ÜBER DEN TRAUM

„Über den Traum“ erschien zuerst 1901 im Verlag J. F. Bergmann, Wiesbaden (seither München), in den „Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens“ (herausg. von Löwenfeld und Kurella); 2. Auflage 1911, 3. Auflage 1922. Übersetzungen erschienen in folgenden Sprachen: englisch (von M. D. Eder), London 1914; russisch, Petersburg 1909; holländisch (von J. Stärcke), Leiden 1913; ungarisch (von S. Ferenczi), Budapest 1915; italienisch (von M. Levi-Bianchini), 1919; dänisch (von Gelsted, zusammen mit der Übersetzung der fünf Vorlesungen „Über Psychoanalyse“), 1920; spanisch (von Luis Lopez Ballesteros y de Torres in Bd. II der Obras Completas), Madrid 1923, und französisch (von Helene Legros in „Les Documents Bleus“), Paris 1925.

I^a

In den Zeiten^b , die wir vorwissenschaftliche nennen dürfen,
001 waren die Menschen um die Erklärung des Traumes nicht ver-
002legen. Wenn sie ihn nach dem Erwachen erinnerten, galt er
003 ihnen als eine entweder gnädige oder feindselige Kundgebung
004 höherer, dämonischer und göttlicher^c Mächte. Mit dem Auf-
005blühen naturwissenschaftlicher Denkweisen hat sich all diese
006 sinnreiche Mythologie in Psychologie umgesetzt, und heute
007 bezweifelt nur mehr eine geringe Minderzahl unter den Gebil-
008deten, daß^d daß der Traum die eigene psychische Leistung
009 des Träumers ist.

Seit der Verwerfung der mythologischen Hypothese ist der
010 Traum aber erklärungsbedürftig geworden. Die Bedingungen seiner
011 Entstehung, seine Beziehung zum Seelenleben des Wachens, seine
012 Abhängigkeit von Reizen, die sich während des Schlafzustandes
013 zur Wahrnehmung drängen, die vielen dem wachen Denken anstößigen^e an-
014stößigen Eigentümlichkeiten seines Inhaltes, die Inkongruenz
015 zwischen seinen Vorstellungsbildern und den an sie geknüpften
016 Affekten, endlich die Flüchtigkeit des Traumes, die Art, wie das
017 wache Denken ihn als fremdartig beiseite^f schiebt, in der Erinnerung
018 verstümmelt oder auslöscht: — all diese und noch andere Pro-
019bleme verlangen seit vielen hundert Jahren nach Lösungen, die
020 bis heute nicht befriedigend gegeben werden konnten. Im Vorder-
021grunde des Interesses steht aber die Frage nach der Bedeutung
022 des Traumes, die einen zweifachen Sinn in sich schließt^g. Sie

190fragt erstens nach der psychischen Bedeutung des Träumens, nach
023 der Stellung des Traumes zu anderen seelischen Vorgängen und
024 nach einer etwaigen biologischen Funktion desselben, und zweitens
025 möchte sie wissen, ob der Traum deutbar ist, ob der einzelne
026 Trauminhalt einen „Sinn“ hat, wie wir ihn in anderen psychischen
027 Kompositionen zu finden gewöhnt sind.

Drei Richtungen machen sich in der Würdigung des Traumes
028 bemerkbar. Die eine derselben, die gleichsam den Nachklang der
029 alten Überschätzung^h des Traumes bewahrt hat, findet ihren Aus-
030druck bei manchen Philosophen. Ihnen gilt als die Grundlage des
031 Traumlebens ein besonderer Zustand der Seelentätigkeitⁱ, den sie
032 sogar als eine Erhebung zu einer höheren Stufe feiern. So urteilt^j
033 z. B. Schubert: Der Traum sei eine Befreiung des Geistes
034 von der Gewalt der äußeren^k Natur, eine Loslösung der Seele
035 von den Fesseln der Sinnlichkeit. Andere Denker gehen nicht so
036 weit, halten aber daran fest, daß^l die Träume wesentlich seelischen
037 Anregungen entspringen und Äußerungen^m seelischer Kräfte dar-
038stellen, die tagsüber an ihrer freien Entfaltung behindert sind (der
039 Traumphantasie — Scherner, Volkelt). Eine Fähigkeit zur
040 Überleistungⁿ wenigstens auf gewissen Gebieten (Gedächtnis^o)
041 wird dem Traumleben von einer großen^p Anzahl von Beobachtern
042 zugesprochen.

Im scharfen Gegensatz hiezu^q vertritt die Mehrzahl ärztlicher
043 Autoren eine Auffassung, welche dem Traum kaum noch den Wert^r
044 eines psychischen Phänomens beläßt^s. Die Erreger des Traumes
045 sind nach ihnen ausschließlich^t die Sinnes- und Leibreize, die ent-
046weder von außen^u den Schläfer treffen oder zufällig in seinen
047 inneren Organen rege werden. Das Geträumte hat nicht mehr
048 Anspruch auf Sinn und Bedeutung als etwa die Tonfolge, welche
049 die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen
050 hervorrufen, wenn sie über die Tasten des Instruments^v hin-
051laufen. Der Traum ist geradezu als „ein körperlicher, in allen
052 Fällen unnützer, in vielen Fällen krankhafter Vorgang“ zu kenn-[/]
053

191zeichnen (Binz). Alle Eigentümlichkeiten^w des Traumlebens er-
054klären sich aus der zusammenhanglosen^x, durch physiologische Reize
055 erzwungenen Arbeit einzelner Organe oder Zellgruppen des sonst
056 in Schlaf versenkten Gehirns.

Wenig beeinflußt^y durch dieses Urteil^z der Wissenschaft und
057 unbekümmert um die Quellen des Traumes,^aa scheint die Volks-
058meinung an dem Glauben festzuhalten, daß^ab der Traum denn doch
059 einen Sinn habe, der sich auf die Verkündigung der Zukunft
060 bezieht,^ac und der durch irgend ein^ad Verfahren der Deutung aus
061 seinem oft verworrenen und rätselhaften^ae Inhalt gewonnen werden
062 könne. Die in Anwendung gebrachten Deutungsmethoden bestehen
063 darin, daß^af man den erinnerten Trauminhalt durch einen anderen
064 ersetzt, entweder Stück für Stück nach einem feststehenden
065 Schlüssel, oder das Ganze des Traumes durch ein anderes
066 Ganzes, zu dem es in der Beziehung eines Symbols steht.
067 Ernsthafte Männer lächeln über diese Bemühungen. „Träume
068 sind Schäume.“

II^ag

Zu meiner großengroßen^ah Überraschung^ai entdeckte ich eines Tages, daß
069daß^aj nicht die ärztliche, sondern die laienhafte, halb noch im Aber-
070glauben befangene Auffassung des Traumes der Wahrheit nahe
071 kommt. Ich gelangte nämlich zu neuen Aufschlüssen über den
072 Traum, indem ich eine neue Methode der psychologischen Unter-
073suchung auf ihn anwendete, die mir bei der Lösung der Phobien,
074 Zwangsideen, Wahnideen u. dgl. hervorragend gute Dienste geleistet
075 hatte, und die seither unter dem Namen „Psychoanalyse“ bei einer ganzen Schule von Forschern Aufnahme gefunden hat.^ak Die mannigfaltigen Analogien des Traumlebens mit den ver-
076schiedenartigsten Zuständen psychischer Krankheit im Wachen
077 sind ja von zahlreichen ärztlichen Forschern mit Recht bemerkt
078 worden. Es erschien also von vorneherein^al hoffnungsvoll, ein
079 Untersuchungsverfahren, welches sich bei den psychopathischen
080 Gebilden bewährt hatte, auch zur Aufklärung des Traumes her-
081anzuziehen. Die Angst- und Zwangsideen stehen dem normalen
082 Bewußtsein^am in ähnlicher Weise fremd gegenüber^an wie die Träume
083 dem Wachbewußtsein Wachbewußtsein^ao; ihre Herkunft ist dem Bewußtsein^ap ebenso
084 unbekannt wie die der Träume. Bei diesen psychopathischen
085 Bildungen wurde man durch ein praktisches Interesse getrieben,
086 ihre Herkunft und Entstehungsweise zu ergründen, denn die
087 Erfahrung hatte gezeigt, daß^aq eine solche Aufdeckung der dem
088 Bewußtsein^ar verhüllten Gedankenwege^as, durch welche die krank-
089haften Ideen mit dem übrigen psychischen Inhalt zusammen-[/]
090

193hängen, einer Lösung dieser Symptome gleichkommt, die Bewäl-
091tigung der bisher unhemmbaren Idee zur Folge hat. Aus der
092 Psychotherapie stammte also das Verfahren, dessen ich mich für
093 die Auflösung der Träume bediente.

Dieses Verfahren ist leicht zu beschreiben, wenngleich seine
094 Ausführung Unterweisung und Übung^at erfordern dürfte. Wenn
095 man es bei einem anderen^au, etwa einem Kranken mit einer Angst-
096vorstellung, in Anwendung zu bringen hat, so fordert man ihn
097 auf, seine Aufmerksamkeit auf die betreffende Idee zu richten,
098 aber nicht, wie er schon so oft getan^av, über sie nachzudenken,
099 sondern alles ohne Ausnahme sich klar zu machen^aw und dem
100 Arzt mitzuteilen^ax, was ihm zu ihr einfällt. Die dann etwa
101 auftretende Behauptung, daß^ay die Aufmerksamkeit nichts erfassen
102 könne, schiebt man durch eine energische Versicherung, ein
103 solches Ausbleiben eines Vorstellungsinhaltes sei ganz unmöglich,
104 zur Seite. Tatsächlich^az ergeben sich sehr bald zahlreiche Einfälle,
105 an die sich weitere knüpfen, die aber regelmäßig^ba von dem Urteil^bb
106 des Selbstbeobachters eingeleitet werden, sie seien unsinnig oder unwichtig^bc , gehören nicht hierher^bd, seien ihm nur zufällig und
107 außer^be Zusammenhang mit dem gegebenen Thema eingefallen. Man
108 merkt sofort, daß^bf es diese Kritik ist, welche all^bg diese Einfälle
109 von der Mitteilung^bh, ja bereits vom Bewußtwerden^bi, ausgeschlossen
110 hat. Kann man die betreffende Person dazu bewegen, auf solche
111 Kritik gegen ihre Einfälle zu verzichten und die Gedankenreihen,
112 die sich bei festgehaltener Aufmerksamkeit ergeben, weiter zu spinnen^bj, so gewinnt man ein psychisches Material, welches alsbald
113 deutlich an die zum Thema genommene krankhafte Idee anknüpft,
114 deren Verknüpfungen mit anderen Ideen bloßlegt^bk, und in weiterer
115 Verfolgung gestattet, die krankhafte Idee durch eine neue zu
116 ersetzen, die sich in verständlicher Weise in den seelischen Zu-
117sammenhang einfügt.

Es ist hier nicht der Ort, die Voraussetzungen, auf denen dieser
118 Versuch ruht, und die Folgerungen, die sich aus seinem regel-[/]
119

194mäßigen^bl Gelingen ableiten, ausführlich zu behandeln. Es mag also
120 die Aussage genügen, daß^bm wir bei jeder krankhaften Idee ein zur
121 Lösung derselben hinreichendes Material erhalten, wenn wir
122 unsere Aufmerksamkeit gerade den „ungewollten“, den
123 „unser Nachdenken störenden“, den sonst von der Kritik
124 als wertloser^bn Abfall beseitigten Assoziationen^bo zuwenden. Übt^bp man
125 das Verfahren an sich selbst, so unterstützt man sich bei der
126 Untersuchung am besten durch sofortiges Niederschreiben seiner
127 anfänglich unverständlichen Einfälle.

Ich will nun zeigen, wohin es führt, wenn ich diese Methode
128 der Untersuchung auf den Traum anwende. Es müßte^bq jedes
129 Traumbeispiel sich in gleicher Weise dazu eignen; aus gewissen
130 Motiven wähle ich aber einen eigenen Traum, der mir in der
131 Erinnerung undeutlich und sinnlos erscheint,^br und der sich durch
132 seine Kürze empfehlen kann. Vielleicht wird gerade der Traum
133 der letzten Nacht diesen Ansprüchen genügen. Sein unmittelbar
134 nach dem Erwachen fixierter^bs Inhalt lautet folgendermaßen^bt:

„Eine Gesellschaft, Tisch oder Table d’hôte⁰⁰¹ . . . Es wird Spinat gegessen . . . Frau E. L. E. L.^bu sitzt neben mir, wendet sich ganz mir zu und legt vertraulich die Hand auf mein Knie. Ich entferne die Hand abwehrend. Sie sagt dann: Sie haben aber immer so schöne Augen gehabt . . . Ich sehe dann undeutlich etwas wie zwei Augen als Zeichnung oder wie die^bv Kontur^bw eines Brillenglases . . .“

Dies ist der ganze Traum oder wenigstens alles, was ich von
135 ihm erinnere. Er erscheint mir dunkel und sinnlos, vor allem
136 aber befremdlich. Frau E. L. ist eine Person, zu der ich kaum
137 je freundschaftliche Beziehungen gepflogen, meines Wissens
138 herzlichere nie gewünscht habe. Ich habe sie lange Zeit nicht
139 gesehen und glaube nicht, daß^bx in den letzten Tagen von ihr die
140 Rede war. Irgendwelche Affekte haben den Traumvorgang nicht
141 begleitet.

Nachdenken über diesen Traum bringt ihn meinem Verständnis^by

195nicht näher. Ich werde aber jetzt absichts- und kritiklos die Ein-
142fälle verzeichnen, die sich meiner Selbstbeobachtung⁰⁰² ergeben. Ich
143 bemerke bald, daß^bz es dabei vorteilhaft^ca ist, den Traum in seine
144 Elemente zu zerlegen und zu jedem dieser Bruchstücke die an-
145knüpfenden Einfälle aufzusuchen.

Gesellschaft, Tisch oder Table d’hôte. Daran knüpft
146 sich sofort die Erinnerung an das kleine Erlebnis^cb, welches den
147 gestrigen Abend beschloß^cc. Ich war von einer kleinen Gesellschaft
148 weggegangen in Begleitung eines Freundes, der sich erbot, einen
149 Wagen zu nehmen und mich nach Hause zu führen. „Ich ziehe
150 einen Wagen mit Taxameter vor,“^cd sagte er, „das beschäftigt
151 einen^ce so angenehm; man hat immer etwas, worauf man schauen
152 kann.“ Als wir im Wagen saßen^cf und der Kutscher die Scheibe
153 einstellte, so daß^cg die ersten sechzig^ch Heller sichtbar wurden, setzte
154 ich den Scherz fort. „Wir sind kaum eingestiegen und schulden
155 ihm schon sechzig^ci Heller. Mich erinnert der Taxameterwagen
156 immer an die Table d’hôte. Er macht mich geizig und eigen-
157süchtig, indem er mich unausgesetzt an meine Schuld mahnt. Es
158 kommt mir vor, daß^cj diese zu schnell wächst, und ich fürchte
159 mich,^ck zu kurz zu kommen, gerade wie ich mich auch an der
160 Table d’hôte der komischen Besorgnis^cl, ich bekomme zu wenig,
161 müsse auf meinen Vorteil^cm bedacht sein, nicht erwehren kann.“
162 In entfernterem Zusammenhange hiermit^cn zitierte^co ich:

„Ihr führt ins^cp Leben uns hinein,
163 Ihr laßt^cq den Armen schuldig werden.“

Ein zweiter Einfall zur Table d’hôte ⁰⁰³: Vor einigen Wochen
164 habe ich mich an einer Gasthaustafel in einem Tiroler
165 Höhenkurort heftig über meine liebe Frau geärgert, die mir nicht
166 reserviert^cr genug gegen einige Nachbarn war, mit denen ich durch-
167aus keinen Verkehr anknüpfen wollte. Ich bat sie, sich mehr mit
168 mir als mit den Fremden zu beschäftigen. Das ist ja auch, als
169 ob ich an der Table d’hôte zu kurz gekommen
170 wäre. Jetzt fällt mir auch der Gegensatz auf zwischen dem

196Benehmen meiner Frau an jener Tafel und dem der Frau E. L.
171 im Traum, „die sich ganz mir zuwendet“.

Weiter: Ich merke jetzt, daß^cs der Traumvorgang die Repro-
172duktion einer kleinen Szene^ct ist, die sich ganz ähnlich so zwischen
173 meiner Frau und mir zur Zeit meiner geheimen Werbung zuge-
174tragen hat. Die Liebkosung unter dem Tischtuch war die Ant-
175wort auf einen ernsthaft werbenden Brief. Im Traum ist aber
176 meine Frau durch die mir fremde E. L. ersetzt.

Frau E. L. ist die Tochter eines Mannes, dem ich Geld
177 geschuldet habe! Ich kann nicht umhin zu bemerken, daß^cu
178 sich da ein ungeahnter Zusammenhang zwischen den Stücken des
179 Trauminhalts^cv und meinen Einfällen enthüllt. Folgt man der
180 Assoziationskette^cw, die von einem Element des Trauminhaltes aus-
181geht, so wird man bald zu einem anderen Element desselben
182 zurückgeführt. Meine Einfälle zum Traume stellen Verbindungen
183 her, die im Traume selbst nicht ersichtlich sind.

Pflegt man nicht, wenn jemand^cx erwartet, daß andere^cy für seinen
184 Vorteil^cz sorgen sollen, ohne eigenen Vorteil^da dabei zu finden, diesen
185 Weltunkundigen höhnisch zu fragen: Glauben sie^db denn, daß^dc dies
186 oder jenes um Ihrer schönen Augen willen geschehen
187 wird? Dann bedeutet ja die Rede der Frau E. L. im Traume:
188 „Sie haben immer so schöne Augen gehabt“ nichts anderes^dd als:
189 Ihnen haben die Leute immer alles zu Liebe getan^de ; Sie haben
190 alles umsonst gehabt. Das Gegenteil^df ist natürlich wahr: Ich
191 habe alles, was mir andere etwa Gutes erwiesen, teuer^dg bezahlt.
192 Es muß^dh mir doch einen Eindruck gemacht haben, daß^di ich gestern
193 den Wagen umsonst gehabt habe, in dem mich mein
194 Freund nach Hause geführt hat.

Allerdings der Freund, bei dem wir gestern zu Gaste waren,
195 hat mich oft zu seinem Schuldner gemacht. Ich habe erst unlängst
196 eine Gelegenheit, es ihm zu vergelten, ungenützt vorübergehen
197 lassen. Er hat ein einziges Geschenk von mir, eine antike Schale,
198 auf der ringsum Augen gemalt sind, ein sog. Occhiale zur

197Abwehr des Malocchio⁰⁰⁴. Er ist übrigens Augenarzt. Ich
199 hatte ihn an demselben Abend nach der Patientin gefragt, die
200 ich zur Brillenbestimmung in seine Ordination empfohlen
201 hatte.

Wie ich bemerke, sind nun fast sämtliche Stücke des Traum-
202inhaltes in den neuen Zusammenhang gebracht. Ich könnte aber
203 konsequenter Weise^dj noch fragen, warum im Traume gerade
204 Spinat aufgetischt wird? Weil Spinat an eine kleine Szene^dk
205 erinnert, die kürzlich an unserem Familientische vorfiel, als ein
206 Kind — gerade jenes, dem man die schönen Augen wirk-
207lich nachrühmen kann — sich weigerte, Spinat zu essen. Ich
208 selbst benahm mich als Kind ebenso; Spinat war mir lange Zeit
209 ein Abscheu, bis sich mein Geschmack später änderte und dieses
210 Gemüse zur Lieblingsspeise erhob. Die Erwähnung dieses Gerichts
211 stellt so eine Annäherung her zwischen meiner Jugend und der
212 meines Kindes. „Sei froh, daß^dl du Spinat hast,“^dm hatte die Mutter
213 dem kleinen Feinschmecker zugerufen. „Es gibt^dn Kinder, die mit
214 Spinat sehr zufrieden wären.“ Ich werde so an die Pflichten der
215 Eltern gegen ihre Kinder erinnert. Die Goetheschen^{do dp} Worte:

„Ihr führt ins Leben uns hinein,
216 Ihr laßt den Armen schuldig werden“

zeigen in diesem Zusammenhange einen neuen Sinn.

Ich werde hier haltmachen^dq, um die bisherigen Ergebnisse der
217 Traumanalyse zu überblicken. Indem ich den Assoziationen^dr folgte,
218 welche sich an die einzelnen, aus ihrem Zusammenhang gerissenen
219 Elemente des Traumes anknüpften, bin ich zu einer Reihe von
220 Gedanken und Erinnerungen gelangt, in denen ich wertvolle^ds
221 Äußerungen^dt meines Seelenlebens erkennen muß^du. Dieses durch die
222 Analyse des Traumes gefundene Material steht in einer innigen
223 Beziehung zum Trauminhalt, doch ist diese Beziehung von der
224 Art, daß^dv ich das neu Gefundene niemals aus dem Trauminhalt
225 hätte erschließen^dw können. Der Traum war affektlos, unzusammen-[/]
226

198hängend und unverständlich; während ich die Gedanken hinter
227 dem Traume entwickle^dx, verspüre ich intensive und gut
228 begründete Affektregungen;^dy die Gedanken selbst fügen sich aus-
229gezeichnet zu logisch verbundenen Ketten zusammen, in denen
230 gewisse Vorstellungen als zentrale^dz wiederholt vorkommen. Solche
231 im Traum selbst nicht vertretene Vorstellungen sind in unserem
232 Beispiel die Gegensätze von eigennützig—uneigennützig,
233 die Elemente schuldig sein und umsonst tun^ea . Ich könnte
234 in dem Gewebe, welches sich der Analyse enthüllt, die Fäden
235 fester anziehen und würde dann zeigen können, daß^eb sie zu einem
236 einzigen Knoten zusammenlaufen, aber Rücksichten nicht wissen-
237schaftlicher, sondern privater Natur hindern mich, diese Arbeit
238 öffentlich zu tun^ec. Ich müßte^ed zu vielerlei verraten^ee , was besser
239 mein Geheimnis^ef bleibt, nachdem ich auf dem Wege zu dieser
240 Lösung mir allerlei klar gemacht^eg, was ich mir selbst ungern ein-
241gestehe. Warum ich aber nicht lieber einen anderen Traum
242 wählte^eh, dessen Analyse sich zur Mitteilung^ei besser eignet, so daß^ej
243 ich eine bessere Überzeugung^ek für den Sinn und Zusammenhang
244 des durch Analyse aufgefundenen Materials erwecken kann? Die
245 Antwort lautet, weil jeder Traum, mit dem ich mich beschäftigen
246 will, zu denselben schwer mitteilbaren^el Dingen führen und mich
247 in die gleiche Nötigung^em zur Diskretion versetzen wird. Ebenso-
248wenig würde ich diese Schwierigkeit vermeiden, wenn ich den
249 Traum eines anderen^en zur Analyse brächte, es sei denn, daß^eo die
250 Verhältnisse gestatteten, ohne Schaden für den mir Vertrauenden
251 alle Verschleierungen fallen zu lassen.

Die Auffassung, die sich mir schon jetzt aufdrängt, geht dahin,
252 daß^ep der Traum eine Art Ersatz ist für jene affektvollen und
253 sinnreichen Gedankengänge, zu denen ich nach vollendeter Analyse
254 gelangt bin. Ich kenne den Prozeß^eq noch nicht, welcher aus diesen
255 Gedanken den Traum hat entstehen lassen, aber ich sehe ein,
256 daß^er es Unrecht ist, diesen als einen rein körperlichen, psychisch
257 bedeutungslosen Vorgang hinzustellen, der durch die isolierte

199Tätigkeit isolierte Tätigkeit^es einzelner, aus dem Schlaf geweckter Hirnzellgruppen
258 entstanden ist.

Zweierlei merke ich noch an: daß^et der Trauminhalt sehr viel
259 kürzer ist als die Gedanken, für deren Ersatz ich ihn erkläre,
260 und daß^eu die Analyse eine unwichtige Begebenheit des Abends
261 vor dem Träumen als den Traumerreger aufgedeckt hat.

Ich werde einen so weit reichenden^ev Schluß^ew natürlich nicht
262 ziehen, wenn mir erst eine einzige Traumanalyse vorliegt. Wenn
263 mir aber die Erfahrung gezeigt hat, daß^ex ich durch kritiklose Ver-
264folgung der Assoziationen^ey von jedem Traum aus zu einer solchen
265 Kette von Gedanken gelangen kann, unter deren Elementen die
266 Traumbestandteile^ez wiederkehren, und die unter sich korrekt und
267 sinnreich verknüpft sind, so wird die geringe Erwartung, daß^fa die
268 das erstemal^fb bemerkten Zusammenhänge sich als Zufall heraus-
269stellen könnten, wohl aufgegeben werden. Ich halte mich dann
270 für berechtigt, die neue Einsicht durch Namengebung zu fixieren^fc.
271 Den Traum, wie er mir in der Erinnerung vorliegt, stelle ich
272 dem durch Analyse gefundenen zugehörigen Material gegenüber,
273 nenne den ersteren den manifesten Trauminhalt, das
274 letztere — zunächst ohne weitere Scheidung — den latenten
275 Trauminhalt. Ich stehe dann vor zwei neuen, bisher nicht
276 formulierten^fd Problemen: 1)^fewelches der psychische Vorgang ist,
277 der den latenten Trauminhalt in den mir aus der Erinnerung
278 bekannten, manifesten, übergeführt hat; 2)^ff welches das Motiv
279 oder die Motive sind, die solche Übersetzung^fg erfordert haben.
280 Den Vorgang der Verwandlung vom latenten zum manifesten
281 Trauminhalt werde ich die Traumarbeit nennen. Das Gegen-
282stück zu dieser Arbeit, welches die entgegengesetzte Umwandlung
283 leistet, kenne ich bereits als Analysenarbeit. Die anderen
284 Traumprobleme, die Fragen nach den Traumerregern, nach der
285 Herkunft des Traummaterials^fh, nach dem etwaigen Sinn des
286 Traumes und Funktion^fi des Träumens, und nach den Gründen
287 des Traumvergessens werde ich nicht am manifesten, sondern am

200neugewonnenen latenten Trauminhalt erörtern. Da ich alle
288 widersprechenden^fj wie alle unrichtigen Angaben über das Traum-
289leben in der Literatur^fk auf die Unkenntnis^fl des erst durch Analyse
290 zu enthüllenden latenten Trauminhaltes zurückführe, werde ich
291 eine Verwechslung des manifesten Traumes mit den
292 latenten Traumgedanken fortan aufs sorgfältigste^fm zu ver-
293meiden suchen.

III^fn

Die Verwandlung der latenten Traumgedanken in den mani
294festen Trauminhalt verdient unsere volle Aufmerksamkeit als das
295 zuerst bekannt gewordene^fo Beispiel von Umsetzung eines psychi-
296schen Materials aus der einen Ausdrucksweise in die^fp andere, aus
297 einer Ausdrucksweise, die uns ohne weiteres^fq verständlich ist, in
298 eine andere, zu deren Verständnis^fr wir erst durch Anleitung und
299 Bemühung vordringen können, obwohl auch sie als Leistung
300 unserer Seelentätigkeit^fs anerkannt werden muß^ft. Mit Rücksicht
301 auf das Verhältnis von latentem zu manifestem Trauminhalt
302 lassen sich die Träume in drei Kategorien bringen. Wir können
303 erstens solche Träume unterscheiden, die sinnvoll und gleich-
304zeitig verständlich sind, d. h. eine Einreihung in unser
305 seelisches Leben ohne weiteren Anstoß^fu zulassen. Solcher Träume
306 gibt^fv es viele; sie sind meist kurz und erscheinen uns im allge-
307meinen^fw wenig bemerkenswert^fx, weil alles Erstaunen oder Befremden
308 Erregende ihnen abgeht. Ihr Vorkommen ist übrigens ein starkes
309 Argument gegen die Lehre, welche den Traum durch isolierte
310 Tätigkeit^fy einzelner Hirnzellgruppen entstehen läßt^fz; es fehlen ihnen
311 alle Kennzeichen herabgesetzter oder zerstückelter psychischer
312 Tätigkeit^ga, und doch erheben wir gegen ihren Charakter als Träume
313 niemals einen Einspruch und verwechseln sie nicht mit den
314 Produkten des Wachens. Eine zweite Gruppe bilden jene Träume,
315 die zwar in sich zusammenhängend sind und einen klaren Sinn
316 haben, aber befremdend wirken, weil wir diesen Sinn in

202unserem Seelenleben nicht unterzubringen wissen. Solch ein Fall
317 ist es, wenn wir z. B. träumen, daß^gb ein lieber Verwandter an
318 der Pest gestorben ist, während wir keinen Grund zu solcher
319 Erwartung, Besorgnis^gc oder Annahme kennen und uns verwundert
320 fragen: wie komme ich zu dieser Idee? In die dritte Gruppe
321 gehören endlich jene Träume, denen beides abgeht, Sinn und
322 Verständlichkeit, die unzusammenhängend, verworren
323 und sinnlos erscheinen. Die überwiegende Mehrzahl der Pro-
324dukte unseres Träumens zeigt diese Charaktere, welche die Gering-
325schätzung der Träume und die ärztliche Theorie von der ein-
326geschränkten Seelentätigkeit^gd begründet haben. Zumal in den
327 längeren und komplizierteren^ge Traumkompositionen vermißt^gf man
328 nur selten die deutlichsten Zeichen der Inkohärenz.

Der Gegensatz von manifestem und latentem Trauminhalt hat
329 offenbar nur für die Träume der zweiten, und noch eigentlicher
330 für die der dritten Kategorie Bedeutung. Hier finden sich die
331 Rätsel^gg vor, die erst verschwinden, wenn man den manifesten
332 Traum durch den latenten Gedankeninhalt ersetzt, und an einem
333 Beispiel dieser Art, an einem verworrenen und unverständlichen
334 Traum, haben wir auch die voranstehende Analyse ausgeführt.
335 Wir sind aber wider unser Erwarten auf Motive gestoßen^gh, die
336 uns eine vollständige Kenntnisnahme^gi der latenten Traumgedanken
337 verwehrten, und durch die Wiederholung der gleichen Erfahrung
338 dürften wir zur Vermutung^gj geführt werden, daß^gk zwischen
339 dem unverständlichen und verworrenen Cha-
340rakter des Traumes und den Schwierigkeiten
341 bei der Mitteilung^gl der Traumgedanken ein
342 intimer und gesetzmäßiger^gm Zusammenhang
343 besteht. Ehe wir die Natur dieses Zusammenhanges erforschen,
344 werden wir mit Vorteil^gn unser Interesse den leichter verständlichen
345 Träumen der ersten Kategorie zuwenden, in denen manifester
346 und latenter Inhalt zusammenfallen, die Traumarbeit also erspart
347 scheint.

Die Untersuchung dieser Träume empfiehlt sich noch von einem
348 anderen Gesichtspunkte aus. Die Träume der Kinder sind näm-
349lich von solcher Art, also sinnvoll und nicht befremdend, was,
350 nebenbei bemerkt, einen neuen Einspruch gegen die Zurück-
351führung des Traumes auf dissoziierte Hirntätigkeit^go im Schlafe
352 abgibt^gp, denn warum sollte wohl solche Herabsetzung der psychi-
353schen Funktionen beim Erwachsenen zu den Charakteren des
354 Schlafzustandes gehören, beim Kinde aber nicht? Wir dürfen uns
355 aber mit vollem Recht der Erwartung hingeben, daß^gq die Auf-
356klärung psychischer Vorgänge beim Kinde, wo sie wesentlich ver-
357einfacht sein mögen, sich als eine unerläßliche^gr Vorarbeit für die
358 Psychologie des Erwachsenen erweisen wird.

Ich werde also einige Beispiele von Träumen mitteilen^gs, die ich
359 von Kindern gesammelt habe: Ein Mädchen von 19 Monaten
360 wird über einen Tag nüchtern erhalten, weil sie am Morgen
361 erbrochen und sich nach der Aussage der Kinderfrau an Erd-
362beeren verdorben hat. In der Nacht nach diesem Hungertag hört
363 man sie aus dem Schlafe ihren Namen nennen und dazusetzen^gt:
364 „Er(d)beer, Hochbeer⁰⁰⁵, Eier(s)peis, Papp⁰⁰⁶.“ Sie träumt also, daß^gu
365 sie ißt^gv, und hebt aus ihrem Menü^gw gerade das hervor, was ihr
366 die nächste Zeit, wie sie vermutet^gx, karg zugemessen bleiben wird.
367 — Ähnlich^gy träumt von einem versagten Genuß^gz ein 22mona-
368tiger^ha Knabe, der tags^hb zuvor seinem Onkel ein Körbchen mit
369 frischen Kirschen hatte als Geschenk anbieten müssen, von denen
370 er natürlich nur eine Probe kosten durfte. Er erwacht mit der
371 freudigen Mitteilung^hc: He(r)mann alle Kirschen aufgessen. —
372 Ein 3¼jähriges Mädchen hatte am Tage eine Fahrt über den
373 See gemacht, die ihr nicht lang genug gedauert hatte, denn sie
374 weinte, als sie aussteigen sollte. Am Morgen darauf erzählte sie,
375 daß^hd sie in der Nacht auf dem See gefahren, die unterbrochene
376 Fahrt also fortgesetzt habe. — Ein 5¼jähriger Knabe schien von
377 einer Fußpartie^he in der Dachsteingegend ⁰⁰⁷ wenig befriedigt; er
378 erkundigte sich, so oft ein neuer Berg in Sicht kam, ob das der

204Dachstein sei, und weigerte sich dann, den Weg zum Wasserfall
379 mitzumachen. Sein Benehmen wurde auf Müdigkeit geschoben,
380 erklärte sich aber besser, als er am nächsten Morgen seinen Traum
381 erzählte, er sei auf den Dachstein gestiegen. Er hatte
382 offenbar erwartet, die Dachsteinbesteigung werde das Ziel des
383 Ausfluges sein, und war verstimmt worden, als er den ersehnten
384 Berg nicht zu Gesicht^hf bekam. Im Traum holte er nach, was der
385 Tag ihm nicht gebracht hatte. — Ganz ähnlich benahm sich der
386 Traum eines sechsjährigen^hg Mädchens, dessen Vater einen Spazier-
387gang vor dem erreichten Ziele wegen vorgerückter Stunde abge-
388brochen hatte. Auf dem Rückweg war ihr eine Wegtafel auf-
389gefallen, die einen anderen^hh Ausflugsort nannte, und der Vater
390 hatte versprochen, sie ein andermal auch dorthin zu führen. Sie
391 empfing den Vater am nächsten Morgen mit der Mitteilung^hi, sie
392 habe geträumt, der Vater sei mit ihr an dem einen wie
393 an dem anderen Ort^hj gewesen.

Das Gemeinsame dieser Kinderträume ist augenfällig. Sie
394 erfüllen sämtlich^hk Wünsche, die am Tage rege gemacht und uner-
395füllt geblieben sind. Sie sind einfache und unverhüllte
396 Wunscherfüllungen.

Nichtsanderes^hl als eine Wunscherfüllung ist auch folgender,
397 auf den ersten Eindruck nicht ganz verständlicher^hm Kindertraum.
398 Ein nicht vierjähriges^hn Mädchen war einer poliomyelitischen Affek -
399tion ⁰⁰⁸ wegen vom Lande in die Stadt gebracht worden und über-
400nachtete bei einer kinderlosen Tante in einem großen^ho — für sie
401 natürlich übergroßen^hp — Bette. Am nächsten Morgen berichtete
402 sie, daß^hq sie geträumt, das Bett sei ihr viel zu klein
403 gewesen, so daß^hr sie in ihm keinen Platz
404 gefunden. Die Lösung dieses Traumes als Wunschtraum ergibt^hs
405 sich leicht, wenn man sich erinnert, daß^ht „Großsein^hu“ ein
406 häufig auch geäußerter^hv Wunsch der Kinder ist. Die Größe^hw des
407 Bettes mahnte das kleine Gernegroß^hx allzu nachdrücklich an seine
408 Kleinheit; darum korrigierte^hy es im Traume das ihm unliebsame

205Verhältnis^hz und wurde nun so groß^ia, daß^ib ihm das große^ic Bett noch
409 zu klein war.

Auch wenn der Inhalt der Kinderträume sich kompliziert^id und
410 verfeinert, liegt die Auffassung als Wunscherfüllung jedesmal
411 sehr nahe. Ein achtjähriger^ie Knabe träumt, daß^if er mit Achilleus
412 im Streitwagen gefahren, den Diomedes lenkte. Er hat sich nach-
413weisbar tags^ig vorher in die Lektüre griechischer Heldensagen ver-
414senkt; es ist leicht zu konstatieren^ih, daßⁱⁱ er sich diese Helden zu
415 Vorbildern genommen und bedauert hat, nicht in ihrer Zeit zu
416 leben.

Aus dieser kleinen Sammlung erhellt ohne weiteres^ij ein
417 zweiter Charakter der Kinderträume, ihr Zusammenhang
418 mit dem Tagesleben. Die Wünsche, die sich in ihnen
419 erfüllen, sind vom Tage, in der Regel vom Vortage, erübrigt und
420 sind im Wachdenken mit intensiver Gefühlsbetonug ausgestattet
421 gewesen. Unwesentliches und Gleichgültiges^ik, oder was dem Kinde
422 so erscheinen muß^il, hat im Trauminhalt keine Aufnahme
423 gefunden.

Auch bei Erwachsenen kann man zahlreiche Beispiele solcher
424 Träume von infantilem Typus sammeln, die aber, wie erwähnt,
425 meist knapp an Inhalt sind. So beantwortet eine Reihe von Per-
426sonen einen nächtlichen Durstreiz regelmäßig^im mit dem Traume
427 zu trinken, der also den Reiz fortzuschaffen und den Schlaf fort-
428zusetzen strebt. Bei manchen Menschenⁱⁿ findet man solche
429 Bequemlichkeitsträume häufig vor dem Erwachen, wenn
430 die Aufforderung^io auszustehen,^ip an sie herantritt. Sie träumen
431 dann, daß^iq sie schon aufgestanden sind, beim Waschtisch stehen
432 oder sich bereits in der Schule, im Bureau u. dgl. befinden, wo
433 sie zur bestimmten Zeit sein sollten. In der Nacht vor einer
434 beabsichtigten Reise träumt man nicht selten, daß^ir man am
435 Bestimmungsorte angekommen ist; vor einer Theatervorstellung,
436 einer Gesellschaft antizipiert^is der Traum nicht selten — gleich-[/]
437sam ungeduldig — das erwartete Vergnügen. Andere Male drückt

206der Traum die Wunscherfüllung um eine Stufe indirekter aus;
438 es bedarf noch der Herstellung einer Beziehung, einer Folgerung,
439 also eines Beginnes von Deutungsarbeit, um die Wunscherfüllung
440 zu erkennen. So z. B. wenn mir ein Mann den Traum seiner
441 jungen Frau erzählt, daß^it sich bei ihr die Periode eingestellt habe.
442 Ich muß^iu daran denken, daß^iv die junge Frau einer Gravidität ent-
443gegensieht, wenn ihr die Periode ausbleibt. Dann ist die Mit-
444teilung^iw des Traumes eine Graviditätsanzeige, und sein Sinn ist,
445 daß^ix er den Wunsch erfüllt zeigt, die Gravidität möge doch noch
446 eine Weile ausbleiben. Unter ungewöhnlichen und extremen Ver-
447hältnissen werden solche Träume von infantilem Charakter
448 besonders häufig. Der Leiter einer Polarexpedition berichtet z. B.^iz,
449 daß^ja seine Mannschaft während der Überwinterung im Eise bei
450 monotoner Kost und schmalen Rationen regelmäßig wie die
451 Kinder von großen^jb Mahlzeiten träumte^jc, von Bergen von Tabak
452 und vom Zuhausesein.^iy

Gar nicht selten hebt sich aus einem längeren, komplizierten^jd
453 und im ganzen^je verworrenen Traum ein besonders klares Stück
454 hervor, das eine unverkennbare Wunscherfüllung enthält, aber
455 mit anderem,^jf unverständlichen^jg Material verlötet^jh ist. Versucht
456 man häufiger, auch die anscheinend undurchsichtigen^ji Träume
457 Erwachsener zu analysieren^jj, so erfährt man zu seiner Verwun-
458derung, daß^jk diese selten so einfach sind wie die Kinderträume,
459 und daß^jl sie etwa hinter der einen Wunscherfüllung noch anderen
460 Sinn verbergen.

Es wäre nun gewiß^jm eine einfache und befriedigende Lösung
461 der Traumrätsel^jn, wenn etwa die Analysenarbeit uns ermöglichen
462 sollte, auch die sinnlosen und verworrenen Träume Erwachsener
463 auf den infantilen Typus der Erfüllung eines intensiv empfun-
464denen Wunsches vom Tage zurückzuführen. Der Anschein spricht
465 gewiß^jo nicht für diese Erwartung. Die Träume sind meist voll
466 des gleichgültigsten^jp und fremdartigsten Materials, und von
467 Wunscherfüllung ist in ihrem Inhalt nichts zu merken.

Ehe wir aber die infantilen Träume, die unverhüllte Wunsch-
468erfüllungen sind, verlassen, wollen wir nicht versäumen, einen
469 längst bemerkten Hauptcharakter des Traumes zu erwähnen, der
470 gerade in dieser Gruppe am reinsten hervortritt. Ich kann jeden
471 dieser Träume durch einen Wunschsatz ersetzen: Oh, hätte die
472 Fahrt auf dem See doch länger gedauert; — wäre ich doch
473 schon gewaschen und angezogen; — hätte ich doch die Kirschen
474 behalten dürfen, anstatt sie dem Onkel zu geben; aber der
475 Traum gibt^jq mehr als diesen Optativ. Er zeigt den Wunsch als
476 bereits erfüllt, stellt diese Erfüllung als real und gegenwärtig dar,
477 und das Material der Traumdarstellung besteht vorwiegend —
478 wenn auch nicht ausschließlich^jr — aus Situationen und meist
479 visuellen Sinnesbildern. Auch in dieser Gruppe wird also eine
480 Art Umwandlung — die man als Traumarbeit bezeichnen darf
481 — nicht völlig vermißt^js: Ein im Optativ stehender
482 Gedanke ist durch eine Anschauung im Präsens
483 ersetzt.

IV^jt

Wir werden geneigt sein anzunehmen, daß^ju eine solche Um-
484setzung in eine Situation auch bei den verworrenen Träumen
485 stattgefunden hat, wiewohl wir nicht wissen können, ob sie auch
486 hier einen Optativ betraf. Das eingangs mitgeteilte^jv Traum-
487beispiel, in dessen Analyse wir ein Stück weit eingegangen sind,
488 gibt^jw uns allerdings an zwei Stellen Anlaß^jx, etwas Derartiges^jy zu
489 vermuten^jz. Es kommt in der Analyse vor, daß^ka meine Frau sich
490 an der Tafel mit anderen^kb beschäftigt, was ich als unangenehm
491 empfinde; der Traum enthält davon das genaue Gegenteil^kc,
492 daß^kd die Person, die meine Frau ersetzt, sich ganz mir zuwendet.
493 Zu welchem Wunsch kann aber ein unangenehmes Erlebnis^ke
494 besser Anlaß^kf geben,^kg als zu dem, daß^kh sich das Gegenteil^ki davon
495 ereignet haben sollte, wie es der Traum als vollzogen enthält?
496 In ganz ähnlichem Verhältnis^kj steht der bittere^kk Gedanke in der
497 Analyse, daß^kl ich nichts umsonst gehabt habe, zu der Rede der
498 Frau im Traum: Sie haben ja immer so schöne Augen gehabt.
499 Ein Teil^km der Gegensätzlichkeiten zwischen manifestem und
500 latentem Trauminhalt dürfte sich also auf Wunscherfüllung
501 zurückführen lassen.

Augenfälliger ist aber eine andere Leistung der Traumarbeit,
502 durch welche die inkohärenten Träume zustande^kn kommen. Ver-
503gleicht man an einem beliebigen Beispiel die Zahl der Vor-
504stellungselemente oder den Umfang der Niederschrift beim
505 Traum und bei den Traumgedanken, zu denen die Analyse

209führt,^ko und von denen man eine Spur im Traume wiederfindet,
506 so kann man nicht bezweifeln, daß^kp die Traumarbeit hier eine
507 großartige^kq Zusammendrängung oder Verdichtung zustande^kr
508 gebracht hat. Über^ks das Ausmaß^kt dieser Verdichtung kann man
509 sich zunächst ein Urteil^ku nicht bilden; sie imponiert^kv aber um so
510 mehr, je tiefer man in die Traumanalyse eingedrungen ist. Da
511 findet man dann kein Element des Trauminhaltes, von dem die
512 Assoziationsfäden^kw nicht nach zwei^kx oder mehr Richtungen aus-
513einandergingen, keine Situation, die nicht aus zwei^ky oder mehr
514 Eindrücken und Erlebnissen zusammengestückelt wäre. Ich
515 träumte z. B.^kz einmal von einer Art Schwimmbassin, in dem die
516 Badenden nach allen Richtungen auseinanderfuhren; an einer
517 Stelle des Randes stand eine Person, die sich zu einer badenden
518 Person neigte, wie um sie herauszuziehen. Die Situation war
519 zusammengesetzt aus der Erinnerung an ein Erlebnis^la der Puber-
520tätszeit und aus zwei Bildern, von denen ich eines kurz vor dem
521 Traum gesehen hatte. Die zwei Bilder waren das der Über-
522raschung^lb im Bade aus dem Schwindschen Zyklus Melusine^lc009
523 (siehe die auseinanderfahrenden Badenden) und ein Sintflutbild
524 eines italienischen Meisters. Das kleine Erlebnis^ld aber hatte darin
525 bestanden, daß^le ich zusehen konnte, wie in der Schwimmschule
526 der Bademeister einer Dame aus dem Wasser half, die sich bis
527 zum Eintritt der Herrenstunde verspätet hatte. — Die Situation
528 in dem zur Analyse gewählten Beispiel leitet mich bei der Ana-
529lyse auf eine kleine Reihe von Erinnerungen, von denen jede
530 zum Trauminhalt etwas beigesteuert hat. Zunächst ist es die
531 kleine Szene^lf aus der Zeit meiner Werbung, von der ich bereits
532 gesprochen; ein Händedruck unter dem Tisch, der damals vorfiel,
533 hat für den Traum das Detail „unter dem Tisch“, das ich der
534 Erinnerung nachträglich einfügen muß^lg, geliefert. Von „Zuwen-
535dung“ war natürlich damals keine Rede; ich weiß^lh aus der Ana-
536lyse, daß^li dieses Element die Wunscherfüllung durch Gegensatz
537 ist, die zum Benehmen meiner Frau an der Table d’hôte gehört. Hinter dieser rezenten Erinnerung verbirgt sich aber eine ganz
538 ähnliche und viel bedeutsamere Szene^lj aus unserer Verlobungszeit,
539 die uns für einen ganzen Tag entzweite. Die Vertraulichkeit, die
540 Hand auf das Knie zu legen, gehört in einen ganz verschiedenen
541 Zusammenhang und zu ganz anderen Personen. Dieses Traum-
542 element wird selbst wieder zum Ausgangspunkt zweier besonderer
543 Erinnerungsreihen usw.^lk

Das Material aus den Traumgedanken, welches zur Bildung
544 der Traumsituation zusammengeschoben wird, muß^ll natürlich für
545 diese Verwendung von vorneherein^lm brauchbar sein. Es bedarf
546 hiezu^ln eines — oder mehrerer — in allen Komponenten vor-
547handenen Gemeinsamen. Die Traumarbeit verfährt dann wie
548 Francis Galton bei der Herstellung seiner Familienphoto-
549graphien. Sie bringt die verschiedenen Komponenten wie über-
550einander gelegt^lo zur Deckung; dann tritt das Gemeinsame im
551 Gesamtbild^lp deutlich hervor, die widersprechenden Details löschen
552 einander nahezu aus. Dieser Herstellungsprozeß^lq erklärt auch zum
553 Teil^lr die schwankenden Bestimmungen von eigentümlicher^ls Ver-
554schwommenheit so vieler Elemente des Trauminhalts. Die Traum-
555deutung spricht,^lt, auf dieser Einsicht fußend,^lu folgende Regel aus:
556 Wo sich bei der Analyse eine Unbestimmtheit noch in
557 ein entweder — oder auflösen läßt^lv, da ersetze man dies
558 für die Deutung durch ein „und“ und nehme jedes Glied der
559 scheinbaren Alternative zum unabhängigen Ausgang einer Reihe
560 von Einfällen.

Wo solche Gemeinsame zwischen den Traumgedanken
561 nicht vorhanden sind, da bemüht sich die Traumarbeit solche
562 zu schaffen, um die gemeinsame Darstellung im Traume
563 zu ermöglichen. Der bequemste Weg, um zwei Traumgedanken,
564 die noch nichts Gemeinsames haben, einander näher zu bringen,
565 besteht in der Veränderung des sprachlichen Ausdrucks für den
566 einen, wobei ihm etwa noch der andere durch eine entsprechende
567 Umgießung^lw in einen anderen^lx Ausdruck entgegenkommt. Es ist

211das ein ähnlicher Vorgang wie beim Reimeschmieden^ly, wobei
568 der Gleichklang das gesuchte Gemeinsame ersetzt. Ein gutes
569 Stück der Traumarbeit besteht in der Schöpfung solcher häufig
570 sehr witzig, oft aber gezwungen erscheinenden Zwischengedanken,
571 welche von der gemeinsamen Darstellung im Trauminhalt bis
572 zu den nach Form und Wesen verschiedenen, durch die Traum-
573anlässe motivierten^lz Traumgedanken reichen. Auch in der Analyse
574 unseres Traumbeispiels finde ich einen derartigen Fall von Um-
575formung eines Gedankens zum Zwecke des Zusammentreffens mit
576 einem anderen, ihm wesensfremden. Bei der Fortsetzung der
577 Analyse stoße^ma ich nämlich auf den Gedanken: Ich möchte
578 auch einmal etwas umsonst haben; aber diese
579 Form ist für den Trauminhalt nicht brauchbar. Sie wird darum
580 durch eine neue ersetzt: Ich möchte gerne etwas ge-
581nießen^mb ohne „Kosten“ zu haben. Das Wort Kosten
582 paßt^mc nun mit seiner zweiten Bedeutung in den Vorstellungskreis
583 der Table d’hôte und kann seine Darstellung durch den im
584 Traum aufgetischten Spinat finden. Wenn bei uns eine Speise
585 zu Tische kommt, welche von den Kindern abgelehnt wird, so
586 versucht es die Mutter^md wohl zuerst mit Milde und fordert von
587 den Kindern: Nur ein bißchen^me kosten. Daß^mf die Traum-
588arbeit die Zweideutigkeit der Worte so unbedenklich ausnützt,
589 erscheint zwar sonderbar, stellt sich aber bei reicherer Erfahrung
590 als ein ganz gewöhnliches Vorkommnis^mg heraus.

Durch die Verdichtungsarbeit des Traumes erklären sich auch
591 gewisse Bestandteile^mh seines Inhaltes, die nur ihm eigentümlich^mi
592 sind und im wachen Vorstellen nicht gefunden werden. Es sind
593 dies die Sammel- und Mischpersonen und die sonder-
594baren Mischgebilde, Schöpfungen, den Tierkompositionen^mj
595 orientalischer Völkerphantasie vergleichbar, die aber in unserem
596 Denken bereits zu Einheiten erstarrt sind, während die Traum-
597kompositionen in unerschöpflichem Reichtum^mk immer neu gebildet
598 werden. Jeder kennt solche Gebilde aus seinen eigenen Träumen;

212die Weisen ihrer Herstellung sind sehr mannigfaltig. Ich kann
599 eine Person zusammensetzen, indem ich ihr Züge von der einen
600 und von der anderen verleihe, oder indem ich ihr die Gestalt
601 der einen gebe und dabei im Traum den Namen der anderen^ml
602 denke, oder ich kann die eine Person visuell vorstellen, sie aber
603 in eine Situation versetzen, die sich mit der anderen^mm ereignet
604 hat. In all diesen Fällen ist die Zusammenziehung verschiedener
605 Personen zu einem einzigen Vertreter im Trauminhalt sinnvoll,
606 sie soll ein „und“, „gleichwie“, eine Gleichstellung der originalen
607 Personen in einer gewissen Hinsicht bedeuten, die auch im
608 Traum selbst erwähnt sein kann. In der Regel aber ist diese
609 Gemeinsamkeit der verschmolzenen Personen erst durch die Analyse
610 aufzusuchen und wird im Trauminhalt eben bloß^mn durch die
611 Bildung der Sammelperson angedeutet.

Dieselbe Mannigfaltigkeit der Herstellungsweise und die nämliche
612 Regel bei der Auflösung gilt auch für die unermeßlich^mo reich-
613haltigen Mischgebilde des Trauminhaltes, von denen ich Beispiele
614 wohl nicht anzuführen brauche. Ihre Sonderbarkeit verschwindet
615 ganz, wenn wir uns entschließen^mp, sie nicht in eine Reihe mit
616 den Objekten der Wahrnehmung im Wachen zu stellen, sondern
617 uns erinnern, daß^mq sie eine Leistung der Traumverdichtung dar-
618stellen und in treffender Abkürzung einen gemeinsamen Charakter
619 der so kombinierten^mr Objekte hervorheben. Die Gemeinsamkeit
620 ist auch hier meist aus der Analyse einzusetzen. Der Trauminhalt
621 sagt gleichsam nur aus: Alle diese Dinge haben ein X
622 gemeinsam. Die Zersetzung solcher Mischgebilde durch die
623 Analyse führt oft auf dem kürzesten Weg zur Bedeutung des
624 Traumes. So träumte ich einmal, daß^ms ich mit einem meiner
625 früheren Universitätslehrer in einer Bank sitze, die mitten unter
626 anderen Bänken^mt eine rasch fortschreitende Bewegung erfährt. Es
627 war dies eine Kombination von Hörsaal und Trottoir roulant ⁰¹⁰.
628 Die weitere Verfolgung des Gedankens übergehe ich. — Ein
629 andermal sitze ich im Waggon und halte auf dem Schoß^mu einen

213Gegenstand von der Form eines Zylinderhutes^mv, der aber aus durch-
630sichtigem Glas besteht. Die Situation läßt^mw mir sofort das Sprich-
631wort einfallen: Mit dem Hute in der Hand kommt man durchs^mx
632 ganze Land. Der Glaszylinder^my erinnert auf kurzen Um-
633wegen an das Auersche^mz Licht⁰¹¹, und ich weiß^na bald, daß^nb ich
634 eine Erfindung machen möchte, die mich so reich und unabhängig
635 werden läßt^nc wie meinen Landsmann, den Dr. Auer von Wels-
636bach, die seinige, und daß^nd ich dann Reisen machen will,^ne anstatt
637 in Wien zu bleiben. Im Traume reise ich mit meiner Erfindung
638 — dem allerdings noch nicht gebräuchlichen Hutzylinder^nf aus
639 Glas. — Ganz besonders liebt es die Traumarbeit^ng zwei in gegen-
640sätzlicher Beziehung stehende Vorstellungen durch das nämliche
641 Mischgebilde darzustellen, so z. B.^nh wenn eine Frau sich im
642 Traume,ⁿⁱ einen hohen Blumenstengel tragend,^nj sieht, wie der Engel
643 auf den Bildern von Mariä Verkündigung dargestellt wird
644 (Unschuld — Marie ist ihr eigener Name), der Stengel aber mit
645 dicken, weißen Blüten besetzt ist, die Kamelien gleichen (Gegen-
646satz zu Unschuld: Kameliendame⁰¹²).

Ein gutes Stück dessen, was wir über die Traumverdichtung
647 erfahren haben, läßt^nk sich in der Formel zusammenfassen: Jedes
648 der Elemente des Trauminhaltes ist durch das Material der
649 Traumgedanken überdeterminiert^nl, führt seine Abstammung
650 nicht auf ein einzelnes Element der Traumgedanken, sondern
651 auf eine ganze Reihe von solchen zurück, die einander
652 in den Traumgedanken keineswegs nahe stehen müssen^nm,
653 sondern den verschiedensten Bezirken des Gedankengewebes
654 angehören könnenⁿⁿ. Das Traumelement ist im richtigen
655 Sinne die Vertretung im Trauminhalt für all dies
656 disparate Material. Die Analyse deckt aber noch eine andere
657 Seite der zusammengesetzten Beziehung zwischen Trauminhalt
658 und Traumgedanken auf. So wie von jedem Traumelement Ver-
659bindungen zu mehreren Traumgedanken führen, so ist auch in
660 der Regel ein Traumgedanke durch mehr als ein

214Traumelement vertreten; die Assoziationsfäden kon-
661vergieren^no nicht einfach von den Traumgedanken bis zum Traum-
662inhalt, sondern überkreuzen und durchweben sich vielfach
663 unterwegs.

Neben der Verwandlung eines Gedankens in eine Situation
664 (der „Dramatisierung^np“) ist die Verdichtung der wichtigste und
665 eigentümlichste^nq Charakter der Traumarbeit. Von einem Motiv,
666 welches zu solcher Zusammendrängung des Inhalts^nr nötigen^ns würde,
667 ist uns aber zunächst nichts enthüllt worden.

V^nt

Bei den komplizierten^nu und verworrenen Träumen, die uns
668 jetzt beschäftigen, läßt^nv sich nicht der ganze Eindruck von
669 Unähnlichkeit zwischen Trauminhalt und Traumgedanken auf
670 Verdichtung und Dramatisierung^nw zurückführen. Es liegen Zeug-
671nisse für die Wirksamkeit eines dritten Faktors vor, die einer
672 sorgfältigen Sammlung würdig sind.

Ich merke vor allem, wenn ich durch Analyse zur Kenntnis^nx
673 der Traumgedanken gelangt bin, daß^ny der manifeste Trauminhalt
674 ganz andere Stoffe behandelt als der latente. Dies ist freilich nur
675 ein Schein, der sich bei genauerer Untersuchung verflüchtigt,
676 denn schließlich^nz finde ich allen Trauminhalt in den Traum-
677gedanken ausgeführt, fast alle Traumgedanken durch den Traum-
678inhalt vertreten wieder. Aber es bleibt von der Verschiedenheit
679 doch etwas bestehen. Was in dem Traum breit und deutlich als
680 der wesentliche Inhalt hingestellt war, das muß^oa sich nach der
681 Analyse mit einer höchst untergeordneten Rolle unter den Traum-
682gedanken begnügen, und was nach der Aussage meiner Gefühle^ob
683 unter den Traumgedanken auf die größte^oc Beachtung Anspruch
684 hat, dessen Vorstellungsmaterial findet sich im Trauminhalt ent-
685weder gar nicht vor oder ist durch eine entfernte Anspielung
686 in einer undeutlichen Region des Traumes vertreten. Ich kann
687 diese Tatsache^od so beschreiben:Während^oe der Traumarbeit
688 übergeht die psychische Intensität von den Ge-
689danken und Vorstellungen, denen sie berechtigter-[/]
690

216weise^ofzukommt, auf andere, die nach meinem
691 Urteil^og keinen Anspruch auf solche Betonung
692 haben. Kein anderer Vorgang trägt soviel dazu bei, um den
693 Sinn des Traumes zu verbergen und mir den Zusammenhang
694 von Trauminhalt und Traumgedanken unkenntlich zu machen.
695 Während dieses Vorganges, den ich die Traumverschie-
696bung nennen will, sehe ich auch die psychische Intensität,
697 Bedeutsamkeit oder Affektfähigkeit von Gedanken sich in sinn-
698liche Lebhaftigkeit umsetzen. Das Deutlichste im Trauminhalt
699 erscheint mir ohne weiteres^oh als das Wichtigste; gerade in einem
700 undeutlichen Traumelement kann ich aber oft den direktesten
701 Abkömmling des wesentlichen^oi Traumgedankens erkennen.

Was ich Traumverschiebung genannt habe, könnte ich auch
702 als Umwertung^oj der psychischen Wertigkeiten^ok
703 bezeichnen. Ich habe aber das Phänomen nicht erschöpfend ge-
704würdigt, wenn ich nicht hinzufüge, daß^ol diese Verschiebungs- oder
705 Umwertungsarbeit^om an den einzelnen Träumen mit einem sehr
706 wechselnden Betrag beteiligt^on ist. Es gibt^oo Träume, die fast ohne
707 jede Verschiebung zustande^op gekommen sind^oq. Diese sind gleichzeitig
708 die sinnvollen und verständlichen, wie wir z. B.^or die unverhüllten
709 Wunschträume kennen gelernt^os haben. In anderen Träumen hat
710 nicht mehr ein Stück der Traumgedanken den ihm eigenen
711 psychischen Wert^ot behalten, oder zeigt sich alles Wesentliche
712 aus den Traumgedanken durch Nebensächliches ersetzt, und
713 dazwischen läßt^ou sich die vollständigste Reihe von Übergängen^ov
714 erkennen. Je dunkler und verworrener ein Traum ist, desto
715 größeren Anteil^ow darf man dem Moment der Verschiebung an seiner
716 Bildung zuschreiben.

Unser zur Analyse gewähltes Beispiel zeigt wenigstens soviel^ox
717 von Verschiebung, daß^oy sein Inhalt anders zentriert^oz erscheint
718 als die Traumgedanken. In den Vordergrund des Trauminhaltes
719 drängt sich eine Situation, als ob eine Frau mir Avancen machen
720 würde; das Hauptgewicht in den Traumgedanken ruht auf dem

217Wunsche, einmal uneigennützige Liebe, die „nichts kostet“, zu
721 genießen^pa, und diese Idee ist hinter der Redensart von den
722 schönen Augen und der entlegenen Anspielung „Spinat“ versteckt.

Wenn wir durch die Analyse die Traumverschiebung rück-
723gängig machen, gelangen wir zu vollkommen sicher lautenden
724 Auskünften über zwei vielumstrittene Traumprobleme, über die
725 Traumerreger und über den Zusammenhang des Traumes mit
726 dem Wachleben. Es gibt^pb Träume, die ihre Anknüpfung an die
727 Erlebnisse des Tages unmittelbar verraten^pc; in anderen ist von
728 solcher Beziehung keine Spur zu entdecken. Nimmt man dann
729 die Analyse zu Hilfe, so kann man zeigen, daß^pd jeder Traum ohne
730 mögliche Ausnahme an einen Eindruck der letzten Tage —
731 wahrscheinlich ist es richtiger,^pe zu sagen: des letzten Tages vor
732 dem Traum (des Traumtages) — anknüpft. Der Eindruck, welchem
733 die Rolle des Traumerregers zufällt, kann ein so bedeutsamer
734 sein, daß^pf uns die Beschäftigung mit ihm im Wachen nicht
735 Wunder nimmt^pg, und in diesem Falle sagen wir vom Traume
736 mit Recht aus, er setze die wichtigen Interessen des Wachlebens
737 fort. Gewöhnlich aber, wenn sich in dem Trauminhalt eine
738 Beziehung zu einem Tageseindruck vorfindet, ist dieser so gering-
739fügig, bedeutungslos und des Vergessens würdig, daß^ph wir uns an
740 ihn selbst nicht ohne einige Mühe besinnen können. Der Traum-
741inhalt selbst scheint sich dann, auch wo er zusammenhängend
742 und verständlich ist, mit den gleichgültigsten^pi Lappalien zu
743 beschäftigen, die unseres Interesses im Wachen unwürdig wären.
744 Ein gutes Stück der Mißachtung^pj des Traumes leitet sich von
745 dieser Bevorzugung des Gleichgültigen^pk und Nichtigen im Traum-
746inhalte her.

Die Analyse zerstört den Schein, auf den sich dieses gering-
747schätzige Urteil^pl gründet. Wo der Trauminhalt einen indifferenten
748 Eindruck als Traumerreger in den Vordergrund stellt, da weist
749 die Analyse regelmäßig^pm das bedeutsame, mit Recht aufregende^pn
750 Erlebnis^po nach, welches sich durch das gleichgültige^pp ersetzt, mit

218dem es ausgiebige assoziative^pq Verbindungen eingegangen hat. Wo
751 der Trauminhalt bedeutungsloses und uninteressantes Vorstellungs-
752material behandelt, da deckt die Analyse die zahlreichen Ver-
753bindungswege auf, mittelst^pr welcher dies Wertlose^ps mit dem Wert-
754vollsten^pt in der psychischen Schätzung des Einzelnen zusammen-
755hängt. Es sind nur Akte der Verschiebungsarbeit Verschiebungsarbeit,
756 Verschiebungsarbeit^puwenn anstatt des mit Recht erregenden Eindruckes
757 der indifferente, anstatt des mit Recht inter-
758essanten Materials das gleichgültige^pv zur Auf-
759nahme in den Trauminhalt gelangen. Beantwortet
760 man die Fragen nach den Traumerregern und nach dem Zu-
761sammenhang des Träumens mit dem täglichen Treiben nach
762 den neuen Einsichten, die man bei der Ersetzung des manifesten
763 Trauminhaltes durch den latenten gewonnen hat, so muß^pw man
764 sagen: der Traum beschäftigt sich niemals mit
765 Dingen, die uns nicht auch bei Tag zu beschäftigen
766 würdig sind, und Kleinigkeiten, die uns bei
767 Tag nicht anfechten, vermögen es auch nicht,
768 uns in den Schlaf zu verfolgen.

Welches ist der Traumerreger in dem zur Analyse gewählten
769 Beispiel? Das wirklich bedeutungslose Erlebnis^px, daß^py mir ein Freund
770 zu einer kostenlosen Fahrt im Wagen verhalf. Die
771 Situation der Table d’hôte im Traum enthält eine Anspielung
772 auf diesen indifferenten Anlaß^pz, denn ich hatte im Gespräch den
773 Taxameterwagen in Parallele zur Table d’hôte gebracht. Ich kann
774 aber auch das bedeutsame Erlebnis^qa angeben, welches sich durch
775 dieses kleinliche vertreten läßt^qb. Wenige Tage vorher hatte ich
776 eine größere^qc Geldausgabe für eine mir teuere^qd Person meiner
777 Familie gemacht. Kein Wunder, heißt^qe es in den Traumgedanken,
778 wenn diese Person mir dafür dankbar wäre, diese Liebe wäre
779 nicht „kostenlos“. Kostenlose Liebe steht aber unter den Traum-
780gedanken im Vordergrunde. Daß^qf ich vor nicht langer Zeit
781 mehrere Wagenfahrten mit dem betreffenden Verwandten

219gemacht, setzt die eine Wagenfahrt mit meinem Freund in den
782 Stand, mich an die Beziehungen zu jener anderen Person zu
783 erinnern. — Der indifferente Eindruck, der durch derartige Ver-
784knüpfungen zum Traumerreger wird, unterliegt noch einer
785 Bedingung, die für die wirkliche Traumquelle nicht gilt; er muß^qg
786 jedesmal ein rezenter sein, vom Traumtage herrühren.

Ich kann das Thema der Traumverschiebung nicht verlassen,
787 ohne eines merkwürdigen Vorganges bei der Traumbildung zu
788 gedenken, bei dem Verdichtung und Verschiebung zum Effekt
789 zusammenwirken. Wir haben schon bei der Verdichtung den
790 Fall kennen gelernt^qh, daß^qi sich zwei Vorstellungen in den Traum-
791gedanken, die etwas Gemeinsames, einen Berührungspunkt haben,
792 im Trauminhalt durch eine Mischvorstellung ersetzen, in der ein
793 deutlicherer Kern dem Gemeinsamen, undeutliche Nebenbestim-
794mungen den Besonderheiten der beiden^qj entsprechen. Tritt zu
795 dieser Verdichtung eine Verschiebung hinzu, so kommt es nicht
796 zur Bildung einer Mischvorstellung, sondern eines mittleren
797 Gemeinsamen, das sich ähnlich zu den einzelnen Elementen
798 verhält^qk wie die Resultierende^ql im Kräfteparallelogramm zu ihren
799 Komponenten. Im Inhalt eines meiner Träume ist z. B.^qm von
800 einer Injektion mit Propylen ⁰¹³die Rede. In der Analyse gelange
801 ich zunächst nur zu einem indifferenten, als Traumerreger wirk-
802samen Erlebnis^qn, bei welchem Amylen⁰¹⁴ eine Rolle spielt. Die
803 Vertauschung von Amylen mit Propylen kann ich noch nicht
804 rechtfertigen. Zu dem Gedankenkreis desselben Traumes gehört
805 aber auch die Erinnerung an einen ersten Besuch in München,
806 wo mir die Propyläen ⁰¹⁵auffielen. Die näheren Umstände der
807 Analyse legen es nahe anzunehmen^qo daß^qp die Einwirkung dieses
808 zweiten Vorstellungskreises auf den ersten die Verschiebung von
809 Amylen auf Propylen verschuldet hat. Propylen ist sozusagen
810 die Mittelvorstellung zwischen Amylen und Propyläen und
811 ist darum nach Art eines Kompromisses durch gleichzeitige
812 Verdichtung und Verschiebung in den Trauminhalt gelangt.

Dringender noch als bei der Verdichtung äußert^qq sich hier bei
813 der Verschiebungsarbeit das Bedürfnis^qr, ein Motiv für diese rätsel-
814haften Bemühungen der Traumarbeit aufzufinden.

VI^qs

Ist es hauptsächlich der Verschiebungsarbeit zur Last zu legen,
815 wenn man die Traumgedanken im Trauminhalt nicht wieder-
816findet oder nicht wiedererkennt, — ohne daß^qt man das Motiv
817 solcher Entstellung errät, ^qu, — so führt eine andere und gelindere
818 Art der Umwandlung, welche mit den Traumgedanken vor-
819genommen wird, zur Aufdeckung einer neuen, aber leicht-
820verständlichen Leistung der Traumarbeit. Die nächsten Traum-
821gedanken, welche man durch die Analyse entwickelt, fallen
822 nämlich häufig durch ihre ungewöhnliche Einkleidung auf; sie
823 scheinen nicht in den nüchternen sprachlichen Formen gegeben,
824 deren sich unser Denken am liebsten bedient, sondern sind viel-
825mehr in symbolischer Weise durch Gleichnisse und Metaphern,
826 wie in bilderreicher Dichtersprache, dargestellt. Es ist nicht
827 schwierig, für diesen Grad von Gebundenheit im Ausdruck der
828 Traumgedanken die Motivierung^qv zu finden. Der Trauminhalt
829 besteht zumeist aus anschaulichen Situationen; die Traumgedanken
830 müssen also vorerst eine Zurichtung erfahren, welche sie für
831 diese Darstellungsweise brauchbar macht. Man stelle sich etwa
832 vor die Aufgabe, die Sätze eines politischen Leitartikels oder eines
833 Plaidoyers im Gerichtssaal durch eine Folge von Bilderzeichnungen
834 zu ersetzen, und man wird dann leicht die Veränderungen ver-
835stehen, zu welcher^qw die Rücksicht auf Darstellbarkeit
836 im Trauminhalt die Traumarbeit nötigt^qx.

Unter dem psychischen Material der Traumgedanken befinden

222sich regelmäßig^qy Erinnerungen an eindrucksvolle Erlebnisse, —
837 nicht selten aus früher Kindheit, —^qzdie also selbst als Situationen
838 mit meist visuellem Inhalt erfaßt^ra worden sind. Wo es irgend
839 möglich ist, äußert^rb dieser Bestandteil^rc der Traumgedanken einen
840 bestimmenden Einfluß^rd auf die Gestaltung des Trauminhalts,
841 indem er gleichsam als Kristallisationspunkt^re anziehend und ver-
842teilend^rf auf das Material der Traumgedanken wirkt. Die Traum-
843situation ist oft nichts anderes als eine modifizierte^rg und durch
844 Einschaltungen komplizierte^rh Wiederholung eines solchen eindrucks-
845vollen Erlebnisses; getreue und unvermengte Reproduktionen realer
846 Szenen^ri bringt der Traum hingegen nur sehr^rj selten.

Der Trauminhalt besteht aber nicht ausschließlich^rk aus
847 Situationen, sondern schließt^rl auch unvereinigte Brocken von
848 visuellen Bildern, Reden und selbst Stücke von unveränderten
849 Gedanken ein. Es wird daher vielleicht anregend wirken,
850 wenn wir in knappster Weise die Darstellungsmittel mustern,
851 welche der Traumarbeit zur Verfügung stehen, um in der
852 eigentümlichen^rm Ausdrucksweise des Traumes die Traumgedanken
853 wiederzugeben.

Die Traumgedanken, welche wir durch die Analyse erfahren,
854 zeigen sich uns als ein psychischer Komplex von^rn allerverwickelt-
855stem Aufbau. Die Stücke desselben stehen in den mannigfaltigsten
856 logischen Relationen zu einander^ro; sie bilden Vorder- und Hinter-
857grund, Bedingungen, Abschweifungen, Erläuterungen, Beweisgänge
858 und Einsprüche. Fast regelmäßig^rp steht neben einem Gedanken-
859gang sein kontradiktorisches Widerspiel. Diesem Material fehlt
860 keiner der Charaktere, die uns von unserem wachen Denken her
861 bekannt sind. Soll nun aus alledem ein Traum werden, so unter-
862liegt dies psychische Material einer Pressung, die es ausgiebig
863 verdichtet, einer inneren Zerbröckelung und Verschiebung, welche
864 gleichsam neue Oberflächen schafft, und einer auswählenden
865 Einwirkung durch die zur Situationsbildung tauglichsten Bestand-
866teile^rq. Mit Rücksicht auf die Genese dieses Materials verdient ein

223solcher Vorgang den Namen einer „Regression“.^rrDie logischen
867 Bande, welche das psychische Material bisher zusammengehalten
868 hatten, gehen nun aber bei dieser Umwandlung zum Trauminhalt
869 verloren. Die Traumarbeit übernimmt gleichsam nur den sach-
870lichen Inhalt der Traumgedanken zur Bearbeitung. Der Analysen-
871arbeit^rsbleibt es überlassen,^rt den Zusammenhang herzustellen, den
872 die Traumarbeit vernichtet hat.

Die Ausdrucksmittel des Traumes sind also kümmerlich zu
873 nennen im Vergleich zu denen unserer Denksprache, doch braucht
874 der Traum auf die Wiedergabe der logischen Relationen unter
875 den Traumgedanken nicht völlig zu verzichten; es gelingt ihm
876 vielmehr häufig genug, dieselben durch formale Charaktere seines
877 eigenen Gefüges zu ersetzen.

Der Traum wird zunächst dem unleugbaren Zusammenhang
878 zwischen allen Stücken der Traumgedanken dadurch gerecht, daß^ru
879 er dieses Material zu einer Situation vereinigt. Er gibt^rv logischen
880 Zusammenhang wieder als Annäherung in Zeit und
881 Raum, ähnlich wie der Maler, der alle Dichter zum Bild des
882 Parnaß^rw zusammenstellt, die niemals auf einem Berggipfel bei-
883sammen gewesen sind, wohl aber begrifflich eine Gemeinschaft
884 bilden. Er setzt diese Darstellungsweise ins^rx Einzelne fort, und
885 oft, wenn^ry er zwei Elemente nahe bei einander^rz im Trauminhalt
886 zeigt, bürgt er für einen besonders innigen Zusammenhang
887 zwischen ihren Entsprechenden in den Traumgedanken. Es ist hier
888 übrigens zu bemerken, daß^sa alle in derselben Nacht produzierten^sb
889 Träume bei der Analyse ihre Herkunft aus dem nämlichen
890 Gedankenkreis^sc erkennen lassen.

Die Kausalbeziehung zwischen zwei Gedanken wird ent-
891weder ohne Darstellung gelassen oder ersetzt durch das Nach-
892einander von zwei verschieden langen Traumstücken. Häufig
893 ist diese Darstellung eine verkehrte, indem der Anfang des
894 Traumes die Folgerung, der Schluß^sd desselben die Voraussetzung
895 bringt. Die direkte Verwandlung eines Dinges in ein anderes

224im Traum scheint die Relation von Ursache und Wirkung
896 darzustellen.

Die Alternative „Entweder—Oder“ drückt der Traum
897 niemals aus, sondern nimmt ihre beiden Glieder wie gleich-
898berechtigt in den nämlichen Zusammenhang auf. Daß^se ein Ent-
899weder—Oder, welches bei der Traumreproduktion gebraucht
900 wird, durch „Und“ zu übersetzen ist, habe ich bereits erwähnt.

Vorstellungen, die im Gegensatz zu einander stehen, werden
901 mit Vorliebe im Traume durch das nämliche Element ausgedrückt.^sf1sg
902 Das „nicht“ scheint für den Traum nicht zu existieren^sh. Opposition
903 zwischen zwei Gedanken, die Relation der Umkehrung,^si findet
904 eine höchst bemerkenswerte^sj Darstellung im Traum. Sie wird
905 dadurch ausgedrückt, daß^sk ein anderes Stück des Trauminhaltes
906 — gleichsam wie nachträglich — in sein Gegenteil^sl verkehrt
907 wird. Eine andere Art, Widerspruch auszudrücken, werden
908 wir später kennen lernen^sm. Auch die im Traum so häufige
909 Sensation der gehemmten Bewegung dient dazu, einen
910 Widerspruch zwischen Impulsen, einen Willenskonflikt,^sn
911 darzustellen.

Einer einzigen unter den logischen Relationen, der der Ähn-
912lichkeit^so, Gemeinsamkeit, Übereinstimmung,^sp kommt
913 der Mechanismus der Traumbildung im höchsten Ausmaße^sq zugute^sr.
914 Die Traumarbeit bedient sich dieser Fälle als Stützpunkte für die
915 Traumverdichtung, indem sie alles, was solche Übereinstimmung^ss
916 zeigt, zu einer neuen Einheit zusammenzieht.

Diese kurze Reihe von groben Bemerkungen reicht natürlich
917 nicht aus, um die ganze Fülle der formalen Darstellungsmittel
918 des Traumes für die logischen Relationen der Traumgedanken zu
919 würdigen. Die einzelnen Träume sind in dieser Hinsicht feiner

225oder nachlässiger gearbeitet, sie haben sich an den ihnen vor-
920liegenden Text mehr oder minder sorgfältig gehalten, die Hilfs-
921mittel der Traumarbeit mehr oder weniger weit in Anspruch
922 genommen. Im letzteren Falle erscheinen sie dunkel, verworren,
923 unzusammenhängend. Wo der Traum aber greifbar absurd erscheint,
924 einen offenbaren Widersinn in seinem Inhalt einschließt^st, da ist
925 er so mit Absicht und bringt durch seine scheinbare Vernach-
926lässigung aller logischen Anforderungen ein Stück vom intellek-
927tuellen Inhalt der Traumgedanken^su zum Ausdruck. Absurdität im
928 Traum bedeutet Widerspruch, Spott und Hohn in den^sv
929 Traumgedanken. Da diese Aufklärung den stärksten Einwand
930 gegen die Auffassung liefert, die den Traum durch dissoziierte^sw,
931 kritiklose Geistestätigkeit^sx entstehen läßt^sy, werde ich sie durch ein
932 Beispiel zu Nachdruck bringen.

„Einer meiner Bekannten, Herr M., ist von keinem Geringeren als von Goethe in einem Aufsatze angegriffen worden, wie wir alle meinen, mit ungerechtfertigt großer^tb Heftigkeit. — Herr M. ist durch diesen Angriff natürlich vernichtet. Er beklagt sich darüber bitter bei einer Tischgesellschaft; seine Verehrung für Goethe hat aber unter dieser persönlichen Erfahrung nicht gelitten. Ich suche nun die zeitlichen Verhältnisse, die mir unwahrscheinlich vorkommen, ein wenig aufzuklären. Goethe ist 1832 gestorben. Da sein Angriff auf Herrn M. natürlich früher erfolgt sein muß^tc, so war Herr M. damals ein ganz junger Mann. Es kommt mir plausibel vor, daß^td er 18 Jahre alt war. Ich weiß^te aber nicht sicher, welches Jahr wir gegenwärtig schreiben, und so versinkt die ganze Berechnung im Dunkel. Der Angriff ist übrigens in dem bekannten Aufsatz von Goethe ,Natur‘^{tf 016} enthalten.“

Der Unsinn dieses Traumes tritt noch greller hervor, wenn
936 ich mitteile^tg, daß^th Herr M. ein jugendlicher Geschäftsmann ist,
937 dem alle poetischen und literarischen^ti Interessen ferne liegen^tj.
938 Wenn ich aber in die Analyse dieses Traumes eingehe, wird es

226mir wohl gelingen,^tk zu zeigen, wieviel „Methode“ hinter diesem
939 Unsinn steckt. Der Traum bezieht sein Material aus drei
940 Quellen:

1)^tlHerr M., den ich bei einer Tischgesellschaft kennen
941 lernte^tm, bat mich eines Tages, seinen älteren Bruder zu
942 untersuchen, der Anzeichen von gestörter geistiger Tätig-
943keit ^tnerkennen lasse. Bei der Unterhaltung mit dem Kranken
944 ereignete sich das Peinliche, daß^to dieser ohne jeden Anlaß^tp
945 den Bruder durch eine Anspielung auf dessen Jugend-
946streiche bloßstellte^tq. Ich hatte den Kranken um sein
947 Geburtsjahr gefragt (Sterbejahr im Traum) und
948 ihn zu verschiedenen Berechnungen veranlaßt^tr, durch welche
949 seine Gedächtnisschwäche erwiesen werden sollte.

2)^tsEine medizinische Zeitschrift, die sich auch meines Namens
950 auf ihrem Titel rühmte, hatte von einem recht jugend-
951lichen Referenten eine geradezu „vernichtende“
952 Kritik über ein Buch meines Freundes F. in Berlin auf-
953genommen.⁰¹⁷ Ich stellte den Redakteur darob zur Rede, der
954 mir zwar sein Bedauern ausdrückte, aber eine Remedur ⁰¹⁸
955 nicht versprechen wollte. Daraufhin brach ich meine Be-
956ziehungen zur Zeitung ab und hob in meinem Absagebrief
957 die Erwartung hervor, daß^tt unsere persönlichen Be-
958ziehungen unter diesem Vorfall nicht leiden
959 würden. Dies ist die eigentliche Quelle des Traumes.
960 Die ablehnende Aufnahme der Schrift meines Freundes
961 hatte mir einen tiefen Eindruck gemacht. Sie enthielt
962 eine nach meiner Schätzung fundamentale biologische Ent-
963deckung, die erst jetzt — nach vielen^tu Jahren — den
964 Fachgenossen zu gefallen beginnt.

3)^tv Eine Patientin hatte mir kurz zuvor die Krankengeschichte
965 ihres Bruders erzählt, der mit dem Ausrufe „Natur,
966 Natur“ in Tobsucht verfallen war. Die Ärzte^tw hatten
967 gemeint, der Ausruf stamme aus der Lektüre jenes schönen

227Aufsatzes von Goethe und deute auf die Überarbeitung^tx
968 des Erkrankten bei seinen Studien hin. Ich hatte geäußert^ty,
969 es komme mir plausibler vor, daß^tz der Ausruf
970 „Natur“ in jenem sexuellen Sinn zu nehmen sei, den bei
971 uns auch die Mindergebildeten kennen. Daß^ua der Unglück-
972liche sich später an den Genitalien verstümmelte, schien
973 mir wenigstens nicht unrecht^ub zu geben. 18 Jahre war
974 das Alter dieses Kranken, als jener Anfall sich einstellte.

Im Trauminhalt verbirgt sich hinter dem Ich zunächst mein
975 von der Kritik so übel behandelter Freund. „Ich suche mir
976 die zeitlichen Verhältnisse ein wenig aufzuklärenaufzuklären.“^ucaufzuklären“.
977 Das Buch meines Freundes beschäftigt sich nämlich mit den
978 zeitlichen Verhältnissen des Lebens und führt unter anderem^ud
979 auch Goethes^ue Lebensdauer auf ein Vielfaches einer für die
980 Biologie bedeutsamen Zahl von Tagen zurück. Dieses Ich wird
981 aber einem Paralytiker ⁰¹⁹ gleichgestellt („Ich weiß^uf nicht sicher,
982 welches Jahr wir gegenwärtig schreiben“). Der
983 Traum stellt also dar, daß^ug mein Freund sich als Paralytiker be-
984nimmt, und schwelgt dabei in Absurdität. Die Traumgedanken
985 aber lauten ironisch: „Natürlich, er ist ein Verrückter, ein Narr,
986 und ihr seid die Genies, die es besser verstehen. Sollte es nicht
987 doch umgekehrt sein?“ — Diese Umkehrung ist nun
988 ausgiebig im Trauminhalt vertreten, indem Goethe den jungen
989 Mann angegriffen hat, was absurd ist, während leicht ein ganz junger
990 Mensch noch heute den großen^uh Goethe angreifen könnte.

Ich möchte behaupten, daß^ui kein Traum von anderen als
991 egoistischen Regungen eingegeben wird. Das Ich im Traum steht
992 wirklich nicht bloß^uj für meinen Freund, sondern auch für mich
993 selbst. Ich identifiziere^uk mich mit ihm, weil das Schicksal seiner
994 Entdeckung mir vorbildlich für die Aufnahme meiner eigenen
995 Funde erscheint. Wenn ich mit meiner Theorie hervortreten
996 werde, welche in der Ätiologie^{ul 020} psychoneurotischer Störungen die
997 Sexualität hervorhebt (siehe die Anspielung auf den achtzehn-[/]
998

228jährigen^umKranken „Natur, Natur“)⁰²¹, werde ich die nämliche
999 Kritik wiederfinden und bringe ihr schon jetzt den gleichen Spott
1000 entgegen.

Wenn ich die Traumgedanken weiter verfolge, finde ich immer
1001 nur Spott und Hohn als das Korrelat der Absurdi-
1002täten des Traumes. Der Fund eines geborstenen Schafschädels
1003 auf dem Lido zu Venedig hat Goethe bekanntlich die Idee zur
1004 sog. Wirbeltheorie des Schädels eingegeben. — Mein Freund
1005 rühmt sich,^un als Student einen Sturm zur Beseitigung eines alten
1006 Professors entfesselt zu haben, der einst,^uo wohlverdient (unter
1007 anderem^up auch um diesen Teil^uq der vergleichenden Anatomie),^ur nun
1008 durch Altersschwachsinn zum Lehren unfähig geworden
1009 war. Die von ihm veranstaltete Agitation half so dem Übelstande^us
1010 ab, daß^ut an den deutschen Universitäten dem akademischen Wirken
1011 eine Altersgrenze nicht gezogen ist. — Alter schützt
1012 nämlich vor Torheit^uu nicht. — Im hiesigen Krankenhause
1013 hatte ich dieEhre,^uv Jahre hindurch unter einem Primarius zu
1014 dienen, der längst fossil, seit Dezennien^uw notorisch schwach-
1015sinnig, sein verantwortungsvolles Amt weiterführen durfte. Eine
1016 Charakteristik nach dem Funde am Lido drängt sich mir hier
1017 auf. — Auf diesen Mann bezüglich fertigten einst junge Kollegen
1018 im Spital eine Übertragung^ux des damals beliebten Gassenhauers⁰²²:
1019 Das hat kein Goethe g’schrieben, das hat kein Schiller
1020 g’dicht usw. . . .

VII^uy

Wir sind mit der Würdigung der Traumarbeit noch nicht zu
1021 Ende gekommen. Wir sehen uns genötigt^uz, ihr außer^va der Ver-
1022dichtung, Verschiebung und anschaulichen Zurichtung des psychi-
1023schen Materials noch eine andere Tätigkeit ^vb zuzuschreiben, deren
1024 Beitrag allerdings nicht an allen Träumen zu erkennen ist. Ich
1025 werde von diesem Stück der Traumarbeit nicht ausführlich
1026 handeln, will also nur anführen, daß^vc man sich von seinem Wesen
1027 am ehesten eine Vorstellung verschafft, wenn man sich zu der
1028 — wahrscheinlich unzutreffenden — Annahme entschließt^vd, daß^ve
1029 es auf den bereits vorgebildeten Trauminhalt erst
1030 nachträglich einwirke. Seine Leistung besteht dann darin,^vf
1031 die Traumbestandteile^vg so anzuordnen, daß^vh sie sich ungefähr zu
1032 einem Zusammenhang, zu einer Traumkomposition^vi zusammen-
1033fügen. Der Traum erhält^vj so eine Art Fassade^vk, die seinen Inhalt
1035 freilich nicht an allen Stellen deckt; er erfährt dabei eine erste
1036 vorläufige Deutung, die durch Einschiebsel und leise Abänderungen
1037 unterstützt wird. Allerdings macht sich diese Bearbeitung des
1038 Trauminhaltes nur möglich, indem sie alle fünf gerade sein läßt^vl,
1039 sie liefert auch weiter nichts als ein eklatantes^vm
1040 der Traumgedanken, und wenn wir die Analyse des Traumes in
1041 Angriff nehmen, müssen wir uns zuerst von diesem Deutungsver-
1042suche frei machen^vn.

An diesem Stücke der Traumarbeit ist die Motivierung^vo ganz
1043 besonders durchsichtig. Es ist die Rücksicht auf Ver-[/]
1044

230ständlichkeit, welche diese letzte Überarbeitung^vp des Traumes
1045 veranlaßt^vq; hiedurch^vr ist aber auch die Herkunft dieser Tätigkeit
1046 verraten^vs. Sie benimmt sich gegen den ihr vorliegenden Traum-
1047inhalt,^vt, wie unsere normale psychische Tätigkeit^vu überhaupt gegen
1048 einen beliebigen ihr dargebotenen Wahrnehmungsinhalt. Sie
1049 erfaßt^vv ihn unter Verwendung gewisser Erwartungsvorstellungen,
1050 ordnet ihn schon bei der Wahrnehmung unter der Voraussetzung
1051 seiner Verständlichkeit, läuft dabei Gefahr, ihn zu fälschen, und
1052 verfällt in der Tat^vw, wenn er sich an nichts Bekanntes anreihen
1053 läßt^vx, zunächst in die seltsamsten Mißverständnisse^vy. Es ist bekannt,
1054 daß^vz wir nicht imstande^wa sind, eine Reihe von fremdartigen Zeichen
1055 anzusehen oder ein Gefolge von unbekannten Worten anzuhören,
1056 ohne zunächst deren Wahrnehmung nach der Rücksicht auf
1057 Verständlichkeit, nach der Anlehnung an etwas uns Be-
1058kanntes^wb zu verfälschen.

Träume, welche diese Bearbeitung von seiten^wc einer dem wachen
1059 Denken völlig analogen psychischen Tätigkeit^wd erfahren haben,
1060 kann man gut komponierte^we heißen^wf. Bei anderen Träumen
1061 hat diese Tätigkeit^wg völlig versagt; es ist nicht einmal der Versuch
1062 gemacht worden, Ordnung und Deutung herzustellen, und indem
1063 wir uns nach dem Erwachen mit diesem letzten Stück der Traum-
1064arbeit identisch fühlen, urteilen^wh wir, der Traum sei „ganz ver-
1065worren“. Für unsere Analyse aber hat der Traum, der einem
1066 ordnungslosen Haufen unzusammenhängender Bruchstücke gleicht,
1067 ebensoviel Wert^wi wie der schön geglättete und mit einer Ober-
1068fläche versehene. Wir ersparen uns im ersteren Falle etwa die
1069 Mühe, die Überarbeitung^wj des Trauminhaltes wieder zu zerstören.

Man würde aber irre gehen, wenn man in diesen Traum-
1070fassaden^wl nichts anderes sehen wollte,^wm als solche eigentlich miß-
1071verständliche^wn und ziemlich willkürliche Bearbeitungen des Traum-
1072inhaltes durch die bewußte^wo Instanz unseres Seelenlebens. Zur
1073 Herstellung der Traumfassade^wp werden nicht selten Wunsch-[/]
1074phantasien verwendet, die sich in den Traumgedanken vorgebildet

231finden, und die von derselben Art sind wie die uns aus dem
1075 wachen Leben bekannten, mit Recht so genannten „Tagträume“.„Tagträume“.^wq
1076 Die Wunschphantasien, welche die Analyse in den nächtlichen
1077 Träumen aufdeckt, erweisen sich oft als Wiederholungen und
1078 Umarbeitungen infantiler Szenen; die Traumfassade^wr zeigt uns so
1079 in manchen Träumen unmittelbar den durch Vermengung mit
1080 anderem Material entstellten eigentlichen Kern des Traumes.^wk

Andere als die vier erwähnten Tätigkeiten^ws sind bei der Traum-
1081arbeit nicht zu entdecken. Halten wir an der Begriffsbestimmung^wt
1082 fest, daß^wu „Traumarbeit“ die Überführung^wv der Traumgedanken in
1083 den Trauminhalt bezeichnet, so müssen wir uns sagen, die Traum-
1084arbeit sei nicht schöpferisch, sie entwickle keine ihr eigentümliche^ww
1085 Phantasie, sie urteilt^wx nicht, schließt^wy nicht, sie leistet überhaupt
1086 nichts anderes als das Material zu verdichten, verschieben und
1087 auf Anschaulichkeit umzuarbeiten, wozu noch das inkonstante
1088 letzte Stückchen deutender Bearbeitung hinzukommt. Man findet
1089 zwar mancherlei im Trauminhalt, was man als das Ergebnis^wz
1090 einer anderen und höheren intellektuellen Leistung auffassen
1091 möchte, aber die Analyse weist jedesmal überzeugend nach, daß^xa
1092 diese intellektuellen Operationen bereits in den
1093 Traumgedanken vorgefallen und vom Trauminhalt
1094 nur übernommen worden sind. Eine Schlußfolgerung^xb im
1095 Traum ist nichts anderes als die Wiederholung eines Schlusses
1096 in den Traumgedanken; sie erscheint unanstößig^xc, wenn sie ohne
1097 Veränderung in den Traum übergegangen ist; sie wird unsinnig,
1098 wenn sie durch die Traumarbeit etwa auf ein anderes Material
1099 verschoben wurde. Eine Rechnung im Trauminhalt bedeutet nichts
1100 anderes, als daß^xd sich unter den Traumgedanken eine Berechnung
1101 findet; während diese jedesmal richtig ist, kann die Traum-
1102rechnung durch Verdichtung ihrer Faktoren und durch Ver-
1103schiebung der nämlichen Operationsweise auf anderes Material
1104 das tollste Ergebnis^xe liefern. Nicht einmal die Reden, die sich
1105 im Trauminhalt vorfinden, sind neu komponiert^xf; sie erweisen

232sich als zusammengestückelt aus Reden, die als gehaltene oder
1106 als gehörte und gelesene^xg in den Traumgedanken erneuert wurden,
1107 deren Wortlaut sie aufs getreueste^xh kopieren^xi, während sie deren
1108 Veranlassung ganz beiseite lassen und ihren Sinn aufs gewaltsamste^xj
1109 verändern.

Es ist vielleicht nicht überflüssig, die letzten Behauptungen
1110 durch Beispiele zu unterstützen.

I)^xkEin harmlos klingender, gut komponierter^xl Traum einer
1111 Patientin:

Sie geht auf den Markt mit ihrer Köchin, die den Korb trägt. Der Fleischhauer sagt ihr, nachdem sie etwas verlangt hat: Das ist nicht mehr zu haben^xm, und will ihr etwas anderes geben mit der Bemerkung: Das ist auch gut. Sie lehnt ab und geht zur Gemüsefrau. Die will ihr ein eigentümliches^xn Gemüse verkaufen, was in Bündeln zusammengebunden ist, aber schwarz von Farbe. Sie sagt: Das kenne ich nicht^xo, das nehme ich nicht.

Die Rede: das ist nicht mehr zu haben — stammt aus der
1112 Behandlung. Ich selbst hatte der Patientin einige Tage vorher
1113 wörtlich erklärt, daß^xp die ältesten Kindererinnerungen nicht
1114 mehr als solche zu haben sind, sondern sich durch Über-
1115tragungen^xqund Träume ersetzen. Ich bin also der Fleischhauer.

Die zweite Rede: Das kenne ich nicht — ist in einem
1116 ganz anderen Zusammenhange vorgefallen. Tags vorher hatte sie
1117 selbst ihrer Köchin, die übrigens auch im Traume erscheint,
1118 tadelnd zugerufen: Benehmen Sie^xr sich anständig; das
1119 kenne ich nicht, d. h. wohl, ein solches Benehmen anerkenne
1120 ich nicht,lasse ich nicht zu^xs. Der harmlosere Teil^xt dieser Rede
1121 gelangte durch eine Verschiebung in den Trauminhalt; in den
1122 Traumgedanken spielte nur der andere Teil^xu der Rede eine Rolle,
1123 denn hier hat die Traumarbeit bis zur vollen Unkenntlichkeit
1124 und bis zur äußersten^xv Harmlosigkeit eine Phantasiesituation ver-
1125ändert, in welcher ich mich gegen die Dame in einer
1126 gewissen Weise unanständig benehme. Diese in

233der Phantasie erwartete Situation ist aber selbst nur die Neu-
1127auflage einer einmal wirklich erlebten.

II)^xw Ein scheinbar ganz bedeutungsloser Traum, in dem Zahlen
1128 vorkommen. Sie will irgend etwas^xx bezahlen; ihre Tochter nimmt^xy3 fl. 65 kr.^xz023aus der Geldtasche; sie sagt aber: Was tust du^ya? Es kostet ja nur 21 Kreuzer^yb.

Die Träumerin war eine Fremde, die ihr Kind in einem
1129 Wiener Erziehungsinstitute untergebracht hatte, und die meine
1130 Behandlung fortsetzen konnte, so lange^yc ihre Tochter in Wien
1131 blieb. Am Tage vor dem Traume^yd hatte ihr die Institutsvor-
1132steherin nahegelegt^ye, ihr das Kind noch ein weiteres Jahr zu
1133 überlassen. In diesem Falle hätte sie auch die Behandlung um
1134 ein Jahr verlängert. Die Zahlen im Traum kommen zur Bedeu-
1135tung, wenn man sich erinnert, daß^yf Zeit Geld ist. Time is money.
1136 Ein Jahr ist gleich 365 Tagen, in Kreuzern ausgedrückt
1137 365 Kreuzer oder 3 fl. 65kr.^yg Die 21 Kreuzer entsprechen den
1138 drei Wochen, die damals vom Traumtage bis zum Schulschluß^yh
1139 und damit bis zum Ende der Kur^yi ausständig waren. Es waren
1140 offenbar Geldrücksichten, welche die Dame bewogen hatten, den
1141 Vorschlag der Vorsteherin abzulehnen, und welche für die Klein-
1142heit der Summe im Traum verantwortlich sind.

III. III) ^yjEine junge, aber schon seit Jahren verheirateteverheiratete^ykDame
1143 erfährt, daß^yl eine ihr fast gleichalterige Bekannte, Frl. Elise L.,
1144 sich verlobt hat. Dieser Anlaß^ym erregt nachstehenden Traum:

Sie sitzt mit ihrem Manne im Theater, eine Seite des Parketts^yn ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, Elise L. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen,drei für 1 fl. 50 kr.^yo, und die konnten sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.

Hier wird^yp uns die Herkunft der Zahlen aus dem Material der
1145 Traumgedanken und die Verwandlungen, die sie erfahren haben,
1146 interessieren^yq. Woher rühren die 1 fl. 50 kr.? Aus einem indiffe-[/]
1147

234renten Anlaß^yr des Vortages. Ihre Schwägerin hatte von ihrem
1148 Manne die Summe von 150 fl. zum Geschenke^ys bekommen und
1149 sich beeilt, sie los zu werden, indem sie sich einen Schmuck
1150 dafür kaufte. Wir wollen anmerken, daß^yt 150 fl. hundertmal^yu mehr
1151 sind als 1 fl. 50 kr. Für die drei, die bei den Theaterbillets
1152 steht, findet sich nur die eine Anknüpfung, daß^yv die Braut Elise
1153 L. genau drei Monate jünger ist als die Träumerin. Die Situa-
1154tion im Traume ist die Wiedergabe einer kleinen Begebenheit,
1155 mit der sie von ihrem Manne oft geneckt worden ist. Sie hatte
1156 sich einmal so sehr beeilt, vorzeitig Karten zu einer Theater-
1157vorstellung zu nehmen, und als sie dann ins^yw Theater kam, war
1158 eine Seite des Parketts^yx fast unbesetzt. Sie hätte es
1159 also nicht nötig^yy gehabt, sich so sehr zu beeilen. — Über-
1160sehen^yz wir endlich nicht die Absurdität des Traumes, daß^za
1161 zwei Personen drei Karten fürs^zb Theater nehmen sollen!

Nun die Traumgedanken: Ein Unsinn war es doch, so früh
1162 zu heiraten^zc; ich hätte es nicht nötig^zd gehabt, mich so zu
1163 beeilen. An dem Beispiel der Elise L. sehe ich, daß^ze ich immer
1164 noch einen Mann bekommen hätte, und zwar einen hundert-
1165mal besseren (Mann, Schatz), wenn ich nur gewartet hätte.
1166 Drei solche Männer hätte ich mir für das Geld (die Mitgift)
1167 kaufen können!

VIII^zf

Nachdem wir in den vorstehenden Darlegungen die Traum-
1168arbeit kennen gelernt^zg haben, werden wir wohl geneigt sein, sie
1169 für einen ganz besonderen psychischen Vorgang zu erklären,
1170 dessengleichen^zh es nach unserer Kenntnis^zi sonst nicht gibt^zj. Es ist
1171 gleichsam auf die Traumarbeit das Befremden übergegangen,
1172 welches sonst ihr Produkt, der Traum, bei uns zu erwecken
1173 pflegte. In Wirklichkeit ist die Traumarbeit nur der zuerst
1174 erkannte unter einer ganzen Reihe von psychischen Prozessen,
1175 auf welche die Entstehung der hysterischen Symptome, der Angst-,
1176 Zwangs- und Wahnideen zurückzuführen ist. Verdichtung und
1177 vor allem Verschiebung sind niemals fehlende Charaktere auch
1178 dieser anderen Prozesse. Die Umarbeitung aufs^zk Anschauliche bleibt
1179 hingegen der Traumarbeit eigentümlich^zl. Wenn diese Aufklärung
1180 den Traum in eine Reihe mit den Bildungen psychischer Er-
1181krankung bringt, so wird es uns um so wichtiger werden, die
1182 wesentlichen Bedingungen solcher Vorgänge wie der Traumbildung
1183 zu erfahren. Wir werden wahrscheinlich verwundert sein zu
1184 hören, daß^zm weder Schlafzustand noch Krankheit zu diesen unent-
1185behrlichen Bedingungen gehören. Eine ganze Anzahl von
1186 Phänomenen des Alltagslebens Gesunder, das Vergessen, Ver-
1187sprechen, Vergreifen, und eine gewisse Klasse von Irrtümern^zn danken
1188 einem analogen psychischen Mechanismus wie der Traum und
1189 die anderen Glieder der Reihe ihre Entstehung.

Der Kern des Problems liegt in der Verschiebung, der weitaus

236auffälligsten unter den Einzelleistungen der Traumarbeit. Die
1190 wesentliche Bedingung der Verschiebung lernt man bei eingehen-
1191der Vertiefung in den Gegenstand als eine rein psychologische
1192 kennen; sie ist von der Art einer Motivierung^zo. Man gerät^zp
1193 auf ihre Spur, wenn man Erfahrungen würdigt, denen man bei
1194 der Analyse von Träumen nicht entgehen kann. Ich habe bei
1195 der Analyse des Traumbeispiels auf Seite 198^zq in der Mitteilung^zr
1196 der Traumgedanken abbrechen müssen, weil sich unter ihnen,
1197 wie ich eingestand, solche fanden, die ich gerne vor Fremden
1198 geheim halte^zs und ohne schwere Verletzung wichtiger Rücksichten
1199 nicht mitteilen^zt kann. Ich fügte hinzu, es brächte gar keinen
1200 Nutzen, wenn ich anstatt dieses Traumes einen anderen^zu zur Mit-
1201teilung^zv seiner Analyse auswählte; bei jedem Traum, dessen Inhalt
1202 dunkel oder verworren ist, würde ich auf Traumgedanken stoßen^zw,
1203 die Geheimhaltung erfordern. Wenn ich aber für mich selbst die
1204 Analyse fortsetze, ohne Rücksicht auf die anderen^zx, für die
1205 ja ein so persönliches Erlebnis^zy wie mein Traum gar nicht
1206 bestimmt sein kann, so lange ich endlich bei Gedanken
1207 an, die mich überraschen, die ich in mir nicht gekannt habe,
1208 die mir aber nicht nur fremdartig, sondern auch unan-
1209genehm sind, und die ich darum energisch bestreiten möchte,
1210 während die durch die Analyse laufende Gedankenverkettung sie
1211 mir unerbittlich aufdrängt. Ich kann diesem ganz allgemeinen
1212 Sachverhalt gar nicht anders Rechnung tragen,^zz als durch die
1213 Annahme, diese Gedanken seien wirklich in meinem Seelenleben
1214 vorhanden und im Besitz^aaa einer gewissen psychischen Intensität
1215 oder Energie gewesen, hätten sich aber in einer eigentümlichen^aab
1216 psychologischen Situation befunden, der zufolge^aac sie mir nicht
1217 bewußt^aad werden konnten. Ich heiße^aae diesen besonderen Zustand
1218 den der Verdrängung. Ich kann dann nicht umhin, zwischen
1219 der Dunkelheit des Trauminhaltes und dem Verdrängungszustand,
1220 der Bewußtseinsunfähigkeit, einiger der Traumgedanken
1221 eine kausale Beziehung gelten zu lassen und zu schließen^aaf, daß^aag der Traum dunkel sein müsse, damit er die verpönten
1222 Traumgedanken nicht verrate^aah. Ich komme so zum Begriffe
1223 der Traumentstellung, welche das Werk der Traumarbeit ist,
1224 und der Verstellung, der Absicht zu verbergen, dient.

Ich will an dem zur Analyse ausgesuchten Traumbeispiel die
1225 Probe machen und mich fragen, welches denn der Gedanke ist,
1226 der sich in diesem Traum entstellt zur Geltung bringt, während
1227 er unentstellt meinen schärfsten Widerspruch herausfordern würde.
1228 Ich erinnere mich, daß^aai die kostenlose Wagenfahrt mich an die
1229 letzten kostspieligen Wagenfahrten mit einer Person meiner
1230 Familie gemahnt hat, daß^aaj sich als die Deutung des Traumes
1231 ergab: Ich möchte einmal Liebe kennen lernen^aak, die mich nichts
1232 kostet, und daß^aal ich kurze Zeit vor dem Traum eine größere^aam
1233 Geldausgabe für eben diese Person zu leisten hatte. In diesem
1234 Zusammenhang kann ich mich des Gedankens nicht erwehren^aan,
1235 daß^aao es mir um diese Ausgabe leid tut^aap. Erst wenn ich
1236 diese Regung anerkenne, bekommt es einen Sinn, daß^aaq ich mir
1237 im Traum Liebe wünsche, die mir keine Ausgabe nötig^aar macht.
1238 Und doch kann ich mir ehrlich sagen, daß^aas ich bei der Ent-
1239schließung^aat, jene Summe aufzuwenden, nicht einen Augenblick
1240 geschwankt habe. Das Bedauern darüber, die Gegenströmung, ist
1241 mir nicht bewußt^aau worden. Aus welchen Gründen nicht, dies
1242 ist allerdings eine andere, weitab führende Frage, deren mir
1243 bekannte Beantwortung in einen anderen Zusammenhang gehört.

Wenn ich nicht einen eigenen Traum, sondern den einer
1244 fremden Person der Analyse unterziehe, so ist das Ergebnis das
1245 nämliche; die Motive zur Überzeugung^aav werden aber geändert.
1246 Ist es der Traum eines Gesunden, so bleibt mir kein anderes
1247 Mittel, ihn zur Anerkennung der gefundenen verdrängten Ideen
1248 zu nötigen^aaw, als der Zusammenhang der Traumgedanken, und er
1249 mag sich immerhin gegen diese Anerkennung sträuben. Handelt
1250 es sich aber um einen neurotisch Leidenden, etwa um einen
1251 Hysteriker, so wird die Annahme des verdrängten Gedankens

238für ihn zwingend durch den Zusammenhang dieses letzteren mit
1252 seinen Krankheitssymptomen und durch die Besserung, die er
1253 bei dem Eintausch von Symptomen gegen verdrängte Ideen
1254 erfährt. Bei der Patientin z. B.,^aax, von welcher der letzte Traum
1255 mit den drei Karten für 1 fl. 50 kr. herrührt, muß^aay die Analyse
1256 annehmen, daß^aaz sie ihren Mann geringschätzt, daß^aba sie bedauert, ihn
1257 geheiratet^abb zu haben, daß^abc sie ihn gerne gegen einen anderen vertauschen
1258 möchte. Sie behauptet freilich, daß^abd sie ihren Mann liebt, daß^abe
1259 ihr Empfindungsleben von dieser Geringschätzung (einen hundert-
1260mal^abf besseren!) nichts weiß, aber all ihre Symptome führen zu
1261 derselben Auflösung wie dieser Traum, und nachdem die von
1262 ihr verdrängten Erinnerungen an eine gewisse Zeit^abg wieder
1263 geweckt worden sind, in welcher sie ihren Mann auch bewußt^abh
1264 nicht geliebt hat, sind diese Symptome gelöst, und ihr Wider-
1265stand gegen die Deutung des Traumes ist geschwunden.

IX^abi

Nachdem wir uns den Begriff der Verdrängung fixiert^abj und
1266 die Traumentstellung in Beziehung zu psychischen^abk psychischen
1267 Material gesetzt haben, können wir das Hauptergebnis^abl, welches
1268 die Analyse der Träume liefert, ganz allgemein aussprechen. Von
1269 den verständlichen und sinnvollen Träumen haben wir erfahren,
1270 daß^abm sie unverhüllte Wunscherfüllungen sind, d. h. daß^abn die Traum-
1271situation in ihnen einen dem Bewußtsein^abo bekannten, vom Tages-
1272leben erübrigten, des Interesses wohl würdigen Wunsch als
1273 erfüllt darstellt. Über^abp die dunkeln und verworrenen Träume
1274 lehrt nun die Analyse etwas ganz Analoges: die Traumsituation
1275 stellt wiederum einen Wunsch als erfüllt dar, der sich regel-
1276mäßig ^abqaus den Traumgedanken erhebt, aber die Darstellung ist
1277 eine unkenntliche, erst durch Zurückführung in der Analyse
1278 aufzuklärende, und der Wunsch ist entweder selbst ein ver-
1279drängter, dem Bewußtsein^abr fremder, oder er hängt doch innigst
1280 mit verdrängten Gedanken zusammen, wird von solchen getragen.
1281 Die Formel für diese Träume lautet also: Sie sind ver-
1282hüllte Erfüllungen von verdrängten Wünschen.
1283 Es ist dabei interessant zu bemerken, daß^abs die Volksmeinung
1284 recht behält, welche den Traum durchaus die Zukunft verkünden
1285 läßt^abt. In Wahrheit ist die Zukunft, die uns der Traum zeigt,
1286 nicht die, die eintreffen wird, sondern von der wir möchten,
1287 daß^abu sie so einträfe. Die Volksseele verfährt hier, wie sie es auch
1288 sonst gewohnt ist: sie glaubt, was sie wünscht.

Nach ihrem Verhalten gegen die Wunscherfüllung teilen^abv sich
1289 die Träume in drei Klassen. Erstens solche, die einen unver-
1290drängten Wunsch unverhüllt darstellen; dies sind die
1291 Träume von infantilem Typus, die beim Erwachsenen immer
1292 seltener werden. Zweitens die Träume, die einen verdrängten
1293 Wunsch verhüllt zum Ausdruck bringen; wohl die übergroße^abw
1294 Mehrzahl aller unserer Träume, die zum Verständnis^abx dann der
1295 Analyse bedürfen. Drittens die Träume, die zwar einen ver-
1296drängten Wunsch darstellen, aber ohne oder in unge-
1297nügender Verhüllung. Diese letzten Träume sind regelmäßig^aby von
1298 Angst begleitet, welche den Traum unterbricht. Die Angst ist
1299 hier der Ersatz für die Traumentstellung; sie ist mir in den
1300 Träumen der zweiten Klasse durch die Traumarbeit erspart
1301 worden. Es läßt^abz sich ohne allzugroße^aca Schwierigkeit nachweisen,
1302 daß^acb derjenige Vorstellungsinhalt, der uns jetzt im Traume Angst
1303 bereitet, einstmals ein Wunsch war und seither der Verdrängung
1304 unterlegen ist.

Es gibt^acc auch klare Träume von peinlichem Inhalt, der aber
1305 im Traum nicht peinlich empfunden wird. Man kann diese darum
1306 nicht zu den Angstträumen rechnen; sie haben aber immer dazu
1307gedient,^acd die Bedeutungslosigkeit und den psychischen Unwert^ace der
1308 Träume zu erweisen. Eine Analyse eines solchen Beispieles^acfwird
1309 zeigen, daß^acg es sich hier um gut verhüllte Erfüllungen ver-
1310drängter Wünsche, also um Träume der zweitenKlasse,^ach handelt^aci
1311 und wird gleichzeitig die ausgezeichnete Eignung der Ver-
1312schiebungsarbeit zur Verhüllung des Wunsches dartun^acj.

Ein Mädchen träumt, daß^ack sie das jetzt einzige Kind ihrer
1313 Schwester tot^acl vor sich sieht in der nämlichen Umgebung, in der
1314 sie vor einigen Jahren das erste Kind als Leiche sah. Sie emp-
1315findet dabei keinen Schmerz, sträubt sich aber natürlich gegen
1316 die Auffassung, diese Situation entspreche einem Wunsche^acm von
1317 ihr. Dies wird auch nicht erfordert; aber an der Bahre jenes
1318 Kindes hat sie vor Jahren den von ihr geliebten Mann zuletzt

241gesehen und gesprochen; stürbe das zweite Kind, so würde sie
1319 diesen Mann gewiß^acn wieder im Hause der Schwester treffen. Sie
1320 sehnt sich nun nach dieser Begegnung, sträubt sich aber gegen
1321 dieses ihr Gefühl^aco. Sie hat am Traumtage selbst eine Eintrittskarte zu
1322 einem Vortrage genommen, den der immer noch Geliebte ange-
1323kündigt hat. Ihr Traum ist ein einfacher Ungeduldstraum, wie
1324 er sich gewöhnlich vor Reisen, Theaterbesuchen und ähnlichen^acp
1325 erwarteten Genüssen einstellt. Um ihr aber diese Sehnsucht zu
1326 verbergen, ist die Situation auf die für eine freudige Empfindung
1327 unpassendste Gelegenheit verschoben worden, die sich doch ein-
1328mal in der Wirklichkeit bewährt hat. Man beachte noch, daß^acq
1329 das Affektverhalten im Traume nicht dem vorgeschobenen, sondern
1330 dem wirklichen, aber zurückgehaltenen Trauminhalt angepaßt^acr ist.
1331 Die Traumsituation greift dem lange ersehnten Wiedersehen vor;^acs
1332 sie bietet keine Anknüpfung für eine schmerzliche^act Empfindung.

X^acu

Die Philosophen haben bisher keinen Anlaß^acv gehabt, sich mit
1333 einer Psychologie der Verdrängung zu beschäftigen. Es ist also
1334 gestattet, daß^acw wir uns in erster Annäherung an den noch unbe-
1335kannten Sachverhalt eine anschauliche Vorstellung vom Hergang
1336 der Traumbildung schaffen. Das Schema, zu welchem wir nicht
1337 allein vom Studium des Traumes her gelangen, ist zwar bereits
1338 ziemlich kompliziert^acx; wir können aber mit einem einfacheren
1339 unser Ausreichen nicht finden. Wir nehmen an, daß^acy es in unserem
1340 seelischen Apparat zwei gedankenbildende Instanzen gibt^acz, deren
1341 zweite das Vorrecht besitzt, daß^ada ihre Erzeugnisse den Zugang zum
1342 Bewußtsein^adb offen finden, während die Tätigkeit^adc der ersten Instanz
1343 an sich unbewußt^add ist und nur über die zweite zum Bewußtsein^ade
1344 gelangen kann. An der Grenze der beiden Instanzen, am Über-
1345gang^adf von der ersten zur zweiten, befinde sich eine Zensur^adg, welche
1346 nur durchläßt^adh, was ihr angenehm^adi ist, anderes aber zurückhält.
1347 Dann befindet sich das von der Zensur^adj Abgewiesene, nach unserer
1348 Definition, im Zustande der Verdrängung. Unter gewissen Bedin-
1349gungen, deren eine der Schlafzustand ist, ändere sich das Kräfte-
1350verhältnis^adk zwischen beiden Instanzen in solcher Weise, daß^adl das
1351 Verdrängte nicht mehr ganz zurückgehalten werden kann. Im
1352 Schlafzustand geschehe dies etwa durch den Nachlaß^adm der Zensur^adn;
1353 dann wird es dem bisher Verdrängten gelingen, sich den Weg
1354 zum Bewußtsein^ado zu bahnen. Da die Zensur^adp aber niemals aufge-
1355hoben, sondern bloß^adq herabgesetzt ist, so wird es sich dabei Ver-[/]
1356

243änderungen gefallen lassen müssen, welche seine Anstößigkeiten^adr
1357 mildern. Was in solchem Falle bewußt^ads wird, ist ein Kompromiß^adt
1358 zwischen dem von der einen Instanz Beabsichtigten und dem von
1359 der anderen Geforderten. Verdrängung — Nachlaß^adu der
1360 Zensur^adv — Kompromißbildung^adw, dies ist aber das Grund-
1361schema für die Entstehung sehr vieler anderer psychopathischer^adx
1362 Bildungen in gleicher Weise wie für den Traum, und bei der
1363 Kompromißbildung^ady werden hier wie dort die Vorgänge der Ver-
1364dichtung und Verschiebung und die Inanspruchnahme oberfläch-
1365licher Assoziationen^adz beobachtet, welche wir bei der Traumarbeit
1366 kennen gelernt^aea haben.

Wir haben keinen Grund,^aeb uns das Element von Dämonismus
1367 zu verhehlen, welches bei der Aufstellung unserer Erklärung der
1368 Traumarbeit mitgespielt hat. Wir haben den Eindruck empfangen,
1369 daß^aec die Bildung der dunklen Träume so vor sich geht, als ob
1370 eine Person, die von einer zweiten abhängig ist, etwas zu äußern^aed
1371 hätte, was dieser letzteren anzuhören unangenehm sein muß^aee, und
1372 von diesem Gleichnis^aef her haben wir den Begriff der Traum-
1373entstellung und den der Zensur erfaßt^aeg und uns bemüht,
1374 unseren Eindruck in eine gewiß^aeh rohe, aber wenigstens anschau-
1375liche psychologische Theorie zu übersetzen. Mit was immer bei
1376 weiterer Klärung des Gegenstandes sich unsere erste und zweite
1377 Instanz wird identifizieren^aei lassen, wir werden erwarten, daß^aej sich
1378 ein Korrelat unserer Annahme bestätige, daß^aek die zweite Instanz
1379 den Zugang zum Bewußtsein^ael beherrscht und die erste vom
1380 Bewußtsein^aem absperren kann.

Wenn der Schlafzustand überwunden ist, stellt sich die Zensur^aen
1381 rasch zur vollen Höhe wieder her und kann jetzt wieder ver-
1382nichten, was ihr während der Zeit ihrer Schwäche abgerungen
1383 worden ist. Daß^aeo das Vergessen des Traumes wenigstens zum
1384 Teil^aepdiese Erklärung fordert, geht aus einer ungezählte Male
1385 bestätigten Erfahrung hervor. Während der Erzählung eines
1386 Traumes oder während der Analyse desselben geschieht es
1387

244nicht selten, daß^aeq plötzlich ein vergessen geglaubtes Bruchstück
1388 des Trauminhaltes wieder auftaucht. Dies dem Vergessen ent-
1389rissene Stück enthält regelmäßig^aer den besten und nächsten
1390 Zugang zur Bedeutung des Traumes. Es sollte wahrscheinlich
1391 nur darum dem Vergessen, d. i. der neuerlichen Unterdrückung,
1392 verfallen.
1393

XI^aes

Wenn wir den Trauminhalt als Darstellung eines erfüllten
1394 Wunsches auffassen und seine Dunkelheit auf die Abänderungen
1395 der Zensur^aet an verdrängtem Material zurückführen, fällt es uns
1396 auch nicht mehr schwer, die Funktion des Traumes zu erschließen^aeu.
1397 In seltsamem Gegensatz zu Redewendungen, welche den Schlaf
1398 durch Träume stören lassen, müssen wir den Traum als den
1399 Hüter des Schlafes anerkennen. Für den Kindertraum dürfte
1400 unsere Behauptung leicht Glauben finden.

Der Schlafzustand oder die psychische Schlafveränderung, worin
1401 immer sie bestehen mag, wird herbeigeführt durch den dem
1402 Kind aufgenötigten^aev oder auf Grund von Müdigkeitssensationen
1403 gefaßten Entschluß^aew zu schlafen, und einzig ermöglicht durch die
1404 Abhaltung von Reizen, welche dem psychischen Apparat andere
1405 Ziele setzen könnten als das des Schlafens. Die Mittel, welche
1406 dazu dienen, äußere^aex Reize ferne zu halten^aey, sind bekannt; aber
1407 welche Mittel stehen uns zur Verfügung, um die inneren seeli-
1408schen Reize niederzuhalten, die sich dem Einschlafen widersetzen?
1409 Man beobachte eine Mutter, die ihr Kind einschläfert. Es äußert^aez
1410 unausgesetzt Bedürfnisse, es will noch einen Kuß^afa, es möchte noch
1411 spielen. Diese Bedürfnisse werden zum Teil^afb befriedigt, zum anderen
1412 mit Autorität auf den nächsten Tag verschoben. Es ist klar, daß^afc
1413 Wünsche und Bedürfnisse, die sich regen, die Hemmnisse des
1414 Einschlafens sind. Wer kennt nicht die heitere Geschichte von
1415 dem schlimmen Buben (Balduin Grollers^afd)⁰²⁴, der, bei Nacht

246erwachend, durch den Schlafraum brüllt: Das Nashorn will
1416 er? Ein braveres Kind würde, anstatt zu brüllen, träumen, daß^afe
1417 es mit dem Nashorn spiele^aff. Da der Traum, welcher den Wunsch
1418 erfüllt zeigt, während des Schlafens Glauben findet, hebt er
1419 den Wunsch auf und ermöglicht den Schlaf. Es ist nicht abzu-
1420weisen, daß^afg dieser Glaube dem Traumbilde zufällt, weil dieses
1421 sich in die psychische Erscheinung der Wahrnehmung kleidet,
1422 während dem Kinde die später zu erwerbende Fähigkeit noch
1423 fehlt, Halluzination^afh oder Phantasie von Realität zu unterscheiden.

Der Erwachsene hat diese Unterscheidung gelernt, er hat auch
1424 die Nutzlosigkeit des Wünschens begriffenund^afidurch fortgesetzte
1425 Übung^afj erreicht, seine Strebungen aufzuschieben, bis sie auf langen
1426 Umwegen über die Veränderung der Außenwelt^afk ihre Erledigung
1427 finden können. Dem entsprechend^afl sind auch die Wunscherfüllungen
1428 auf kurzem psychischen^afm Weg bei ihm im Schlafe selten; ja,^afn es
1429 ist selbst möglich, daß^afo sie überhaupt nicht vorkommen, und daß^afp
1430 alles, was uns nach der Art eines Kindertraumes^afq gebildet zu sein
1431 scheint, eine viel kompliziertere^afr Auflösung erfordert. Dafür aber
1432 hat sich beim Erwachsenen — und wohl bei jedem Vollsinnigen
1433 ohne Ausnahme — eine Differenzierung^afs des psychischen Materiales
1434 herausgebildet, die dem Kinde fehlte^aft. Es ist eine^afu psychische
1435 Instanz zustande^afv gekommen, welche, durch die Lebenserfahrung
1436 belehrt, einen beherrschenden und hemmenden Einfluß^afw auf die
1437 seelischen Regungen mit eifersüchtiger Strenge festhält, und die
1438 durch ihre Stellung zum Bewußtsein^afx und zur willkürlichen
1439 Motilität mit den größten^afy Mitteln psychischer Macht ausgestattet
1440 ist. Ein Keil Teil Keil^afz der kindlichen Regungen aber ist als lebensunnütz
1441 von dieser Instanz unterdrückt worden, und alles Gedanken-
1442material, was von diesen abstammt, befindet sich im Zustande der
1443 Verdrängung.

Während sich nun die Instanz, in welcher wir unser normales
1444 Ich erkennen, auf den Wunsch zu schlafen,^aga einstellt, scheint sie
1445 durch die psychophysiologischen Bedingungen des Schlafes genötigt^agb,

247an der Energie nachzulassen, mit welcher sie bei Tag das Ver-
1446drängte niederzuhalten pflegte. Dieser Nachlaß^agc selbst ist zwar harm-
1447los; die Erregungen der unterdrückten Kinderseele mögen sich
1448 immerhin tummeln; infolge^agd des nämlichen Schlafzustandes finden
1449 sie doch den Zugang zum Bewußtsein^age erschwert und den zur
1450 Motilität versperrt. Die Gefahr, daß^agf der Schlaf durch sie gestört
1451 werde, muß^agg aber abgewehrt werden. Nun müssen wir ja ohne-
1452hin die Annahme zulassen, daß^agh selbst im tiefen Schlaf ein Betrag
1453 von freier Aufmerksamkeit als Wächter gegen Sinnesreize aufge-
1454boten wird, welche etwa das Erwachen rätlicher^agi erscheinen lassen
1455 als die Fortsetzung des Schlafes. Es wäre sonst nicht zu erklären,
1456 daß^agj wir jederzeit durch Sinnesreize von gewisser Qualität auf-
1457zuwecken sind, wie bereits der alte Physiologe Burdach betonte,
1458 die Mutterz. B.^agk durch das Wimmern ihres Kindes, der Müller
1459 durch das Stehenbleiben seiner Mühle, die meisten Menschen
1460 durch den leisen Anruf bei ihrem Namen. Diese Wache haltende
1461 Aufmerksamkeit wendet sich nun auch den inneren Wunsch-
1462reizen aus dem Verdrängten zu und bildet mit ihnen den Traum,
1463 der als Kompromiß^agl gleichzeitig beide Instanzen befriedigt. Der
1464 Traum^agm schafft eine Art von psychischer Erledigung für den
1465 unterdrückten oder mit Hilfe des Verdrängten geformten Wunsch,
1466 indem er ihn als erfüllt hinstellt; er genügt aber auch der
1467 anderen Instanz, indem er die Fortsetzung des Schlafes gestattet.
1468 Unser Ich benimmt sich dabei gerne wie ein Kind, es schenkt
1469 den Traumbildern Glauben, als ob es sagen wollte: Ja, ja, du
1470 hast recht^agn, aber laß^ago mich schlafen. Die Geringschätzung, die wir,erwacht,^agp
1471 erwacht, dem Traume entgegenbringen, und die sich auf die Ver-
1472worrenheit und scheinbare Unlogik des Traumes beruft, ist wahr-
1473scheinlich nichts anderes als das Urteil^agq unseres schlafenden Ichs
1474 über die Regungen aus dem Verdrängten, das sich mit besserem
1475 Rechte auf die motorische Ohnmacht dieser Schlafstörer stützt.
1476 Dies geringschätzige Urteil^agr wird uns mitunter selbst im Schlafe
1477 bewußt^ags; wenn der Trauminhalt allzusehr über die Zensur^agt hinaus-
1478geht, denken wir: Es ist ja nur ein Traum — und schlafen
1479 weiter.

Es ist kein Einwand gegen diese Auffassung, wenn es auch
1480 für den Traum Grenzfälle gibt^agu, in denen er seine Funktion, den
1481 Schlaf vor Unterbrechung zu bewahren, nicht mehr festhalten
1482 kann — wie beim Angsttraum — und sie gegen die andere
1483 ihn rechtzeitig aufzuheben, vertauscht. Er verfährt dabei auch
1484 nur wie der gewissenhafte Nachtwächter, der zunächst seine
1485 Pflicht tut^agv, indem er Störungen zur Ruhe bringt, um die
1486 Bürgerschaft nicht zu wecken, dann aber seine Pflicht damit fort-
1487setzt, die Bürgerschaft selbst zu wecken, wenn ihm die Ursachen
1488 der Störung bedenklich scheinen und er mit ihnen allein nicht
1489 fertig wird.

Besonders deutlich wird eine solche Funktion des Traumes,
1490 wenn an den Schlafenden ein Anreiz zu Sinnesempfindungen
1491 herantritt. Daß^agwSinnesreize,^agx während des Schlafzustandesangebracht,^agy
1492 den Inhalt der Träume beeinflussen, ist allgemein bekannt, läßt^agz
1493 sich experimentell nachweisen und gehört zu den wenigen
1494 sicheren, aber argüberschätzten,^aha Ergebnissen der ärztlichen
1495 Forschung über den Traum. Es hat sich aber an diese Ermitt-
1496lung ein bisher unlösbares Rätsel^ahb geknüpft. Der Sinnesreiz, den
1497 der Experimentator auf den Schlafenden einwirken läßt^ahc, erscheint
1498 im Traume nämlich nicht richtig erkannt, sondern unterliegt
1499 irgend einer^ahd von unbestimmt vielen Deutungen, deren Deter-
1500minierung^ahe der psychischen Willkür überlassen schien. Psychische
1501 Willkür gibt^ahf es natürlich nicht. Der Schlafende kann gegen
1502 einen Sinnenreiz von außen^ahg auf mehrfache Weise reagieren^ahh.
1503 Entweder er erwacht^ahi oder es gelingt ihm, den Schlaf trotzdem
1504 fortzusetzen. Im letzteren Falle kann er sich des Traumes
1505 bedienen, um den äußeren^ahj Reiz fortzuschaffen, und zwar
1506 wiederum auf mehr als eine Weise. Er kann z. B.^ahk den Reiz
1507 aufheben, indem er eine Situation träumt, die mit ihm ganz
1508 und gar unverträglich ist. So benahm sich z. B.^ahlein Schläfer⁰²⁵,

249den ein schmerzhafter Abszeß^ahm am Perineum ⁰²⁶ stören wollte. Er
1509 träumte, daß^ahn er auf einem Pferd^aho reite, benutzte dabei den Brei-
1510umschlag, der ihm den Schmerz lindern sollte, als Sattel und
1511 kam so über die Störung hinweg. Oder aber, was der häufigere
1512 Fall ist, der äußere^ahp Reiz erfährt eine Umdeutung, die ihn in
1513 den Zusammenhang eines eben auf seine Erfüllung lauernden
1514 verdrängten Wunsches einfügt, ihn so seiner Realität beraubt
1515 und wie ein Stück des psychischen Materials behandelt. So träumt
1516 jemand^ahq, er habe ein Lustspiel geschrieben, das eine bestimmte
1517 Grundidee verkörpert, es werde im Theater aufgeführt, der
1518 erste Akt sei vorüber und finde rasenden Beifall. Es wird
1519 fürchterlich geklatscht . . . Es muß^ahr hier dem Träumer gelungen
1520 sein, seinen Schlaf über die Störung hinaus zu verlängern, denn
1521 als er erwachte, hörte er das Geräusch nicht mehr, urteilte^ahs
1522 aber mit gutem Recht, es müßte^aht ein Teppich oder Betten
1523 geklopft worden sein. — Die Träume, die sich unmittelbar vor
1524 dem Wecken durch ein lautes Geräusch einstellen, haben alle
1525 noch den Versuch gemacht, den erwarteten Weckreiz durch eine
1526 andere Erklärung abzuleugnen und den Schlaf noch um ein Weilchen
1527 zu verlängern.

XII

Wer an dem Gesichtspunkte der Zensur als dem Haupt-
1528motiv der Traumentstellung festhält, der wird nicht befremdet
1529 sein,^ahu aus den Ergebnissen der Traumdeutung zu erfahren, daß^ahv
1530 die meisten Träume der Erwachsenen durch die Analyse auf
1531 erotische Wünsche zurückgeführt werden. Diese Behauptung
1532 zielt nicht auf die Träume von unverhüllt sexuellem Inhalt, die
1533 wohl allen Träumern aus eigenem Erleben bekannt sind und
1534 gewöhnlich allein als „sexuelle Träume“ beschrieben werden.
1535 Solche Träume bieten noch immer des Befremdenden genug
1536 durch die Auswahl der Personen, die sie zu Sexualobjekten
1537 machen, durch die Wegräumung aller Schranken, an denen der
1538 Träumer im wachen Leben seine geschlechtlichen Bedürfnisse
1539 haltmachen läßt^ahw, durch viele sonderbare an das sogenannt
1540 Perverse mahnende Einzelheiten. Die Analyse zeigt aber, daß^ahx
1541 sehr viele andere Träume, die in ihrem manifesten Inhalt nichts
1542 Erotisches erkennen lassen, durch die Deutungsarbeit als sexuelle
1543 Wunscherfüllungen entlarvt werden, und daß^ahy anderseits^ahz sehr viele
1544 von der Denkarbeit des Wachens als „Tagesreste“ erübrigte Ge-
1545danken zu ihrer Darstellung im Traum nur durch die Zuhilfe-
1546nahme verdrängter erotischer Wünsche gelangen.

Zur Aufklärung dieses theoretisch nicht postulierten Sachverhaltes
1547 sei darauf hingewiesen, daß^aia keine andere Gruppe von Trieben
1548 eine so weitgehende Unterdrückung durch die Anforderung^aib der
1549 Erziehung zur Kultur erfahren hat wie gerade die sexuellen, daß^aic

251aber auch die sexuellen Triebe sich bei den meisten Menschen
1550 der Beherrschung durch die höchsten Seeleninstanzen am ehesten
1551 zu entziehen verstehen. Seitdem wir die in ihren Äußerungen^aid
1552 oft so unscheinbare, regelmäßig übersehene und mißverstandene^aie
1553 infantile Sexualität kennen gelernt^aif haben, sind wir
1554 berechtigt zu sagen, daß^aig fast jeder Kulturmensch die infantile
1555 Gestaltung des Sexuallebens in irgend einem^aih Punkte festgehalten
1556 hat, und begreifen so, daß^aii die verdrängten infantilen Sexual-
1557wünsche die häufigsten und stärksten Triebkräfte für die Bildung
1558 der Träume ergeben.¹

Wenn es dem Traume, welcher erotische Wünsche zum Aus-
1559drucke bringt, gelingen kann, in seinem manifesten Inhalt harm-
1560los asexuell zu erscheinen, so kann dies nur auf eine Weise
1561 möglich werden. Das Material von sexuellen Vorstellungen darf
1562 nicht als solches dargestellt werden, sondern muß^aij im Traum-
1563inhalt durch Andeutungen, Anspielungen und ähnliche Arten
1564 der indirekten Darstellung ersetzt werden, aber zum Unterschied
1565 von anderen Fällen indirekter Darstellung muß^aik die im Traum
1566 verwendete der unmittelbaren Verständlichkeit entzogen sein.
1567 Man hat sich gewöhnt, die Darstellungsmittel, welche diesen
1568 Bedingungen entsprechen, als Symbole des durch sie Dar-
1569gestellten zu bezeichnen. Ein besonderes Interesse hat sich ihnen
1570 zugewendet, seitdem man bemerkt hat, daß^ail die Träumer der-
1571selben Sprache sich der nämlichen Symbole bedienen,^aim ja, daß^ain in
1572 einzelnen Fällen die Symbolgemeinschaft über die Sprach-
1573gemeinschaft hinausreicht. Da die Träumer die Bedeutung der
1574 von ihnen verwendeten Symbole selbst nicht kennen, bleibt es
1575 zunächst rätselhaft, woher deren Beziehung zu dem durch sie
1576 Ersetzten und Bezeichneten rührt. Die Tatsache selbst ist aber
1577 unzweifelhaft und wird für die Technik der Traumdeutung bedeut-[/]
1578sam, denn mit Hilfe einer Kenntnis der Traumsymbolik ist es möglich,

252den Sinn einzelner Elemente des Trauminhaltes, oder einzelner
1579 Stücke des Traumes, oder mitunter selbst ganzer Träume, zu
1580 verstehen,^aio ohne den Träumer nach seinen Einfällen befragen zu
1581 müssen. Wir nähern uns so dem populären Ideal einer Traum-
1582übersetzung und greifen anderseits^aip auf die Deutungstechnik der
1583 alten Völker zurück, denen Traumdeutung mit Deutung durch
1584 Symbolik identisch war.

Wiewohl die Studien über die Traumsymbole von einem
1586 Abschluß^aiq noch weit entfernt sind, können wir doch eine Reihe
1587 von allgemeinen Behauptungen und von speziellen Angaben über
1588 dieselben mit Sicherheit vertreten. Es gibt Symbole, die fast
1589 allgemein eindeutig zu übersetzen sind, so bedeuten Kaiser und
1590 Kaiserin (König und Königin) die Eltern, Zimmer stellen
1591 Frauen(zimmer) dar, die Ein- und Ausgänge derselben die Körper-
1592öffnungen^air. Die größte^ais Zahl der Traumsymbole dient zur Dar-
1593stellung von Personen, Körperteilen und Verrichtungen, die mit
1594 erotischem Interesse betont sind, insbesondere können die
1595 Genitalien durch eine Anzahl von oft sehr überraschenden
1596 Symbolen dargestellt werden und finden sich die mannigfaltigsten
1597 Gegenstände zur symbolischen Bezeichnung der Genitalien ver-
1598wendet. Wenn scharfe Waffen, lange und starre Objekte^ait wie
1599 Baumstämme und Stöcke,^aiu, das männliche Genitale; Schränke,
1600 Schachteln, Wagen, Öfen den Frauenleib im Traume^aiv vertreten,
1601 so ist uns das Tertium comparationis, das Gemeinsame dieser
1602 Ersetzungen,^aiw ohne weiteres verständlich, aber nicht bei allen
1603 Symbolen wird uns das Erfassen der verbindenden Beziehungen
1604 so leicht gemacht. Symbole wie das der Stiege und des Steigens
1605 für den Sexualverkehr, der Krawatte^aix für das männliche Glied, des
1606 Holzes für den Frauenleib fordern unseren Unglauben heraus, so
1607lange^aiy wir nicht die Einsicht in die Symbolbeziehung auf anderen
1608 Wegen gewonnen haben. Eine ganze Anzahl der Traumsymbole
1609 ist übrigens bisexuell, kann je nach dem Zusammenhange auf
1610 das männliche oder auf das weibliche Genitale bezogen werden.

Es gibt Symbole von universeller Verbreitung, die man bei
1611 allen Träumern eines Sprach- und Bildungskreises antrifft, und
1612 andere von höchst eingeschränktem, individuellem Vorkommen,
1613 die sich ein Einzelner aus seinem Vorstellungsmaterial gebildet
1614 hat. Unter den ersteren unterscheidet man solche, deren Anspruch
1615 auf Vertretung des Sexuellen durch den Sprachgebrauch ohne
1616 weiteres gerechtfertigt wird (wie z. B.^aiz die aus dem Ackerbau
1617 stammenden, vgl. Fortpflanzung, Samen), von anderen, deren
1618 Beziehung zum Sexuellen in die ältesten Zeiten und dunkelsten
1619 Tiefen unserer Begriffsbildung hinabzureichen scheint. Die
1620 symbolbildende Kraft ist für beide oben gesonderten Arten von
1621 Symbolen in der Gegenwart nicht erloschen. Man kann
1622 beobachten, daß^aja neu erfundene Gegenstände (wie das Luftschiff)
1623 sofort zu universell gebräuchlichen Sexualsymbolen erhoben
1624 werden.

Es wäre übrigens irrtümlich zu erwarten, eine noch gründ-
1625lichere Kenntnis der Traumsymbolik (der „Sprache des Traumes“)
1626 könnte uns von der Befragung des Träumers nach seinen Ein-
1627fällen zum Traume unabhängig machen und uns gänzlich zur
1628 Technik der antiken Traumdeutung zurückführen. Abgesehen
1629 von den individuellen Symbolen und den Schwankungen im
1630 Gebrauch der universellen, weiß^ajb man nie, ob ein Element des
1631 Trauminhaltes symbolisch oder im eigentlichen Sinne zu deuten
1632 ist, und weiß^ajc man mit Sicherheit, daß^ajd nicht aller Inhalt des
1633 Traumes symbolisch zu deuten ist. Die Kenntnis der Traum-
1634symbolik wird uns immer nur die Übersetzung einzelner
1635 Bestandteile des Trauminhaltes vermitteln und wird die Anwen-
1636dung der früher gegebenen technischen Regeln nicht überflüssig
1637 machen. Sie wird aber als das wertvollste Hilfsmittel zur Deutung
1638 gerade dort eintreten, wo die Einfälle des Träumers versagen
1639 oder ungenügend werden.

Die Traumsymbolik erweist sich als unentbehrlich auch für
1640 das Verständnis der sogenannten^aje „typischen“ Träume der

254Menschen und der „wiederkehrenden“ Träume des Einzelnen.
1641 Wenn die Würdigung der symbolischen Ausdrucksweise des
1642 Traumes in dieser kurzen Darstellung so unvollständig aufgefallen^ajf
1643 ist, so rechtfertigt sich diese Vernachlässigung durch den Hin-
1644weis auf eine Einsicht, die zu dem Wichtigsten gehört, was wir
1645 über diesen Gegenstand aussagen können. Die Traumsymbolik
1646 führt weit über den Traum hinaus; sie gehört nicht dem
1647 Traume zu eigen an, sondern beherrscht in gleicher Weise die
1648 Darstellung in den Märchen, Mythen und Sagen, in den Witzen
1649 und im Folklore. Sie gestattetuns,^ajg die innigen Beziehungen des
1650 Traumes zu diesen Produktionen zu verfolgen; wir müssen uns
1651 aber sagen, daß^ajh sie nicht von der Traumarbeit hergestellt wird,
1652 sondern eine Eigentümlichkeit — wahrscheinlich unseresunbe-
1653wußten^aji Denkens ist, welches der Traumarbeit das Material zur
1654 Verdichtung, Verschiebung und Dramatisierung liefert.¹

XIII

Ich erhebe weder den Anspruch, hier auf alle Traumprobleme
1659 Licht geworfen, noch die hier erörterten überzeugend erledigt
1660 zu haben. Wer sich für den ganzen Umfang der Traumliteratur
1661 interessiert^ajj, der sei auf das Buch von Sante de Sanctis^ajk :
1662 I sogni, Torino1899,^ajl verwiesen; wer die eingehendere Begrün-
1663dung der von mir vorgetragenen Auffassung des Traumes sucht,
1664 der wende sich an meine Schrift: Die Traumdeutung,
1665 Leipzig und Wien 1900.¹ Ich werde nur noch darauf hinweisen,
1666 in welcher Richtung die Fortsetzung meiner Darlegungen über
1667 die Traumarbeit zu verfolgen ist.

Wenn ich als die Aufgabe einer Traumdeutung die Ersetzung
1668 des Traumes durch die latenten Traumgedanken, also die Auf-
1669lösung dessen, was die Traumarbeit gesponnen hat, hinstelle, so
1670 werfe ich einerseits eine Reihe von neuen psychologischen Pro-
1671blemen auf, die sich auf den Mechanismus dieser Traumarbeit
1672selbst^ajm wie auf die Natur und die Bedingungen der sogenannten^ajn
1673 Verdrängung beziehen; anderseits^ajo behaupte ich die Existenz der
1674 Traumgedanken, als eines sehr reichhaltigen Materiales psychischer
1675 Bildungen von höchster Ordnung und mit allen Kennzeichen
1676 normaler intellektueller Leistung versehen, welches Material sich
1677 doch dem Bewußtsein^ajp entzieht, bis es ihm durch den Traum-[/]
1678inhalt entstellte Kunde gegeben hat. Solche Gedanken bin ich

256genötigt,^ajq bei jedermann^ajr als vorhanden anzunehmen, da ja fast
1679 alle Menschen, auch die normalsten, des Träumens fähig sind.
1680 An das Unbewußte^ajs der Traumgedanken, an dessen Verhältnis^ajt
1681 zum Bewußtsein^aju und zur Verdrängung knüpfen die weiteren, für
1682 die Psychologie bedeutsamen Fragen an, deren Erledigung wohl
1683 aufzuschieben ist, bis die Analyse die Entstehung anderer psycho-
1684pathischer Bildungen, wie der hysterischen Symptome und der
1685 Zwangsideen, klargelegt hat.