DREI ABHANDLUNGEN ZUR
SEXUALTHEORIE § 2VON
§ 3PROF. DR. SIGM. FREUD
§ 4IN WIEN.
§ 5DRITTE, VERMEHRTE AUFLAGE.
§ 6LEIPZIG UND WIEN
§ 7FRANZ DEUTICKE
§ 81915.
§ 9DREI ABHANDLUNGEN ZUR
SEXUALTHEORIE § 10VON
§ 11PROF. DR. SIGM. FREUD
§ 12IN WIEN.
§ 13DRITTE, VERMEHRTE AUFLAGE.
§ 14LEIPZIG UND WIEN
§ 15FRANZ DEUTICKE
§ 161915.
§ 17§ 18
Vorwort zur zweiten Auflage.
§ 19Der Verfasser, der sich über die Lücken und Dunkel
heiten dieser kleinen Schrift nicht täuscht, hat doch der Ver suchung widerstanden, die Forschungsergebnisse der letzten fünf Jahre in sie einzutragen und dabei ihren einheitlichen dokumentarischen Charakter zu zerstören. Er bringt also den ursprünglichen Wortlaut mit geringen Abänderungen wieder und begnügt sich mit dem Zusatze einiger Fußnoten, die sich von den älteren Anmerkungen durch das vorgesetzte Zeichen * unterscheiden. Im übrigen ist es sein sehnlicher Wunsch, daß dieses Buch rasch veralten möge, indem das Neue, was es einst gebracht, allgemein angenommen, und das Unzuläng liche, das sich in ihm findet, durch Richtigeres ersetzt wird. § 20Wien, im Dezember 1909.
§ 21Vorwort zur dritten Auflage.
§ 22Nachdem ich durch ein Jahrzehnt Aufnahme und Wir
kung dieses Buches beobachtet, möchte ich dessen dritte Auf lage mit einigen Vorbemerkungen versehen, die gegen Miß verständnisse und unerfüllbare Ansprüche an dasselbe gerichtet sind. Es sei also vor allem betont, daß die Darstellung hierin durchwegs von der alltäglichen ärztlichen Erfahrung aus geht, welche durch die Ergebnisse der psychoanalytischen Untersuchung vertieft und wissenschaftlich bedeutsam gemacht werden soll. Die drei »Abhandlungen zur Sexualtheorie« kön nen nichts anderes enthalten, als was die Psychoanalyse an zunehmen nötigt oder zu bestätigen gestattet. Es ist darum ausgeschlossen, daß sie sich jemals zu einer »Sexualtheorie« erweitern ließen, und begreiflich, daß sie zu manchen wichtigen Problemen des Sexuallebens überhaupt nicht Stellung neh men. Man wolle aber darum nicht glauben, daß diese über gangenen Kapitel des großen Themas dem Autor unbekannt geblieben sind oder von ihm als nebensächlich vernachlässigt wurden. § 23Die Abhängigkeit dieser Schrift von den psychoanaly
tischen Erfahrungen, die zu ihrer Abfassung angeregt haben, zeigt sich aber nicht nur in der Auswahl, sondern auch in der Anordnung des Stoffes. Überall wird ein gewisser Instanzenzug eingehalten, werden die akzidentellen Momente vorangestellt, die dispositionellen im Hintergrunde gelassen und wird die ontogenetische Entwicklung vor der phylo genetischen berücksichtigt. Das Akzidentelle spielt nämlich die Hauptrolle in der Analyse, es wird durch sie fast restlos bewältigt; das Dispositionelle kommt erst hinter ihm zum Vorschein als etwas, was durch das Erleben geweckt wird, dessen Würdigung aber weit über das Arbeitsgebiet der Psychoanalyse hinausführt. § 24Ein ähnliches Verhältnis beherrscht die Relation zwischen
Onto- und Phylogenese. Die Ontogenese kann als eine Wieder holung der Phylogenese angesehen werden, soweit diese nicht durch ein rezenteres Erleben abgeändert wird. Die phylo genetische Anlage macht sich hinter dem ontogenetischen Vorgang bemerkbar. Im Grunde aber ist die Disposition eben der Niederschlag eines früheren Erlebens der Art, zu welchem das neuere Erleben des Einzelwesens als Summe der akziden tellen Momente hinzukommt. § 25Neben der durchgängigen Abhängigkeit von der psycho
analytischen Forschung muß ich die vorsätzliche Unabhän gigkeit von der biologischen Forschung als Charakter dieser meiner Arbeit hervorheben. Ich habe es sorgfältig ver mieden, wissenschaftliche Erwartungen aus der allgemeinen Sexualbiologie oder aus der spezieller Tierarten in das Studium einzutragen, welches uns an der Sexualfunktion des Men schen durch die Technik der Psychoanalyse ermöglicht wird. Mein Ziel war allerdings zu erkunden, wieviel zur Biologie des menschlichen Sexuallebens mit den Mitteln der psychologischen Erforschung zu erraten ist; ich durfte auf Anschlüsse und Übereinstimmungen hinweisen, die sich bei dieser Untersuchung ergaben, aber ich brauchte mich nicht beirren zu lassen, wenn die psychoanalytische Methode in man chen wichtigen Punkten zu Ansichten und Ergebnissen führte, die von den bloß biologisch gestützten erheblich abwichen. § 26Ich habe in dieser dritten Auflage reichliche Ein1)1)
schaltungen vorgenommen, aber darauf verzichtet, dieselben wie in der vorigen Auflage durch besondere Zeichen kenntlich zu machen. – Die wissenschaftliche Arbeit auf unserem Ge biete hat gegenwärtig ihre Fortschritte verlangsamt, doch waren gewisse Ergänzungen dieser Schrift unentbehrlich, wenn sie mit der neueren psychoanalytischen Literatur in Fühlung bleiben sollte.§ 27Wien, im Oktober 1914.
1) Nach der zweiten Auflage (1910) hat im gleichen Jahr A. A. Brill in New York eine englische, 1911 N. Ossipow in Moskau eine rus sische Übersetzung veröffentlicht. § 28Inhaltsangabe.
§ 29I. Die sexuellen Abirrungen .................. 1
§ 30II. Die infantile Sexualität .................... 37
§ 31III. Die Umgestaltungen der Pubertät .............. 69
§ 32I. 1)1)
Die sexuellen Abirrungen.§ 33Die Tatsache geschlechtlicher Bedürfnisse bei Mensch undLibido«. 2)2)
Tier drückt man in der Biologie durch die Annahme eines »Geschlechtstriebes« aus. Man folgt dabei der Analogie mit dem Trieb nach Nahrungsaufnahme, dem Hunger. Eine dem Worte »Hunger« entsprechende Bezeichnung fehlt der Volks sprache; die Wissenschaft gebraucht als solche »§ 34Die populäre Meinung macht sich ganz bestimmte Vorstel
lungen von der Natur und den Eigenschaften dieses Geschlechts triebes. Er soll der Kindheit fehlen, sich um die Zeit und im Zusammenhang mit dem Reifungsvorgang der Pubertät ein stellen, sich in den Erscheinungen unwiderstehlicher Anziehung äußern, die das eine Geschlecht auf das andere ausübt, und sein Ziel soll die geschlechtliche Vereinigung sein oder wenig stens solche Handlungen, welche auf dem Wege zu dieser liegen. 1) Die in der ersten Abhandlung enthaltenen Angaben sind aus den bekannten Publikationen von v. Krafft-Ebing, Moll, Moe bius, Havelock Ellis, v. Schrenck-Notzing, Löwenfeld, Eulenburg, J. Bloch, M. Hirschfeld und aus den Arbeiten in den vom Letzteren herausgegebenen »Jahrbuch für sexuelle Zwischen stufen« geschöpft. Da an diesen Stellen auch die übrige Literatur des Themas aufgeführt ist, habe ich mir detaillierte Nachweise er sparen können. Die durch psychoanalytische Untersuchung Invertierter gewonneJ. Sadger und auf eigener Erfahrung. nen Einsichten ruhen auf Mitteilungen von 2) Das einzig angemessene Wort der deutschen Sprache »Lust« ist leider vieldeutig und benennt ebensowohl die Empfindung des Be dürfnisses als die der Befriedigung. § 35Wir haben aber allen Grund, in diesen Angaben ein sehr
ungetreues Abbild der Wirklichkeit zu erblicken; faßt man sie schärfer ins Auge, so erweisen sie sich überreich an Irr tümern, Ungenauigkeiten und Voreiligkeiten. § 36Führen wir zwei Termini ein: heißen wir die Person, vonSexual objekt, die Handlung, nach welcher der Trieb drängt, das Sexualziel, so weist uns die wissenschaftlich gesichtete Erfahrung zahlreiche Abweichungen in Bezug auf beide, Sexual objekt und Sexualziel, nach, deren Verhältnis zur angenommenen Norm eingehende Untersuchung fordert.
welcher die geschlechtliche Anziehung ausgeht, das § 371. Abweichungen in Bezug auf das Sexualobjekt.
§ 38Der populären Theorie des Geschlechtstriebes entspricht amInversion. Die Zahl solcher Personen ist sehr erheblich, wiewohl deren sichere Ermittelung Schwierig keiten unterliegt. 1)
schönsten die poetische Fabel von der Teilung des Menschen in zwei Hälften — Mann und Weib —, die sich in der Liebe wieder zu vereinigen streben. Es wirkt darum wie eine große Überraschung zu hören, daß es Männer gibt, für die nicht das Weib, sondern der Mann, Weiber, für die nicht der Mann, sondern das Weib das Sexualobjekt darstellt. Man heißt solche Personen Konträrsexuale oder besser Invertierte, die Tat sache die der § 39A. Die Inversion.
§ 40Verhalten der
Invertierten. § 41Die betreffenden Personen verhalten sich nach verschie
denen Richtungen ganz verschieden. § 42a) Sie sind absolut invertiert, d. h. ihr Sexualobjekt kann nur gleichgeschlechtlich sein, während das gegensätz liche Geschlecht für sie niemals Gegenstand der geschlecht lichen Sehnsucht ist, sondern sie kühl läßt oder selbst sexuelle Abneigung bei ihnen hervorruft. Als Männer sind sie dann durch Abneigung unfähig, den normalen Geschlechtsakt auszuführen, oder vermissen bei dessen Ausführung jeden Genuß.
1) Vergleiche über diese Schwierigkeiten sowie über Ver suche, die Verhältniszahl der Invertierten zu eruieren, die Arbeit von M. Hirschfeld im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 1904. § 43b) Sind sie amphigen invertiert (psychosexuell-her maphroditisch), d. h. ihr Sexualobjekt kann ebensowohl dem gleichen wie dem anderen Geschlecht angehören; der Inversion fehlt also der Charakter der Ausschließlichkeit.
§ 44c) Sie sind okkasionell invertiert, d. h. unter gewissen äußeren Bedingungen, von denen die Unzugänglichkeit des normalen Sexualobjekts und die Nachahmung obenan stehen, können sie eine Person des gleichen Geschlechtes zum Sexual objekt nehmen und im Sexualakt mit ihr Befriedigung empfinden.
§ 45Die Invertierten zeigen ferner ein mannigfaltiges Ver 1)1)
halten in ihrem Urteil über die Besonderheit ihres Geschlechts triebes. Die einen nehmen die Inversion als selbstverständlich hin wie der Normale die Richtung seiner Libido und vertreten mit Schärfe deren Gleichberechtigung mit der normalen. Andere aber lehnen sich gegen die Tatsache ihrer Inversion auf und empfinden dieselbe als krankhaften Zwang.§ 46Weitere Variationen betreffen die zeitlichen Verhältnisse. 2) Der Charak ter bleibt entweder durchs ganze Leben erhalten oder tritt zeitweise zurück oder stellt eine Episode auf dem Wege zur normalen Entwicklung dar. Auch ein periodisches Schwanken zwischen dem normalen und dem invertierten Sexualobjekt ist beobachtet worden. Besonders interessant sind Fälle, in denen sich die Libido im Sinne der Inversion ändert, nachdem eine peinliche Erfahrung mit dem normalen Sexualobjekt gemacht worden ist.
Die Eigentümlichkeit der Inversion datiert bei dem Individuum entweder von jeher, soweit seine Erinnerung zurückreicht, oder dieselbe hat sich ihm erst zu einer bestimmten Zeit vor oder nach der Pubertät bemerkbar gemacht. 1) Ein solches Sträuben gegen den Zwang zur Inversion könnte die Bedingung der Beeinflußbarkeit durch Suggestivbehandlung oder Psychoanalyse abgeben. 2) Es ist von mehreren Seiten mit Recht betont worden, daß die autobiographischen Angaben der Invertierten über das zeitliche Auftreten der Inversionsneigung unzuverlässig sind, da dieselben die Beweise für ihr heterosexuelles Empfinden aus ihrem Gedächtnis ver drängt haben könnten. Die Psychoanalyse hat diesen Verdacht für die ihr zugänglich gewordenen Fälle von Inversion bestätigt und deren Anamnese durch die Ausfüllung der Kindheitsamnesie in entscheidender Weise ver ändert. § 47Diese verschiedenen Reihen von Variationen bestehen im
allgemeinen unabhängig nebeneinander. Von der extremsten Form kann man etwa regelmäßig annehmen, daß die Inversion seit sehr früher Zeit bestanden hat, und daß die Person sich mit ihrer Eigentümlichkeit einig fühlt. § 48Viele Autoren würden sich weigern, die hier aufgezählten
Fälle zu einer Einheit zusammenzufassen, und ziehen es vor, die Unterschiede anstatt der Gemeinsamen dieser Gruppen zu betonen, was mit der von ihnen beliebten Beurteilung der Inversion zusammenhängt. Allein so berechtigt Sonderungen sein mögen, so ist doch nicht zu verkennen, daß alle Zwischenstufen reichlich aufzufinden sind, so daß die Reihen bildung sich gleichsam von selbst aufdrängt. § 49Auffassung
der Inversion. § 50Die erste Würdigung der Inversion bestand in der Auf
fassung, sie sei ein angeborenes Zeichen nervöser Degeneration, und war im Einklange mit der Tatsache, daß die ärztlichen Beobachter zuerst bei Nervenkranken oder Personen, die solchen Eindruck machten, auf sie gestoßen waren. In dieser Charakteristik sind zwei Angaben enthalten, die unabhängig von einander beurteilt werden sollen: Das Angeborensein und die Degeneration. § 51Degeneration.
§ 52Die Degeneration unterliegt den Einwänden, die sichMagnansche Ein teilung der Degenerierten hat es selbst ermöglicht, daß die vorzüglichste Allgemeingestaltung der Nervenleistung die An wendbarkeit des Begriffes Degeneration nicht auszuschließen braucht. Unter solchen Umständen darf man fragen, welchen Nutzen und welchen neuen Inhalt das Urteil »Degeneration« überhaupt noch besitzt. Es scheint zweckmäßiger, von Dege neration nicht zu sprechen:
gegen die wahllose Verwendung des Wortes überhaupt erheben. Es ist doch Sitte geworden, jede Art von Krankheitsäußerung, die nicht gerade traumatischen oder infektiösen Ursprungs ist, der Degeneration zuzurechnen. Die § 531. wo nicht mehrere schwere Abweichungen von der Norm 1)
zusammentreffen; 2. wo nicht Leistungs- und Existenzfähigkeit im allgemeinen schwer geschädigt erscheinen.§ 54Daß die Invertierten nicht Degenerierte in diesem berech
tigten Sinne sind, geht aus mehreren Tatsachen hervor: § 551. Man findet die Inversion bei Personen, die keine son
stigen schweren Abweichungen von der Norm zeigen; § 562. desgleichen bei Personen, deren Leistungsfähigkeit 2)
nicht gestört ist, ja die sich durch besonders hohe intellek tuelle Entwicklung und ethische Kultur auszeichnen.§ 573. Wenn man von den Patienten seiner ärztlichen Erfah
rung absieht und einen weiteren Gesichtskreis zu umfassen strebt, stößt man nach zwei Richtungen auf Tatsachen, welche die Inversion als Degenerationszeichen aufzufassen verbieten. § 58a) Man muß Wert darauf legen, daß die Inversion eine häufige Erscheinung, fast eine mit wichtigen Funktionen be traute Institution bei den alten Völkern auf der Höhe ihrer Kultur war; b) man findet sie ungemein verbreitet bei vielen wilden und primitiven Völkern, während man den Begriff der Degeneration auf die hohe Zivilisation zu beschränken gewohnt ist (J. Bloch). Selbst unter den zivilisierten Völkern Europas haben Klima und Rasse auf die Verbreitung und die Beurtei lung der Inversion den mächtigsten Einfluß. 3)
1) Mit welchen Vorbehalten die Diagnose auf Degeneration zu stellen ist und welch geringe praktische Bedeutung ihr zukommt, kann man aus den Ausführungen von Moebius [Über Entartung. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Nr. III, 1900)] entnehmen: »Überblickt man nun das weite Gebiet der Entartung, auf das hier einige Schlaglichter geworfen worden sind, so sieht man ohne weiteres ein, daß es sehr geringen Wert hat, Entartung überhaupt zu diagno stizieren.« 2) Es muß den Wortführern des »Uranismus« zugestanden werden, daß einige der hervorragendsten Männer, von denen wir überhaupt Kunde haben, Invertierte, vielleicht sogar absolut Inver tierte waren. 3) In der Auffassung der Inversion sind die pathologischen Gesichtspunkte von anthropologischen abgelöst worden. Diese Wand lung bleibt das Verdienst von J. Bloch (Beiträge zur Ätiologie der Psychopathia sexualis. 2 Teile 1902/3), welcher Autor auch die Tat sache der Inversion bei den alten Kulturvölkern nachdrücklich zur Geltung gebracht hat. § 59Angeborensein.
§ 60Das Angeborensein ist, wie begreiflich, nur für die erste,
extremste Klasse der Invertierten behauptet worden, und zwar auf Grund der Versicherung dieser Personen, daß sich bei ihnen zu keiner Zeit des Lebens eine andere Richtung des Sexualtriebes gezeigt habe. Schon das Vorkommen der beiden anderen Klassen, speziell der dritten, ist schwer mit der Auf fassung eines angeborenen Charakters zu vereinen. Daher die Neigung der Vertreter dieser Ansicht, die Gruppe der absolut Invertierten von allen anderen abzulösen, was den Verzicht auf eine allgemein-gültige Auffassung der Inversion zur Folge hat. Die Inversion wäre demnach in einer Reihe von Fällen ein angeborener Charakter; in anderen könnte sie auf andere Art entstanden sein. § 61Den Gegensatz zu dieser Auffassung bildet die andere,erworbener Charakter des Geschlechts triebes sei. Sie stützt sich darauf, daß 1. bei vielen (auch ab solut) Invertierten ein frühzeitig im Leben einwirkender sexueller Eindruck nachweisbar ist, als dessen fortdauernde Folge sich die homosexuelle Neigung darstellt, 2. daß bei vielen anderen sich die äußeren begünstigenden und hemmen den Einflüsse des Lebens aufzeigen lassen, die zu einer früheren oder späteren Zeit zur Fixierung der Inversion geführt haben (ausschließlicher Verkehr mit dem gleichen Geschlecht, Ge meinschaft im Kriege, Detention in Gefängnissen, Gefahren des heterosexuellen Verkehrs, Zölibat, geschlechtliche Schwäche usw.), 3. daß die Inversion durch hypnotische Suggestion aufgehoben werden kann, was bei einem angeborenen Charakter Wunder nehmen würde.
daß die Inversion ein § 62Vom Standpunkt dieser Anschauung kann man die SicherHavelock Ellis), daß ein genaueres Examen der für angeborene Inversion in An spruch genommenen Fälle wahrscheinlich gleichfalls ein für die Richtung der Libido bestimmendes Erlebnis der frühen Kindheit zu Tage fördern würde, welches bloß im bewußten Gedächtnis der Person nicht bewahrt worden ist, aber durch geeignete Beeinflussung zur Erinnerung gebracht werden könnte. Die Inversion könnte man nach diesen Autoren nur als eine häufige Variation des Geschlechtstriebes bezeichnen, die durch eine Anzahl äußerer Lebensumstände bestimmt werden kann.
heit des Vorkommens einer angeborenen Inversion überhaupt bestreiten. Man kann einwenden (§ 63Der scheinbar so gewonnenen Sicherheit macht aber die
Gegenbemerkung ein Ende, daß nachweisbar viele Personen die nämlichen sexuellen Beeinflussungen (auch in früher Jugend: Verführung, mutuelle Onanie) erfahren, ohne durch sie invertiert zu werden oder dauernd so zu bleiben. So wird man zur Vermutung gedrängt, daß die Alternative angeboren — erworben entweder unvollständig ist oder die bei der In version vorliegenden Verhältnisse nicht deckt. § 64Erklärung
der Inversion. § 65Weder mit der Annahme, die Inversion sei angeboren,
noch mit der anderen, sie werde erworben, ist das Wesen der Inversion erklärt. Im ersten Falle muß man sich äußern, was an ihr angeboren ist, wenn man sich nicht der rohesten Erklärung anschließt, daß eine Person die Verknüpfung des Sexualtriebes mit einem bestimmten Sexualobjekt angeboren mitbringt. Im anderen Falle fragt es sich, ob die mannig fachen akzidentellen Einflüsse hinreichen, die Erwerbung zu erklären, ohne daß ihnen etwas an dem Individuum entgegen kommen müsse. Die Verneinung dieses letzten Momentes ist nach unseren früheren Ausführungen unstatthaft. § 66Heranziehung
der Bisexualität. § 67Zur Erklärung der Möglichkeit einer sexuellen InversionFrank Lydstone, Kiernan und Chevalier eine Gedankenreihe herangezogen worden, welche einen neuen Widerspruch gegen die populäre Meinung enthält. Dieser gilt ein Mensch entweder als Mann oder als Weib. Die Wissen schaft kennt aber Fälle, in denen die Geschlechtscharaktere verwischt erscheinen und somit die Geschlechtsbestimmung erschwert wird; zunächst auf anatomischem Gebiet. Die Ge nitalien dieser Personen vereinigen männliche und weibliche Charaktere (Hermaphroditismus). In seltenen Fällen sind nebeneinander beiderlei Geschlechtsapparate ausgebildet (wahrer Hermaphroditismus); zu allermeist findet man beider seitige Verkümmerung. 1)
ist seit 1) Vergleiche die letzten ausführlichen Darstellungen des soma tischen Hermaphroditismus: Taruffi, Hermaphroditismus und Zeugungsunfähigkeit, Deutsche Ausgabe von R. Teuscher, 1903, und die Arbeiten von Neugebauer in mehreren Bänden des Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen. § 68Das Bedeutsame an diesen Abnormitäten ist aber, daß sie
in unerwarteter Weise das Verständnis der normalen Bildung erleichtern. Ein gewisser Grad von anatomischem Hermaphro ditismus gehört nämlich der Norm an; bei keinem normal gebildeten männlichen oder weiblichen Individuum werden die Spuren vom Apparat des anderen Geschlechts vermißt, die entweder funktionslos als rudimentäre Organe fortbestehen oder selbst zur Übernahme anderer Funktionen umgebildet worden sind. § 69Die Auffassung, die sich aus diesen lange bekannten
anatomischen Tatsachen ergibt, ist die einer ursprünglich bisexuellen Veranlagung, die sich im Laufe der Entwicklung bis zur Monosexualität mit geringen Resten des verkümmerten Geschlechtes verändert. § 70Es lag nahe, diese Auffassung aufs psychische Gebiet zu
übertragen und die Inversion in ihren Abarten als Ausdruck eines psychischen Hermaphroditismus zu verstehen. Um die Frage zu entscheiden, bedurfte es nur noch eines regel mäßigen Zusammentreffens der Inversion mit den seelischen und somatischen Zeichen des Hermaphroditismus. § 71Allein diese nächste Erwartung schlägt fehl. So naheHavelock Ellis) und leichte anatomische Verkümmerung der Organe. Häufig, aber keineswegs regelmäßig oder auch nur überwiegend. Somit muß man erkennen, daß Inversion und somatischer Hermaphroditismus im ganzen unabhängig voneinander sind.
darf man sich die Beziehungen zwischen dem angenommenen psychischen und dem nachweisbaren anatomischen Zwittertum nicht vorstellen. Was man bei den Invertierten findet, ist häufig eine Herabsetzung des Geschlechtstriebes überhaupt (§ 72Man hat ferner großen Wert auf die sogenannten sekunH. Ellis). Auch daran ist vieles zutreffend, aber man darf nicht ver gessen, daß die sekundären und tertiären Geschlechtscharak tere überhaupt recht häufig beim anderen Geschlecht auf treten und so Andeutungen von Zwittertum herstellen, ohne daß dabei das Sexualobjekt sich im Sinne einer Inversion ab geändert zeigte.
dären und tertiären Geschlechtscharaktere gelegt und deren gehäuftes Vorkommen bei den Invertierten betont (§ 73Der psychische Hermaphroditismus würde an LeibhaftigHalban 1) sind auch die einzelnen Organverkümmerungen und sekundären Ge schlechtscharaktere in ihrem Auftreten ziemlich unabhängig von einander.
keit gewinnen, wenn mit der Inversion des Sexualobjekts wenigstens ein Umschlag der sonstigen seelischen Eigenschaften, Triebe und Charakterzüge in die fürs andere Geschlecht be zeichnende Abänderung parallel liefe. Allein eine solche Charakterinversion darf man mit einiger Regelmäßigkeit nur bei den invertierten Frauen erwarten, bei den Männern ist die vollste seelische Männlichkeit mit der Inversion vereinbar. Hält man an der Aufstellung eines seelischen Hermaphroditis mus fest, so muß man hinzufügen, daß dessen Äußerungen auf verschiedenen Gebieten eine nur geringe gegenseitige Bedingtheit erkennen lassen. Das gleiche gilt übrigens auch für das somatische Zwittertum; nach § 74Die Bisexualitätslehre ist in ihrer rohesten Form vonv. Krafft-Ebings scheint exakter gefaßt als der Ulrichs’, ist aber im Wesen von ihm nicht verschieden. v. Krafft-Ebing meint, daß die bisexuelle Anlage dem Individuum ebenso männliche und weibliche Gehirnzentren mitgibt wie somatische Geschlechtsorgane. Diese Zentren entwickeln sich erst zur Zeit der Pubertät, zumeist unter dem Einflusse der von ihnen in der Anlage unabhängigen Ge schlechtsdrüse. Von den männlichen und weiblichen »Zentren« gilt aber dasselbe wie vom männlichen und weiblichen Gehirn, und nebenbei wissen wir nicht einmal, ob wir für die Ge schlechtsfunktionen abgegrenzte Gehirnstellen (»Zentren«) wie etwa für die Sprache annehmen dürfen.
einem Wortführer der männlichen Invertierten ausgesprochen worden: Weibliches Gehirn im männlichen Körper. Allein wir kennen die Charaktere eines »weiblichen Gehirns« nicht. Der Ersatz des psychologischen Problems durch das anato mische ist ebenso müßig wie unberechtigt. Der Erklärungs versuch 1) J. Halban, Die Entstehung der Geschlechtscharaktere. Archiv für Gynäkologie. Bd. 70, 1903. Siehe dort auch die Literatur des Gegenstandes. § 75Zwei Gedanken bleiben nach diesen Erörterungen immer 1)
hin bestehen; daß auch für die Inversion eine bisexuelle Ver anlagung in Betracht kommt, nur daß wir nicht wissen, worin diese Anlage über die anatomische Gestaltung hinaus besteht, und daß es sich um Störungen handelt, welche den Geschlechts trieb in seiner Entwicklung betreffen.§ 76Sexualobjekt
der Invertierten. § 77Die Theorie des psychischen Hermaphroditismus setzt
voraus, daß das Sexualobjekt des Invertierten das dem nor malen entgegengesetzte sei. Der invertierte Mann unterliege wie das Weib dem Zauber, der von den männlichen Eigen schaften des Körpers und der Seele ausgeht, er fühle sich selbst als Weib und suche den Mann. 1) Der erste, der zur Erklärung der Inversion die Bisexualität herangezogen, soll (nach einem Literaturbericht im 6. Band des Jahr buches für sexuelle Zwischenstufen) E. Gley gewesen sein, der einen Aufsatz (Les abérrations de l'instinct sexuel) schon im Jänner 1884 in der Revue philosophique veröffentlichte. — Es ist übrigens bemerkenswert, daß die Mehrzahl der Autoren, welche die Inversion auf Bisexualität zurückführen, dieses Moment nicht allein für die In vertierten, sondern für alle Normalgewordenen zur Geltung bringen und folgerichtig die Inversion als das Ergebnis einer Entwicklungs störung auffassen. So bereits Chevalier (Inversion sexuelle, 1893). v. Krafft-Ebing (Zur Erklärung der konträren Sexualempfindung, Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie XIII. Bd.) spricht davon, daß eine Fülle von Beobachtungen bestehen, »aus denen sich mindestens die virtuelle Fortexistenz dieses zweiten Zentrums (des unterlegenen Geschlechtes) ergibt.« Ein Dr. Arduin (Die Frauenfrage und die sexuellen Zwischenstufen) stellt im zweiten Band des Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen 1900 die Behauptung auf: »daß in jedem Menschen männliche und weibliche Elemente vorhanden sind (vgl. dieses Jahrbuch, Bd. I, 1899: »Die objektive Diagnose der Homo sexualität von Dr. M. Hirschfeld, S. 8-9 u. f.), nur — der Ge schlechtszugehörigkeit entsprechend — die einen unverhältnismäßig stärker entwickelt als die anderen, soweit es sich um heterosexuelle Personen handelt ....« — Für G. Herman (Genesis, das Gesetz der Zeugung, 9. Bd. Libido und Mania, 1903) steht es fest, »daß in jedem Weibe männliche, in jedem Manne weibliche Keime und Eigen schaften enthalten sind« usw. 1906 hat dann W. Fliess (»Der Ablauf des Lebens«) einen Eigentumsanspruch auf die Idee der Bisexualität (im Sinne einer Zweigeschlechtigkeit erhoben. § 78Aber wiewohl dies für eine ganze Reihe von Invertierten 1)
zutrifft, so ist es doch weit entfernt, einen allgemeinen Charak ter der Inversion zu verraten. Es ist kein Zweifel, daß ein großer Teil der männlichen Invertierten den psychischen Charakter der Männlichkeit bewahrt hat, verhältnismäßig wenig sekundäre Charaktere des anderen Geschlechtes an sich trägt und in seinem Sexualobjekt eigentlich weibliche psychi sche Züge sucht. Wäre dies anders, so bliebe es unverständlich, wozu die männliche Prostitution, die sich den Invertierten anbietet — heute wie im Altertum —, in allen Äußerlichkeiten der Kleidung und Haltung die Weiber kopiert; diese Nach ahmung müßte ja sonst das Ideal der Invertierten beleidigen. Bei den Griechen, wo die männlichsten Männer unter den Invertierten erscheinen, ist es klar, daß nicht der männliche Charakter des Knaben, sondern seine körperliche Annäherung an das Weib sowie seine weiblichen seelischen Eigenschaften, Schüchternheit, Zurückhaltung, Lern- und Hilfsbedürftigkeit die Liebe des Mannes entzündeten. Sobald der Knabe ein Mann wurde, hörte er auf, ein Sexualobjekt für den Mann zu sein, und wurde etwa selbst ein Knabenliebhaber. Das Sexualobjekt ist also in diesem Falle, wie in vielen anderen, nicht das gleiche Geschlecht, sondern die Vereinigung beider Geschlechtscharaktere, das Kompromiß etwa zwischen einer Regung, die nach dem Manne, und einer, die nach dem Weibe verlangt, mit der festgehaltenen Bedingung der Männlichkeit des Körpers (der Genitalien), sozusagen die Spiegelung der eigenen bisexuellen Natur. 1) Die Psychoanalyse hat bisher zwar keine volle Aufklärung über die Herkunft der Inversion gebracht, aber doch den psychischen Mechanismus ihrer Entstehung aufgedeckt und die in Betracht kom menden Fragestellungen wesentlich bereichert. Wir haben bei allen untersuchten Fällen festgestellt, daß die später Invertierten in den ersten Jahren ihrer Kindheit eine Phase von sehr intensiver, aber kurzlebiger Fixierung an das Weib (meist an die Mutter) durchmachen, nach deren Überwindung sie sich mit dem Weib identifizieren und sich selbst zum Sexualobjekt nehmen, d. h. vom Narzißmus ausgehend jugendliche und der eigenen Person ähnliche Männer aufsuchen, die sie so lieben wollen, wie die Mutter sie geliebt hat. Wir haben ferner sehr häufig gefunden, daß angeblich Invertierte gegen den Reiz des Weibes keineswegs unempfindlich waren, sondern die durch das Weib hervorgerufene Erregung fortlaufend auf ein männliches Objekt trans ponierten. Sie wiederholten so während ihres ganzen Lebens den Mechanismus, durch welchen ihre Inversion entstanden war. Ihr zwanghaftes Streben nach dem Manne erwies sich als bedingt durch ihre ruhelose Flucht vor dem Weibe. Die psychoanalytische Forschung widersetzt sich mit aller Ent schiedenheit dem Versuche, die Homosexuellen als eine besonders geartete Gruppe von den anderen Menschen abzutrennen. Indem sie auch andere als die manifest kundgegebenen Sexualerregungen studiert, erfährt sie, daß alle Menschen der gleichgeschlechtlichen Objektwahl fähig sind und dieselbe auch im Unbewußten vollzogen haben. Ja die Bindungen libidinöser Gefühle an Personen des gleichen Ge § 79Eindeutiger sind die Verhältnisse beim Weibe, wo die
aktiv Invertierten besonders häufig somatische und seelische Charaktere des Mannes an sich tragen und das Weibliche von ihrem Sexualobjekt verlangen, wiewohl auch hier sich bei näherer Kenntnisnahme größere Buntheit herausstellen dürfte. § 80Sexualziel
der Invertierten. § 81Die wichtige festzuhaltende Tatsache ist, daß das Sexual
ziel bei der Inversion keineswegs einheitlich genannt werden kann. Bei Männern fällt Verkehr per anum durchaus nicht mit Inversion zusammen; Masturbation ist ebenso häufig das ausschließliche Ziel und Einschränkungen des Sexualzieles — bis zur bloßen Gefühlsergießung — sind hier sogar häufiger als bei der heterosexuellen Liebe. Auch bei Frauen sind die Sexualziele der Invertierten mannigfaltig; darunter scheint die Berührung mit der Mundschleimhaut bevorzugt. § 82Schluß
folgerung. § 83Wir sehen uns zwar außer stande, die Entstehung der
Inversion aus dem bisher vorliegenden Material befriedigend aufzuklären, können aber merken, daß wir bei dieser Unter suchung zu einer Einsicht gelangt sind, die uns bedeut samer werden kann als die Lösung der obigen Aufgabe. Wir werden aufmerksam gemacht, daß wir uns die Verknüpfung des Sexualtriebes mit dem Sexualobjekt als eine zu innige vorgestellt haben. Die Erfahrung an den für abnorm ge haltenen Fällen lehrt uns, daß hier zwischen Sexualtrieb und Sexualobjekt eine Verlötung vorliegt, die wir bei der Gleich § 84B. Geschlechtsunreife und Tiere als Sexualobjekte.
§ 85Während die Personen, deren Sexualobjekt nicht dem
normalerweise dazu geeigneten Geschlechte angehören, die Invertierten also, dem Beobachter als eine gesammelte Anzahl von sonst vielleicht vollwertigen Individuen entgegentreten, erscheinen die Fälle, in denen geschlechtsunreife Personen (Kinder) zu Sexualobjekten erkoren werden, von vorneherein als vereinzelte Verirrungen. Nur ausnahmsweise sind Kinder die ausschließlichen Sexualobjekte; zumeist gelangen sie zu dieser Rolle, wenn ein feige und impotent gewordenes Indivi duum sich zu solchem Surrogat versteht, oder ein impulsiver (unaufschiebbarer) Trieb sich zurzeit keines geeigneteren Ob jekts bemächtigen kann. Immerhin wirft es ein Licht auf die Natur des Geschlechtstriebes, daß er so viel Variation und solche Herabsetzung seines Objekts zuläßt, was der Hunger, der sein Objekt weit energischer festhält, nur im äußersten Falle gestatten würde. Eine ähnliche Bemerkung gilt für den besonders unter dem Landvolke gar nicht seltenen sexuellen Verkehr mit Tieren, wobei sich etwa die Geschlechtsanziehung über die Artschranke hinwegsetzt. § 86Aus ästhetischen Gründen möchte man gern diese wie
andere schwere Verirrungen des Geschlechtstriebes den Geistes kranken zuweisen, aber dies geht nicht an. Die Erfahrung lehrt, daß man bei diesen letzteren keine anderen Störungen des Geschlechtstriebes beobachtet als bei Gesunden, ganzen Rassen und Ständen. So findet sich sexueller Mißbrauch von Kindern mit unheimlicher Häufigkeit bei Lehrern und Warte personen, bloß weil sich diesen die beste Gelegenheit dazu bietet. Die Geisteskranken zeigen die betreffende Verirrung nur etwa gesteigert, oder, was besonders bedeutsam ist, zur Ausschließlichkeit erhoben und an Stelle der normalen Sexual befriedigung gerückt. § 87Dieses sehr merkwürdige Verhältnis der sexuellen Varia
tionen zur Stufenleiter von der Gesundheit bis zur Geistes störung gibt zu denken. Ich würde meinen, die zu erklärende Tatsache wäre ein Hinweis darauf, daß die Regungen des Ge schlechtslebens zu jenen gehören, die auch normalerweise von den höheren Seelentätigkeiten am schlechtesten beherrscht werden. Wer in sonst irgend einer Beziehung geistig abnorm ist, in sozialer, ethischer Hinsicht, der ist es nach meiner Er fahrung regelmäßig in seinem Sexualleben. Aber viele sind abnorm im Sexualleben, die in allen anderen Punkten dem Durchschnitt entsprechen, die menschliche Kulturentwicklung, deren schwacher Punkt die Sexualität bleibt, in ihrer Person mitgemacht haben. § 88Als allgemeinstes Ergebnis dieser Erörterungen würden 1)
wir aber die Einsicht herausgreifen, daß unter einer großen Anzahl von Bedingungen und bei überraschend viel Indivi duen die Art und der Wert des Sexualobjekts in den Hinter grund treten. Etwas anderes ist am Sexualtrieb das Wesent liche und Konstante.§ 892. Abweichungen in Bezug auf das Sexualziel.
§ 90Als normales Sexualziel gilt die Vereinigung der GeniPerversionen beschrieben hat. Es werden nämlich gewisse intermediäre (auf dem Wege zur Be gattung liegende) Beziehungen zum Sexualobjekt, wie das Beta sten und Beschauen desselben, als vorläufige Sexualziele an erkannt. Diese Betätigungen sind einerseits selbst mit Lust ver bunden, anderseits steigern sie die Erregung, welche bis zur Erreichung des endgültigen Sexualzieles andauern soll. Eine bestimmte dieser Berührungen, die der beiderseitigen Lippen schleimhaut, hat ferner als Kuß bei vielen Völkern (die höchst zivilisierten darunter) einen hohen sexuellen Wert erhalten, obwohl die dabei in Betracht kommenden Körperteile nicht dem Geschlechtsapparat angehören, sondern den Eingang zum Verdauungskanal bilden. Hiemit sind also Momente gegeben, welche die Perversionen an das normale Sexualleben anknüpfen lassen und auch zur Einteilung derselben verwendbar sind. Die Perversionen sind entweder a) anatomische Überschrei tungen der für die geschlechtliche Vereinigung bestimmten Körpergebiete oder b) Verweilungen bei den intermediären Relationen zum Sexualobjekt, die normalerweise auf dem Wege zum endgültigen Sexualziel rasch durchschritten werden sollen.
talien in dem als Begattung bezeichneten Akte, der zur Lösung der sexuellen Spannung und zum zeitweiligen Erlöschen des Sexualtriebes führt (Befriedigung analog der Sättigung beim Hunger). Doch sind bereits am normalsten Sexualvor gang jene Ansätze kenntlich, deren Ausbildung zu den Abirrun gen führt, die man als 1) Der eingreifendste Unterschied zwischen dem Liebesleben der Alten Welt und dem unsrigen liegt wohl darin, daß die Antike den Akzent auf den Trieb selbst, wir aber auf dessen Objekt verlegen. Die Alten feierten den Trieb und waren bereit, auch ein minderwerti ges Objekt durch ihn zu adeln, während wir die Triebbetätigung an sich geringschätzen und sie nur durch die Vorzüge des Objekts ent schuldigen lassen. § 91a) Anatomische Überschreitungen.
§ 92Überschätzung
des Sexualobjekts. § 93Die psychische Wertschätzung, deren das Sexualobjekt als 1)1)
Wunschziel des Sexualtriebes teilhaftig wird, beschränkt sich in den seltensten Fällen auf dessen Genitalien, sondern greift auf den ganzen Körper desselben über und hat die Tendenz, alle vom Sexualobjekt ausgehenden Sensationen miteinzube ziehen. Die gleiche Überschätzung strahlt auf das psychische Gebiet aus und zeigt sich als logische Verblendung (Urteils schwäche) angesichts der seelischen Leistungen und Vollkom menheiten des Sexualobjekts sowie als gläubige Gefügigkeit gegen die von letzterem ausgehenden Urteile. Die Gläubigkeit der Liebe wird so zu einer wichtigen, wenn nicht zur uran fänglichen Quelle der Autorität. 1) Ich kann mir nicht versagen, hiebei an die gläubige Gefügig keit der Hypnotisierten gegen ihren Hypnotiseur zu erinnern, welche mich vermuten läßt, daß das Wesen der Hypnose in die unbewußte Fixierung der Libido auf die Person des Hypnotiseurs (vermittels der masochistischen Komponente des Sexualtriebes) zu verlegen ist. S. Ferenczi hat diesen Charakter der Suggerierbarkeit mit dem »Elternkomplex« verknüpft. (Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen. I. 1909.) § 94Diese Sexualüberschätzung ist es nun, welche sich mit der 1)1) Bei der Ausbildung dieser höchst mannigfaltigen anatomischen Über schreitungen ist ein Bedürfnis nach Variation unverkennbar, welches Hoche als Reizhunger bezeichnet hat. 2)2)
Einschränkung des Sexualzieles auf die Vereinigung der eigent lichen Genitalien so schlecht verträgt und Vornahmen an anderen Körperteilen zu Sexualzielen erheben hilft.§ 95Die Bedeutung des Momentes der Sexualüberschätzung
läßt sich am ehesten beim Manne studieren, dessen Liebesleben allein der Erforschung zugänglich geworden ist, während das des Weibes zum Teil infolge der Kulturverkümmerung, zum anderen Teil durch die konventionelle Verschwiegenheit und Unaufrichtigkeit der Frauen in ein noch undurchdringliches Dunkel gehüllt ist. § 96Sexuelle
Verwendung der Lippen-Mund Schleimhaut. § 97Die Verwendung des Mundes als Sexualorgan gilt als PerEkelgefühl nach, welches ihn vor der Annahme eines solchen Sexualzieles schützt. Die Grenze dieses Ekels ist aber häufig rein konventionell; wer etwa mit Inbrunst die Lippen eines schönen Mädchens küßt, wird viel leicht das Zahnbürstchen desselben nur mit Ekel gebrauchen können, wenngleich kein Grund zur Annahme vorliegt, daß seine eigene Mundhöhle, vor der ihm nicht ekelt, reinlicher sei als die des Mädchens. Man wird hier auf das Moment des Ekels aufmerksam, welches der libidinösen Überschätzung des Sexualobjekts in den Weg tritt, seinerseits aber durch die Libido überwunden werden kann. In dem Ekel möchte man eine der Mächte erblicken, welche die Einschränkung des Sexualzieles zu stande gebracht haben. In der Regel machen diese vor den Genitalien selbst Halt. Es ist aber kein Zwei fel, daß auch die Genitalien des anderen Geschlechts an und für sich Gegenstand des Ekels sein können, und daß dies Verhalten zur Charakteristik aller Hysterischen (zumal der weiblichen) gehört. Die Stärke des Sexualtriebes liebt es, sich in der Überwindung dieses Ekels zu betätigen. (S. u.)
version, wenn die Lippen (Zunge) der einen Person mit den Genitalien der anderen in Berührung gebracht werden, nicht aber, wenn beider Teile Lippenschleimhäute einander berühren. In letzterer Ausnahme liegt die Anknüpfung ans Normale. Wer die anderen wohl seit den Urzeiten der Menschheit gebräuch lichen Praktiken als Perversionen verabscheut, der gibt da bei einem deutlichen 1) Es ist indes zu bemerken, daß die Sexualüberschätzung nicht bei allen Mechanismen der Objektwahl ausgebildet wird, und daß wir späterhin eine andere und direktere Erklärung für die sexuelle Rolle der anderen Körperteile kennen lernen werden. 2) Weitere Erwägungen führen zum Schlusse, daß J. Bloch das Moment des Reizhungers in seiner theoretischen Bedeutung über schätzt hat. Die verschiedenen Wege, auf denen die Libido wandelt, verhalten sich zueinander von Anfang an wie kommunizierende Röhren, und man muß dem Phänomen der Kollateralströmung Rechnung tragen. § 98Sexuelle
Verwendung der Afteröffnung. § 99Klarer noch als im früheren Falle erkennt man bei der
Inanspruchnahme des Afters, daß es der Ekel ist, welcher dieses Sexualziel zur Perversion stempelt. Man lege mir aber die Bemerkung nicht als Parteinahme aus, daß die Begründung dieses Ekels, diese Körperpartie diene der Exkretion und komme mit dem Ekelhaften an sich — den Exkrementen — in Berührung, nicht viel stichhaltiger ist als etwa die Begründung, welche hysterische Mädchen für ihren Ekel vor dem männ lichen Genitale abgeben: es diene der Harnentleerung. § 100Die sexuelle Rolle der Afterschleimhaut ist keineswegs
auf den Verkehr zwischen Männern beschränkt, ihre Bevor zugung hat nichts für das invertierte Fühlen Charakteristisches. Es scheint im Gegenteil, daß die Pädicatio des Mannes ihre Rolle der Analogie mit dem Akt beim Weibe verdankt, wäh rend gegenseitige Masturbation das Sexualziel ist, welches sich beim Verkehr Invertierter am ehesten ergibt. § 101Bedeutung
anderer Körperstellen. § 102Das sexuelle Übergreifen auf andere Körperstellen bietet
in all seinen Variationen nichts prinzipiell Neues, fügt nichts zur Kenntnis des Sexualtriebes hinzu, der hierin nur seine Absicht verkündet, sich des Sexualobjekts nach allen Rich tungen zu bemächtigen. Neben der Sexualüberschätzung meldet sich aber bei den anatomischen Überschreitungen ein zweites, der populären Kenntnis fremdartiges Moment. Gewisse Körper stellen, wie die Mund- und Afterschleimhaut, die immer wieder in diesen Praktiken auftreten, erheben gleichsam den Anspruch, selbst als Genitalien betrachtet und behandelt zu werden. Wir werden hören, wie dieser Anspruch durch die Entwicklung des Sexualtriebes gerechtfertigt, und wie er in der Symptomato logie gewisser Krankheitszustände erfüllt wird. § 103Ungeeigneter
Ersatz des Sexualobjektes —Fetischismus. § 104Einen ganz besonderen Eindruck ergeben jene Fälle, inSexual überschätzung kennen gelernt hatten, von welchem diese Erscheinungen abhängen, mit denen ein Aufgeben des Sexual zieles verbunden ist.
denen das normale Sexualobjekt ersetzt wird durch ein anderes, das zu ihm in Beziehung steht, dabei aber völlig ungeeignet ist, dem normalen Sexualziel zu dienen. Wir hätten nach den Gesichtspunkten der Einteilung wohl besser getan, diese höchst interessante Gruppe von Abirrungen des Sexualtriebes schon bei den Abweichungen in bezug auf das Sexualobjekt zu er wähnen, verschoben es aber, bis wir das Moment der § 105Der Ersatz für das Sexualobjekt ist ein im allgemeinen
für sexuelle Zwecke sehr wenig geeigneter Körperteil (Fuß, Haar) oder ein unbelebtes Objekt, welches in nachweisbarer Relation mit der Sexualperson, am besten mit der Sexualität derselben, steht. (Stücke der Kleidung, weiße Wäsche.) Dieser Ersatz wird nicht mit Unrecht mit dem Fetisch verglichen, in dem der Wilde seinen Gott verkörpert sieht. § 106Den Übergang zu den Fällen von Fetischismus mit Ver 1) Die Anknüpfung ans Normale wird durch die psychologisch notwendige Überschätzung des Sexual objekts vermittelt, welche unvermeidlich auf alles mit dem selben assoziativ Verbundene übergreift. Ein gewisser Grad von solchem Fetischismus ist daher dem normalen Lieben regelmäßig eigen, besonders in jenen Stadien der Verliebtheit, in welchen das normale Sexualziel unerreichbar oder dessen Erfüllung aufgehoben erscheint.
zicht auf ein normales oder perverses Sexualziel bilden Fälle, in denen eine fetischistische Bedingung am Sexualobjekt er fordert wird, wenn das Sexualziel erreicht werden soll. (Be stimmte Haarfarbe, Kleidung, selbst Körperfehler.) Keine andere ans Pathologische streifende Variation des Sexualtriebes hat soviel Anspruch auf unser Interesse wie diese durch die Sonderbarkeit der durch sie veranlaßten Erscheinungen. Eine gewisse Herabsetzung des Strebens nach dem normalen Sexual ziel scheint für alle Fälle Voraussetzung (exekutive Schwäche des Sexualapparats). 1) Diese Schwäche entspräche der konstitutionellen Voraus setzung. Die Psychoanalyse hat als akzidentelle Bedingung die früh zeitige Sexualeinschüchterung nachgewiesen, welche vom normalen Sexualziel abdrängt und zum Ersatz desselben anregt. " § 107»Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
" Ein Strumpfband meiner Liebeslust !« (Faust.) § 108Der pathologische Fall tritt erst ein, wenn sich das Streben
nach dem Fetisch über solche Bedingung hinaus fixiert und sich an die Stelle des normalen Zieles setzt, ferner wenn sich der Fetisch von der bestimmten Person loslöst, zum alleinigen Sexualobjekt wird. Es sind dies die allgemeinen Bedingungen für das Übergehen bloßer Variationen des Geschlechtstriebes in pathologische Verirrungen. § 109In der Auswahl des Fetisch zeigt sich, wie Binet zuerst behauptet hat und dann später durch zahlreiche Belege er wiesen worden ist, der fortwirkende Einfluß eines zumeist in früher Kindheit empfangenen sexuellen Eindruckes, was man der sprichwörtlichen Haftfähigkeit einer ersten Liebe beim Normalen (»On revient toujours à ses premiers amours«) an die Seite stellen darf. Eine solche Ableitung ist besonders deutlich bei Fällen mit bloß fetischistischer Bedingtheit des Sexualobjekts. Der Bedeutung frühzeitiger sexueller Eindrücke werden wir noch an anderer Stelle begegnen.
§ 110In anderen Fällen ist es eine dem Betroffenen meist nicht 1) ; »Pelz« verdankt seine Fetischrolle wohl der Assoziation mit der Behaarung des Mons veneris); doch scheint auch solche Symbolik nicht immer unabhängig von sexuellen Erlebnissen der Kinderzeit. 1)
bewußte symbolische Gedankenverbindung, welche zum Ersatz des Objekts durch den Fetisch geführt hat. Die Wege dieser Verbindungen sind nicht immer mit Sicherheit nachzuweisen (der Fuß ist ein uraltes sexuelles Symbol, schon im Mythus 1) Dementsprechend der Schuh oder Pantoffel Symbol des weiblichen Genitales. § 111b) Fixierungen von vorläufigen Sexualzielen.
§ 112Auftreten
neuer Absichten. § 113Alle äußeren und inneren Bedingungen, welche das Er
reichen des normalen Sexualzieles erschweren oder in die Ferne rücken (Impotenz, Kostbarkeit des Sexualobjekts, Ge fahren des Sexualaktes), unterstützen wie begreiflich die Neigung, bei den vorbereitenden Akten zu verweilen und neue Sexualziele aus ihnen zu gestalten, die an die Stelle des normalen treten können. Bei näherer Prüfung zeigt sich stets, daß die anscheinend fremdartigsten dieser neuen Absichten doch bereits beim normalen Sexualvorgang angedeutet sind. § 114Betasten
und Beschauen. § 115Ein gewisses Maß von Tasten ist wenigstens für den
Menschen zur Erreichung des normalen Sexualzieles unerläßlich. Auch ist es allgemein bekannt, welche Lustquelle einerseits, welcher Zufluß neuer Erregung anderseits durch die Berührungs empfindungen von der Haut des Sexualobjekts gewonnen wird. Somit kann das Verweilen beim Betasten, falls der Sexualakt überhaupt nur weiter geht, kaum zu den Perversionen gezählt werden. § 116Ähnlich ist es mit dem in letzter Linie vom Tasten ab 1) Ein Verweilen bei diesem intermediären Sexualziel des sexuell betonten Schauens kommt in gewissem Grade den meisten Normalen zu, ja es gibt ihnen die Möglichkeit, einen gewissen Betrag ihrer Libido auf höhere künstlerische Ziele zu richten. Zur Perversion wird die Schaulust im Gegenteil, a) wenn sie sich ausschließlich auf die Genitalien einschränkt, b) wenn sie sich mit der Überwindung des Ekels verbindet (Voyeurs: Zuschauer bei den Exkretionsfunktionen), c) wenn sie das normale Sexualziel, anstatt es vorzubereiten, verdrängt. Letz teres ist in ausgeprägter Weise bei den Exhibitionisten der Fall, die, wenn ich nach einer einzigen Analyse schließen darf, ihre Genitalien zeigen, um als Gegenleistung die Geni talien des anderen Teiles zu Gesicht zu bekommen.
geleiteten Sehen. Der optische Eindruck bleibt der Weg, auf dem die libidinöse Erregung am häufigsten geweckt wird, und auf dessen Gangbarkeit — wenn diese teleologische Be trachtungsweise zulässig ist — die Zuchtwahl rechnet, indem sie das Sexualobjekt sich zur Schönheit entwickeln läßt. Die mit der Kultur fortschreitende Verhüllung des Körpers hält die sexuelle Neugierde wach, welche danach strebt, sich das Sexualobjekt durch Enthüllung der verborgenen Teile zu er gänzen, die aber ins Künstlerische abgelenkt (»sublimiert«) werden kann, wenn man ihr Interesse von den Genitalien weg auf die Körperbildung im ganzen zu lenken vermag. 1) Die Psychoanalyse hat eine der noch vorhandenen Lücken im Verständnis des Fetischismus ausgefüllt, indem sie auf die Be deutung einer durch Verdrängung verloren gegangenen koprophilen Riechlust für die Auswahl des Fetisch hinwies. Fuß und Haar sind stark riechende Objekte, die nach dem Verzicht auf die unlustig ge wordene Geruchsempfindung zu Fetischen erhoben werden. In der dem Fußfetischismus entsprechenden Perversion ist demgemäß nur der schmutzige und übelriechende Fuß das Sexualobjekt. Ein anderer Beitrag zur Aufklärung der fetischistischen Bevorzugung des Fußes ergibt sich aus den infantilen Sexualtheorien. (S. u.) Der Fuß ersetzt den schwer vermißten Penis des Weibes. In manchen Fällen von Fußfetischismus ließ sich zeigen, daßSchautrieb, der seinem Objekt von unten her nahe kommen wollte, durch Verbot und Verdrängung auf dem Wege aufgehalten wurde, und darum Fuß oder Schuh als Fetisch festhielt. Das weibliche Genitale wurde dabei, der infantilen Erwartung entsprechend, als ein männliches vorgestellt. der ursprünglich auf das Genitale gerichtete § 117Bei der Perversion, deren Streben das Schauen undaktiver und in passiver Form.
Beschautwerden ist, tritt ein sehr merkwürdiger Charakter hervor, der uns bei der nächstfolgenden Abirrung noch inten siver beschäftigen wird. Das Sexualziel ist hiebei nämlich in zweifacher Ausbildung vorhanden, in § 118Die Macht, welche der Schaulust entgegensteht und evenScham (wie vorhin der Ekel).
tuell durch sie aufgehoben wird, ist die 1) Es scheint mir unzweifelhaft, daß der Begriff des »Schönen« auf dem Boden der Sexualerregung wurzelt und ursprünglich das sexuell Reizende (»Die Reize«) bedeutet. Um so merkwürdiger, daß wir die Genitalien selbst, deren Anblick die stärkste sexuelle Erregung hervorruft, eigentlich niemals »schön« finden können. § 119Sadismus und
Masochismus. § 120Die Neigung, dem Sexualobjekt Schmerz zuzufügen undv. Krafft-Ebing als Sadismus und Masochismus (passiv) benannt worden. Andere Autoren ziehen die engere Bezeichnung Algolagnie vor, welche die Lust am Schmerz, die Grausamkeit, betont, während bei den Namen, die v. Krafft-Ebing gewählt hat, die Lust an jeder Art von Demütigung und Unterwerfung in den Vorder grund gestellt wird.
ihr Gegenstück, diese häufigste und bedeutsamste aller Per versionen, ist in ihren beiden Gestaltungen, der aktiven und der passiven, von § 121Für die aktive Algolagnie, den Sadismus, sind die WurzelnAggression, von Neigung zur Überwältigung, deren biologische Bedeutung in der Not wendigkeit liegen dürfte, den Widerstand des Sexualobjekts noch anders als durch die Akte der Werbung zu überwinden. Der Sadismus entspräche dann einer selbständig gewordenen, übertriebenen, durch Verschiebung an die Hauptstelle gerückten aggressiven Komponente des Sexualtriebes.
im Normalen leicht nachzuweisen. Die Sexualität der meisten Männer zeigt eine Beimengung von § 122Der Begriff des Sadismus schwankt im Sprachgebrauch
von einer bloß aktiven, sodann gewalttätigen, Einstellung gegen das Sexualobjekt bis zur ausschließlichen Bindung der Befrie digung an die Unterwerfung und Mißhandlung desselben. Strenge genommen hat nur der letztere extreme Fall Anspruch auf den Namen einer Perversion. § 123In ähnlicher Weise umfaßt die Bezeichnung Masochismus
alle passiven Einstellungen zum Sexualleben und Sexualobjekt, als deren äußerste die Bindung der Befriedigung an das Er leiden von physischem oder seelischem Schmerz von seiten des Sexualobjekts erscheint. Der Masochismus als Perversion scheint sich vom normalen Sexualziel weiter zu entfernen als sein Gegenstück; es darf bezweifelt werden, ob er jemals primär auftritt oder nicht vielmehr regelmäßig durch Um bildung aus dem Sadismus entsteht. Häufig läßt sich er kennen, daß der Masochismus nichts anderes ist als eine Fort setzung des Sadismus in Wendung gegen die eigene Person, welche dabei zunächst die Stelle des Sexualobjekts vertritt. Die klinische Analyse extremer Fälle von masochistischer Perversion führt auf das Zusammenwirken einer großen Reihe von Momenten, welche die ursprüngliche passive Sexualein stellung übertreiben und fixieren. (Kastrationskomplex, Schuldbewußtsein.) § 124Der Schmerz, der hiebei überwunden wird, reiht sich
dem Ekel und der Scham an, die sich der Libido als Wider stände entgegengestellt hatten. § 125Sadismus und Masochismus nehmen unter den Perver
sionen eine besondere Stellung ein, da der ihnen zu Grunde liegende Gegensatz von Aktivität und Passivität zu den allgemeinen Charakteren des Sexuallebens gehört. § 126Daß Grausamkeit und Sexualtrieb innigst zusammen 1) Es ist auch behauptet worden, daß jeder Schmerz an und für sich die Möglichkeit einer Lustempfindung enthalte. Wir wollen uns mit dem Eindruck begnügen, daß die Aufklärung dieser Perversion keineswegs befriedigend gegeben ist, und daß möglicherweise hiebei mehrere seelische Strebungen sich zu einem Effekt vereinigen.
gehören, lehrt die Kulturgeschichte der Menschheit über jeden Zweifel, aber in der Aufklärung dieses Zusammenhanges ist man über die Betonung des aggressiven Moments der Libido nicht hinausgekommen. Nach einigen Autoren ist diese dem Sexualtrieb beigemengte Aggression eigentlich ein Rest kanni-. balischer Gelüste, also eine Mitbeteiligung des Bemächtigungs apparats, welcher der Befriedigung des anderen, ontogenetisch älteren, großen Bedürfnisses dient.§ 127Die auffälligste Eigentümlichkeit dieser Perversion liegt 1)
aber darin, daß ihre aktive und ihre passive Form regelmäßig bei der nämlichen Person mitsammen angetroffen werden. Wer Lust daran empfindet, anderen Schmerz in sexueller Relation zu erzeugen, der ist auch befähigt, den Schmerz als Lust zu genießen, der ihm aus sexuellen Beziehungen erwachsen kann. Ein Sadist ist immer auch gleichzeitig ein Masochist, wenn gleich die aktive oder die passive Seite der Perversion bei ihm stärker ausgebildet sein und seine vorwiegende sexuelle Betätigung darstellen kann. 1) Vgl. hiezu die spätere Mitteilung über die prägenitalen Phasen der Sexualentwicklung, in welcher diese Ansicht bestätigt wird. § 128Wir sehen so gewisse der Perversionsneigungen regelGegensatzpaare auftreten, was mit Hinblick auf später beizubringendes Material eine hohe theoretische Bedeutung beanspruchen darf. 2) Es ist ferner einleuchtend, daß die Existenz des Gegensatzpaares Sadismus — Masochis mus aus der Aggressionsbeimengung nicht ohne weiteres ab leitbar ist. Dagegen wäre man versucht, solche gleichzeitig vorhandene Gegensätze mit dem in der Bisexualität vereinten Gegensatz von männlich und weiblich in Beziehung zu setzen, dessen Bedeutung in der Psychoanalyse auf den Gegensatz von aktiv und passiv reduziert ist.
mäßig als § 1293. Allgemeines über alle Perversionen.
§ 130Variation
und Krankheit. § 131Die Ärzte, welche die Perversionen zuerst an ausgeprägten
Beispielen und unter besonderen Bedingungen studiert haben, sind natürlich geneigt gewesen, ihnen den Charakter eines Krankheits- oder Degenerationszeichens zuzusprechen, ganz ähnlich wie bei der Inversion. Indes ist es hier leichter als dort, diese Auffassung abzulehnen. Die alltägliche Erfahrung hat gezeigt, daß die meisten dieser Überschreitungen, we nigstens die minder argen unter ihnen, einen selten fehlenden Bestandteil des Sexuallebens der Gesunden bilden und von ihnen wie andere Intimitäten auch beurteilt werden. Wo die Verhältnisse es begünstigen, kann auch der Normale eine solche Perversion eine ganze Zeit lang an die Stelle des normalen Sexualzieles setzen oder ihr einen Platz neben diesem einräumen. Bei keinem Gesunden dürfte irgend ein pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen, und diese Allgemeinheit genügt für sich allein, um die Un zweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun. Gerade auf dem Gebiete des Sexual lebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will. 1) Anstatt vieler Belege für diese Behauptung zitiere ich nur die eine Stelle aus Havelock Ellis (Das Geschlechtsgefühl 1903). »Alle bekannten Fälle von Sadismus und Masochismus, selbst die von v. Krafft-Ebing zitierten, zeigen beständig (wie schon Colin, Scott und Féré nachgewiesen) Spuren beider Gruppen von Er scheinungen an ein und demselben Individuum.« 2) Vgl. die spätere Erwähnung der »Ambivalenz«. § 132Bei manchen dieser Perversionen ist immerhin die Qualität
des neuen Sexualzieles eine solche, daß sie nach besonderer Würdigung verlangt. Gewisse der Perversionen entfernen sich inhaltlich so weit vom Normalen, daß wir nicht umhin können, sie für »krankhaft« zu erklären, insbesondere jene, in denen der Sexualtrieb in der Überwindung der Widerstände (Scham, Ekel, Grauen, Schmerz) erstaunliche Leistungen vollführt. (Kotlecken, Leichenmißbrauch.) Doch darf man auch in diesen Fällen sich nicht der sicheren Erwartung hin geben, in den Tätern regelmäßig Personen mit andersartigen schweren Abnormitäten oder Geisteskranke zu entdecken. Man kommt auch hier nicht über die Tatsache hinaus, daß Per sonen, die sich sonst normal verhalten, auf dem Gebiete des Sexuallebens allein, unter der Herrschaft des ungezügeltsten aller Triebe, sich als Kranke dokumentieren. Manifeste Ab normität in anderen Lebensrelationen pflegt hingegen jedes mal einen Hintergrund von abnormem sexuellen Verhalten zu zeigen. § 133In der Mehrzahl der Fälle können wir den Charakter desneben dem Normalen (Sexualziel und Objekt) auftritt, wo günstige Umstände die selbe fördern und ungünstige das Normale verhindern, sondern wenn sie das Normale unter allen Umständen verdrängt und ersetzt hat; — in der Ausschließlichkeit und in der Fixierung also der Perversion sehen wir zu allermeist die Berechtigung, sie als ein krankhaftes Symptom zu beurteilen.
Krankhaften bei der Perversion nicht im Inhalt des neuen Sexualzieles, sondern in dessen Verhältnis zum Normalen finden. Wenn die Perversion nicht § 134Die seelische
Beteiligung bei den Perversionen. § 135Vielleicht gerade bei den abscheulichsten Perversionen
muß man die ausgiebigste psychische Beteiligung zur Um wandlung des Sexualtriebes anerkennen. Es ist hier ein Stück seelischer Arbeit geleistet, dem man trotz seines greulichen Erfolges den Wert einer Idealisierung des Triebes nicht ab sprechen kann. Die Allgewalt der Liebe zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in diesen ihren Verirrungen. Das Höchste und das Niedrigste hängen in der Sexualität überall am innigsten an einander (»Vom Himmel durch die Welt zur Hölle«). § 136Zwei
Ergebnisse. § 137Bei dem Studium der Perversionen hat sich uns die Ein 1)
sicht ergeben, daß der Sexualtrieb gegen gewisse seelische Mächte als Widerstände anzukämpfen hat, unter denen Scham und Ekel am deutlichsten hervorgetreten sind. Es ist die Vermutung gestattet, daß diese Mächte daran beteiligt sind, den Trieb innerhalb der als normal geltenden Schranken zu bannen, und wenn sie sich im Individuum früher entwickelt haben, ehe der Sexualtrieb seine volle Stärke erlangte, so waren sie es wohl, die ihm die Richtung seiner Entwicklung angewiesen haben.§ 138Wir haben ferner die Bemerkung gemacht, daß einigeVerschmelzungen aufmerksam gemacht, die in dem gleichförmigen normalen Verhalten ihren Ausdruck eingebüßt haben.
der untersuchten Perversionen nur durch das Zusammentreten von mehreren Motiven verständlich werden. Wenn sie eine Analyse — Zersetzung — zulassen, müssen sie zusammen gesetzter Natur sein. Hieraus können wir einen Wink ent nehmen, daß vielleicht der Sexualtrieb selbst nichts Einfaches, sondern aus Komponenten zusammengesetzt ist, die sich in den Perversionen wieder von ihm ablösen. Die Klinik hätte uns so auf § 1394. Der Sexualtrieb bei den Neurotikern.
§ 140Die
Psycho analyse. § 141Einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis des SexualtriebesJ. Breuer und mir 1893 eingesetzte, damals »kathartisch« genannte Heilverfahren bedient.
bei Personen, die den Normalen mindestens nahe stehen, ge winnt man aus einer Quelle, die nur auf einem bestimmten Wege zugänglich ist. Es gibt nur ein Mittel über das Ge schlechtsleben der sogenannten Psychoneurotiker (Hysterie, Zwangsneurose, fälschlich sogenannte Neurasthenie, sicherlich auch Dementia praecox, Paranoia) gründliche und nicht irre leitende Aufschlüsse zu erhalten, nämlich wenn man sie der psychoanalytischen Erforschung unterwirft, deren sich das von 1) Man muß diese die Sexualentwicklung eindämmenden Mächte — Ekel, Scham und Moralität — anderseits auch als historische Nieder schläge der äußeren Hemmungen ansehen, welche der Sexualtrieb in der Psychogenese der Menschheit erfahren hat. Man macht die Be obachtung, daß sie in der Entwicklung des Einzelnen zu ihrer Zeit wie spontan auf die Winke der Erziehung und Beeinflussung hin auf treten. § 142Ich muß vorausschicken, resp. aus anderen Veröffent
lichungen wiederholen, daß diese Psychoneurosen, soweit meine Erfahrungen reichen, auf sexuellen Triebkräften be ruhen. Ich meine dies nicht etwa so, daß die Energie des Sexualtriebes einen Beitrag zu den Kräften liefert, welche die krankhaften Erscheinungen (Symptome) unterhalten, sondern ich will ausdrücklich behaupten, daß dieser Anteil der einzig konstante und die wichtigste Energiequelle der Neurose ist, so daß das Sexualleben der betreffenden Personen sich ent weder ausschließlich oder vorwiegend oder nur teilweise in diesen Symptomen äußert. Die Symptome sind, wie ich es an anderer Stelle ausgedrückt habe, die Sexualbetätigung der Kranken. Den Beweis für diese Behauptung hat mir eine seit zwanzig Jahren sich mehrende Anzahl von Psychoanalysen hysterischer und anderer Nervöser geliefert, über deren Er gebnisse im einzelnen ich an anderen Orten ausführliche Rechenschaft gegeben habe und noch weiter geben werde. § 143Die Psychoanalyse beseitigt die Symptome Hysterischerdie Verdrän gung) der Zugang zur Erledigung durch bewußtseinsfähige psychische Tätigkeit versagt worden ist. Diese also im Zu stande der Unbewußten zurückgehaltenen Gedankenbildungen streben nach einem ihrem Affektwert gemäßen Ausdruck, einer Abfuhr, und finden eine solche bei der Hysterie durch den Vorgang der Konversion in somatischen Phänomenen — eben den hysterischen Symptomen. Bei der kunstgerechten, mit Hilfe einer besonderen Technik durchgeführten Rück verwandlung der Symptome in nun bewußt gewordene, affekt besetzte Vorstellungen, ist man also im stande, über die Natur und die Abkunft dieser früher unbewußten psychischen Bil dungen das Genaueste zu erfahren.
unter der Voraussetzung, daß dieselben der Ersatz — die Transskription gleichsam — für eine Reihe von affektbesetzten seelischen Vorgängen, Wünschen und Strebungen, sind, denen durch einen besonderen psychischen Prozeß (§ 144Ergebnisse der
Psychoanalyse. § 145Es ist auf diese Weise in Erfahrung gebracht worden,Sexualverdrängung erkennen, welches über das normale Maß hinausgeht, eine Steigerung der Widerstände gegen den Sexualtrieb, die uns als Scham, Ekel und Moral bekannt ge worden sind, eine wie instinktive Flucht vor der intellektuellen Beschäftigung mit dem Sexualproblem, welche in ausgeprägten Fällen den Erfolg hat, die volle, sexuelle Unwissenheit noch bis in die Jahre der erlangten Geschlechtsreife zu bewahren. 1)
daß die Symptome einen Ersatz für Strebungen darstellen, die ihre Kraft der Quelle des Sexualtriebes entnehmen. Im vollen Einklange damit steht, was wir über den Charakter der hier zum Muster für alle Psychoneurotiker genommenen Hysteriker vor ihrer Erkrankung und über die Anlässe zur Erkrankung wissen. Der hysterische Charakter läßt ein Stück § 146Dieser für die Hysterie wesentliche Charakterzug wird
für die grobe Beobachtung nicht selten durch das Vorhanden sein des zweiten konstitutionellen Faktors der Hysterie, durch die übermächtige Ausbildung des Sexualtriebes verdeckt, allein die psychologische Analyse weiß ihn jedesmal aufzu decken und die widerspruchsvolle Rätselhaftigkeit der Hysterie durch die Feststellung des Gegensatzpaares von übergroßem sexuellen Bedürfnis und zu weit getriebener Sexualablehnung zu lösen. § 147Der Anlaß zur Erkrankung ergibt sich für die hysterisch
disponierte Person, wenn infolge der fortschreitenden eigenen Reifung oder äußerer Lebensverhältnisse die reale Sexual forderung ernsthaft an sie herantritt. Zwischen dem Drängen des Triebes und dem Widerstreben der Sexualablehnung stellt sich dann der Ausweg der Krankheit her, der den Konflikt nicht löst, sondern ihm durch die Verwandlung der libidi nösen Strebungen in Symptome zu entgehen sucht. Es ist nur eine scheinbare Ausnahme, wenn eine hysterische Person, ein Mann etwa, an einer banalen Gemütsbewegung, an einem Konflikt, in dessen Mittelpunkt nicht das sexuelle Interesse steht, erkrankt. Die Psychoanalyse kann dann regelmäßig nachweisen, daß es die sexuelle Komponente des Konflikts ist, welche die Erkrankung ermöglicht hat, indem sie die seelischen Vorgänge der normalen Erledigung entzog. 1) Studien über Hysterie. 1895. J. Breuer sagt von seiner Pa tientin, an der er die kathartische Methode zuerst geübt hat: »Das sexuale Moment war erstaunlich unentwickelt.« § 148Neurose und
Perversion. § 149Ein guter Teil des Widerspruchs gegen diese meine Aufperverse (im weitesten Sinne) bezeichnen würde, wenn sie sich ohne Ablenkung vom Bewußt sein direkt in Phantasievorsätzen und Taten äußern könnten. Die Symptome bilden sich also zum Teil auf Kosten abnormer Sexualität; die Neurose ist sozusagen das Negativ. der Perversion 1)
stellungen erklärt sich wohl daraus, daß man die Sexualität, von welcher ich die psychoneurotischen Symptome ableite, mit dem normalen Sexualtrieb zusammenfallen ließ. Allein die Psychoanalyse lehrt noch mehr. Sie zeigt, daß die Sym ptome keineswegs allein auf Kosten des sog. normalen Sexual triebes entstehen (wenigstens nicht ausschließlich oder vor wiegend), sondern den konvertierten Ausdruck von Trieben darstellen, welche man als § 150Der Sexualtrieb der Psychoneurotiker läßt alle die Ab
irrungen erkennen, die wir als Variationen des normalen und als Äußerungen des krankhaften Sexuallebens studiert haben: § 151a) Bei allen Neurotikern (ohne Ausnahme) finden sich im unbewußten Seelenleben Regungen von Inversion, Fixierung von Libido auf Personen des gleichen Geschlechts. Ohne tief eindringende Erörterung ist es nicht möglich, die Bedeutung dieses Moments für die Gestaltung des Krankheitsbildes ent sprechend zu würdigen; ich kann nur versichern, daß die unbewußte Inversionsneigung niemals fehlt und insbesondere zur Aufklärung der männlichen Hysterie die größten Dienste leistet. 1)
1) Die klar bewußten Phantasien der Perversen, die unter gün stigen Umständen in Veranstaltungen umgesetzt werden, die in feind lichem Sinne auf andere projizierten Wahnbefürchtungen der Para noiker und die unbewußten Phantasien der Hysteriker, die man durch Psychoanalyse hinter ihren Symptomen aufdeckt, fallen inhaltlich bis in einzelne Details zusammen. § 152b) Es sind bei den Psychoneurotikern alle Neigungen zu den anatomischen Überschreitungen im Unbewußten und als Symptombildner nachweisbar, unter ihnen mit besonderer Häufigkeit und Intensität diejenigen, welche für Mund- und Afterschleimhaut die Rolle von Genitalien in Anspruch nehmen.
§ 153c) Eine ganz hervorragende Rolle unter den Symptom bildnern der Psychoneurosen spielen die zumeist in Gegensatz paaren auftretenden Partialtriebe, die wir als Bringer neuer Sexualziele kennen gelernt haben, der Trieb der Schaulust und der Exhibition und der aktiv und passiv ausgebildete Trieb zur Grausamkeit. Der Beitrag des letzteren ist zum Verständnis der Leidensnatur der Symptome unentbehrlich und beherrscht fast regelmäßig ein Stück des sozialen Verhaltens der Kranken. Vermittels dieser Grausamkeitsverknüpfung der Libido geht auch die Verwandlung von Liebe in Haß, von zärtlichen in feindselige Regungen vor sich, die für eine große Reihe von neurotischen Fällen, ja, wie es scheint, für die Paranoia im ganzen charakteristisch ist.
§ 154Das Interesse an diesen Ergebnissen wird noch durch
einige Besonderheiten des Tatbestandes erhöht, § 155α) Unter den unbewußten Gedankengängen der Neurosen
findet sich nichts, was einer Neigung zum Fetischismus ent spräche; ein Umstand, der wohl Licht wirft auf die psycho logische Besonderheit dieser gut verstandenen Perversion. § 156ß) Wo ein solcher Trieb im Unbewußten aufgefunden wird,
welcher der Paarung mit einem Gegensatze fähig ist, da läßt sich regelmäßig auch dieser letztere als wirksam nachweisen. Jede »aktive« Perversion wird also hier von ihrem passiven Widerpart begleitet; wer im Unbewußten Exhibitionist ist, der ist auch gleichzeitig Voyeur, wer an den Folgen der Ver drängung sadistischer Regungen leidet, bei dem findet sich ein anderer Zuzug zu den Symptomen aus den Quellen masochi stischer Neigung. Die volle Übereinstimmung mit dem Ver halten der entsprechenden »positiven« Perversionen ist gewiß sehr beachtenswert. Im Krankheitsbilde spielt aber die eine oder die andere der gegensätzlichen Neigungen die überwie gende Rolle. 1) Psychoneurose vergesellschaftet sich auch sehr oft mit mani fester Inversion, wobei die heterosexuelle Strömung der vollen Unter drückung zum Opfer gefallen ist. — Ich lasse nur einer mir zu teil gewordenen Anregung Recht widerfahren, wenn ich mitteile, daß erst private Äußerungen von W. Fließ in Berlin mich auf die notwendige Allgemeinheit der Inversionsneigung bei den Psychoneurotikern auf merksam gemacht haben, nachdem ich diese in einzelnen Fällen auf gedeckt hatte. § 157γ) In einem ausgeprägteren Falle von Psychoneurose findet
man nur selten einen einzigen dieser perversen Triebe ent wickelt, meist eine größere Anzahl derselben und in der Regel Spuren von allen; der einzelne Trieb ist aber in seiner Inten sität unabhängig von der Ausbildung der anderen. Auch dazu ergibt uns das Studium der positiven Perversionen das genaue Gegenstück. § 158Partialtriebe und erogene Zonen.
§ 159Halten wir zusammen, was wir aus der Untersuchung derPartialtrieben« zurückzuführen, die aber nichts Primäres sind, sondern eine weitere Zerlegung zulassen. Unter einem »Trieb« können wir zunächst nichts anderes verstehen als die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomati schen Reizquelle, zum Unterschiede vom »Reiz«, der durch vereinzelte und von außen kommende Erregungen hergestellt wird. Trieb ist so einer der Begriffe der Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen. Die einfachste und nächst liegende Annahme über die Natur der Triebe wäre, daß sie an sich keine Qualität besitzen, sondern nur als Maße von Arbeits anforderung für das Seelenleben in Betracht kommen. Was die Triebe von einander unterscheidet und mit spezifischen Eigenschaften ausstattet, ist deren Beziehung zu ihren soma tischen Quellen und ihren Zielen. Die Quelle des Triebes ist ein erregender Vorgang in einem Organ, und das nächste Ziel des Triebes liegt in der Aufhebung dieses Organreizes.
positiven und der negativen Perversionen erfahren haben, so liegt es nahe, dieselben auf eine Reihe von » § 160Eine weitere vorläufige Annahme in der Trieblehre,erogene Zone« des von ihm ausgehenden sexuellen Partialtriebes. 1)
welcher wir uns nicht entziehen können, besagt, daß von den Körperorganen Erregungen von zweierlei Art geliefert werden, die in Differenzen chemischer Natur begründet sind. Die eine dieser Arten von Erregung bezeichnen wir als die spezifisch sexuelle und das betreffende Organ als die »§ 161Bei den Perversionsneigungen, die für Mundhöhle und
Aftereröffnung sexuelle Bedeutung in Anspruch nehmen, ist die Rolle der erogenen Zone ohne weiteres ersichtlich. Die selbe benimmt sich in jeder Hinsicht wie ein Stück des Ge schlechtsapparats. Bei der Hysterie werden diese Körperstellen und die von ihnen ausgehenden Schleimhauttrakte in ganz ähnlicher Weise der Sitz von neuen Sensationen und Innerva tionsänderungen wie die eigentlichen Genitalien unter den Er regungen der normalen Geschlechtsvorgänge. § 162Die Bedeutung der erogenen Zonen als Nebenapparate 1)
und Surrogate der Genitalien tritt unter den Psycho neurosen bei der Hysterie am deutlichsten hervor, womit aber nicht behauptet werden soll, daß sie für die anderen Erkrankungsformen geringer einzuschätzen ist. Sie ist hier nur unkenntlicher, weil sich bei diesen (Zwangsneurose, Paranoia) die Symptombildung in Regionen des seelischen Apparats vollzieht, die weiter ab von den Zentralstellen für die Körperbeherrschung liegen. Bei der Zwangsneurose ist die Bedeutung der Impulse, welche neue Sexualziele schaffen und von erogenen Zonen unabhängig erscheinen, das Auffälligere. Doch entspricht bei der Schau- und Exhi bitionslust das Auge einer erogenen Zone, bei der Schmerz und Grausamkeitskomponente des Sexualtriebes ist es die Haut, welche die gleiche Rolle übernimmt, die Haut, die sich an besonderen Körperstellen zu Sinnesorganen differen ziert und zur Schleimhaut modifiziert hat, also die erogene Zone κατ’ ἐξοχήν. 1) Es ist nicht leicht, diese Annahmen, die aus dem Studium einer bestimmten Klasse von neurotischen Erkrankungen geschöpft sind, hier zu rechtfertigen. Anderseits wird es aber unmöglich, etwas Stichhältiges über die Triebe auszusagen, wenn man sich die Erwäh nung dieser Voraussetzungen erspart. § 163Erklärung des scheinbaren Überwiegens perverser Sexualität
bei den Psychoneurosen.§ 164Durch die vorstehenden Erörterungen ist die Sexualität
der Psychoneurotiker in ein möglicherweise falsches Licht ge rückt worden. Es hat den Anschein bekommen, als näherten sich die Psychoneurotiker in ihrem sexuellen Verhalten der Anlage nach sehr den Perversen und entfernten sich dafür um ebensoviel von den Normalen. Nun ist sehr wohl möglich, daß die konstitutionelle Disposition dieser Kranken außer einem übergroßen Maß von Sexualverdrängung und einer übermäch tigen Stärke des Sexualtriebes eine ungewöhnliche Neigung zur Perversion im weitesten Sinne mitenthält, allein die Unter suchung leichterer Fälle zeigt, daß letztere Annahme nicht unbedingt erforderlich ist, oder daß zum mindesten bei der Beurteilung der krankhaften Effekte die Wirkung eines Faktors in Abzug gebracht werden muß. Bei den meisten Psycho neurotikern tritt die Erkrankung erst nach der Pubertätszeit auf unter der Anforderung des normalen Sexuallebens. Gegen dieses richtet sich vor allem die Verdrängung. Oder spätere Erkrankungen stellen sich her, indem der Libido auf normalem Wege die Befriedigung versagt wird. In beiden Fällen verhält sich die Libido wie ein Strom, dessen Hauptbett verlegt wird; sie füllt die kollateralen Wege aus, die bisher vielleicht leer geblieben waren. Somit kann auch die scheinbar so große (allerdings negative) Perversionsneigung der Psychoneurotiker eine kollateral bedingte, muß jedenfalls eine kollateral erhöhte sein. Die Tatsache ist eben, daß man die Sexualverdrängung als inneres Moment jenen äußeren anreihen muß, welche wie Freiheitseinschränkung, Unzugänglichkeit des normalen Sexual objekts, Gefahren des normalen Sexualaktes usw. Perversio nen bei Individuen entstehen lassen, welche sonst vielleicht normal geblieben wären. 1) Man muß hier der Aufstellung von Moll gedenken, welche den Sexualtrieb in Kontrektations- und Detumeszenztrieb zerlegt. Kontrektation bedeutet ein Bedürfnis nach Hautberührung. § 165In den einzelnen Fällen von Neurose mag es sich hierin
verschieden verhalten, das einemal die angeborene Höhe der Perversionsneigung, das anderemal die kollaterale Hebung derselben durch die Abdrängung der Libido vom normalen Sexualziel und Sexualobjekt das Maßgebendere sein. Es wäre unrecht, eine Gegensätzlichkeit zu konstruieren, wo ein Ko operationsverhältnis vorliegt. Ihre größten Leistungen wird die Neurose jedesmal zu stande bringen, wenn Konstitution und Erleben in demselben Sinne zusammenwirken. Eine ausge sprochene Konstitution wird etwa der Unterstützung durch die Lebenseindrücke entbehren können, eine ausgiebige Erschütte rung im Leben etwa die Neurose auch bei durchschnittlicher Konstitution zu stande bringen. Diese Gesichtspunkte gelten übrigens in gleicher Weise für die ätiologische Bedeutung von Angeborenem und akzidentell Erlebtem auch auf anderen Gebieten. § 166Bevorzugt man die Annahme, daß eine besonders aus
gebildete Neigung zu Perversionen doch zu den Eigentüm lichkeiten der psychoneurotischen Konstitution gehört, so eröff net sich die Aussicht, je nach dem angeborenen Vorwiegen dieser oder jener erogenen Zone, dieses oder jenes Partial triebes, eine Mannigfaltigkeit solcher Konstitutionen unter scheiden zu können. Ob der perversen Veranlagung eine besondere Beziehung zur Auswahl der Erkrankungsform zu kommt, dies ist wie so vieles auf diesem Gebiete noch nicht untersucht. § 167Verweis auf den Infantilismus der Sexualität.
§ 168Durch den Nachweis der perversen Regungen als SymMoebius mit guter Berechtigung sagen können: Wir sind alle ein wenig hysterisch. Somit werden wir durch die außerordentliche Verbreitung der Perversionen zu der Annahme gedrängt, daß auch die Anlage zu den Per versionen keine seltene Besonderheit, sondern ein Stück der für normal geltenden Konstitution sein müsse.
ptombildner bei den Psychoneurosen haben wir die Anzahl der Menschen, die man den Perversen zurechnen könnte, in ganz außerordentlicher Weise gesteigert. Nicht nur daß die Neu rotiker selbst eine sehr zahlreiche Menschenklasse darstellen; es ist auch in Betracht zu ziehen, daß die Neurosen von allen ihren Ausbildungen her in lückenlosen Reihen zur Gesundheit abklingen; hat doch § 169Wir haben gehört, daß es strittig ist, ob die PerversionenBinet für den Fetischismus nach gewiesen hat. Nun bietet sich uns die Entscheidung, daß den Perversionen allerdings etwas Angeborenes zu Grunde liegt, aber etwas, was allen Menschen angeboren ist, als Anlage in seiner Intensität schwanken mag und der Hervor hebung durch Lebenseinflüsse wartet. Es handelt sich um an geborene, in der Konstitution gegebene Wurzeln des Sexual triebes, die sich in der einen Reihe von Fällen zu den wirk lichen Trägern der Sexualtätigkeit entwickeln (Perverse), an dere Male eine ungenügende Unterdrückung (Verdrängung) erfahren, so daß sie auf einem Umweg als Krankheitssym ptome einen beträchtlichen Teil der sexuellen Energie an sich ziehen können, während sie in den günstigsten Fällen zwischen beiden Extremen durch wirksame Einschränkung und sonstige Verarbeitung das sogenannte normale Sexualleben entstehen lassen.
auf angeborene Bedingungen zurückgehen oder durch zufällige Erlebnisse entstehen, wie es § 170Wir werden uns aber ferner sagen, daß die angenom
mene Konstitution, welche die Keime zu allen Perversionen auf weist, nur beim Kinde aufzeigbar sein wird, wenngleich bei ihm alle Triebe nur in bescheidenen Intensitäten auftreten können. Ahnt uns so die Formel, daß die Neurotiker den infantilen Zustand ihrer Sexualität beibehalten haben oder auf ihn zurückversetzt worden sind, so wird sich unser Interesse dem Sexualleben des Kindes zuwenden, und wir werden das Spiel der Einflüsse verfolgen wollen, die den Entwicklungsprozeß der kindlichen Sexualität bis zum Ausgang in Perversion, Neurose oder normales Geschlechtsleben beherrschen. § 171II.
Die infantile Sexualität. § 172Es ist ein Stück der populären Meinung über den Ge
schlechtstrieb, daß er der Kindheit fehle und erst in der als Pubertät bezeichneten Lebensperiode erwache. Allein dies ist nicht nur ein einfacher, sondern sogar ein folgenschwerer Irrtum, da er hauptsächlich unsere gegenwärtige Unkenntnis der grundlegenden Verhältnisse des Sexuallebens verschuldet. Ein gründliches Studium der Sexualäußerungen in der Kind heit würde uns wahrscheinlich die wesentlichen Züge des Ge schlechtstriebes aufdecken, seine Entwicklung verraten und seine Zusammensetzung aus verschiedenen Quellen zeigen. § 173Ver
nachlässigung des Infantilen. § 174Es ist bemerkenswert, daß die Autoren, welche sich mit 1) Man findet zwar in der Literatur gelegentliche Notizen über frühzeitige Sexual betätigung bei kleinen Kindern, über Erektionen, Masturbation und selbst koitusähnliche Vornahmen, aber immer nur als aus nahmsweise Vorgänge, als Kuriosa oder als abschreckende Bei spiele voreiliger Verderbtheit angeführt. Kein Autor hat mei nes Wissens die Gesetzmäßigkeit eines Sexualtriebes in der Kindheit klar erkannt und in den zahlreich gewordenen Schrif ten über die Entwicklung des Kindes wird das Kapitel »Sexuelle Entwicklung« meist übergangen. 1)
der Erklärung der Eigenschaften und Reaktionen des erwach senen Individuums beschäftigen, jener Vorzeit, welche durch die Lebensdauer der Ahnen gegeben ist, so vielmehr Aufmerksam keit geschenkt, also der Erblichkeit so viel mehr Einfluß zu gesprochen haben, als der anderen Vorzeit, welche bereits in die individuelle Existenz der Person fällt, der Kindheit näm lich. Man sollte doch meinen, der Einfluß dieser Lebensperiode wäre leichter zu verstehen und hätte ein Anrecht, vor dem der Erblichkeit berücksichtigt zu werden. 1) Es ist ja auch nicht möglich, den der Erblichkeit gebüh renden Anteil richtig zu erkennen, ehe man den der Kindheit zuge hörigen gewürdigt hat. 1) Die hier niedergeschriebene Behauptung erschien mir selbst nachträglich als so gewagt, daß ich mir vorsetzte, sie durch noch malige Durchsicht der Literatur zu prüfen. Das Ergebnis dieser Über prüfung war, daß ich sie unverändert stehenließ. Die wissenschaft liche Bearbeitung der leiblichen wie der seelischen Phänomene der Sexualität im Kindesalter befindet sich in den ersten Anfängen. Ein Autor S. Bell (A preliminary study of the Emotion of love between the sexes, American Journal of Psychology, XIII, 1902) äußert: I know of no scientist, who has given a careful analysis of the emotion as it is seen in the adolescent. — Somatische Sexualäußerungen aus der Zeit vor der Pubertät haben nur im Zusammenhange mit Entartungserschei nungen und als Zeichen von Entartung Aufmerksamkeit gewonnen. — Ein Kapitel über das Liebesleben der Kinder fehlt in allen Dar stellungen der Psychologie dieses Alters, die ich gelesen habe, so in den bekannten Werken von Preyer, Baldwin (Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und bei der Rasse, 1898), Pérez (L'enfant de 3—7 ans, 1894), Strümpell (Die pädagogische Pathologie, 1899), Karl Groos (Das Seelenleben des Kindes, 1904), Th. Heller (Grundriß der Heilpädagogik, 1904), Sully (Untersuchungen über die Kindheit, 1897) u. a. Den besten Eindruck von dem heutigen Stande auf diesem Gebiet holt man sich aus der Zeitschrift »Die Kinderfehler« (von 1896 an). — Doch gewinnt man die Überzeugung, daß die Existenz der Liebe im Kindesalter nicht mehr entdeckt zu werden braucht. Pérez (l. c.) tritt für sie ein; bei K. Groos (Die Spiele der Menschen, 1899) findet sich als allgemein bekannt erwähnt, »daß manche Kinder schon sehr früh für sexuelle Regungen zugänglich sind und dem anderen Geschlecht gegenüber einen Drang nach Berührungen empfinden« (S. 336); der früheste Fall von Auftreten geschlechtlicher Liebes regungen (sex-love) in der Beobachtungsreihe von S. Bell betraf ein Kind in der Mitte des dritten Jahres. — Vergleiche hiezu noch Have lock Ellis, Das Geschlechtsgefühl (übersetzt von Kurella), 1903, Appendix, II. Das oben stehende Urteil über die Literatur der infantilenStanley Hall (Adolescence its psychology and its relations to physiology, anthropology, sociology, sex, crime, religion and education. Two volumes, New York 1908) nicht mehr aufrecht erhalten zu werden. — Das rezente Buch von A. Moll, Das Sexualleben des Kindes, Berlin 1909, bietet keinen Anlaß zu einer solchen Modifikation, Siehe dagegen: Bleuler, Sexuelle Abnormitäten der Kinder. (Jahrbuch der schweize rischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, IX, 1908.) Ein Buch von Frau Dr. H. v. Hug-Hellmuth, Aus dem Seelenleben des Kindes, 1913 hat seither dem vernachlässigten sexuellen Faktor vollauf Rechnung getragen. Sexualität braucht seit dem Erscheinen des groß angelegten Werkes von § 175Infantile Amnesie.
§ 176Den Grund für diese merkwürdige Vernachlässigung sucheAmnesie, welche den meisten Menschen (nicht allen!) die ersten Jahre ihrer Kindheit bis zum 6. oder 8. Lebensjahre verhüllt. Es ist uns bisher noch nicht ein gefallen, uns über die Tatsache dieser Amnesie zu verwundern; aber wir hätten guten Grund dazu. Denn man berichtet uns, daß wir in diesen Jahren, von denen wir später nichts im Gedächtnis behalten haben als einige unverständliche Erinne rungsbrocken, lebhaft auf Eindrücke reagiert hätten, daß wir Schmerz und Freude in menschlicher Weise zu äußern ver standen, Liebe, Eifersucht und andere Leidenschaften gezeigt, die uns damals heftig bewegten, ja daß wir Aussprüche getan, die von den Erwachsenen als gute Beweise für Einsicht und beginnende Urteilsfähigkeit gemerkt wurden. Und von alledem wissen wir als Erwachsene aus eigenem nichts. Warum bleibt unser Gedächtnis so sehr hinter unseren anderen seelischen Tätigkeiten zurück? Wir haben doch Grund zu glauben, daß es zu keiner anderen Lebensweise aufnahms- und reproduktions fähiger ist als gerade in den Jahren der Kindheit. 1)
ich zum Teil in den konventionellen Rücksichten, denen die Autoren infolge ihrer eigenen Erziehung Rechnung tragen, zum anderen Teil in einem psychischen Phänomen, welches sich bis jetzt selbst der Erklärung entzogen hat. Ich meine hiemit die eigentümliche § 177Auf der anderen Seite müssen wir annehmen oder können
uns durch psychologische Untersuchung an anderen davon über zeugen, daß die nämlichen Eindrücke, die wir vergessen haben, nichtsdestoweniger die tiefsten Spuren in unserem Seelenleben hinterlassen haben und bestimmend für unsere ganze spätere Entwicklung geworden sind. Es kann sich also um gar keinen wirklichen Untergang der Kindheitseindrücke handeln, sondern um eine Amnesie, ähnlich jener, die wir bei den Neurotikern für spätere Erlebnisse beobachten, und deren Wesen in einer bloßen Abhaltung von Bewußtsein (Verdrängung) besteht. Aber welche Kräfte bringen diese Verdrängung der Kindheits eindrücke zu stande? Wer dieses Rätsel löste, hätte wohl auch die hysterische Amnesie aufgeklärt. 1) Eines der mit den frühesten Kindheitserinnerungen verknüpften Probleme habe ich in einem Aufsatze »Über Deckerinnerungen« (Mo natsschrift für Psychiatrie und Neurologie, VI, 1899) zu lösen versucht. § 178Immerhin wollen wir nicht versäumen hervorzuheben, daß
die Existenz der infantilen Amnesie einen neuen Vergleichs punkt zwischen dem Seelenzustand des Kindes und dem des Psychoneurotikers schafft. Einem anderen sind wir schon früher begegnet, als sich uns die Formel aufdrängte, daß die Sexualität der Psychoneurotiker den kindlichen Stand punkt bewahrt hat oder auf ihn zurückgeführt worden ist. Wenn nicht am Ende die infantile Amnesie selbst wieder mit den sexuellen Regungen der Kindheit in Beziehung zu bringen ist! § 179Es ist übrigens mehr als ein bloßes Spiel des Witzes, die 1) Ohne infantile Amnesie, kann man sagen, gäbe es keine hysterisch Amnesie.
infantile Amnesie mit der hysterischen zu verknüpfen. Die hysterische Amnesie, die der Verdrängung dient, wird nur durch den Umstand erklärlich, daß das Individuum bereits einen Schatz von Erinnerungsspuren besitzt, welche der bewußten Verfügung entzogen sind, und die nun mit assozia tiver Bindung das an sich reißen, worauf vom Bewußten her die abstoßenden Kräfte der Verdrängung wirken.§ 180Ich meine nun, daß die infantile Amnesie, die für jedenprähisto rischen Vorzeit macht und ihm die Anfänge seines eigenen Geschlechtslebens verdeckt, die Schuld daran trägt, wenn man der kindlichen Lebensperiode einen Wert für die Entwicklung des Sexuallebens im allgemeinen nicht zutraut. Ein einzelner Beobachter kann die so entstandene Lücke in unserem Wissen nicht ausfüllen. Ich habe bereits 1896 die Bedeutung der Kinderjahre für die Entstehung gewisser wichtiger, vom Geschlechtsleben abhängiger Phänomene betont und seither nicht aufgehört, das infantile Moment für die Sexualität in den Vordergrund zu rücken.
einzelnen seine Kindheit zu einer gleichsam 1) Man kann den Mechanismus der Verdrängung nicht ver stehen, wenn man nur einen dieser beiden zusammenwirkenden Vor gänge berücksichtigt. Zum Vergleich möge die Art dienen, wie der Tourist auf die Spitze der großen Pyramide von Gizeh befördert wird; er wird von der einen Seite gestoßen, von der anderen gezogen. § 181Die sexuelle Latenzperiode der Kindheit und
ihre Durchbrechungen.§ 182Die außerordentlich häufigen Befunde von angeblich 1)
regelwidrigen und ausnahmsartigen sexuellen Regungen in der Kindheit sowie die Aufdeckung der bis dahin unbewußten Kindheitserinnerungen der Neurotiker gestatten etwa folgendes Bild von dem sexuellen Verhalten der Kinderzeit zu ent werfen:§ 183Es scheint gewiß, daß das Neugeborene Keime von 2)2)
sexuellen Regungen mitbringt, die sich eine Zeitlang weiter entwickeln, dann aber einer fortschreitenden Unterdrückung unterliegen, welche selbst wieder durch regelrechte Vorstöße der Sexualentwicklung durchbrochen und durch individuelle Eigenheiten aufgehalten werden kann. Über die Gesetz mäßigkeit und die Periodizität dieses oszillierenden Ent wicklungsganges ist nichts Gesichertes bekannt. Es scheint aber, daß das Sexualleben der Kinder sich zumeist um das dritte oder vierte Lebensjahr in einer der Beobachtung zu gänglichen Form zum Ausdruck bringt. 1) Letzteres Material wird durch die berechtigte Erwartung ver wertbar, daß die Kinderjahre der späteren Neurotiker hierin nicht wesentlich, nur in Hinsicht der Intensität und Deutlichkeit, von denen später Gesunder abweichen dürften. 2) Eine mögliche anatomische Analogie zu dem von mir behaup teten Verhalten der infantilen Sexualfunktion wäre durch den Fund von Bayer (Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 73) gegeben, daß die inneren Geschlechtsorgane (Uterus) Neugeborener in der Regel größer sind als die älterer Kinder. Indes ist die Auffassung dieser durch Halban auch für andere Teile des Genitalapparates festgestellten Involution nach der Geburt nicht sichergestellt. Nach Halban (Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, LIII, 1904) ist dieser Rückbildungsvorgang nach wenigen Wochen des Extrauterin lebens abgelaufen. § 184Die Sexual
hemmungen. § 185Während dieser Periode totaler oder bloß partieller
Latenz werden die seelischen Mächte aufgebaut, die später dem Sexualtrieb als Hemmnisse in den Weg treten und gleichwie Dämme seine Richtung beengen werden (der Ekel, das Schamgefühl, die ästhetischen und moralischen Ideal anforderungen). Man gewinnt beim Kulturkinde den Eindruck, daß der Aufbau dieser Dämme ein Werk der Erziehung ist, und sicherlich tut die Erziehung viel dazu. In Wirklichkeit ist diese Entwicklung eine organisch bedingte, hereditär fixierte, und kann sich gelegentlich ganz ohne Mithilfe der Erziehung herstellen. Die Erziehung verbleibt durchaus in dem ihr an gewiesenen Machtbereich, wenn sie sich darauf einschränkt, das organisch Vorgezeichnete nachzuziehen und es etwas sauberer und tiefer auszuprägen. § 186Reaktions
bildung und Sublimierung. § 187Mit welchen Mitteln werden diese, für die spätere persönSublimierung verdient, mächtige Komponenten für alle kulturellen Leistungen gewonnen werden. Wir würden also hinzufügen, daß der nämliche Prozeß in der Entwicklung des einzelnen Indi viduums spielt und seinen Beginn in die sexuelle Latenz periode der Kindheit verlegen. 1)1)
liche Kultur und Normalität so bedeutsamen Konstruktionen aufgeführt? Wahrscheinlich auf Kosten der infantilen Sexual regungen selbst, deren Zufluß also auch in dieser Latenz periode nicht aufgehört hat, deren Energie aber — ganz oder zum größten Teile — von der sexuellen Verwendung abgeleitet und anderen Zwecken zugeführt wird. Die Kulturhistoriker scheinen einig in der Annahme, daß durch solche Ablenkung sexueller Triebkräfte von sexuellen Zielen und Hinlenkung auf neue Ziele, ein Prozeß, der den Namen § 188Auch über den Mechanismus einer solchen Sublimierung1)1)
kann man eine Vermutung wagen. Die sexuellen Regungen dieser Kinderjahre wären einerseits unverwendbar, da die Fortpfanzungsfunktionen aufgeschoben sind, was den Haupt charakter der Latenzperiode ausmacht, anderseits wären sie an sich pervers, d. h. von erogenen Zonen ausgehend und von Trieben getragen, welche bei der Entwicklungsrichtung des Individuums nur Unlustempfindungen hervorrufen könnten. Sie rufen daher seelische Gegenkräfte (Reaktionsregungen) wach, die zur wirksamen Unterdrückung solcher Unlust die erwähnten psychischen Dämme: Ekel, Scham und Moral, auf bauen. 1) Die Bezeichnung »sexuelle Latenzperiode« entlehne ich eben falls von W. Fließ. § 189Durchbrüche
der Latenzzeit. § 190Ohne uns über die hypothetische Natur und die mangel
hafte Klarheit unserer Einsichten in die Vorgänge der kind lichen Latenz- oder Aufschubsperiode zu täuschen, wollen wir zur Wirklichkeit zurückkehren, um anzugeben, daß solche Verwendung der infantilen Sexualität ein Erziehungsideal darstellt, von dem die Entwicklung der einzelnen meist an irgend einer Stelle und oft in erheblichem Maße abweicht. Es bricht zeitweise ein Stück Sexualäußerung durch, das sich der Sublimierung entzogen hat, oder es erhält sich eine sexuelle Betätigung durch die ganze Dauer der Latenzperiode bis zum verstärkten Hervorbrechen des Sexualtriebes in der Pubertät. Die Erzieher benehmen sich, insofern sie überhaupt der Kindersexualität Aufmerksamkeit schenken, genau so, als teilten sie unsere Ansichten über die Bildung der moralischen Abwehrmächte auf Kosten der Sexualität und als wüßten sie, daß sexuelle Betätigung das Kind unerziehbar macht, denn sie verfolgen alle sexuellen Äußerungen des Kindes als »Laster«, ohne viel gegen sie ausrichten zu können. Wir aber haben allen Grund, diesen von der Erziehung gefürchteten Phänomenen Interesse zuzuwenden, denn wir erwarten von ihnen den Aufschluß über die ursprüngliche Gestaltung des Geschlechtstriebes. § 191Die Äußerungen der infantilen Sexualität.
§ 192Aus später zu ersehenden Motiven wollen wir unter denLudeln (Wonnesaugen) zum Muster nehmen, dem der ungarische Kinderarzt Lindner eine ausgezeichnete Studie gewidmet hat.1)1)
infantilen Sexualäußerungen das 1) In dem hier besprochenen Falle geht die Sublimierung sexueller Triebkräfte auf dem Wege der Reaktionsbildung vor sich. Im allgemeinen darf man aber Sublimierung und Reaktionsbildung als zwei verschiedene Prozesse begreiflich von einander scheiden. Es kann auch Sublimierungen durch andere und einfachere Mechanismen geben. § 193Das Lutschen.
§ 194Das Ludeln und Lutschen, das schon beim Säugling auftritt und bis in die Jahre der Reife fortgesetzt werden oder sich durchs ganze Leben erhalten kann, besteht in einer rhythmisch wiederholten saugenden Berührung mit dem Munde (den Lippen), wobei der Zweck der Nahrungsaufnahme aus geschlossen ist. Ein Teil der Lippe selbst, die Zunge, eine beliebige andere erreichbare Hautstelle — selbst die große Zehe —, werden zum Objekt genommen, an dem das Saugen ausgeführt wird. Ein dabei auftretender Greiftrieb äußert sich etwa durch gleichzeitiges rhythmisches Zupfen an Ohr läppchen und kann sich eines Teiles einer anderen Person (meist ihres Ohres) zu gleichem Zwecke bemächtigen. Das Wonnesaugen ist mit voller Aufzehrung der Aufmerksamkeit verbunden, führt entweder zum Einschlafen oder selbst zu einer motorischen Reaktion in einer Art von Orgasmus.2)2) Nicht selten kombiniert sich mit dem Wonnesaugen die reibende Be rührung gewisser empfindlicher Körperstellen, der Brust, der äußeren Genitalien. Auf diesem Wege gelangen viele Kinder vom Ludeln zur Masturbation.
§ 195Lindner selbst hat die sexuelle Natur dieses Tuns klar erkannt und rückhaltlos betont. In der Kinderstube wird das Ludeln häufig den anderen sexuellen »Unarten« des Kindes gleichgestellt. Von seiten zahlreicher Kinder- und Nerven ärzte ist ein sehr energischer Einspruch gegen diese Auf fassung erhoben worden, der zum Teil gewiß auf der Ver wechslung von »sexuell« und »genital« beruht. Dieser Widerspruch wirft die schwierige und nicht abzuweisende Frage auf, an welchem allgemeinen Charakter wir die sexuellen Äußerungen des Kindes erkennen wollen. Ich meine, daß der Zusammenhang der Erscheinungen, in welchen wir durch die psychoanalytische Untersuchung Einsicht gewonnen haben, uns berechtigt, das Ludeln als eine sexuelle Äußerung in Anspruch zu nehmen und gerade an ihm die wesentlichen Züge der infantilen Sexualbetätigung zu studieren.
1) Im Jahrbuch für Kinderheilkunde, N. F., XIV, 1879. 2) Hier erweist sich bereits, was fürs ganze Leben Gültigkeit hat, daß sexuelle Befriedigung das beste Schlafmittel ist. Die meisten Fälle von nervöser Schlaflosigkeit gehen auf sexuelle Unbefriedigung zurück. Es ist bekannt, daß gewissenlose Kinderfrauen die schreienden Kinder durch Streichen an den Genitalien einschläfern. § 196Autoerotismus.
§ 197Wir haben die Verpflichtung, dieses Beispiel eingehendautoerotisch, um es mit einem glücklichen, von Havelock Ellis eingeführten Namen zu sagen.1)1)
zu würdigen. Heben wir als den auffälligsten Charakter dieser Sexualbetätigung hervor, daß der Trieb nicht auf andere Personen gerichtet ist; er befriedigt sich am ei genen Körper, er ist § 198Es ist ferner deutlich, daß die Handlung des lutschendenero gene Zone, und die Reizung durch den warmen Milchstrom war wohl die Ursache der Lustempfindung. Anfangs war wohl die Befriedigung der erogenen Zone mit der Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses vergesellschaftet. Die Sexualbetätigung lehnt sich zunächst an eine der zur Lebenserhaltung dienenden Funktionen an und macht sich erst später von ihr selbständig. Wer ein Kind gesättigt von der Brust zurücksinken sieht, mit geröteten Wangen und seligem Lächeln in Schlaf verfallen, der wird sich sagen müssen, daß dieses Bild auch für den Ausdruck der sexuellen Befriedigung im späteren Leben maß gebend bleibt. Nun wird das Bedürfnis nach Wiederholung der sexuellen Befriedigung von dem Bedürfnis nach Nahrungs aufnahme getrennt, eine Trennung, die unvermeidlich ist, wenn die Zähne erscheinen und die Nahrung nicht mehr ausschließlich eingesogen, sondern gekaut wird. Eines fremden Objekts bedient sich das Kind zum Saugen nicht, sondern lieber einer eigenen Hautstelle, weil diese ihm bequemer ist, weil es sich so von der Außenwelt unabhängig macht, die es zu beherrschen noch nicht vermag, und weil es sich solcher Art gleichsam eine zweite, wenngleich minderwertige, erogene Zone schafft. Die Minderwertigkeit dieser zweiten Stelle wird es später mit dazu veranlassen, die gleichartigen Teile, die Lippen, einer anderen Person zu suchen. (»Schade, daß ich mich nicht küssen kann«, möchte man ihm unterlegen.)
Kindes durch das Suchen nach einer — bereits erlebten und nun erinnerten — Lust bestimmt wird. Durch das rhythmische Saugen an einer Haut- oder Schleimhautstelle findet es dann im einfachsten Falle die Befriedigung. Es ist auch leicht zu erraten, bei welchen Anlässen das Kind die ersten Erfahrungen dieser Lust gemacht hat, die es nun zu erneuern strebt. Die erste und lebenswichtigste Tätigkeit des Kindes, das Saugen an der Mutterbrust (oder an ihren Surrogaten), muß es bereits mit dieser Lust vertraut gemacht haben. Wir würden sagen, die Lippen des Kindes haben sich benommen wie eine 1) H. Ellis verdirbt nur den Sinn des von ihm gefundenen Terminus, wenn er die ganze Hysterie und die Masturbation in ihrem vollen Umfange zu den Phänomenen des Autoerotismus rechnet. § 199Nicht alle Kinder lutschen. Es ist anzunehmen, daß jene
Kinder dazu gelangen, bei denen die erogene Bedeutung der Lippenzone konstitutionell verstärkt ist. Bleibt diese erhalten, so werden diese Kinder als Erwachsene Kußfeinschmecker werden, zu perversen Küssen neigen, oder als Männer ein kräftiges Motiv zum Trinken und Rauchen mitbringen. Kommt aber die Verdrängung hinzu, so werden sie Ekel vor dem Essen empfinden und hysterisches Erbrechen produzieren. Kraft der Gemeinsamkeit der Lippenzone wird die Verdrän gung auf den Nahrungstrieb übergreifen. Viele meiner Patien tinnen mit Eßstörungen, hysterischem Globus, Schnüren im Hals und Erbrechen waren in den Kinderjahren energische Ludlerinnen gewesen. § 200Am Lutschen oder Wonnesaugen haben wir bereits dieAnlehnung an eine der lebenswichtigen Körperfunktionen, sie kennt noch kein Sexualobjekt, ist autoerotisch, und ihr Sexualziel steht unter der Herrschaft einer erogenen Zone. Nehmen wir vorweg, daß diese Charaktere auch für die meisten anderen Betätigungen der infantilen Sexualtriebe gelten.
drei wesentlichen Charaktere einer infantilen Sexualäußerung bemerken können. Dieselbe entsteht in § 201Das Sexualziel der infantilen Sexualität.
§ 202Charaktere
erogener Zonen. § 203Aus dem Beispiel des Ludelns ist zur Kennzeichnung einer
erogenen Zone noch mancherlei zu entnehmen. Es ist eine Haut oder Schleimhautstelle, an der Reizungen von gewisser Art eine Lustempfindung von bestimmter Qualität hervorrufen. Es ist kein Zweifel, daß die lusterzeugenden Reize an beson dere Bedingungen gebunden sind; wir kennen dieselben nicht. Der rhythmische Charakter muß unter ihnen eine Rolle spielen, die Analogie mit dem Kitzelreiz drängt sich auf. Minder aus gemacht scheint es, ob man den Charakter der durch den Reiz hervorgerufenen Lustempfindung als einen »besonderen« be zeichnen darf, wo in dieser Besonderheit eben das sexuelle Moment enthalten wäre. In Sachen der Lust und Unlust tappt die Psychologie noch so sehr im Dunkeln, daß die vorsichtigste Annahme die empfehlenswerteste sein wird. Wir werden später vielleicht auf Gründe stoßen, welche die Besonderheitsqualität der Lustempfindung zu unterstützen scheinen. § 204Die erogene Eigenschaft kann einzelnen Körperstellen in1)1)
ausgezeichneter Weise anhaften. Es gibt prädestinierte erogene Zonen, wie das Beispiel des Ludelns zeigt. Dasselbe Beispiel lehrt aber auch, daß jede beliebige andere Haut- oder Schleim hautstelle die Dienste einer erogenen Zone auf sich nehmen kann, also eine gewisse Eignung dazu mitbringen muß. Die Qualität des Reizes hat also mit der Erzeugung der Lust empfindung mehr zu tun als die Beschaffenheit der Körper stelle. Das Iudelnde Kind sucht an seinem Körper herum und wählt sich irgend eine Stelle zum Wonnesaugen aus, die ihm dann durch Gewöhnung die bevorzugte wird; wenn es zu fällig dabei auf eine der prädestinierten Stellen stößt (Brust warze, Genitalien), so verbleibt freilich dieser der Vorzug. Die ganz analoge Verschiebbarkeit kehrt dann in der Sym ptomatologie der Hysterie wieder. Bei dieser Neurose betrifft die Verdrängung die eigentlichen Genitalzonen am allermeisten, und diese geben ihre Reizbarkeit an die übrigen, sonst im reifen Leben zurückgesetzten, erogenen Zonen ab, die sich dann ganz wie Genitalien gebärden. Aber außerdem kann ganz wie beim Ludeln jede beliebige andere Körperstelle mit der Erregbarkeit der Genitalien ausgestattet und zur erogenen Zone erhoben werden. Erogene und hysterogene Zonen zeigen die nämlichen Charaktere.§ 205Infantiles
Sexualziel. § 206Das Sexualziel des infantilen Triebes besteht darin, diezen tral bedingte, in die peripherische erogene Zone proji zierte Juck- oder Reizempfindung. Man kann das Sexualziel darum auch so formulieren, es käme darauf an, die proji zierte Reizempfindung an der erogenen Zone durch denjenigen äußeren Reiz zu ersetzen, welcher die Reizempfindung auf hebt, indem er die Empfindung der Befriedigung hervorruft. Dieser äußere Reiz wird zumeist in einer Manipulation beste hen, die analog dem Saugen ist.
Befriedigung durch die geeignete Reizung der so oder so ge wählten erogenen Zone hervorzurufen. Diese Befriedigung muß vorher erlebt worden sein, um ein Bedürfnis nach ihrer Wieder holung zurückzulassen, und wir dürfen darauf vorbereitet sein, daß die Natur sichere Vorrichtungen getroffen hat, um dieses Erleben der Befriedigung nicht dem Zufalle zu überlassen. Die Veranstaltung, welche diesen Zweck für die Lippenzone erfüllt, haben wir bereits kennen gelernt, es ist die gleichzeitige Verknüpfung dieser Körperstelle mit der Nahrungsaufnahme. Andere ähnliche Vorrichtungen werden uns noch als Quellen der Sexualität begegnen. Der Zustand des Bedürfnisses nach Wiederholung der Befriedigung verrät sich durch zweierlei: durch ein eigentümliches Spannungsgefühl, welches an sich mehr vom Charakter der Unlust hat, und durch eine § 207Es ist nur im vollen Einklang mit unserem physiolo
gischen Wissen, wenn es vorkommt, daß das Bedürfnis auch peripherisch, durch eine wirkliche Veränderung an der erogenen Zone geweckt wird. Es wirkt nur einigermaßen befremdend, da der eine Reiz zu seiner Aufhebung nach einem zweiten, an derselben Stelle angebrachten, zu ver langen scheint. 1) Weitere Überlegungen und die Verwertung anderer Beobach tungen führen dazu, die Eigenschaft der Erogeneität allen Körper stellen und inneren Organen zuzusprechen. Vgl. hiezu weiter unten über den Narzißmus. § 208Die masturbatorischen Sexualäußerungen.1)1)
§ 209Es kann uns nur höchst erfreulich sein zu finden, daß
wir von der Sexualbetätigung des Kindes nicht mehr viel Wichtiges zu lernen haben, nachdem uns der Trieb von einer einzigen erogenen Zone her verständlich geworden ist. Die deutlichsten Unterschiede beziehen sich auf die zur Befriedi gung notwendige Vornahme, die für die Lippenzone im Saugen bestand, und die je nach Lage und Beschaffenheit der anderen Zonen durch andere Muskelaktionen ersetzt werden muß. § 210Betätigung
der Afterzone. § 211Die Afterzone ist ähnlich wie die Lippenzone durch ihreAnlehnung der Sexualität an andere Körperfunktionen zu vermitteln. Man muß sich die erogene Bedeutung dieser Körperstelle als ursprünglich sehr groß vor stellen. Durch die Psychoanalyse erfährt man dann nicht ohne Verwunderung, welche Umwandlungen mit den von hier aus gehenden sexuellen Erregungen normalerweise vorgenommen werden, und wie häufig der Zone noch ein beträchtliches Stück genitaler Reizbarkeit fürs Leben verbleibt.2)2) Die so häufigen Darmstörungen der Kinderjahre sorgen dafür, daß es der Zone an intensiven Erregungen nicht fehle. Darmkatarrhe im zartesten Alter machen »nervös«, wie man sich ausdrückt; bei späterer neurotischer Erkrankung nehmen sie einen be stimmenden Einfluß auf den symptomatischen Ausdruck der Neurose, welcher sie die ganze Summe von Darmstörungen zur Verfügung stellen. Mit Hinblick auf die wenigstens in Umwandlung erhalten gebliebene erogene Bedeutung der Darmausgangszone darf man auch die hämorrhoidalen Ein flüsse nicht verlachen, denen die ältere Medizin für die Er klärung neurotischer Zustände soviel Gewicht beigelegt hat.
Lage geeignet, eine § 212Kinder, welche die erogene Reizbarkeit der Afterzone aus
nützen, verraten sich dadurch, daß sie die Stuhlmassen zurück halten, bis dieselben durch ihre Anhäufung heftige Muskel kontraktionen anregen und beim Durchgang durch den After einen starken Reiz auf die Schleimhaut ausüben können. Da bei muß wohl neben der schmerzhaften die Wollustempfindung zu stande kommen. Es ist eines der besten Vorzeichen späterer Absonderlichkeit oder Nervosität, wenn ein Säugling sich hart näckig weigert, den Darm zu entleeren, wenn er auf den Topf gesetzt wird, also wenn es dem Pfleger beliebt, sondern diese Funktion seinem eigenen Belieben vorbehält. Es kommt ihm natürlich nicht darauf an, sein Lager schmutzig zu machen; er sorgt nur, daß ihm der Lustnebengewinn bei der Defäka tion nicht entgehe. Die Erzieher ahnen wiederum das Richtige, wenn sie solche Kinder, die sich diese Verrichtungen »auf heben«, schlimm nennen. 1) Vergleiche hiezu die sehr reichhaltige, aber meist in den Ge sichtspunkten unorientierte Literatur über Onanie, z. B. Rohleder, Die Masturbation, 1899, ferner das II. Heft der Wiener Diskussionen »Die Onanie«, Wiesbaden 1912. 2) Vergleiche den Aufsatz »Charakter und Analerotik« in der »Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre«, zweite Folge 1909. § 213Der Darminhalt, der als Reizkörper für eine sexuell
empfindliche Schleimhautfläche sich wie der Vorläufer eines anderen Organs benimmt, welches erst nach der Kindheitsphase in Aktion treten soll, hat für den Säugling noch andere wichtige Bedeutungen. Er wird offenbar wie ein zugehöriger Körperteil behandelt, stellt das erste »Geschenk« dar, durch dessen Ent äußerung die Gefügigkeit, durch dessen Verweigerung der Trotz des kleinen Wesens gegen seine Umgebung ausgedrückt werden kann. Vom »Geschenk« aus gewinnt er dann später die Bedeu tung des »Kindes«, das nach einer der infantilen Sexualtheorien durch Essen erworben und durch den Darm geboren wird. § 214Die Zurückhaltung der Fäkalmassen, die also anfangs
eine absichtliche ist, um sie zur gleichsam masturbatorischen Reizung der Afterzone zu benützen, oder in der Relation zu den Pflegepersonen zu verwenden, ist übrigens eine der Wur zeln der bei den Neuropathen so häufigen Obstipation. Die ganze Bedeutung der Afterzone spiegelt sich dann in der Tat sache, daß man nur wenige Neurotiker findet, die nicht ihre besonderen skatologischen Gebräuche, Zeremonien u. dgl. hätten, die von ihnen sorgfältig geheim gehalten werden. § 215Echte masturbatorische Reizung der Afterzone mit Hilfe
des Fingers, durch zentral bedingtes oder peripherisch unter haltenes Jucken hervorgerufen, ist bei älteren Kindern keines wegs selten. § 216Betätigung
der Genitalzonen § 217Unter den erogenen Zonen des kindlichen Körpers befin
det sich eine, die gewiß nicht die erste Rolle spielt, auch nicht die Trägerin der ältesten sexuellen Regungen sein kann, die aber zu großen Dingen in der Zukunft bestimmt ist. Sie ist beim männlichen wie beim weiblichen Kind in Beziehung zur Harnentleerung gebracht (Eichel, Klitoris) und beim ersteren in einen Schleimhautsack einbezogen, sodaß es ihr an Rei zungen durch Sekrete, welche die sexuelle Erregung früh zeitig anfachen können, nicht fehlen kann. Die sexuellen Be tätigungen dieser erogenen Zone, die den wirklichen Ge schlechtsteilen angehört, sind ja der Beginn des später »nor malen« Geschlechtslebens. § 218Durch die anatomische Lage, die Überströmung mit Se1)1)
kreten, durch die Waschungen und Reibungen der Körper pflege und durch gewisse akzidentelle Erregungen (wie die Wanderungen von Eingeweidewürmern bei Mädchen) wird es unvermeidlich, daß die Lustempfindung, welche diese Körper stelle zu ergeben fähig ist, sich dem Kinde schon im Säug lingsalter bemerkbar mache und ein Bedürfnis nach ihrer Wiederholung erwecke. Überblickt man die Summe der vor liegenden Einrichtungen und bedenkt, daß die Maßregeln zur Reinhaltung kaum anders wirken können als die Verunreinigung, so wird man sich kaum der Auffassung entziehen können, daß durch die Säuglingsonanie, der kaum ein Individuum entgeht, das künftige Primat dieser erogenen Zone für die Geschlechtstätigkeit festgelegt wird. Die den Reiz beseitigende und die Befriedigung auslösende Aktion besteht in einer rei benden Berührung mit der Hand oder in einem gewiß reflek torisch vorgebildeten Druck durch die zusammenschließenden Oberschenkel. Letztere Vornahme ist die beim Mädchen weitaus häufigere. Beim Knaben weist die Bevorzugung der Hand be reits darauf hin, welchen wichtigen Beitrag zur männlichen Sexualtätigkeit der Bemächtigungstrieb einst leisten wird.§ 219Es wird der Klarheit nur förderlich sein, wenn ich an
gebe, daß man drei Phasen der infantilen Masturbation zu unterscheiden hat. Die erste von ihnen gehört der Säuglings zeit an, die zweite der kurzen Blütezeit der Sexualbetäti gung um das vierte Lebensjahr, erst die dritte entspricht der oft ausschließlich gewürdigten Pubertätsonanie. 1) Ungewöhnliche Techniken bei der Ausführung der Onanie in späteren Jahren scheinen auf den Einfluß eines überwundenen Onanieverbotes hinzuweisen. § 220Die zweite
Phase der kind lichen Mastur bation. § 221Die Säuglingsonanie scheint nach kurzer Zeit zu schwinzweiten infantilen Sexualbetätigung hinterlassen die tiefsten (unbewußten) Ein drucksspuren im Gedächtnis der Person, bestimmen die Ent wicklung ihres Charakters, wenn sie gesund bleibt, und die Symptomatik ihrer Neurose, wenn sie nach der Pubertät er krankt.1)1) Im letzteren Falle findet man diese Sexualperiode vergessen, die für sie zeugenden bewußten Erinnerungen verschoben; — ich habe schon erwähnt, daß ich auch die normale infantile Amnesie mit dieser infantilen Sexualbetäti gung in Zusammenhang bringen möchte. Durch psycho analytische Erforschung gelingt es, das Vergessene bewußt zu machen und damit einen Zwang zu beseitigen, der vom unbewußten psychischen Material ausgeht.
den, doch kann mit der ununterbrochenen Fortsetzung der selben bis zur Pubertät bereits die erste große Abweichung von der für den Kulturmenschen anzustrebenden Entwicklung gegeben sein. Irgend einmal in den Kinderjahren nach der Säuglingszeit, gewöhnlich vor dem vierten Jahr, pflegt der Sexualtrieb dieser Genitalzone wieder zu erwachen und dann wiederum eine Zeitlang bis zu einer neuen Unterdrückung anzuhalten oder sich ohne Unterbrechung fortzusetzen. Die möglichen Verhältnisse sind sehr mannigfaltig und können nur durch genauere Zergliederung einzelner Fälle erläutert werden. Aber alle Einzelheiten dieser § 222Wiederkehr
der Säuglings masturbation. § 223Die Sexualerregung der Säuglingszeit kehrt in den bezeich
neten Kinderjahren entweder als zentral bedingter Kitzelreiz wieder, der zur onanistischen Befriedigung auffordert, oder als pollutionsartiger Vorgang, der analog der Pollution der Reifezeit die Befriedigung ohne Mithilfe einer Aktion erreicht. Letzterer Fall ist der bei Mädchen und in der zweiten Hälfte der Kindheit häufigere, in seiner Bedingtheit nicht ganz ver ständlich und scheint oft — nicht regelmäßig — eine Periode früherer aktiver Onanie zur Voraussetzung zu haben. Die Symptomatik dieser Sexualäußerungen ist armselig; für den noch unentwickelten Geschlechtsapparat gibt meist der Harn apparat, gleichsam als sein Vormund, Zeichen. Die meisten sog. Blasenleiden dieser Zeit sind sexuelle Störungen; die Enuresis nocturna entspricht, wo sie nicht einen epileptischen Anfall darstellt, einer Pollution. 1) Warum das Schuldbewußtsein der Neurotiker regelmäßig, wie noch kürzlich Bleuler anerkannt hat, an diese onanistische Betätigung anknüpft, harrt noch einer erschöpfenden analytischen Aufklärung. § 224Für das Wiederauftreten der sexuellen Tätigkeit sind1)1) Es ist selbstver ständlich, daß es der Verführung nicht bedarf, um das Sexual leben des Kindes zu wecken, daß solche Erweckung auch spontan aus inneren Ursachen vor sich gehen kann.
innere Ursachen und äußere Anlässe maßgebend, die beide in neurotischen Erkrankungsfällen aus der Gestaltung der Sym ptome zu erraten und durch die psychoanalytische Forschung mit Sicherheit aufzudecken sind. Von den inneren Ursachen wird später die Rede sein; die zufälligen äußeren Anlässe gewinnen um diese Zeit eine große und nachhaltige Bedeutung. Voran steht der Einfluß der Verführung, die das Kind vor zeitig als Sexualobjekt behandelt und es unter eindrucksvollen Umständen die Befriedigung von den Genitalzonen kennen lehrt, welche sich onanistisch zu erneuern es dann meist ge zwungen bleibt. Solche Beeinflussung kann von Erwachsenen oder anderen Kindern ausgehen; ich kann nicht zugestehen, daß ich in meiner Abhandlung 1896 »Über die Ätiologie der Hysterie« die Häufigkeit oder die Bedeutung derselben über schätzt habe, wenngleich ich damals noch nicht wußte, daß normal gebliebene Individuen in ihren Kinderjahren die nämlichen Erlebnisse gehabt haben können, und darum die Verführung höher wertete als die in der sexuellen Konstitution und Entwicklung gegebenen Faktoren. 1) Havelock Ellis bringt in einem Anhang zu seiner Studie über das »Geschlechtsgefühl« (1903) eine Anzahl autobiographischer Berichte von später vorwiegend normal gebliebenen Personen über ihre ersten geschlechtlichen Regungen in der Kindheit und die Anlässe derselben. Diese Berichte leiden natürlich an dem Mangel, daß sie die durch infantile Amnesie verdeckte, prähistorische Vorzeit des Ge schlechtslebens nicht enthalten, welche nur durch Psychoanalyse bei einem neurotisch gewordenen Individuum ergänzt werden kann. Die selben sind aber trotzdem in mehr als einer Hinsicht wertvoll und Erkundigungen der gleichen Art haben mich zu der im Text erwähnten Modifikation meiner ätiologischen Annahmen bestimmt. § 225Polymorph perverse Anlage.
§ 226Es ist lehrreich, daß das Kind unter dem Einfluß der Verführung polymorph pervers werden, zu allen möglichen Überschreitungen verleitet werden kann. Dies zeigt, daß es die Eignung dazu in seiner Anlage mitbringt; die Ausführung findet darum geringe Widerstände, weil die seelischen Dämme gegen sexuelle Ausschreitungen, Scham, Ekel und Moral, je nach dem Alter des Kindes noch nicht aufgeführt oder erst in Bildung begriffen sind. Das Kind verhält sich hierin nicht anders als etwa das unkultivierte Durchschnittsweib, bei dem die nämliche polymorph perverse Veranlagung er halten bleibt. Dieses kann unter den gewöhnlichen Bedingungen etwa sexuell normal bleiben, unter der Leitung eines ge schickten Verführers wird es an allen Perversionen Geschmack finden und dieselben für seine Sexualbetätigung festhalten. Die nämliche polymorphe, also infantile, Anlage beutet dann die Dirne für ihre Berufstätigkeit aus, und bei der riesigen Anzahl der prostituierten Frauen und solcher, denen man die Eignung zur Prostitution zusprechen muß, obwohl sie dem Berufe entgangen sind, wird es endgültig unmöglich, in der gleichmäßigen Anlage zu allen Perversionen nicht das all gemein Menschliche und Ursprüngliche zu erkennen.
§ 227Partialtriebe.
§ 228Im übrigen hilft der Einfluß der Verführung nicht dazu,
die anfänglichen Verhältnisse des Geschlechtstriebes zu ent hüllen, sondern verwirrt unsere Einsicht in dieselben, indem er dem Kinde vorzeitig das Sexualobjekt zuführt, nach dem der infantile Sexualtrieb zunächst kein Bedürfnis zeigt. Indes müssen wir zugestehen, daß auch das kindliche Sexual leben, bei allem Überwiegen der Herrschaft erogener Zonen, Komponenten zeigt, für welche andere Personen als Sexual objekte von Anfang an in Betracht kommen. Solcher Art sind die in gewisser Unabhängigkeit von erogenen Zonen auftretenden Triebe der Schau- und Zeigelust und der Grausamkeit, die in ihre innigen Beziehungen zum Genitalleben erst später eintreten, aber schon in den Kinderjahren als zunächst von der erogenen Sexualtätigkeit gesonderte, selb ständige Strebungen bemerkbar werden. Das kleine Kind ist vor allem schamlos und zeigt in gewissen frühen Jahren ein unzweideutiges Vergnügen an der Entblößung seines Körpers mit besonderer Hervorhebung der Geschlechtsteile. Das Gegenstück dieser als pervers geltenden Neigung, die Neugierde, Genitalien anderer Personen zu sehen, wird wahr scheinlich erst in späteren Kinderjahren offenkundig, wenn das Hindernis des Schamgefühls bereits eine gewisse Entwicklung erreicht hat. Unter dem Einfluß der Verführung kann die Schauperversion eine große Bedeutung für das Sexualleben des Kindes erreichen. Doch muß ich aus meinen Erforschungen der Kinderjahre Gesunder wie neurotisch Kranker den Schluß ziehen, daß der Schautrieb beim Kinde als spontane Sexual äußerung aufzutreten vermag. Kleine Kinder, deren Aufmerk samkeit einmal auf die eigenen Genitalien — meist mastur batorisch — gelenkt ist, pflegen den weiteren Fortschritt ohne fremdes Dazutun zu treffen und lebhaftes Interesse für die Genitalien ihrer Gespielen zu entwickeln. Da sich die Ge legenheit, solche Neugierde zu befriedigen, meist nur bei der Befriedigung der beiden exkrementellen Bedürfnisse ergibt, werden solche Kinder zu Voyeurs, eifrigen Zuschauern bei der Harn- und Kotentleerung anderer. Nach eingetretener Ver drängung dieser Neigungen bleibt die Neugierde, fremde Geni talien (des eigenen oder des anderen Geschlechtes) zu sehen, als quälender Drang bestehen, der bei manchen neurotischen Fällen dann die stärkste Triebkraft für die Symptombildung abgibt. § 229In noch größerer Unabhängigkeit von der sonstigen, an
erogene Zonen gebundenen Sexualbetätigung entwickelt sich beim Kinde die Grausamkeitskomponente des Sexualtriebes. Grausamkeit liegt dem kindlichen Charakter überhaupt nahe, da das Hemmnis, welches den Bemächtigungstrieb vor dem Schmerz des anderen Halt machen läßt, die Fähigkeit zum Mitleiden, sich verhältnismäßig spät ausbildet. Die gründliche psychologische Analyse dieses Triebes ist bekanntlich noch nicht geglückt; wir dürfen annehmen, daß die grausame Regung vom Bemächtigungstrieb herstammt und zu einer Zeit im Sexualleben auftritt, da die Genitalien noch nicht ihre spätere Rolle aufgenommen haben. Sie beherrscht dann eine Phase des Sexuallebens, die wir später als prägenitale Organisation beschreiben werden. Kinder, die sich durch besondere Grau samkeit gegen Tiere und Gespielen auszeichnen, erwecken gewöhnlich mit Recht den Verdacht auf intensive und vor zeitige Sexualbetätigung von erogenen Zonen her, und bei gleichzeitiger Frühreife aller sexuellen Triebe scheint die erogene Sexualbetätigung doch die primäre zu sein. Der Weg fall der Mitleidsschranke bringt die Gefahr mit sich, daß diese in der Kindheit erfolgte Verknüpfung der grausamen mit den erogenen Trieben sich späterhin im Leben als unlösbar erweise. § 230Als eine erogene Wurzel des passiven Triebes zur GrauRousseaus bekannt. Sie haben hieraus mit Recht die For derung abgeleitet, daß die körperliche Züchtigung, die zu meist diese Körperpartie trifft, bei all den Kindern zu unter bleiben habe, bei denen durch die späteren Anforderungen der Kulturerziehung die Libido auf die kollateralen Wege gedrängt werden mag.1)1)
samkeit (des Masochismus) ist die schmerzhafte Reizung der Gesäßhaut allen Erziehern seit dem Selbstbekenntnis J. J. 1) Zu den obenstehenden Behauptungen über die infantile Sexualität war ich im Jahre 1905 wesentlich durch die Resultate psychoanalytischer Erforschung von Erwachsenen berechtigt. Die direkte Beobachtung am Kinde konnte damals nicht im vollen Aus maß benützt werden und hatte nur vereinzelte Winke und wertvolle Bestätigungen ergeben. Seither ist es gelungen, durch die Analyse einzelner Fälle von nervöser Erkrankung im zarten Kindesalter einen direkten Einblick in die infantile Psychosexualität zu gewinnen (Jahr buch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, Bd. I, 1909 und weitere). Ich kann mit Befriedigung darauf verweisen, daß die direkte Beobachtung die Schlüsse aus der Psychoanalyse voll bekräftigt und somit ein gutes Zeugnis für die Verläßlichkeit dieser letzteren Forschungsmethode abgegeben hat. Die »Analyse der Phobie eines 5jährigen Knaben« (JahrbuchAuto- erotismus und Objektliebe auch als eine zeitliche Trennung beschreibt. Man erfährt aber aus den zitierten Analysen (sowie aus den Mitteilungen von Bell s. o.), daß Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren einer sehr deutlichen, von starken Affekten begleiteten Objekt- wahl fähig sind. Bd. I) hat überdies manches Neue gelehrt, worauf man von der Psychoanalyse her nicht vorbereitet war, z. B. das Hinaufreichen einer sexuellen Symbolik, einer Darstellung des Sexuellen durch nicht sexuelle Objekte und Relationen bis in diese ersten Jahre der Sprach beherrschung. Ferner wurde ich auf einen Mangel der obenstehenden Darstellung aufmerksam gemacht, welche im Interesse der Über sichtlichkeit die begriffliche Scheidung der beiden Phasen von § 231Die infantile Sexualforschung.
§ 232Der Wißtrieb.
§ 233Um dieselbe Zeit, da das Sexualleben des Kindes seine
erste Blüte erreicht, vom 3. bis zum 5. Jahr, stellen sich bei ihm auch die Anfänge jener Tätigkeit ein, die man dem Wiß- oder Forschertrieb zuschreibt. Der Wißtrieb kann weder zu den elementaren Triebkomponenten gerechnet noch ausschließlich der Sexualität untergeordnet werden. Sein Tun entspricht einerseits einer sublimierten Weise der Bemäch tigung, anderseits arbeitet er mit der Energie der Schaulust. Seine Beziehungen zum Sexualleben sind aber besonders be deutsame, denn wir haben aus der Psychoanalyse erfahren, daß der Wißtrieb der Kinder unvermutet früh und in uner wartet intensiver Weise von den sexuellen Problemen an gezogen, ja vielleicht erst durch sie geweckt wird. § 234Das Rätsel der
Sphinx. § 235Nicht theoretische, sondern praktische Interessen sind es,
die das Werk der Forschertätigkeit beim Kinde in Gang bringen. Die Bedrohung seiner Existenzbedingungen durch die erfahrene oder vermutete Ankunft eines neuen Kindes, die Furcht vor dem mit diesem Ereignis verbundenen Ver lust an Fürsorge und Liebe machen das Kind nachdenklich und scharfsinnig. Das erste Problem, mit dem es sich be schäftigt, ist entsprechend dieser Erweckungsgeschichte auch nicht die Frage des Geschlechtsunterschieds, sondern das Rätsel: woher kommen die Kinder? In einer Entstellung, die man leicht rückgängig machen kann, ist dies auch das Rätsel, welches die thebaische Sphinx aufzugeben hat. Die Tatsache der beiden Geschlechter nimmt das Kind vielmehr zunächst ohne Sträuben und Bedenken hin. Es ist dem männlichen Kinde selbstverständlich, ein Genitale wie das seinige bei allen Personen, die es kennt, vorauszusetzen, und unmöglich, den Mangel eines solchen mit seiner Vorstellung dieser anderen zu vereinen. Diese Überzeugung wird vom Knaben energisch festgehalten, gegen die sich bald erge benden Widersprüche der Beobachtung hartnäckig verteidigt und erst nach schweren inneren Kämpfen (Kastrations komplex) aufgegeben. Die Ersatzbildungen dieses verloren gegangenen Penis des Weibes spielen in der Gestaltung mannigfacher Perversionen eine große Rolle. § 236Kastrations komplex und Penisneid.
§ 237Die Annahme des nämlichen (männlichen) Genitales bei
allen Menschen ist die erste der merkwürdigen und folgen schweren infantilen Sexualtheorien. Es nützt dem Kinde wenig, wenn die biologische Wissenschaft seinem Vorurteile recht geben und die weibliche Klitoris als einen richtigen Penisersatz anerkennen muß. Das kleine Mädchen verfällt nicht in ähnliche Abweisungen, wenn es das anders gestaltete Genitale des Knaben erblickt. Es ist sofort bereit, es anzu erkennen, und es unterliegt dem Penisneide, der in dem für die Folge wichtigen Wunsch, auch ein Bub zu sein, gipfelt. § 238Geburts
theorien. § 239Viele Menschen wissen deutlich zu erinnern, wie intensiv
sie sich in der Vorpubertätszeit für die Frage interessiert haben, woher die Kinder kommen. Die anatomischen Lö sungen lauteten damals ganz verschiedenartig: sie kommen aus der Brust oder werden aus dem Leib geschnitten, oder der Nabel öffnet sich, um sie durchzulassen. An die ent sprechende Forschung der frühen Kinderjahre erinnert man sich nur selten außerhalb der Analyse; sie ist längst der Verdrängung verfallen, aber ihre Ergebnisse waren durchaus einheitliche. Man bekommt die Kinder, indem man etwas Be stimmtes ißt (wie im Märchen), und sie werden durch den Darm wie ein Stuhlabgang geboren. Diese kindlichen Theorien mahnen an Einrichtungen im Tierreiche, speziell an die Kloake der Typen, die niedriger stehen als die Säugetiere. § 240Sadistische
Auffassung des Sexualver kehrs. § 241Werden Kinder in so zartem Alter Zuschauer des sexuellen
Verkehrs zwischen Erwachsenen, wozu die Überzeugung der Großen, das kleine Kind könne noch nichts Sexuelles verstehen, die Anlässe schafft, so können sie nicht umhin, den Sexualakt als eine Art von Mißhandlung oder Überwältigung, also im § 242sadistischen Sinne aufzufassen. Die Psychoanalyse läßt uns
auch erfahren, daß ein solcher frühkindlicher Eindruck viel zur Disposition für eine spätere sadistische Verschiebung des Sexualziels beiträgt. Des weiteren beschäftigen sich Kinder viel mit dem Problem, worin der Geschlechtsverkehr oder, wie sie es erfassen, das Verheiratetsein bestehen mag, und suchen die Lösung des Geheimnisses meist in einer Gemein schaft, die durch die Harn- oder Kotfunktion vermittelt wird. § 243Das typische
Mißlingen der kindlichen Se xualforschung. § 244Im allgemeinen kann man von den kindlichen Sexual
theorien aussagen, daß sie Abbilder der eigenen sexuellen Konstitution des Kindes sind und trotz ihrer grotesken Irr tümer von mehr Verständnis für die Sexualvorgänge zeugen, als man ihren Schöpfern zugemutet hätte. Die Kinder nehmen auch die Schwangerschaftsveränderungen der Mutter wahr und wissen sie richtig zu deuten; die Storchfabel wird sehr oft vor Hörern erzählt, die ihr ein tiefes, aber meist stummes Mißtrauen entgegenbringen. Aber da der kind lichen Sexualforschung zwei Elemente unbekannt bleiben, die Rolle des befruchtenden Samens und die Existenz der weib lichen Geschlechtsöffnung —, die nämlichen Punkte übrigens, in denen die infantile Organisation noch rückständig ist — bleibt das Bemühen der infantilen Forscher doch regelmäßig unfruchtbar und endet in einem Verzicht, der nicht selten eine dauernde Schädigung des Wißtriebes zurückläßt. Die Sexualforschung dieser frühen Kinderjahre wird immer einsam betrieben; sie bedeutet einen ersten Schritt zur selb ständigen Orientierung in der Welt und setzt eine starke Entfremdung des Kindes von den Personen seiner Umgebung, die vorher sein volles Vertrauen genossen hatten. § 245Entwicklungsphasen der sexuellen Organisation.
§ 246Wir haben bisher als Charaktere des infantilen Sexual
lebens hervorgehoben, daß es wesentlich autoerotisch ist (sein Objekt am eigenen Leibe findet), und daß seine einzelnen Partialtriebe im ganzen unverknüpft und unabhängig von einander dem Lusterwerb nachstreben. Den Ausgang der Entwicklung bildet das sogenannte normale Sexualleben des Erwachsenen, in welchem der Lusterwerb in den Dienst der § 247Fortpflanzungsfunktion getreten ist, und die Partialtriebe
unter dem Primat einer einzigen erogenen Zone eine feste Organisation zur Erreichung des Sexualziels an einem fremden Sexualobjekt gebildet haben. § 248Prägenitale Or
ganisationen. § 249Das Studium der Hemmungen und Störungen in diesem
Entwicklungsgange mit Hilfe der Psychoanalyse gestattet uns nun Ansätze und Vorstufen einer solchen Organisation der Partialtriebe zu erkennen, die gleichfalls eine Art von sexuellem Regime ergeben. Diese Phasen der Sexualorgani sation werden normalerweise glatt durchlaufen, ohne sich durch mehr als Andeutungen zu verraten. Nur in patho logischen Fällen werden sie aktiviert und für grobe Beobach tung kenntlich. § 250Organisationen des Sexuallebens, in denen die Genitalprägenitale heißen. Wir haben bisher zwei derselben kennen gelernt, die wie Rückfälle auf früh tierische Zustände anmuten.
zonen noch nicht in ihre vorherrschende Rolle eingetreten sind, wollen wir § 251Eine erste solche prägenitale Sexualorganisation ist dieorale oder, wenn wir wollen, kannibalische. Die Sexual tätigkeit ist hier von der Nahrungsaufnahme noch nicht ge sondert, Gegensätze innerhalb derselben nicht differenziert. Das Objekt der einen Tätigkeit ist auch das der anderen, das Sexualziel besteht in der Einverleibung des Objekts, dem Vorbild dessen, was späterhin als Identifizierung eine so bedeutsame psychische Rolle spielen wird. Als Rest dieser fiktiven, uns durch die Pathologie aufgenötigten Organi sationsphase kann das Lutschen angesehen werden, in dem die Sexualtätigkeit, von der Ernährungstätigkeit abgelöst, das fremde Objekt gegen eines am eigenen Körper aufgegeben hat.
§ 252Eine zweite prägenitale Phase ist die der sadistisch analen Organisation. Hier ist die Gegensätzlichkeit, welche das Sexualleben durchzieht, bereits ausgebildet; sie kann aber noch nicht männlich und weiblich, sondern muß aktiv und passiv benannt werden. Die Aktivität wird durch den Bemächtigungstrieb von seiten der Körpermusku latur hergestellt, als Organ mit passivem Sexualziel macht sich vor allem die erogene Darmschleimhaut geltend; für
§ 253beide Strebungen sind Objekte vorhanden, die aber nicht zu
sammenfallen. Daneben betätigen sich andere Partialtriebe in autoerotischer Weise. In dieser Phase sind also die sexuelle Polarität und das fremde Objekt bereits nachweis bar. Die Organisation und die Unterordnung unter die Fort pflanzungsfunktion stehen noch aus. § 254Ambivalenz.
§ 255Diese Form der Sexualorganisation kann sich bereitsBleuler eingeführten Namen Ambivalenz bezeichnet wird.
durchs Leben erhalten und ein großes Stück der Sexualbetä tigung dauernd an sich reißen. Die Vorherrschaft des Sadismus und die Kloakenrolle der analen Zone geben ihr ein exquisit archaisches Gepräge. Als weiterer Charakter gehört ihr an, daß die Triebgegensatzpaare in annähernd gleicher Weise ausgebildet sind, welches Verhalten mit dem glücklichen, von § 256Die Annahme der prägenitalen Organisationen des
Sexuallebens ruht auf der Analyse der Neurosen und ist, un abhängig von deren Kenntnis, kaum zu würdigen. Wir dürfen erwarten, daß die fortgesetzte analytische Bemühung uns noch weit mehr Aufschlüsse über Aufbau und Entwicklung der normalen Sexualfunktion vorbereitet. § 257Um das Bild des infantilen Sexuallebens zu vervollstän
digen, muß man hinzunehmen, daß häufig oder regelmäßig bereits in den Kinderjahren eine Objektwahl vollzogen wird, wie wir sie als charakteristisch für die Entwicklungsphase der Pubertät hingestellt haben, in der Weise, daß sämtliche Sexualstrebungen die Richtung auf eine einzige Person nehmen, an der sie ihre Ziele erreichen wollen. Dies ist dann die größte Annäherung an die definitive Gestaltung des Sexuallebens nach der Pubertät, die in den Kinderjahren möglich ist. Der Unterschied von letzterer liegt nur noch darin, daß die Zusammenfassung der Partialtriebe und deren Unterordnung unter das Primat der Genitalien in der Kindheit nicht oder nur sehr unvollkommen durchgesetzt wird. Die Herstellung dieses Primats im Dienste der Fortpflanzung ist also die letzte Phase, welche die Sexualorganisation durchläuft. § 258Zweizeitige
Objektwahl. § 259Man kann es als ein typisches Vorkommnis ansprechen,
daß die Objektwahl zweizeitig, in zwei Schüben erfolgt. § 260erfolgt. Der erste Schub nimmt in den Jahren zwischen
3 und 5 seinen Anfang und wird durch die Latenzzeit zum Stillstand oder zur Rückbildung gebracht; er ist durch die infantile Natur seiner Sexualziele ausgezeichnet. Der zweite setzt mit der Pubertät ein und bestimmt die definitive Ge staltung des Sexuallebens. § 261Die Tatsache der zweizeitigen Objektwahl, die sich imzärtliche Strömung des Sexuallebens bezeichnen können. Erst die psychoanalytische Untersuchung kann nachweisen, daß sich hinter dieser Zärtlichkeit, Verehrung und Hochachtung die alten, jetzt unbrauchbar gewordenen Sexualstrebungen der infantilen Partialtriebe verbergen. Die Objektwahl der Pubertätszeit muß auf die infantilen Objekte verzichten und als sinnliche Strömung von neuem beginnen. Das Nichtzu sammentreffen der beiden Strömungen hat oft genug die Folge, daß eines der Ideale des Sexuallebens, die Vereini gung aller Begehrungen in einem Objekt, nicht erreicht werden kann.
wesentlichen auf die Wirkung der Latenzzeit reduziert, wird aber höchst bedeutungsvoll für die Störung dieses End zustandes. Die Ergebnisse der infantilen Objektwahl ragen in die spätere Zeit hinein; sie sind entweder als solche er halten geblieben oder sie erfahren zur Zeit der Pubertät selbst eine Auffrischung. Infolge der Verdrängungsentwick lung, welche zwischen beiden Phasen liegt, erweisen sie sich aber als unverwendbar. Ihre Sexualziele haben eine Mil derung erfahren und sie stellen nun das dar, was wir als die § 262Quellen der infantilen Sexualität.
§ 263In dem Bemühen, die Ursprünge des Sexualtriebes zu vera) als Nachbildung einer im Anschluß an andere organische Vorgänge erlebten Befriedigung, b) durch geeignete peripherische Reizung erogener Zonen, c) als Ausdruck einiger uns in ihrer Herkunft noch nicht voll verständlicher »Triebe«, wie der Schautrieb und der Trieb zur Grausamkeit. Die aus späterer Zeit auf die Kindheit zurückgreifende psycho analytische Forschung und die gleichzeitige Beobachtung des
folgen, haben wir bisher gefunden, daß die sexuelle Erregung entsteht § 264Kindes wirken nun zusammen, um uns noch andere regelmäßig
fließende Quellen für die sexuelle Erregung aufzuzeigen. Die Kindheitsbeobachtung hat den Nachteil, daß sie leicht miß zuverstehende Objekte bearbeitet, die Psychoanalyse wird da durch erschwert, daß sie zu ihren Objekten wie zu ihren Schlüssen nur auf großen Umwegen gelangen kann; in ihrem Zusammenwirken erzielen aber beide Methoden einen genügen den Grad von Sicherheit der Erkenntnis. § 265Bei der Untersuchung der erogenen Zonen haben wir be
reits gefunden, daß diese Hautstellen bloß eine besondere Steigerung einer Art von Reizbarkeit zeigen, welche in ge wissem Grade der ganzen Hautoberfläche zukommt. Wir werden also nicht erstaunt sein zu erfahren, daß gewissen Arten allgemeiner Hautreizung sehr deutliche erogene Wir kungen zuzuschreiben sind. Unter diesen heben wir vor allen die Temperaturreize hervor; vielleicht wird so auch unser Verständnis für die therapeutische Wirkung warmer Bäder vorbereitet. § 266Mechanische
Erregungen. § 267Ferner müssen wir hier die Erzeugung sexueller Erregung ) 1) Das Wiegen wird bekanntlich zur Einschläferung unruhiger Kinder regel mäßig angewendet. Die Erschütterungen der Wagenfahrt
durch rhythmische mechanische Erschütterungen des Körpers anreihen, an denen wir dreierlei Reizeinwirkungen zu sondern haben, die auf den Sinnesapparat der Vestibularnerven, die auf die Haut und auf die tiefen Teile (Muskeln, Gelenk apparate). Wegen der dabei entstehenden Lustempfindungen — es ist der Hervorhebung wert, daß wir hier eine ganze Strecke weit »sexuelle Erregung« und »Befriedigung« unter schiedslos gebrauchen dürfen, und legt uns die Pflicht auf, später nach einer Erklärung zu suchen —; es ist also ein Beweis für die durch gewisse mechanische Körpererschüt terungen erzeugte Lust, daß Kinder passive Bewegungsspiele, wie Schaukeln und Fliegenlassen, so sehr lieben und unauf hörlich nach Wiederholung davon verlangen. ) Manche Personen wissen sich zu erinnern, daß sie beim Schau keln den Anprall der bewegten Luft an den Genitalien direkt als sexuelle Lust verspürt haben. § 268und später der Eisenbahnfahrt üben eine so faszinierendeEisenbahn angst vor der Wiederholung der peinlichen Erfahrung schützen.
Wirkung auf ältere Kinder aus, daß wenigstens alle Knaben irgend einmal im Leben Kondukteure und Kutscher werden wollen. Den Vorgängen auf der Eisenbahn pflegen sie ein rätselhaftes Interesse von außerordentlicher Höhe zuzuwenden, und dieselben im Alter der Phantasietätigkeit (kurz vor der Pubertät) zum Kern einer exquisit sexuellen Symbolik zu machen. Der Zwang zu solcher Verknüpfung des Eisenbahn fahrens mit der Sexualität geht offenbar von dem Lust charakter der Bewegungsempfindungen aus. Kommt dann die Verdrängung hinzu, die so vieles von den kindlichen Be vorzugungen ins Gegenteil umschlagen läßt, so werden die selben Personen als Heranwachsende oder Erwachsene auf Wiegen und Schaukeln mit Üblichkeit reagieren, durch eine Eisenbahnfahrt furchtbar erschöpft werden oder zu Angst anfällen auf der Fahrt neigen und sich durch § 269Hier reiht sich dann — noch unverstanden — die Tat
sache an, daß durch Zusammentreffen von Schreck und me chanischer Erschütterung die schwere hysteriforme trauma tische Neurose erzeugt wird. Man darf wenigstens annehmen, daß diese Einflüsse, die in geringen Intensitäten zu Quellen sexueller Erregung werden, in übergroßem Maße einwirkend eine tiefe Zerrüttung des sexuellen Mechanismus hervorrufen. § 270Muskel
tätigkeit. § 271Daß ausgiebige aktive Muskelbetätigung für das Kind
ein Bedürfnis ist, aus dessen Befriedigung es außerordentliche Lust schöpft, ist bekannt. Ob diese Lust etwas mit der Se xualität zu tun hat, ob sie selbst sexuelle Befriedigung ein schließt oder Anlaß zu sexueller Erregung werden kann, das mag kritischen Erwägungen unterliegen, die sich ja auch wohl gegen die im Vorigen enthaltene Aufstellung richten werden, daß die Lust durch die Empfindungen passiver Be wegung sexueller Art ist oder sexuell erregend wirkt. Tat sache ist aber, daß eine Reihe von Personen berichten, sie hätten die ersten Zeichen der Erregtheit an ihren Genitalien während des Raufens oder Ringens mit ihren Gespielen er § 272lebt, in welcher Situation außer der allgemeinen Muskelan ) 1)
strengung noch die ausgiebige Hautberührung mit dem Gegner wirksam wird. Die Neigung zum Muskelstreit mit einer be stimmten Person, wie in späteren Jahren zum Wortstreit (»Was sich liebt, das neckt sich«) gehört zu den guten Vor zeichen der auf diese Person gerichteten Objektwahl. In der Beförderung der sexuellen Erregung durch Muskeltätigkeit wäre eine der Wurzeln des sadistischen Triebes zu erkennen. Für viele Individuen wird die infantile Verknüpfung zwischen Raufen und sexueller Erregung mitbestimmend für die später bevorzugte Richtung ihres Geschlechtstriebes.§ 273Affekt
vorgänge. § 274Minderem Zweifel unterliegen die weiteren Quellen sexuel
ler Erregung beim Kinde. Es ist leicht, durch gleichzeitige Beobachtung wie durch spätere Erforschung festzustellen, daß alle intensiveren Affektvorgänge, selbst die schreckhaften Erregungen, auf die Sexualität übergreifen, was übrigens einen Beitrag zum Verständnis der pathogenen Wirkung solcher Gemütsbewegungen liefern kann. Beim Schulkinde kann die Angst, geprüft zu werden, die Spannung einer sich schwer lösenden Aufgabe, für den Durchbruch sexueller Äußerungen wie für das Verhältnis zur Schule bedeutsam werden, indem unter solchen Umständen häufig genug ein Reizgefühl auftritt, welches zur Berührung der Genitalien auffordert, oder ein pollutionsartiger Vorgang mit all seinen verwirrenden Folgen. Das Benehmen der Kinder in der Schule, welches den Lehrern Rätsel genug aufgibt, verdient überhaupt in Beziehung zur keimenden Sexualität derselben gesetzt zu werden. Die sexuell erregende Wirkung mancher an sich unlustiger Affekte, des Ängstigens, Schauderns, Grau sens erhält sich bei einer großen Anzahl Menschen auch durchs reife Leben und ist wohl die Erklärung dafür, daß soviel ) Die Analyse der Fälle von neurotischer Gehstörung und Raumangst hebt den Zweifel an der sexuellen Natur der Bewegungs lust auf. Die moderne Kulturerziehung bedient sich bekanntlich des Sports im großen Umfang, um die Jugend von der Sexualbetätigung abzulenken; richtiger wäre es zu sagen, sie ersetzt ihr den Sexual genuß durch die Bewegungslust und drängt die Sexualbetätigung auf eine ihrer autoerotischen Komponenten zurück. § 275Personen der Gelegenheit zu solchen Sensationen nachjagen,
wenn nur gewisse Nebenumstände (die Angehörigkeit zu einer Scheinwelt, Lektüre, Theater) den Ernst der Unlustempfindung dämpfen. § 276Ließe sich annehmen, daß auch intensiven schmerzhaften
Empfindungen die gleiche erogene Wirkung zukommt, zumal wenn der Schmerz durch eine Nebenbedingung abgetönt oder ferner gehalten wird, so läge in diesem Verhältnis eine der Hauptwurzeln für den masochistisch-sadistischen Trieb, in dessen vielfältige Zusammengesetztheit wir so allmählich Ein blick gewinnen. § 277Intellektuelle
Arbeit. § 278Endlich ist es unverkennbar, daß die Konzentration der
Aufmerksamkeit auf eine intellektuelle Leistung und geistige Anspannung überhaupt bei vielen jugendlichen wie reiferen Personen eine sexuelle Miterregung zur Folge hat, die wohl als die einzig berechtigte Grundlage für die sonst so zweifel hafte Ableitung nervöser Störungen von geistiger »Über arbeitung« zu gelten hat. § 279Überblicken wir nun nach diesen weder vollständig noch
vollzählig mitgeteilten Proben und Andeutungen die Quellen der kindlichen Sexualerregung, so lassen sich folgende All gemeinheiten ahnen oder erkennen: Es scheint auf die aus giebigste Weise dafür gesorgt, daß der Prozeß der Sexual erregung — dessen Wesen uns nun freilich recht rätselhaft geworden ist — in Gang gebracht werde. Es sorgen dafür vor allem in mehr oder minder direkter Weise die Erregungen der sensiblen Oberflächen — Haut und Sinnesorgane —, am unmittelbarsten die Reizeinwirkungen auf gewisse als erogene Zonen zu bezeichnende Stellen. Bei diesen Quellen der Sexual erregung ist wohl die Qualität der Reize das Maßgebende, wenngleich das Moment der Intensität (beim Schmerz) nicht völlig gleichgültig ist. Aber überdies sind Veranstaltungen im Organismus vorhanden, welche zur Folge haben, daß die Sexualerregung als Nebenwirkung bei einer großen Reihe innerer Vorgänge entsteht, sobald die Intensität dieser Vor gänge nur gewisse quantitative Grenzen überstiegen hat. Was wir die Partialtriebe der Sexualität genannt haben, leitet sich § 280entweder direkt aus diesen inneren Quellen der Sexualerregung
ab oder setzt sich aus Beiträgen von solchen Quellen und von erogenen Zonen zusammen. Es ist möglich, daß nichts Be deutsameres im Organismus vorfällt, was nicht seine Kom ponente zur Erregung des Sexualtriebes abzugeben hätte. § 281Es scheint mir derzeit nicht möglich, diese allgemeinen
Sätze zu größerer Klarheit und Sicherheit zu bringen, und ich mache dafür zwei Momente verantwortlich, erstens die Neuheit der ganzen Betrachtungsweise und zweitens den Um stand, daß uns das Wesen der Sexualerregung völlig unbe kannt ist. Doch möchte ich auf zwei Bemerkungen nicht verzichten, welche Ausblicke ins Weite zu eröffnen ver sprechen: § 282Verschiedene
Sexual konstitutionen. § 283a) Sowie wir vorhin einmal die Möglichkeit sahen, eine Mannigfaltigkeit der angeborenen sexuellen Konstitutionen durch die verschiedenartige Ausbildung der erogenen Zonen zu begründen, so können wir nun das gleiche mit Einbeziehung der indirekten Quellen der Sexualerregung versuchen. Wir dürfen annehmen, daß diese Quellen zwar bei allen Indivi duen Zuflüsse liefern, aber nicht alle bei allen Personen gleich starke, und daß in der bevorzugten Ausbildung der einzelnen Quellen zur Sexualerregung ein weiterer Beitrag zur Differenzierung der verschiedenen Sexualkonstitutionen ge legen sein wird.
§ 284Wege
wechselseitiger Beeinflussung. § 285b) Indem wir die solange festgehaltene figürliche Aus drucksweise fallen lassen, in der wir von »Quellen« der Sexual erregung sprachen, können wir auf die Vermutung gelangen, daß alle die Verbindungswege, die von anderen Funktionen her zur Sexualität führen, auch in umgekehrter Richtung gangbar sein müssen. Ist z. B. der beiden Funktionen gemein same Besitz der Lippenzone der Grund dafür, daß bei der Nahrungsaufnahme Sexualbefriedigung entsteht, so vermittelt uns dasselbe Moment auch das Verständnis der Störungen in der Nahrungsaufnahme, wenn die erogenen Funktionen der gemeinsamen Zone gestört sind. Wissen wir einmal, daß Konzentration der Aufmerksamkeit Sexualerregung hervor
§ 286zurufen vermag, so wird uns die Annahme nahegelegt, daß
durch Einwirkung auf demselben Wege, nur in umgekehrter Richtung, der Zustand der Sexualerregung die Verfügbarkeit über die lenkbare Aufmerksamkeit beeinflußt. Ein gutes Stück der Symptomatologie der Neurosen, die ich von Störungen der Sexualvorgänge ableite, äußert sich in Störungen der anderen nicht sexuellen Körperfunktionen, und diese bisher unverständliche Einwirkung wird minder rätsel haft, wenn sie nur das Gegenstück zu den Beeinflussungen darstellt, unter denen die Produktion der Sexualerregung steht. § 287Die nämlichen Wege aber, auf denen Sexualstörungen auf
die übrigen Körperfunktionen übergreifen, müßten auch in der Gesundheit einer anderen wichtigen Leistung dienen. Auf ihnen müßte sich die Heranziehung der sexuellen Triebkräfte zu anderen als sexuellen Zielen, also die Sublimierung der Sexualität vollziehen. Wir müssen mit dem Eingeständnis schließen, daß über diese gewiß vorhandenen, wahrscheinlich nach beiden Richtungen gangbaren Wege noch sehr wenig Sicheres bekannt ist. § 288III.
Die Umgestaltungen der Pubertät. § 289Mit dem Eintritt der Pubertät setzen die Wandlungen ein,1) 1) Da das neue Sexualziel den beiden Geschlechtern sehr verschiedene Funktionen anweist, geht deren Sexual entwicklung nun weit auseinander. Die des Mannes ist die konsequentere, auch unserem Verständnis leichter zugängliche, während beim Weibe sogar eine Art Rückbildung auftritt. Die Normalität des Geschlechtslebens wird nur durch das exakte Zusammentreffen der beiden auf Sexualobjekt und Sexualziel gerichteten Strömungen, der zärtlichen und der sinnlichen, gewährleistet. Es ist wie der Durchschlag eines Tunnels von beiden Seiten her.
welche das infantile Sexualleben in seine endgültige normale Gestaltung überführen sollen. Der Sexualtrieb war bisher vor wiegend autoerotisch, er findet nun das Sexualobjekt. Er be tätigte sich bisher von einzelnen Trieben und erogenen Zonen aus, die unabhängig voneinander eine gewisse Lust als einziges Sexualziel suchten. Nun wird ein neues Sexualziel gegeben, zu dessen Erreichung alle Partialtriebe zusammenwirken, während die erogenen Zonen sich dem Primat der Genitalzone unterordnen.§ 290Das neue Sexualziel besteht beim Manne in der Ent
ladung der Geschlechtsprodukte, es ist dem früheren, der Er reichung von Lust, keineswegs fremd, vielmehr ist der höchste Betrag von Lust an diesen Endakt des Sexualvorgangs geknüpft. Der Sexualtrieb stellt sich jetzt in den Dienst der Fortpflan zungsfunktion; er wird sozusagen altruistisch. Soll diese Um wandlung gelingen, so muß beim Vorgang derselben mit den ursprünglichen Anlagen und allen Eigentümlichkeiten des Triebes gerechnet werden. 1) Die im Text gegebene schematische Darstellung will die Differenzen hervorheben. Inwieweit sich die infantile Sexualität durch ihre Objektwahl der definitiven Sexualorganisation annähert, ist vorhin S. 61 ausgeführt worden. § 291Wie bei jeder anderen Gelegenheit, wo im Organismus
neue Verknüpfungen und Zusammensetzungen zu komplizierten Mechanismen stattfinden sollen, ist auch hier die Gelegenheit zu krankhaften Störungen durch Unterbleiben dieser Neuord nungen gegeben. Alle krankhaften Störungen des Geschlechts lebens sind mit gutem Rechte als Entwicklungshemmungen zu betrachten. § 292Das Primat der Genitalzonen und die Vorlust.
§ 293Von dem beschriebenen Entwicklungsgang liegen Aus
gang und Endziel klar vor unseren Augen. Die vermittelnden Übergänge sind uns noch vielfach dunkel; wir werden an ihnen mehr als ein Rätsel bestehen lassen müssen. § 294Man hat das Auffälligste an den Pubertätsvorgängen zum
Wesentlichen derselben gewählt, das manifeste Wachstum der äußeren Genitalien, an denen sich die Latenzperiode der Kind heit durch relative Wachstumhemmung geäußert hatte. Gleich zeitig ist die Entwicklung der inneren Genitalien so weit vor geschritten, daß sie Geschlechtsprodukte zu liefern, resp. zur Gestaltung eines neuen Lebewesens aufzunehmen vermögen. Ein höchst komplizierter Apparat ist so fertig geworden, der seiner Inanspruchnahme harrt. § 295Dieser Apparat soll durch Reize in Gang gebracht werBereitschaft, der Vorbereitung zum Sexualakt. (Die Erektion des männ lichen Gliedes, das Feuchtwerden der Scheide.)
den, und nun läßt uns die Beobachtung erkennen, daß Reize ihn auf dreierlei Wegen angreifen können, von der Außenwelt her durch Erregung der uns schon bekannten erogenen Zonen, von dem organischen Innern her auf noch zu erforschenden Wegen und von dem Seelenleben aus, welches selbst eine Auf bewahrungsstätte äußerer Eindrücke und eine Aufnahmsstelle innerer Erregungen darstellt. Auf allen drei Wegen wird das nämliche hervorgerufen, ein Zustand, der als »sexuelle Erregt heit« bezeichnet wird und sich durch zweierlei Zeichen kund gibt, seelische und somatische. Das seelische Anzeichen besteht in einem eigentlichen Spannungsgefühl von höchst drängendem Charakter; unter den mannigfaltigen körperlichen steht an erster Stelle eine Reihe von Veränderungen an den Genitalien, die einen unzweifelhaften Sinn haben, den der § 296Die
Sexual spannung. § 297An den Spannungscharakter der sexuellen Erregtheit
knüpft ein Problem an, dessen Lösung ebenso schwierig wie für die Auffassung der Sexualvorgänge bedeutsam wäre. Trotz aller in der Psychologie darüber herrschenden Meinungsver schiedenheiten muß ich daran festhalten, daß ein Spannungs gefühl den Unlustcharakter an sich tragen muß. Für mich ist entscheidend, daß ein solches Gefühl den Drang nach Verän derung der psychischen Situation mit sich bringt, treibend wirkt, was dem Wesen der empfundenen Lust völlig fremd ist. Rechnet man aber die Spannung der sexuellen Erregtheit zu den Unlustgefühlen, so stößt man sich an der Tatsache, daß dieselbe unzweifelhaft lustvoll empfunden wird. Überall ist bei der durch die Sexualvorgänge erzeugten Spannung Lust dabei; selbst bei den Vorbereitungsveränderungen der Geni talien ist eine Art von Befriedigungsgefühl deutlich. Wie hängen nun diese Unlustspannung und dieses Lustgefühl zu sammen? § 298Alles, was mit dem Lust- und Unlustproblem zusammen
hängt, rührt an eine der wundesten Stellen der heutigen Psychologie. Wir wollen versuchen, möglichst aus den Bedin gungen des uns vorliegenden Falles zu lernen, und es ver meiden, dem Problem in seiner Gänze näher zu treten. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Art, wie die erogenen Zonen sich der neuen Ordnung einfügen. Ihnen fällt eine wichtige Rolle bei der Einleitung der sexuellen Erregung zu. Die dem Sexualobjekt entlegenste, das Auge, kommt unter den Ver hältnissen der Objektwerbung am häufigsten in die Lage, durch jene besondere Qualität der Erregung, deren Anlaß wir am Sexualobjekt als Schönheit bezeichnen, gereizt zu werden. Die Vorzüge des Sexualobjekts werden darum auch »Reize« geheißen. Mit dieser Reizung ist einerseits bereits Lust ver bunden, anderseits ist eine Steigerung der sexuellen Erregt heit oder ein Hervorrufen derselben, wo sie noch fehlt, ihre Folge. Kommt die Erregung einer anderen erogenen Zone, z. B. der tastenden Hand, hinzu, so ist der Effekt der gleiche, Lustempfindung einerseits, die sich bald durch die Lust aus den Bereitschaftsveränderungen verstärkt, weitere Steigerung der Sexualspannung anderseits, die bald in deutlichste Unlust übergeht, wenn ihr nicht gestattet wird, weitere Lust herbei zuführen. Durchsichtiger ist vielleicht noch ein anderer Fall, wenn z. B. bei einer sexuell nicht erregten Person eine ero gene Zone, etwa die Brusthaut eines Weibes, durch Berührung gereizt wird. Diese Berührung ruft bereits ein Lustgefühl hervor, ist aber gleichzeitig wie nichts anderes geeignet, die sexuelle Erregung zu wecken, die nach einem Mehr von Lust verlangt. Wie es zugeht, daß die empfundene Lust das Be dürfnis nach größerer Lust hervorruft, das ist eben das Problem. § 299Vorlust mechanismus.
§ 300Die Rolle aber, die dabei den erogenen Zonen zufällt, ist
klar. Was für eine galt, gilt für alle. Sie werden sämtlich dazu verwendet, durch ihre geeignete Reizung einen gewissen Betrag von Lust zu liefern, von dem die Steigerung der Span nung ausgeht, welche ihrerseits die nötige motorische Energie aufzubringen hat, um den Sexualakt zu Ende zu führen. Das vorletzte Stück desselben ist wiederum die geeignete Reizung einer erogenen Zone, der Genitalzone selbst an der Glans Penis, durch das dazu geeignetste Objekt, die Schleimhaut der Scheide, und unter der Lust, welche diese Erregung gewährt, wird dies mal auf reflektorischem Wege die motorische Energie gewon nen, welche die Herausbeförderung der Geschlechtsstoffe besorgt. Diese letzte Lust ist ihrer Intensität nach die höchste, in ihrem Mechanismus von der früheren verschieden. Sie wird ganz durch Entlastung hervorgerufen, ist ganz Befriedigungslust und mit ihr erlischt zeitweilig die Spannung der Libido. § 301Es scheint mir nicht unberechtigt, diesen Unterschied inVorlust bezeichnet werden im Gegensatz zur Endlust oder Befriedi gungslust der Sexualtätigkeit. Die Vorlust ist dann dasselbe, was bereits der infantile Sexualtrieb, wenngleich in verjüngtem Maße, ergeben konnte; die Endlust ist neu, also wahrschein lich an Bedingungen geknüpft, die erst mit der Pubertät einge treten sind. Die Formel für die neue Funktion der erogenen Zonen lautete nun: Sie werden dazu verwendet, um mittels der von ihnen wie im infantilen Leben zu gewinnenden Vor lust die Herbeiführung der größeren Befriedigungslust zu ermöglichen.
dem Wesen der Lust durch Erregung erogener Zonen und der anderen bei Entleerung der Sexualstoffe durch eine Namen gebung zu fixieren. Die erstere kann passend als § 302Ich habe vor kurzem ein anderes Beispiel, aus einem ganz1)1)
verschiedenen Gebiet des seelischen Geschehens erläutern können, in welchem gleichfalls ein größerer Lusteffekt ver möge einer geringfügigeren Lustempfindung, die dabei wie eine Verlockungsprämie wirkt, erzielt wird. Dort ergab sich auch die Gelegenheit, auf das Wesen der Lust näher einzu gehen.§ 303Gefahren der
Vorlust. § 304Der Zusammenhang der Vorlust aber mit dem infantilen
Sexualleben wird durch die pathogene Rolle, die ihr zufallen kann, bekräftigt. Aus dem Mechanismus, in den die Vorlust aufgenommen ist, ergibt sich für die Erreichung des normalen Sexualzieles offenbar eine Gefahr, die dann eintritt, wenn an irgend einer Stelle der vorbereitenden Sexualvorgänge die Vor lust zu groß, ihr Spannungsanteil zu gering ausfallen sollte. Dann entfällt die Triebkraft, um den Sexualvorgang weiter fortzusetzen, der ganze Weg verkürzt sich, die betreffende vorbereitende Aktion tritt an Stelle des normalen Sexual zieles. Dieser schädliche Fall hat erfahrungsgemäß zur Bedin gung, daß die betreffende erogene Zone oder der entsprechende Partialtrieb schon im infantilen Leben in ungewöhnlichem Maße zur Lustgewinnung beigetragen hat. Kommen noch Mo mente hinzu, welche auf die Fixierung hinwirken, so entsteht leicht fürs spätere Leben ein Zwang, welcher sich der Ein ordnung dieser einen Vorlust in einen neuen Zusammenhang widersetzt. Solcher Art ist in der Tat der Mechanismus vieler Perversionen, die ein Verweilen bei vorbereitenden Akten des Sexualvorganges darstellen. 1) Siehe meine 1905 erschienene Studie »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«. Die durch die Witztechnik ge wonnene »Vorlust« wird dazu verwendet, eine größere Lust durch die Aufhebung innerer Hemmungen frei zu machen. § 305Das Fehlschlagen der Funktion des Sexualmechanismus
durch die Schuld der Vorlust wird am ehesten vermieden, wenn das Primat der Genitalzonen gleichfalls bereits im infan tilen Leben vorgezeichnet ist. Dazu scheinen die Anstalten wirklich in der zweiten Hälfte der Kinderzeit (von 8 Jahren bis zur Pubertät) getroffen zu sein. Die Genitalzonen beneh men sich in diesen Jahren bereits in ähnlicher Weise wie zur Zeit der Reife, sie werden der Sitz von Erregungssensationen und Bereitschaftsveränderungen, wenn irgend welche Lust durch Befriedigung anderer erogener Zonen empfunden wird, obwohl dieser Effekt noch zwecklos bleibt, d. h. nichts dazu beiträgt, den Sexualvorgang fortzusetzen. Es entsteht also bereits in den Kinderjahren neben der Befriedigungslust ein gewisser Betrag von Sexualspannung, obwohl minder konstant und we niger ausgiebig, und nun können wir verstehen, warum wir bei der Erörterung der Quellen der Sexualität mit ebenso gutem Recht sagen konnten, der betreffende Vorgang wirke sexuell befriedigend, wie er wirke sexuell erregend. Wir merken, daß wir auf dem Wege zur Erkenntnis uns die Unter schiede des infantilen und des reifen Sexuallebens zunächst übertrieben groß vorgestellt haben, und tragen nun die Kor rektur nach. Nicht nur die Abweichungen vom normalen Sexualleben, sondern auch die normale Gestaltung desselben wird durch die infantilen Äußerungen der Sexualität bestimmt. § 306Das Problem der Sexualerregung.
§ 307Es ist uns durchaus unaufgeklärt geblieben, woher die1)1) Die nächste Vermutung, diese Spannung ergebe sich irgendwie aus der Lust selbst, ist nicht nur an sich sehr unwahrscheinlich, sie wird auch hinfällig, da bei der größten Lust, die an die Entleerung der Geschlechtsprodukte geknüpft ist, keine Spannung erzeugt, sondern alle Spannung aufge hoben wird. Lust und Sexualspannung können also nur in indirekter Weise zusammenhängen.
Sexualspannung rührt, die bei der Befriedigung erogener Zonen gleichzeitig mit der Lust entsteht, und welches das Wesen derselben ist. 1) Es ist überaus lehrreich, daß die deutsche Sprache der im Text erwähnten Rolle der vorbereitenden sexuellen Erregungen, welche gleichzeitig einen Anteil Befriedigung und einen Beitrag zur Sexual spannung liefern, im Gebrauche des Wortes »Lust« Rechnung trägt. »Lust« ist doppelsinnig und bezeichnet ebensowohl die Empfindung der Sexualspannung (Ich habe Lust = ich möchte, ich verspüre den Drang) als auch die der Befriedigung. § 308Rolle der
Sexualstoffe. § 309Außer der Tatsache, daß normalerweise allein die Ent
lastung von den Sexualstoffen der Sexualerregung ein Ende macht, hat man noch andere Anhaltspunkte, die Sexual spannung in Beziehung zu den Sexualprodukten zu bringen. Bei enthaltsamem Leben pflegt der Geschlechtsapparat in wechselnden, aber nicht regellosen Perioden nächtlicherweise sich unter Lustempfindung und während der Traumhalluzi nation eines sexuellen Aktes der Sexualstoffe zu entledigen, und für diesen Vorgang — die nächtliche Pollution — ist die Auffassung schwer abzuweisen, daß die Sexualspannung, die den kurzen halluzinatorischen Weg zum Ersatz des Aktes zu finden weiß, eine Funktion der Samenanhäufung in den Reservoirs für die Geschlechtsprodukte sei. Im gleichen Sinne sprechen die Erfahrungen, die man über die Erschöpf barkeit des sexuellen Mechanismus macht. Bei entleertem Samenvorrat ist nicht nur die Ausführung des Sexualaktes unmöglich, es versagt auch die Reizbarkeit der erogenen Zonen, deren geeignete Erregung dann keine Lust hervor rufen kann. Wir erfahren so nebenbei, daß ein gewisses Maß sexueller Spannung selbst für die Erregbarkeit der erogenen Zonen erforderlich ist. § 310Man würde so zur Annahme gedrängt, die, wenn ich
nicht irre, ziemlich allgemein verbreitet ist, daß die An häufung der Sexualstoffe die Sexualspannung schafft und unterhält, etwa indem der Druck dieser Produkte auf die Wandung ihrer Behälter als Reiz auf ein spinales Zentrum wirkt, dessen Zustand von höheren Zentren wahrgenommen wird und dann für das Bewußtsein die bekannte Spannungs empfindung ergibt. Wenn die Erregung erogener Zonen die Sexualspannung steigert, so könnte dies nur so zugehen, daß die erogenen Zonen in vorgebildeter anatomischer Ver bindung mit diesen Zentren stehen, den Tonus der Erregung daselbst erhöhen, bei genügender Sexualspannung den sexu ellen Akt in Gang bringen und bei ungenügender die Pro duktion der Geschlechtsstoffe anregen. § 311Die Schwäche dieser Lehre, die man z. B. in v. Krafft Ebings Darstellung der Sexualvorgänge angenommen findet, liegt darin, daß sie für die Geschlechtstätigkeit des reifen Mannes geschaffen, auf dreierlei Verhältnisse zu wenig Rück sieht nimmt, deren Aufklärung sie gleichfalls liefern sollte. Es sind dies die Verhältnisse beim Kinde, beim Weibe und beim männlichen Kastraten. In allen drei Fällen ist von einer Anhäufung von Geschlechtsprodukten im gleichen Sinne wie beim Manne nicht die Rede, was die glatte Anwendung des Schemas erschwert; doch ist ohne weiteres zuzugeben, daß sich Auskünfte finden ließen, welche die Unterordnung auch dieser Fälle ermöglichen würden. Auf jeden Fall bleibt die Warnung bestehen, dem Faktor der Anhäufung der Ge schlechtsprodukte nicht Leistungen aufzubürden, deren er unfähig scheint.
§ 312Überschätzung
der inneren Geschlechts teile. § 313Daß die Sexualerregung in beachtenswertem Grade unRieger es hinstellt, daß der Verlust der männlichen Keimdrüsen im reiferen Alter ohne weiteren Einfluß auf das seelische Ver halten des Individuums bleiben kann. Die Keimdrüsen sind eben nicht die Geschlechtlichkeit; die Erfahrungen an männ lichen Kastraten bestätigen nur, was man durch die Ent fernung der Ovarien längst gelernt hatte, daß es unmöglich ist, die geschlechtlichen Charaktere durch die Entfernung der Geschlechtsdrüsen aufzuheben. Die im zarten Alter vor der Pubertät vorgenommene Kastration nähert sich zwar in ihrer Wirkung diesem Ziel, allein dabei scheint nicht der Verlust der Geschlechtsdrüsen an sich, sondern eine mit deren Wegfall verknüpfte Entwicklungshemmung anderer Faktoren in Betracht zu kommen.
abhängig von der Produktion der Geschlechtsstoffe sein kann, scheinen die Beobachtungen an männlichen Kastraten zu er geben, bei denen gelegentlich die Libido der Beeinträchtigung durch die Operation entgeht, wenngleich das entgegengesetzte Verhalten, das ja die Operation motiviert, die Regel ist. Es ist dann keineswegs so verwunderlich, wie C. § 314Chemische
Theorie. § 315Die Wahrheit ist, daß wir über das Wesen der Sexual
erregung keine Auskunft zu geben vermögen, und zwar vor allem darum nicht, weil wir nicht wissen, an welches Organ oder an welche Organe die Geschlechtlichkeit gebunden ist, seitdem wir einsehen, daß wir die Geschlechtsdrüsen in dieser Bedeutung überschätzt haben. Nachdem uns über raschende Entdeckungen die wichtige Rolle der Schilddrüse für die Sexualität kennen gelehrt haben, dürfen wir ver muten, daß uns die Kenntnis der wesentlichen Faktoren der Geschlechtlichkeit noch vorenthalten ist. Wer das Bedürfnis hat, diese große Lücke in unserem Wissen durch eine vor läufige Annahme auszufüllen, der wird sich unter Anlehnung an die wirksamen Stoffe, die in der Thyreoidea gefunden worden sind, etwa folgende Vorstellung machen: Durch die geeignete Reizung erogener Zonen wie unter den anderen Verhältnissen, unter denen sexuelle Miterregung entsteht, werde ein im Organismus allgemein verbreiteter Stoff zersetzt, dessen Zersetzungsprodukte einen spezifischen Reiz für die Reproduktionsorgane oder das mit ihnen verknüpfte spinale Zentrum abgeben, wie wir ja solche Umsetzung eines toxischen Reizes in einen besonderen Organreiz von anderen dem Körper als fremd eingeführten Giftstoffen kennen. Die Verwicklungen von rein toxischen und physiologischen Reiz wirkungen, die sich bei den Sexualvorgängen ergeben, auch nur hypothetisch zu behandeln, kann keine zeitgemäße Auf gabe sein. Ich lege übrigens keinen Wert auf diese besondere Annahme und wäre sofort bereit, sie zu Gunsten einer anderen aufzugeben, insofern nur ihr Grundcharakter, die Betonung des sexuellen Chemismus, erhalten bleibt. Denn diese an scheinend willkürliche Aufstellung wird durch eine wenig be achtete, aber höchst beachtenswerte Einsicht unterstützt. Die Neurosen, welche sich nur auf Störungen des Sexuallebens zurückführen lassen, zeigen die größte klinische Ähnlichkeit mit den Phänomenen der Intoxikation und Abstinenz, welche sich durch die habituelle Einführung Lust erzeugender Gift stoffe (Alkaloide) ergeben. § 316Die Libidotheorie.
§ 317Mit diesen Vermutungen über die chemische GrundLibido festgelegt als einer quantitativ veränderlichen Kraft, welche Vorgänge und Um setzungen auf dem Gebiete der Sexualerregung messen könnte. Diese Libido sondern wir von der Energie, die den seelischen Prozessen allgemein unterzulegen ist, mit Beziehung auf ihren besonderen Ursprung und verleihen ihr so auch einen quali tativen Charakter. In der Sonderung von libidinöser und anderer psychischer Energie drücken wir die Voraussetzung aus, daß sich die Sexualvorgänge des Organismus durch einen besonderen Chemismus von den Ernährungsvorgängen unterscheiden. Die Analyse der Perversionen und Psycho neurosen hat uns zur Einsicht gebracht, daß diese Sexual erregung nicht von den sogenannten Geschlechtsteilen allein, sondern von allen Körperorganen geliefert wird. Wir bilden uns also die Vorstellung eines Libidoquantums, dessen psy chische Vertretung wir die Ichlibido heißen, dessen Pro duktion, Vergrößerung oder Verminderung, Verteilung und Verschiebung uns die Erklärungsmöglichkeiten für die beob achteten psychosexuellen Phänomene bieten soll.
lage der Sexualerregung stehen in guter Übereinstimmung die Hilfsvorstellungen, die wir uns zur Bewältigung der psychischen Äußerungen des Sexuallebens geschaffen haben. Wir haben uns den Begriff der § 318Dem analytischen Studium bequem zugänglich wird dieseOb jektlibido geworden ist. Wir sehen sie dann sich auf Objekte konzentrieren, an ihnen fixieren, oder aber diese Objekte verlassen, von ihnen auf andere übergehen und von diesen Positionen aus die Sexualbetätigung des Individuums lenken, die zur Befriedigung, d. h. zum partiellen und zeitweisen Erlöschen der Libido führt. Die Psychoanalyse der soge nannten Übertragungsneurosen (Hysterie und Zwangsneurose) gestattet uns hier einen sicheren Einblick.
Ichlibido aber nur, wenn sie die psychische Verwendung zur Besetzung von Sexualobjekten gefunden hat, also zur § 319Von den Schicksalen der Objektlibido können wir nochnarzißtische Libido. Von der Psychoanalyse aus schauen wir wie über eine Grenze, deren Überschreitung uns nicht gestattet ist, in das Getriebe der narzißtischen Libido hinein und bilden uns eine Vorstellung von dem Verhältnis der beiden. Die narzißtische oder Ichlibido erscheint uns als das große Reservoir, aus welchem die Objektbesetzungen ausgeschickt und in welches sie wieder einbezogen werden, die narzißtische Libidobesetzung des Ichs als der in der ersten Kindheit realisierte Urzustand, welcher durch die spä teren Aussendungen der Libido nur verdeckt wird, im Grunde hinter denselben erhalten geblieben ist.
erkennen, daß sie von den Objekten abgezogen, in besonderen Spannungszuständen schwebend erhalten und endlich ins Ich zurückgeholt wird, so daß sie wieder zur Ichlibido geworden ist. Die Ichlibido heißen wir im Gegensatz zur Objektlibido auch § 320Die Aufgabe einer Libidotheorie der neurotischen und1)1)
psychotischen Störungen müßte sein, alle beobachteten Phä nomene und erschlossenen Vorgänge in den Terminis der Libidoökonomie auszudrücken. Es ist leicht zu erraten, daß den Schicksalen der Ichlibido dabei die größere Bedeutung zufallen wird, besonders wo es sich um die Erklärung der tieferen psychotischen Störungen handelt. Die Schwierigkeit liegt dann darin, daß das Mittel unserer Untersuchung, die Psychoanalyse, uns vorläufig nur über die Wandlungen an der Objektlibido sichere Auskunft bringt, die Ichlibido aber von den anderen im Ich wirkenden Energien nicht ohne weiteres zu scheiden vermag.§ 321Differenzierung von Mann und Weib.
§ 322Es ist bekannt, daß erst mit der Pubertät sich die scharfedie Libido sei regelmäßig und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vorkomme und, abgesehen von ihrem Objekt, mag dies der Mann oder das Weib sein.1)1)
Sonderung des männlichen und weiblichen Charakters herstellt, ein Gegensatz, der dann wie kein anderer die Lebensgestaltung der Menschen entscheidend beeinflußt. Männliche und weib liche Anlage sind allerdings schon im Kindesalter gut kennt lich; die Entwicklung der Sexualitätshemmungen (Scham, Ekel, Mitleid usw.) erfolgt beim kleinen Mädchen frühzeitiger und gegen geringeren Widerstand als beim Knaben; die Neigung zur Sexualverdrängung erscheint überhaupt größer; wo sich Partialtriebe der Sexualität bemerkbar machen, bevorzugen sie die passive Form. Die autoerotische Betätigung der erogenen Zonen ist aber bei beiden Geschlechtern die näm liche, und durch diese Übereinstimmung ist die Möglichkeit eines Geschlechtsunterschiedes, wie er sich nach der Pubertät herstellt, für die Kindheit aufgehoben. Mit Rücksicht auf die autoerotischen und masturbatorischen Sexualäußerungen könnte man den Satz aufstellen, die Sexualität der kleinen Mädchen habe durchaus männlichen Charakter. Ja, wüßte man den Begriffen »männlich und weiblich« einen bestimm teren Inhalt zu geben, so ließe sich auch die Behauptung ver treten, 1) S. Zur Einführung des Narzißmus, Jahrbuch der Psychoana lyse VI, 1913. 1) Es ist unerläßlich, sich klar zu machen, daß die Begriffe »männlich« und »weiblich«, deren Inhalt der gewöhnlichen Meinung so unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrensten gehören und nach mindestens drei Richtungen zu zerlegen sind. Man gebraucht männlich und weiblich bald im Sinne von Aktivität und Passivität, bald im biologischen und dann auch im sozio logischen Sinne. Die erste dieser drei Bedeutungen ist die wesent liche und die in der Psychoanalyse allein verwertbare. Ihr entspricht es, wenn die Libido oben im Text als männlich bezeichnet wird, denn der Trieb ist immer aktiv, auch wo er sich ein passives Ziel gesetzt hat. Die zweite, biologische, Bedeutung von männlich und weiblich ist die, welche die klarste Bestimmung zuläßt. Männlich und weiblich sind hier durch die Anwesenheit der Samen- respektive Eizelle und durch die von ihnen ausgehenden Funktionen charakterisiert. Die Aktivität und ihre Nebenäußerungen, stärkere Muskelentwicklung, Aggression, größere Intensität der Libido, sind in der Regel mit der biologischen Männlichkeit verlötet, aber nicht notwendigerweise ver knüpft, denn es gibt Tiergattungen, bei denen diese Eigenschaften vielmehr dem Weibchen zugeteilt sind. Die dritte, soziologische, Be deutung erhält ihren Inhalt durch die Beobachtung der wirklich existierenden männlichen und weiblichen Individuen. Diese ergibt für den Menschen, daß weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist vielmehr eine Vermengung ihres biologischen Ge schlechtscharakters mit biologischen Zügen des anderen Geschlechts und eine Vereinigung von Aktivität und Passivität auf, sowohl inso fern diese psychischen Charakterzüge von den biologischen abhängen, als auch insoweit sie unabhängig von ihnen sind. § 323Seitdem ich mit dem Gesichtspunkt der Bisexualität be
kannt geworden bin, halte ich dieses Moment für das hier Maßgebende und meine, ohne der Bisexualität Rechnung zu tragen, wird man kaum zum Verständnis der tatsächlich zu beobachtenden Sexualäußerungen von Mann und Weib ge langen können. § 324Leitzonen bei
Mann u. Weib. § 325Von diesem abgesehen, kann ich nur noch folgendes hin
zufügen: Die leitende erogene Zone ist auch beim weiblichen Kinde an der Klitoris gelegen, der männlichen Genitalzone an der Eichel also homolog. Alles, was ich über Mastur bation bei kleinen Mädchen in Erfahrung bringen konnte, be traf die Klitoris und nicht die für die späteren Geschlechts funktionen bedeutsamen Partien des äußeren Genitales. Ich zweifle selbst daran, daß das weibliche Kind unter dem Ein fluß der Verführung zu etwas anderem als zur Klitorismastur bation gelangen kann, es sei denn ganz ausnahmsweise. Die gerade bei kleinen Mädchen so häufigen Spontanentladungen der sexuellen Erregtheit äußern sich in Zuckungen der Klitoris, und die häufigen Erektionen derselben ermöglichen es den Mädchen, die Sexualäußerungen des anderen Geschlechtes richtig auch ohne Unterweisung zu beurteilen, indem sie ein fach die Empfindungen der eigenen Sexualvorgänge auf die Knaben übertragen. § 326Will man das Weibwerden des kleinen Mädchens ver
stehen, so muß man die weiteren Schicksale dieser Klitoris erregbarkeit verfolgen. Die Pubertät, welche dem Knaben jenen großen Vorstoß der Libido bringt, kennzeichnet sich für das Mädchen durch eine neuerliche Verdrängungswelle, von der gerade die Klitorissexualität betroffen wird. Es ist ein Stück männlichen Sexuallebens, was dabei der Verdrän gung verfällt. Die bei dieser Pubertätsverdrängung des Weibes geschaffene Verstärkung der Sexualhemmnisse ergibt dann einen Reiz für die Libido des Mannes und nötigt die selbe zur Steigerung ihrer Leistungen; mit der Höhe der Libido steigt dann auch die Sexualüberschätzung, die nur für das sich weigernde, seine Sexualität verleugnende Weib im vollen Maße zu haben ist. Die Klitoris behält dann die Rolle, wenn sie beim endlich zugelassenen Sexualakt selbst erregt wird, diese Erregung an die benachbarten weib lichen Teile weiter zu leiten, etwa wie ein Span Kienholz dazu benützt werden kann, das härtere Brennholz in Brand zu setzen. Es nimmt oft eine gewisse Zeit in Anspruch, bis sich diese Übertragung vollzogen hat, während welcher dann das junge Weib anästhetisch ist. Diese Anästhesie kann eine dauernde werden, wenn die Klitoriszone ihre Erregbarkeit abzugeben sich weigert, was gerade durch ausgiebige Betä tigung im Kinderleben vorbereitet wird. Es ist bekannt, daß die Anästhesie der Frauen häufig nur eine scheinbare, eine lokale ist. Sie sind anästhetisch am Scheideneingang, aber keineswegs unerregbar von der Klitoris oder selbst von anderen Zonen aus. Zu diesen erogenen Anlässen der Anästhesie gesellen sich dann noch die psychischen gleich falls durch Verdrängung bedingten. § 327Ist die Übertragung der erogenen Reizbarkeit von der
Klitoris auf den Scheideneingang gelungen, so hat damit das Weib seine für die spätere Sexualbetätigung leitende Zone ge wechselt, während der Mann die seinige von der Kindheit an beibehalten hat. In diesem Wechsel der leitenden erogenen Zone sowie in dem Verdrängungsschub der Pubertät, der gleichsam die infantile Männlichkeit beiseite schafft, liegen die Hauptbedingungen für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose, insbesondere zur Hysterie. Diese Bedingungen hängen also mit dem Wesen der Weiblichkeit innigst zu sammen. § 328Die Objektfindung.
§ 329Während durch die Pubertätsvorgänge das Primat der1)1)
Genitalzonen festgelegt wird und das Vordrängen des erigiert gewordenen Gliedes beim Manne gebieterisch auf das neue Sexualziel hinweist, auf das Eindringen in eine die Genital zone erregende Körperhöhle, vollzieht sich von psychischer Seite her die Objektfindung, für welche von der frühesten Kindheit an vorgearbeitet worden ist. Als die anfänglichste Sexualbefriedigung noch mit der Nahrungsaufnahme ver bunden war, hatte der Sexualtrieb ein Sexualobjekt außer halb des eigenen Körpers in der Mutterbrust. Er verlor es nur später vielleicht gerade zur Zeit, als es dem Kinde möglich wurde, die Gesamtvorstellung der Person, welcher das ihm Befriedigung spendende Organ angehörte, zu bilden. Der Geschlechtstrieb wird dann in der Regel autoerotisch und erst nach Überwindung der Latenzzeit stellt sich das ursprüngliche Verhältnis wieder her. Nicht ohne guten Grund ist das Saugen des Kindes an der Brust der Mutter vorbildlich für jede Liebesbeziehung geworden. Die Objekt findung ist eigentlich eine Wiederfindung,§ 330Sexualobjekt
der Säuglingszeit. § 331Aber von dieser ersten und wichtigsten aller sexuellenlieben, durchaus nach dem Muster und in Fortsetzung seines Säuglingsverhält nisses zur Amme. Man wird sich vielleicht sträuben wollen, die zärtlichen Gefühle und die Wertschätzung des Kindes für seine Pflegepersonen mit der geschlechtlichen Liebe zu iden tifizieren, allein ich meine, eine genauere psychologische Untersuchung wird diese Identität über jeden Zweifel hinaus feststellen können. Der Verkehr des Kindes mit seiner Pflegeperson ist für dasselbe eine unaufhörlich fließende Quelle sexueller Erregung und Befriedigung von erogenen Zonen aus, zumal da letztere — in der Regel doch die Mutter — das Kind selbst mit Gefühlen bedenkt, die aus ihrem Sexualleben stammen, es streichelt, küßt und wiegt und ganz deutlich zum Ersatz für ein vollgültiges Sexual objekt nimmt.1)1) Die Mutter würde wahrscheinlich erschrecken, wenn man ihr die Aufklärung gäbe, daß sie mit all ihren Zärtlichkeiten den Sexualtrieb ihres Kindes weckt und dessen spätere Intensität vorbereitet. Sie hält ihr Tun für asexuelle »reine« Liebe, da sie es doch sorgsam vermeidet, den Geni talien des Kindes mehr Erregungen zuzuführen, als bei der Körperpflege unumgänglich ist. Aber der Geschlechtstrieb wird nicht nur durch Erregung der Genitalzone geweckt, wie wir ja wissen; was wir Zärtlichkeit heißen, wird unfehlbar eines Tages seine Wirkung auch auf die Genitalzonen äußern. Verstünde die Mutter mehr von der hohen Bedeutung des Triebes für das gesamte Seelenleben, für alle ethischen und psychischen Leistungen, so würde sie sich übrigens auch nach der Aufklärung alle Selbstvorwürfe ersparen. Sie erfüllt nur ihre Aufgabe, wenn sie das Kind lieben lehrt; es soll ja ein tüchtiger Mensch mit energischem Sexualbedürfnis werden und in seinem Leben all das vollbringen, wozu der Trieb den Menschen drängt. Ein Zuviel von elterlicher Zärtlichkeit wird freilich schädlich werden, indem es die sexuelle Reifung be schleunigt, auch dadurch, daß es das Kind »verwöhnt«, es unfähig macht, im späteren Leben auf Liebe zeitweilig zu verzichten oder sich mit einem geringeren Maß davon zu be gnügen. Es ist eines der besten Vorzeichen späterer Nervo sität, wenn das Kind sich unersättlich in seinem Verlangen nach Zärtlichkeit der Eltern erweist, und anderseits werden gerade neuropathische Eltern, die ja meist zur maßlosen Zärtlichkeit neigen, durch ihre Liebkosungen die Disposition des Kindes zur neurotischen Erkrankung am ehesten erwecken. Man ersieht übrigens aus diesem Beispiel, daß es für neuro tische Eltern direktere Wege als den der Vererbung gibt, ihre Störung auf die Kinder zu übertragen.
Beziehungen bleibt auch nach der Abtrennung der Sexual tätigkeit von der Nahrungsaufnahme ein wichtiges Stück übrig, welches die Objektwahl vorbereiten, das verlorene Glück also wiederherstellen hilft. Die ganze Latenzzeit über lernt das Kind andere Personen, die seiner Hilflosigkeit ab helfen und seine Bedürfnisse befriedigen, 1) Die Psychoanalyse lehrt, daß es zwei Wege der Objektfindung gibt, erstens die im Text besprochene, die in Anlehnung an die frühinfantilen Vorbilder vor sich geht, und zweitens die nar zißtische, die das eigene Ich sucht und im anderen wiederfindet. Diese letztere hat eine besonders große Bedeutung für die patho logischen Ausgänge, fügt sich aber nicht in den hier behandelten Zu sammenhang. § 332Infantile
Angst. § 333Die Kinder selbst benehmen sich von frühen Jahren an,1)1)
als sei ihre Anhänglichkeit an ihre Pflegepersonen von der Natur der sexuellen Liebe. Die Angst der Kinder ist ursprünglich gar nichts anderes als der Ausdruck dafür, daß sie die geliebte Person vermissen; sie kommen darum jedem Fremden mit Angst entgegen; sie fürchten sich in der Dunkelheit, weil man in dieser die geliebte Person nicht sieht, und lassen sich beruhigen, wenn sie dieselbe in der Dunkelheit bei der Hand fassen können. Man überschätzt die Wirkung aller Kinderschrecken und gruseligen Erzählungen der Kinderfrauen, wenn man diesen Schuld gibt, daß sie die Ängstlichkeit der Kinder erzeugen. Kinder, die zur Ängst lichkeit neigen, nehmen nur solche Erzählungen auf, die an anderen durchaus nicht haften wollen; und zur Ängstlichkeit neigen nur Kinder mit übergroßem oder vorzeitig ent wickeltem oder durch Verzärtelung anspruchsvoll gewordenem Sexualtrieb. Das Kind benimmt sich hiebei wie der Erwach sene, indem es seine Libido in Angst verwandelt, sowie es sie nicht zur Befriedigung zu bringen vermag, und der Erwachsene wird sich dafür, wenn er durch unbefriedigte Libido neurotisch geworden ist, in seiner Angst wie ein Kind benehmen, sich zu fürchten beginnen, sowie er allein, d. h. ohne eine Person ist, deren Liebe er sicher zu sein glaubt, und diese seine Angst durch die kindischesten Maß regeln beschwichtigen wollen. 1) Wem diese Auffassung »frevelhaft« dünkt, der lese die fast gleichsinnige Behandlung des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind bei Havelock Ellis nach. (Das Geschlechtsgefühl, S. 16.) § 334Inzest
schranke. § 335Wenn die Zärtlichkeit der Eltern zum Kinde es glücklich1)1) Aber durch den Aufschub der sexuellen Reifung ist die Zeit gewonnen worden, neben anderen Sexualhemmnissen die Inzestschranke aufzurichten, jene moralischen Vorschriften in sich aufzunehmen, welche die geliebten Personen der Kindheit als Blutsverwandte ausdrück lich von der Objektwahl ausschließen. Die Beachtung dieser Schranke ist vor allem eine Kulturforderung der Gesellschaft, welche sich gegen die Aufzehrung von Interessen durch die Familie wehren muß, die sie für die Herstellung höherer so zialer Einheiten braucht, und darum mit allen Mitteln dahin wirkt, bei jedem einzelnen, speziell beim Jüngling, den in der Kindheit allein maßgebenden Zusammenhang mit seiner Familie zu lockern.2)2)
vermieden hat, den Sexualtrieb desselben vorzeitig, d. h. ehe die körperlichen Bedingungen der Pubertät gegeben sind, in solcher Stärke zu wecken, daß die seelische Erregung in un verkennbarer Weise zum Genitalsystem durchbricht, so kann sie ihre Aufgabe erfüllen, dieses Kind im Alter der Reife bei der Wahl des Sexualobjekts zu leiten. Gewiß läge es dem Kinde am nächsten, diejenigen Personen selbst zu Sexualob jekten zu wählen, die es mit einer sozusagen abgedämpften Libido seit seiner Kindheit liebt. 1) Die Aufklärung über die Herkunft der kindlichen Angst ver danke ich einem dreijährigen Knaben, den ich einmal aus seinem dunklen Zimmer bitten hörte: Tante, sprich mit mir; ich fürchte mich, weil es so dunkel ist. Die Tante rief ihn an: Was hast du denn davon? Du siehst mich ja nicht. Das macht nichts, antwortete das Kind; wenn jemand spricht, wird es hell. — Er fürchtete sich also nicht vor der Dunkelheit, sondern weil er eine geliebte Person ver mißte, und konnte versprechen sich zu beruhigen, sobald er einen Beweis von deren Anwesenheit empfangen hatte. § 336Die Objektwahl wird aber zunächst in der Vorstellung3)3) Gleichzeitig mit der Überwindung und Verwerfung dieser deutlich inzestuösen Phantasien wird eine der bedeut samsten, aber auch schmerzhaftesten, psychischen Leistungen der Pubertätszeit vollzogen, die Ablösung von der Autorität der Eltern, durch welche erst der für den Kulturfortschritt so wichtige Gegensatz der neuen Generation zur alten ge schaffen wird. Auf jeder der Stationen des Entwicklungs ganges, den die Individuen durchmachen sollen, wird eine Anzahl derselben zurückgehalten, und so gibt es auch Per sonen, welche die Autorität der Eltern nie überwunden und ihre Zärtlichkeit von denselben nicht oder nur sehr unvoll ständig zurückgezogen haben. Es sind zumeist Mädchen, die so zur Freude der Eltern weit über die Pubertät hinaus bei der vollen Kinderliebe verbleiben, und da wird es dann sehr lehrreich zu finden, daß es diesen Mädchen in ihrer späteren Ehe an dem Vermögen gebricht, ihren Männern das Gebüh rende zu schenken. Sie werden kühle Ehefrauen, und bleiben sexuell anästhetisch. Man lernt daraus, daß die anscheinend nicht sexuelle Liebe zu den Eltern und die geschlechtliche Liebe aus denselben Quellen gespeist werden, d. h. daß die erstere nur einer infantilen Fixierung der Libido entspricht.
vollzogen und das Geschlechtsleben der eben reifenden Jugend hat kaum einen anderen Spielraum, als sich in Phantasien, d. h. in nicht zur Ausführung bestimmten Vorstellungen zu ergehen. In diesen Phantasien treten bei allen Menschen die infantilen Neigungen, nun durch den somatischen Nachdruck verstärkt, wieder auf und unter ihnen in gesetzmäßiger Häufig keit und an erster Stelle die meist bereits durch die Geschlechts anziehung differenzierte Sexualregung des Kindes für die Eltern, des Sohnes für die Mutter und der Tochter für den Vater. 1) Vgl. hiezu das auf S. 62 über die Objektwahl des Kindes Ge sagte; die »zärtliche Strömung«. 2) Die Inzestschranke gehört wahrscheinlich zu den historischen Erwerbungen der Menschheit und dürfte wie andere Moraltabu bereits bei vielen Individuen durch organische Vererbung fixiert sein. (Vgl. meine Schrift: Totem und Tabu 1913.) Doch zeigt die psychoanalytische Untersuchung, wie intensiv noch der Einzelne in seinen Entwicklungs zeiten mit der Inzestversuchung ringt und wie häufig er sie in Phan tasien und selbst in der Realität übertritt. 3) Vergleiche die Ausführungen über das unvermeidliche Ver hängnis in der Ödipusfabel (»Traumdeutung«, 4. Auflage, pag. 198). § 337Je mehr man sich den tieferen Störungen der psychoverliebt sind, indem sie mit Hilfe der Symptome und anderen Krank heitsäußerungen ihre unbewußten Gedanken aufspürt und in bewußte übersetzt. Auch wo ein vorerst Gesunder nach einer unglücklichen Liebeserfahrung erkrankt ist, kann man als den Mechanismus solcher Erkrankung die Rückwendung seiner Libido auf die infantil bevorzugten Personen mit Sicherheit aufdecken.
sexuellen Entwicklung nähert, desto unverkennbarer tritt die Bedeutung der inzestuösen Objektwahl hervor. Bei den Psycho neurotikern verbleibt infolge von Sexualablehnung ein großes Stück oder das Ganze der psychosexuellen Tätigkeit zur Objektfindung im Unbewußten. Für die Mädchen mit über großem Zärtlichkeitsbedürfnis und eben solchem Grausen vor den realen Anforderungen des Sexuallebens wird es zu einer unwiderstehlichen Versuchung, sich einerseits das Ideal der asexuellen Liebe im Leben zu verwirklichen und anderseits ihre Libido hinter einer Zärtlichkeit, die sie ohne Selbstvorwurf äußern dürfen, zu verbergen, indem sie die infantile, in der Pubertät aufgefrischte Neigung zu Eltern oder Geschwistern fürs Leben festhalten. Die Psychoanalyse kann solchen Per sonen mühelos nachweisen, daß sie in diese ihre Blutsver wandten im gemeinverständlichen Sinne des Wortes § 338Nachwirkung
der infantilen Objektwahl. § 339Auch wer die inzestuöse Fixierung seiner Libido glück
lich vermieden hat, ist dem Einfluß derselben nicht völlig ent zogen. Es ist ein deutlicher Nachklang dieser Entwicklungs phase, wenn die erste ernsthafte Verliebtheit des jungen Man nes, wie so häufig, einem reifen Weibe, die des Mädchens einem älteren, mit Autorität ausgestatteten Manne gilt, die ihnen das Bild der Mutter und des Vaters beleben können. In freierer Anlehnung an diese Vorbilder geht wohl die Ob jektwahl überhaupt vor sich. Vor allem sucht der Mann nach dem Erinnerungsbild der Mutter, wie es ihn seit den Anfän gen der Kindheit beherrscht; im vollen Einklang steht es damit, wenn sich die noch lebende Mutter gegen diese ihre Erneuerung sträubt und ihr mit Feindseligkeit entgegenkommt. Bei solcher Bedeutung der kindlichen Beziehungen zu den Eltern für die spätere Wahl des Sexualobjekts ist es leicht zu verstehen, daß jede Störung dieser Kindheitsbeziehungen die schwersten Folgen für das Sexualleben nach der Reife zeitigt; auch die Eifersucht des Liebenden ermangelt nie der infantilen Wurzel oder wenigstens der infantilen Verstärkung. Zwistig keiten zwischen den Eltern selbst, unglückliche Ehe derselben, bedingen die schwerste Prädisposition für gestörte Sexual entwicklung oder neurotische Erkrankung der Kinder. § 340Die infantile Neigung zu den Eltern ist wohl die wichtigste,Sexual reihe zu entwickeln, ganz verschiedene Bedingungen für die Objektwahl auszubilden.1)1)
aber nicht die einzige der Spuren, die, in der Pubertät auf gefrischt, dann der Objektwahl den Weg weisen. Andere An sätze derselben Herkunft gestatten dem Manne noch immer in Anlehnung an seine Kindheit mehr als eine einzige 1) Ungezählte Eigentümlichkeiten des menschlichen Liebeslebens sowie das Zwanghafte der Verliebtheit selbst sind überhaupt nur durch die Rückbeziehung auf die Kindheit und als Wirkungsreste derselben zu verstehen. § 341Verhütung
der Inversion. § 342Eine bei der Objektwahl sich ergebende Aufgabe liegtDessoir hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, welche Gesetzmäßigkeit sich in den schwärmerischen Freundschaften von Jünglingen und Mäd chen für ihresgleichen verrät. Die größte Macht, welche eine dauernde Inversion des Sexualobjekts abwehrt, ist gewiß die Anziehung, welche die entgegengesetzten Geschlechtscharak tere für einander äußern; zur Erklärung derselben kann im Zusammenhange dieser Erörterungen nichts gegeben werden. Aber dieser Faktor reicht für sich allein nicht hin, die In version auszuschließen; es kommen wohl allerlei unterstüt zende Momente hinzu. Vor allem die Autoritätshemmung der Gesellschaft; wo die Inversion nicht als Verbrechen betrach tet wird, da kann man die Erfahrung machen, daß sie den sexuellen Neigungen nicht weniger Individuen voll entspricht. Ferner darf man für den Mann annehmen, daß die Kinder erinnerung an die Zärtlichkeit der Mutter und anderer weib licher Personen, denen er als Kind überantwortet war, ener gisch mithilft, seine Wahl auf das Weib zu lenken, während die von seiten des Vaters erfahrene frühzeitige Sexualein schüchterung und die Konkurrenzeinstellung zu ihm vom gleichen Geschlechte ablenkt. Beide Momente gelten aber auch für das Mädchen, dessen Sexualbetätigung unter der beson deren Obhut der Mutter steht. Es ergibt sich so eine feind liche Beziehung zum eigenen Geschlecht, welche die Objektwahl entscheidend in dem für normal geltenden Sinn beeinflußt. Die Erziehung der Knaben durch männliche Personen (Skla ven in der antiken Welt) scheint die Homosexualität zu be günstigen; beim heutigen Adel wird die Häufigkeit der Inversion wohl durch die Verwendung männlicher Dienerschaft wie durch die geringere persönliche Fürsorge der Mütter für ihre Kinder um etwas verständlicher. Bei manchen Hysterischen ergibt sich, daß der frühzeitige Wegfall einer Person des Eltern paares (durch Tod, Ehescheidung, Entfremdung), worauf dann die übrigbleibende die ganze Liebe des Kindes an sich gezogen hatte, die Bedingung für das Geschlecht der später zum Sexualobjekt gewählten Person festgestellt und damit auch die dauernde Inversion ermöglicht hat.
darin, das entgegengesetzte Geschlecht nicht zu verfehlen. Sie wird, wie bekannt, nicht ohne einiges Tasten gelöst. Die ersten Regungen nach der Pubertät gehen häufig genug — ohne dauernden Schaden — irre. § 343Zusammenfassung.
§ 344Es ist an der Zeit, eine Zusammenfassung zu versuchen.
Wir sind von den Abirrungen des Geschlechtstriebes in Bezug auf sein Objekt und sein Ziel ausgegangen, haben die Frage stellung vorgefunden, ob diese aus angeborner Anlage ent springen oder infolge der Einflüsse des Lebens erworben wer den. Die Beantwortung dieser Frage ergab sich uns aus der Einsicht in die Verhältnisse des Geschlechtstriebes bei den Psychoneurotikern, einer zahlreichen und den Gesunden nicht ferne stehenden Menschengruppe, welche Einsicht wir durch psychoanalytische Untersuchung gewonnen hatten. Wir fanden so, daß bei diesen Personen die Neigungen zu allen Perver sionen als unbewußte Mächte nachweisbar sind und sich als Symptombildner verraten, und konnten sagen, die Neurose sei gleichsam ein Negativ der Perversion. Angesichts der nun er kannten großen Verbreitung der Perversionsneigungen drängte sich uns der Gesichtspunkt auf, daß die Anlage zu den Perver sionen die ursprüngliche allgemeine Anlage des menschlichen Geschlechtstriebes sei, aus welcher das normale Sexual verhalten infolge organischer Veränderungen und psychischer Hemmungen im Laufe der Reifung entwickelt werde. Die ursprüngliche Anlage hofften wir im Kindesalter aufzeigen zu können; unter den die Richtung des Sexualtriebes ein schränkenden Mächten hoben wir Scham, Ekel, Mitleid und die sozialen Konstruktionen der Moral und Autorität hervor. So mußten wir in jeder fixierten Abirrung vom normalen Geschlechtsleben ein Stück Entwicklungshemmung und Infan tilismus erblicken. Die Bedeutung der Variationen der ur sprünglichen Anlage mußten wir in den Vordergrund stellen, zwischen ihnen und den Einflüssen des Lebens aber ein Ver hältnis von Kooperation und nicht von Gegensätzlichkeit an nehmen. Anderseits erschien uns, da die ursprüngliche An lage eine komplexe sein mußte, der Geschlechtstrieb selbst als etwas aus vielen Faktoren Zusammengesetztes, das in den Perversionen gleichsam in seine Komponenten zerfällt. Somit erwiesen sich die Perversionen einerseits als Hemmungen, anderseits als Dissoziationen der normalen Entwicklung. Beide Auffassungen vereinigten sich in der Annahme, daß der Geschlechtstrieb des Erwachsenen durch die Zusammenfassung vielfacher Regungen des Kinderlebens zu einer Einheit, einer Strebung mit einem einzigen Ziel entstehe. § 345Wir fügten noch die Aufklärung für das Überwiegen der1)1) Wir fanden es bedauerlich, daß man dem Kindesalter den Sexualtrieb abgesprochen und die nicht selten zu beobachtenden Sexualäußerungen des Kindes als regelwidrige Vorkommnisse beschrieben hat. Es schien uns vielmehr, daß das Kind Keime von Sexualtätigkeit mit zur Welt bringt und schon bei der Nahrungsaufnahme sexuelle Befriedigung mitgenießt, die es sich dann in der gut gekannten Tätigkeit des »Ludelns« immer wieder zu ver schaffen sucht. Die Sexualbetätigung des Kindes entwickle sich aber nicht im gleichen Schritt wie seine sonstigen Funk tionen, sondern trete nach einer kurzen Blüteperiode vom 3. bis zum 5. Jahr in die sog. Latenzperiode ein. In der selben würde die Produktion sexueller Erregung keineswegs eingestellt, sondern halte an und liefere einen Vorrat von Energie, der großenteils zu anderen als sexuellen Zwecken verwendet werde, nämlich einerseits zur Abgabe der sexuellen Komponenten für soziale Gefühle, anderseits (ver mittels Verdrängung und Reaktionsbildung) zum Aufbau der späteren Sexualschranken. Demnach würden die Mächte, die dazu bestimmt sind, den Sexualtrieb in gewissen Bahnen zu erhalten, im Kindesalter auf Kosten der großenteils perversen Sexualregungen und unter Mithilfe der Erziehung aufgebaut. Ein anderer Teil der infantilen Sexualregungen entgehe diesen Verwendungen und könne sich als Sexualbetätigung äußern. Man könne dann erfahren, daß die Sexualerregung des Kindes aus vielerlei Quellen fließe. Vor allem entstehe Befriedigung durch die geeignete sensible Erregung sog. erogener Zonen, als welche wahrscheinlich jede Hautstelle und jedes Sinnesorgan, wahrscheinlich jedes Organ, fungieren könne, während gewisse ausgezeichnete erogene Zonen existieren, deren Erregung durch gewisse organische Vorrichtungen von Anfang an gesichert sei. Ferner entstehe sexuelle Erregung gleichsam als Nebenprodukt bei einer großen Reihe von Vor gängen im Organismus, sobald dieselben nur eine gewisse In tensität erreichen, ganz besonders bei allen stärkeren Gemüts bewegungen, seien sie auch peinlicher Natur. Die Erregungen aus all diesen Quellen setzten sich noch nicht zusammen, sondern verfolgten jede vereinzelt ihr Ziel, welches bloß der Gewinn einer gewissen Lust ist. Der Geschlechtstrieb sei im Kindesalter also objektlos, autoerotisch.
perversen Neigungen bei den Psychoneurotikern bei, indem wir dieses als kollaterale Füllung von Nebenbahnen bei Ver legung des Hauptstrombettes durch die »Verdrängung« er kannten, und wandten uns dann der Betrachtung des Sexual lebens im Kindesalter zu. 1) Dies gilt nicht nur für die in der Neurose »negativ« auf tretenden Perversionsneigungen, sondern ebenso für die positiven, eigentlich so benannten Perversionen. Diese letzteren sind also nicht bloß auf die Fixierung der infantilen Neigungen zurückzuführen, sondern auch auf die Regression zu denselben infolge der Verlegung anderer Bahnen der Sexualströmung. Darum sind auch die positiven Perversionen der psychoanalytischen Therapie zugänglich. § 346Noch während der Kinderjahre beginne die erogene Zone
der Genitalien sich bemerkbar zu machen, entweder in der Art, daß sie wie jede andere erogene Zone auf geeignete sensible Reizung Befriedigung ergebe, oder indem auf nicht ganz verständliche Weise mit der Befriedigung von anderen Quellen her gleichzeitig eine Sexualerregung erzeugt werde, die zu der Genitalzone eine besondere Beziehung erhalte. Wir haben es bedauern müssen, daß eine genügende Auf klärung des Verhältnisses zwischen Sexualbefriedigung und Sexualerregung sowie zwischen der Tätigkeit der Genitalzone und der übrigen Quellen der Sexualität nicht zu erreichen war. § 347Welches Maß von sexuellen Betätigungen im Kindesalter
noch als normal, der weiteren Entwicklung nicht abträglich, bezeichnet werden darf, konnten wir nicht sagen. Der Charakter der Sexualäußerungen erwies sich als vorwiegend masturbatorisch. Wir stellten ferner durch Erfahrungen fest, daß die äußeren Einflüsse der Verführung vorzeitige Durch brüche der Latenzzeit bis zur Aufhebung derselben hervor rufen können, und daß sich dabei der Geschlechtstrieb des Kindes in der Tat als polymorph pervers bewährt; ferner, daß jede solche frühzeitige Sexualtätigkeit die Erziehbarkeit des Kindes beeinträchtigt. § 348Trotz der Lückenhaftigkeit unserer Einsichten in das
infantile Sexualleben mußten wir dann den Versuch machen, die durch das Auftreten der Pubertät gesetzten Veränderungen desselben zu studieren. Wir griffen zwei derselben als die maßgebenden heraus, die Unterordnung aller sonstigen Ur sprünge der Sexualerregung unter das Primat der Genital zonen und den Prozeß der Objektfindung. Beide sind im Kinderleben bereits vorgebildet. Die erstere vollzieht sich durch den Mechanismus der Ausnützung der Vorlust, wobei die sonst selbständigen sexuellen Akte, die mit Lust und Er regung verbunden sind, zu vorbereitenden Akten für das neue Sexualziel, die Entleerung der Geschlechtsprodukte werden, dessen Erreichung unter riesiger Lust der Sexual erregung ein Ende macht. Wir hatten dabei die Differen zierung des geschlechtlichen Wesens zu Mann und Weib zu berücksichtigen und fanden, daß zum Weibwerden eine neuer liche Verdrängung erforderlich ist, welche ein Stück infantiler Männlichkeit aufhebt und das Weib für den Wechsel der leitenden Genitalzone vorbereitet. Die Objektwahl endlich fanden wir geleitet durch die infantilen, zur Pubertät aufge frischten Andeutungen sexueller Neigung des Kindes zu seinen Eltern und Pflegepersonen und durch die mittlerweile aufge richtete Inzestschranke von diesen Personen weg auf ihnen ähnliche gelenkt. Fügen wir endlich noch hinzu, daß während der Übergangszeit der Pubertät die somatischen und die psychischen Entwicklungsvorgänge eine Weile unver knüpft nebeneinander hergehen, bis mit dem Durchbruch einer intensiven seelischen Liebesregung zur Innervation der Genitalien die normalerweise erforderte Einheit der Liebes funktion hergestellt wird. § 349Entwicklungs
störende Mo mente. § 350Jeder Schritt auf diesem langen Entwicklungswege kann
zur Fixierungsstelle, jede Fuge dieser verwickelten Zu sammensetzung zum Anlaß der Dissoziation des Geschlechts triebes werden, wie wir bereits an verschiedenen Beispielen erörtert haben. Es erübrigt uns noch eine Übersicht der verschiedenen, die Entwicklung störenden inneren und äußeren Momente zu geben und beizufügen, an welcher Stelle des Mechanismus die von ihnen ausgehende Störung angreift. Was wir da in einer Reihe anführen, kann freilich unter sich nicht gleichwertig sein, und wir müssen auf Schwierigkeiten rechnen, den einzelnen Momenten die ihnen gebührende Ab schätzung zuzuteilen. § 351Konstitution
und Heredität. § 352An erster Stelle ist hier die angeborene Verschieden heit der sexuellen Konstitution zu nennen, auf die wahrscheinlich das Hauptgewicht entfällt, die aber wie be greiflich, nur aus ihren späteren Äußerungen und dann nicht immer mit großer Sicherheit zu erschließen ist. Wir stellen uns unter ihr ein Überwiegen dieser oder jener der mannig fachen Quellen der Sexualerregung vor und glauben, daß solche Verschiedenheit der Anlagen in dem Endergebnis jedenfalls zum Ausdruck kommen muß, auch wenn dies sich innerhalb der Grenzen des Normalen zu halten vermag. Gewiß sind auch solche Variationen der ursprünglichen Anlage denkbar, welche notwendigerweise und ohne weitere Mithilfe zur Ausbildung eines abnormen Sexuallebens führen müssen. Man kann dieselben dann »degenerative« heißen und als Aus druck ererbter Verschlechterung betrachten. Ich habe in diesem Zusammenhange eine merkwürdige Tatsache zu be richten. Bei mehr als der Hälfte meiner psychotherapeutisch behandelten schweren Fälle von Hysterie, Zwangsneurose usw. ist mir der Nachweis der vor der Ehe überstandenen Syphilis der Väter sicher gelungen, sei es, daß diese an Tabes oder progressiver Paralyse gelitten hatten, sei es, daß deren luetische Erkrankung sich anderswie anamnestisch feststellen ließ. Ich bemerke ausdrücklich, daß die später neurotischen Kinder keine körperlichen Zeichen von hereditärer Lues an sich trugen, so daß eben die abnorme sexuelle Konstitution als der letzte Ausläufer der luetischen Erbschaft zu betrachten war. So fern es mir nun liegt, die Abkunft von syphilitischen Eltern als regelmäßige oder unentbehrliche ätiologische Be dingung der neuropathischen Konstitution hinzustellen, so halte ich doch das von mir beobachtete Zusammentreffen für nicht zufällig und nicht bedeutungslos.
§ 353Die hereditären Verhältnisse der positiv Perversen sind
minder gut bekannt, weil dieselben sich der Erkundung zu entziehen wissen. Doch hat man Grund anzunehmen, daß bei den Perversionen ähnliches wie bei den Neurosen gilt. Nicht selten findet man nämlich Perversion und Psychoneurose in denselben Familien auf die verschiedenen Geschlechter so verteilt, daß die männlichen Mitglieder oder eines derselben positiv pervers, die weiblichen aber der Verdrängungsneigung ihres Geschlechtes entsprechend negativ pervers, hysterisch sind, ein guter Beleg für die von uns gefundenen Wesens beziehungen zwischen den beiden Störungen. § 354Weitere
Verarbeitung. § 355Man kann indes den Standpunkt nicht vertreten, als obweitere Verarbeitung ist offenbar das endgültig Ent scheidende, während die der Beschreibung nach gleiche Kon stitution zu drei verschiedenen Endausgängen führen kann. Wenn sich alle die Anlagen in ihrem, als abnorm angenom menen, relativen Verhältnis erhalten und mit der Reifung verstärken, so kann nur ein perverses Sexualleben das End ergebnis sein. Die Analyse solcher abnormer konstitutioneller Anlagen ist noch nicht ordentlich in Angriff genommen worden, doch kennen wir bereits Fälle, die in solchen An nahmen mit Leichtigkeit ihre Erklärung finden. Die Autoren meinen z. B. von einer ganzen Reihe von Fixationsperver sionen, dieselben hätten eine angeborene Schwäche des Sexualtriebes zur notwendigen Voraussetzung. In dieser Form scheint mir die Aufstellung unhaltbar; sie wird aber sinnreich, wenn eine konstitutionelle Schwäche des einen Faktors des Sexualtriebes, der genitalen Zone, gemeint ist, welche Zone späterhin die Zusammenfassung der einzelnen Sexualbetätigungen zum Ziel der Fortpflanzung als Funktion übernimmt. Diese in der Pubertät geforderte Zusammen fassung muß dann mißlingen und die stärkste der anderen Sexualitätskomponenten wird ihre Betätigung als Perversion durchsetzen.1)1)
mit dem Ansatz der verschiedenen Komponenten in der sexuellen Konstitution die Entscheidung über die Gestaltung des Sexuallebens eindeutig bestimmt wäre. Die Bedingtheit setzt sich vielmehr fort und weitere Möglichkeiten ergeben sich je nach dem Schicksal, welches die aus den einzelnen Quellen stammenden Sexualitätszuflüsse erfahren. Diese § 356Verdrängung.
§ 357Ein anderer Ausgang ergibt sich, wenn im Laufe derVerdrängung erfahren, von dem man festhalten muß, daß er einer Aufhebung nicht gleichkommt. Die betreffenden Erregungen werden dabei wie sonst erzeugt, aber durch psychische Verhinderung von der Erreichung ihres Zieles abgehalten und auf mannigfache andere Wege gedrängt, bis sie sich als Symptome zum Ausdruck gebracht haben. Das Ergebnis kann ein annähernd normales Sexual leben sein — meist ein eingeschränktes —, aber ergänzt durch psychoneurotische Krankheit. Gerade diese Fälle sind uns durch die psychoanalytische Erforschung Neurotischer gut bekannt geworden. Das Sexualleben solcher Personen hat wie das der Perversen begonnen, ein ganzes Stück ihrer Kindheit ist mit perverser Sexualtätigkeit ausgefüllt, die sich gelegentlich weit über die Reifezeit erstreckt; dann erfolgt aus inneren Ursachen — meist noch vor der Pubertät, aber hie und da sogar spät nachher — ein Verdrängungsumschlag, und von nun an tritt, ohne daß die alten Regungen erlöschen, Neurose an die Stelle der Perversion. Man wird an das Sprichwort »Junge Hure, alte Betschwester« erinnert, nur daß die Jugend hier allzu kurz ausgefallen ist. Diese Ablösung der Perversion durch die Neurose im Leben derselben Person muß man ebenso wie die vorhin angeführte Verteilung von Perversion und Neurose auf verschiedene Personen derselben Familie mit der Einsicht, daß die Neurose das Negativ der Perversion ist, zusammenhalten.
Entwicklung einzelne der überstark angelegten Komponenten den Prozeß der 1) Man sieht dabei häufig, daß in der Pubertätszeit zunächst eine normale Sexualströmung einsetzt, welche aber infolge ihrer inneren Schwäche vor den ersten äußeren Hindernissen zusammenbricht und dann von der Regression auf die perverse Fixierung abgelöst wird. § 358Sublimierung.
§ 359Der dritte Ausgang bei abnormer konstitutioneller AnlageSublimierung« ermöglicht, bei welchem den überstarken Erregungen aus einzelnen Sexualitätsquellen Abfluß und Verwendung auf andere Ge biete eröffnet wird, so daß eine nicht unerhebliche Stei gerung der psychischen Leistungsfähigkeit aus der an sich gefährlichen Veranlagung resultiert. Eine der Quellen der Kunstbetätigung ist hier zu finden und, je nachdem solche Sublimierung eine vollständige oder unvollständige ist, wird die Charakteranalyse hochbegabter, insbesondere künstle risch veranlagter Personen jedes Mengungsverhältnis zwischen Leistungsfähigkeit, Perversion und Neurose ergeben. Eine Unterart der Sublimierung ist wohl die Unterdrückung durch Reaktionsbildung, die, wie wir gefunden haben, bereits in der Latenzzeit des Kindes beginnt, um sich im günstigen Falle durchs ganze Leben fortzusetzen. Was wir den »Cha rakter« eines Menschen heißen, ist zum guten Teil mit dem Material sexueller Erregungen aufgebaut und setzt sich aus seit der Kindheit fixierten Trieben, aus durch Sublimierung gewonnenen und aus solchen Konstruktionen zusammen, die zur wirksamen Niederhaltung perverser, als unverwendbar erkannter Regungen bestimmt sind. Somit kann die allgemein perverse Sexualanlage der Kindheit als die Quelle einer Reihe unserer Tugenden geschätzt werden, insofern sie durch Reaktionsbildung zur Schaffung derselben Anstoß gibt.1)1)
wird durch den Prozeß der »§ 360Akzidentell
Erlebtes. § 361Gegenüber den Sexualentbindungen, Verdrängungsschüben
und Sublimierungen, letztere beide Vorgänge, deren innere Bedingungen uns völlig unbekannt sind, treten alle anderen Einflüsse weit an Bedeutung zurück. Wer Verdrängungen und Sublimierungen mit zur konstitutionellen Anlage rechnet, als die Lebensäußerungen derselben betrachtet, der hat aller dings das Recht zu behaupten, daß die Endgestaltung des Sexuallebens vor allem das Ergebnis der angeborenen Kon stitution ist. Indes wird kein Einsichtiger bestreiten, daß in solchem Zusammenwirken von Faktoren auch Raum für die modifizierenden Einflüsse des akzidentell in der Kindheit und späterhin Erlebten bleibt. Es ist nicht leicht, die Wirksam keit der konstitutionellen und der akzidentellen Faktoren in ihrem Verhältnis zueinander abzuschätzen. In der Theorie neigt man immer zur Überschätzung der ersteren; die thera peutische Praxis hebt die Bedeutsamkeit der letzteren hervor. Man sollte auf keinen Fall vergessen, daß zwischen den beiden ein Verhältnis von Kooperation und nicht von Ausschließung besteht. Das konstitutionelle Moment muß auf Erlebnisse warten, die es zur Geltung bringen, das akzidentelle bedarf einer Anlehnung an die Konstitution, um zur Wirkung zu kommen. Man kann sich für die Mehrzahl der Fälle eine sogenannte »ätiologische Reihe« vorstellen, in welcher die fallenden Intensitäten des einen Faktors durch die steigenden des anderen ausgeglichen werden, hat aber keinen Grund, die Existenz extremer Fälle an den Enden der Reihe zu leugnen. 1) Ein Menschenkenner wie E. Zola schildert in »La Joie de vivre« ein Mädchen, das in heiterer Selbstentäußerung alles, was es besitzt und beanspruchen könnte, sein Vermögen und seine Lebens wünsche geliebten Personen ohne Entlohnung zum Opfer bringt. Die Kindheit dieses Mädchens ist von einem unersättlichen Zärtlichkeits bedürfnis beherrscht, das sie bei einer Gelegenheit von Zurücksetzung gegen eine Andere in Grausamkeit verfallen läßt. § 362Der psychoanalytischen Forschung entspricht es nochdispositionelle und die definitive heißen kann. In der ersteren wirken Konstitution und akzidentelle Kindheits erlebnisse ebenso zusammen wie in der zweiten Disposition und spätere traumatische Erlebnisse. Alle die Sexualentwick lung schädigenden Momente äußern ihre Wirkung in der Weise, daß sie eine Regression, eine Rückkehr zu einer früheren Entwicklungsphase hervorrufen.
besser, wenn man den Erlebnissen der frühen Kindheit unter den akzidentellen Momenten eine Vorzugsstellung einräumt. Die eine ätiologische Reihe zerlegt sich dann in zwei, die man die § 363Wir setzen hier unsere Aufgabe fort, die uns als einfluß
reich für die Sexualentwicklung bekannt gewordenen Momente aufzuzählen, sei es, daß diese wirksame Mächte oder bloß Äußerungen solcher darstellen. § 364Frühreife.
§ 365Ein solches Moment ist die spontane sexuelle Frühreife, die wenigstens in der Ätiologie der Neurosen mit Sicherheit nachweisbar ist, wenngleich sie so wenig wie andere Momente für sich allein zur Verursachung hinreicht. Sie äußert sich in Durchbrechung, Verkürzung oder Aufhebung der infan tilen Latenzzeit und wird zur Ursache von Störungen, indem sie Sexualäußerungen veranlaßt, die einerseits wegen des unfertigen Zustandes der Sexualhemmungen, anderseits infolge des unentwickelten Genitalsystems nur den Charakter von Perversionen an sich tragen können. Diese Perversions neigungen mögen sich nun als solche erhalten oder nach einge tretenen Verdrängungen zu Triebkräften neurotischer Symptome werden; auf alle Fälle erschwert die sexuelle Frühreife die wünschenswerte spätere Beherrschung des Sexualtriebes durch die höheren seelischen Instanzen und steigert den zwangs artigen Charakter, den die psychischen Vertretungen des Triebes ohnedies in Anspruch nehmen. Die sexuelle Frühreife geht häufig vorzeitiger intellektueller Entwicklung parallel; als solche findet sie sich in der Kindheitsgeschichte der be deutendsten und leistungsfähigsten Individuen; sie scheint dann nicht ebenso pathogen zu wirken, wie wenn sie isoliert auftritt.
§ 366Zeitliche
Momente. § 367Ebenso wie die Frühreife fordern andere Momente Bezeitliche« mit der Frühreife zusammenfassen kann. Es scheint phylogenetisch festgelegt, in welcher Reihenfolge die einzelnen Triebregungen aktiviert werden, und wie lange sie sich äußern können, bis sie dem Einfluß einer neu auftretenden Triebregung oder einer typischen Verdrängung unterliegen. Allein sowohl in dieser zeitlichen Aufeinanderfolge wie in der Zeitdauer derselben scheinen Variationen vorzukommen, die auf das Endergebnis einen bestimmenden Einfluß üben müssen. Es kann nicht gleich gültig sein, ob eine gewisse Strömung früher oder später auf tritt als ihre Gegenströmung, denn die Wirkung einer Ver drängung ist nicht rückgängig zu machen; eine zeitliche Ab weichung in der Zusammensetzung der Komponenten ergibt regelmäßig eine Änderung des Resultats. Anderseits nehmen besonders intensiv auftretende Triebregungen oft einen über raschend schnellen Ablauf, z. B. die heterosexuelle Bindung der später manifest Homosexuellen. Die am heftigsten ein setzenden Strebungen der Kinderjahre rechtfertigen nicht die Befürchtung, daß sie den Charakter des Erwachsenen dauernd beherrschen werden; man darf ebensowohl erwarten, daß sie verschwinden werden, um ihrem Gegenteile Platz zu machen. (Gestrenge Herren regieren nicht lange.) Worauf solche zeit liche Verwirrungen der Entwicklungsvorgänge rückführbar sind, vermögen wir auch nicht in Andeutungen anzugeben. Es eröffnet sich hier ein Ausblick auf eine tiefere Phalanx von biologischen, vielleicht auch historischen Problemen, denen wir uns noch nicht auf Kampfesweite angenähert haben.
rücksichtigung, die man als »§ 368Haftbarkeit.
§ 369Die Bedeutung aller frühzeitigen Sexualäußerungen wirdHaft barkeit oder Fixierbarkeit dieser Eindrücke des Sexual lebens, die man bei späteren Neurotikern wie bei Perversen zur Ergänzung des Tatbestandes hinzunehmen muß, da die gleichen vorzeitigen Sexualäußerungen bei anderen Personen sich nicht so tief einprägen können, daß sie zwangsartig auf Wiederholung hinwirken und dem Sexualtrieb für alle Lebens zeit seine Wege vorzuschreiben vermögen. Vielleicht liegt ein Stück der Aufklärung für diese Haftbarkeit in einem anderen psychischen Moment, welches wir in der Verur sachung der Neurosen nicht missen können, nämlich in dem Übergewicht, welches im Seelenleben den Erinnerungsspuren im Vergleich mit den rezenten Eindrücken zufällt. Dieses Moment ist offenbar von der intellektuellen Ausbildung ab hängig und wächst mit der Höhe der persönlichen Kultur. Im Gegensatz hiezu ist der Wilde als das »unglückselige Kind des Augenblicks« charakterisiert worden.1)1) Wegen der gegen sätzlichen Beziehung zwischen Kultur und freier Sexualitäts entwicklung, deren Folgen weit in die Gestaltung unseres Lebens verfolgt werden können, ist es auf niedriger Kultur oder Gesellschaftsstufe so wenig, auf höherer so sehr fürs spätere Leben bedeutsam, wie das sexuelle Leben des Kindes verlaufen ist.
durch einen psychischen Faktor unbekannter Herkunft ge steigert, den man derzeit freilich nur als eine psychologische Vorläufigkeit hinstellen kann. Ich meine die erhöhte 1) Möglicherweise ist die Erhöhung der Haftbarkeit auch der Er folg einer besonders intensiven somatischen Sexualäußerung früher Jahre. § 370Fixierung.
§ 371Die Begünstigung durch die eben erwähnten psychischen
Momente kommt nun den akzidentell erlebten Anregungen der kindlichen Sexualität zu gute. Die letzteren (Verführung durch andere Kinder oder Erwachsene in erster Linie) bringen das Material bei, welches mit Hilfe der ersteren zur dauern den Störung fixiert werden kann. Ein guter Teil der später beobachteten Abweichungen vom normalen Sexualleben ist so bei Neurotikern wie bei Perversen durch die Eindrücke der angeblich sexualfreien Kindheitsperiode von Anfang an fest gelegt. In die Verursachung teilen sich das Entgegenkommen der Konstitution, die Frühreife, die Eigenschaft der erhöhten Haftbarkeit und die zufällige Anregung des Sexualtriebes durch fremden Einfluß. § 372Der unbefriedigende Schluß aber, der sich aus diesen
Untersuchungen über die Störungen des Sexuallebens ergibt, geht dahin, daß wir von den biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität besteht, lange nicht genug wissen, um aus unseren vereinzelten Einsichten eine zum Ver ständnis des Normalen wie des Pathologischen genügende Theorie zu gestalten.