürfnis nach Variation unverkennbar, welches § 77Die Bedeutung des Moments der Sexualüberschätzung läßt
sich am ehesten beim Manne studieren, dessen Geschlechtsleben allein der Erforschung zugänglich geworden ist, während das des Weibes zum Teil infolge der Kulturverkümmerung, zum anderen Teil durch die konventionelle Verschwiegenheit und Unaufrichtigkeit der Frauen in ein noch undurchdringliches Dunkel gehüllt ist. § 78Sexuelle
Verwendung der Lippen-Mund Schleimhaut. § 79Die Verwendung des Mundes als Sexualorgan gilt als PerEkelgefühl nach, welches ihn vor der Annahme eines solchen Sexualzieles schützt. Die Grenze dieses Ekels ist aber häufig rein konventionell; wer etwa mit Inbrunst die Lippen eines schönen Mädchens küßt, wird viel leicht das Zahnbürstehen desselben nur mit Ekel gebrauchen können, wenngleich kein Grund zur Annahme vorliegt, daß seine eigene Mundhöhle, vor der ihm nicht ekelt, reinlicher sei als die des Mädchens. Man wird hier auf das Moment des Ekels aufmerksam, welches der libidinösen Überschätzung des Sexualobjekts in den Weg tritt, seinerseits aber durch die Libido überwunden werden kann. In dem Ekel möchte man eine der Mächte erblicken, welche die Einschränkung des Sexualzieles zu stande gebracht haben. In der Regel machen diese vor den Genitalien selbst Halt. Es ist aber kein Zweifel, daß auch die Genitalien des anderen Geschlechts an und für sich Gegenstand des Ekels sein können, und daß dies Verhalten zur Charakteristik aller Hysterischen (zumal der weiblichen) gehört. Die Stärke des Sexualtriebes liebt es, sich in der Über windung dieses Ekels zu betätigen. (S. u.)
version, wenn die Lippen (Zunge) der einen Person mit den Genitalien der anderen in Berührung gebracht werden, nicht aber, wenn beider Teile Lippenschleimhäute einander berühren. In letzterer Ausnahme liegt die Anknüpfung an’s Normale. Wer die anderen wohl seit den Urzeiten der Menschheit ge bräuchlichen Praktiken als Perversionen verabscheut, der gibt dabei einem deutlichen § 80Sexuelle
Verwendung der Afteröffnung. § 81Klarer noch als im früheren Falle erkennt man bei der
Inanspruchnahme des Afters, daß es der Ekel ist, welcher dieses Sexualziel zur Perversion stempelt. Man lege mir aber die Bemerkung nicht als Parteinahme aus, daß die Begründung dieses Ekels, diese Körperpartie diene der Exkretion und komme mit dem Ekelhaften an sich — den Exkrementen — in Berührung, nicht viel stichhaltiger ist als etwa die Begründung, welche hysterische Mädchen für ihren Ekel vor dem männlichen Genitale angeben: es diene der Harnentleerung. § 82Die sexuelle Rolle der Afterschleimhaut ist keineswegs auf
den Verkehr zwischen Männern beschränkt, ihre Bevorzugung hat nichts für das invertierte Fühlen charakteristisches. Es scheint im Gegenteile, daß die Pädicatio des Mannes ihre Rolle der Analogie mit dem Akt beim Weibe verdankt, während gegenseitige Masturbation das Sexualziel ist, welches sich beim Verkehr Invertierter am ehesten ergibt. § 83Bedeutung
anderer Körperstellen. § 84Das sexuelle Übergreifen auf andere Körperstellen bietet
in all seinen Variationen nichts prinzipiell neues, fügt nichts zur Kenntnis des Sexualtriebes hinzu, der hierin nur seine Absicht verkündet, sich des Sexualobjekts nach allen Rich tungen zu bemächtigen. Neben der Sexualüberschätzung meldet sich aber bei den anatomischen Überschreitungen ein zweites, der populären Kenntnis fremdartiges Moment. Gewisse Körper stellen wie die Mund- und Afterschleimhaut, die immer wieder in diesen Praktiken auftreten, erheben gleichsam den Anspruch, selbst als Genitalien betrachtet und behandelt zu werden. Wir werden hören, wie dieser Anspruch durch die Entwicklung des Sexualtriebes gerechtfertigt, und wie er in der Symptomatologie gewisser Krankheitszustände erfüllt wird. § 85Ungeeigneter
Ersatz des Sexualobjekts — Fetischismus. § 86Einen ganz besonderen Eindruck ergeben jene Fälle, inSexual überschätzung kennen gelernt hatten, von dem diese Er scheinungen abhängen, mit denen ein Aufgeben des Sexual zieles verbunden ist.
denen das normale Sexualobjekt ersetzt wird durch ein anderes, das zu ihm in Beziehung steht, dabei aber völlig ungeeignet ist, dem normalen Sexualziel zu dienen. Wir hätten nach den Gesichtspunkten der Einteilung wohl besser getan, diese höchst interessante Gruppe von Abirrungen des Sexualtriebes schon bei den Abweichungen in Bezug auf das Sexualobjekt zu er wähnen, verschoben es aber, bis wir das Moment der § 87Der Ersatz für das Sexualobjekt ist ein im allgemeinen für
sexuelle Zwecke sehr wenig geeigneter Körperteil (Fuß, Haar) oder ein unbelebtes Objekt, welches in nachweisbarer Relation mit der Sexualperson, am besten mit der Sexualität derselben, steht. (Stücke der Kleidung, weiße Wäsche.) Dieser Ersatz wird nicht mit Unrecht mit dem Fetisch verglichen, in dem der Wilde seinen Gott verkörpert sieht. § 88Den Übergang zu den Fällen von Fetischismus mit Ver
zicht auf ein normales oder perverses Sexualziel bilden Fälle, in denen eine fetischistische Bedingung am Sexualobjekt er fordert wird, wenn das Sexualziel erreicht werden soll. (Be stimmte Haarfarbe, Kleidung, selbst Körperfehler.) Keine andere an’s Pathologische streifende Variation des Sexualtriebes ist uns nach allen Richtungen so klar wie diese trotz der Sonderbarkeit der durch sie veranlaßten Erscheinungen. Eine gewisse Herabsetzung des Strebens nach dem normalen Sexual ziel scheint für alle Fälle Voraussetzung (exekutive Schwäche des Sexualapparats). Die Anknüpfung an’s Normale wird durch die psychologisch notwendige Überschätzung des Sexual objekts vermittelt, welche unvermeidlich auf alles mit dem selben assoziativ Verbundene übergreift. Ein gewisser Grad von solchem Fetischismus ist daher dem normalen Lieben regelmäßig eigen, besonders in jenen Stadien der Verliebtheit, in welchen das normale Sexualziel unerreichbar oder dessen Er füllung aufgeschoben erscheint. " § 89„Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
" Ein Strumpfband meiner Liebeslust!“ (Faust.) § 90Der pathologische Fall tritt erst ein, wenn sich das Streben
nach dem Fetisch über solche Bedingung hinaus fixiert und sich an die Stelle des normalen Zieles setzt, ferner wenn sich der Fetisch von der bestimmten Person loslöst, zum alleinigen Sexualobjekt wird. Es sind dies die allgemeinen Bedingungen für das Übergehen bloßer Variationen des Geschlechtstriebes in pathologische Verirrungen. § 91In der Auswahl des Fetisch zeigt sich, wie Binet zuerst behauptet hat und dann später durch zahlreiche Belege er wiesen worden ist, der fortwirkende Einfluß eines zumeist in früher Kindheit empfangenen sexuellen Eindruckes, was man der sprichwörtlichen Haftfähigkeit einer ersten Liebe beim Normalen („On revient toujours à ses premiers amours“) an die Seite stellen darf. Eine solche Ableitung ist besonders deutlich bei Fällen mit bloß fetischistischer Bedingtheit des Sexualobjekts. Der Bedeutung frühzeitiger sexueller Ein drücke werden wir noch an anderer Stelle begegnen.
§ 92In anderen Fällen ist es eine dem Betroffenen meist nicht
bewußte symbolische Gedankenverbindung, welche zum Ersatz des Objekts durch den Fetisch geführt hat. Die Wege dieser Verbindungen sind nicht immer mit Sicherheit nachzuweisen (der Fuß ist ein uraltes sexuelles Symbol, schon im Mythus; „Pelz“ verdankt seine Fetischrolle wohl der Assoziation mit der Behaarung des Mons veneris); doch scheint auch solche Symbolik nicht immer unabhängig von sexuellen Erlebnissen der Kinderzeit. § 93b) Fixierungen von vorläufigen Sexualzielen.
§ 94Auftreten
neuer Absichten. § 95Alle äußeren und inneren Bedingungen, welche das Er
reichen des normalen Sexualzieles erschweren oder in die Ferne rücken (Impotenz, Kostbarkeit des Sexualobjekts, Gefahren des Sexualaktes), unterstützen wie begreiflich die Neigung, bei den vorbereitenden Akten zu verweilen und neue Sexualziele aus ihnen zu gestalten, die an die Stelle des normalen treten können. Bei näherer Prüfung zeigt sich stets, daß die an scheinend fremdartigsten dieser neuen Absichten doch bereits beim normalen Sexualvorgang angedeutet sind. § 96Betasten
und Beschauen. § 97Ein gewisses Maß von Tasten ist wenigstens für den
Menschen zur Erreichung des normalen Sexualzieles unerläßlich. Auch ist es allgemein bekannt, welche Lustquelle einerseits, welcher Zufluß neuer Erregung anderseits durch die Berührungs empfindungen von der Haut des Sexualobjekts gewonnen wird. Somit kann das Verweilen beim Betasten, falls der Sexualakt überhaupt nur weiter geht, kaum zu den Perversionen gezählt werden. § 98Ähnlich ist es mit dem in letzter Linie vom Tasten aba) wenn sie sich ausschließlich auf die Genitalien einschränkt, b) wenn sie sich mit der Über windung des Ekels verbindet (Voyeurs: Zuschauer bei den Exkretionsfunktionen), c) wenn sie das normale Sexualziel, anstatt es vorzubereiten, verdrängt. Letzteres ist in ausgepräg ter Weise bei den Exhibitionisten der Fall, die, wenn ich nach einer einzigen Analyse schließen darf, ihre Genitalien zeigen, um als Gegenleistung die Genitalien des anderen Teiles zu Gesicht zu bekommen.
geleiteten Sehen. Der optische Eindruck bleibt der Weg, auf dem die libidinöse Erregung am häufigsten geweckt wird, und auf dessen Gangbarkeit die Zuchtwahl rechnet, indem sie das Sexualobjekt sich zur Schönheit entwickeln läßt. Die mit der Kultur fortschreitende Verhüllung des Körpers hält die sexuelle Neugierde wach, welche darnach strebt, sich das Sexualobjekt durch Enthüllung der verborgenen Teile zu ergänzen, die aber in’s Künstlerische abgelenkt („sublimiert“) werden kann, wenn man ihr Interesse von den Genitalien weg auf die Körper bildung im Ganzen zu lenken vermag. Ein Verweilen bei diesem intermediären Sexualziel des sexuell betonten Schauens kommt in gewissem Grade den meisten Normalen zu, ja es gibt ihnen die Möglichkeit, einen gewissen Betrag ihrer Libido auf höhere künstlerische Ziele zu richten. Zur Perversion wird die Schaulust im Gegenteile, § 99Bei der Perversion, deren Streben das Schauen und Beaktiver und in passiver Form.
schautwerden ist, tritt ein sehr merkwürdiger Charakter her vor, der uns bei der nächstfolgenden Verirrung noch intensiver beschäftigen wird. Das Sexualziel ist hiebei nämlich in zwei facher Ausbildung vorhanden, in § 100Die Macht, welche der Schaulust entgegensteht und evenScham (wie vorhin der Ekel).
tuell durch sie aufgehoben wird, ist die § 101Sadismus und
Masochismus. § 102Die Neigung, dem Sexualobjekt Schmerz zuzufügen undv. Krafft-Ebing als Sadismus und Masochismus (passiv) benannt worden. Andere Autoren ziehen die engere Bezeichnung Algolagnie vor, welche die Lust am Schmerz, die Grausamkeit, betont, während bei den Namen, die v. Krafft-Ebing gewählt hat, die Lust an jeder Art von Demütigung und Unterwerfung in den Vorder grund gestellt wird.
ihr Gegenstück, diese häufigste und bedeutsamste aller Per versionen ist in ihren beiden Gestaltungen, der aktiven und der passiven, von § 103Für die aktive Algolagnie, den Sadismus, sind die WurzelnAggression, von Neigung zur Überwältigung, deren biologische Bedeutung in der Not wendigkeit liegen dürfte, den Widerstand des Sexualobjekts noch anders als durch die Akte der Werbung zu überwinden. Der Sadismus entspräche dann einer selbständig gewordenen, übertriebenen, durch Verschiebung an die Hauptstelle gerückten aggressiven Komponente des Sexualtriebes.
im Normalen leicht nachzuweisen. Die Sexualität der meisten Männer zeigt eine Beimengung von § 104Ebenso sicher ist wenigstens eine der Wurzeln des Masochis
mus ableitbar. Dieselbe geht aus der Sexualüberschätzung als notwendige psychische Folge der Wahl eines Sexualobjekts hervor. Der Schmerz, der hier überwunden wird, reiht sich dem Ekel und der Scham an, die sich der Libido als Widerstände entgegengestellt hatten. § 105Daß Grausamkeit und Sexualtrieb innigst zusammenge
hören, lehrt die Kulturgeschichte der Menschheit über jeden Zweifel, aber in der Aufklärung dieses Zusammenhanges ist man über die Betonung des aggressiven Moments der Libido nicht hinausgekommen. Nach einigen Autoren ist diese dem Sexualtrieb beigemengte Aggression eigentlich ein Rest kanni balischer Gelüste, also eine Mitbeteiligung des Bemächtigungs apparats, welcher der Befriedigung des anderen, ontogenetisch älteren, großen Bedürfnisses dient. Es ist auch behauptet worden, daß jeder Schmerz an und für sich die Möglichkeit einer Lust empfindung enthalte. Wir wollen uns mit dem Eindruck be gnügen, daß die Aufklärung dieser Perversion keineswegs be friedigend gegeben ist, und daß möglicherweise hiebei mehrere seelische Strebungen sich zu einem Effekt vereinigen. § 106Die auffälligste Eigentümlichkeit dieser Perversion liegt13)
aber darin, daß ihre aktive und ihre passive Form regelmäßig bei der nämlichen Person mitsammen angetroffen werden. Wer Lust daran empfindet, Anderen Schmerz in sexueller Relation zu erzeugen, der ist auch befähigt, den Schmerz als Lust zu genießen, der ihm aus sexuellen Beziehungen erwachsen kann. Ein Sadist ist immer auch gleichzeitig ein Masochist, wenn gleich die aktive oder die passive Seite der Perversion bei ihm stärker ausgebildet sein und seine vorwiegende sexuelle Be tätigung darstellen kann.§ 107Wir sehen so gewisse der Perversionsneigungen regelmäßigGegensatzpaare auftreten, was mit Hinblick auf später beizubringendes Material eine hohe theoretische Bedeutung be anspruchen darf. Es ist ferner einleuchtend, daß die Existenz des Gegensatzpaares Sadismus — Masochismus aus der Ag gressionsbeimengung nicht ohne weiteres ableitbar ist. Dagegen wäre man versucht, solche gleichzeitig vorhandene Gegensätze mit dem in der Bisexualität vereinten Gegensatz von männlich und weiblich in Beziehung zu setzen.
als § 1083. Allgemeines über alle Perversionen.
§ 109Variation
und Krankheit. § 110Die Ärzte, welche die Perversionen zuerst an ausgeprägten
Beispielen und unter besonderen Bedingungen studiert haben, sind natürlich geneigt gewesen, ihnen den Charakter eines Krankheits- oder Degenerationszeichens zuzusprechen, ganz ähn lich wie bei der Inversion. Indes ist es hier leichter als dort, diese Auffassung abzulehnen. Die alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten dieser Überschreitungen, wenigstens die minder argen unter ihnen, einen selten fehlenden Bestand teil des Sexuallebens der Gesunden bilden und von ihnen wie andere Intimitäten auch beurteilt werden. Wo die Verhältnisse es begünstigen, kann auch der Normale eine solche Perversion eine ganze Zeit lang an die Stelle des normalen Sexualzieles setzen oder ihr einen Platz neben diesem einräumen. Bei keinem Gesunden dürfte irgend ein pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen, und diese Allgemeinheit genügt für sich allein, um die Unzweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun. Gerade auf dem Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will. § 111Bei manchen dieser Perversionen ist immerhin die Qualität
des neuen Sexualzieles eine solche, daß sie nach besonderer Würdigung verlangt. Gewisse der Perversionen entfernen sich inhaltlich so weit vom Normalen, daß wir nicht umhin können, sie für „krankhaft“ zu erklären, insbesondere jene, in denen der Sexualtrieb in der Überwindung der Widerstände (Scham, Ekel, Grausen, Schmerz) erstaunliche Leistungen vollführt. (Kotlecken, Leichenmißbrauch.) Doch darf man auch in diesen Fällen sich nicht der sicheren Erwartung hingeben, in den Tätern regelmäßig Personen mit andersartigen schweren Ab normitäten oder Geisteskranke zu entdecken. Man kommt auch hier nicht über die Tatsache hinaus, daß Personen, die sich sonst normal verhalten, auf dem Gebiet des Sexuallebens allein, unter der Herrschaft des ungezügeltsten aller Triebe, sich als Kranke dokumentieren. Manifeste Abnormität in anderen Lebensrelationen pflegt hingegen jedesmal einen Hintergrund von abnormem sexuellen Verhalten zu zeigen. § 112In der Mehrzahl der Fälle können wir den Charakter desneben dem Normalen (Sexualziel und Objekt) auftritt, wo günstige Umstände dieselbe fördern und ungünstige das Normale verhindern, sondern wenn sie das Normale unter allen Umständen verdrängt und ersetzt hat; — in der Ausschließlichkeit und in der Fixierung also der Perversion sehen wir zu allermeist die Berechtigung, sie als ein krankhaftes Symptom zu beurteilen.
Krankhaften bei der Perversion nicht im Inhalt des neuen Sexualzieles, sondern in dessen Verhältnis zum Normalen finden. Wenn die Perversion nicht § 113Die seelische
Beteiligung bei den Perversionen. § 114Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen muß
man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Umwandlung des Sexualtriebes anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht absprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten an einander („Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“). § 115Zwei
Ergebnisse. § 116Bei dem Studium der Perversionen hat sich uns die Einsicht
ergeben, daß der Sexualtrieb gegen gewisse seelische Mächte als Widerstände anzukämpfen hat, unter denen Scham und Ekel am deutlichsten hervorgetreten sind. Es ist die Ver mutung gestattet, daß diese Mächte daran beteiligt sind, den Trieb innerhalb der als normal geltenden Schranken zu bannen, und wenn sie sich im Individuum früher entwickelt haben, ehe der Sexualtrieb seine volle Stärke erlangte, so waren sie es wohl, die ihm die Richtung seiner Entwicklung angewiesen haben. § 117Wir haben ferner die Bemerkung gemacht, daß einige derVerschmelzungen aufmerksam gemacht, die in dem gleichförmigen normalen Verhalten ihren Ausdruck ein gebüßt haben.
untersuchten Perversionen nur durch das Zusammentreten von mehreren Motiven verständlich werden. Wenn sie eine Analyse — Zersetzung — zulassen, müssen sie zusammengesetzter Natur sein. Hieraus können wir einen Wink entnehmen, daß vielleicht der Sexualtrieb selbst nichts einfaches, sondern aus Komponenten zusammengesetzt ist, die sich in den Perversionen wieder von ihm ablösen. Die Klinik hätte uns so auf § 1184. Der Sexualtrieb bei den Neurotikern.
§ 119Einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis des SexualtriebesJ. Breuer und mir 1893 eingesetzte kathartische Heilverfahren bedient.
bei Personen, die den Normalen mindestens nahe stehen, ge winnt man aus einer Quelle, die nur auf einem bestimmten Wege zugänglich ist. Es gibt nur ein Mittel über das Ge schlechtsleben der sogenannten Psychoneurotiker (Hysterie, Zwangsneurose, fälschlich sogenannte Neurasthenie, wahrschein lich auch Paranoia) gründliche und nicht irre leitende Auf schlüsse zu erhalten, nämlich wenn man sie der psycho-analyt ischen Erforschung unterwirft, deren sich das von § 120Ich muß vorausschicken, resp. aus anderen Veröffent
lichungen wiederholen, daß diese Psychoneurosen, soweit meine Erfahrungen reichen, auf sexuellen Triebkräften beruhen. Ich meine dies nicht etwa so, daß die Energie des Sexualtriebes einen Beitrag zu den Kräften liefert, welche die krankhaften Erscheinungen (Symptome) unterhalten, sondern ich will aus drücklich behaupten, daß dieser Anteil der einzig konstante und die wichtigste Energiequelle der Neurose ist, so daß das Sexualleben der betreffenden Personen sich entweder ausschließ lich oder vorwiegend oder nur teilweise in diesen Symptomen äußert. Die Symptome sind, wie ich es an anderer Stelle aus gedrückt habe, die Sexualbetätigung der Kranken. Den Beweis für diese Behauptung hat mir eine seit zehn Jahren sich mehrende Anzahl von Psychoanalysen hysterischer und anderer Nervöser geliefert, über deren Ergebnisse im Einzelnen ich hoffe später ausführliche Rechenschaft geben zu können. § 121Die Psychoanalyse beseitigt die Symptome Hysterischerdie Verdrän gung) der Zugang zur Erledigung durch bewußtseinsfähige psychische Tätigkeit versagt worden ist. Diese also im Zu stande des Unbewußten zurückgehaltenen Gedankenbildungen streben nach einem ihrem Affektwert gemäßen Ausdruck, einer Abfuhr, und finden eine solche bei der Hysterie durch den Vorgang der Konversion in somatischen Phänomenen — eben den hysterischen Symptomen. Bei der kunstgerechten, mit Hilfe einer besonderen Technik durchgeführten Rück verwandlung der Symptome in nun bewußt gewordene, affekt besetzte Gedanken, ist man also im stande, über die Natur und die Abkunft dieser früher unbewußten psychischen Bildungen das Genaueste zu erfahren.
unter der Voraussetzung, daß dieselben der Ersatz — die Trans skription gleichsam — für eine Reihe von affektbesetzten seelischen Vorgängen, Wünschen und Strebungen, sind, denen durch einen besonderen psychischen Prozeß (§ 122Es ist auf diese Weise in Erfahrung gebracht worden, daßSexual verdrängung erkennen, welches über das normale Maß hinausgeht, eine Steigerung der Widerstände gegen den Sexual trieb, die uns als Scham und Ekel bekannt geworden sind, eine wie instinktive Flucht vor der intellektuellen Beschäftigung mit dem Sexualproblem, welche in ausgeprägten Fällen den Erfolg hat, die volle sexuelle Unwissenheit noch bis in die Jahre der erlangten Geschlechtsreife zu bewahren.*)
die Symptome einen Ersatz für Strebungen darstellen, die ihre Kraft der Quelle des Sexualtriebes entnehmen. Im vollen Einklange damit steht, was wir über den Charakter der hier zum Muster für alle Psychoneurotiker genommenen Hysteriker vor ihrer Erkrankung und über die Anlässe zur Erkrankung wissen. Der hysterische Charakter läßt ein Stück § 123Dieser für die Hysterie wesentliche Charakterzug wird für
die grobe Beobachtung nicht selten durch das Vorhandensein des zweiten konstitutionellen Faktors der Hysterie, durch die übermächtige Ausbildung des Sexualtriebes verdeckt, allein die psychologische Analyse weiß ihn jedesmal aufzudecken und die widerspruchsvolle Rätselhaftigkeit der Hysterie durch die Fest stellung des Gegensatzpaares von zuweit getriebener Sexual ablehnung und übergroßem sexuellem Bedürfnis zu lösen. *) Studien über Hysterie. 1895. J. Breuer sagt von seiner Patientin, an der er die kathartische Methode zuerst geübt hat: „Das sexuelle Moment war erstaunlich unentwickelt.“ § 124Der Anlaß zur Erkrankung ergibt sich für die hysterisch
disponierte Person, wenn infolge der fortschreitenden eigenen Reifung oder äußerer Lebensverhältnisse die reale Sexual forderung ernsthaft an sie herantritt. Zwischen dem Drängen des Triebes und dem Widerstreben der Sexualablehnung stellt sich dann der Ausweg der Krankheit her, der den Konflikt nicht löst, sondern ihm durch die Verwandlung der libidinösen Strebungen in Symptome zu entgehen sucht. Es ist nur eine scheinbare Ausnahme, wenn eine hysterische Person, ein Mann etwa, an einer banalen Gemütsbewegung, an einem Konflikt, in dessen Mittelpunkt nicht das sexuelle Interesse steht, er krankt. Die Psychoanalyse kann dann regelmäßig nachweisen, daß es die sexuelle Komponente des Konflikts ist, welche die Erkrankung ermöglicht hat, indem sie die seelischen Vorgänge der normalen Erledigung entzog. § 125Neurose
und Perversion. § 126Ein guter Teil des Widerspruchs gegen diese meine Aufperverse (im weitesten Sinne) bezeichnen würde, wenn sie sich ohne Ablenkung vom Bewußtsein direkt in Phantasievorsätzen und Taten äußern könnten. Die Sym ptome bilden sich also zum Teil auf Kosten abnormer Sexualität; die Neurose ist sozusagen das Negativ der Perversion. *)*)
stellungen erklärt sich wohl daraus, daß man die Sexualität, von welcher ich die psychoneurotischen Symptome ableite, mit dem normalen Sexualtrieb zusammenfallen ließ. Allein die Psychoanalyse lehrt noch mehr. Sie zeigt, daß die Symptome keineswegs allein auf Kosten des sog. normalen Sexualtriebes entstehen (wenigstens nicht ausschließlich oder vorwiegend), sondern den konvertierten Ausdruck von Trieben darstellen, welche man als § 127Der Sexualtrieb der Psychoneurotiker läßt alle die Ab
irrungen erkennen, die wir als Variationen des normalen und als Äußerungen des krankhaften Sexuallebens studiert haben. *) Die klar bewußten Phantasien der Perversen, die unter günstigen Um ständen in Veranstaltungen umgesetzt werden, die in feindlichem Sinne auf Andere projizierten Wahnbefürchtungen der Paranoiker und die unbewußten Phantasien der Hysteriker, die man durch Psychoanalyse hinter ihren Symptomen aufdeckt, fallen inhaltlich bis in einzelne Details zusammen. § 128a) Bei allen Neurotikern (ohne Ausnahme) finden sich im unbewußten Seelenleben Regungen von Inversion, Fixierung von Libido auf Personen des gleichen Geschlechts. Ohne tief eindringende Erörterung ist es nicht möglich, die Bedeutung dieses Moments für die Gestaltung des Krankheitsbildes ent sprechend zu würdigen; ich kann nur versichern, daß die un bewußte Inversionsneigung niemals fehlt und insbesondere zur Aufklärung der männlichen Hysterie die größten Dienste leistet.*)*)
§ 129b) Es sind bei den Psychoneurotikern alle Neigungen zu den anatomischen Überschreitungen im Unbewußten und als Symptombildner nachweisbar, unter ihnen mit besonderer Häufigkeit und Intensität diejenigen, welche für Mund- und Afterschleimhaut die Rolle von Genitalien in Anspruch nehmen.
§ 130c) Eine ganz hervorragende Rolle unter den Symptom bildnern der Psychoneurosen spielen die zumeist in Gegensatz paaren auftretenden Partialtriebe, die wir als Bringer neuer Sexualziele kennen gelernt haben, der Trieb der Schaulust und der Exhibition und der aktiv und passiv ausgebildete Trieb zur Grausamkeit. Der Beitrag des letzteren ist zum Verständnis der Leidensnatur der Symptome unentbehrlich und beherrscht fast regelmäßig ein Stück des sozialen Verhaltens der Kranken. Vermittels dieser Grausamkeitsverknüpfung der Libido geht auch die Verwandlung von Liebe in Haß, von zärtlichen in feindselige Regungen vor sich, die für eine ganze Reihe von neurotischen Fällen, ja, wie es scheint, für die Paranoia im ganzen charakteristisch ist.
§ 131Das Interesse an diesen Ergebnissen wird noch durch einige
Besonderheiten des Tatbestandes erhöht. § 132α) Unter den unbewußten Gedankengängen der Neurosen
findet sich nichts, was einer Neigung zum Fetischismus ent spräche; ein Umstand, der wohl Licht wirft auf die psycho logische Besonderheit dieser gut verstandenen Perversion. *) Psychoneurose vergesellschaftet sich auch sehr oft mit manifester Inver sion, wobei die heterosexuelle Strömung der vollen Unterdrückung zum Opfer ge fallen ist. — Ich lasse nur einer mir zu teil gewordenen Anregung Recht wider fahren, wenn ich mitteile, daß erst private Äußerungen von Wilh. Fließ in Berlin mich auf die notwendige Allgemeinheit der Inversionsneigung bei den Psycho neurotikern aufmerksam gemacht haben, nachdem ich diese in einzelnen Fällen aufgedeckt hatte. § 133β) Wo ein solcher Trieb im Unbewußten aufgefunden wird,
welcher der Paarung mit einem Gegensatze fähig ist, da läßt sich regelmäßig auch dieser letztere als wirksam nachweisen. Jede „aktive“ Perversion wird also hier von ihrem passiven Widerpart begleitet; wer im Unbewußten Exhibitionist ist, der ist auch gleichzeitig Voyeur, wer an den Folgen der Ver drängung sadistischer Regungen leidet, bei dem findet sich ein anderer Zuzug zu den Symptomen aus den Quellen masochisti scher Neigung. Die volle Übereinstimmung mit dem Verhalten der entsprechenden „positiven“ Perversionen ist gewiß sehr be achtenswert. Im Krankheitsbilde spielt aber die eine oder die andere der gegensätzlichen Neigungen die überwiegende Rolle. § 134γ) In einem ausgeprägteren Fall von Psychoneurose findet
man nur selten einen einzigen dieser perversen Triebe ent wickelt, meist eine größere Anzahl derselben und in der Regel Spuren von allen; der einzelne Trieb ist aber in seiner Inten sität unabhängig von der Ausbildung der anderen. Auch dazu ergibt uns das Studium der positiven Perversionen das genaue Gegenstück. § 135Partialtriebe und erogene Zonen.
§ 136Halten wir zusammen, was wir aus der Untersuchung derPartialtrieben“ zurückzuführen, die aber nichts Primäres sind, sondern eine weitere Zerlegung zulassen. Neben einem an sich nicht sexuellen, aus motorischen Impulsquellen stammenden „Trieb“ unterscheidet man an ihnen einen Beitrag von einem Reize aufnehmenden Organ (Haut, Schleimhaut, Sinnesorgan). Letz teres soll hier als erogene Zone bezeichnet werden, als jenes Organ, dessen Erregung dem Trieb den sexuellen Charakter verleiht. Bei den Perversionsneigungen, die für Mundhöhle und Afteröffnung sexuelle Bedeutung in Anspruch nehmen, ist die Rolle der erogenen Zone ohne weiteres ersichtlich. Die selbe benimmt sich in jeder Hinsicht wie ein Stück des Ge schlechtsapparats. Bei der Hysterie werden diese Körperstellen und die von ihnen ausgehenden Schleimhauttrakte in ganz ähnlicher Weise der Sitz von neuen Sensationen und Innerv ationsänderungen wie die eigentlichen Genitalien unter den Erregungen der normalen Geschlechtsvorgänge.
positiven und der negativen Perversionen erfahren haben, so liegt es nahe, dieselben auf eine Reihe von „§ 137Die Bedeutung der erogenen Zonen als Nebenapparate und *)*)
Surrogate der Genitalien tritt unter den Psychoneurosen bei der Hysterie am deutlichsten hervor, womit aber nicht be hauptet werden soll, daß sie für die anderen Erkrankungsformen geringer einzuschätzen ist. Sie ist hier nur unkenntlicher, weil sich bei diesen (Zwangsneurose, Paranoia) die Symptombildung in Regionen des seelischen Apparats vollzieht, die weiter ab von den Zentralstellen für die Körperbeherrschung liegen. Bei der Zwangsneurose ist die Bedeutung der Impulse, welche neue Sexualziele schaffen und von erogenen Zonen unabhängig er scheinen, das Auffälligere. Doch entspricht bei der Schau- und Exhibitionslust das Auge einer erogenen Zone, bei der Schmerz und Grausamkeitskomponente des Sexualtriebes ist es die Haut, welche die gleiche Rolle übernimmt, die Haut, die sich an besonderen Körperstellen zu Sinnesorganen differenziert und zur Schleimhaut modifiziert hat, also die erogene Zone κατ’ ἐξοχήν.§ 138Erklärung des scheinbaren Überwiegens perverser Sexualität
bei den Psychoneurosen.§ 139Durch die vorstehenden Erörterungen ist die Sexualität
der Psychoneurotiker in ein möglicherweise falsches Licht ge rückt worden. Es hat den Anschein bekommen, als näherten sich die Psychoneurotiker in ihrem sexuellen Verhalten der Anlage nach sehr den Perversen und entfernten sich dafür um ebensoviel von den Normalen. Nun ist es sehr wohl möglich, daß die konstitutionelle Disposition dieser Kranken außer einem übergroßen Maß von Sexualverdrängung und einer übermäch tigen Stärke des Sexualtriebes eine ungewöhnliche Neigung zur Perversion im weitesten Sinne mitenthält, allein die Unter suchung leichterer Fälle zeigt, daß letztere Annahme nicht unbedingt erforderlich ist, oder daß zum Mindesten bei der Beurteilung der krankhaften Effekte die Wirkung eines Faktors in Abzug gebracht werden muß. Bei den meisten Psycho neurotikern tritt die Erkrankung erst nach der Pubertätszeit auf unter der Anforderung des normalen Sexuallebens. Gegen dieses richtet sich vor allem die Verdrängung. Oder spätere Erkrankungen stellen sich her, indem der Libido auf normalem Wege die Befriedigung versagt wird. In beiden Fällen verhält sich die Libido wie ein Strom, dessen Hauptbett verlegt wird; sie füllt die kollateralen Wege aus, die bisher vielleicht leer geblieben waren. Somit kann auch die scheinbar so große (allerdings negative) Perversionsneigung der Psychoneurotiker eine kollateral bedingte, muß jedenfalls eine kollateral erhöhte sein. Die Tatsache ist eben, daß man die Sexualverdrängung als inneres Moment jenen äußeren anreihen muß, welche wie Freiheitseinschränkung, Unzugänglichkeit des normalen Sexual objekts, Gefahren des normalen Sexualaktes usw. Perversionen bei Individuen entstehen lassen, welche sonst vielleicht normal verblieben wären. *) Man muss hier die Aufstellung von Moll gedenken, welche den Sexual trieb in Kontrektations- und Detumeszenztrieb zerlegt. Kontrektation bedeutet ein Bedürfnis nach Hautberührung. — Die Entstehung von Zwangsvorwürfen aus unterdrückten sadistischen Regungen hat Strohmayer sehr richtig an einem von ihm beobachteten Falle erraten. § 140In den einzelnen Fällen von Neurose mag es sich hierin
verschieden verhalten, das eine Mal die angeborene Höhe der Perversionsneigung, das andere Mal die kollaterale Hebung derselben durch die Abdrängung der Libido vom normalen Sexualziel und Sexualobjekt das Maßgebendere sein. Es wäre unrecht, eine Gegensätzlichkeit zu konstruieren, wo ein Kooper ationsverhältnis vorliegt. Ihre größten Leistungen wird die Neurose jedesmal zu stande bringen, wenn Konstitution und Erleben in demselben Sinne zusammenwirken. Eine ausge sprochene Konstitution wird etwa der Unterstützung durch die Lebenseindrücke entbehren können, eine ausgiebige Erschütte rung im Leben etwa die Neurose auch bei durchschnittlicher Konstitution zu stande bringen. Diese Gesichtspunkte gelten übrigens in gleicher Weise für die ätiologische Bedeutung von angeborenem und akzidentell Erlebtem auch auf anderen Gebieten. § 141Bevorzugt man die Annahme, daß eine besonders aus
gebildete Neigung zu Perversionen doch zu den Eigentümlich keiten der psychoneurotischen Konstitution gehört, so eröffnet sich die Aussicht, je nach dem angeborenen Vorwiegen dieser oder jener erogenen Zone, dieses oder jenes Partialtriebes, eine Mannigfaltigkeit solcher Konstitutionen unterscheiden zu können. Ob der perversen Veranlagung eine besondere Beziehung zur Auswahl der Erkrankungsform zukommt, dies ist wie so vieles auf diesem Gebiete noch nicht untersucht. § 142Verweis auf den Infantilismus der Sexualität.
§ 143Durch den Nachweis der perversen Regungen als SymptomMoebius mit guter Berechtigung sagen können: Wir sind alle ein wenig hysterisch. Somit werden wir durch die außerordentliche Verbreitung der Perversionen zu der Annahme gedrängt, daß auch die Anlage zu den Per versionen keine seltene Besonderheit, sondern ein Stück der für normal geltenden Konstitution sein müsse.
bildner bei den Psychoneurosen haben wir die Anzahl der Menschen, die man den Perversen zurechnen könnte, in ganz außerordentlicher Weise gesteigert. Nicht nur daß die Neu rotiker selbst eine sehr zahlreiche Menschenklasse darstellen; es ist auch in Betracht zu ziehen, daß die Neurosen von allen ihren Ausbildungen her in lückenlosen Reihen zur Gesundheit abklingen; hat doch § 144Wir haben gehört, daß es strittig ist, ob die PerversionenBinet für den Fetischismus nach gewiesen hat. Nun bietet sich uns die Entscheidung, daß den Perversionen allerdings etwas Angeborenes zu Grunde liegt, aber etwas, was allen Menschen angeboren ist, als Anlage in seiner Intensität schwanken mag und der Hervor hebung durch Lebenseinflüsse wartet. Es handelt sich um an geborene, in der Konstitution gegebene Wurzeln des Sexual triebes, die sich in der einen Reihe von Fällen zu den wirk lichen Trägern der Sexualtätigkeit entwickeln (Perverse), andere Male eine ungenügende Unterdrückung (Verdrängung) erfahren, so daß sie auf einem Umweg als Krankheitssymptome einen beträchtlichen Teil der sexuellen Energie an sich ziehen können, während sie in den günstigen Fällen zwischen beiden Extremen durch wirksame Einschränkung und sonstige Verarbeitung das sog. normale Sexualleben entstehen lassen.
auf angeborene Bedingungen zurückgehen oder durch zufällige Erlebnisse entstehen, wie es § 145Wir werden uns aber ferner sagen, daß die angenommene
Konstitution, welche die Keime zu allen Perversionen aufweist, nur beim Kinde aufzeigbar sein wird, wenngleich bei ihm alle Triebe nur in bescheidenen Intensitäten auftreten können. Ahnt uns so die Formel, daß die Neurotiker den infantilen Zustand ihrer Sexualität beibehalten haben oder auf ihn zu rückversetzt worden sind, so wird sich unser Interesse dem Sexualleben des Kindes zuwenden, und wir werden das Spiel der Einflüsse verfolgen wollen, die den Entwicklungsprozeß der kindlichen Sexualität bis zum Ausgang in Perversion, Neu rose oder normales Geschlechtsleben beherrschen. § 146II.
§ 147Die infantile Sexualität.
§ 148Es ist ein Stück der populären Meinung über den Ge
schlechtstrieb, daß er der Kindheit fehle und erst in der als Pubertät bezeichneten Lebensperiode erwache. Allein dies ist nicht nur ein einfacher, sondern sogar ein folgenschwerer Irrtum, da er hauptsächlich unsere gegenwärtige Unkenntnis der grundlegenden Verhältnisse des Sexuallebens verschuldet. Ein gründliches Studium der Sexualäußerungen in der Kind heit würde uns wahrscheinlich die wesentlichen Züge des Ge sehlechtstriebes aufdecken, seine Entwicklung verraten und seine Zusammensetzung aus verschiedenen Quellen zeigen. § 149Ver
nachlässigung des Infantilen. § 150Es ist bemerkenswert, daß die Autoren, welche sich mit 14)
der Erklärung der Eigenschaften und Reaktionen des erwachsenen Individuums beschäftigen, jener Vorzeit, welche durch die Lebensdauer der Ahnen gegeben ist, soviel mehr Aufmerksam keit geschenkt, also der Erblichkeit soviel mehr Einfluß zu gesprochen haben, als der anderen Vorzeit, welche bereits in die individuelle Existenz der Person fällt, der Kindheit näm lich. Man sollte doch meinen, der Einfluß dieser Lebensperiode wäre leichter zu verstehen und hätte ein Anrecht, vor dem der Erblichkeit berücksichtigt zu werden. Man findet zwar in der Literatur gelegentliche Notizen über frühzeitige Sexual betätigung bei kleinen Kindern, über Erektionen, Masturbation und selbst koitusähnliche Vornahmen, aber immer nur als aus nahmsweise Vorgänge, als Kuriosa oder als abschreckende Bei spiele voreiliger Verderbtheit angeführt. Kein Autor hat meines Wissens die Gesetzmäßigkeit eines Sexualtriebes in der Kindheit klar erkannt, und in den zahlreich gewordenen Schrif ten über die Entwicklung des Kindes wird das Kapitel „Sexuelle Entwicklung“ meist übergangen. § 151Infantile
Amnesie. § 152Den Grund für diese merkwürdige Vernachlässigung sucheAmnesie, welche den meisten Menschen (nicht allen!) die ersten Jahre ihrer Kindheit bis zum 6. oder 8. Lebensjahre verhüllt. Es ist uns bisher noch nicht ein gefallen, uns über die Tatsache dieser Amnesie zu verwundern; aber wir hätten guten Grund dazu. Denn man berichtet uns, daß wir in diesen Jahren, von denen wir später nichts im Gedächtnis behalten haben als einige unverständliche Erinne rungsbrocken, lebhaft auf Eindrücke reagiert hätten, daß wir Schmerz und Freude in menschlicher Weise zu äußern ver standen, Liebe, Eifersucht und andere Leidenschaften gezeigt, die uns damals heftig bewegten, ja daß wir Aussprüche getan, die von den Erwachsenen als gute Beweise für Einsicht und beginnende Urteilsfähigkeit gemerkt wurden. Und von alledem wissen wir als Erwachsene aus Eigenem nichts. Warum bleibt unser Gedächtnis so sehr hinter unseren anderen seelischen Tätigkeiten zurück? Wir haben doch Grund zu glauben, daß es zu keiner anderen Lebenszeit aufnahms- und reproduktions fähiger ist als gerade in den Jahren der Kindheit. 15)
ich zum Teil in den konventionellen Rücksichten, denen die Autoren infolge ihrer eigenen Erziehung Rechnung tragen, zum anderen Teil in einem psychischen Phänomen, welches sich bis jetzt selbst der Erklärung entzogen hat. Ich meine hiemit die eigentümliche § 153Auf der anderen Seite müssen wir annehmen oder können
uns durch psychologische Untersuchung an Anderen davon über zeugen, daß die nämlichen Eindrücke, die wir vergessen haben, nichtsdestoweniger die tiefsten Spuren in unserem Seelenleben hinterlassen haben und bestimmend für unsere ganze spätere Entwicklung geworden sind. Es dürfte sich also um gar kein wirkliches Vergessen der Kindheitseindrücke handeln, sondern um eine Amnesie, ähnlich jener, die wir bei den Neurotikern für spätere Erlebnisse beobachten, und deren Wesen in einer bloßen Abhaltung vom Bewußtsein (Verdrängung) besteht. Aber welche Kräfte bringen diese Verdrängung der Kindheits eindrücke zu stande? Wer dieses Rätsel löste, hätte wohl auch die hysterische Amnesie aufgeklärt. § 154Immerhin wollen wir nicht versäumen hervorzuheben, daß
die Existenz der infantilen Amnesie einen neuen Vergleichs punkt zwischen dem Seelenzustand des Kindes und dem des Psychoneurotikers schafft. Einem anderen sind wir schon früher begegnet, als sich uns die Formel aufdrängte, daß die Sexualität der Psychoneurotiker den kindlichen Standpunkt bewahrt hat oder auf ihn zurückgeführt worden ist. Wenn nicht am Ende die infantile Amnesie selbst wieder mit den sexuellen Regungen der Kindheit in Beziehung zu bringen ist! § 155Es ist übrigens mehr als ein bloßes Spiel des Witzes, die
infantile Amnesie mit der hysterischen zu verknüpfen. Die hysterische Amnesie, die der Verdrängung dient, wird nur durch den Umstand erklärlich, daß das Individuum bereits einen Schatz von Erinnerungsspuren besitzt, welche der bewußten Verfügung entzogen sind, und die nun mit assoziativer Bindung das an sich reißen, worauf vom Bewußtsein her die abstoßen den Kräfte der Verdrängung wirken. Ohne infantile Amnesie, könnte man sagen, gäbe es keine hysterische Amnesie. § 156Ich meine nun, daß die infantile Amnesie, die für jeden Einprähistorischen Vorzeit macht und ihm die Anfänge seines eigenen Geschlechts lebens verdeckt, die Schuld daran trägt, wenn man der kind lichen Lebensperiode einen Wert für die Entwicklung des Sexual lebens im allgemeinen nicht zutraut. Ein einzelner Beobachter kann die so entstandene Lücke in unserem Wissen nicht aus füllen. Ich habe bereits 1896 die Bedeutung der Kinderjahre für die Entstehung gewisser wichtiger, vom Geschlechtsleben abhängiger Phänomene betont und seither nicht aufgehört, das infantile Moment für die Sexualität in den Vordergrund zu rücken.
zelnen seine Kindheit zu einer gleichsam § 157Die sexuelle Latenzperiode der Kindheit und
ihre Durchbrechungen.§ 158Die außerordentlich häufigen Befunde von angeblich regel *)*)
widrigen und ausnahmsartigen sexuellen Regungen in der Kind heit sowie die Aufdeckung der bis dahin unbewußten Kind heitserinnerungen der Neurotiker gestatten etwa folgendes Bild von dem sexuellen Verhalten der Kinderzeit zu entwerfen: *) Letzteres Material wird durch die berechtigte Erwartung verwertbar, daß die Kinderjahre der späteren Neurotiker hierin nicht wesentlich von denen später Gesunder abweichen dürften. § 159Es scheint gewiß, daß das Neugeborene Keime von sexuellen 16)
Regungen mitbringt, die sich eine Zeit lang weiter entwickeln, dann aber einer fortschreitenden Unterdrückung unterliegen, welche selbst wieder durch regelrechte Vorstöße der Sexual entwicklung durchbrochen und durch individuelle Eigenheiten aufgehalten werden kann. Über die Gesetzmäßigkeit und die Periodizität dieses oszillierenden Entwicklungsganges ist nichts Gesichertes bekannt. Es scheint aber, daß das Sexualleben der Kinder zumeist um das dritte oder vierte Lebensjahr sich in einer der Beobachtung zugänglichen Form zum Ausdruck bringt.§ 160Die Sexual
hemmungen. § 161Während dieser Periode totaler oder bloß partieller Latenz
werden die seelischen Mächte aufgebaut, die später dem Sexual trieb als Hemmnisse in den Weg treten und gleichwie Dämme seine Richtung beengen werden (der Ekel, das Schamgefühl, die ästhetischen und moralischen Vorstellungsmassen). Man gewinnt beim Kulturkind den Eindruck, daß der Aufbau dieser Dämme ein Werk der Erziehung ist, und sicherlich tut die Er ziehung viel dazu. In Wirklichkeit ist diese Entwicklung eine organisch bedingte und kann sich gelegentlich ganz ohne Mit hilfe der Erziehung herstellen. Die Erziehung verbleibt durch aus in dem ihr angewiesenen Machtbereich, wenn sie sich darauf einschränkt, das organisch Vorgezeichnete nachzuziehen und es etwa sauberer und tiefer auszuprägen. § 162Die
Sublimierung. § 163Mit welchen Mitteln werden diese, für die spätere persönSublimierung verdient, mächtige Komponenten für alle kulturellen Leistungen ge wonnen werden. Wir würden also hinzufügen, daß der näm liche Prozeß in der Entwicklung des einzelnen Individuums spielt und seinen Beginn in die sexuelle Latenzperiode der Kind heit verlegen. *)*)
liche Kultur und Normalität so bedeutsamen Konstruktionen aufgeführt? Wahrscheinlich auf Kosten der infantilen Sexual regungen selbst, deren Zufluß also auch in dieser Latenzperiode nicht aufgehört hat, deren Energie aber — ganz oder zum größten Teile — von der sexuellen Verwendung abgeleitet und anderen Zwecken zugeführt wird. Die Kulturhistoriker scheinen einig in der Annahme, daß durch solche Ablenkung sexueller Triebkräfte von sexuellen Zielen und Hinlenkung auf neue Ziele, ein Prozeß, der den Namen § 164Auch über den Mechanismus einer solchen Sublimierung *)*)
kann man eine Vermutung wagen. Die sexuellen Regungen dieser Kinderjahre wären einerseits unverwendbar, da die Fort pflanzungsfunktionen aufgeschoben sind, was den Hauptcharak ter der Latenzperiode ausmacht, anderseits wären sie an sich pervers, d. h. von erogenen Zonen ausgehend und von Trieben getragen, welche bei der Entwicklungsrichtung des Individuums nur Unlustempfindungen hervorrufen könnten. Sie rufen daher seelische Gegenkräfte (Reaktionsregungen) wach, die zur wirk samen Unterdrückung solcher Unlust die erwähnten psychischen Dämme, Ekel, Scham und Moral, aufbauen.§ 165Durchbrüche
der Latenzzeit. § 166Ohne uns über die hypothetische Natur und die mangel
hafte Klarheit unserer Einsichten in die Vorgänge der kind lichen Latenz- oder Aufschubsperiode zu täuschen, wollen wir zur Wirklichkeit zurückkehren, um anzugeben, daß solche Ver wendung der infantilen Sexualität ein Erziehungsideal darstellt, von dem die Entwicklung der Einzelnen meist an irgend einer Stelle und oft in erheblichem Maße abweicht. Es bricht zeit weise ein Stück Sexualäußerung durch, das sich der Subli mierung entzogen hat, oder es erhält sich eine sexuelle Be tätigung durch die ganze Dauer der Latenzperiode bis zum verstärkten Hervorbrechen des Sexualtriebes in der Pubertät. Die Erzieher benehmen sich, insoferne sie überhaupt der Kinder sexualität Aufmerksamkeit schenken, genau so, als teilten sie unsere Ansichten über die Bildung der moralischen Abwehr mächte auf Kosten der Sexualität und als wüßten sie, daß sexuelle Betätigung das Kind unerziehbar macht, denn sie ver folgen alle sexuellen Äußerungen des Kindes als „Laster“, ohne viel gegen sie ausrichten zu können. Wir aber haben allen Grund, diesen von der Erziehung gefürchteten Phänomenen Interesse zuzuwenden, denn wir erwarten von ihnen den Auf schluß über die ursprüngliche Gestaltung des Geschlechtstriebes. *) Die Bezeichnung „sexuelle Latenzperiode“ entlehne ich ebenfalls von W. Fließ. § 16736
§ 168Die Äußerungen der infantilen Sexualität.
§ 169Aus später zu ersehenden Motiven wollen wir unter denLudeln (Wonnesaugen) zum Muster nehmen, dem der ungarische Kinderarzt Lindner eine ausgezeichnete Studie gewidmet hat. 17)17)
infantilen Sexualäußerungen das § 170Das
Lutschen. § 171Das Ludeln oder Lutschen, das schon beim Säugling auftritt und bis in die Jahre der Reife fortgesetzt werden oder sich durch’s ganze Leben erhalten kann, besteht in einer rhythmisch wiederholten saugenden Berührung mit dem Munde (den Lippen), wobei der Zweck der Nahrungsaufnahme aus geschlossen ist. Ein Teil der Lippe selbst, die Zunge, eine beliebige andere erreichbare Hautstelle — selbst die große Zehe —, werden zum Objekt genommen, an dem das Saugen ausgeführt wird. Ein dabei auftretender Greiftrieb äußert sich etwa durch gleichzeitiges rhythmisches Zupfen am Ohr läppchen und kann sich eines Teiles einer anderen Person (meist ihres Ohres) zu gleichem Zwecke bemächtigen. Das Wonnesaugen ist mit voller Aufzehrung der Aufmerksamkeit verbunden, führt entweder zum Einschlafen oder selbst zu einer motorischen Reaktion in einer Art von Orgasmus. *)*) Nicht selten kombiniert sich mit dem Wonnesaugen die reibende Be rührung gewisser empfindlicher Körperstellen, der Brust, der äußeren Genitalien. Auf diesem Wege gelangen viele Kinder vom Ludeln zur Masturbation.
§ 172An der sexuellen Natur dieses Tuns hat noch kein BeobMoll’sche Zerlegung des Sexualtriebes in Detumeszenz- und Kontrektations trieb. Von ersterem Faktor wäre hier nicht die Rede, und auch letzterer nur mit Schwierigkeit zu erkennen, da ihn Moll später als den Detumeszenztrieb auftreten läßt und als auf andere Personen gerichtet beschreibt.
achter gezweifelt. Doch lassen uns angesichts dieses Stückes kindlicher Sexualbetätigung die besten vom Erwachsenen abs trahierten Theorien im Stiche. Denken wir an die *) Hier erweist sich bereits, was für's ganze Leben Giltigkeit hat, daß sexuelle Befriedigung das beste Schlafmittel ist. Die meisten Fälle von nervöser Schlaflosigkeit gehen auf sexuelle Unbefriedigung zurüick. Es ist bekannt, daß gewissenlose Kinderfrauen die schreienden Kinder durch Streichen an den Geni talien einschläfern. § 173Autoerotismus.
§ 174Wir haben hier die Verpflichtung, uns den Sachverhaltautoerotisch, um es mit einem glücklichen, von Havelock Ellis eingeführten Namen zu sagen. *)*)
anders zurechtzulegen. Heben wir als den auffälligsten Charakter dieser Sexualbetätigung hervor, daß der Trieb nicht auf andere Personen gerichtet ist; er befriedigt sich am eigenen Körper, er ist § 175Es ist ferner deutlich, daß die Handlung des lutschendenerogene Zone, und die Reizung durch den warmen Milchstrom war wohl die Ursache der Lustempfindung. Anfangs war wohl die Befriedigung der erogenen Zone mit der Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses vergesellschaftet. Wer ein Kind gesättigt von der Brust zurücksinken sieht, mit geröteten Wangen und seligem Lächeln in Schlaf verfallen, der wird sich sagen müssen, daß dieses Bild auch für den Ausdruck der sexuellen Befrie digung im späteren Leben maßgebend bleibt. Nun wird das Bedürfnis nach Wiederholung der sexuellen Befriedigung von dem Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme getrennt, eine Trennung, die später unvermeidlich ist, wenn die Zähne erscheinen und die Nahrung nicht mehr ausschließlich eingesogen, sondern gekaut wird. Eines fremden Objekts bedient sich das Kind zum Saugen nicht, sondern lieber einer eigenen Hautstelle, weil diese ihm bequemer ist, weil es sich so von der Außenwelt unabhängig macht, die es zu beherrschen noch nicht vermag, und weil es sich solcher Art gleichsam eine zweite, wenngleich minderwertige, erogene Zone schafft. Die Minderwertigkeit dieser zweiten Stelle wird es später mit dazu veranlassen, die gleichartigen Teile, die Lippen, einer anderen Person zu suchen. („Schade, daß ich mich nicht küssen kann“, möchte man ihm unterlegen.)
Kindes durch das Suchen nach einer — bereits erlebten und nun erinnerten — Lust bestimmt wird. Durch das rhythmische Saugen an einer Haut- oder Schleimhautstelle findet es dann im einfachsten Falle die Befriedigung. Es ist auch leicht zu erraten, bei welchen Anlässen das Kind die ersten Erfahrungen dieser Lust gemacht hat, die es nun zu erneuern strebt. Die erste und lebenswichtigste Tätigkeit des Kindes, das Saugen an der Mutterbrust (oder an ihren Surrogaten), muß es bereits mit dieser Lust vertraut gemacht haben. Wir würden sagen, die Lippen des Kindes haben sich benommen wie eine *) H. Ellis verdirbt nur den Sinn des von ihm gefundenen Terminus, wenn er die ganze Hysterie und die Masturbation in ihrem vollen Umfange zu den Phänomenen des Autoerotismus rechnet. § 176Nicht alle Kinder lutschen. Es ist anzunehmen, daß jene
Kinder dazu gelangen, bei denen die erogene Bedeutung der Lippenzone konstitutionell verstärkt ist. Bleibt diese erhalten, so werden diese Kinder als Erwachsene Kußfeinschmecker werden, zu perversen Küssen neigen, oder als Männer ein kräf tiges Motiv zum Trinken und Rauchen mitbringen. Kommt aber die Verdrängung hinzu, so werden sie Ekel vor dem Essen empfinden und hysterisches Erbrechen produzieren. Kraft der Gemeinsamkeit der Lippenzone wird die Verdrängung auf den Nahrungstrieb übergreifen. Alle meine Patientinnen mit Eß störungen, hysterischem Globus, Schnüren im Hals und Er brechen waren in den Kinderjahren energische Ludlerinnen gewesen. § 177Am Lutschen oder Wonnesaugen haben wir bereits dieautoerotisch, und ihr Sexualziel steht unter der Herr schaft einer erogenen Zone. Nehmen wir vorweg, daß diese Charaktere auch für die meisten anderen Betätigungen des infantilen Sexualtriebes gelten.
zwei wesentlichen Charaktere einer infantilen Sexualäußerung bemerken können. Dieselbe kennt noch kein Sexualobjekt, sie ist § 178Das Sexualziel der infantilen Sexualität.
§ 179Charaktere
erogener Zonen. § 180Aus dem Beispiel des Ludelns ist zur Kennzeichnung einer
erogenen Zone noch mancherlei zu entnehmen. Es ist eine Haut oder Schleimhautstelle, an der Reizungen von gewisser Art eine Lustempfindung von bestimmter Qualität hervorrufen. Es ist kein Zweifel, daß die lusterzeugenden Reize an besondere Be dingungen gebunden sind; wir kennen dieselben nicht. Der rhythmische Charakter muß unter ihnen eine Rolle spielen, die Analogie mit dem Kitzelreiz drängt sich auf. Minder aus gemacht scheint es, ob man den Charakter der durch den Reiz hervorgerufenen Lustempfindung als einen „besonderen“ be zeichnen darf, wo in dieser Besonderheit eben das sexuelle Moment enthalten wäre. In Sachen der Lust und Unlust tappt die Psychologie noch so sehr im Dunkeln, daß die vorsichtigste Annahme die empfehlenswerteste sein wird. Wir werden später vielleicht auf Gründe stoßen, welche die Besonderheitsqualität der Lustempfindung zu unterstützen scheinen. § 181Die erogene Eigenschaft kann einzelnen Körperstellen in
ausgezeichneter Weise anhaften. Es gibt prädestinierte erogene Zonen, wie das Beispiel des Ludelns zeigt. Dasselbe Beispiel lehrt aber auch, daß jede beliebige andere Haut- oder Schleim hautstelle die Dienste einer erogenen Zone auf sich nehmen kann, also eine gewisse Eignung dazu mitbringen muß. Die Qualität des Reizes hat also mit der Erzeugung der Lust empfindung mehr zu tun als die Beschaffenheit der Körper stelle. Das ludelnde Kind sucht an seinem Körper herum und wählt sich irgend eine Stelle zum Wonnesaugen aus, die ihm dann durch Gewöhnung die bevorzugte wird; wenn es zu fällig dabei auf eine der prädestinierten Stellen stößt (Brust warze, Genitalien), so verbleibt freilich dieser der Vorzug. Die ganz analoge Verschiebbarkeit kehrt dann in der Symptomato logie der Hysterie wieder. Bei dieser Neurose betrifft die Ver drängung die eigentlichen Genitalzonen am allermeisten, und diese geben ihre Reizbarkeit an die übrigen, sonst im reifen Leben zurückgesetzten, erogenen Zonen ab, die sich dann ganz wie Genitalien gebärden. Aber außerdem kann ganz wie beim Ludeln jede beliebige andere Körperstelle mit der Erregbar keit der Genitalien ausgestattet und zur erogenen Zone erhoben werden. Erogene und hysterogene Zonen zeigen die nämlichen Charaktere. § 182Infantiles
Sexualziel. § 183Das Sexualziel des infantilen Triebes besteht darin, diezentral bedingte, in die peripherische erogene Zone projizierte Juck oder Reizempfindung. Man kann das Sexualziel darum auch so formulieren, es käme darauf an, die projizierte Reizempfin dung an der erogenen Zone durch denjenigen äußeren Reiz zu ersetzen, welcher die Reizempfindung aufhebt, indem er die Empfindung der Befriedigung hervorruft. Dieser äußere Reiz wird zumeist in einer Manipulation bestehen, die analog dem Saugen ist.
Befriedigung durch die geeignete Reizung der so oder so ge wählten erogenen Zone hervorzurufen. Diese Befriedigung muß vorher erlebt worden sein, um ein Bedürfnis nach ihrer Wieder holung zurückzulassen, und wir dürfen darauf vorbereitet sein, daß die Natur sichere Vorrichtungen getroffen hat, um dieses Erleben der Befriedigung nicht dem Zufalle zu überlassen. Die Veranstaltung, welche diesen Zweck für die Lippenzone erfüllt, haben wir bereits kennen gelernt, es ist die gleichzeitige Verknüpfung dieser Körperstelle mit der Nahrungsaufnahme. Andere ähnliche Vorrichtungen werden uns noch als Quellen der Sexualität begegnen. Der Zustand des Bedürfnisses nach Wiederholung der Befriedigung verrät sich durch zweierlei: durch ein eigentümliches Spannungsgefühl, welches an sich mehr vom Charakter der Unlust hat, und durch eine § 184Es ist nur im vollen Einklang mit unserem physiologi
schen Wissen, wenn es vorkommt, daß das Bedürfnis auch peripherisch, durch eine wirkliche Veränderung an der erogenen Zone geweckt wird. Es wirkt nur einigermaßen befremdend, da der eine Reiz zu seiner Aufhebung nach einem zweiten, an derselben Stelle angebrachten, zu verlangen scheint. § 185Die masturbatorischen Sexualäußerungen. 18)
§ 186Es kann uns nur höchst erfreulich sein zu finden, daß
wir von der Sexualbetätigung des Kindes nicht mehr viel Wichtiges zu lernen haben, nachdem uns der Trieb von einer einzigen erogenen Zone her verständlich geworden ist. Die deut lichsten Unterschiede beziehen sich auf die zur Befriedigung notwendige Vornahme, die für die Lippenzone im Saugen be stand, und die je nach Lage und Beschaffenheit der anderen Zonen durch andere Muskelaktionen ersetzt werden muß. § 187Betätigung
der Afterzone. § 188Die Afterzone ist ähnlich wie die Lippenzone durch ihre
Lage geeignet, eine Anlehnung der Sexualität an andere Körper funktionen zu vermitteln. Man muß sich die erogene Bedeutung dieser Körperstelle als ursprünglich sehr groß vorstellen. Durch die Psychoanalyse erfährt man dann nicht ohne Verwunderung, welche Umwandlungen mit den von hier ausgehenden sexuellen Erregungen normalerweise vorgenommen werden, und wie häufig der Zone noch ein beträchtliches Stück genitaler Reizbarkeit für's Leben verbleibt. Die so häufigen Darmkatarrhe der Kinderjahre sorgen dafür, daß es der Zone an intensiven Er regungen nicht fehle. Darmkatarrhe im zartesten Alter machen „nervös“, wie man sich ausdrückt; bei späterer neurotischer Erkrankung nehmen sie einen bestimmenden Einfluß auf den symptomatischen Ausdruck der Neurose, welcher sie die ganze Summe von Darmstörungen zur Verfügung stellen. Mit Hin blick auf die wenigstens in Umwandlung erhalten gebliebene erogene Bedeutung der Darmausgangszone darf man auch die hämorrhoidalen Einflüsse nicht verlachen, denen die ältere Medizin für die Erklärung neurotischer Zustände soviel Ge wicht beigelegt hat. § 189Kinder, welche die erogene Reizbarkeit der Afterzone aus
nützen, verraten sich dadurch, daß sie die Stuhlmassen zurück halten, bis dieselben durch ihre Anhäufung heftige Muskel kontraktionen anregen und beim Durchgang durch den After einen starken Reiz auf die Schleimhaut ausüben können. Da bei muß wohl neben der schmerzhaften die Wollustempfindung zu stande kommen. Es ist eines der besten Vorzeichen späterer Absonderlichkeit oder Nervosität, wenn ein Säugling sich hart näckig weigert, den Darm zu entleeren, wenn er auf den Topf gesetzt wird, also wenn es dem Pfleger beliebt, sondern diese Funktion seinem eigenen Belieben vorbehält. Es kommt ihm natürlich nicht darauf an, sein Lager schmutzig zu machen; er sorgt nur, daß ihm der Lustnebengewinn bei der Defäkation nicht entgehe. Die Erzieher ahnen wiederum das Richtige, wenn sie solche Kinder, die sich ihre Verrichtungen „aufheben“, schlimm nennen. § 190Die Zurückhaltung der Fäkalmassen, die also anfangs
eine absichtliche ist, um sie zur gleichsam masturbatorischen Reizung der Afterzone zu benützen, ist übrigens eine der Wurzeln der bei den Neuropathen so häufigen Obstipation. Die ganze Bedeutung der Afterzone spiegelt sich dann in der Tat sache, daß man nur wenige Neurotiker findet, die nicht ihre besonderen skatologischen Gebräuche, Zeremonien u. dgl. hätten, die von ihnen sorgfältig geheim gehalten werden. § 191Echte masturbatorische Reizung der Afterzone mit Hilfe
des Fingers, durch zentral bedingtes oder peripherisch unter haltenes Jucken hervorgerufen, ist bei älteren Kindern keines wegs selten. § 192Betätigung
der Genitalzonen. § 193Unter den erogenen Zonen des kindlichen Körpers befindet
sich eine, die gewiß nicht die erste Rolle spielt, auch nicht die Trägerin der ältesten sexuellen Regungen sein kann, die aber zu großen Dingen in der Zukunft bestimmt ist. Sie ist beim männlichen wie beim weiblichen Kind in Beziehung zur Harnentleerung gebracht (Eichel, Klitoris) und beim ersteren in einen Schleimhautsack einbezogen, wahrscheinlich damit es ihr an Reizungen durch Sekrete, welche die sexuelle Erregung frühzeitig anfachen können, nicht fehle. Die sexuellen Be tätigungen dieser erogenen Zone, die den wirklichen Geschlechts teilen angehört, sind ja der Beginn des später „normalen“ Ge schlechtslebens. § 194Durch die anatomische Lage, die Überströmung mit Se
kreten, durch die Waschungen und Reibungen der Körperpflege, und durch gewisse akzidentelle Erregungen (wie die Wande rungen von Eingeweidewürmern bei Mädchen) ist dafür gesorgt, daß die Lustempfindung, welche diese Körperstelle zu ergeben fähig ist, sich dem Kinde schon im Säuglingsalter bemerkbar mache und ein Bedürfnis nach ihrer Wiederholung erwecke. Überblickt man die Summe der vorliegenden Einrichtungen und bedenkt, daß die Maßregeln zur Reinhaltung kaum anders wirken können als die Verunreinigung, so kann man schwer lich die Absicht der Natur verkennen, durch die Säuglings onanie, der kaum ein Individuum entgeht, das künftige Primat dieser erogenen Zonen für die Geschlechtstätigkeit festzulegen. Die den Reiz beseitigende und die Befriedigung auslösende Aktion besteht in einer reibenden Berührung mit der Hand oder in einem gewiß reflektorisch vorgebildeten Druck durch die zusammenschließenden Oberschenkel. Letztere Vornahme scheint die ursprünglichere zu sein und ist die beim Mädchen weitaus häufigere. Beim Knaben weist die Bevorzugung der Hand bereits darauf hin, welchen wichtigen Beitrag zur männ lichen Sexualtätigkeit der Bemächtigungstrieb einst leisten wird. § 195Die Säuglingsonanie scheint mit dem Einsetzen der Latenz
periode zu schwinden, doch kann mit der ununterbrochenen Fortsetzung derselben bis zur Pubertät bereits die erste große Abweichung von der für den Kulturmenschen anzustrebenden Entwicklung gegeben sein. Irgend einmal in den Kinderjahren nach der Säuglingszeit pflegt der Sexualtrieb dieser Genital zone wieder zu erwachen und dann wiederum eine Zeit lang bis zu einer neuen Unterdrückung anzuhalten oder sich ohne Unterbrechung fortzusetzen. Die möglichen Verhältnisse sind sehr mannigfaltig und können nur durch genauere Zergliederung einzelner Fälle erläutert werden. Aber alle Einzelheiten dieser zweiten infantilen Sexualbetätigung hinterlassen die tiefsten Eindrucksspuren im (unbewußten) Gedächtnis der Person, be stimmen die Entwicklung ihres Charakters, wenn sie gesund bleibt, und die Symptomatik ihrer Neurose, wenn sie nach der Pubertät erkrankt. Im letzteren Falle findet man diese Sexual periode vergessen, die für sie zeugenden bewußten Erinnerungen verschoben; — ich habe schon erwähnt, daß ich auch die normale infantile Amnesie mit dieser infantilen Sexualbetätigung in Zusammenhang bringen möchte. Durch psychoanalytische Er forschung gelingt es, das Vergessene bewußt zu machen und damit einen Zwang zu beseitigen, der vom unbewußten psy chischen Material ausgeht. § 196Wiederkehr
der Säuglings masturbation. § 197Die Sexualerregung der Säuglingszeit kehrt in den Kinder
jahren (allgemeinere Zeitbestimmungen zu geben, ist noch nicht gelungen) entweder als zentral bedingter Kitzelreiz wieder, der zur onanistischen Befriedigung auffordert, oder als pollutions artiger Vorgang, der analog der Pollution der Reifezeit die Befriedigung ohne Mithilfe einer Aktion erreicht. Letzterer Fall ist der bei Mädchen und in der zweiten Hälfte der Kind heit häufigere, in seiner Bedingtheit nicht ganz verständlich und scheint oft — nicht regelmäßig — eine Periode früherer aktiver Onanie zur Voraussetzung zu haben. Die Symptomatik dieser Sexualäußerungen ist armselig; für den noch unentwickelten Geschlechtsapparat gibt meist der Harnapparat, gleichsam als sein Vormund, Zeichen. Die meisten sog. Blasenleiden dieser Zeit sind sexuelle Störungen, die Enuresis nocturna entspricht, wo sie nicht einen epileptischen Anfall darstellt, einer Pollution. § 198Für das Wiederauftreten der sexuellen Tätigkeit sind innere19)19) Es ist selbstverständlich, daß es der Verführung nicht bedarf, um das Sexualleben des Kindes zu wecken, daß solche Erweckung auch spontan aus inneren Ursachen vor sich gehen kann.
Ursachen und äußere Anlässe maßgebend, die beide in neu rotischen Erkrankungsfällen aus der Gestaltung der Symptome zu erraten und durch die psychoanalytische Forschung mit Sicherheit aufzudecken sind. Von den inneren Ursachen wird später die Rede sein; die zufälligen äußeren Anlässe gewinnen um diese Zeit eine große und nachhaltige Bedeutung. Voran steht der Einfluß der Verführung, die das Kind vorzeitig als Sexualobjekt behandelt und es unter eindrucksvollen Umständen die Befriedigung von den Genitalzonen kennen lehrt, welche sich onanistisch zu erneuern es dann meist gezwungen bleibt. Solche Beeinflussung kann von Erwachsenen oder anderen Kindern ausgehen; ich kann nicht zugestehen, daß ich in meiner Ab handlung 1896 „Über die Ätiologie der Hysterie“ die Häufig keit oder die Bedeutung derselben überschätzt habe, wenngleich ich damals noch nicht wußte, daß normal gebliebene Individuen in ihren Kinderjahren die nämlichen Erlebnisse gehabt haben können, und darum die Verführung höher wertete als die in der sexuellen Konstitution und Entwicklung gegebenen Fak toren.§ 199Polymorph
perverse Anlage. § 200Es ist lehrreich, daß das Kind unter dem Einflusse der
Verführung polymorph pervers werden, zu allen möglichen Überschreitungen verleitet werden kann. Dies zeigt, daß es die Eignung dazu in seiner Anlage mitbringt; die Ausführung findet darum geringe Widerstände, weil die seelischen Dämme gegen sexuelle Ausschreitungen, Scham, Ekel und Moral, je nach dem Alter des Kindes noch nicht aufgeführt oder erst in Bildung begriffen sind. Das Kind verhält sich hierin nicht anders als etwa das unkultivierte Durchschnittsweib, bei dem die nämliche polymorph perverse Veranlagung erhalten bleibt. Dieses kann unter den gewöhnlichen Bedingungen etwa sexuell normal bleiben, unter der Leitung eines geschickten Verführers wird es an allen Perversionen Geschmack finden und dieselben für seine Sexualbetätigung festhalten. Die nämliche poly morphe, also infantile, Anlage beutet dann die Dirne für ihre Berufstätigkeit aus, und bei der riesigen Anzahl der prosti tuierten Frauen und solcher, denen man die Eignung zur Pro stitution zusprechen muß, obwohl sie dem Berufe entgangen sind, wird es endgiltig unmöglich, in der gleichmäßigen Anlage zu allen Perversionen nicht das allgemein Menschliche und Ursprüngliche zu erkennen. § 201Partialtriebe.
§ 202Im übrigen hilft der Einfluß der Verführung nicht dazu,
die anfänglichen Verhältnisse des Geschlechtstriebes zu ent hüllen, sondern verwirrt unsere Einsicht in dieselben, indem er dem Kinde vorzeitig das Sexualobjekt zuführt, nach dem der infantile Sexualtrieb noch kein Bedürfnis zeigt. Indes müssen wir zugestehen, daß auch das kindliche Sexualleben, bei allem Überwiegen der Herrschaft erogener Zonen, Kom ponenten zeigt, für welche andere Personen als Sexualobjekte von Anfang an in Betracht kommen. Solcher Art sind die in gewisser Unabhängigkeit von erogenen Zonen auftretenden Triebe der Schau- und Zeigelust und der Grausamkeit, die in ihre innigen Beziehungen zum Sexualleben erst später eintreten, aber schon in den Kinderjahren als zunächst von der erogenen Sexualtätigkeit gesonderte, selbständige Strebungen bemerkbar werden. Das kleine Kind ist vor allem schamlos und zeigt in gewissen frühen Jahren ein unzweideutiges Vergnügen an der Entblößung seines Körpers mit besonderer Hervorhebung der Geschlechtsteile. Das Gegenstück dieser als pervers gelten den Neigung, die Neugierde, Genitalien anderer Personen zu sehen, tritt erst in späteren Kinderjahren hinzu, wenn das Hindernis des Schamgefühls bereits eine gewisse Entwicklung erreicht hat. Unter dem Einfluß der Verführung kann die Schauperversion eine große Bedeutung für das Sexualleben des Kindes erreichen. Doch muß ich aus meinen Erforschungen der Kinderjahre Gesunder wie neurotisch Kranker den Schluß ziehen, daß der Schautrieb beim Kinde als spontane Sexual äußerung aufzutreten vermag. Kleine Kinder, deren Aufmerk samkeit einmal auf die eigenen Genitalien — meist mastur batorisch — gelenkt ist, pflegen den weiteren Fortschritt ohne fremdes Dazutun zu treffen und lebhaftes Interesse für die Genitalien ihrer Gespielen zu entwickeln. Da sich die Ge legenheit, solche Neugierde zu befriedigen meist nur bei der Befriedigung der beiden exkrementellen Bedürfnisse ergibt, werden solche Kinder zu Voyeurs, eifrigen Zuschauern bei der Harn- und Kotentleerung anderer. Nach eingetretener Ver drängung dieser Neigungen bleibt die Neugierde, fremde Geni talien (des eigenen oder des fremden Geschlechtes) zu sehen, als quälender Drang bestehen, der bei manchen neurotischen Fällen dann die stärkste Triebkraft für die Symptombildung abgibt. § 203In noch größerer Unabhängigkeit von der sonstigen an
erogene Zonen gebundenen Sexualbetätigung entwickelt sich beim Kinde die Grausamkeitskomponente des Sexualtriebes. Grausamkeit liegt dem kindlichen Charakter überhaupt nahe, da das Hemmnis, welches den Bemächtigungstrieb vor dem Schmerz des Anderen Halt machen läßt, die Fähigkeit zum Mitleiden, sich verhältnismäßig spät ausbildet. Die gründliche psychologische Analyse dieses Triebes ist bekanntlich noch nicht geglückt; wir dürfen annehmen, daß die grausamen Regungen aus von der Sexualität eigentlich unabhängigen Quellen fließen, aber durch eine Anastomose nahe den Ursprüngen beider früh zeitig in Verbindung zu treten vermögen. Die Beobachtung lehrt indes, daß zwischen der Sexualentwicklung und der Ent wicklung des Schau- und Grausamkeitstriebes Beeinflussungen bestehen, welche die behauptete Unabhängigkeit der beiden Triebe wieder einschränken. Kinder, die sich durch besondere Grausamkeit gegen Tiere und Gespielen auszeichnen, erwecken gewöhnlich mit Recht den Verdacht auf intensive und vor zeitige Sexualbetätigung von erogenen Zonen her, und bei gleichzeitiger Frühreife aller sexuellen Triebe scheint die erogene Sexualtätigkeit doch die primäre zu sein. Der Weg fall der Mitleidsschranke bringt die Gefahr mit sich, daß diese in der Kindheit erfolgte Verknüpfung der grausamen mit den erogenen Trieben sich späterhin im Leben als unlösbar erweise. § 204Als eine erogene Wurzel des passiven Triebes zur GrauJ. J.’s bekannt. Sie haben hieraus mit Recht die For Rousseau derung abgeleitet, daß die körperliche Züchtigung, die zumeist diese Körperpartie trifft, bei all den Kindern zu unterbleiben habe, bei denen durch die späteren Anforderungen der Kultur erziehung die Libido auf die kollateralen Wege gedrängt werden mag.
samkeit (des Masochismus) ist die schmerzhafte Reizung der Gesäßhaut allen Erziehern seit dem Selbstbekenntnis § 205Quellen der infantilen Sexualität.
§ 206In dem Bemühen, die Ursprünge des Sexualtriebes zu vera) als Nachbildung einer im Anschluß an andere organische Vorgänge erlebten Befriedigung, b) durch geeignete peripherische Reizung erogener Zonen, c) als Ausdruck einiger uns in ihrer Herkunft noch nicht voll verständlicher „Triebe“, wie der Schautrieb und der Trieb zur Grausamkeit. Die aus späterer Zeit auf die Kindheit zurückgreifende psycho analytische Forschung und die gleichzeitige Beobachtung des Kindes wirken nun zusammen, um uns noch andere regelmäßig fließende Quellen für die sexuelle Erregung aufzuzeigen. Die Kindheitsbeobachtung hat den Nachteil, daß sie leicht miß zuverstehende Objekte bearbeitet, die Psychoanalyse wird da durch erschwert, daß sie zu ihren Objekten wie zu ihren Schlüssen nur auf großen Umwegen gelangen kann; in ihrem Zusammenwirken erzielen aber beide Methoden einen genügen den Grad von Sicherheit der Erkenntnis.
folgen, haben wir bisher gefunden, daß die sexuelle Erregung entsteht § 207Bei der Untersuchung der erogenen Zonen haben wir be
reits gefunden, daß diese Hautstellen bloß eine besondere Steigerung einer Art von Reizbarkeit zeigen, welche in ge wissem Grade der ganzen Hautoberfläche zukommt. Wir werden also nicht erstaunt sein zu erfahren, daß gewissen Arten all gemeiner Hautreizung sehr deutliche erogene Wirkungen zu zuschreiben sind. Unter diesen heben wir vor allen die Tem peraturreize hervor; vielleicht wird so auch unser Verständnis für die therapeutische Wirkung warmer Bäder vorbereitet. § 208Mechanische
Erregungen. § 209Ferner müssen wir hier die Erzeugung sexueller Erregung *)*) Das Wiegen wird bekanntlich zur Einschläferung unruhiger Kinder regelmäßig angewendet. Die Erschütterungen der Wagenfahrt und später der Eisenbahnfahrt üben eine so faszinierende Wirkung auf ältere Kinder aus, daß wenigstens alle Knaben irgend einmal im Leben Kondukteure und Kutscher werden wollen. Den Vorgängen auf der Eisenbahn pflegen sie ein rätselhaftes Interesse von außerordentlicher Höhe zuzu wenden, und dieselben im Alter der Phantasietätigkeit (kurz vor der Pubertät) zum Kern einer exquisit sexuellen Symbolik zu machen. Der Zwang zu solcher Verknüpfung des Eisen bahnfahrens mit der Sexualität geht offenbar von dem Lust charakter der Bewegungsempfindungen aus. Kommt dann die Verdrängung hinzu, die so vieles von den kindlichen Bevor zugungen in’s Gegenteil umschlagen läßt, so werden dieselben Personen als Heranwachsende oder Erwachsene auf Wiegen und Schaukeln mit Übligkeit reagieren, durch eine Eisenbahn fahrt furchtbar erschöpft werden oder zu Angstanfällen auf der Fahrt neigen und sich durch Eisenbahnangst vor der Wiederholung der peinlichen Erfahrung schützen.
durch rhythmische mechanische Erschütterungen des Körpers anreihen, an denen wir dreierlei Reizeinwirkungen zu sondern haben, die auf den Sinnesapparat der Vestibularnerven, die auf die Haut und auf die tiefen Teile (Muskeln, Gelenkapparate). Wegen der dabei entstehenden Lustempfindungen — es ist der Hervorhebung wert, daß wir hier eine ganze Strecke weit „sexuelle Erregung“ und „Befriedigung“ unterschiedslos ge brauchen dürfen, und legt uns die Pflicht auf, später nach einer Erklärung zu suchen —; es ist also ein Beweis für die durch gewisse mechanische Körpererschütterungen erzeugte Lust, daß Kinder passive Bewegungsspiele, wie Schaukeln und Fliegen lassen, so sehr lieben und unaufhörlich nach Wiederholung davon verlangen.§ 210Hier reiht sich dann — noch unverstanden — die Tat
sache an, daß durch Zusammentreffen von Schreck und mecha nischer Erschütterung die schwere hysteriforme traumatische Neurose erzeugt wird. Man darf wenigstens annehmen, daß diese Einflüsse, die in geringen Intensitäten zu Quellen sexueller Erregung werden, in übergroßem Maße einwirkend eine tiefe Zerrüttung des sexuellen Mechanismus hervorrufen. *) Manche Personen wissen sich zu erinnern, daß sie beim Schaukeln den Anprall der bewegten Luft an den Genitalien direkt als sexuelle Lust verspürt haben. § 211Muskel
tätigkeit. § 212Daß ausgiebige aktive Muskelbetätigung für das Kind ein
Bedürfnis ist, aus dessen Befriedigung es außerordentliche Lust schöpft, ist bekannt. Ob diese Lust etwas mit der Sexualität zu tun hat, ob sie selbst sexuelle Befriedigung einschließt oder Anlaß zu sexueller Erregung werden kann, das mag kritischen Erwägungen unterliegen, die sich ja auch wohl gegen die im Vorigen enthaltene Aufstellung richten werden, daß die Lust durch die Empfindungen passiver Bewegung sexueller Art ist oder sexuell erregend wirkt. Tatsache ist aber, daß eine Reihe von Personen berichten, sie hätten die ersten Zeichen der Er regtheit an ihren Genitalien während des Raufens oder Ringens mit ihren Gespielen erlebt, in welcher Situation außer der allgemeinen Muskelanstrengung noch die ausgiebige Haut berührung mit dem Gegner wirksam wird. Die Neigung zum Muskelstreit mit einer bestimmten Person, wie in späteren Jahren zum Wortstreit („Was sich liebt, das neckt sich“) gehört zu den guten Vorzeichen der auf diese Person gerichteten Objektwahl. In der Beförderung der sexuellen Erregung durch Muskeltätigkeit wäre eine der Wurzeln des sadistischen Triebes zu erkennen. Für viele Individuen wird die infantile Verknüpfung zwischen Raufen und sexueller Erregung bestimmend für die später be vorzugte Richtung ihres Geschlechtstriebes. § 213Affekt
vorgänge. § 214Minderem Zweifel unterliegen die weiteren Quellen sexuel
ler Erregung beim Kinde. Es ist leicht, durch gleichzeitige Beobachtung wie durch spätere Erforschung festzustellen, daß alle intensiveren Affektvorgänge, selbst die schreckhaften Er regungen, auf die Sexualität übergreifen, was übrigens einen Beitrag zum Verständins der pathogenen Wirkung solcher Ge mütsbewegungen liefern kann. Beim Schulkinde kann die Angst geprüft zu werden, die Spannung einer sich schwer lösenden Aufgabe für den Durchbruch sexueller Äußerungen wie für das Verhältnis zur Schule bedeutsam werden, indem unter solchen Umständen häufig genug ein Reizgefühl auftritt, welches zur Berührung der Genitalien auffordert, oder ein pollutions artiger Vorgang mit all seinen verwirrenden Folgen. Das Benehmen der Kinder in der Schule, welches den Lehrern Rätsel genug aufgibt, verdient überhaupt in Beziehung zur keimenden Sexualität derselben gesetzt zu werden. Die sexuell erregende Wirkung mancher an sich unlustiger Affekte, des Ängstigens, Schauderns, Grausens erhält sich bei einer großen Anzahl Men schen auch durch’s reife Leben und ist wohl die Erklärung dafür, daß soviel Personen der Gelegenheit zu solchen Sen sationen nachjagen, wenn nur gewisse Nebenumstände (die An gehörigkeit zu einer Scheinwelt, Lektüre, Theater) den Ernst der Unlustempfindung dämpfen. § 215Ließe sich annehmen, daß auch intensiven schmerzhaften
Empfindungen die gleiche erogene Wirkung zukommt, zumal wenn der Schmerz durch eine Nebenbedingung abgetönt oder ferner gehalten wird, so läge in diesem Verhältnis eine der Hauptwurzeln für den masochistisch-sadistischen Trieb, in dessen vielfältige Zusammengesetztheit wir so allmählich Einblick ge winnen. § 216Intellektuelle
Arbeit. § 217Endlich ist es unverkennbar, daß die Konzentration der
Aufmerksamkeit auf eine intellektuelle Leistung und geistige Anspannung überhaupt bei vielen jugendlichen wie reiferen Personen eine sexuelle Miterregung zur Folge hat, die wohl als die einzig berechtigte Grundlage für die sonst so zweifel hafte Ableitung nervöser Störungen von geistiger „Über arbeitung“ zu gelten hat. § 218Überblicken wir nun nach diesen weder vollständig noch
vollzählig mitgeteilten Proben und Andeutungen die Quellen der kindlichen Sexualerregung, so lassen sich folgende Allgemein heiten ahnen oder erkennen: Es scheint auf die ausgiebigste Weise dafür gesorgt, daß der Prozeß der Sexualerregung, — dessen Wesen uns nun freilich recht rätselhaft geworden ist, — in Gang gebracht werde. Es sorgen dafür vor allem in mehr oder minder direkter Weise die Erregungen der sensiblen Ober flächen — Haut und Sinnesorgane —, am unmittelbarsten die Reizeinwirkungen auf gewisse als erogene Zonen zu bezeichnende Stellen. Bei diesen Quellen der Sexualerregung ist wohl die Qualität der Reize das Maßgebende, wenngleich das Moment der Intensität (beim Schmerz) nicht völlig gleichgiltig ist. Aber überdies sind Veranstaltungen im Organismus vorhanden, welche zur Folge haben, daß die Sexualerregung als Neben wirkung bei einer großen Reihe innerer Vorgänge entsteht, sobald die Intensität dieser Vorgänge nur gewisse quantitative Grenzen überstiegen hat. Was wir die Partialtriebe der Sexualität genannt haben, leitet sich entweder direkt aus diesen inneren Quellen der Sexualerregung ab oder setzt sich aus Beiträgen von solchen Quellen und von erogenen Zonen zusammen. Es ist möglich, daß nichts Bedeutsameres im Or ganismus vorfällt, was nicht seine Komponente zur Erregung des Sexualtriebes abzugeben hätte. § 219Es scheint mir derzeit nicht möglich, diese allgemeinen
Sätze zu größerer Klarheit und Sicherheit zu bringen, und ich mache dafür zwei Momente verantwortlich, erstens die Neuheit der ganzen Betrachtungsweise und zweitens den Um stand, daß uns das Wesen der Sexualerregung völlig unbekannt ist. Doch möchte ich auf zwei Bemerkungen nicht verzichten, welche Ausblicke in’s Weite zu eröffnen versprechen: § 220Verschiedene
Sexual konstitutionen. § 221a) Sowie wir vorhin einmal die Möglichkeit sahen, eine Mannigfaltigkeit der angeborenen sexuellen Konstitutionen durch die verschiedenartige Ausbildung der erogenen Zonen zu be gründen, so können wir nun das gleiche mit Einbeziehung der indirekten Quellen der Sexualerregung versuchen. Wir dürfen annehmen, daß diese Quellen zwar bei allen Individuen Zu flüsse liefern, aber nicht alle bei allen Personen gleich starke, und daß in der bevorzugten Ausbildung der einzelnen Quellen zur Sexualerregung ein weiterer Beitrag zur Differenzierung der verschiedenen Sexualkonstitutionen gelegen sein wird.
§ 222Wege
wechselseitiger Beeinflussung. § 223b) Indem wir die solange festgehaltene figürliche Aus drucksweise fallen lassen, in der wir von „Quellen“ der Sexual erregung sprachen, können wir auf die Vermutung gelangen, daß alle die Verbindungswege, die von anderen Funktionen her zur Sexualität führen, auch in umgekehrter Richtung gangbar sein müssen. Ist z. B. der beiden Funktionen gemeinsame Besitz der Lippenzone der Grund dafür, daß bei der Nahrungsaufnahme Sexualbefriedigung entsteht, so vermittelt uns dasselbe Moment auch das Verständnis der Störungen in der Nahrungsaufnahme, wenn die erogenen Funktionen der gemeinsamen Zone verstört sind. Wissen wir einmal, daß Konzentration der Aufmerksamkeit Sexualerregung hervorzurufen vermag, so wird uns die An nahme nahe gelegt, daß durch Einwirkung auf demselben Wege, nur in umgekehrter Richtung, der Zustand der Sexualerregung die Verfügbarkeit über die lenkbare Aufmerksamkeit beein flußt. Ein gutes Stück der Symptomatologie der Neurosen, die ich von Störungen der Sexualvorgänge ableite, äußert sich in Störungen der anderen nicht sexuellen Körperfunktionen, und diese bisher unverständliche Einwirkung wird minder rätselhaft, wenn sie nur das Gegenstück zu den Beeinflussungen darstellt, unter denen die Produktion der Sexualerregung steht.
§ 224Die nämlichen Wege aber, auf denen Sexualstörungen auf
die übrigen Körperfunktionen übergreifen, müßten auch in der Gesundheit einer anderen wichtigen Leistung dienen. Auf ihnen müßte sich die Heranziehung der sexuellen Triebkräfte zu anderen als sexuellen Zielen, also die Sublimierung der Sexualität vollziehen. Wir müssen mit dem Eingeständnis schließen, daß über diese gewiß vorhandenen, wahrscheinlich nach beiden Richtungen gangbaren Wege noch sehr wenig Sicheres bekannt ist. § 225III.
§ 226Die Umgestaltungen der Pubertät.
§ 227Mit dem Eintritt der Pubertät setzen die Wandlungen ein,
welche das infantile Sexualleben in seine endgiltige normale Gestaltung überführen sollen. Der Sexualtrieb war bisher vor wiegend autoerotisch, er findet nun das Sexualobjekt. Er be tätigte sich bisher von einzelnen Trieben und erogenen Zonen aus, die unabhängig von einander eine gewisse Lust als einziges Sexzualziel suchten. Nun wird ein neues Sexualziel gegeben, zu dessen Einreichung alle Partialtriebe zusammenwirken, während die erogenen Zonen sich dem Primat der Genitalzone unterordnen. Da das neue Sexualziel den beiden Geschlechtern sehr verschiedene Funktionen anweist, geht deren Sexual entwicklung nun weit auseinander. Die des Mannes ist die konsequentere, auch unserem Verständnis leichter zugängliche, während beim Weibe sogar eine Art von Rückbildung auftritt. Die Normalität des Geschlechtslebens wird nur durch das exakte Zusammentreffen der beiden auf Sexualobjekt und Sexualziel gerichteten Strömungen gewährleistet. Es ist wie der Durch schlag eines Tunnels von beiden Seiten her. § 228Das neue Sexualziel besteht beim Manne in der Entladung
der Geschlechtsprodukte; es ist dem früheren, der Erreichung von Lust, keineswegs fremd, vielmehr ist der höchste Betrag von Lust an diesen Endakt des Sexualvorgangs geknüpft. Der Sexualtrieb stellt sich jetzt in den Dienst der Fortpflanzungs funktion; er wird sozusagen altruistisch. Soll diese Umwand lung gelingen, so muß beim Vorgang derselben mit den ur sprünglichen Anlagen und allen Eigentümlichkeiten des Triebes gerechnet werden. § 229Wie bei jeder anderen Gelegenheit, wo im Organismus neue
Verknüpfungen und Zusammensetzungen zu komplizierten Mechanismen stattfinden sollen, ist auch hier die Gelegenheit zu krankhaften Störungen durch Unterbleiben dieser Neuord nungen gegeben. Alle krankhaften Störungen des Geschlechts lebens sind mit gutem Rechte als Entwicklungshemmungen zu betrachten. § 230Das Primat der Genitalzonen und die Vorlust.
§ 231Von dem beschriebenen Entwicklungsgang liegen Ausgang
und Endziel klar vor unseren Augen. Die vermittelnden Über gänge sind uns noch vielfach dunkel; wir werden an ihnen mehr als ein Rätsel bestehen lassen müssen. § 232Man hat das Auffälligste an den Pubertätsvorgängen zum
Wesentlichen derselben gewählt, das manifeste Wachstum der äußeren Genitalien, an denen sich die Latenzperiode der Kind heit durch relative Wachstumhemmung geäußert hatte. Gleich zeitig ist die Entwicklung der inneren Genitalien so weit vor geschritten, daß sie Geschlechtsprodukte zu liefern resp. zur Gestaltung eines neuen Lebewesens aufzunehmen vermögen. Ein höchst komplizierter Apparat ist so fertig geworden, der seiner Inanspruchnahme harrt. § 233Dieser Apparat soll durch Reize in Gang gebracht werden,Bereitschaft, der Vorbereitung zum Sexualakt. (Die Erektion des männlichen Gliedes, das Feuchtwerden der Scheide.)
und nun läßt uns die Beobachtung erkennen, daß Reize ihn auf dreierlei Wegen angreifen können, von der Außenwelt her durch Erregung der uns schon bekannten erogenen Zonen, von dem organischen Innern her auf noch zu erforschenden Wegen, und von dem Seelenleben aus, welches selbst eine Aufbewahrungs stätte äußerer Eindrücke und eine Aufnahmsstelle innerer Er regungen darstellt. Auf allen drei Wegen wird das nämliche hervorgerufen, ein Zustand, der als „sexuelle Erregtheit“ be zeichnet wird und sich durch zweierlei Zeichen kundgibt, seelische und somatische. Das seelische Anzeichen besteht in einem eigentümlichen Spannungsgefühl von höchst drängendem Charakter; unter den mannigfaltigen körperlichen steht an erster Stelle eine Reihe von Veränderungen an den Genitalien, die einen unzweifelhaften Sinn haben, den der § 234Die
Sexual spannung. § 235An den Spannungscharakter der sexuellen Erregtheit knüpft
ein Problem an, dessen Lösung ebenso schwierig wie für die Auf fassung der Sexualvorgänge bedeutsam wäre. Trotz aller in der Psychologie darüber herrschenden Meinungsverschiedenheiten muß ich daran festhalten, daß ein Spannungsgefühl den Unlust charakter an sich tragen muß. Für mich ist entscheidend, daß ein solches Gefühl den Drang nach Veränderung der psychischen Situation mit sich bringt, treibend wirkt, was dem Wesen der empfundenen Lust völlig fremd ist. Rechnet man aber die Spannung der sexuellen Erregtheit zu den Unlustgefühlen, so stößt man sich an der Tatsache, daß dieselbe unzweifelhaft lustvoll empfunden wird. Überall ist bei der durch die Sexual vorgänge erzeugten Spannung Lust dabei; selbst bei den Vor bereitungsveränderungen der Genitalien ist eine Art von Be friedigungsgefühl deutlich. Wie hängen nun diese Unlust spannung und dieses Lustgefühl zusammen? § 236Alles, was mit dem Lust- und Unlustproblem zusammen
hängt, rührt an eine der wundesten Stellen der heutigen Psy chologie. Wir wollen versuchen, möglichst aus den Bedingungen des uns vorliegenden Falles zu lernen, und es vermeiden, dem Problem in seiner Gänze näher zu treten. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Art, wie die erogenen Zonen sich der neuen Ordnung einfügen. Ihnen fällt eine wichtige Rolle bei der Einleitung der sexuellen Erregung zu. Die dem Sexual objekt entlegenste, das Auge, kommt unter den Verhältnissen der Objektwerbung am häufigsten in die Lage, durch jene be sondere Qualität der Erregung, deren Anlaß wir am Sexual objekt als Schönheit bezeichnen, gereizt zu werden. Die Vor züge des Sexualobjekts werden darum auch „Reize“ geheißen. Mit dieser Reizung ist einerseits bereits Lust verbunden, ander seits ist eine Steigerung der sexuellen Erregtheit oder ein Her vorrufen derselben, wo sie noch fehlt, ihre Folge. Kommt die Erregung einer anderen erogenen Zone, z. B. der tastenden Hand hinzu, so ist der Effekt der gleiche, Lustempfindung einerseits, die sich bald durch die Lust aus den Bereitschaftsveränderungen verstärkt, weitere Steigerung der Sexualspannung anderseits, die bald in deutlichste Unlust übergeht, wenn ihr nicht ge stattet wird, weitere Lust herbeizuführen. Durchsichtiger ist vielleicht noch ein anderer Fall, wenn z. B. bei einer sexuell nicht erregten Person eine erogene Zone, etwa die Brusthaut eines Weibes, durch Berührung gereizt wird. Diese Berührung ruft bereits ein Lustgefühl hervor, ist aber gleichzeitig wie nichts anderes geeignet, die sexuelle Erregung zu wecken, die nach einem Mehr von Lust verlangt. Wie es zugeht, daß die empfundene Lust das Bedürfnis nach größerer Lust hervorruft, das ist eben das Problem. § 237Vorlust
mechanismus. § 238Die Rolle aber, die dabei den erogenen Zonen zufällt, ist
klar. Was für eine galt, gilt für alle. Sie werden sämtlich dazu verwendet, durch ihre geeignete Reizung einen gewissen Betrag von Lust zu liefern, von dem die Steigerung der Span nung ausgeht, welche ihrerseits die nötige motorische Energie aufzubringen hat, um den Sexualakt zu Ende zu führen. Das vorletzte Stück desselben ist wiederum die geeignete Reizung einer erogenen Zone, der Genitalzone selbst an der Glans Penis, durch das dazu geeignetste Objekt, die Schleimhaut der Scheide, und unter der Lust, welche diese Erregung gewährt, wird dies mal auf reflektorischem Wege die motorische Energie gewonnen, welche die Herausbeförderung der Geschlechtsstoffe besorgt. Diese letzte Lust ist ihrer Intensität nach die höchste, in ihrem Mechanismus von der früheren verschieden. Sie wird ganz durch Entlastung hervorgerufen, ist ganz Befriedigungslust und mit ihr erlischt zeitweilig die Spannung der Libido. § 239Es scheint mir nicht unberechtigt, diesen Unterschied inVorlust bezeichnet werden im Gegensatz zur Endlust oder Befriedigungs lust der Sexualtätigkeit. Die Vorlust ist dann dasselbe, was bereits der infantile Sexualtrieb, wenngleich in verjüngtem Maße, ergeben konnte; die Endlust ist neu, also wahrscheinlich an Bedingungen geknüpft, die erst mit der Pubertät eingetreten sind. Die Formel für die neue Funktion der erogenen Zonen lautete nun: Sie werden dazu verwendet, um mittels der von ihnen wie im infantilen Leben zu gewinnenden Vorlust die Herbeiführung der größeren Befriedigungslust zu ermöglichen.
dem Wesen der Lust durch Erregung erogener Zonen und der anderen bei Entleerung der Sexualstoffe durch eine Namen gebung zu fixieren. Die erstere kann passend als § 240Ich habe vor Kurzem ein anderes Beispiel, aus einem ganz 20)
verschiedenen Gebiet des seelischen Geschehens erläutern können, in welchem gleichfalls ein größerer Lusteffekt vermöge einer geringfügigeren Lustempfindung, die dabei wie eine Ver lockungsprämie wirkt, erzielt wird. Dort ergab sich auch die Gelegenheit, auf das Wesen der Lust näher einzugehen.§ 241Gefahren
der Vorlust. § 242Der Zusammenhang der Vorlust aber mit dem infantilen
Sexualleben wird durch die pathogene Rolle, die ihr zufallen kann, bekräftigt. Aus dem Mechanismus, in den die Vorlust aufgenommen ist, ergibt sich für die Erreichung des normalen Sexualzieles offenbar eine Gefahr, die dann eintritt, wenn an irgend einer Stelle der vorbereitenden Sexualvorgänge die Vor lust zu groß, ihr Spannungsanteil zu gering ausfallen sollte. Dann entfällt die Triebkraft, um den Sexualvorgang weiter fortzusetzen, der ganze Weg verkürzt sich, die betreffende vorbereitende Aktion tritt an Stelle des normalen Sexualzieles. Dieser schädliche Fall hat erfahrungsgemäß zur Bedingung, daß die betreffende erogene Zone oder der entsprechende Partial trieb schon im infantilen Leben in ungewöhnlichem Maße zur Lustgewinnung beigetragen hat. Kommen noch Momente zu, welche auf die Fixierung hinwirken, so entsteht leicht für’s spätere Leben ein Zwang, welcher sich der Einordnung dieser einen Vorlust in einen neuen Zusammenhang widersetzt. Solcher Art ist in der Tat der Mechanismus vieler Perversionen, die ein Verweilen bei vorbereitenden Akten des Sexualvorganges darstellen. § 243Das Fehlschlagen der Funktion des Sexualmechanismus
durch die Schuld der Vorlust wird am ehesten vermieden, wenn das Primat der Genitalzonen gleichfalls bereits im infantilen Leben vorgezeichnet ist. Dazu scheinen die Anstalten wirk lich in der zweiten Hälfte der Kinderzeit (von 8 Jahren bis zur Pubertät) getroffen zu sein. Die Genitalzonen benehmen sich in diesen Jahren bereits in ähnlicher Weise wie zur Zeit der Reife, sie werden der Sitz von Erregungssensationen und Bereitschaftsveränderungen, wenn irgend welche Lust durch Befriedigung anderer erogener Zonen empfunden wird, obwohl dieser Effekt noch zwecklos bleibt, d. h. nichts dazu beiträgt, den Sexualvorgang fortzusetzen. Es entsteht also bereits in den Kinderjahren neben der Befriedigungslust ein gewisser Be trag von Sexualspannung, obwohl minder konstant und weniger ausgiebig, und nun können wir verstehen, warum wir bei der Erörterung der Quellen der Sexualität mit ebenso gutem Recht sagen konnten, der betreffende Vorgang wirke sexuell befrie digend, wie er wirke sexuell erregend. Wir merken, daß wir auf dem Wege zur Erkenntnis uns die Unterschiede des infan tilen und des reifen Sexuallebens zunächst übertrieben groß vorgestellt haben, und tragen nun die Korrektur nach. Nicht nur die Abweichungen vom normalen Sexualleben, sondern auch die normale Gestaltung desselben wird durch die infantilen Äußerungen der Sexualität bestimmt. § 244Das Problem der Sexualerregung.
§ 245Es ist uns durchaus unaufgeklärt geblieben, woher die 21) Die nächste Vermutung, diese Spannung ergebe sich irgendwie aus der Lust selbst, ist nicht nur an sich sehr unwahrscheinlich, sie wird auch hinfällig, da bei der größten Lust, die an die Entleerung der Geschlechtsprodukte geknüpft ist, keine Spannung erzeugt, sondern alle Spannung aufgehoben wird. Lust und Sexualspannung können also nur in indirekter Weise zusammenhängen.
Sexualspannung rührt, die bei der Befriedigung erogener Zonen gleichzeitig mit der Lust entsteht, und welches das Wesen derselben ist.§ 246Rolle der
Sexualstoffe. § 247Außer der Tatsache, daß normalerweise allein die Ent
lastung von den Sexualstoffen der Sexualerregung ein Ende macht, hat man noch andere Anhaltspunkte, die Sexualspannung in Beziehung zu den Sexualprodukten zu bringen. Bei ent haltsamem Leben pflegt der Geschlechtsapparat in wechselnden, aber nicht regellosen, Perioden nächtlicherweise sich unter Lust empfindung und während der Traumhalluzination eines sexuel len Aktes der Sexualstoffe zu entledigen, und für diesen Vor gang — die nächtliche Pollution — ist die Auffassung schwer abzuweisen, daß die Sexualspannung, die den kurzen hallu zinatorischen Weg zum Ersatz des Aktes zu finden weiß, eine Funktion der Samenanhäufung in den Reservoirs für die Ge schlechtsprodukte sei. Im gleichen Sinne sprechen die Erfah rungen, die man über die Erschöpfbarkeit des sexuellen Mecha nismus macht. Bei entleertem Samenvorrat ist nicht nur die Ausführung des Sexualaktes unmöglich, es versagt auch die Reizbarkeit der erogenen Zonen, deren geeignete Erregung dann keine Lust hervorrufen kann. Wir erfahren so nebenbei, daß ein gewisses Maß sexueller Spannung selbst für die Erregbar keit der erogenen Zonen erforderlich ist. § 248Man würde so zur Annahme gedrängt, die, wenn ich nicht
irre, ziemlich allgemein verbreitet ist, daß die Anhäufung der Sexualstoffe die Sexualspannung schafft und unterhält, etwa indem der Druck dieser Produkte auf die Wandung ihrer Be hälter als Reiz auf ein spinales Zentrum wirkt, dessen Zu stand von höheren Zentren wahrgenommen wird und dann für das Bewußtsein die bekannte Spannungsempfindung ergibt. Wenn die Erregung erogener Zonen die Sexualspannung steigert, so könnte dies nur so zugehen, daß die erogenen Zonen in vorgebildeter anatomischer Verbindung mit diesen Zentren stehen, den Tonus der Erregung daselbst erhöhen, bei genügen der Sexualspannung den sexuellen Akt in Gang bringen und bei ungenügender die Produktion der Geschlechtsstoffe anregen. § 249Die Schwäche dieser Lehre, die man z. B. in v. Krafft Ebing'sDarstellung der Sexualvorgänge angenommen findet, liegt darin, daß sie für die Geschlechtstätigkeit des reifen Mannes geschaffen, auf dreierlei Verhältnisse zu wenig Rück sicht nimmt, deren Aufklärung sie gleichfalls liefern sollte. Es sind dies die Verhältnisse beim Kinde, beim Weibe und beim männlichen Kastraten. In allen drei Fällen ist von einer Anhäufung von Geschlechtsprodukten im gleichen Sinne wie beim Manne nicht die Rede, was die glatte Anwendung des Schemas erschwert; doch ist ohne weiteres zuzugeben, daß sich Auskünfte finden ließen, welche die Unterordnung auch dieser Fälle ermöglichen würden. Auf jeden Fall bleibt die Warnung bestehen, dem Faktor der Anhäufung der Geschlechtsprodukte nicht Leistungen aufzubürden, deren er unfähig scheint.
§ 250Überschätzung
der inneren Geschlechtsteile § 251Daß die Sexualerregung in beachtenswertem Grade unC. Rieger es hin stellt, daß der Verlust der männlichen Keimdrüsen im reiferen Alter ohne weiteren Einfluß auf das seelische Verhalten des Individuums bleiben kann. Die Keimdrüsen sind eben nicht die Geschlechtlichkeit; die Erfahrungen an männlichen Kastraten bestätigen nur, was man durch die Entfernung der Ovarien längst gelernt hatte, daß es unmöglich ist, die geschlechtlichen Charaktere durch die Entfernung der Geschlechtsdrüsen auf zuheben. Die im zarten Alter vor der Pubertät vorgenommene Kastration nähert sich zwar in ihrer Wirkung diesem Ziel, allein dabei scheint nicht der Verlust der Geschlechtsdrüsen an sich, sondern eine mit deren Wegfall verknüpfte Entwick lungshemmung anderer Faktoren in Betracht zu kommen.
abhängig von der Produktion der Geschlechtsstoffe sein kann, scheinen die Beobachtungen an männlichen Kastraten zu er geben, bei denen gelegentlich die Libido der Beeinträchtigung durch die Operation entgeht, wenngleich das entgegengesetzte Verhalten, das ja die Operation motiviert, die Regel ist. Es ist dann keineswegs so verwunderlich, wie § 252Chemische
Theorie. § 253Die Wahrheit ist, daß wir über das Wesen der Sexual
erregung keine Auskunft zu geben vermögen, und zwar vor allem darum nicht, weil wir nicht wissen, an welches Organ oder an welche Organe die Geschlechtlichkeit gebunden ist, seit dem wir einsehen, daß wir die Geschlechtsdrüsen in dieser Bedeutung überschätzt haben. Nachdem uns überraschende Entdeckungen die wichtige Rolle der Schilddrüse für die Sexualität kennen gelehrt haben, dürfen wir vermuten, daß uns die Kenntnis der wesentlichen Faktoren der Geschlechtlich keit noch vorenthalten ist. Wer das Bedürfnis hat, diese große Lücke in unserem Wissen durch eine vorläufige Annahme aus zufüllen, der wird sich unter Anlehnung an die wirksamen Stoffe, die in der Thyreoidea gefunden worden sind, etwa folgende Vorstellung machen: Durch die geeignete Reizung erogener Zonen wie unter den anderen Verhältnissen, unter denen sexuelle Miterregung entsteht, werde ein im Organismus allgemein verbreiteter Stoff zersetzt, dessen Zersetzungsprodukte einen spezifischen Reiz für die Reproduktionsorgane oder das mit ihnen verknüpfte spinale Zentrum abgeben, wie wir ja solche Umsetzung eines toxischen Reizes in einen besonderen Organreiz von anderen dem Körper als fremd eingeführten Giftstoffen kennen. Die Verwicklungen von rein toxischen und physiologischen Reizwirkungen, die sich bei den Sexualvorgängen ergeben, auch nur hypothetisch zu behandeln, kann keine zeit gemäße Aufgabe sein. Ich lege übrigens keinen Wert auf diese besondere Annahme und wäre sofort bereit, sie zu Gunsten einer anderen aufzugeben, insoferne nur ihr Grundcharakter, die Be tonung des sexuellen Chemismus, erhalten bleibt. Denn diese anscheinend willkürliche Aufstellung wird durch eine wenig beachtete, aber höchst beachtenswerte Einsicht unterstützt. Die Neurosen, welche sich nur auf Störungen des Sexuallebens zurückführen lassen, zeigen die größte klinische Ähnlichkeit mit den Phänomenen der Intoxikation und Abstinenz, welche sich durch die habituelle Einführung lusterzeugender Gift stoffe (Alkaloide) ergeben. § 254Differenzierung von Mann und Weib.
§ 255Es ist bekannt, daß erst mit der Pubertät sich die scharfedie Libido sei regelmäßig und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vor komme, und abgesehen von ihrem Objekt, mag dies der Mann oder das Weib sein.
Sonderung des männlichen und weiblichen Charakters herstellt, ein Gegensatz, der dann wie kein anderer die Lebensgestaltung der Menschen entscheidend beeinflußt. Männliche und weibliche Anlage sind allerdings schon im Kindesalter gut kenntlich; die Entwicklung der Sexualitätshemmungen (Scham, Ekel, Mitleid usw.) erfolgt beim kleinen Mädchen frühzeitiger und gegen geringeren Widerstand als beim Knaben; die Neigung zur Sexualverdrängung erscheint überhaupt größer; wo sich Partialtriebe der Sexualität bemerkbar machen, bevorzugen sie die passive Form. Die autoerotische Betätigung der erogenen Zonen ist aber bei beiden Geschlechtern die nämliche, und durch diese Übereinstimmung ist die Möglichkeit eines Geschlechts unterschiedes, wie er sich nach der Pubertät herstellt, für die Kindheit aufgehoben. Mit Rücksicht auf die autoerotischen und masturbatorischen Sexualäußerungen könnte man den Satz aufstellen, die Sexualität der kleinen Mädchen habe durchaus männlichen Charakter. Ja, wüßte man den Begriffen „männ lich und weiblich“ einen bestimmteren Inhalt zu geben, so ließe sich auch die Behauptung vertreten, § 256Seitdem ich mit dem Gesichtspunkt der Bisexualität (durchW. Fliess) bekannt worden bin, halte ich dieses Moment für das hier Maßgebende und meine, ohne der Bisexualität Rechnung zu tragen, wird man kaum zum Verständnis der tatsächlich zu beobachtenden Sexualäußerungen von Mann und Weib gelangen können.
§ 257Leitzonen
bei Mann und Weib. § 258Von diesem abgesehen, kann ich nur noch folgendes hinzu
fügen: Die leitende erogene Zone ist auch beim weiblichen Kinde an der Klitoris gelegen, der männlichen Genitalzone an der Eichel also homolog. Alles, was ich über Masturbation bei kleinen Mädchen in Erfahrung bringen konnte, betraf die Klitoris und nicht die für die späteren Geschlechtsfunktionen bedeutsamen Partien des äußeren Genitales. Ich zweifle selbst daran, daß das weibliche Kind unter dem Einfluß der Verführung zu etwas Anderem als zur Klitorismasturbation gelangen kann, es sei denn ganz ausnahmsweise. Die gerade bei kleinen Mäd chen so häufigen Spontanentladungen der sexuellen Erregtheit äußern sich in Zuckungen der Klitoris, und die häufigen Erek tionen derselben ermöglichen es den Mädchen, die Sexual äußerungen des anderen Geschlechtes richtig auch ohne Unter weisung zu beurteilen, indem sie einfach die Empfindungen der eigenen Sexualvorgänge auf die Knaben übertragen. § 259Will man das Weibwerden des kleinen Mädchens ver
stehen, so muß man die weiteren Schicksale dieser Klitoris erregbarkeit verfolgen. Die Pubertät, welche dem Knaben jenen großen Vorstoß der Libido bringt, kennzeichnet sich für das Mädchen durch eine neuerliche Verdrängungswelle, von der gerade die Klitorissexualität betroffen wird. Es ist ein Stück männlichen Sexuallebens, was dabei der Verdrängung verfällt. Die bei dieser Pubertätsverdrängung des Weibes geschaffene Verstärkung der Sexualhemmnisse ergibt dann einen Reiz für die Libido des Mannes und nötigt dieselbe zur Steigerung ihrer Leistungen; mit der Höhe der Libido steigt dann auch die Sexualüberschätzung, die nur für das sich weigernde, seine Sexualität verleugnende Weib im vollen Maße zu haben ist. Die Klitoris behält dann die Rolle, wenn sie beim endlich zu gelassenen Sexualakt selbst erregt wird, diese Erregung an die benachbarten weiblichen Teile weiter zu leiten, etwa wie ein Span Kienholz dazu benützt werden kann, das härtere Brenn holz in Brand zu setzen. Es nimmt oft eine gewisse Zeit in Anspruch, bis sich diese Übertragung vollzogen hat, während welcher dann das junge Weib anästhetisch ist. Diese Anästhesie kann eine dauernde werden, wenn die Klitoriszone ihre Erreg barkeit abzugeben sich weigert, was gerade durch ausgiebige Betätigung im Kinderleben vorbereitet wird. Es ist bekannt, daß die Anästhesie der Frauen häufig nur eine scheinbare, eine lokale ist. Sie sind anästhetisch am Scheideneingang, aber keineswegs unerregbar von der Klitoris oder selbst von anderen Zonen aus. Zu diesen erogenen Anlässen der Anästhesie ge sellen sich dann noch die psychischen, gleichfalls durch Ver drängung bedingten. § 260Ist die Übertragung der erogenen Reizbarkeit von der
Klitoris auf den Scheideneingang gelungen, so hat damit das Weib seine für die spätere Sexualbetätigung leitende Zone ge wechselt, während der Mann die seinige von der Kindheit an beibehalten hat. In diesem Wechsel der leitenden erogenen Zone sowie in dem Verdrängungsschub der Pubertät, der gleichsam die infantile Männlichkeit beiseite schafft, liegen die Haupt bedingungen für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose, insbesondere zur Hysterie. Diese Bedingungen hängen also mit dem Wesen der Weiblichkeit innigst zusammen. § 261Die Objektfindung.
§ 262Während durch die Pubertätsvorgänge das Primat der
Genitalzonen festgelegt wird und das Vordrängen des erigiert gewordenen Gliedes beim Manne gebieterisch auf das neue Sexualziel hinweist, auf das Eindringen in eine die Genitalzone erregende Körperhöhle, vollzieht sich von psychischer Seite her die Objektfindung, für welche von der frühesten Kindheit an vorgearbeitet worden ist. Als die anfänglichste Sexualbefried igung noch mit der Nahrungsaufnahme verbunden war, hatte der Sexualtrieb ein Sexualobjekt außerhalb des eigenen Körpers in der Mutterbrust. Er verlor es nur später, vielleicht gerade zur Zeit, als es dem Kinde möglich wurde, die Gesamtvorstellung der Person, welcher das ihm Befriedigung spendende Organ angehörte, zu bilden. Der Geschlechtstrieb wird dann in der Regel autoerotisch und erst nach Überwindung der Latenzzeit stellt sich das ursprüngliche Verhältnis wieder her. Nicht ohne guten Grund ist das Saugen des Kindes an der Brust der Mutter vorbildlich für jede Liebesbeziehung geworden. Die Objektfindung ist eigentlich eine Wiederfindung. § 263Sexualobjekt
der Säuglingszeit. § 264Aber von dieser ersten und wichtigsten aller sexuellen Belieben, durchaus nach dem Muster und in Fortsetzung seines Säuglingsverhältnisses zur Amme. Man wird sich vielleicht sträuben wollen, die zärtlichen Gefühle und die Wertschätzung des Kindes für seine Pflegepersonen mit der geschlechtlichen Liebe zu identifizieren, allein ich meine, eine genauere psychologische Untersuchung wird diese Identität über jeden Zweifel hinaus feststellen können. Der Verkehr des Kindes mit seiner Pflegeperson ist für dasselbe eine unaufhörlich fließende Quelle sexueller Erregung und Be friedigung von erogenen Zonen aus, zumal da letztere — in der Regel doch die Mutter — das Kind selbst mit Gefühlen bedenkt, die aus ihrem Sexualleben stammen, es streichelt, küßt und wiegt, und ganz deutlich zum Ersatz für ein vollgiltiges Sexualobjekt nimmt. 22) Die Mutter würde wahrscheinlich er schrecken, wenn man ihr die Aufklärung gäbe, daß sie mit all ihren Zärtlichkeiten den Sexualtrieb ihres Kindes weckt und dessen spätere Intensität vorbereitet. Sie hält ihr Tun für asexuelle „reine“ Liebe, da sie es doch sorgsam vermeidet, den Genitalien des Kindes mehr Erregungen zuzuführen, als bei der Körperpflege unumgänglich ist. Aber der Geschlechts trieb wird nicht nur durch Erregung der Genitalzone geweckt, wie wir ja wissen; was wir Zärtlichkeit heißen, wird unfehl bar eines Tages seine Wirkung auch auf die Genitalzonen äußern. Verstünde die Mutter mehr von der hohen Bedeutung des Triebes für das gesamte Seelenleben, für alle ethischen und psychischen Leistungen, so würde sie sich übrigens auch nach der Aufklärung alle Selbstvorwürfe ersparen. Sie erfüllt nur ihre Aufgabe, wenn sie das Kind lieben lehrt; es soll ja ein tüchtiger Mensch mit energischem Sexualbedürfnis werden und in seinem Leben all das vollbringen, wozu der Trieb den Menschen drängt. Ein Zuviel von elterlicher Zärtlichkeit wird freilich schädlich werden, indem es die sexuelle Reifung be schleunigt, auch dadurch daß es das Kind „verwöhnt“, es unfähig macht, im späteren Leben auf Liebe zeitweilig zu verzichten oder sich mit einem geringeren Maß davon zu be gnügen. Es ist eines der besten Vorzeichen späterer Nervosität, wenn das Kind sich unersättlich in seinem Verlangen nach Zärtlichkeit der Eltern erweist, und anderseits werden gerade neuropathische Eltern, die ja meist zur maßlosen Zärtlichkeit neigen, durch ihre Liebkosungen die Disposition des Kindes zur neurotischen Erkrankung am ehesten erwecken. Man ersieht übrigens aus diesem Beispiel, daß es für neurotische Eltern nähere Wege als den der Erblichkeit gibt, ihre Störung auf die Kinder zu übertragen.
ziehungen bleibt auch nach der Abtrennung der Sexualtätigkeit von der Nahrungsaufnahme ein wichtiges Stück übrig, welches die Objektwahl vorbereiten, das verlorene Glück also wieder herstellen hilft. Die ganze Latenzzeit über lernt das Kind andere Personen, die seiner Hilflosigkeit abhelfen und seine Bedürfnisse befriedigen, § 265Infantile
Angst. § 266Die Kinder selbst benehmen sich von frühen Jahren an, 23)
als sei ihre Anhänglichkeit an ihre Pflegepersonen von der Natur der sexuellen Liebe. Die Angst der Kinder ist ursprüng lich gar nichts anderes als der Ausdruck dafür, daß sie die geliebte Person vermissen; sie kommen darum jedem Fremden mit Angst entgegen; sie fürchten sich in der Dunkelheit, weil man in dieser die geliebte Person nicht sieht, und lassen sich beruhigen, wenn sie dieselbe in der Dunkelheit bei der Hand fassen können. Man überschätzt die Wirkung aller Kinder schrecken und gruseligen Erzählungen der Kinderfrauen, wenn man diesen Schuld gibt, daß sie die Ängstlichkeit der Kinder erzeugen. Kinder, die zur Angstlichkeit neigen, nehmen nur solche Erzählungen auf, die an anderen durchaus nicht haften wollen; und zur Ängstlichkeit neigen nur Kinder mit über großem, oder vorzeitig entwickeltem oder durch Verzärtelung anspruchsvoll gewordenem Sexualtrieb. Das Kind benimmt sich hiebei wie der Erwachsene, indem es seine Libido in Angst verwandelt, sowie es sie nicht zur Befriedigung zu bringen ver mag, und der Erwachsene wird sich dafür, wenn er durch unbefriedigte Libido neurotisch geworden ist, in seiner Angst wie ein Kind benehmen, sich zu fürchten beginnen, sowie er allein, d. h. ohne eine Person ist, deren Liebe er sicher zu sein glaubt, und diese seine Angst durch die kindischesten Maß regeln beschwichtigen wollen.§ 267Inzest
schranke. § 268Wenn die Zärtlichkeit der Eltern zum Kinde es glücklich
vermieden hat, den Sexualtrieb desselben vorzeitig, d. h. ehe die körperlichen Bedingungen der Pubertät gegeben sind, in solcher Stärke zu wecken, daß die seelische Erregung in un verkennbarer Weise zum Genitalsystem durchbricht, so kann sie ihre Aufgabe erfüllen, dieses Kind im Alter der Reife bei der Wahl des Sexualobjekts zu leiten. Gewiß läge es dem Kind am nächsten, diejenigen Personen selbst zu Sexualobjekten zu wählen, die es mit einer sozusagen abgedämpften Libido seit seiner Kindheit liebt. Aber durch den Aufschub der sexuel len Reifung ist die Zeit gewonnen worden, neben anderen Sexual hemmnissen die Inzestschranke aufzurichten, jene moralischen Vorschriften in sich aufzunehmen, welche die geliebten Per sonen der Kindheit als Blutsverwandte ausdrücklich von der Objektwahl ausschließen. Die Beachtung dieser Schranke ist vor allem eine Kulturforderung der Gesellschaft, welche sich gegen die Aufzehrung von Interessen durch die Familie wehren muß, die sie für die Herstellung höherer sozialer Einheiten braucht, und darum mit allen Mitteln dahin wirkt, bei jedem Einzelnen, speziell beim Jüngling, den in der Kindheit allein maßgebenden Zusammenhang mit seiner Familie zu lockern. § 269Die Objektwahl wird aber zunächst in der Vorstellung *)*) Gleichzeitig mit der Überwindung und Verwerfung dieser deutlich inzestuösen Phantasien wird eine der bedeut samsten, aber auch schmerzhaftesten, psychischen Leistungen der Pubertätszeit vollzogen, die Ablösung von der Autorität der Eltern, durch welche erst der für den Kulturfortschritt so wichtige Gegensatz der neuen Generation zur alten ge schaffen wird. Auf jeder der Stationen des Entwicklungs ganges, den die Individuen durchmachen sollen, wird eine Anzahl derselben zurückzuhalten, und so gibt es auch Personen, welche die Autorität der Eltern nie überwunden und ihre Zärtlichkeit von denselben nicht oder nur sehr unvollständig zurückgezogen haben. Es sind zumeist Mädchen, die so zur Freude der Eltern weit über die Pubertät hinaus bei der vollen Kinderliebe verbleiben, und da wird es dann sehr lehrreich zu finden, daß es diesen Mädchen in ihrer späteren Ehe an dem Vermögen gebricht, ihren Männern das Gebührende zu schenken. Sie werden kühle Ehefrauen und bleiben sexuell anästhetisch. Man lernt daraus, daß die anscheinend nicht sexuelle Liebe zu den Eltern und die geschlechtliche Liebe aus denselben Quellen gespeist werden, d. h. daß die erstere nur einer infantilen Fixierung der Libido entspricht.
vollzogen, und das Geschlechtsleben der eben reifenden Jugend hat kaum einen anderen Spielraum, als sich in Phantasien, d. h. in nicht zur Ausführung bestimmten Vorstellungen zu ergehen. In diesen Phantasien treten bei allen Menschen die infantilen Neigungen, nun durch den somatischen Nachdruck verstärkt, wieder auf, und unter ihnen in gesetzmäßiger Häufig keit und an erster Stelle die meist bereits durch die Geschlechts anziehung differenzierte Sexualregung des Kindes für die Eltern, des Sohnes für die Mutter und der Tochter für den Vater.§ 270Je mehr man sich den tieferen Störungen der psychoverliebt sind, indem sie mit Hilfe der Symptome und anderen Krankheitsäußerungen ihre unbewußten Gedanken aufspürt und in bewußte über setzt. Auch wo ein vorerst Gesunder nach einer unglück lichen Liebeserfahrung erkrankt ist, kann man als dem Mechanismus solcher Erkrankung die Rückwendung seiner Libido auf die infantil bevorzugten Personen mit Sicherheit aufdecken.
sexuellen Entwicklung nähert, desto unverkennbarer tritt die Bedeutung der inzestuösen Objektwahl hervor. Bei den Psycho neurotikern verbleibt infolge von Sexualablehnung ein großes Stück oder das Ganze der psychosexuellen Tätigkeit zur Objekt findung im Unbewußten. Für die Mädchen mit übergroßem Zärtlichkeitsbedürfnis und eben solchem Grausen vor den realen Anforderungen des Sexuallebens wird es zu einer unwidersteh lichen Versuchung, sich einerseits das Ideal der asexuellen Liebe im Leben zu verwirklichen und anderseits ihre Libido hinter einer Zärtlichkeit, die sie ohne Selbstvorwurf äußern dürfen, zu verbergen, indem sie die infantile, in der Pubertät auf gefrischte, Neigung zu Eltern oder Geschwistern für’s Leben festhalten. Die Psychoanalyse kann solchen Personen mühelos nachweisen, daß sie in diese ihre Blutsverwandten im gemein verständlichen Sinne des Wortes *) Vergleiche die Ausführungen über das unvermeidliche Verhängnis in der Ödipusfabel („Traumdeutung,“ pag. 181). § 271Nachwirkung
der infantilen Objektwahl. § 272Auch wer die inzestuöse Fixierung seiner Libido glücklich
vermieden hat, ist dem Einflusse derselben nicht völlig ent zogen. Es ist ein deutlicher Nachklang dieser Entwicklungs phase, wenn die erste ernsthafte Verliebtheit des jungem Mannes, wie so häufig, einem reifen Weibe, die des Mädchens einem älteren mit Autorität ausgestatteten Manne gilt, die ihnen das Bild der Mutter und des Vaters beleben können. In freierer Anlehnung an diese Vorbilder geht wohl die Objektwahl über haupt vor sich. Vor allem sucht der Mann nach dem Erinnerungs bild der Mutter, wie es ihn seit den Anfängen der Kindheit beherrscht; im vollen Einklang steht es damit, wenn sich die noch lebende Mutter gegen diese ihre Erneuerung sträubt und ihr mit Feindseligkeit entgegenkommt. Bei solcher Bedeutung der kindlichen Beziehungen zu den Eltern für die spätere Wahl des Sexualobjekts ist es leicht zu verstehen, daß jede Störung dieser Kindheitsbeziehungen die schwersten Folgen für das Sexualleben nach der Reife zeitigt; auch die Eifersucht des Liebenden ermangelt nie der infantilen Wurzel oder wenigstens der infantilen Verstärkung. Zwistigkeiten zwischen den Eltern selbst, unglückliche Ehe derselben, bedingen die schwerste Prä disposition für gestörte Sexualentwicklung oder neurotische Erkrankung der Kinder. § 273Die infantile Neigung zu den Eltern ist wohl die wichtigste,Sexual reihe zu entwickeln, ganz verschiedene Bedingungen für die Objektwahl auszubilden.
aber nicht die einzige der Spuren, die, in der Pubertät auf gefrischt, dann der Objektwahl den Weg weisen. Andere An sätze derselben Herkunft gestatten dem Manne noch immer in Anlehnung an seine Kindheit mehr als eine einzige § 274Verhütung
der Inversion. § 275Eine bei der Objektwahl sich ergebende Aufgabe liegtDessoir hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, welche Gesetzmäßigkeit sich in den schwärmerischen Freundschaften von Jünglingen und Mädchen für ihresgleichen verrät. Die größte Macht, welche eine dauernde Inversion des Sexualobjekts abwehrt, ist gewiß die Anziehung, welche die entgegengesetzten Geschlechtscharaktere für ein ander äußern; zur Erklärung derselben kann im Zusammenhange dieser Erörterungen nichts gegeben werden. Aber dieser Faktor reicht für sich allein nicht hin, die Inversion auszuschließen; es kommen wohl allerlei unterstützende Momente hinzu. Vor allem die Autoritätshemmung der Gesellschaft; wo die Inversion nicht als Verbrechen betrachtet wird, da kann man die Erfahrung machen, daß sie den sexuellen Neigungen nicht weniger Indi viduen voll entspricht. Ferner darf man für den Mann an nehmen, daß die Kindererinnerung an die Zärtlichkeit der Mutter und anderer weiblicher Personen, denen er als Kind überantwortet war, energisch mithilft, seine Wahl auf das Weib zu lenken, während das Mädchen, das mit der Pubertät ohne dies in eine Verdrängungsperiode eintritt, durch die Regungen des Wettbewerbes von der Liebe zum gleichen Geschlecht mit abgehalten wird. Die Erziehung der Knaben durch männliche Personen (Sklaven in der antiken Welt) scheint die Homo sexualität zu begünstigen; beim heutigen Adel wird die Häufig keit der Inversion wohl durch die Verwendung männlicher Diener schaft wie durch die geringere persönliche Fürsorge der Mütter für ihre Kinder um etwas verständlicher. Bei manchen Hyste rischen ergibt sich, daß der frühzeitige Wegfall einer Person des Elternpaares (durch Tod, Ehescheidung, Entfremdung), worauf dann die übrig bleibende die ganze Liebe des Kindes an sich gezogen hatte, die Bedingung für das Geschlecht der später zum Sexualobjekt gewählten Person festgestellt und damit auch die dauernde Inversion ermöglicht hat.
darin, das entgegengesetzte Geschlecht nicht zu verfehlen. Sie wird, wie bekannt, nicht ohne einiges Tasten gelöst. Die ersten Regungen nach der Pubertät gehen häufig genug — ohne dauernden Schaden — irre. § 276Zusammenfassung.
§ 277Es ist an der Zeit, eine Zusammenfassung zu versuchen.
Wir sind von den Abirrungen des Geschlechtstriebes in Bezug auf sein Objekt und sein Ziel ausgegangen, haben die Frage stellung vorgefunden, ob diese aus angeborener Anlage ent springen oder infolge der Einflüsse des Lebens erworben werden. Die Beantwortung dieser Frage ergab sich uns aus der Einsicht in die Verhältnisse des Geschlechtstriebes bei den Psycho neurotikern, einer zahlreichen und den Gesunden nicht ferne stehenden Menschengruppe, welche Einsicht wir durch psycho analytische Untersuchung gewonnen hatten. Wir fanden so, daß bei diesen Personen die Neigungen zu allen Perversionen als unbewußte Mächte nachweisbar sind und sich als Symptom bildner verraten, und konnten sagen, die Neurose sei gleich sam ein Negativ der Perversion. Angesichts der nun erkannten großen Verbreitung der Perversionsneigungen drängte sich uns der Gesichtspunkt auf, daß die Anlage zu den Perversionen die ursprüngliche allgemeine Anlage des menschlichen Ge schlechtstriebes sei, aus welcher das normale Sexualverhalten infolge organischer Veränderungen und psychischer Hemmungen im Laufe der Reifung entwickelt werde. Die ursprüngliche Anlage hofften wir im Kindesalter aufzeigen zu können; unter den die Richtung des Sexualtriebes einschränkenden Mächten hoben wir Scham, Ekel, Mitleid, und die sozialen Konstruk tionen der Moral und Autorität hervor. So mußten wir in jeder fixierten Abirrung vom normalen Geschlechtsleben ein Stück Entwicklungshemmung und Infantilismus erblicken. Die Bedeutung der Variationen der ursprünglichen Anlage mußten wir in den Vordergrund stellen, zwischen ihnen und den Ein flüssen des Lebens aber ein Verhältnis von Kooperation und nicht von Gegensätzlichkeit annehmen. Anderseits erschien uns, da die ursprüngliche Anlage eine komplexe sein mußte, der Geschlechtstrieb selbst als etwas aus vielen Faktoren Zusammen gesetztes, das in den Perversionen gleichsam in seine Kom ponenten zerfällt. Somit erwiesen sich die Perversionen einer seits als Hemmungen, anderseits als Dissoziationen der normalen Entwicklung. Beide Auffassungen vereinigten sich in der Annahme, daß der Geschlechtstrieb des Erwachsenen durch die Zusammenfassung vielfacher Regungen des Kinderlebens zu einer Einheit, einer Strebung mit einem einzigen Ziel entstehe. § 278Wir fügten noch die Aufklärung für das Überwiegen derauto erotisch.
perversen Neigungen bei den Psychoneurotikern bei, indem wir dieses als kollaterale Füllung von Nebenbahnen bei Verlegung des Hauptstrombettes durch die „Verdrängung“ erkannten und wandten uns dann der Betrachtung des Sexuallebens im Kindes alter zu. Wir fanden es bedauerlich, daß man dem Kindesalter den Sexualtrieb abgesprochen und die nicht selten zu beob achtenden Sexualäußerungen des Kindes als regelwidrige Vor kommnisse beschrieben hat. Es schien uns vielmehr, daß das Kind Keime von Sexualtätigkeit mit zur Welt bringt und schon bei der Nahrungsaufnahme sexuelle Befriedigung mitgenießt, die es sich dann in der gut gekannten Tätigkeit des „Ludelns“ immer wieder zu verschaffen sucht. Die Sexualbetätigung des Kindes entwickle sich aber nicht im gleichen Schritt wie seine sonstigen Funktionen, sondern trete zunächst in die sog. Latenz periode ein. In derselben würde die Produktion sexueller Er regung keineswegs eingestellt, sondern halte an und liefere einen Vorrat von Energie, der großenteils zu anderen als sexuellen Zwecken verwendet werde, nämlich einerseits zur Abgabe der sexuellen Komponenten für soziale Gefühle, ander seits (vermittels Verdrängung und Reaktionserhebung) zum Aufbau der späteren Sexualschranken. Demnach würden die Mächte, die dazu bestimmt sind den Sexualtrieb in gewissen Bahnen zu erhalten, im Kindesalter auf Kosten der großen teils perversen Sexualregungen und unter Mithilfe der Erziehung aufgebaut. Ein anderer Teil der infantilen Sexualregungen entgehe diesen Verwendungen und könne sich als Sexual betätigung äußern. Man könne dann erfahren, daß die Sexual erregung des Kindes aus vielerlei Quellen fließe. Vor allem entstehe Befriedigung durch die geeignete sensible Erregung sog. erogener Zonen, als welche wahrscheinlich jede Hautstelle und jedes Sinnesorgan fungieren könne, während gewisse aus gezeichnete erogene Zonen existieren, deren Erregung durch gewisse organische Vorrichtungen von Anfang an gesichert sei. Ferner entstehe sexuelle Erregung gleichsam als Nebenprodukt bei einer großen Reihe von Vorgängen im Organismus, sobald dieselben nur eine gewisse Intensität erreichen, ganz besonders bei allen stärkeren Gemütsbewegungen, seien sie auch pein licher Natur. Die Erregungen aus all diesen Quellen setzten sich noch nicht zusammen, sondern verfolgten jede vereinzelt ihr Ziel, welches bloß der Gewinn einer gewissen Lust ist. Der Geschlechtstrieb sei im Kindesalter also objektlos, § 279Noch während der Kinderjahre beginne die erogene Zone
der Genitalien sich bemerkbar zu machen, entweder in der Art, daß sie wie jede andere erogene Zone auf geeignete sensible Reizung Befriedigung ergebe, oder indem auf nicht ganz ver ständliche Weise mit der Befriedigung von anderen Quellen her gleichzeitig eine Sexualerregung erzeugt werde, die zu der Genitalzone eine besondere Beziehung erhalte. Wir haben es bedauern müssen, daß eine genügende Aufklärung des Verhält nisses zwischen Sexualbefriedigung und Sexualerregung sowie zwischen der Tätigkeit der Genitalzone und der übrigen Quellen der Sexualität nicht zu erreichen war. § 280Welches Maß von sexuellen Betätigungen im Kindesalter
noch als normal, der weiteren Entwicklung nicht abträglich, bezeichnet werden darf, konnten wir nicht sagen. Der Charak ter der Sexualäußerungen erwies sich als vorwiegend mastur batorisch. Wir stellten ferner durch Erfahrungen fest, daß die äußeren Einflüsse der Verführung vorzeitige Durchbrüche der Latenzzeit bis zur Aufhebung derselben hervorrufen können, und daß sich dabei der Geschlechtstrieb des Kindes in der Tat als polymorph pervers bewährt; ferner, daß jede solche früh zeitige Sexualtätigkeit die Erziehbarkeit des Kindes beein trächtigt. § 281Trotz der Lückenhaftigkeit unserer Einsichten in das
infantile Sexualleben mußten wir dann den Versuch machen, die durch das Auftreten der Pubertät gesetzten Veränderungen desselben zu studieren. Wir griffen zwei derselben als die maßgebenden heraus, die Unterordnung aller sonstigen Ursprünge der Sexualerregung unter das Primat der Genitalzonen und den Prozeß der Objektfindung. Beide sind im Kinderleben bereits vorgebildet. Die erstere vollzieht sich durch den Mechanismus der Ausnützung der Vorlust, wobei die sonst selbständigen sexuellen Akte, die mit Lust und Erregung verbunden sind, zu vorbereitenden Akten für das neue Sexualziel, die Ent leerung der Geschlechtsprodukte werden, dessen Erreichung unter riesiger Lust der Sexualerregung ein Ende macht. Wir hatten dabei die Differenzierung des geschlechtlichen Wesens zu Mann und Weib zu berücksichtigen und fanden, daß zum Weibwerden eine neuerliche Verdrängung erforderlich ist, welche ein Stück infantiler Männlichkeit aufhebt und das Weib für den Wechsel der leitenden Genitalzone vorbereitet. Die Objekt wahl endlich fanden wir geleitet durch die infantilen, zur Pubertät aufgefrischten, Andeutungen sexueller Neigung des Kindes zu seinen Eltern und Pflegepersonen, und durch die mittlerweile aufgerichtete Inzestschranke von diesen Personen auf ihnen ähnliche gelenkt. Fügen wir endlich noch hinzu, daß während der Übergangszeit der Pubertät die somatischen und die psychischen Entwicklungsvorgänge eine Weile un verknüpft neben einander hergehen, bis mit dem Durchbruch einer intensiven seelischen Liebesregung zur Innervation der Genitalien die normalerweise erforderte Einheit der Liebes funktion hergestellt wird. § 282Entwick lungs störende Momente.
§ 283Jeder Schritt auf diesem langen Entwicklungswege kann
zur Fixierungsstelle, jede Fuge dieser verwickelten Zusammen setzung zum Anlaß der Dissoziation des Geschlechtstriebes werden, wie wir bereits an verschiedenen Beispielen erörtert haben. Es erübrigt uns noch eine Übersicht der verschiedenen, die Entwicklung störenden inneren und äußeren Momente zu geben und beizufügen, an welcher Stelle des Mechanismus die von ihnen ausgehende Störung angreift. Was wir da in einer Reihe anführen, kann freilich unter sich nicht gleichwertig sein, und wir müssen auf Schwierigkeiten rechnen, den einzelnen Momenten die ihnen gebührende Abschätzung zuzuteilen. § 284Konstitution
und Heredität. § 285An erster Stelle ist hier die angeborene Verschieden heit der sexuellen Konstitution zu nennen, auf die wahrscheinlich das Hauptgewicht entfällt, die aber, wie be greiflich, nur aus ihren späteren Äußerungen und dann nicht immer mit großer Sicherheit zu erschließen ist. Wir stellen uns unter ihr ein Überwiegen dieser oder jener der mannig fachen Quellen der Sexualerregung vor und glauben, daß solche Verschiedenheit der Anlagen in dem Endergebnis jedenfalls zum Ausdruck kommen muß, auch wenn dies sich innerhalb der Grenzen des Normalen zu halten vermag. Gewiß sind auch solche Variationen der ursprünglichen Anlage denkbar, welche notwendigerweise und ohne weitere Mithilfe zur Ausbildung eines abnormen Sexuallebens führen müssen. Man kann die selben dann „degenerative“ heißen und als Ausdruck ererbter Verschlechterung betrachten. Ich habe in diesem Zusammen hange eine merkwürdige Tatsache zu berichten. Bei mehr als der Hälfte meiner psychotherapeutisch behandelten schweren Fälle von Hysterie, Zwangsneurose usw. ist mir der Nachweis der vor der Ehe überstandenen Syphilis der Väter sicher ge lungen, sei es, daß diese an Tabes oder progressiver Paralyse gelitten hatten, sei es, daß deren luetische Erkrankung sich anderswie anamnestisch feststellen ließ. Ich bemerke ausdrück lich, daß die später neurotischen Kinder keine körperlichen Zeichen von hereditärer Lues an sich trugen, so daß eben die abnorme sexuelle Konstitution als der letzte Ausläufer der luetischen Erbschaft zu betrachten war. So ferne es mir nun liegt, die Abkunft von syphilitischen Eltern als regelmäßige oder unentbehrliche ätiologische Bedingung der neuropathischen Konstitution hinzustellen, so halte ich doch das von mir beob achtete Zusammentreffen für nicht zufällig und nicht be deutungslos.
§ 286Die hereditären Verhältnisse der positiv Perversen sind
minder gut bekannt, weil dieselben sich der Erkundung zu entziehen wissen. Doch hat man Grund anzunehmen, daß bei den Perversionen ähnliches wie bei den Neurosen gilt. Nicht selten findet man nämlich Perversion und Psychoneurose in denselben Familien auf die verschiedenen Geschlechter so ver teilt, daß die männlichen Mitglieder oder eines derselben positiv pervers, die weiblichen aber der Verdrängungsneigung ihres Geschlechtes entsprechend negativ pervers, hysterisch sind, ein guter Beleg für die von uns gefundenen Wesensbeziehungen zwischen den beiden Störungen. § 287Man kann indes den Standpunkt nicht vertreten, als obweitere Ver arbeitung ist offenbar das endgiltig Entscheidende, während die der Beschreibung nach gleiche Konstitution zu drei ver schiedenen Endausgängen führen kann. Wenn sich alle die An lagen in ihrem, als abnorm angenommenen, relativen Verhältnis erhalten und mit der Reifung verstärken, so kann nur ein perverses Sexualleben das Endergebnis sein. Die Analyse solcher abnormer konstitutioneller Anlagen ist noch nicht ordentlich in Angriff genommen worden, doch kennen wir bereits Fälle, die in solchen Annahmen mit Leichtigkeit ihre Erklärung finden. Die Autoren meinen z. B. von einer ganzen Reihe von Fixationsperversionen (s. S. 7), dieselben hätten eine an geborene Schwäche des Sexualtriebes zur notwendigen Voraus setzung. In dieser Form scheint mir die Aufstellung unhalt bar; sie wird aber sinnreich, wenn eine konstitutionelle Schwäche des einen Faktors des Sexualtriebes, der genitalen Zone, gemeint ist, welche Zone späterhin die Zusammenfassung der einzelnen Sexualbetätigungen zum Ziel der Fortpflanzung als Funktion übernimmt. Diese in der Pubertät geforderte Zusammenfassung muß dann mißlingen, und die stärkste der anderen Sexualitäts quellen wird ihre Betätigung als Perversion durchsetzen.
mit dem Ansatz der verschiedenen Komponenten in der sexuellen Konstitution die Entscheidung über die Gestaltung des Sexual lebens eindeutig bestimmt wäre. Die Bedingtheit setzt sich vielmehr fort, und weitere Möglichkeiten ergeben sich je nach dem Schicksal, welches die aus den einzelnen Quellen stammen den Sexualitätszuflüsse erfahren. Diese § 288Verdrängung.
§ 289Ein anderer Ausgang ergibt sich, wenn im Laufe der EntVerdrängung erfahren, von dem man fest halten muß, daß er einer Aufhebung nicht gleichkommt. Die betreffenden Erregungen werden dabei wie sonst erzeugt, aber durch psychische Verhinderung von der Erreichung ihres Zieles abgehalten und auf mannigfache andere Wege gedrängt, bis sie sich als Symptome zum Ausdruck gebracht haben. Das Ergebnis kann ein annähernd normales Sexualleben sein — meist ein eingeschränktes —, aber ergänzt durch psychoneurotische Krankheit. Gerade diese Fälle sind uns durch die psycho analytische Erforschung Neurotischer gut bekannt worden. Das Sexualleben solcher Personen hat wie das der Perversen begonnen, ein ganzes Stück ihrer Kindheit ist mit perverser Sexualtätigkeit ausgefüllt, die sich gelegentlich weit über die Reifezeit erstreckt; dann erfolgt aus inneren Ursachen — meist noch vor der Pubertät, aber hie und da sogar spät nachher — ein Verdrängungsumschlag, und von nun an tritt, ohne daß die alten Regungen erlöschen, Neurose an die Stelle der Per version. Man wird an das Sprichwort „Junge Hure, alte Bet schwester“ erinnert, nur daß die Jugend hier allzu kurz aus gefallen ist. Diese Ablösung der Perversion durch die Neu rose im Leben derselben Person, muß man ebenso wie die vorhin angeführte Verteilung von Perversion und Hysterie auf ver schiedene Personen derselben Familie mit der Einsicht, daß die Neurose das Negativ der Perversion ist, zusammenhalten.
wicklung einzelne der überstark angelegten Komponenten den Prozeß der § 290Sublimierung.
§ 291Der dritte Ausgang bei abnormer konstitutioneller AnlageSublimierung“ ermöglicht, bei welchen den überstarken Erregungen aus einzelnen Sexuali tätsquellen Abfluß und Verwendung auf andere Gebiete er öffnet wird, so daß eine nicht unerhebliche Steigerung der psy chischen Leistungsfähigkeit aus der an sich gefährlichen Ver anlagung resultiert. Eine der Quellen der Kunstbetätigung ist hier zu finden, und je nachdem solche Sublimierung eine voll ständige oder unvollständige ist, wird die Charakteranalyse hochbegabter, insbesondere künstlerisch veranlagter Personen jedes Mengungsverhältnis zwischen Leistungsfähigkeit, Per version und Neurose ergeben. Eine Unterart der Sublimierung ist wohl die Unterdrückung durch Reaktionsbildung, die, wie wir gefunden haben, bereits in der Latenzzeit des Kindes beginnt, um sich im günstigen Falle durch’s ganze Leben fort zusetzen. Was wir den „Charakter“ eines Menschen heißen, ist zum guten Teil mit dem Material sexueller Erregungen aufgebaut und setzt sich aus seit der Kindheit fixierten Trieben, aus durch Sublimierung gewonnenen und aus solchen Konstruk tionen zusammen, die zur wirksamen Niederhaltung perverser, als unverwendbar erkannter Regungen bestimmt sind. Somit kann die allgemein perverse Sexualanlage der Kindheit als die Quelle einer Reihe unserer Tugenden geschätzt werden, inso ferne sie durch Reaktionsbildung zur Schaffung derselben An stoß gibt. *)*)
wird durch den Prozeß der „§ 292Akzidentell
Erlebtes. § 293Gegenüber den Sexualentbindungen, Verdrängungsschüben
und Sublimierungen, letztere beide Vorgänge, deren innere Be dingungen uns völlig unbekannt sind, treten alle anderen Ein flüsse weit an Bedeutung zurück. Wer Verdrängungen und Sublimierungen mit zur konstitutionellen Anlage rechnet, als die Lebensäußerungen derselben betrachtet, der hat allerdings das Recht zu behaupten, daß die Endgestaltung des Sexual lebens vor allem das Ergebnis der angeborenen Konstitution ist. Indes wird kein Einsichtiger bestreiten, daß in solchem Zusammenwirken von Faktoren auch Raum für die modifizieren den Einflüsse des akzidentell in der Kindheit und späterhin Erlebten bleibt. Wir setzen hier unsere Aufgabe fort, die uns als einflußreich für die Sexualentwicklung bekannt gewordenen Momente aufzuzählen, sei es, daß diese wirksame Mächte oder bloß Äußerungen solcher darstellen. § 294Frühreife.
§ 295Ein solches Moment ist die spontane sexuelle Frühreife,
die wenigstens in der Ätiologie der Neurosen mit Sicherheit nachweisbar ist, wenngleich sie so wenig wie andere Momente für sich allein zur Verursachung hinreicht. Sie äußert sich in Durchbrechung, Verkürzung. oder Aufhebung der infantilen Latenzzeit und wird zur Ursache von Störungen, indem sie Sexualäußerungen veranlaßt, die einerseits wegen des unfertigen Zustandes der Sexualhemmungen, anderseits infolge des un entwickelten Genitalsystems nur den Charakter von Perversionen an sich tragen können. Diese Perversionsneigungen mögen sich nun als solche erhalten, oder nach eingetretenen Verdrängungen zu Triebkräften neurotischer Symptome werden; auf alle Fälle erschwert die sexuelle Frühreife die wünschenswerte spätere Beherrschung des Sexualtriebes durch die höheren seelischen Instanzen und steigert den zwangsartigen Charakter, den die psychischen Vertretungen des Triebes ohnedies in Anspruch nehmen. Die sexuelle Frühreife geht häufig vorzeitiger in tellektueller Entwicklung parallel; als solche findet sie sich in der Kindheitsgeschichte der bedeutendsten und leistungs fähigsten Individuen; sie scheint dann nicht ebenso pathogen zu wirken, wie wenn sie isoliert auftritt. *) Ein Menschenkenner wie E. Zola schildert in „La Joie de vivre“ ein Mädchen, das in heiterer Selbstentäußerung alles, was es besitzt und beanspruchen könnte, sein Vermögen und seine Lebenswünsche geliebten Personen ohne Ent lohnung zum Opfer bringt. Die Kindheit dieses Mädchens ist von einem un ersättlichen Zärtlichkeitsbedürfnis beherrscht, das sie bei einer Gelegenheit von Zurücksetzung gegen eine Andere in Grausamkeit verfallen läßt. § 296Haftbarkeit.
§ 297Die Bedeutung aller frühzeitigen Sexualäußerungen wirdHaft barkeit oder Fixierbarkeit dieser Eindrücke des Sexual lebens, die man bei späteren Neurotikern wie bei Perversen zur Ergänzung des Tatbestandes hinzunehmen muß, da die gleichen vorzeitigen Sexualäußerungen bei anderen Personen sich nicht so tief einprägen können, daß sie zwangsartig auf Wiederholung hinwirken und dem Sexualtrieb für alle Lebens zeit seine Wege vorzuschreiben vermögen. Vielleicht liegt ein Stück der Aufklärung für diese Haftbarkeit in einem anderen psychischen Moment, welches wir in der Verursachung der Neurosen nicht missen können, nämlich in dem Übergewicht, welches im Seelenleben den Erinnerungsspuren im Vergleich mit den rezenten Eindrücken zufällt. Dieses Moment ist offen bar von der intellektuellen Ausbildung abhängig und wächst mit der Höhe der persönlichen Kultur. Im Gegensatz hierzu ist der Wilde als das „unglückselige Kind des Augenblicks“ charakterisiert worden. *)*) Wegen der gegensätzlichen Be ziehung zwischen Kultur und freier Sexualitätsentwicklung, deren Folgen weit in die Gestaltung unseres Lebens verfolgt werden könnten, ist es auf niedriger Kultur- oder Gesellschafts stufe so wenig, auf höherer so sehr für’s spätere Leben bedeut sam, wie das sexuelle Leben des Kindes verlaufen ist.
durch einen psychischen Faktor unbekannter Herkunft ge steigert, den man derzeit freilich nur als eine psychologische Vorläufigkeit hinstellen kann. Ich meine die erhöhte *) Möglicherweise ist die Erhöhung der Haftbarkeit nur der Erfolg einer besonders intensiven somatischen Sexualäußerung früher Jahre. § 298Fixierung.
§ 299Die Begünstigung durch die eben erwähnten psychischen
Momente kommt nun den akzidentell erlebten Anregungen der kindlichen Sexualität zu gute. Die letzteren (Verführung durch andere Kinder oder Erwachsene in erster Linie) bringen das Material bei, welches mit Hilfe der ersteren zur dauernden Störung fixiert werden kann. Ein guter Teil der später beob achteten Abweichungen vom normalen Sexualleben ist so bei Neurotikern wie bei Perversen durch die Eindrücke der angeb lich sexualfreien Kindheitsperiode von Anfang an festgelegt. In die Verursachung teilen sich das Entgegenkommen der Kon stitution, die Frühreife, die Eigenschaft der erhöhten Haftbar keit und die zufällige Anregung des Sexualtriebes durch fremden Einfluß. § 300Der unbefriedigende Schluß aber, der sich aus diesen Unter
suchungen über die Störungen des Sexuallebens ergibt, geht dahin, daß wir von den biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität besteht, lange nicht genug wissen, um aus unseren vereinzelten Einsichten eine zum Verständnis des Normalen wie des Pathologischen genügende Theorie zu gestalten. § 301Anmerkungen.
1) Die in der ersten Abhandlung enthaltenen Angaben sind aus den be kannten Publikationen von v. Krafft-Ebing, Moll, Moebius, Havelock, EllisNäcke, v. Schrenk-Notzing, Löwenfeld, Eulenburg, J. Bloch und aus den Arbeiten in dem von M. Hirschfeld herausgegebenen „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ geschöpft. Da an diesen Stellen auch die übrige Literatur des Themas in erschöpfender Weise aufgeführt ist, habe ich mir de taillierte Nachweise ersparen können. Vergleiche über diese Schwierigkeiten und über Versuche, die Verhält niszahl der Invertierten zu eruieren, die Arbeit von M. Hirschfeld im Jahr buch für sexuelle Zwischenstufen, 1904. 3) Ein solches Sträuben gegen den Zwang zur Inversion könnte die Be dingung der Heilbarkeit durch Suggestivbehandlung abgeben. 4) Es ist von mehreren Seiten, insbesondere von Moll, mit Recht betont worden, daß die autobiographischen Angaben der Invertierten über das zeitliche Auftreten der Inversionsneigung unzuverlässig sind, da dieselben die Beweise für ihr heterosexuelles Fühlen aus ihrem Gedächtnis verdrängt haben könnten. Einzig und allein die psychoanalytische Untersuchung invertierter Personen könnte hier die Entscheidung bringen. 5) Mit welchen Vorbehalten die Diagnose auf Degeneration zu stellen ist, und welch geringe praktische Bedeutung ihr zukommt, kann man aus den Aus führungen von Moebius [Über Entartung (Grenzfragen des Nerven- und und Seelenlebens. Nr. III, 1900)] entnehmen. „Überblickt man nun das weite Ge biet der Entartung, auf das hier einige Schlaglichter geworfen worden sind, so sieht man ohne weiteres ein, daß es sehr geringen Wert hat, Entartung über haupt zu diagnostizieren.“ 6) Es muß den Wortführern des „Uranismus“ zugestanden werden, daß einige der hervorragendsten Männer, von denen wir überhaupt Kunde haben, In vertierte, vielleicht sogar absolut Invertierte waren. 7) In der Auffassung der Inversion sind die pathologischen Gesichtspunkte von anthropologischen abgelöst worden. Diese Wandlung bleibt das Verdienst von J. Bloch (Beiträge zur Ätiologie der Psychopathia sexualis. 2 Teile 1902—1903), welcher Autor auch die Tatsache der Inversion bei den alten Kulturvölkern nach drücklich zur Geltung gebracht hat. 8) Vergleiche die letzten ausführlichen Darstellungen des somatischen Hermaphroditismus: Taruffi, Hermaphrodismus u. Zeugungsunfähigkeit, Deutsche Ausgabe von R. Teuscher, 1903, und die Arbeiten von Neugebauer in mehreren Bänden des Jahrb. f. sex. Zwischenstufen. 9) J. Halban, Die Entstehung der Geschlechtscharaktere. Archiv für Gynäkologie Bd. 70, 1903. Siehe dort auch die Literatur des Gegenstandes. 10) Der erste der zur Erklärung der Inversion die Bisexualität herange zogen, soll (nach einem Literaturbericht im 6. Bd. d. Jahrb. f. sex. Zwischenstufen) E. Gley gewesen sein, der einen Aufsatz (Les aberrations de l’instinct sexuel) schon im Januar 1884 in der Revue philosophique veröffentlichte. — Es ist übrigens bemerkenswert, daß die Mehrzahl der Autoren, welche die Inversion auf Bisexualität zurückführen, dieses Moment nicht allein für die Invertierten, sondern für alle Normalgewordenen zur Geltung bringen und folgerichtig die Inversion als den Erfolg einer Entwicklungsstörung auffassen. So bereits Che valier (Inversion sexuelle, 1893). v. Krafft-Ebing (Zur Erklärung der kon trären Sexualempfindung, Jahrbücher f. Psych. u. Nervenh. XIII) spricht davon, daß eine Fülle von Beobachtungen bestehen, „aus denen sich mindestens die vir tuelle Fortexistenz dieses zweiten Zentrums (des unterlegenen Gechlechtes) ergibt.“ Ein Dr. Arduin (Die Frauenfrage und die sexuellen Zwischenstufen) stellt im zweiten Band des Jahrb. f. sex. Zwischenstufen, 1900, die Behauptung auf: „Daß in jedem Menschen männliche und weibliche Elemente vorhanden sind“ (vgl. d. Jahrb., Bd. I. 1899.) „Die objektive Diagnose der Homosexualität“ v. Dr. M. Hirschfeld 8. 8—9 u. f.) nur — der Geschlechtszugehörigkeit entspr. — die einen unverhältnis mäßig stärker entwickelt als die anderen, soweit es sich um heterosexuelle Per sonen handelt.“ — Für G. Herman (Genesis, Das Gesetz der Zeugung. 9. Bd. Libido und Mania, 1903) steht es fest, „daß in jedem Weibe männliche, in jedem Manne weibliche Keime und Eigenschaften enthalten sind“ usw. 11) Ich kann mir nicht versagen, hiebei an die gläubige Gefügigkeit der Hypnotisierten gegen ihren Hypnotiseur zu erinnern, welche mich vermuten läßt, daß das Wesen der Hypnose in die unbewußte Fixierung der Libido auf die Person des Hypnotiseurs (vermittels der masochistischen Komponente des Sexual triebes) zu verlegen ist. 12) Weitere Erwägungen führen zum Schlusse, daß J. Bloch das Moment des Reizhungers in seiner theoretischen Bedeutung überschätzt hat. Die verschie denen Wege, auf denen die Libido wandelt, verhalten sich zu einander von An fang an wie kommunizierende Röhren, und man muß den Phänomenen der Kolla teralströmung Rechnung tragen. 13) Anstatt vieler Belege für diese Behauptung zitiere ich nur die eine Stelle aus Havelock Ellis (Das Geschlechtsgefühl, 1903): „Alle bekannten Fälle von Sadismus und Masochismus, selbst die von Krafft-Ebing zitierten, zeigen beständig (wie schon Colin, Scott und Féré nachgewiesen) Spuren beider Gruppen von Erscheinungen an ein und demselben Individuum.“ 14) Die hier niedergeschriebene Behauptung erschien mir selbst nachträg lich als so gewagt, daß ich mir vorsetzte, sie durch nochmalige Durchsicht der Literatur zu prüfen. Das Ergebnis dieser Überprüfung war, daß ich sie unver ändert stehen ließ. Die wissenschaftlich Bearbeitung der leiblichen wie der seelischen Phänomene der Sexualität im Kindesalter befindet sich in den ersten Anfängen, Ein Autor S. Bell (A preliminary study of the Emotion of love bet ween the sexes. American J. of Psychol., XIII, 1902) äußert: I know of no scientist, who has given a careful analysis of the emotion as il it seen in the a dolescent. — Somatische Sexualäußerungen aus der Zeit vor der Pubertät haben nur im Zusammenhange mit Entartungserscheinungen und als Zeichen von Ent artung Aufmerksamkeit gewonnen. — Ein Kapitel über das Liebesleben der Kinder fehlt in allen Darstellungen der Psychologie dieses Alters, die ich gelesen habe, so in den bekannten Werken von Preyer, Baldwin (Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und bei der Rasse, 1898), Pérez, (L’enfant de 3—7 ans, 1894), Strümpell (Die pädagogische Pathologie, 1899), Karl Groos (Das Seelen leben des Kindes, 1904), Th. Heller (Grundriß der Heilpädagogik, 1904), Sully (Untersuchungen über die Kindheit, 1897) u. a. Den besten Eindruck von dem heutigen Stande auf diesem Gebiet holt man sich aus der Zeitschrift „Die Kinder fehler“ (von 1896 an). — Doch gewinnt man die Überzeugung, daß die Existenz der Liebe im Kindesalter nicht mehr entdeckt zu werden braucht. Pérez (l. o.) tritt für sie ein; bei K. Groos (Die Spiele der Menschen, 1899) findet sich als allgemein bekannt erwähnt, „daß manche Kinder schon sehr früh für sexuelle Re gungen zugänglich sind und dem anderen Geschlecht gegenüber einen Drang nach Berührungen empfinden“ (S. 326); der früheste Fall von Auftreten ge schlechtlicher Liebesregungen (sex-love) in der Beobachtungsreihe von S. Bell betraf ein Kind in der Mitte des dritten Jahres. — Vergleiche hiezu noch Have, Das Geschlechtsgefühl (übersetzt von lock EllisKurella), 1903, Appendix, II. 15) Eines der mit den frühesten Kindheitserinnerungen verknüpften Pro bleme habe ich in einem Aufsatze „Über Deckerinnerungen“ (Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, VI, 1899) zu lösen versucht. 16) Eine mögliche anatomische Analogie zu dem von mir behaupteten Ver halten der infantilen Sexualfunktion wäre durch den Fund von Bayer (Deutsch. Archiv f. klin. Medizin, Bd. 73) gegeben, daß die inneren Geschlechtsorgane (Uterus) Neugeborener in der Regel größer sind als die älterer Kinder. Indes ist die Auffassung dieser durch Halban auch für andere Teile des Genitalappa rates festgestellten Involution nach der Geburt nicht sichergestellt. Nach Halban (Zeitschr. f. Geburtshilfe und Gynäkologie, LIII, 1904) ist dieser Rückbildungs vorgang nach wenigen Wochen des Extrauterinlebens abgelaufen. 17) Im Jahrbuch für Kinderheilkunde, N. F., XIV, 1879. 18) Vergleiche hiezu die sehr reichhaltige, aber meist in den Gesichts punkten unorientierte Literatur über Onanie, z. B. Rohleder, Die Masturba tion, 1899. 19) Havelock Ellis bringt in einem Anhange zu seiner Studie über das „Geschlechtsgefühl“ (1903) eine Anzahl autobiographischer Berichte von später vorwiegend normal gebliebenen Personen über ihre ersten geschlechtlichen Regungen in der Kindheit und die Anlässe derselben. Diese Berichte leiden natürlich an dem Mangel, daß sie die durch infantile Amnesie verdeckte, prä historische Vorzeit des Geschlechtslebens nicht enthalten, welche nur durch Psychoanalyse bei einem neurotisch gewordenen Individuum ergänzt werden kann. Dieselben sind aber trotzdem in mehr als einer Hinsicht wertvoll, und Erkun digungen der gleichen Art haben mich zu der im Text erwähnten Modifikation meiner ätiologischen Annahmen bestimmt. 20) Siehe meine 1905 erschienene Studie „Der Witz und seine Be“. Die durch die Witztechnik gewonnene „Vorlust“ ziehung zum Unbewußten wir dazu verwendet, eine größere Lust durch die Aufhebung innerer Hemmungen frei zu machen. 21) Es ist überaus lehrreich, daß die deutsche Sprache der im Text er wähnten Rolle der vorbereitenden sexuellen Erregungen, welche gleichzeitig einen Anteil Befriedigung und einen Beitrag zur Sexualspannung liefern, im Gebrauche des Wortes „Lust“ Rechnung trägt. „Lust“ ist doppelsinnig und bezeichnet eben sowohl die Empfindung der Sexualspannung (Ich habe Lust = ich möchte, ich verspüre den Drang) als auch die der Befriedigung. 22) Wem diese Auffassung „frevelhaft“ dünkt, der lese die fast gleich sinnige Behandlung des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind bei Havelock nach. (Das Geschlechtsgefühl, S. 16.) Ellis 23) Die Aufklärung über die Herkunft der kindlichen Angst verdanke ich einem dreijährigen Knaben, den ich einmal aus seinem dunklen Zimmer bitten hörte: Tante, sprich mit mir; ich fürchte mich, weil es so dunkel ist. Die Tante rief ihn an: Was hast du denn davon? Du siehst mich ja nicht. Das macht nichts, antwortete das Kind; wenn jemand spricht, wird es hell. — Er fürchtete sich also nicht vor der Dunkelheit, sondern weil er eine geliebte Person ver mißte, und konnte versprechen sich zu beruhigen, sobald er einen Beweis von deren Anwesenheit empfangen hatte. § 302Inhaltsangabe.
§ 303I. Die sexuellen Abirrungen . . . . . 1
§ 304II. Die infantile Sexualität . . . . . 31
§ 305III. Die Umgestaltungen der Pubertät . . . . . 53
§ 306Anmerkungen . . . . . 80