Originalarbeiten.
§ 2I
§ 3Naehträge zur Traumdeutung.
Von Sigm. Freud. § 4Einige Beispiele von Truumsymholen.
§ 5Unter den vielen Einwendungen gegen die psychosnslytische Prsxis
die befremdendste, und wenn man so sagen darf: die ignoranteste, scheint mir der Zweifel an der Existenz der Symbolik im Traum und. im Un bewussten, da niemand, der psychoanslytisch arbeitet, auf die Annahme einer solchen Symbolik verzichten kann, und ds für den Traum die Auflösung durch Symbole seit den ältesten Zeiten geübt wird. Hingegen sind wir bereit zuzugeben, dass der Erweis dieser Symbolik mit be— sonderer Strenge erfolgen soll, um der hier herrschenden Msnnigfeltigkeit gerecht zu werden. § 6Im folgenden habe ich einige Beispiele aus meiner jüngsten Er
Fehrung zusammengestellt, in denen mit die Lösung durch ein bestimmtes Symbol besonders einleuchtend erschien. Der Traum erhält dann einen Sinn, den er sonst niemals haben könnte, findet seine Einreihung in den Gedankenzussmmenheng des Träumers und wird von dem Anulysierten selbst als gedeutet anerkannt. § 7Zur Technik bemerke ich, dass gende bei den symbolischen
Elementen der Träume die sssoziierten Einfiille des Träumers zu versagen pflegen, so dass dies Verhalten an sich zum Versuch einer symbolischen Deutung nnregt. In der Darstellung der wenigen aus gewählten Treumbeispiele habe ich mein eigenes Eingreifen und die selbständige Arbeit des Patienten (und Triumers) jedesmal scharf zu sondern gesucht. § 81. Der Hut als Symbol des Mannes (des männlichen Genitsles).
§ 9(Teilstück aus dem Traum einer jungen, infolge von Versuchungsengst
s.gsrophobischen Frau.) § 10„Ich gehe im Sommer auf der Strasse spazieren, trage einen
Strohhut von eigentümlicher Form, dessen Mittelstiiel—r nach oben unf gebogen ist, dessen Seitenteile nach abwärts hängen (Beschreibung hier § 11Zeukl.lhhtt n: Pquholuelylm mx 18
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188 Sigm. Freud,
§ 14stockend), und zwar so, dass der eine tiefer steht als der andere. Ich
bin heiter und in sicherer Stimmung, und wie ich an einem Trupp junger Offiziere vorbeigehe, denke ich mir: Ihr könnt mir alle nichts anheben.“ § 15Da sie zu dem Hut im Trauma keinen Einfall produzieren kann,
sage ich ihr: Der Hut ist wohl ein männlichee Genitale mit seinem emporgerichteten Mittelstück und den beiden herahhängenden Seiten teilen. Dass der Hut ein Mann sein soll, ist vielleicht sonderbar, aber man sagt ja auch: „Unter die Haube kommen!“ Absichtlicb enthalte ich mich der Deutung 'enes Details über das ungleiche Herabhängen der beiden Seitenteile, obwohl gerade solche Einzelheiten in ihrer Determinie rung der Deutung den Weg weisen miissen. Ich setze fort: Wenn sie also einen Mann mit so prächtigem Genitale hat, braucht sie sich vor den Offizieren nicht zu fürchten, d. h. nichts von ihnen zu wünschen, da sie sonst wesentlich durch ihre Versuchungsphantasien vom Gehen ohne Schutz und Begleitung abgehalten wird. Diese letztere Aufklärung ihrer Angst hatte ich ihr schon zu wiederholten Malen, auf anderes Material gestützt, gehen können. § 16Es ist nun sehr heachtenewert, wie sich die Träumerin nach dieser
Deutung benimmt. Sie zieht die Beschreibung des Hutes zurück und Will nicht gesagt haben, dass die beiden Seitenteile nach abwärts hängen. Ich bin des Gehörten zu sicher, um mich bein-en zu lassen. und heherre dabei. Sie schweigt eine Weile und findet dann den Mut zu fragen, was es bedeute, dass bei ihrem Marine ein Hude tiefer stehe als der andere, und. ob es bei allen Männern so sei. Damit war dies sonder bare Detail des Hutes aufgeklärt und die ganze Deutung von ihr akzeptiert. § 17Das Hutsymbol war mir längst bekannt, als mir die Patientin
diesen Traum mitteilte. Aus anderen. aber minder durchsichtigen Fällen glaubte ich zu entnehmen, dass der Hut auch für ein weibliches Genitale stehen kann. § 182. Das Kleine ist das Genitale v das Überfahrenwerden
ist ein Symbol des Geschlechtsverkehrs. § 19(Ein anderer Traum derselben agarophobischen Patientin.)
§ 20„Ihre Mutter schickt ihre kleine Tochter Weg, damit sie allein
gehen muss. Sie fährt dann mit der Mutter in der Eisenbahn und sieht ihre Kleine direkt auf den Schienenweg zugehen, so dass sie über fahren werden muss. Man hört die Knochen kraehen (dabei ein un— behagliches Gefühl, aber kein eigentlicbes Entsetzen). Dann sieht sie sich aus den Waggonfenstern um, oh man nicht hinten die Teile sieht. Dann macht sie ihrer Mutter Vorwürfe dass sie die Kleine allein hat gehen lassen.“ Analyse: Die vollständige Deutung des Traumes ist hier nicht leicht zu geben. Er stammt aus einem Zyklus von Träumen und kann nur im Zusammenhange mit diesen anderen voll verstanden werden. Es ist eben nicht leicht, das für den Erweis der Symbolik benötigte Material genügend isoliert zu bekommen. —— Die Kranke findet zuerst, dass die Eisenbabnfahrt historisch zu deuten ist, als An— spielung auf eine Fahrt von einer Nervenheilanstalt weg, in deren § 21§ 22
Nachtrng zur Traumdeutung. 189
§ 23Leiter sie natürlich verliebt war. Die Mutter holte sie von dort ab,
der Arzt erschien auf dem Bahnhof und überreichte ihr einen Strauss Blumen zum Abschied; es war ihr unangenehm, dass die Mutter Zeugin dieser Huldigung sein musste Hier erscheint also die Mutter als Störerin ihrer Liebesbestrebungen, welche Rolle der strengen Frau wiihrend ihrer Mädchenjehre wirklich zugefallen war. — Der nächste Einfall bezieht sich auf den Satz: sie sieht sich um, ob man nicht die Teile von hinten sieht. In der Traumfassade müsste man natürlich an die Teile des überfahrenen und zermalmten Töchterchens denken. Der Einfall weist aber nach ganz anderer Richtung. Sie erinnert, dass sie einmal den Vater im Badezimmer nackt von rückwärts gesehen, kommt auf die Geschlechtsuntersehiede zu sprechen und hebt hervor, dass man beim Manne die Genitalien noch von rückwärts sehen könne, beim Weihe aber nicht. In diesem Zusammenhange deutet sie nun selbst, dass das Kleine das Genitale sei, ihre Kleine (sie hat eine 4 jährige Tochter) ihr eigenes Genitalc. Sie macht der Mutter den Vorwurf, dass sie verlangt hätte, sie solle solehen, als ob sie kein Genitale hätte, und findet diesen Vorwurf in dein einleiteuden Satz des Traumes wieder: Die Mutter schickt ihre Kleine weg, damit sie allein gehen müsse. In ihrer Phantasie bedeutet das Alleingehen auf der Strasse: keinen Mann, keine sexuelle Beziehung haben, (coirezzusammengehen), und (las mag sie nicht. Nach allen ihren Angaben hat sie wirklich als Mädchen unter der Eifersucht der Mutter infolge ihrer Bevorzugung durch den Vater gelitten. § 24Das „Kleine“ ist als Symbol des (männlichen oder weiblichen)
Genitales von Stekel‘) angegeben werden, der sich hierbei auf einen sehr verbreiteten Sprachgebrauch berufen konnte. — § 25Die tiefere Deutung dieses Traumes ergibt sich aus einem anderen
Traum derselben Nacht, in dem sie sich mit ihrem Bruder identifiziert. Sie war wirklich ein bubenhaftes Mädel, musste oft hören, dass an ihr ein Bub verloren gegangen sei. In dieser Identifizierung mit dem Bruder wird es dann besonders klar, dass das „Kleine“ das Genitale bedeutet. Die Mutter droht ihm (ihr) mit der Kastration, die nichts anderes als Bestrafung für das Spielen mit dein Gliede sein kann, und somit zeigt die Identifizierung, dass sie selbst als Kind onaniert hat, was ihre Erinnerung bisher nur vom Bruder bewahrt hatte. Eine Kenntnis des männlichen Genitales, die ihr später verloren ging, muss sie nach den Angaben dieses zweiten Traumes damals früh erworben haben. Ferner deutet der zweite Traum auf die infs.ntile Sexualtheorie hin, dass die Mädel durch Kastration aus Buben hervorgehen, Nach dem ich ihr diese Kindermeinung vorgetragen, findet sie sofort eine Bee tigung biefür in der Kenntnis der Anekdote, dass der Bub das Mädel fragt: Abgeschnitten? worauf das Mädel antwortet: Nein, immer so g‘west. § 26Das Wegschieken der Kleinen, des Genitales, im ersten Traum
bezieht sich also auch auf die Kastratiunsdrehung. Endlich grollt sie der Mutter, dass sie sie nicht als Knaben geboren hat. § 27*"Tieéimgu zur Tunindeutung. Jahrbuch im psycholnllyt. und psychop.
Fursch. es. 1, 1909, p. 473. * Ebendort. ,.. 475. wird auch ei Traum mitgeteilt, § 28in welchem der Hut mit schidstehender Feder in der man. den (impotenten) Mm
symbolisiert. § 2918‘
§ 30§ 31
190 Sigm. Freud,
§ 32Dass das „Überfahrenwerden“ sexuellen Verkehr symbolisiert, würde
aus diesem Traume nicht ev1dent, wenn man es nicht aus zahlreichen anderen Quellen sicher wüsste. § 333. Darstellung des Genitales durch Gebäude, Stiegen,
Schachte, § 34(Traum eines durch seinen Vaterkomplex gehemmten jungen Mannes.)
§ 35„Er geht mit seinem Vater an einem Ort spazieren, der gewiss
der Prater ist, denn man sieht die Rotun d e, vor dieser einen kleineren Vorbau, an dem ein Fesselballon angebracht ist, der aber ziem— lich sohlat'f scheint. Sein Vater fragt ihn, wozu das alles ist; er wundert sich darüber, erklärt es ihm aber. Dann kommen sie in einen Hof, in dem eine grosse Platte von Blech ausgebreitet liegt. Sein Vater will sich ein grosses Stück davon abreissen, sieht sich aber vorher um, ob es nicht jemand bemerken kann. Er sagt ihm, er braucht es doch nur dem Aufseher zu sagen, dann kann er sich ohne weiteres davon nehmen. Aus diesem Hof führt eine Treppe in einen Schacht herunter, dessen Wände weich ausgepnlstert sind etwa wie ein Leder« fauteuil. Am _Ende dieses Schachtes ist eine liingere Platform und dann beginnt ein neuer Schacht ...... § 36Analyse: Dieser lräuiner gehörte einem therapeutisch nicht
günstigen Typus von Kranken an, die bis zu einem gewissen Punkt der Analyse überhaupt keine Widerstände machen und sich von da an fast unzngäuglicb erweisen. Diesen Traum deutete er fast selbständig, Die Rotunde, sagte er, ist mein Genitale, der Fesselballon davor mein Penis, über dessen Schlafl'heit ich zu klagen habe Man darf also ein gehender übersetzen, die Rotunde sei das _ vom Kind regelmässig zum Genitule gerechnete , Gesäss, der kleinere Vorbau der Hodensack. im Traum fragt ihn der Vater, was das alles ist. d. h. nach Zweck und Verriehtung der Genitalien. Es liegt nahe, diesen Sachverhalt umzu kehren, so dass er der fragends Teil wird. Da eine solche Befragung des Vaters in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, muss man den Traum— gedanken als Wunsch anfassen oder ihn etwa konditionell nehmen. „Wenn ich den Vater um sexuelle Aufklärung gebeten hätte“. Die Fortsetzung dieses Gedankens werden wir bald an anderer Stelle finden. § 37Der Hof, in dem das Blech ausgebreitei liegt, ist nicht in erster
Linie symbolisch zu fassen, sondern stammt aus dem Geschäftslokal des Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das „Blech“ fiir das andere Material, mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am Wortlaut des Traumes zu ändern. Der 'l'räumer ist. in das Geschäft des Vaters eingetreten und hat an den eher unkor'rekten Praktiken, auf denen der Gewinn zum guten Teile beruht, gewaltigen Anstoss genommen. Daher dürfte die Fortsetzung des obigen Traum» gedankens lauten: „(Wenn ich ihn gefragt hätte), würde er mich be— trogen haben, wie er seine Kunden beträgt. ‘ Für das Ahreissen, welches der Darstellung der geschäftlichen Unredliohkeit dient, gibt der Träumer selbst die zweite Erklärung, es bedeute die Onanie. Dies ist uns nicht nur längst bekannt (siehe Traumdeutung), 80ndern stimmt auch sehr gut dazu, dass das Geheimnis der Onanie durch das Gegen» § 38§ 39
Nachts-tige zur Traumdeutung. 191
§ 40teil ausgedrückt ist (man darf es ja offen tun). Es entspricht dann
allen Erwartungen, dass die nnnnistische Tätigkeit wieder dem Vater zugeschoben wird wie die Befragung der ersten Traumszene. Den Schacht deutet er sofort unter Berufung auf die weiche Polsterung der Wände als Vagina. Dass das Herebsteigen, wie sonst das Aufsteigen, den Koitusverkehr in der Vagina beschreiben will, setze ich aus anderer Kenntnis ein (vgl. dies Zentralblatt Nr. 1). § 41Die Einzelheiten, dass auf den ersten Schacht eine längere Plat—
form folgt und dann ein neuer Schacht, erklärt er selbst biographisch. Er hat eine Zeitlang kaitiert, denn den Verkehr infolge von Hennmmgen aufgegeben und hofft ihn jetzt mit Hilfe der Kur wieder aufnehmen zu können Der Traum wird aber gegen Ende undeutlicher, und dem Kundigen muss es plausibel erscheinen, dass sich schon in der zweiten Traumszene der Einfluss eines anderen Themas geltend mache, auf welches das Geschäft des Vaters, sein betrügerisches Vorgehen, dieerste als Schacht dargestellte Vagina deuten, so dass man eine Beziehung auf die Mutter annehmen könnte. § 42Im ganzen gehört dieser Traum zu der nicht seltenen Gruppe
„biographischer“ Träume, in denen der Träumer in Form einer fort< laufenden Erzählung eine Ubersicht über sein Sexualleben gibt—.* (Vgl. das Beispiel p. 249 der „Traumdeutung“ 2. Aufl.) Wie häufig Gebäude, Ortlichkeiten, Landschaften zur symbolischen Darstellung des Körpers und vor allem immer wieder der Genitalien verwendet werden, ware § 43wirklich einer zusammenfassenden, durch zahlreiche Beispiele erläuterten
Abhandlung wert. § 44Einige seltenere Traumderstellungen.
§ 45Als einen die Tra.umbildung beeinflussenden Faktor habe ich die
„Rücksicht auf Darstellbarkeit“ angeführt. In der Umfornmng eines Gedankens bis auf ein visuellen Bild zeigt sich eine besondere Fähig keit der Träumen welcher der Aneiytiker nur selten durch sein Erraten nahe kommt, so dass er recht zufrieden ist, wenn ihm der Träumer und Urheber durch intuitive Einsicht die Bedeutung solcher Darstek lungen angibt. § 461. Eine Patientin erzählt einen Traum, in welchem alle handeln
den Personen besonders gross waren, Das will heissen, setzt sie hinzu, dass es sich um eine Begebenheit aus meiner frühen Kindheit handeln muss, denn damals sind mir natürlich alle Erwachsenen so ungeheuer gross erschienen, Ihre eigene kleine Person trat in diesem Treuminhalt nicht auf. § 47Die Verlegung in die Kindheit wird in anderen Träumen auch
anders ausgedrückt, indem Zeit in Raum übersetzt wird. Man sieht die betreffenden Personen und Szenen wie weit entfernt am Ende eines langen Weges oder so, als ob msn sie durch ein verkehrt gehaltenen Opernglas betrachten würde. § 482. Ein im Wachleben zu abstrakter und unbestimmter Ausdrucks
weise geneigte]: Mann, sonst mit gutem Witz begabt, träumt in ge— wissem Zusammenhänge, dass er auf einen Bahnhof gehe, wie eben ein Zug ankomme. Dunn werde aber der Perron an den stehenden § 49§ 50
192 Sign:. Freud.
§ 51Zug angenäbert, else eine absurde Umkehrung des wirklichen Vor
gangs. Dieses Detail ist auch nichts anderes als ein Index, der daran mahnt, dass etwas anderes im Trauminhult umgekehrt werden solle. Die Analyse desselben Treumes fiihrt zu Erinnerungen im Bilderbücher, in denen Männer dargestellt waren, die auf dem Kopfe stunden und auf den Händen gingen. Es ist bemerkenswert, wie häufig die Umkehrung gerade in Träumen benötigt wird, die von verdrängten homosexuellen Regungen eingegeben werden. § 52Derselbe Träume! berichtet ein anderes Mal von einem kurzen
Traum, der fast an die Technik eines Rebus erinnert. Sein Onkel gibt ihm im Automobil einen Kuss. Er fügt unmittelbar die Deutung hinzu, die ich nie gefunden hätte: das heisse Autoeretismus. Ein Scherz im Wachen hätte ebenso lauten können, § 53